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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951122022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895112202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895112202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-22
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Ztg.": „Die alten Carteliparteien haben unseres Erachtens überhaupt keine Veranlassung, von der durch ihren Schritt vom 23. März eingenommenen Stellung wieder abzugehen, am wenigsten aber nach der Entwickelung dieser letzten Monate." Das ist ganz unsere Meinung und wir wünschen, daß das Blatt Recht behält, wenn es hinzufügt: „DaS klerikal freisinnige Präsidium kann unbesorgt sein; eS wird ibm schwer lich Jemand im Ernst den Platz streitig macken". Wenn Herr Eugen Richter in der „Freis. Ztg." dazu bemerkt: „Die Trauben sind eben sauer", so wird das hoffentlich unsere Freunde im ganzen Reiche ebenso kühl lassen, wie uns. Wenn der Führer einer Gruppe von 22 Abgeordneten ein entscheidendes Wort bei der Präsidentenwahl mitzusprechen hat, dann ist das gerade ein Beweis dafür, daß die Bertretung im Präsidium nicht nothwendig etwas mit der Bedeutung einer Partei zu thun hat. Der Anspruch des Freisinns beruht allerdings nicht auf einem Recht, sondern auf einer ihm von dem in eine Zwangslage versetzten Centrum gewährten Ver günstigung, die nicht wiederholt zu werden braucht. Aber es ist für die Nationaltiberalen kein Grund vorhanden, ihrerseits die Entschließungen jenes Tages rückgängig zu machen, denn es hat sich seitdem nichts ge ändert. Ter Austritt Or. Bürklin's aus dem Präsidium war herbeigeführt durch den Mangel an nationaler Gesinnung, den die Mehrheit des Reichstages gezeigt hat; dieser Desect hat sich nicht gemindert. Die Präsidialparteien reuommiren : Es geht auch so! In Wahrheit geht es, wie z. B. die Kieler Festtage und das Verbattcu des ersten Präsidenten bei einer Demon stration für Windthorst gezeigt haben, nicht „so", wie früher. Aber es ist gut, daß man im Lande sieht, wie eS auch mit der Vertretung des Reichstags bei einer klerikal-socialdemo- kratisch-freisiniligen Mehrheit anders geht, als sonst. Wenn vom Ccntrum Anstrengungen gemacht werden, die Conser- vativen zur Theilnahme an der Bildung eines Präsidiums zu gewinnen, so ist das begreiflich, denn wenn es ihm gelänge, mit den Conservativen unter Um gehung der Nationaltiberalen ein Präsidium zu Stande zu bringe», so wäre dies ein ungeheurer taktischer Erfolg für die Ultramontanc». Es ist nicht bekannt, wie die Conservativen zu dem Handel stehen. Sollten sie ihn eingehen, nun dann Imlient, sidi. Eine „Jsvlirung" der Nationalliberalen in einer Angelegenheit, die keine unmittelbare praktische Bedeutung hat, in der also Schaden für das Lanv nicht angerichlet werden kann, würde unter Umständen die Lage trefflich kennzeichnen. Wenn die Conservativen Wertb darauf legen, eine Coalilion mit dem Ccntrum zu signalisiren, so sind die Nationalliberalen that- sächlich „isotirl" und ihnen kann es nur nützen, wenn dieser Umstand für Jedermann erkennbar gemacht wird. Mehr als je vor Beginn einer neuen Reichstagssession ist eS in der letzten Zeit Mode geworden, daß die im BundeS- rathe fertig gestellten Gesetzentwürfe in die Redactions stuben von Zeitungen „fliegen", die nicht die