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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.03.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-03-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930330021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893033002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893033002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-03
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- Monat1893-03
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Graf Caprivi ging damals Uber die Anregung kurz hinweg, indem er erklärte, daS Verlangen sei unausführbar. Wenn brr Wunsch ausS Neue zum Ausdruck kam, so war daS bei der ungenügenden Ausarbeitung der TeckungSvorschläge nicht weiter wunderbar. Bei einer Vorlage von so ungeheurer Tragweite, wie eS die Militairvorlage ist, hätte ein mit größeren Befugnissen ausgestatteler RetchSsinanzminister eine ganz andere Rolle zu spielen gehabt, als dem gegenwärtigen Leiter deS ReichSschatzamteS in Folge der Organisation der obersten Behörden des Reiches beschicken gewesen ist. Dessen Aus gabe wäre eS gewesen, die wirtbschaftlichen nnd finan ziellen Interessen deS Volkes gegenüber den immer wachsenden Anforderungen der Militairverwallung kräftig zu vertreten und andere Vorschläge zur Deckung drr Kosten zu machen. Denn wird dem Volke mit einem Male ein Mehr an Steuern im Betrage von 60—70 Millionen auferlegt, so darf man sich nicht mit dem mechanischen Mittel der einfachen Erhöhung bestimmter Steuern begnügen, nvlb dazu, wenn daS erwartete Resultat durchaus nicht feststeht, sondern man wird dabei wenigsten- d,e Absicht einer Reform erkennen müssen. Eine so gewaltige Persönlichkeit, wie die deS Fürsten BiSmarck. konnte die Fähig keit besitzen, die verschiedenen Fäden der Regierung allein in der Hand zu behalten, unter allen seinen Nachfolgern wird daS Verlangen Wiederkehr»», daß der höchste Leiter der Reichs- finanzrn nickt ein bloßer Untergebener des Reichskanzlers ist. Ossiciös wird bekanntlich der Gedanke, ein verantwortliche« ReickSfinanzministerium zu schassen, in einem längeren Leit artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" wieder zurückgewicsen. Man beruft sich auf die Erklärungen de« verstorbenen Windlborst, daß ein einzelner Finanz- minister neben dem Reichskanzler nicht möglich sei, daß eS dabei nicht bleiben werke, sondern daß dann folgerichtig tie Einführung eines „collcaialischen Reichsministeriums" be trieben werden würde. Wenn daS Verlangen nach einem Reichsfinanzminister unter dem Truck der finanziellen Ver bältnifse deS Reiches immer wiederkehrt, so ist die lieber zeugung von der Nothwendigkeit einer Verfassungsänderung doch vielleicht weiter verbreitet, als e- der OfficiosuS anzu- nebmen scheint. Wenn die Bundesregierungen >m Jahre 1884 cinmüthig erklärt haben, daß sie dem Verlangen nach verant wortlichen Reichsministerien entschieden cntgegentreten würden und in einer zu gcwärtigcnden Verschiebung deS Schwer punktes der Rcgierungsgewalt eine große Gefahr für die Tauer drr neu gewonnenen Einheit Deutschlands erblickten, und wenn sie auch jetzt noch auf demselben Slandpuncle ver harren, so wird doch im Laufe der Jahre, wenn an die finanzielle Leistung de« Volkes erneute große Anforderungen gestellt werden, die alte liberale Forderung wieder erscheinen. Je 'chwieriger die Finanzverhällnissc de« Reiches werden, je größer die jährliche