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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950903026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895090302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895090302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-09
- Tag1895-09-03
- Monat1895-09
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AuS Nord und Süd, von Osten und Westen, au« den Metropolen wie aus Städten, Dörfern und Flecken, vom MeereS- slrand und aus dem Hochgebirge — von überall her treffen Berichte ein, die künden, wie das deutsche Volk den Geburts tag seines Bundesstaates begangen hat. Erfrischend und kräftigend wie ein Stahlbad — so drückten die „Hamburger Nachr." in ihrer Sedanbetrachlung sich aus — hat die Er innerung an die große Zeit von 1870 auf die erschlafften Nerven des nationalen Organismus gewirkt- der BolkS- geist ist aufgeslammt, das nationale Bewußtsein wieder erwacht. Die deutsche Presse, deren dem Sedanfeste gewidmete Auslassungen wir gestern zu einem guten Theile wiedergegeben haben, widerhallte am Sonntag von den Ge fühlen, die alle Herzen bewegen; am Sedantage selbst ist der Trinkspruch des Kaisers das Echo dessen geworden, waS die Nation empsiiidet. Die Rede, die in einem Theile der Auflage schon enthalten ist, hat folgenden Wortlaut: „Wenn Ich am heutigen Tage einen Trinkspruch auf Meine Garden auSbringe, so geschieht es frohbewegten Herzens; denn ungewöhnlich feierlich und schön ist der heutige Dag. Den Rahmen für die heutige Parade gab ein in Begeisterung ausflammendes ganzes Volk, und daS Motiv für die Begeisterung war die Erinnerung an die Gestalt, an die Persönlichkeit des großen verewigten Kaisers. Wer heute und gestern auf die mit Eichenlaub geschmückten Fabnen blickte, der kann eS nicht gethan haben ohne Weh müthige Rührung im Herzen; denn der Geist und die Sprache, die a»S dem Rauschen dieser zum Theil zerfetzten Feldzeichen zu uns redeten, erzählten von den Dingen, die vor 25 Jahren geschahen, von der großen Stunde, von dem großen Tage, da daS deutsche Reich wieder auferstand. verrätherischen Schaar zu wehren, um einen Kampf zu führen, der uns befreit von solchen Elementen. Doch kann Ich Mein Glas auf das Wohl Meiner Garden nicht leeren, ohne dessen zu gedenken, unter dem Sie heute vor 25 Jahren gefochten haben. Der einstige Führer der Maasarmee steht vor Ihnen! Seit 25 Jahren haben Se. Majestät der König von Sachsen alles Leid und alle Freude, die Unser Haus und Land betroffen, treulich mit UnS getheilt. Desgleichen auch Württembergs König, dessen höchste Freude eS ist, in den Reihen de- Garde-Husaren-Re giments gestanden und Kaiser Wilhelm gedient zu haben, und der herbeigeeilt ist, um mit Uns in Kameradschaft den Tag zu feiern. Wir können, wie gesagt, nur geloben, daS zu erhalten, was die Herren für Uns erstritten haben. Und so schließe Ich denn in das Wohl des Garde-CorpS ein daS Wohl der beiden hohen Herren, vor Allem des Führers der Maas- armee: „Se. Majestät der König von Sachsen, Er lebe hoch! und nochmals hoch! — und zum dritten Male hoch!" Nach diesem Trinksprnche des Kaisers erhob sich der König von Sachsen und erwiderte Folgendes: „Indem Ich Eurer Majestät in Meinem Namen und in dem Namen des Königs von