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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.08.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950821025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895082102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895082102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-21
- Monat1895-08
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Für diese fünf Jahre, d. l>. bis zum 17. August 1900, ist Schröder nach H. 3 des Reichswahlgesetzes von der Berechtigung zum Wählen, nach §. 4 desselben Ge setzes auch von der Wählbarkeit ausgeschlossen. Die Auf stellung seiner Candidatur ist also, mag der Erfolg sein, welcher er wolle, nichts weiter als eine Demonstration. Würde in diesen fünf Jahren Schröder irgendwo und irgend einmal gewählt, so wäre die Erklärung der Ungiltigkeit dieser Wahl eine Förmlichkeit, zu der der Reichstag noch nicht eine Minute Zeit benöthigte, und von der sich auch die Social demokraten im Reichstag nicht ausschließen dürften. Doch ist das Alles einstweilen Zukunftsmusik, denn Essen hat seinen Vertreter im Reichstage sitzen, den Geheimen Commerzien- rath Krupp, und was bis zu den allgemeinen Wahlen von 1898 geschieht, ist im weiten Felde. Wer mag sagen, ob die einstimmig beschlossene Ausstellung Schröder's dann von den Socialdemokraten selbst noch aufrecht erhalten wird? Un mittelbare Wirkung von der möglichst agitatorischen Aus beutung des Falles scheint man sich aber für die bevor stehende Reichstagsersatzwahl in Dortmund zu versprechen. Wenigstens sagt der „Vorwärts", die nächste Antwort auf die Verurtheilung Schröder's und seiner Genossen werde bei der demnächst stattsindenden Dortmunder Reichstagsersatz wahl gegeben werden. Wenn das nicht etwa heißen soll, daß der bereits für Dortmund aufgestellte Socialdemokrat vr. Lütgenan zurücktreten möge, um auch in Dortmund mit der Candidatur Schröder zu deinonstriren, so bedeutet es jedenfalls, daß die Verurtheilung Schröder's den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Socialrevolutionairen und bürgerlicher Gesellschaft* bilden soll. Unseres Erachtens kann eS, speciell für den Wahlkampf, nur zum Schaden der Socialdemokratie geschehen, wenn sie derart die Dinge auf die Spitze treibt und Fragen in den Vordergrund rückt, die mit der Reichsgesetzgebung nicht das Mindeste zu thun haben. Namentlich würden wir uns von einem derartigen Angriff ein um so festeres Zusammenhalten auf Seiten der gemeinsam Angegriffenen versprechen. Die Essener Demon stration aber inzwischen zu vergessen, davor warnt mit Recht die „Nat.-Lib.-Corr.", indem sie auSsührt: „Das Urtheil des SchwurgerichtSboseS in Essen ist ergangen; man mag über die Begründung streiten, gleichviel ob man Jurist oder Laie ist; man mag vom Standpunkt eines Socialdemokraten auch innerlich überzeugt sein, daß Schröder des wissentlichen Meineids nicht schuldig ist, — Alles als möglich zugegeben. Aber das Urtheil ist doch hervor gegangen aus dem Wahrspruch von Geschworenen, denen die Socialdemokratie und die Demokratie das wichtigste Gebiet der politischen Processe, die Preß- processe, überweisen möchten. Und das Wahlgesetz wie der Reichstag haben gar nichts Hamit zu thun, ob Einer zu Un recht den Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte verloren hat oder nicht. Wenn ihm diese Rechte mangeln, kann er nicht im Reichstag zugelassen