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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.07.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189507081
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18950708
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18950708
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-08
- Monat1895-07
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.07.1895
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Bezugs-Preis kn der Hauptexpedition odrr den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Au», aabestellen ab geholt: vierteljährlich ^>4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau« »l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliührlich -« 8.—. Direkte tägliche Krruzbandleudung tn« Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Außgabe erscheint täglich mit Au», nnhme nach Sonn- und Festtagen '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag» 5 Uhr. Redaktion «n- LrpeLitionr 2ohanne»»afie 8. Dl« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geössnrt von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Filialen: vtt- Klemm'« Enrtim. («lfre» Hat«), Uutversitätsstraße 1, Laut» Lösche. «ikharinenstr. 1», Part, und »SaigSvlatz 7. Anzeiger. Drgan fiir Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. ^- 327. Montag den 8. Juli 1895. Anzeigeri-PreiS die 6 gespültem Petitzeilr 80 Pfg. Reklamen unter dem NedactionSstrich l4qc- fpalten) bO^j, vor den Familirnnachrichtea (6 gespalten) 40 BrSgere Schriften laut unserem Preis- verz»>chnih. Tabellarischer und Zisfernjatz nach höherem Tarif. Sytra-Vcilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbrfSrderimg 60.—, mit Postbefvrderung 70.--. Ännahmeschlub für Ilnzeigea: (nur Wochentag») Abend-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabr: Nachmittag» »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen j» rin, halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L Polz in Leipzig. 8S. Jahrgang Amtliche Bekanntmachungen. Erstatteter Anzeige zufolge ist di« dem Reisenden der Firma Alfred Vraun hier, Herrn Fritz Pommer, am 27. December v. I. für da» Jahr 1895 unter Nr. 65/^. hierseits ausgestellte Gewerbe- Legitimation-karte abhanden gekommen. Zur Verhütung von Mißbrauch wird diese Karte hiermit für ungiltig erklärt. Leipzig, am 4. Juli 1895. Das Polizeiamt der Stadt Leipzig. III. 3539. In Stellvertretung. Vr. Schmid. Rschbch. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. Juli. Ueber den Stand der Währungsfrage, dieses nach Ablehnung deS Antrags Kanitz noch verbleibenden „großen Mittels" zur Beseitigung des landwirthschaftlichen Noth- standes und aller übrigen Zeitgebrechen, hat der Staats- secretair Or. v. Boetticher am Sonnabend im preußischen Herrenhause einige Mittheilungen gemacht, die nicht uninteressant sind. Aus ihnen ergiebt sich, daß die Aeußerungen der Bundesregierungen noch nickt sämmt- lich eingegangen sind, ferner daß mit der Aufforderung an die Regierungen, sich über ihre Stellung zur Währungs frage zu äußern, auch die Aufforderung verbunden war, Vorschläge zu machen, sofern sie solche zu machen vermöchten, welche darauf gerichtet wären, den Werth deS Silbers zu heben und zu befestigen. Hoffentlich wird man erfahren, welche derartige Vorschläge diejenigen Negierungen gemacht haben, die sich für die Einberufung