Württemberg für die gnädigen Worte danke, erlaube Ich Mir, heute noch einmal die Füh rung des Garde-Corps zu übernehmen und in dessen Namen das GlaS zu leeren auf den erhabenen Chef; Seine Majestät der Kaiser, Er lebe hoch! — hoch! — hoch!" Wie das gestrige Telegramm des Kaisers an den Fürsten Bismarck, so wird die erneute Huldigung, die er unserem König bereitet hat, ungetheilte Freude Hervorrufen. Ebenso ungetheilt wird die Zustimmung sein zu der Art, wie der Kaiser die Bedeutung des SedantageS kennzeichnet; schärfer, als es durch ihn geschehen, kann der friedliche Charakter der Festfeier nicht betont werden: nicht den Triumph über den am '2. September überwundenen Feind, Auch im Ausland, überall wo Deutsche wohnen, sind die gestrigen und vorgestrigen großen Gedenktage mit nationaler Begeisterung begangen worden. ES liegen uns darüber folgende Nachrichten vor: Pest, 1. September. Di« Spitzen der hier lebenden Deutschen, Directoren, Fabrikanten und Andere veranstalten hier eine groß an» gelegte Srdanfeier, wozu dir Bewilligung der Behörde rrtheilt worden ist. In ungarischen Kreisen hat man für die Feier rin leb haftes Interesse, Abgeordnete ans allen Parteien werden daran theilnrhmrn. Rom, L. September. Di« Srdanfeier des Künstler- Vereins verlief äußerst stimmungsvoll. DaS anwesende Vorstands mitglied Hermann Frog vrranlaßte die Absenkung eines Huldigungs- telegramms an Kaiser Wilhelm al« den allerhöchsten Protektor. Lüttich, 1. September. Der hiesige Deutsche Club legte heute an dem mit einem schönen Denkmal geschmückten Grab« der bei Sedan verwundeten und hier gestorbenen drei deutschen Krieger — ein Sachse und zwei Bayern — einen Eichenkranz mit Widmung nieder. Bei dieser Gelegenheit gedachte Consul Nrumann mit einigen treffenden Worten der glorreichen Zeit und ihrer Opfer. Laudon, I. September. Die hier ansässigen deutschen Veteranen veranstalteten gemeinsam mit dem deutschen Radfahrerclub eine er hebende Gedenkfeier. Es wurde beschlossen, Huldigungstelegramme an den Kaiser und den König von Sachsen abzusenden. (Wiederh.) London, 3. September. (Telegramm.) Den Glanzpunkt der Frier des Sedantagos durch die Deutschen in London bildete der gestern Abend im Deutschen Athenäum abgrhaltene Festcommers, an dem über 200 Personen thrilnahmen. Den Borsitz führte Alexander Siemens. Die deutsche Botschaft war durch den Bot» schastsrath Grafen Metternich vertreten. Dir Festreden und Trink sprüche wurden von der Versammlung begeistert ausgenommen. Der Gesang vaterländischer Lieder verschönte die Feier. Rkw-Aort, 2. September. In den meisten Städten der Ver einigten Staaten begingen gestern die Drntschen den Sedan tag durch feierliche Veranstaltungen. (Wiederholt.) In der Schweiz hatte es bekanntlich an Spießbürgern nicht gefehlt, welche au« geschäftlicher Rücksichtnahme auf französische Touristen und Sommerfrischler den dort lebenden Deutschen den T».g von Sedan am liebsten aus ihrem ein Verständniß für die Rubmesthaten seiner Nachbarn haben und wird darum auch die bei ihm zu Gaste wohnenden Deutschen in ihrem Rechte schützen, die schönsten Tage ihrer Geschichte zu feiern." Diese gastfreundliche, kernige und unerschrockene Sprache wird nicht verfehlt haben, der deutschen Feier in Zürich einen besonderen