geringste Gewähr für die Genauigkeit ihrer Veröffentlichungen bieten. Zu welcher Irreführung der an diesen Entwürfen interessirten Kreise diese seltsame Praxis Veranlassung geben kann, liegt auf der Hand. Der Reichstag wird sich daher als bald nach seinem Zusammentritt mit dieser befremd lichen Gepflogenheit beschäftigen müssen, infolge deren nun auch der vor einigen Tagen im Bundesrathe ein- gebrachle Entwurf über die Errichtung von Handwerkcr- kammcrn der antisemitischen „Deutschen Wacht" und der freisinnigen „Voss. Ztg." gleichzeitig in zweifelhafter Genauigkeit zugeflogen ist. Die Wiedergabe enthält in beiden Blättern dem Anscheine nach Inkorrektheiten; so wird im Z. 15 gesagt, die Kosten jeder Handwerkerkammer seien von den Gemeinden ihres Bezirks nach Verhältniß der Zahl der Handwerksbetriebe zu tragen, und die Gemeinden seien „ermächtigt, die Beiträge nach einem von der höheren Verwaltungsbehörde zu bestimmenden Verthei lungsmaßstab umzulegen". Ans wen umzulegen? Vermulhlich auf die Handwerksbetriebe; aber gesagt ist es nicht. Trotz der Ungewißheit darüber, ob man es mit einer correcten Wiedergabe zu thun habe, kann sich die übrige Presse der Veröffentlichung nicht entziehen. Wir theilen daher an anderer Stelle den in Rede stehenden Entwurf mit. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, alö ob er der von dem Staatssecretair von Boetticher s. Z. im Reichstag angekündigten Absicht entspräche, eine nach keiner Seite präjudicirende, allgemeine Vertretung des Hand werkes zu schaffen, mit der auch über den etwa zu errichtenden „Unterbau" verhandelt werden könnte, denn im Allgemeinen sollen die Handwerkerkammern aus Wahlen aller 25jährigen, seit einem Jahre selbstständig ein Handwerk be treibenden, unbescholtenen Personen hervorgehen. Aber der Entwurf Witt den Landescentralbebörden weitgehende Be fugnisse zur Feststellung eines „ Statuts" geben: durch dieses kann den Innungen des Bezirks die Berechtigung beigelegt werden, einen im Statut näher zu bestinimenden Theil der Mitglieder der Handwerkskammer zu wählen. Hierdurch kann dieselbe offenbar an die „Zünfllcr" ansgeliefert werden, auch wenn diese im Bezirk keine odcr nur eine geringe Be deutung haben. Es bietet kein Gegengewicht wider diese Gefahr, daß durch das Statut „eine besondere Wahl berechtigung auch sonstigen Bereinigungen von Handwerkern beigelegt werden kann". Derartige Befugnisse der LaudeS- centralbehörde, d. h. der Regierung, können den gesetzlichen Bestimmungen über die Wahl der Handwerkerkammern nahezu alle Bedeutung nehmen und eine Verschiedenheit der Kam mern herbciführen, die ihnen den Charakter von Neichsein- richtungen vollständig entzöge. Um so erwünschter ist eine baldige Veröffentlichung des genauen Wortlautes des Ent wurfes im „Reichsanzeiger". Wenn die belgischen Klerikalen bei den eben voll endeten Gem eind erat Hs w ah len gehofft hatten, mittels ihres neuen Wahlgesetzes (Pluralvotum und Bertretung der Minderheiten) ihren einzig damit verfolgten Zweck zu er reichen, nämlich den Liberalen in den von diesen beherrschten großen Städten eine Anzahl von Gemcinderalhsmandaten zu entreißen, ihre eigenen Stellungen aber gegen jede noch so geringe Erschütterung zu sichern, so ist ihnen das nur teil weise geglückt. Allerdings hat die proportionale Vertretung nach dem klerikalen Reccpt