einer Conferenz erklärten, namentlich was die preußische Regierung vorgescklagen hat. Nach dem Gange der Er örterungen im Bundesrath werde sich, so fuhr Herr v. Boetticher fort, bestimmen lassen, ob und eventuell mit welchen fremden Mächten und auf welcher Grundlage seitens des Reichskanzlers ein vertraulicher Meinungsaustausch über die Währungsfragt behufs eventueller Vorbereitung einer internationalen Conferenz anzubahnen sein möchte. Die Vorsicht diese»' Action»-Programm- kann man nur loben; sollte fick bei dem etwaigen internationalen vertraulichen Meinungsaustausch ergeben, daß Frankreich an dem Werthverhältniß 15»/, : 1 festhalt und England keinerlei Opfer für die „Hebung des SilberwertheS" bringen will, so wird die Neichöregicrung vollkommen gerechtfertigt selbst vor der Mehrheit für den Währungöbeschluß deS Reichstages dastehen, wenn sie unter Berufung darauf, daß Niemand zum Unmöglichen verpflichtet ist, in der nächsten Session mittheilt, ihre Bemühungen seien ergebnißlos gewesen. Der „Vorwärts" erklärt rin zur Socialdemokratie ge höriges Gemeinberalhömitglied des Jndustriestädtchen» Lambrecht in der Pfalz, das für die Verleihung des EbrenbürgerrechtS an den Fürsten Bismarck gestimmt hat, in Acht und Bann. Die Execution des Unheils ,st aber mit einigen Schwierigkeiten verbunden, weil die acht Socialdemokraten, die im Gemeinderathe sitzen, ihr Votum schriftlich abgegeben haben und man nicht weiß, wer von ihnen — ein «socialdemokrat muß mit der Mehrheit ge gangen sein — die, wie der „Vorwärts" sich auSdrückt, „Stegmüllerei" verübt hat. Dieser Ausdruck ist sckön, aber er paßt doch nur für Deutschland. Für französische unsichere Cantonisten empfehlen wir den socialdemokratischen Sprachbereicherern die Bildungen „Millerandise" und „Mirmaniade". Freilich Millcrand und Mirman gelten in Frankreich nicht als zweifelhafte, sondern als waschechte Socialisten, waS wir dem „Centralorgan", so sehr es sich darüber ärgert, immer wieder Vorhalten müssen. Die KriegS- rede Millerand's ist nur die jüngste, keineswegs aber die einzige und stärkste Bekundung nationaler und deutschfeindlicher Gesinnung der französischen Socialdemokratie. Wir erinnern unS sogar einer solchen, die gegen die deutschen „Genossen" direct gerichtet war. Nach den französischen Wahlen im Herbst 1893 hatte sich der „Vorwärts" mitGeldspenden gebrüstet, die er zudem Wahlfond» der französischen Socialisten beigebracht habe. Dadurch wurden aber die fraezösischen „Proletarier" in Helle Entrüstung versetzt. Ein Sturm des Unwillens ging durch die gesammte französische Arbeiterwelt. Fast alle Deputieren, welche mit Hilfe von Arbeiterstimmen ihr Mandat erlangt hatten, verwahrten sich gegen die „schmachvolle" Unterstellung als hätten sie „deutsche Almosen" in Empfang genommen. Und Herr JuleS Guesde, der an dem Almosen hängen blieb, wurde von allen Seiten verleugnet. DieSocialisten des PariserFaubourg Montmartre, des bewährten RevolulionsviertelS, erließen eine Proklamation, in welcher sie sich von jeder Gemeinschaft mit Guesve lossagten und der Erwartung Ausdruck gaben, daß die Kammer (also die „Bourgeois") nach Eröffnung des Parlaments ihr HauSrecht gegen die „vaterlandslose Clique" gebrauchen werde. Die deutschen Socialdemokraten aber erwiesen sich auch damals so christlich, wie jetzt im Falle Millerand: sie segneten ihre Beleidiger. Der neue englische