Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951126027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895112602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895112602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-26
- Monat1895-11
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugsPreiS d> der Hauptexpedition oder drn im Stadt« jbrztrk und drn Bororten errichteten Aus« aabestellrn abgeholt: vierteljährlich^!4.50, det zweimaliger täglicher Zusiellung ins Haut ^l ü.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Lrsterreich: vierteljährlich L.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung int Ausland: monatlich 7.öO. Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Maclion and Expedition: IohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochr» geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: vtto Klemm- Eortim. (Alfred Hahn), Universltätsstratze 1, Lonis Lösche, Katharinrnstr. 14, part. und KönigSplatz 7. MiMer TaMall Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. AnzeigenPrei» die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRedactivntstrich (4ge spalten) t»0^, vor den Familieunachrichteu (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichnitz. Tabellarischer und ZtffrrnsaP uach höherem Tarif. Srtra-Vellage», (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung X 60.—, nnt Postbesörderuug ^ll 70. -. Annahmeschlvß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-A»-gabe: Nachmittaas 4 Uhr. Für die Montag-Morgen-AuSgade: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeige», sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 575. Dienstag den 26. November 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. November. Der anscheinend zur nachträglichen Rechtfertigung der Publikationen amtlicher Actenstücke durch den „Vorwärts" begünstigten privatwirthschaftlicheu Ausbeutung des Gesetz- gebunasmaterials hat die Oeffentlichteit auch die Kenntniß des Inhalts der Vorlage, betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Erwerbs- und Wirthschaftsgcnosscnschaftcn, zu verdanken. Die Vorlage ist inzwischen vom Bundesrath angenommen worden, ohne daß etwas von einer dort vorgenommenen Umgestaltung verlautet hätte. Die dem Reichstage zugebenden Vorschläge werden also Wohl die bekannt gewordenen Bestimmungen enthalten. Diese setzen für die schon bisher untersagte Waarenabgabe der Consumvereine an Nichtmitgtieder Strafen fest. Die Strafen sollen Verkäufer treffen, die wissentlich Waaren an Nichtmitgtieder verabfolgen, sowie die Vorstandsmitglieder, die es unterlassen, Anweisungen über die Art der Legilimirung ihrer Btttglieder der Behörde einzureichen oder die von der Behörde geforderten Abänderungen derLegitimiruiigsvvrschriflen zu treffen. Außerdem sind Mitglieder strafbar, die ihre Legi timation Dritten zur Entnahme von Waaren überlassen, ferner Nichlmilgiiever, die sich zu diesem Zweck der Legi timation eines Mitgliedes bedienen. Auf laudwirth- schaftliche Consumvereine, die, ohne einen offenen Laden zu halten, ihre Geschäfte auf die Vermittelung von Waaren beschränken, die »n landwirthschafllichcn Betriebe gebraucht werden, finden die Strafbestimmungen keine An wendung. Angesichts dieses dürftigen Inhalts der Vorschläge begreift man nicht, warum die Regierung so lange und unter Nichteinhaltung einer im Reichstag feierlich gegebenen Zusage mit der Einbringung eines solchen Gesetzes gezogen har. Es enthält, abgesehen von der der Eigenart der landwirth- schaftlichen Consumvereine mit gutem Grund Rechnung tragenden Einschränkung, nichts als die Correnur eines Fehlers in dem bestehenden Gesetze, das, wie schon er wähnt, die Waarenabgabe an Nichtmitglieder verboten, aber diese Vorschrift durch Strafbestimmungen wirksam zu machen verabsäumt hat. Von den auf eigentliche Abände rungen abzielenden Wünschen, deren dringlichste in einem in der Tagung 1898/94 eingebrachten nationalliberalen Initiativ antrag Berücksichtigung gefunden hatten, ist nicht ein einziger berücksichtigt. Man vermißt vor allen Dingen eine Besinn mung, weiche den Mitgliedern von Consumvereinen unter sagt, vom Verein entnommene Waaren an Nichtmitgtieder gegen Bezahlung ab zugebe». Die durch „Ablassen" von Waaren geübte Umgehung des Gesetzes über die Erwerbs und Wirthschaftsgeiivssenschaftcn ist notorisch weit verbreitet und