die ausschließlich liberale Zusammen setzung der Stadträlhe von Brüssel, Antwerpen, Gent und Lüttich gebrochen. Aber die Ultramontanen zogen nicht allein als Sieger in die liberalen Ratbhäuser ein. Neben ihnen drangen in gleicher Anzahl die Socialisten ein, an welche dieKlerikalen offenbar nickt gedacht hatten, welche aber am Wahltag als die eigentlichen Sieger auftraten. Denn obwohl das Gemeindewahl gesetz nach der Ansicht des Ministeriums de Burlet einen Riegel gegen die revolutionaire Socialdemokratie bilden sollte, eroberte diese doch nicht blos 250 Gemeinden, d. h. den zehnten Theil sämmtlicher belgischen Gemeinwesen, sondern sandle auch ganz bedeutende Minderheiten in diejenigen Gemeindevertre tungen, welche bisher ausschließlich den Liberalen und den Ultra montanen gebürten. Ueberdies habe» die letzteren ihre Stellungen keineswegs überall behauptet. Sie verloren die erzbischöfliche Stadt Mecheln, die Städte Grammont, Hak, Ellerbeck und zahlreiche Jndustrieorte, ohne daß diesen Verlusten ein nennenswertber Gewinn gegenüberstände. So bat sich also das neue Gemeindewahlgesetz, welches ein klerikales Partei- gesctz sein sollte, an den Ultramontanen selbst bitter gerächt. Die allernächste Folge des WahlauSsalles ist die Tbat- sache, daß in allen größeren städtischen Gemeinwesen, insbesondere in Brüssel mit fast allen seinen Vorstädten, in Antwerpen, Gent, Lüttich und Charleroi keine feste Gemeinderathsmehrheit vorhanden ist, da nach dem Systeme der proportionellen Vertretung die Gemeinderaths sitze zwischen Liberalen, Klerikalen und Socialisten fast zu gleichen Theilen aufgetheilt wurden. Die Ultramontanen bilden in allen diesen großen Gemeinwesen eine recht be scheidene Minderheit, und man darf die Thatsache nicht auS dem Auge verlieren, daß überall eine antiklerikaleZwei- drittet-Me h rheit vorhanden ist. Es ließe sich also sehr wohl gegen die Ultramontanen regieren, wenn zwischen den Liberalen und den Socialisten eine Verständigung zu Stande käme. An eine solche aber ist aus principiellen Gründen nicht zu denken. Ebenso wenig würben sich die Socialisten mit den Klerikalen ver ständigen können, so daß nur der Abschluß eines liberal- katholischen Compromisses die verworrene Lage einiger maßen zu klären vermöchte. Die Regierung, welche die Zertrümmerung der liberalen RathhanS-Mehrheitcn mit so mannigfachen Mitteln anstrebte, muß sich nun bemühen, die bisherige liberale Herrschaft in den großen Städten zu stützen, weil sonst die Anarchie in die communate Verwaltung cin- zureißen droht. Die Klerikalen werden jetzt froh sein, wenn ihnen die Liberalen, was aber durchaus noch nicht ausgemacht ist, die Hand zur Verständigung reichen, damit überhaupt verwaltet werden kann, ein Resultat, welches die ultramontanen Gesetz geber gewiß nicht vorauögesehen haben. In zahlreichen kleineren Städten, welche ganz und gar in die Hände der Sociatdemolralie gefallen sind, ändert auch eia solcher Compromiß nichts mehr an der verfahrenen Lage. In Tonkin ist die Machtstellung Frankreichs zur Zeit nichts weniger denn imponirend. Ueberall herrscht Un zufriedenheit, Piratenbanden machen Stadt und Land unsicher und die Colonialregierung vermag dem Unwesen nicht zu steuern, da sie nicht über hinreichende Mittel gebietet. Die Streilkräfte der Franzosen in Tonkin sind nur be schränkt und zählen