Premierminister Lord Salisbury hat nunmehr im Oberhause sein RegierungSgrog ramm verkündet. Er beantragte daselbst die zweite Lesung der Expropriationsbill und führte mit Bezug auf Lord Nosebery'S jüngste Rede au», Lord Rosebery habe erklärt, er appellire an das Land, um daS gesetzgeberische Ueber- gewicht des Oberhauses zu beseitigen. Lord Rosebery habe dabei erklärt, wenn dies geschehen wäre, würden dreierlei Wege eingeschlagen werden, um die Ziele, die dabei im Auge behalten werden, praktisch durchzuführen. „Was meinte Lord Rosebery", fuhr der Premierminister fort, „mit dem gesetzgeberischen Uebergewicht deS Ober- hauseS? DaS Hau» der Lord» hat herkömmlicher Weise nicht an den Vorgängen oder an den Abstimmungen theil- grnommen, durch welche die Regierungen gestürzt oder auf- gericktet wurden, noch auch an der Beschaffung der Mittel für die Staatsverwaltung. In Bezug auf alle übrigen An gelegenheiten besitzt das Oberhaus genau dieselbe gesetzgebe rische Befugniß wie daS Unterhaus, das ist jedoch keine gesetz geberische Uebermacht. Lord Rosebery bat gesagt, das Uebcr- grwicht der Lords in der Gesetzgebung lege der liberalen Partei Handschellen an; allein: was hat daS Oberbaus während der Amtszeit Lord Nosebery'S getban, um der Partei Hand schellen anzulegen? Es hat die Vorlage, betreffend die ver triebenen irischen Pächter, abgelebnt, eine Vorlage, welche von ihren eigenen Anhängern als undurchführbar und absurd be zeichnet wurde. Das Oberhaus würde auch in Zukunft solche Vorlagen aufs Entschiedenste bekämpfen. Was die UnterrichtS-Siiftuagen angebt, so hat das Haus der Lords auf zwei großen Grundsätzen bestanden, nämlich, daß die Stiftungen für Diejenigen bewahrt bleiben sollen, für welche sie ursprünglich gemacht wurden, und ferner, daß die Eltern das Recht haben sollen, ihre Kinder in ihrer Religion erzogen zu sehen. Diese Grundsätze werden sie immer festbalten. Das eigentliche Ziel des Hauses der Lords war, die Homerule-Bill zu Falle zu bringen." Dieses sei die Frage, führte der Premierminister bann weiter aus, über welche das Land in der That bei den bevorstehenden Wahlen zu entscheiden habe. Die einzige Bedingung, unter welcher große und ernstliche Reformen der Einrichtungen deS Landes durchgeführt werden könnten, sei, daß sie von großen Mehr heiten de- Landes angenommen würden. Weder die Homerule- Bill, noch die Vorlage über die Entstaatlichung der Kirche in Wales sei von der Mehrheit der Nation unterstützt worden, wenigstens soweit England in Betracht komme. Andererseits, betonte Lord Salisbury nunmehr, seien Probleme vorhanden, welchen die Aufmerksamkeit zugewendet werden solle. Sie seien reich an Schwierigkeiten, aber sie versprächen den Erfolg, welcher zur Wiederherherstellung der Wohlfahrt und zur Minderung des Elends der ärmeren Classen führe. Er bekenne, daß er keine Panacee für die Nothlage der Land- wirthschaft besitze, doch diese verdiene mehr als ein anderer Gegenstand die höchste Aufmerksamkeit des Parlaments, und es feien die Richtungen gegeben, in welchen eine Abhilfe er reicht werden könne. Das gegenwärtige Besteuerungs system sei in einem Zustande voller Anomalien und drücke schwer auf die Landwirthschaft. Die Frage des Trans ports der Erzeugnisse durch die Eisenbahnen, sowie die Frage der kleinen Landgüter seien Gegenstände, welche viel BeacktenswertbeS zu dem Zwecke der Besse rung der