Zunahme der Ziffern des Etats wird, um so weiter wird auch die Ueberzeugung von der Notb- wendigkcii sich verbreiten, daß der Leiter der deutschen Finanzen eine verantwortlichere Stellung einnehmen muß, als eS beule der Fall ist. ES ist nicht >m Mindesten einzuseben, wir die Verfolgung dieses Gedanken- nur Mißtrauen erwecken und um Entstehen von Eonflicten Veranlassung geben könnte. Daß man sich zur Abwehr des Verlangen« ^auf einen Parti- cularistcn wie Windthorst beruft, macht die Sache nicht besser. Es unterliegt keinem Zweifel, baß die rohen Excessr, denen der aus Frankreich ausgewiesenc Korrespon dent deS „Berliner Tageblattes", Herr Otto Brand eS, und besten Familie im Augenblick ihrer Abreise a»S ASniöreS bei Paris, wo BrankeS wobnte, von Seiten deS ausgereizten PöbelS auSgesctzt gewesen sind, Anlaß zu ernsten Betrach tungen über das Vcrhältniß geben, in dem Frankreich zu Deutschland sich andauernd stellt. WaS lhat der Pariser Mob? Als sich der AuSgewiesene zur Abreise au- schickte, wurde seine Familie, die ihn begleitete, von einer wülhenden Menge beschimpft, bedroht, ja mit Steinen beworfen! So sehen wir also die Franzosen sich sofort zur schönsten Eintracht verbinden, wenn tie Hehc gegen einen Deutschen loSgebt. Vergessen ist alle Gastlichkeit der Be völkerung, eS lebt nur noch der Haß gegen einen Vertreter der verhaßten Nation! Ma» fragt nicht erst lange: ist er schuldig'? Man weiß, er ist ein Deutscher, und damit ist die Schuld bewiesen! Die Lehre, die wir aus diesem neuesten Vorfall wieder zu zicben haben, braucht man nicht weitläufig vorzutragen, sie ergiebt sich von selbst. Dem Ver nehmen nach hat allerdings kor Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Herr Develle, dem deutschen Botschafter sein Bedauern über die Herrn Brandes zugesügte Behänd lung bereit« ansgesprochen nnd strenge Untersuchung de« Vorfalls zugesagt. Daß kiese Untersuchung mit allem Nachkruck geführt und volle Sühne für kie Epcesse geboten werde, legt Herrn Devcllc folgender Artikel nabe, den kie osficiöse „Nordd. Allgem. Zeitg." an leitender Stelle abdruckt: „Seit langem hat sich das deutsche Publicum daran gewöhnt, in den ihm zu Gesicht kommenden französischen Zeitungen als siebenden Artikel lügenhafte Berichte und gehässige Auslasfungeil über Dinge und Personen in Deutschland zu finden. Jeder Deutsche, der in fremden Orten gelebt hat, welch» durch die „Agence Haoas", die osficiöse französische Teiegropden-Agentur, mit Depeschen ver sitzen lverden, kennt deren tendenziöse Nachrichten über Alles, was Deutschland betrifft. Ter deutsche Leser ist dagegen allmälig ab. gestlimpsi worden und schenkt dem ganzen Treiben wenig Be- achtung. Man geht bei »ns von der Anschauung an». Laß die haßerfüllten und »nquaiifizirbaren Beschimvfungcn, welche die zahllosen größeren und kleineren sranzüsischen vetzblätler tagtäglich über Alles, was unS Teuijchen theuer und heilig ist, er gießen, im Grunde auf ihre Urheber zurücksallen und in Len Augen der gebildeten Welt nicht Dculichiand, sondern Frankreich kerabietzen und entwürdigen. So berechtigt an sich die>e Annassiing ist, so unterschätz! man doch jene <Lr>cheinungen, wenn man fie einfach verächtlich bei Seile schiebt. Gerade die Thatjachc, Laß >cne Blätter fortgesetzt gegen ihre bessere Ueberzeugung schreiben und mit vollem Bewußtsein Lügen auf Lügen über Deutsch land und Deutsche verbreiten — man braucht nur a» die bekannten „Berliner" Artikel des