gegenwärtig etwa 5000 Mann weißer und 8000 Mann schwarzer Truppen, aber dieselben sind in eine Unzahl kleiner Abiheilungen verzettelt und daher nicht im Stande, eine Action größeren Stiles zu unternehmen. Es fehlt an Verpflegungö- und AuSrüstungsmitteln, so daß in Gegenden, wo Abthcilungen von mindestens 100 europäischen und 250 farbigen Soldaten postirr werden müßten, kaum der dritte Theil dieser Zahl vorhanden ist. In mehr als 120 kleinen Stationen, wo je 20 bis 25 Weiße Solvaten als Cavres für die etwa dreifache Zahl von Negersoldaten diölvcirt sind, fehlt es sogar an einem Arzt zur Behandlung der Fieberkranken. Die Victualien treffen sehr unregelmäßig, mit grcßcn Verspätungen und häufig total verdorben ein, nnd da bei dem Mangel an gebahnten Wegen die geringste mili- tairische Recognoscirung ganz unverhällnißmäßige körperliche Strapazen mit sich bringt, so kann bei der mangelhaften Ler- pflegniig von irgend ncnnenöwerthcn Leistungen derTruppcn gegen die Piraten keine Rede sein. Bei der weitgehenden Ver zettelung der Garnisonen geräth der commandirende General zudem immer in nicht geringe Verlegenheit, wenn er eine fliegende Colonne, sei eS auch nur auS 4 bis 5 Compagnien, zusammenstellen soll. Diesen Zustand haben sich die Piraten zu Nutze gemacht. Da die französischen Posten einer regel mäßigen Verbindung unter einander und mit dem Haupt quartier so gut wie gänzlich ermangeln, also auch keinen plan mäßigen Feldzug gegen die der französischen Occupalion feind lichen Elemente des Landes führen können, haben sich diese überall zu Herren der Situation gemacht und reicht thal sächlich die Macht der Franzosen nicht weiter als ibre Bajo nette. Daß hinter solchen Umständen die wirthschastlicke Entwickelung Tonkins keine Fortschritte machen kann, ist ein leuchtend. Tie cvlonisatvrischen Fähigkeiten der Franzosen in Ostasien sollen ihre Probe erst noch ablegen. Die egyptischc Frage, als Tbeil der allgemeinen Orient frage betrachtet, erhält naturgemäß um so größere Bedeutung, je bewegter sich das Enlwickelungslempo der Orientangelegen beiten überhaupt gestaltet. Das hat man in London bei Zeiten erkannt und dafür Sorge getragen, den politischen Einfluß Englands am Nil so zu verstärken, um allen Even tualitäten der Zukunft gewachsen zu sei». Der Rücktritt Nubar Paschas von der egyplischcn Minislerpräsidentschair und die Uebertragung dieses Postens an den bisherigen Kriegsminister Fchmi Pascha entspricht nur der Richtung, in welcher sich die egyptisckcn Dinge nun schon so lange bewegen, als England daselbst seine Suprematie begründet hat. Nubar Pascha verwaltete außer der Ministerprasidenl- schaft auch noch das Ressort der inneren Angelegenheiten, in welchem der englische Eins!»,; bis vor Jahresfrist nock am schwächsten vertreten war. Da aber England behufs Verwirklichung seiner mit der Oceupation Egyptens verknüpften weitere» Pläne auch die inneren Verhältnisse des Landes unter sein: administrative Leitung zu bekommen be strebt war, so setzte der in Egypten als englischer nexc>- tiorum M^tor amtirende Lord Cromer es durch, daß em englischer Bciralh für das genannte Ressort ernannt wurde, dessen Thätigkeil im Laufe der Zeit den formellen In haber des Ministeriums des Innern, eben Nubar Pascha, völlig bei Seile drängte und ibm nur noch eine Sckatrcn- eristcn; übrig tieß.j