Sckwung zu verleihen. Aus Frankreich -ringt das „B. T." folgendes erfreuliche Telegramm: Paris, 2. September. Wären nicht in den Morgenblättern Telegramme au- Berlin über die Srdanfeier enthalten, man würde jeute in Paris durch nichts an den merkwürdigen Tag erinnert werden. Die Blätter bringen Artikel, welche sich mit den Ereig nissen von 1870 beschäftigen, heute nur spärlich, die meisten mache» es ähnlich wie die „Debats", welche Leitartikel über die Ausgrabungen in Olympia bringen. Doch haben schon in >«n letzten Tagen mehrere Journale historische Studien über da- Ereigniß von Sedan veröffentlicht, die meist in ruhigem, achlichem Tone gehalten waren. Auch den Berichten aus Deutsch land, welche Pariser Blätter wie „Temps" und „Matin" von deren Corrrspondenten aus Deutschland erhalten, muß man nachsagen, daß sie im Allgenieinen ruhig und objektiv sind, wenngleich sie sich bemühen, einen Mangel an spontanem Enthusiasmus bei der deutschen Sedanfcier zu constatiren. Andererseits geben auch die nach Sedan zu den dortigen Gedächtnißfeiern gegangenen Bericht erstatter bereitwillig zu, daß die dortige Bevölkerung sie durch Mangel an patriotischem Ernst an diesem erinnerung-reichen Tage enttäuscht habe. Paris selbst hat das gewöhnliche Aussehen. Am gestrigen Sonntag waren die Ausflugsorte in der Umgegend und die Bergnügungslocale von einer nicht geringeren heiteren Menge angefüllt als an jedem anderen Sonntag im Sommer. Einige Singspielhallen der Faubourgs haben in die dort üblichen Jahres revuen patriotische lebende Bilder eingefügt, und man sieht nach einander das Frankreich vor 25 Jahren, das blutend am Boden liegt, und das heutige wieder erstarkte Frankreich, dessen »vetbliche Repräsentantin ihre Hand in dir Hand eine- jungen Russen legt. Groß war die Schlacht und heiß War,der Drang, und, .dzffen tMre«, LlLtzapw voll.,gewürdigt wird, , H-.,lende» gestricheil hätten. ES «st ihnui "von'Schweszrr gewaltig die Kläffe, die aufeinander stießen. Tapfer die Erringung des höchsten nationalen Besitzes, die Be- Blattern schon gehörig heimgeleuchtet worden, wir können kämpfte Feind für seine Lorbeeren; für seine Bergangen heit, für seinen Kaiser, kämpfte mit den» Muth der Ver zweiflung die tapfere französische Armee. Für ihre Güter, ihren Herd und für ihre zukünftige Einigung kämpften die Deutschen! Darum berührt es unS auch so warm, daß ein Jeder, der deS Kaisers Rock getragen hat, oder ihn noch trägt, in diesen Tagen von der Bevölkerung besonders geehrt wird, — ein einziger aufstammender Dank gegen Kaiser Wilhelm I ! Und für unS, besonders für die Jüngeren die Aufgabe, das, waS der Kaiser gegründet, zu erhalten! Doch in dir hohe, große Festesfreude schlägt ein Ton hinein, der wahrlich nicht dazu gehört, eine Rotte von Menschen, nicht Werth, den Namen Deutscher zu tragen, wagt es, das deutsche Volk zu schmähe», wagt es, die uns ge heiligte Person des allverehrten verewigten Kaisers in den Staub zu ziehe». Möge das gesammte Volk in sich die Kraft finden, diese Unerhörten Angriffe zurückzuweisen! Ge schieht es nicht, nun dann rufe Ich Sie, um der hoch- freiung Deutschlands von der ausländischen Bevormundung und die Erlangung der dem Baterlande gebührenden poli tischen Machtstellung bezeichnet der Kaiser als den