größten Pariser Boulevard blattes zu erinnern —, giebt jenem Treiben eine ernste Bedeutung: sie zeigt, daß diese Kost, die jeder anderen gebildeten Nation aus die Dauer ungenießbar erschiene, dem französischen Leser zulagt, und daß in Frankreich Alle», was gegen Deutschland gesagt und gedruckt wird, schon darum allein sicher ist, mit Begierde und Genuglhuunq ausgenommen zu werden. Lediglich die correctc Haltung der sich seit 1871 folgenden französischen Regierungen Hai es bisher zu verhindern gewußt, daß die wüste Hetzerei noch nicht in kriegerische Timten unigesetzt wurde. Aber mit Bedauern und nicht ohne Befürchtungen muß eonstatirt werden, daß neuerdings auch französische Staatsmänner anscheinend der Bersuchung nicht wider stehen können, durch ungerechte und feindselige Acte gegen Deutsche sich bei der großen Menge den Beifall zu erringen, den sie durch andere Regierungshand- lungcn außer Stande waren, sich zu sichern. In zwei Fällen Kat sich die sranzöfiichc Regierung über die durch die Panama- Angelegenheit hervorgeruienen inneren Schwierigkeiten durch die in Frankreich ihren Zweck nie verfehlende Ablenkung der erregten Volks- ieidcnschasten aus Deutsche hinwegzudel-en gesucht. In kurzem Zwischenräume sind zwei deutsche lLorrespondenten wegen angeblicher unwahrer Berichte über Frankreich und dessen Zustände ansgewiejen worden, obgleich die Grundlosigkeit der gegen sie er hobenen Beschuldigungen dargelba» war. Ta» Recht der sranzö- ischen Regierung, >kdcn ihr mißliebigen Fremden auch ohne Angabe des Grunde» anszuweisen, ist unbestreitbar, aber brr Appell a» den Haß eine» Volkes ist stets ein gefährliches Werkzeug, und der eln- müihige Beisall»jnbet der gesamiulen französischen Presse, so wohl- Ihuend er in die Obren der derjenigen Machthaber klingen mag, ist Loch zu Ihclierterkaiisl mit der Schürung jener Leidcnschasle», in Lene» La» srieden»bedü:ftige Europa eine verinanenle Kriegs gefahr zn erblicken gewöhnt ist. Tie brüllende und johlende Menge, die vor zwei Tagen den ausgewiescncn Tentjchen und seine Familie mit Stein- und Lchinntzwürsen verfolgte, vervollständigt das Sittcn- und StiminungSbitd, das uns Franlreich heute bietet. Der Ruf „ä Berlin, ü Berlin", der im Jahre 1870 die Straßen von Paris erfüllte, war auch nicht da» Product LeS Augenblick», sondern einer »Untätigen, systematischen Aufreizung deS Natioiialgcsühis. Wen» al» Aurkunstsiiiiltel gegen Panama und andere Skandale die EnI- sessclung de» Volkshast'e» gegen einzelne Angehörige der deutsche» Nation benutzt wird, jo lagt sich nicht allzuschwer ermesse», was wir zu erwarten habe», wenn größere und ernstere Schwierigkeiten durch Ablenlillig nach Außen beseitigt werden solle». Darin liegt die ernste Lehre, welche die letzten Vorkommnisse in Paris enthüllen Der Wunsch und die Hossnung, daß die angedeuleten Eonsc> quenzen nicht rintreten werden, enthebt nicht der Pflicht, jene Symptome ausnlkrkjam z» beobachten und die Mahnung auszu- sprechen, vor Ueberiajchiniqen auf der Hut zu sein." Der Erzherzog Rainer ist bekanntlich dazu auSerschen, -die Glückwünsche des österreichische» Hose« an das italienische KönigSpaar zu dessen silberner Hochzeit zu cüberbringe». Es hätte somit »abc gelegen, den Besuch deS Erz Herzogs in Rom nur als den eines naben Verwandten dar;» stellen. Denn der Erzherzog ist sowohl mütterlicherseits, indem seine Mutter eine Prinzessin von Savoyen-Carignan war. als auch dadurch mit dem König