Der Rücktritt Nubar Paschas und di- Üebcrnahme der Premierschask durch den der englischen Politik unbedingt ergebenen Febmi Pascha wird danach als eine weitere Etappe ans dem Wege zur Begründung des englischen Einflußmonopols am Nil betrachtet werden müssen, waS im Hinblick auf die neueste Wendung der Orientangelegenheitcn im Allgemeinen des actucllen Interesses auch unter dem Gc sichtswinkel der internationalen Politik nicht ermangeln dürfte. Deutsches Reich. ^ Berlin, 2l. November. Das russische Ministerium für Volkeauftlärung hat bei dem Petersburger und bei dem Moskauer Lehrer-Institut je eine etatsmäßige Lehrerstellung für den Handsertigkeitsunterricht errichtet und diese Lehrer verpflichtet, nicht nur die Zöglinge der genannten Institute, sondern auch Lehrer für die anberen Lehranstalten in der Handfertigkeit auszubilden; ferner ist Len Lehrern aus getragen, sich mit den neuen Methoden und Lehrerprogrammen mittels periodischer Betbeiligunz an den in Petersburg und Moskau bei den Lehrer-Instituten zu eröffnenden Cnrsen bekannt zu machen. Außerdem sind in acht weiteren Lehrer bildungsanstalten Leiter des Handsertigkeitsunterrichts an- gestelll Worten. Zu der Einrichtung der Schulräume für diesen Unterricht ist eine einmalige Ausgabe von 4500 Rubel Fsuilletsn» Der Kampf ums Dasein. 20j Roman von A. von Gersdorsf Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) 15. Jakoba stand in ihrem grauen, eleganten Straßcncostüm, frisch und schön wie immer, in ihrem kleinen Salon und wartete ans Helmut!'. Sie wollten sich Wohnungen ansehcn. Fröhlich eilte sie ihm entgegen, als er kam. Er sah so gut, so heiter aus in seinem dunklen Civil. Stolz und glücklich schmiegte sie sich an ihn. Das Wetter war wie geschaffen zum Wohnung suchen, klar und bell, nicht zu kalt und trocken. Während sie die Treppe binuntcr stiegen, erzählte Jakoba von dem Ableben des alten Rawelski, der für sie Abschreibe arbeiten gemacht habe und daß er, de» alle Welt bemitleidet und gern gemocht, nichts weiter als ein alter Geizhals ge wesen sein solle, der eine große Summe Geldes hinterlassen habe, und einen ganzen Sack voll Werthpapicre, und Alles habe er in einem ganz richtigen Testament einem Menschen vermacht, der bei ihm Rechnen lernte, einem stellenlosen Schlosser oder dergleichen. „Ja", lachte Helmulh, „da hätten wir uns gründ lich geirrt. Man muß sich ordentlich schämen, diesen Millionair mit unseren paar Groschen nock unterstützt zu haben. Ich war nämlich vor einiger Zeit auch 'mal bei ibm nnd wollte ibm den ersten Theil von Vaters Arbeit zur Rein schrift bringen, aber er ließ mich einfach draußen stehen und rief mir nur mit vielen geschraubten Entschuldigungen durchs Schlüsselloch zu, daß er keine Arbeit mehr annebme. Na, hoffentlich bat der Schlosser Verwendung für das schöne Geld." „Da kommt der Briefträger über die Straße", sagte Jakoba. „Ich will ihn nur sragen, ob er vielleicht etwas für mich hat. Schmidt wollte ja in diesen Tagen antworten und aus Stuttgart soll's ja auch jetzt kommen, das Golv- schiffchen." Der Postbote schien wirklich etwas zu haben. Er kam schnell auf das junge Paar zu und suchte schon in seiner Tasche, froh genug, in dieser arbeitsreichen Weihnachtszeit nicht die vier Treppen hinaufklettern zu müssen. Jakoba nahm mit klopfendem Herzen den Brief mit grauem Hanfcouvert