landwirthschaftlichen Nothlage enthielten. Viel könne auch zur Erleichterung der Lage Derjenigen gethan werden, welche ohne eigene Schuld in Noth geratben sind; es habe viel zu geschehen mit Bezug auf die Re vision deS Gesetzes über die Beschäftigung der Armen. Das Oberbaus verdiene den Dank des Landes für seine jüngste Haltung, und sei es auch nur um deswillen, daß es mit den unfruchtbaren und ärgerlichen Zwistigkeiten auf geräumt habe, welche eine üble Gepflogenheit einiger unter den Gesetzgebern des Landes geworden sei, — und daß es sie aufgefordert habe zu der lohnenderen Thätigkeit eines Studiums der Besserung der socialen Lage des Volkes. Nachdem hierauf Lord Rosebery die wiederholte Erklärung abgegeben hatte, daß die liberale Partei an ihrem Programm festhalte, wurde die Expropriationsbill durch alle Lesungen angenommen. Hiernach verkündete der Kanzler der könig lichen Commission die Vertagung des Parlament» bis zum M^vli. Die heute stattfindende feierliche Eröffnung der Eisen bahn von Lorenzo Marquez nach Pretoria dürfte die Be ziehungen TcutschllMvs zu Transvaal noch mehr in den Vordergrund des Tagesinteresses rücken, als dies seit einiger Zeit ohnehin der Fall ist. Die Feier beginnt in Lorenzo Marquez auf portugiesischem Gebiet, und es werden dabei außer der Flagge von Portugal bekanntlich auch Deutsch land (durch die Kreuzer „Cormoran" und „Condor") und England vertreten sein; letzteres allerdings mit wenig freundlichen Mienen, da die neue Bahn wesentlich dazu bei tragen wird, Transvaal, welches sich der britischen Um- garnung bisher zu entziehen vermochte, wirthschaftlich und politisch zu kräftigen. Die deutsche Colonialgesellschaft hatte bereits zu Ende deS vorigen Jahres in einer Eingabe an den Reichskanzler daS Ersuchen ausgesprochen, dahin wirken zu wollen, daß in der Delagoaba,frage den englischen Expansionsbestrebungen mit Nachdruck entgegengetreten und nichts unterlassen werde, um die politische und wirtbschaftliche Unabhängigkeit der südafrikanischen Boerenrepubliken vor jedem Angriffe und jeder Beeinträchtigung zu schützen, und ein entsprechender Antrag des Grafen Frankenberg ist vor wenigen Wochen auch auf der Hauptversammlung der Gesellschaft zu Cassel angenommen worden. §S besteht kein Zweifel, daß der Antrag und Beschluß durchaus den Intentionen der Regierung entsprach. Dem zu knüpfenden Freundschaftsbunde zwischen Deutschland und den Boeren- republiken muß unter allen Umständen eine über den gegen wärtigen Augenblick hinausgehende Tragweite verliehen werden; eine nachhaltige energische Unterstützung der Boeren- republiken gerade im gegenwärtigen Moment ist im eigensten Interesse Deutschlands bringend geboten, und es ist eine unabweisbare Pflicht Deutschlands, endlich dem Vorgehen des CapministerS Eecil Rhodes mit Entschlossenheit gegenüber zutreten. Diese Erwägungen lassen e» dringend wünschenS- werth erscheinen, daß neben der in Aussicht gestellten De monstration auch entsprechend zum Ausdruck gebracht werde, daß Deutschland seine Zustimmung zur Annection des Amatonga- und Pondolandes zu geben nickt in der Lage sei, vielmehr sich dem von der südafrikanischen Republik erhobenen Proteste anzuschlietzen veranlaßt sehe. Eine derartige Kund gebung wird die Sympathien der Boerenstaaten mehr als alles Andere Deutschland zuführen. Deutsches Reich. I-. Leipzig, 8. Juli. Vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenate deS Reichsgerichts begann heute Vor mittag 9 Uhr der Spionage-Proceß gegen den Kohlen händler Andreas Hannö aus Montigny bei Metz. Den Vorsitz führt Herr Senatspräsident von Wolfs, die Reichs anwaltschaft vertritt Herr Reichsanwalt Schumann, das Protokoll führt Herr Kanzleirath Rösler, Vertheidiger ist Herr Justizrath vr. Seelig. Erschienen sind folgende Zeugen und Sachverständige: I. Zeugen: 1) Criminal- schutzmann NicolauS Barbary aus Metz. 2) Polizeirath Karl August Zahn auS Straßburg i. E. 3) früherer Sergeant,jetzt Zuchthausgcfangener Friedrich Franz Schreiber aus Waldhrim. 4) Viceseldwebel Karl Büthe des königlich sächsischen Fußartillerie-RezimenteS Nr. 12 in Metz. 5) Ka nonier Friedrich Reinholv deS königlich sächsischen Fuß- artillerie-RegimentS Nr. 12 in Metz. 6) Grenz-Polizeicom- miffar Bauer in Metz. 7) August Fosset, Angestellter bei der Zeitung „Messin" in Nov6ant. 8) Eigenthümer Oskar Dezavelle in Montigny. 9) Kaiserlicher Land- gerichtSrath Schiber in Metz. 10) Pensionirter Depotfeld webel Karl Meinecke zu St. Privat. 1l) Beamter bei dem kaiserlichen Regierungspräsidenten zu Metz Jean Cheri da selbst. II. Sachverständige: 1) Arthur Henze, vereideter Sachverständiger für Handschriftenvergleichung in Leipzig. 2) Benedikt Dreyfuß, Gerichlsschreiberamtscandidat aus Metz, als Dolmetscher. 3) Major Heinrich, 4) Major von Eberhardt, beide vom königlichen KriegSministerium. — Ehe in die Verhandlung eingetreten wurde, beantragte Herr Rechtsanwalt Schumann den Ausschluß der Oeffcnt- lichkeit. Der Gerichtshof beschloß aus Gründen der Staatssicherheit für die ganze Dauer der Verhandlung die Öffentlichkeit auszuschließen. * Berlin, 7. Juli. Der Rbeder des Presseschiffs „Prinz Waldemar", Commerzienrath Sartori zu Kiel, hat jetzt Frirrlletsir» Haus Hardenberg. L7j Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) In dem glasbedeckten Gange, der nach der Hofseite lag, herrschte ein Halbdunkel, so daß man sehr Wohl daS Schnee treiben draußen unterscheiden konnte. Das Dach der Seiten gebäude war ganz weiß. Auch Mantel und Mütze Viktor« waren mit dichtem Schnee bedeckt. „Du Aermster, bei diesem schlechten Wetter hast Du aus gehen müssen", sprach Renate bedauernd. „Ach, sprich doch nicht davon, daS sind ja Kleinigkeiten, die gar nicht in Betracht kommen, wir haben Wichtigeres zu verhandeln." Viktor vermied e», bei dieser nächtlichen Zusammenkunft einen zärtlichen Ton anzuschlagen, er wollte Renate zeigen, daß er ihr Vertrauen nicht mißbrauche, und sie war chm dankbar für sein Zartgefühl. Hand in Hand standen sie da, wie gute Freunde, und redeten Alles genau ab, ein, zweimal, damit nicht der ge ringste Jrrthum Vorkommen könne, „denn zuweilen", so schloß Viktor, „scheitert ein klug ersonnener Plan an einer kleinen Unregelmäßigkeit in der Ausführung." „Und hier ist daS Schmuckstück", sie reichte ihm da» Etui. „Verwahre es wohl, damit Du r» nicht verlierst, e» ist sehr werthvoll." „Sei ohne Sorge; e» ist mir nur sehr peinlich, daß ich eS überhaupt verwerthen muß. Aber erst heute erhielt ich Nachricht aus Berlin, die ungünstig lautete. Ich hatte mich nämlich an einen Freund gewendet, dem ich eine nicht un bedeutende Summe geliehen, mit der Bitte, mir mindestens die Hälfte zurück zu erstatten. Leider ist er nicht im Stande, die» sogleich zu thun, erst in Monaten kann ich auf da» Geld