Humbert verwandt, daß dessen Mutter, Königin Adelheid, die Lckweslcr des Erzherzogs gewesen ist. Allein durch den Verwandtschaftsgrad tcs Erzherzogs mit dem königlich italienischen Hose wird nur erklärt, daß gerade er mit dieser Sendung betraut worden ist. Man macht aber in Wien kein Hehl daraus, daß diese Mission eine ossiciclle ist und daß durch sie die Herzlichkeit der Beziehungen zwischen dem österreichischen nnd dein italienischen Hose bekundet werden soll. Handelt es sich nu» auch nur um ein Familiensest und bat die Sendung des Erzherzogs Rainer mit der Politik nicht« zu schaffen, so wird man ibr doch, eben weil sie die Beziehungen zwischen den beiden Höfen nnd Staaten illustrirt, eine gewisse politischeB cd entring nicht absprechc» können. Diese hat sie auch in negativer Beziehung, wenn man erwägt, wie die valicainsche Presse diesem Besuche entgcgen- zuwirken trachtete. Für diese Ereiferung der oaticanischen Kreise lag nicht der geringste Grund vor, denn der Anlaß, woraus Erzherzog Rainer nach Noni entsendet wird, ist klar gekennzeichnet, und die Mission des Erzherzogs wird den» auch mit der lleberbringung der Glückwünsche an daS italienische KönigSpaar erfüllt sein. Ein gleichzeitiger Besuch im Ouirinal und Batican dürste daher überhaupt gar nicht in Betracht gekommen sein. Nach der Sprache, die gewisse oalicanische Organe geführt haben, ist eS übrigens begreiflich, daß sich in Wien Stimmen erbeben, die der Meinung sind, eS könnte nur gerechtfertigt sein, wenn die Eurie »idirecl durch die Tbatsachcn einen zarten Wink erhielte, daß die Versuche, sich in innere Angelegenheiten Oesterreich- cli,- zumischen, denn doch über eine gewisse Linie nicht hinaus gehen dürfen. In Paris bat sich gleichsam über Nacht wieder eine parlamentarische Krisis entwickelt und zwar in Folge der Beschlüsse, die der Senat und die Deputirtenkammer zu dcni Budget gefaßt habe». Der Senat hat eine Reihe von tiefcingrcijendcii Veränderungen am Budget vor- genoittme» und die Deputirtenkammer will sich taS nickt gefalle» lassen. In der gestrigen Abendsitzling in der Budget commission bebarrlen Ribol und Tirard auf der Nvth- wentigkeit, mit dein Senat eine llebereinstimmiing zu erzielen, die Eomiiiission nabm jedoch mit >0 gegen 7 Stimmen einen Antrag dahin gebend an, das FinanzgcsetzgebungSrecht zu wahren und das von der Kammer angenommene Budget i»rück a» den Senat gelangen zu lasten. Tie heutigen Morgenblätter constalire» den Ernst deS EonslictS zwischen der Kammer und dem Senate. Man glaubt, daß die Kammern den Beschluß der Budgcteommission genehmigen werten. Voraussichtlich wird die die heutige Kammersitzung sehr erregt sein. Auch die conjervativc» Journale äußern 'ick ernst über diese Krise, die republikanischen hoffen, daß ein Einvernehmen erzielt werde. Zum Osterfeste sollte endlich in der belgischen Stimm- rechiösrage die Entscheidung fallen, daü Land mit dem neuen Wahlsystem beglückt werden und damit Ruhe eintrelen, aber — es ist wieder nichts damit. Im Gegentheil! Nach der heutigen Sachlage weiß Niemand mebr, wann eine Ent scheidung fallen oder gar welches Wahlsystem durchdringen wird. Der auS allen Parteien zusammengesetzte Sonder ausschuß der Tepiitirtcnkammer hat nämlich einstimmig be schlossen, daß, nachdem die allgemeine Debatte über die StimmrechtSsrage geschlossen sein wird, über jedes Wahl system — vierzehn sind schon vorgeschlagen! — gesondert verhandelt werden soll. Erst wenn