und der Firma von Schmidt's Zeitung in Empfang und wollte ihn in die Tasche stecken. „Lies doch rasch", bat Helmuth interessirt. Sie traten seitwärts vor ein Schaufenster nnd sahen zu sammen in den Brief: „Mein liebes Fräulein! Nein. Die Sache läßt sich nicht machen. Für unsere Zeitung paßt der Roman nicht. Ich sage das ganz einfach heraus — denn um einen schönen Brief von mir ist es Ihnen in diesem Moment wohl weniger zu thun. Es ist sehr schade. Mir sagt die Arbeit im Großen und Ganzen scbr zu, aber die Tendenz nicht ganz. Ich habe es mir bin und ber überlegt, kann mich aber nicht zur Annahme entschließen. Ich möchte sehr gern einmal etwas von Ihnen bringen. Erfreuen Sie mich bald durch eine andere Arbeit. Immer Jbr sehr ergebener Schmidt." „Oh!" sagte Helmuth. „Ja!" lächelte Jakoba, „das kommt schon einmal so. Ohne dergleichen geht eS nicht ab, und das passirt den be rühmtesten Leuten." „Natürlich, natürlich." „Besonders bei Schmidt. Er ist doch so etwas unberechen bar in seinem Fcuilletongeschmack." „So versuchst Du es eben bei einem Anderen, nicht wahr?" „Gewiß. Natürlich. Aus Reisen muß der Roman jeden falls wieder gehen, bis er einen Abnehmer findet." „Ich würde mich, glaube ich, schrecklich ärgern, wenn mir ein Redacteur meine Arbeit, nachdem er sie wochenlang ge lesen bat, zurückschickte, weit er sich schließlich mit der Tendenz nicht befreunden kann!" meinte Hetniutb. „Es ist doch eine alte Sache", nickte Jakoba, „vie Arbeiten, aus die man am unbedingtesten rechnet, versagen recht oft. Ich war eigentlich zweifellos überzeugt, daß Schmidt den Roman brauchen könnte. Bis jetzt hat er alle meine Sachen gelobt" Etwas schweigsamer setzten sie ihren Weg fort. Doch die Verstimmung wich, als sie ihre Wohnungssuche wieder aufnahmen und so viel entzückende, ganz paffende kleine Wohnungen, wahre Nestchen von abgeschlossener Gemütblich, keit, entdeckten. WaS für eine Menge Vortheile bot nicht diese in ihrer schönen Lage und jene in einem ganz neuen höchst geschmackvollen Hause — eine dritte mit etwas dunklen Zimmern, aber dafür auch Hochparterre, was Helmuth, der nicht sehr gerne Treppen stieg, besonders gefiel — und eine vierte endlich, obwohl ziemlich weit draußen am Zoologischen Garten, wurde dann als ganz und gar paffend in Aussicht genommen. Vier reizende belle Zimmer — nur zwei Treppen — im Sommer bildschöner Blick ins Grüne, allerdings fünfzig Mark theurer, als man sich vorgesctzt hatte, zu be zahlen. Aber fünfzig Mark, aufs Jahr vertheilt, waren nicht ganz fünf im Monat. Nun, das konnte man beim der zeitigen Stande der Verhältnisse sich schon gestatten. Und unter heiteren ZuknnstSplänen, wobei sich zur beider seitigen Freude heransstellte, daß ikr Geschmack für Ein richtung und Eintheilung ihres reizenden Heims sich voll ständig traf, eilten sie die Straßen binab, raschen elastischen Ganges, so unverkennbar ein „glückliches Paar", daß ihnen manch lächelnder, beifälliger Blick wurde. Sie machten einen kleinen, von Jakoba sehr geliebten „Schaufensterbummel" in der Leipziger Straße. Dann, als schon die funkelnde Laternenreihe aufflammtc, traten sie in ein Cafv, um einen Augenblick zu ruhen und eine Schale Melange zu genießen. Am Tische neben ihnen saßen mehrere Herren, Helmuth grüßte sich in verbindlichster Weise mit einem derselben. „Wer war das?" fragte Jakoba