rechnen." Selbstverständlich war an der ganzen Sache kein wahre» Wort. Victor batte allerdings einen Brief auS Berlin be kommen, und zwar von seinem Compagniechef, mit der Auf forderung. sich bis 1. Januar in Berlin einzufinden zur Ordnung seiner Angelegenheiten, die wahrlich verwickelt genug seien, da besonders in letzter Zeit zahlreiche Klagen von stadtbekannten Wucherern mit bedeutenden Forderungen ein gelaufen waren. Victor hatte dieses Schreiben dadurch beantwortet, daß er sein Abschiedsgesuch einreichte. Der Brief war mit der Abendpost abgegangen. Dann hatte er auch an Clotilde geschrieben und seine übrigen Angelegenheiten geordnet, den Koffer gepackt und mit Frau Martha abgerechnet, die im Nachbarbause bei einer schwer erkrankten Freundin eine Nacht wache hielt und deshalb auch verhindert gewesen war, in das Hardenberg'sche HauS zu kommen. Auch mit Carl hatte der Lieutenant gesprochen und dem selben gesagt, daß er eine wichtige Besorgung für ihn habe und er deshalb am nächsten Morgen nicht eher daS HauS verlassen möge, bis er mit ihm geredet. Der Vorsicht halber wollte er indessen, so nahm er sich vor, dem Sohne seiner Wirthin beim Nachhausekommen daS schon Gesagte noch einmal in Erinnerung bringen, denn Carl sollte am nächsten Morgen das Schmuckstück auf den Namen seiner Mutter verpfänden. — Renate glaubte ihrem Geliebten natürlich Alles, WaS er agte, auf's Wort, und warum hätte sie daS auch nicht thun ollen? In all' den Romanen, welche sie gelesen und die noch dazu als paffende Lectüre für junge Mädchen angerükmt wurden, weil durchaus nichts „Jndecentes" darin vorkam, waren die Helden wahre Ausbünde von Edelmnth und Selbstlosigkeit gewesen, wie würde denn da ibr Held, der gleich schön, geistreich und liebenswürdig war, eine Ausnahme macken? Mit sanftem Vorwürfe sagte sie: „Aber^ Victor, wie kannst Du Dich denn solcher Neben sächlichkeiten wegen betrüben! Sind wir nickt eins und einig in der Liebe und ist nicht auch Dein, waS mein war?" „Meine süße Braut, ich werde in Zukunft keinen größeren Ehrgeiz haben, al» so viel Liebe, so viel Opfermulh zu ver dienen." „Wenn wir nur erst glücklich vereint wären!" „Auch ich verhehle mir nicht, daß un» noch schwere Kämpfe bevorsteben, große Hindernisse zu besiegen sind. So zum Beispiel erscheint eS mir schwierig, wie Du Dich in den Besitz des übrigen Schmuckes setzen willst —" „Nicht doch, das ist da« Leichteste. Meine Stiefmutter kleidet sich gleich nach dem Frühstück für den Tag an, dir» geschieht im Toilettenzimmer, wo ick sie oft besucht habe. In der Regel ist der Schrank, wo der Schmuck sich befindet, geöffnet, da auch sie ihre Wahl trifft und am Abend Alles sorglich einschließt. Ich habe nur nöchig, in dem Schranke, der auch andere Wertbgegenstände enthält, meiner Gewohn heit nach umberzukramen und eines nach dem andern die einzelnen Stücke in meiner Tasche verschwinden zu lassen. Wenn der Kasten geschloffen ist und die kleineren Etuis wieder oben auf seinem Deckel stehen, wird es ihr sicher nicht einfallen, Verdacht zu schöpfen, daß etwas fehlen könne." „Bitte, sei recht vorsichtig und verabsäume es nickt, in einem zurückzulassenden Briefe an Deinen Vater ausdrücklich zu erwähnen, daß Du selbst den Schmuck, den Du als Dein Dir zugehöriges Eigentbum und mütterliches Erbtheil be trachtest, mit Dir genommen hast." „Da wir just davon reden, Victor, muß ich Dir