über alle Systeme der Schluß der Debatte ausgesprochen ist, solle» die Abstimmungen erfolge». Es stehen also neue endlose Nedceraüsse bevor; die herrschenden Parteien stelle» die Geduld des Landes aus eine harte Probe. Die Russen beginnen neuerdings sich durch daS Auf treten der Engländer im Pamirgebiet beunruhigt und bedroht zu fühlen. Die „Nowoje Wremja" schreibt zur politischen Lage am Pamir: „Nach den neuesten Nachrichten setzen sich die Engländer in Kaiid^bul immer mehr und mebr fest. Kandshut ist eins der ii» «üben des Pamir am Fuße des Himalaja belege»«» Kbanate. Es grenzt einerseits an daS in de» Thälern des Pamir liegende, vor mehreren Jahren von den Afghanen beseite Khanat Wachau, und andererseits an den Tagdunibasck Pamir, der den Ehinesen gebürt. — Kandshilt war ein Vasallenstaat der Ehinesen. Mit Ein wiUigiliig derselben babeu die Engländer Besitz ergriffen von dem Laute und sich damit einen neuen BerührungSpuncl mit Ebina geschaffen, lieber Kandshut können sie die Ebiiiesen in Kaschgar und die Afghanen in Wachau be eiiiflusse» und ibnc» durch Sendung von Geschütz und son stigcni Kriegsbedarf Hilfe leiste». Hierin beruht die politische Beteurung per neue» Erwerbung per Engländer. Außerdem aber werde» über Kandshut nach Kaschgarien auch die eng lischen Waarcn befördert werden, welche, wie verlautet, von dort bisher durch unsere Kausleute waren verdrängt worden.„ Deutsches Reich. * Dresden, 20. März. Das „Dresdener Journal" schreibt im nichtamtlichen Tbeile: „Der RcichsiagSabgeordnete Herr Rector Aklwardt aus Berlin wollte beute Abend hier einen öffentlichen Vortrag halten, der indessen von der könig lichen Polizeidircction unt erjagt worden ist. Die Grünte hierfür beruhen jedoch nicht, wie ein hiesige« Blatt melde», i» einer gesetzlichen Bestimmung, die mit der Ebarwocke zu saminenhängl, sie sind vielmehr lediglich in der Person Fsuillstsn. Ums Geld. SOI Nachdruck verböte». „Wen Novelle von A. Heyl. lSchluß.) „Eine verfluchte Geschichte, die Ihrem lieben Freunde zugestoßen ist, Herr Knicker!" „Freund?" wiederholte der Krämer mißtrauisch, meinen Sic? Ich — ich habe keine lieben Freunde." „Ehrliche- Geständniß," lachte der Andere. „Wohlan, sagen wir Geschäftsfreunde. Ich meine jenen Menschen, der sich unter dem Namen Holkamp hier herumtrieb und viel in Ihrem Hause verkehrte." „Ich kenne ihn nickt näher," wick -Knicker auS. „Er bat sich durch Empfehlungsbriefe bei mir eingesübrt; ich habe ihn höflich empfangen; im klebrigen geben mich seine Angelegen- beiten nicht- an." „Danken Sie Gott, daß dem so ist; Sic konnten, wenn Ihre Beziehungen einigermaßen intime gewesen wären, ein unangenehme- Nachspiel vor Gericht erleben, mein Bester," fuhr Stönewitz fort, den Andern zu quälen. „Nachspiel kor Gericht?" stieß Knicker hervor, äugen sckeinlich heftig erschreckt. Stönewitz weidete sich an seiner Bestürzung. „Wie gesagt, Herr Knicker, Sie können sich gratuliren, mit diesem Lchurken nicht allzu bekannt geworden zu sein. Der Mann beißt eigentlich Launrr, ist von Hamburg, seine- Gewerbe- ein Trödler und nebenbei DicbSbebler Er betrieb, wie die Polizei erfahren bat, daS Geschält im Großen und soll in ver schiedenen Städten, so auck hier, seine Filialen gehabt baden. WaS fehlt ihnen, Herr Knicker, Sie werden so bleich?" „Es hat nicht« zu bedeuten," stotterte dieser. „Ich — ich erschrak über die Schlechtigkeit diese- Menschen, den ich sür einen ehrlichen Mann hielt." „Sie sehen, wie