werden, und wenn ein notorisch nicht wählbarer Candidat aufgestellt wird, so geschieht es nur, um die Menge in immer größere Erregung hineinzureißen, nicht um dem Kreise eine geordnete Vertretung im Reichstage zu geben. Das ist in keiner Weise mehr eine Wahrnehmung verletzter Rechtsgefühls, sondern ein Verwirren klarer Rechtsbegriffe, sei es, daß die Menge in den Glauben versetzt wird, der Reichstag könne hierbei Ab hilfe schaffen, oder daß sie durch den Gedanken erregt wird, die Geschworenen hätten den Socialdemokraten für schuldig des wissentlichen Meineids erklärt, nicht weil sie nacb Lage der Zeugenbekundungen die Ueberzeugung von der Schuld gewonnen hätten, sondern nur deshalb, weil der Angeklagte Socialdemokrat ist. Aber mit einer derartigen Verwirrung der Rechtsbegriffe ist es, wie wir fürchten, nicht abgethan. Die Masse Derer, die an solchen Demonstrationen sich zu betheiligen pflegen, kann den Gedanken auch fortspinnen; sie kann und wird voraussichtlich der Meinung Raum geben, daß Schröder in jedem Falle als Märtyrer gefeiert werden müsse, ob er unschuldig in das Zuchthaus gekommen ist oder des wissent lichen Meineids wirklich schuldig ist. Darauf scheint das Demonstriren in der Thal abzuzielen. Bor allen Dingen soll irgend welche sachliche Würdigung des Falles im Keime erstickt werden. Die Masse der Mitläufer soll sich ihres etwa noch feinen Empfindens für die Heiligkeit des Eides diesmal auf keinen Fall bewußt werden. Und was liegt dem „Vorwärts" daran, wenn sie im Verfolg dieser Demonstrationen geradezu auf die Idee verfällt, daß man „diesem" Staate gegenüber von dem Eide jeden Gebrauch machen dürfe, und daß es gleichwohl brutal sei, wenn „dieser" Staat einen auf dem Meineid ertappten Revolutionair als Meineidigen behandele, wie jeden Anderen, statt ihn als politischen Gegner mit — geistigen Waffen zu bekämpfen! In dieser Hinsicht ist das Demonstriren der Anhängerschaft Schröder's besonders verwerflich, paßt aber freilich zum Uebrigen." In Oesterreich sind die Tage des provisorischen CabinetS KielmannSegg's gezählt. Wie dem„B.L.-A." aus Wien gemeldet wird, erklärte gestern Graf Baden», das ne», e definitive Ministerium sei bereits gebildet, er selbst sei vom Kaiser an die Spitze desselben berufen worden, anch alle übrigen Mitglieder seien bestimmt und zum Eintritte bereit, die Liste der neuen Minister werde aber vor deren Ernennung geheim gehalten. Die Ernennung erfolgt erst Anfang Oktober, da die galizischen Landtagswahlen, deren Leitung Badeni nicht aus der Hand geben will, noch bis in die ersten Octobertage dauern. Dann erst kehrt Kaiser Franz Josef von den ungarischen Manövern zurück, um die endgiltige Ernennung der neuen Minister zu vollziehen. Mit Badeni'S Be rufung, die übrigens nach anderen Meldungen noch nicht völlig sicher sein soll, wäre sein Nebenbuhler, Gras Franz Thun, der Statthalter von Böhmen, für längere Zeit aus dem Felde geschlagen und die bedeutsame Thatsache gegeben, daß sowohl der gemeinsame Minister des Aeußern, als der österreichische Ministerpräsident dem polnischen Adel entnommen sind. Mächtige Einflüsse wirkten für den Grafen Thun; man hielt es aber für klüger, den Statthalter von Böhmen, der von den Tschechen mit dem ehrlichsten Hasse beehrt wird, diesmal aus der Combination zu lassen. Damit kommt die bedeutende Stellung, welche die Polen in der öster reichisch-ungarischen Monarchie