später leise. „Herr Meyer, mein künftiger Chef; der Alte ist wahr scheinlich Berger. Hat allerdings kein sehr sympathisches Gesicht." „Daraus kommts ja auch Wohl nicht an. Herr Meyer ist doch der eigentliche Herr der Firma, nicht wahr?" „Hm — ja. Ich glaube. So ganz genau kenne ich die Verhällnisse da nicht. Ich weiß nicht recht, wer eigentlich das Geld giebt." „DaS wird Wohl der Alte thun, und der Junge arbeitet damit." „Muß doch 'mal meinen Freund, den künftigen vereidigten Makler fragen, der ist ja überall zu Hause." „Wenn Du doch den Contract schon zu Weihnachten hättest!" meinte Jakoba nach einer Pause. „Aber ganz sicher. Zum 1. Januar muß ich ja eintreten. Ich werde ihn wohl morgen haben, denke ich. Wie verbind lich Herr Meyer grüßte!" „Ja", lachte Jakoba, „so verheißungsvoll." Sie verbrachten den Abend beim Obersten. ES war so angenehm, wenn man irgendwie erregt, unruhig, ermüdet cintrat, ibn zur selben Stunde immer an demselben Platz zu finden. Zur Abenddämmerung in der rechten Sophaeäc, mit der glimmenden Pfeife. Sein liebes, altes Gefickt so ruhevoll, seine Stimme so gelassen, ein Hauch von Frieden um ihn her nnd förmlich von ihm ausstrahlend auf Andere. Man war so gewiß, bei ihm für Alles lebhaftes In teresse, volles Versläntniß, herzliches Eingehen zu finden, und so wohltbuend sicher, ihn nie außer Fassung zu bringen, mit nichts aufzuregen. Er fühlte sich zur Zeit besonders behaglich. Das Nieder schreiben seiner Erinnerungen, das Zurückversetzen in seine Jugend bot ihm täglichen Genuß, die Möglichteit, das voll endete kleine Werk nutzbringend zu verwerthen, gab der lieben Tbäligkcil noch den erwünschten Stempel einer wirk lichen Arbeit. Maria-Margarethe schien sich nicht so unbedingt befriedigt zu fühlen als Schriftstellerin. Eine „geborene" schien sie keineswegs zu sein. Das Fabulircn wurde ibr schwer. Sie klagte Jakoba, daß ihr häufig „Stimmung" feble. „Oh", sagte Jakoba eifrig, „mit dem „Stimmung er warten" ist das ein gefährliches Ding! Ich habe anfangs auch immer gewartet, daß mich Begeisterung, Schaffensdrang packen sollte. Aber je länger ich drauf wartete, je weniger ich ihm nackbals, was man so Sporen geben nennt, desto seltener kam er. Ich glaube, jeder, auch der hochbegabteste Mensch, dem die Arbeit leicht genug wird, hat einen natürlichen Beruf in sich zur „göttlichen Faulheit". Altmeister Goethe scheint sogar einen Hang dazu verspürt zu haben, wenn er nämlich sagt: „Was hilft eS viel auf Stimmung warten, dem Zaudernden erscheint sie nie!" Das ist ein goldenes Wort, und wenn ick heutigen Tages noch dran laborire und manchmal denken will: Ach, laß die Arbeit beute. Du bist nicht in Stimmung, vielleicht gehr's morgen besser, da»» leuchtet mir das Äort ordentlich strafend entgegen." „Das vcrstebe ich nicht, wie man sich zum Schaffen zwingen »kann wie zu einer mechanischen Arbeit. Das kann doch dann nicht gut werden!" meinte daS Mädchen verzagt. „Manchmal wird'S auch nichs gut! WaS schadet da-? Dann streicht man aus und macht's besser. Das passirt unter zehn Mat aber höchstens zwei Mal, »nd mit der Uebung gar nickt mehr. Wenn man aber aus Stimmung wartet, dann kann man'S umgekehrt erleben, nämlich unter zehn Mal nur zwei Mal welche finden." „Ach! Die wirklichen Genies haben immer Stimmung."
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