Inhalt des Festes. Und ebenso einhellig wirb die Nation dem Protest« sich anschließen, den der Kaiser gegen jene „Rotte von Menschen schleudert, die nicht Werth sind, den Namen Deutscher zu tragen", die schmähend und eifernd die heiligsten Gefühle durch Rohheit, Lüge und Frivolität beleidigen. DeS Kaisers Mahnung: „Möge daS gesammte Volk in sich die Kraft finden, diese unerhörten Angriffe zurückzuweisen! Geschieht eS nicht, nun dann rufe Ich Sie, um der hoch verräterischen Schaar zu wehren, um einen Kampf rn führen, der u»S befreit von solchen Elementen" — ist nicht als die Ankündigung einer Diktatur, sondern als Aufforderung zu verstehen, den Terrorismus der Führer über die Massen, der heute noch versagt, auf das Ernsteste bei jeder Gelegenheit zu bekämpfen, damit er nicht so anwächst, daß die Notwendigkeit eintritt, offene Hoch verrätern niit bewaffneter Hand abznwrbrrn. Möge unser Volk den Ernst dieser Mahnung in seiner ganzen Größe verstehen und der Erkentttniß die That folgen taffen! uns aber nicht versagen, das zu wiederholen, was die „Neue Zürcher Zeitung" am 2. September schrieb: „Der heutige Sedantag wird auch in Zürich gefeiert werden. Es gab in der schweizerischen Presse einzelne Stimmen, welche mit dem Hinweise auf den Tonhallekrawall davon glaubten abmahnen zu sollen. Sie fanden aber glücklicherweise bei uns wenig Beifall. Jedes Volk hat das Recht bei uns, seine Natlonalseste zu feiern, wann und wie es Will, vor ausgesetzt. daß dadurch die öffentliche Ruhe nicht gestört wird. Aber die Sedans-ier den Deutschen verbieten zu wollen mit der Begründung daß dadurch womöglich Soclaldemokcaten und Deutschfeinde veranlaßt werden könnten, Unruhen heraufzubeschwören, das hieße, Rücksich nehmen auf den Janhagel und Zwang und Unduldsamkeit üben gegen ruhige Leute, die in ihrem heiligen Rechte sind, rin National- fest zu feiern. Gottlob, soweit sind wir noch nicht, daß der Janhagel über die bürgerlichen Rechte und Freiheiten verfügen kann. Und der Hinweis auf den Tonhallekräwall war besonders für Zürich sehr ungeschickt; denn so schwach ist das heuttge Zürich Nicht, daß eS eine Wiederholung jener Scenen gestattete, dir kein schönes Blatt in der Geschichte unserer Stadt bilden. Jede- selbstbewußte, auf seine Geschichte und auf die Thaten seiner Ahnen stolze Volk, wie die Schweizer es sind, muß In Rtttzland regt sich der RthtltSmu» von Neuem. Besonder« war eS Odeffa, von wo letzter Zeit Nachrichten Mer die Entdeckung und theilweise Ausnahme eine« nihilistische« Neste« gemeldet wurde. Der Fall ist nicht vereinzekt, sondern ohne Zweifel die Folge einer weitgehenden Jagd nach Nihilisten, die im Reiche de« Zaren veranstaltet worden ist. Vor ein vaar Monaten war in Moskau eine gleiche Entdeckung erfolgt, die man indessen geheim »u halten verstanden hatte. Dort wurden Dynamit, Bomben, Waffen, ein kleine- NevolutionS-Arsenal gefunden, und natürlich auch allerlei Leute verhaftet. ES ist auch daran nicht zu zweifeln, daß der Nihilismus sich wieder zu regen beginnt, und er hat seine guten Gründe dazu. DaS grobstilige Regiment Alexander'S III. hatte allmählich die Menge der Unzufriedenen sehr gesteigert. Man war längst dieser eisernen, wenigstens grob hölzernen Faust müde, mit der von Gatschina an bis aus daS