einnehinen, zu kräftigem Aus drucke. Graf Badeni war bereits Vertrauensmann deS Kaisers, als das Ministerium Windischgrätz-Plener fiel und ein provisorisches Cabinet an dessen Stelle trat. In tiefstein Geheimnisse brachte Graf Badeni binnen 24 Stunden das Ueber- angscabinet zu Stande, welches den Platz ausfüllen sollte, iS er die galizischen Landtagswahlen durchgeführt hätte. Aber nicht die Wahlen allein sind es, die es verhindern, daß Graf Badeni jetzt schon die Leitung der Geschäfte übernimmt. Es muß vorher für einen geeigneten Nachfolger in Galizien Vor- 'orge getroffen werden, was seine großen Schwierigkeiten bat, da die Stellung Badeni'S im Lande schier fast die eines Bicekönigs war, der mit fast unbeschränkter Machtvollkommen heit seines Amtes waltete. Wahrscheinlich wird Graf Baden» auch als Ministerpräsident eine kräftige Hand zeigen; seine Energie und sein rücksichtsloses Durchgreifen ernpfehlen ihn in erster Linie für dieses Amt. Fürst Windischgrätz, der ewig Unentschlossene, ließ die Zügel zu sehr am Boden schleifen — man beabsichtigt nun, ohne viel Rücksicht auf die Parteien im Parlamente ein kräftiges monarchisches Regiment zu führen. Bei der Zersplitterung des Abgeord netenhauses in Fractionen dürfte diese Absicht eine Zeit lang nicht unschwer durchzuführen sein. lieber Frankreichs Hoffnungen in Elsatz-Lothringen sprach sich dieser Tage, wie schon kurz erwähnt, der Elsässer Reichstabsabgeordnete Abbö Guerber einem Berichterstatter des Pariser „Matin" gegenüber aus, der auf einer Infor mationsreise durch das Land begriffen ist, um einmal volle Klarheit über die Stimmung desselben zu erhalten. Da Guerber früher scharfer Protestler war, fällt seine runde Ablehnung alles französischen Liebeswerbens besonders ins Gewicht, so daß wir es für angezeigt halten, nochmals darauf zurückzukommen. Der „Matin" -Berichterstatter erzählt in seinem Blatte: „Wir sind", sagte mir der ehrwürdige Geistliche, dem ich im Kloster Allerheiligen begegnete, wo er Almosenier ist, „resignirt. Wir acceptiren die vollendete Thatsache ohne Hintergedanken. Pro testler? Welchen Nutzen hat das? Wer nährt noch die Hoff nung auf eine Rückkehr Elsaß-Lothringens zu Frank reich? Ganz allmählich ist die Bluine der Hoffnung verwelkt; das Parfüm der Erinnerung hat sich nach und nach verflüchtigt. Ich mich Sie überraschen, ja, Ihne» Schmerz verursachen. Wa« wollen Sie? Sie sagen mir, Last Sie nach Straßburg kommen, mn daselbst die Wahrheit kennen zu lernen; ich entspreche Ihrem Wunsche, wenn ich nicht Ihrem patriotischen Ehrgeize ein Opfer bringe. Sehen Sie, — und bei diesen Worten faßt mich Abbü Guerber an der Hand und läßt mich Platz nehmen — wir lieben Frankreich noch immer. Aber es ist in Wahrheit allzu sehr schuldig geworden. ES beharrt in seiner Unwissenheit und in seinen Fehlern. Wir können ihm denn auch nicht folgen. Der Krieg war lein thörichtes Abenteuer. Trotz der Warnungen Ducrot's und Stoffel's wollte »narr-nach Berlin gehen und kam nach Sedan. Nun wohl, auch heute kennt man in Paris Deutschland noch nicht. Man kennt cs nicht und will es nicht kennen lernen. Es ist stärker als jemals; seine Industrie ist voll Thätigkcit. Auf Len Weltinärkten hat es Frankreich geschlagen und bestreitet England dessen Uebergewicht. Seine Armee hat noch Fortschritte gemacht. Sollte ein Krieg kommen', so werden Sie geschlagen, vernichtet werden, ich versichere es Ihnen. Unter