man sich täuschen kann," warf Stönr Witz ein. „Leider/ gab Knicker zu. „Doch ich denke, dieser Holkamp od«r Launrr wird sich schon wieder zu helfen wissen. Er ist verlobt mit Fräulein Roland, die jedenfalls Alles ausbielen wird, Ihren Bräutigam rein zu waschen. Wenn man über solche Mittel verfügt, dann —" „Wenn man aber nichts bat, wie Fräulein Betty, dann kann nian auch mit nichts helfen," bemerkte Stönewitz. „Wie soll ich daS verstehen?" fragte.Knicker. „DaS werden Sie leicht versieben, Herr Knicker, wenn ich Ihnen erkläre, daß diese beiden Amerikanerinnen der Welt eine Komödie vorgcspielt baben, wie die abenleucr- lustigen Misses öfter zu lbun pflegen. Sie tauschten die Rollen; die Arme gab sich für die Reiche, die Reiche für die Arme aus. Erstcrc glaubte bei der Sacke einen hoben Gewinn zu machen, indem sie einen vermeintlichen Millionair ins Netz lockte. Auf großartigen Schwindel folgt gewöbnlicb ein großartiger Krach. Auch hier war eS nicht anders, und Ibr lieber GeschäslSireund kommt schlecht dabei weg. ES müssen arge Scencn zwischen diesem Launer und den Amerikanerinnen vorgekonimen sein, bei denen der Hund auch eine hervorragende Rolle spielte. Er fiel den Mann an, zerfleischte ihn fürchterlich, so daß er mit Wunden bedeckt ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Bleibt der Gauner am Leben, dann wird schon Licht in die dunkle Geschickte kommen und mehr an den Tag gebracht werden, als manche Leute sich träumen lasten. UnS kann cs ja gleichgiltig sein, mein wertber Herr Knicker, denn wir Beide haben nichts mit dieser Criminalgcscbichte zu thun." Knicker stand vor dem Landrath wie rin Delinauent, dem das TodeSurtheil verkündet wird. Er war aschfahl, seine Lippen waren fest auseinander gepreßt, sein Blick starrte in« Leere, seine Glieder zitterten, er bemerkte kaum, daß der Landrath mit böbniscvem Grinsen den Laden verließ, ohne die mitgenommenen Cigarren zu bezahlen. „Dieser Ebrenmann hat sein Tbcil," murmelte Stöne witz vor sich bin, während er die Hochstraße entlang schritt. „Jetzt will ich noch bei meiner ehemaligen Freundin Lilli vorsprechen, um ihr mein Beileid auSzudrücken, daß ihr Sckcoßbündchen vor da« Schwurgericht kommt. Arme Ariadne aus Napo«; der Liebling kommt in- Zuchthaus, der Doctor, der ihrem Schmachten gegenüber unerschütterlich blieb, zieht in die Ferne. Der Augenblick scheint günstig; vielleicht nimmt sie mich wieder zu Gnaden an in Er mangeluag eine« Besseren." Während er in Gedanlcn seine- Weges weiter ging, be gegnete ihm Frau Knicker, die mit einem große» Marktkorbc am Arme aus ikrem Felde kam, wo sic Obst und Gemüse geholt batte. Ein Vicrtcldutzcnd kleine» Kinder in sckr primitiven Toiletten von zweiselbaster Reinlichkeit liefen neben ihr brr, nnd baten dir Mutter immer und immer wieder um eine Pflaume oder um eine Birne, oknc daß sie ihren Bitten Gekör schenkte. „Guten Tag, schöne Frau!" rief ibr der Landrath leut selig zu. „Immer bäuölich, immer fleißig." „Wer nicht fleißig und sparsam ist. der kommt zu nickt-," antwortete Frau Knicker imWeilcrgeben, diese wohlverstandene Anspielung mit spöttischem Nicken begleitend. „Sic treffen den lieben Gcmabl in trefflichster Laune," hallte eS ihr nach. Eiligen Schrittes setzte sie ihren Weg fort. „In trcff lichster Laune", backte sie, „da- wäre etwa« Neues." Knicker war in letzterer Zeit in so düsterer GemütbS- stimmung und so unerträglich im Umgang; die Nachricht erschien der Gattin