letzte Dorf im letzten Gubernium hinab regiert wurde. Nur wagte man nicht, sich zu äußern. Als Nikolaus II. zur Regierung kam, ging daö „uf!" dürchS Land, aber die Zarenrede bei Gelegenheit der Thronbesteigung schlug plötzlich die Erwartungen sofortiger liberaler Reformen nieder. Dennoch blieb man dabei, für späterhin von dem jungen Zaren eine Schwen kung nach freieren Formen der Verwaltung hin zu er warten. Er sei jung, er sei neu» er sei Ehemann in den Flitterwochen — man müßte noch warten, es werde schon ander- werden. Aber man wartete vergeblich, eS blieb beim Alten, so sehr beim Alten, daß selbst Leute mit so ruinirtem Ruf wir der Generalgvuverneur von Wilna und der Gon- Feuilleton. Schwere Kampfe. Romän aus dem großen Kriegt. L) Von Carl Tanera. Nachdruck verboten. „Guten Morgen, liebes gutes Mütterchen!" „Du Witdfang, bast mir ja meine Haube ganz vom Kopf gerissen. Wo warst Du denn schon in so aller Frühe?" „Ich habe die erste Aufforderung zum Hochziehen der weißen Flagge erlaffen. Die Cenzel im Seehof muß heute früh, wenn die Familie Strecker Kaffee trinkt, meiner an- gebeteten Renate ein prächtiges Bouquet überreichen. Der Schloßgärtner hat es sehr schön gebunden. Es wird ihr Freude Machen." „DaS war ein guter Gedanke. Du erkennst aus der Art, wie sie sich über diese Morgengabe äußert, gleich, wie sie denkt, und kannst darnach Deine weiteren Schritte einrichten." „Glaubst Du denn, Mutter, daß sie Mir einen Korb geben könnte?" „Das will ich nicht sagen, Ludwig. Aber vielleicht gehst Du doch zu stürmisch hör. Fräulein Thorstraten scheint eine sehr rühige Natur zu sein, die nicht so schnell Feuer fängt. Auch weiß ich nicht, wir sie Übet die Ofsiciete im Allgemeinen denkt." „Na, Mutter, darüber kann doch kein Zweifel sein. Ich glaube, jedes Mädchen darf stolz sein, wenn ein Lieutenant um sie wirbt, und jeder Vater einer Tochter wird mit Freuden einen Ossicier, und noch dazu einen KriegSakademik-r, als Schwiegersohn begrüßen. Uevrigen« ist ja Renatens Vater nur Kaufmann. Der wirb es doch als eine besondere Ehre ansehe», wenn ein bayerischer Iägerosficier um die Hand seiner Tochter anhält." „Ludwig, Du darfst einen Hamburger Kaufherrn nicht mit unseren süddeutschen KaNfleuten verwechseln. In Deiner Garnison Kempten bist Du gewöhnt worden, in den Kanf- leuten nur Besitzer offener Geschäfte zu sehen, und auch in München kennen wir eigentliche Großhändler fast gar nicht. Nun weiß ich ja nicht, wa« für rin Kaufmann Renate»- Pater ist. Aber jedenfalls darfst Du nicht ohne Weitere« annehmen, daß Du ihm als Ofsicier ein erwünschter Schwieger sohn bist." „Mutter, ich verstehe gar nicht, wie Du auf solche Ge danken kommst. Du, eines Forstmeisters Tochter und die Wittwe eines OberregierungsratheS!" „Ich kann mich ja auch täuschen. Aber ich möchte Dich vor zu großer BertraNenSseliakelt warnen. Ich habe einmal gehört, daß die Hamburger Kanfleutr sehr stolze, sich gegen alle anderen Gesellschaftsklassen abschließende Menschen stien." „Und wenn dies der Fall Wart! ES sollte mich auch nicht viel kümmern. Laß mich nur erst Mit dem Mädchen im Reinen sein; mit dem Vater Will ich dann schon fertig werden." „Gott gebe eS. — Kati hat den Käffee in der Laube auf getragen. Wir wollen ihn nicht kalt werden lassen." Beide