diesen Be dingungen was vermögen Sie und weshalb sollten wir eigen sinnig sein?" Daß dieses „Matin"-Jnterview den Pariser Chauvinismus zu wildem Aufschäumen bringen würde, ließ sich voraussehen. Ein Entrüstungssturm geht durch die ganze dortige Presse. SanSboeuf, der Vorsitzende der Pariser Elsässer-Vereine, erklärt einem „Soir"-Mitarbeiter, Guerber könne die ihm zngeschriebenen Aeußerungen unmöglich gethan haben, man dürfe erwarten, daß er sie für unwahr erklären werde. Elsaß erwarte nach wie vor seine Befreiung. „Libre Parole" >at schon herausgebracht, daß der „Matin"-Mitarbciter ein Jude aus der Schweiz, vielleicht gar aus Baden sei. Ti? Beschimpfungen, mit denen der frühere Elsässer Reichstags- abgeordnete Petri und der llnterstaatssecretair Zorn von Bulach, die sich dem „Matin"-Jnterviewer gegenüber noch deutlicher ausgesprochen haben, überschüttet werden, verdienen als elbstverständlich keine Wiedergabe. Einige Blätter rege» die Aufrichtung einer Bildsäule von Metz an, da diese Stadt eine solche Ehre ebenso verdiene wie Straßburg. Der „Matin" hat so zahlreiche ergrimmte Zuschriften erhalten, daß ihm ein heiliger Schreck in die Glieder gefahren ist uns er bereits einen Entschuldigungsartikel bringt, worin es heißt: „Unsere Unparteilichkeit gestattete uns nicht, den uns gesandten Bericht abzuschwächen. Wir haben die Pflicht, eine von der Geschichte geschaffene Lage nicht mit Chauvinismus, sondern kaltblütig zu betrachten und unS auf schmerzliche Feststellungen gefaßt zu machen. Unsere zuwartende Haltung hat den Elsässern die Ueberzeugung beigebracht, daß wir unS in die vollzogene Thatsache fügen. Unser Bünvniß mit Rußland sollte den Elsässern indeß neue Hoffnung einflößen, die sich allerdings noch nicht in nächster Zeit erfüllen wird. Der „Matin" hat mit Schmerz eine vaterländische Pflicht erfüllt. Frankreich weiß jetzt, daß es Alles thun muß, damit die von unö Losgerissenen nicht länger an unserer Liebe und Erinnerung verzweifeln." — Die Franzosen können und wollen nun einmal die Wahrheit sich nicht sagen lassen; wie im Jahre 1870, laufen sie auch heute noch Chimäre» und Illusionen nach und verlieren immer mehr den Blick für die Wirklichkeit! Aus der schon kurz erwähnten Unterredung des bulga rischen Ministerpräsidenten Stoilow mit einem Correspondenten der „N. Fr. Pr." heben wir noch folgende bezeichnende Stellen heraus. Stoilow sagte u. A.: Es gab zwei Perioden der Berhandlung (der Kranzdcputation mit den Petersburger maßgebenden Persönlichkeiten). In der ersten war man i» Petersburg sehr kalt; dann kam ei» günstiger Geist, und die Mißverständnisse wurden beseitigt. Man glaubte in Petersburg, in Sofia werde die katholische Kirche bevor- zugt. Clement selbst konnte zu unseren Gunsten wahrheitsgemäß ansklären.... Ich wiederhole, wir kennen keine Bedingungen. Man sprach in den Zeitungen, daß der Fürst sich einer Wieder wahl unterziehen soll. Niemals wird ein bulgarisches Parlament dies zugcben. Die Wahl des Fürsten erfordert drei Umstände: die Zustimmung der Sobranje, die der Pforte und die der Mächte. Welcher Zeitraum zwischen diesen drei Umständen zu liege» habe, bestimmt das Gesetz nicht. Ob aber eine Sobranje legal ist, die eine Wahl oder einen Beschluß faßte, darüber spricht unsere Ver fassung sehr klar; sie bestimmt, wie schon bei den Verifikationen vorgejorgt ist, daß nur die Sobranje die Entscheidung über ihre Legalität