kaum glaubwürdig. Sie eilte nach Hause und fragte schon unter der Ladentbür den Konrad LipS, der unterdessen eiiigetroffeu war, wo ibr Mann sei. Dieser vermochte keine Auskunft zu geben: den» Laden und Comptoir waren zu seiner Verwtinderting leer, als er zu- rückkebrte, und was ihm besonders aussiel, der Schlüssel zur kleinen Caste lag auf dem Ladentisch. Frau Knicker klagte über diesen »»erbörten Leichtsinn und schickte da« älteste Kind nach der Woknung, nni den Vater zu rufen; eS kam aber nach kaum zebn Minuten mit der Meldung zurück, der Bater sei nirgend« zu finden. Die anfängliche Entrüstung der Fra» verwandelte sich nach langem ver geblichen Suchen i» Angst und Sorge, und als am Abend alle Nachforschungen nach dem Entschwundenen ohne Re sultat blieben, drängte sich ibr und ihrer Umgebung tie Befürchtung aus, eS müsse dem Manne etwa« zugesloßcn sein. xvn Der Abend begann seine Schatten aus die Erde zu senken, dir Feierglocke läutete zur Ruhe nack TageSarbeit und Müde. Im Wohnzimmer der alten Frau Falk wurden dir feierlichen Klänge wenig beachtet; denn an Rübe sollte nicht gedacht werden, bis die umbrrstehenden Koffer und Kisten vollgepackt, Wohl verschlossen und an ihren Be stimmungsort adressirt waren. Wäsche, Kleider, Bucker lagen umber, der ordnenden Hand darrend. Der Doctor und seine Mutter waren eifrig mit dem Einpacken dieser Gegenstände beschäftigt, so eifrig, daß keines von Beiden ein Wort über die Lippen brachte, noch den Blick von der Arbeit verwandte. Frau Falk legte die Leibwäsche zusammen, sab jede« Stück zuvor gewissenhaft nach, ob auch nirgend« etwas skblc, und wischte fick dabei öslcrS eine Tbränc ab. Doch allmälig raunen die heißen Tropfen reichlicher; sie strömten zuletzt über die gefurchten Wangen nieder und ein leises, müksam »nleidrückleS Schluchzen schreckte den schweig samcn Mann an« tiefen Gedanken auf. Er sah, wie seine Mutter daS Taschentuch vor die Lippen pressend, bastig das Zimmer verlassen wollte. Mit ein paar Schritten war er an ihrer Seite, umschlang sie zärtlich, drückte ibr guicS Gc sicht an seine Brust, und laum seiner Ergriffenheit Herr werdend, bat er: „Nimm eS nickt so schwer, Mütterchen; Du weißt ja, eS muß so sein. Für mich ist kier kein geteilt lickcr Boden; wenn ick bleibe, gehe ick z» Grunde. Siebst Du daS nickt ein?" „Ick sehe nicht ein. warum ich meinen Liebling missen muß," sagte sie traurig. „Ick jede nickt ein, warum mein Alter einsam und freudlos werden soll; es hätte anders kommen können." „Dein Aller soll nicht einsam und freudlos werten, Mütterchen," tröstete er „Warte nur, bis ick mich m W. einigermaßen heimisch süble, bis ich mir eine Stellung ge macht bade; dann bole ich Dich ab, Tu ziehst zu mir und wir sübrcn in der neuen Hcimath ein viel gemütblichcreS Leben miteinander, als wir eS hier zu Stande bringen konnten, wo so manches Peinliche in und außer dem Hause störend cinariss." „Ack", fenlzke die alte Dame. „daS sind schöne Pläne, die sich wobl niemals realisircn werten. Ich bin all, mein Sobn. nnd einen allen Baum versetzt mau nickt gern in neue« Erdreich Ich tackte mir eS immer so schön, in Len, Hanse, in dom ich viele Iabre hindurch glücklich war, auch Dich glücklich zu jeden; und daS Kälte sv werten können, wenn Du Deiner Mutter Gehör geschenkt hättest, wenn Deine Neigung auf eine Andere gefallen wäre." Der Doctor konnte sich de« Lächeln« nicht erwehren.
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