begaben sich in die nahe Laube und setzten sich an den einfach, aber nett und reinlich gedeckten Tisch. Es gab nichts al- Kaffee, Milch und Weißbrode. Die Rathin und ihr Sohn waren nicht gewohnt, Butter, Honig oder andere uthaten zum ersten Frühstück zu nehmen. Aber tadellos ott mußte Alles servirt sein. Ein Glas frische- Wasser rächte das Dienstmädchen auf einem gelb bemalten Blech- tablettchen und überreichte eS ehrerbietig Frau Horn. Kati wagte auch nie anders als in der dritten Person der Mehr zahl zur Näthin zu sprechen. „Wünschen die gnädige Frau noch ein,Glas?" „Nein, Kati. Vielleicht will mein Sohn eins." „Ich danke." Er war doch durch die Äeußerungen seiner Mutter zu einigem Nachdenken veranlaßt worden. Schließlich verwarf er aber in seiner sanguinischen Art alle Einwendungen und sagte sich selbst, den Kaufmann könne e« doch nicht gebeii, der einen soliden, ordentlichen» kerngesunden Mensche» al« Schwiegersohn abweisen würde, nur weil dieser dem Officier- stande angehört. Eine solche Meinung entsprach ganz seiner Erziehung und bisherigen Lebenserfahrung. Wenn man auch in Bayern, besonder« vor dem Kriege von 1870, deck StandeSunterschied zwischen verschiedenen BerufSclaffrn wi> er sich am meisten in Preußen, aber in ähnlicher Weise auo in ganz Norddeuischland seit alter Zeit ausgebildet hat, ga nicht kannte, so herrschte doch in den Osfieier- und Beamten kreisen da« Gefühl, daß sie eigentlich etwas Bessere« seien al« dir übrigen Menschen. Vielfach kam diese Meinung daher, daß in den süddeutschen Garnison«, und Beamten- stävten ein Kaufmaniisstand von der Macht, dem Einfluß und auch der allgemeinen Bildungsstufe wie im Norden, vor Allem wie in den großen Seeplätzen, gar nicht txistirte. Dann hatte man sich gerade in Bayern daran gewöhnt, einen Knaben, der nicht genug befähigt Wat, um zu stüdirtn, zum Kaufmann zu bestimmen. Andererseits müßte jeder jünge Mann, der Ofsicier werden wdllte, seit dem Jahre 1866 dctS Absolutorlüm eines Gymnasiums öder das gleich- Werthige noch strengere Schlußcxamen deS Vorkurse« der Kriegsschute gut bestanden haben, ehe et in die eigentliche Kriegsschule ausgenommen werden konnte, um dort seine Befähigung zum Ofsicier zü erlangen. Solche Verhältnisse machten die einseitige Anschauungsweise Ludwig Horn'« ent schuldbar. Sie war bisher auch nie zu vesonderer Geltung gekommen und bereitete ihm auch jetzt wenig Sorgen. Er ging von der festen Ansicht auS, zwei Herzen, die für einander geschaffen sind, gehören zusammen und kommen zusammen, und wenn zehn Väter und Mütter sich auch dagegen stemmen. Bor dem Mittagessen reinigte er selbst seine Uniform auf da« Peinlichste, weil ja sein Bursche in München ge blieben war. Die Knöpfe wurden spiegelblank geputzt, neue Handschuhe von blendender Weiße hervorgeholt, Sabel und Epauletten abgerieben, kurz Alle« gethaü, was seinen äußeren Menschen in ein günstiges Licht setzen konnte. Beim Esten selbst beeilte er sich so ehr, daß seine Mutter ihn wiederholt auf orderte, doch nicht so hastig zu speisen, und dann wurde sorgsamst und peinlichst Toilette gemacht. Jetzt war er fertig und verabschiedete sich von Frau Horn. Diese küßte ihn und sprach: „Gey »n GotteS Name». Die Wünsche Drmer Mutter begleiten Dich. Wenn Du mit guter