hat. Ware die Wahl des Fürsten illegal, so wären cs alle Beschlüsse, die sonst gefaßt wurden. Hätte eine Macht das Recht der Einsprache gegen§die Legalität der Sobranje von damals, so hätte inorgen bei einer Versammlung, die eine even- tuelle Wiederwahl vornehmen würde, eine andere Macht dasselbe Recht. Welch ein Wirrsal von Verhältnissen wäre hierdurch heraufbeschworen! Kein Bulgare kann je die Hand bieten, dies zu ermöglichen. Wir wünschen sehnlichst, daß endlich Friede sei zwischen uns und der großen Nation, der wir die Freiheit danken, aber um diesen Preis können wir ihn unmöglich wollen! Daß die vorläufige Absendung eines russischen Vertreters Feirilletsn. i8i Der sechste Sinn. Novelle von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. (Schluß.) Die Hitze, mit der sie diese schreckliche Znmuthung zurück wies, unterrichtete Herrn Lasten über die Sachlage bester, als eine ellenlange Auseinandersetzung. Er wußte nun, daß Herr Saegebühl seine Zusage wirklich erfüllt hatte. ,Aber Doris", sagte er gemüthlich und setzte sich auf ein umgestülpteS Waschfaß, „das klingt gar nicht ermuthigend für Herrn Saegebühl." Sie wurde wieder roth. „DaS soll'S auch nicht", sagte sie eifrig, „es soll für gar Niemand so ermuthigend sein. Ich kann die Männer alle nicht leiden. Sie sind eine Plage, die der liebe Gott in seinem Zorn erschaffen hat." „Der arme Actuar! Wenn ich ihm daS wiedersage —" „Oh, das ist ganz aus! Ich »nag nichts von ihm wissen. Hörst Du wohl, Alex, ich mag nichts von ihm wißen. Er ist ein Scheusal. Ich will ihn nie, nie wieder sehen." „DaS konnte ich Dir schon vor langer Zeit sagen", be merkte Lassen trocken und klapperte gleichmüthig mit der Reitgerte an seinen Sporen herum. „Und Du hast sehr Unrecht gethan, Alex, es mir nicht zu sagen. Mich so zu compromittiren! Und Du bist schuld, Alex " „Ich bin schuld, Doris? Ich habe mich doch nicht mit ihm verlobt." „Ja", fuhr sie erregt fort und offenbar froh, Jemanden funden zu haben, dem sie ihren ganzen Jammer in die chuhe schieben konnte, „Du bist schuld; hättest Du mir auch nur ein Sterbenswörtchen gesagt " „So hättest Du mich wahrscheinlich einen groben Bauer genannt, der von nichts in der lieben GotteSwelt etwas ver stünde", unterbrach er sie nachdrücklich. Ein großes Stück Seife in der kleinen Faust, fuhr sie eine Weile in tiefster Entrüstung auf dem nassen Leinen hin und her und biß »nit den kleinen blitzenden Zähnen energisch ans die schwellende Unterlippe. Dann faßte sic aber wieder Muth und sagte: „Du bist doch schuld, Alex; Niemand sonst als Du. Max hat es mir wohl erzählt, daß Du daß rS Dir sehr Du bist schuld. Hättest Du " ES war eine wahre Wohlthat, daß sie eine Beschäftigung batt«. Nicht um ganz Spanien mit allen Colonien hätte sie jetzt dz« ßhtgr» hebe» und ihn apsghen mögen. Lasten hin« gegen verwandte keinen Blick von ihrer kleinen, rührigen Gestalt, von ihrem aufgeregten rundlichen Gesicht. Er hätte aufspringen und ihr um den Hals fallen mögen und ihre frischen dunkelrothen Lippen küssen und einen ganzen Tag lang — aber als besonnener Mann verstand er sich zu be herrschen; er wollte nicht wie ein verzweifelter Spieler Alles auf einen gewaltsamen Sturmangriff ankommen lassen. Der Sieg war ihm zu werthvoll, als daß er ihn in dieser Weise auf's Spiel setzen sollte. Eingedenk des Sprichworts: Ein Pferd führt man am Zaum, einen Elephanten am Strick, ein Weib am — Herzen, sagte