noch Eins sagen, dieses Familienerbe betreffend, was mir schwer auf daS Herz gefallen ist und woran wir Beide gar nicht gedacht haben." „Nun, was kann denn das sein — sprich Dich nur offen aus!" DaS that nun Renate, und nachdem sie nun sehr klar dargelegt, daß ibre jüngere Schwester ja die gleichen Anreckte an das Famiiieuerbe babe, kündete sie ihren Entschluß an, sich nur die Hälfte des Schmuckes anzueignen. Victor machte ein Gesicht wie einer, der plötzlich Essig statt Wein getrunken. — In der That wäre durch eine solche Theilung der Champagner der Zukunft bedeutend ver wässert worden. Aber er durfte seinen Aerger nicht einmal merken kaffen, wenn das romantische Backfischchen nicht einen schlimmen Begriff von seiner Uneigcnnützigkeit bekommen sollte. So räusperte er sich denn mehrmals und meinte dann zögernd: „Ueberlege Dir da» doch noch recht genau, kleine Braut. Was mich betrifft, so betrachte ich Deinen Schmuck überhaupt nur al» eine Anleibe. Wir wollen ibn ja auch bei Leibe nickt verkaufen, sondern nur verpfänden, und Du weißt vielleicht nickt, daß man in solchem Falle kaum ein Dritttheil de« Wertbe« erkält. Wollten wir die Steine verkaufen, dann wäre e» eine andere Sache, aber daS soll ja um keinen Preis gescheben. Diese Werthsachen sind für un« nicht« mehr und nickt» weniger al« ein Schutz, eine Garantie, daß die gemeine Noth de» Lebens unS nichts anhaben kann. Ich weiß nickt, ob Du mich verstanden hast, Renate?" „O ja — und dennoch sträubt mein Gefühl sich dagegen, Gustchen zu berauben." „Das ist begreiflich, Du bist eben sehr zartfühlend, sehr ideal gesinnt — aber warte, da fällt mir ein Ausweg ein. Wenn ick recht unterrichtet bin, gehört Dir die nette Villa in Scheitnig?" „Ja, sie ist mein Eigenthum, ich besitze die Schenkungs urkunde." „Gut, so cedire diesen Deinen Besitz an Gustchen, gleichsam als Pfandobject für den mitgenommenen Schmuck. Bist Du's zufrieden?" „Ja, Victor, da» könnte gehen." „Wir sind dann gesicherter. Das Reisen kostet nämlich schmähliches Geld und in England ist es mehr als noch mal so tbeuer als hier." Sie reichte ihm die Hand. „ES sei, wie Du willst." „Also abgemacht, morgen —" Da fühlte er, wie ihre Hand in der seinen jäh zuckte, und er fragte besorgt: „WaS ist Dir, mein Herz?" „Still, um Gottes willen —" Renate streckte den Kopf vor und lauschte mit ange- baltenem Athem: unten wurde eine Thür geöffnet, die etwas in den Angeln kreischte. Auch Victor hatte da» jetzt gehört und ihm wurde nicht wohl dabei, er unterdrückte einen Fluch und fragte leise: „Wer kann daS sein?" „Ich weiß nicht —" sie zitterte so heftig, daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte. Er stützte sie und so standen sie Beide dicht an der Thür, die auf den Treppenabsatz führte und die angelegt ge blieben war. „Sollte man beraufkommrn, so müssen wir diese Thür schließen", sagte Viktor leise. „Du weißt wohl nicht, ob sie einen Riegel hat?" „Da» glaube ich kaum." Er tastete an dem Schlosse herum, eS war wirklich kein Rie^l da — rin fataler Umstand. Etwa zehn Minuten vergingen so. Die Beiden lauschten in atliemloser Spannung „Mir ist, al» vernähme ich dumpfe Schläge", hauchte Renate. „In der Tbat, e« ist rin Stoßen und Knirschen — den Teufel auch, sollte vielleicht Jemand in das HauS gedrungen sein? — Ich habe die Thür nicht wieder abgeschlossen."
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