Nach richt jnrückkebrst, werde ich sehr glücklich sein." ^Adieu, Mütterchen!" Dann grüßte er nochmal« militai- will. Morgen früh 5»/, Uhr muß ich nach München fahrtn. Avieu." Nun verschwand er in her hohen läng- deS Seeufer« führenden Eschenallee und eilte nach dem Landungsplatz der Dauipsschiffe. Natürlich kam er mehr als eine Biettetstuitde zü früh und mußte lbärten. Dit Gesellschaft -Euterpe" bestand aus Beamten- und Ofsicier« - Familien München« und hatte den Zweck, gepirin- same Unterhaltungen und Vergnügungen mit bescheidenen Mitteln zu veranstalten. Im Winter fandtn Tanztränziöen unp Liebhabrrtheateraussührunaen statt, und im Frühjahr Und Sommer machte man AnSsiiige in die Umaeaeitd. Heute, am 2l. Mai 1870, zog man zum ersten Male in diesem Jahre nach auSwärtS nttd hatte als Zielpunkt Tutzing am Starnberger See gewählt, weil die Familie des Vorstandes der GeseÜschaft, des ApvellationsgerichtSraths Strecker, an und für sich dort schock Aüfeckthalt genommen batte. Daber konnte Letzterer beqüem und billig alle Vorbereitungen treffen. DaS Programm lautete: Nachmittags 1 Uhr 30 Abfahrt mit der Eisenbahn nach Starnberg. Dort Empfang der Theilnebmer durch den mit Dampfer von Tutzing angekommenen Herrn Vor stand und seine Familie. Dampferfahrt »ach Possenhofen. Kaffee im dortigen Wirthshaus. Spaziergang durch den Park nach Tutzing. Ankunft bortselbst etwa um 6 Ubr. Im Gasthaus zum Seehof Gartenunterbaltung mit Musik und Tanz, wozu eine Abtheilung der Musik deS 3. Artillerie-Regiments ge wonnen ist. Rückfahrt von Tutzing nach München mit oe»i letzten Zug, Abends 9 Uhr 10 Minuten. Ankunft in München 10 Ubr 22 Minuten. So hatte daS gedruckte Ausschreiben des Vorstandes allen Mitgliedern der „Euterpe" bekannt gegeben. Lieutenant Horn wußte also, daß der Rath Strecker und feine Familie auf daS Dämpfboot, welche- von Vermied Über Tutzing nach Starnberg fuhr, steigen und Hayn mit ihm zusammeiitreffen würden. Er stand auf dem Oberdeck, als das Sckiff über den Karpfenwinkel der Tutzinzer LandnngSstelle zusteuerte, und suchte schon von Weitem dir zahlreichen Menschen, welche auf der Dampfschiffbrücke warteten, zu erkenne». Endlich konnte er die einzelnen Personen unterscheiden. Dort stand die hohe Gestalt des NatyeS, neben ihm seine Gemahlin und hinter Beiden — das Herz schlug ihm zum Zerspringen — plauderten und lachten lustig Fräulein Mechtildis Strecker und Fräulein Renate Thorstratcn. „Wenn nur die Menschen etwas zur Seite gehen wollten! In der linken Hand hält sie den Sonnenschirm; aber in der rechten? Herr Gott, sie nimmt daS Taschentuch und wischt sich die Stirn ab. Sie hat also mein Bouquet zu Hause gelassen; am Ende gar nicht angenommen!" DaS Blut schien ihm zu stocken. Sein Gesicht wurde blaß, und mit Mühe zwang er sich zu äußerlicher Ruhe. Da hielt der Dampfer an der Brücke; einige Menschen schritten rgfch vorwärts, während die beiden jungen Damen plaudernd noch einen Augenblick sieben blieben. Dadurch wurden ihre ganzen Figuren sichtbar. Mit einem Male erkannte der Lieutenant im Gürtel Renaten'« einen Büschel dunkler Rosen — die Rosen ans seinem Bouquet. Im Nu stieg ihm alles Blut wieder zu Kopf, er athmete auf, w,t wenn er au« einem Raume uut
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