er nach einer Pause mit ver schmitztem Hinterhalt: „Gut, Doris, ich will schuld sein und Du sollst Recht haben. Ich will es als meine Pflicht anerkennen, daß ich zu Dir hätte sprechen sollen. Wirst Du es mir deshalb übelnehmen, daß ich jetzt glücklich darüber bin, zu sehen, wie Du trotzdem richtig herauSgefundcn hast, daß daß es nicht ging? Daß Saegebühl kein Mann für Dich war?" Wirst Du mir das übelnehmen?" „Du freust Dich darüber?" „Hast Du daran gezweifelt?" „Das ist aber doch nicht hübsch von Dir." „Ich weiß mir nichts Schöneres in der Welt." Ihre Stimmen waren immer mehr und mehr zu einem traulichen, gemüthlichen Flüsterton herabgesunken, und wie sie jetzt den Blick etwas befangen und verstohlen hob, bemerkte sie, wie er sich leise von seinem Fasse erhob. Sie mochte Verrath und Ueberrumpelung fürchten und fühlte sich in einer beängstigenden Lage. „Du hättest aber doch sagen sollen, Alex", hob sie wieder mit einer etwas gewaltsamen Energie an und fuhr mit ver zweifelter Kraftentwickelung auf ihrer Wäsche herum. „Was denn, Doris?" fragte er leise und lächelnd. „Hm! DaS mußt Du wissen", keuchte sie wie von ihrer Arbeit angestrengt und vollständig in Anspruch genommen hervor. „Daß ich Dich liebe, Doris?" „Aber Alex!" sagte sie entrüstet. „Das hättest Du doch schon längst wissen sollen. So etwas sagt man nicht erst, so etwas fühlt mau, Doris." Dabe» faßte er sie ziemlich kräftig um die Taille und griff mit der anderen Hand nach ihrem Kinn. Sie ließ ihre Seife rasch fahren und suchte ihm erschrocken zu wehren. „Alex, Alex, ich schreie!" rief sic in ihrer höchsten Angst. Eine kleine Secunde schien Waffenstillstand zu sein. Er sah ihr treuherzig in die Augen und sagte mit einer rührend bittenden Stimme: „Doris!" „Aber nur ganz wenig", flüsterte sie. Sie schrie aber gar nicht.. Blitzschnell hatte er sich über sie gebeugt und ihre Lippen mit den seinen fest verschlossen. — — Wie lange sie so dagestanden hatten, wußten sie Beide nicht. Plötzlich fuhr Frau Horn geschäftig zur Thür herein. „Sind die Hemden angeseift? — Mein Himmel, was macht Ihr denn?" rief sie und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. Wie ertappte Sünder fuhren sie auseinander, fanden aber in ihrer Bestürzung Beide keine Worte. „Ja, aber Doris, was soll denn daS heißen? Wenn nun das der Actuar Herr meines Lebens " „Alex " sagte Doris verlegen. ,Iiebste Frau Tante", sagte endlich Lassen, „bitte, haben Sie die Güte, mir nur eine halbe Minute zuzuhören! Actuar Saegebühl hat sich als ein Erzschelm entpuppt, und Doris will durchaus nichts mehr von ihm wissen." „Durchaus nicht", bekräftigte diese, „nicht um Indien und alle seine Schätze." „Ja, aber da hört sich doch Alles auf! Doris, hast Du denn den Verstand verloren? Du kannst Dich doch nicht zweimal in einer Woche verloben." „Ach, Mama, das erste Mal war'S ja nichts", entgegnete Doris verlegen. „Wir haben ja auch gar nicht so große Eile, unser Glück aller Welt zu verkünden", versetzte Lassen wieder, „wir möchten Sie im Gegentheil bitten, Frau Tante, unser Gehcimniß wenigstens einige Tage zu bewahren, bis wir Alles aufdecken können, was sich ereignet hat." „WaS sich ereignet hat", wiederholte Frau Horn verdutzt, was hat sich denn ereignet? In kurzen Worten erklärte Herr Lasten seinen beiden Zuhörerinnen, WaS ihnen zum Verständniß der Situation nöthig war, und schloß mit den Worten: „Sehen Sie, Frau Tante, das ist der Mann, der mir und Max gegenüber sozusagen als ein Verwandter des Engels mit dem feurigen Schwert vor meinem Paradies stand. Der unS Beide um unser Bestes betrügen wollte. Wollen Sie daS leiden? können Sie eS?" „ES ist abscheulich", antwortete Frau Horn in unverstellter Entrüstung. „Treten Sie meinem Complot bei, Frau Tante, und be wahren Sie mein Geheimniß, bis wir auch Ihren Herrn Gemahl überzeugen können. Thun Sie es Max zu Liebe", bat Herr Lasten. „Ei, selbstverständlich." „Und Du darfst auch nicht plaudern, Doris! Um GotteS willen nicht." Diesmal konnte sich Herr Lassen nicht mehr beherrschen. Er küßte sie nochmals herrlich auf die frischen Lippen. Frau Horn stand dabei, hatte aber nichts Besonderes dagegen einzuwenden, freute sich im Gegentheil über das hübsche Paar. Dann verabschiedete sich Lassen von den Damen, da er nach Doberan zurück mußte. Aber sie ließen ihn nicht ohne das Versprechen fort, ihnen schon am nächsten Tag Nachricht zu kommen zu lassen. XIV. Als Herr Lassen nach Doberan zurückritt, war die Sonne am Untergeben. Obwohl nun das im wahrsten Sinne des Wortes ein alltägliches Ereigniß ist, von dem die gewöhnlichen Menschen nur insofern Notiz nehmen, als sie bemerken, daß eS dann finster wird und die Zeit kommt, an das Abendessen zu denken, so schien es Herrn Lasten doch, als ob er seit Jahr und Tag die Sonne nicht so majestätisch, so prächtig und verklärend habe untergehen sehen, wie an diesem Tage. Die dunkelrothe Farbengluth, mit der sie nach ihrem Scheiden noch einmal die Winterlandschaft überfluthcte und die dunkeln Tannenwälder der umliegenden Höhen von Doberan umlobtc, das prächtige Farbenspiel der Wolken bis in den fernsten Ost, die zartbläulichcn Nebel, die daS etwas tieferliegende Dinglingen wie Märchenspuk umschleierten, die Kirchenzüge, die im schwarzen Gewimmel am hellleuchtenden Himmel dahinzogen, ließen ihn die Sunde der Dämmerung mit einem selten reinen und poetischen Zauber empfinden. Die Schatten wurden immer tiefer, und ehe er Doberan erreichte, wurde es nahezu dunkel. Er suchte auf dein Hofe nach Max, denn er mußte Jemand Haber», dem er sein über volles, glückliches Herz ausschüttete, aber er fand nirgends eine Spur von ihm. Endlich trat er in das schon ziemlich ounkel da liegende Winterhaus, blieb aber plötzlich betroffen lauschend stehen: es war ihm, als ob er ein cibenthümliches, schlucbzendeS Weinen gehört habe. Vorsichtig näherte er sich einige Schritte und trat hinter einen dicken Oleanderstrauch, dessen Zweige er leise auseinander bog. Da sah er zn seiner starren Ueber- raschung, wie Max am Boden kniete, den Kopf weinend im Schooß einer Dame verborgen, die vor ihm in einem Sessel saß. Die Dame konnte nur Fräulein von Fahlen sein, denn wenn Lasten sie auch nur von der Seite sah und in der Dunkelheit ihre Züge nicht unterscheiden konnte, so bemerkte er doch, wie ihre Hand auf dem Krauskops des jungen ManneS lag und diese Hand konnte nur Fräulein von Fahlen gehören; sie hatte die Gewohnheit, am Goldfinger ihrer linken Hand eine ßanze Collection von Ringen zu tragen, von denen einer, der fetzt seine verrätherischen Strahlen bis zu Lasten warf, von diesem sofort wiedererkannt wurde. Dann hörte er auch ihre Stimme, deren Ton von einer inner» Wärme, von einer beglückten Wichtigkeit und Tiefe war, wie er ihn von ihr noch nie gehört hatte.
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