wirtbschaftlich tief einschneidend. Ist auch einzuräume», daß sie von behördlichen Organen nicht sehr häufig festzu stellen sein wird, so wäre eine Strafandrohung gegen sie doch keineswegs zwecklos. Das Bewußtsein, sich einer strafbaren Handlung schuldig zu macken, würde in weiten Kreisen den Verzicht auf den mißbräuchlichen Verkehr mit von Consum vereinen entnommenen Waaren herbeisübren. Noch empfind licher als dieser Mangel der Vorlage ist die Nichtberücksich tigung der Consumanstalten, also vor Allem derWaaren- häuser für bestimmte Berufskreise. Diese Anstalten betreiben die Waarenabgabe an Personen, für die sie nicht be gründet sind, in ausgedehntem Maße. Sie bestehen zwar zumeist oder durchweg nicht in der juristischen Form von Erwerbs und Wirtbschaftsgenossenschaften, aber dieser Umstand hat den erwähnten nationalliberalen Initiativantrag mit vollem Recht nicht abbehalten, gleiche Erscheinungen mit gleichen volkswirthschaftlich schädlichen Folgen auf gleiche Weise zu behandeln. Der Antrag hatte auch eine Begriffs bestimmung für die Consumanstalicn gefunden, welche deren statutenmäßige Tbätigkeit unbehindert läßt und ins besondere die von Fabrikanten für ihre Arbeiter errichteten WaarenbezugSanstalten in ihrer social werth vollen Wirksamkeit nicht hemmen würde. Warum aber die unter mehr als einem GcsichtSpnnct bedauerliche übergreifendeAnsdcbming dcsGeschäflsbetriebcs desOfficier- vereins und des Waarenhauscs für Beamte im Vergleich zu den jedenfalls weniger Bedenken erweckenden Consumvereinen privilezirt sein soll, ist nncrfindlich. Ei» dritter und nickt der unerheblichste Mangel der Vorlage betrifft das Schankwesen bei den Consumvereinen. Nach dem nativnalliberalen Antrag sollten die Consum- vereme in Bezug auf das Schankwesen und den Ver trieb von Branntwein den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen unterliegen. Sie hätten mithin zum Betrieb einer Schankwirtbschaft, auch wenn zu dieser nur Mitglieder Zutritt halten, und zum Kleinhandel mit Branntwein unter- allen Umständen der behördlichen Concession bedurft, und bei der Errichtung von Schankwirthschaficn der Consumvereine wäre die Aufwerfung der Bedürfnißfrage, wo diese sonst stattfindet, geboten gewesen. Diese Bestimmungen wollten den weitverbreiteten Mißbrauch treffen, an die Stelle von Schank- wirlhschaflcn Consumvereine zu setzen, die sich von den gewöhnlichen Wirlbsbänsern durch weiter gar nichts als eine unbegrenzte Freiheit in Bezug auf die Polizei stunde und andere polizeiliche Anordnungen unterscheiden. Sie betreiben kein anderes Geschäft als die Verabreichung von Getränken und Speisen an die durch die Zahlung eines meist nur symbolischen Beitrages zu „Mitgliedern" gewordenen Gaste; oft gehören sämmtliche nicht mehr schulpflichtige männ liche Einwohner eines Dorfes einem solchen Verein an, und Fremde, die das Bereinslocal als Wirthshaus für ein paar Stunden oder während mehrerer Tage benutzen wollen, werde» einfach Mitglieder ack iioo. Einer solchen Einrichtung ist doch von der eigentlichen Zweckbestimmung der Consum vereine nickt das Geringste mehr anzumerken, und dennoch läßt sie die Regierungsvorlage gegenüber den sonstigen Sckank- wirthschaften bevorrechtigt. Im Reichstag wird eS nicht an energischen Bemühungen fehlen, diese, sowie die anderen Lücken des Gesetzes anSzufüllen. Die leitenden Geister' des stellt,«»iS scheinen einzusehen, daß sie durch die Ueberantwortung des Reichstagswahlkreises Dortmund an die Socialdemokratie nicht nur bei einem Tbeile ihrer eigenen Anhängerschaft, sondern auch bei den Conservativen und an höherer Stelle Anstoß erregt haben. Getreu ihrer Schaukel- und Gaukelpolitik, suchen sie nun den Eindruck jener directen Unterstützung der Umsturzpartci da durch zu verwischen, vaß sie sich bereit erklären, den frei sinnigen Herrn Schmidt aus dem Präsidium deS Reichs tags hinauszuwerfen und den erledigten Stuhl den Conser vativen zu überlassen. Die „Germania" formulirt diesen Vorschlag folgendermaßen: „Tie Conservativen haben nach ihrer Stärke einen berech- tigten Anspruch aus eine Vertretung im ReichStagspräsidium und zwar zifsermäßig auf die Stelle des ersten Vicepräsidente». Wollen sie diesen Anspruch geltend machen, so werden sie die bereitwilligste Unterstützung des Centrums finden. Das Ccntruin hat aber keinen Anlaß, auf die Stelle eines ersten Präsidenten des Reichstags Verzicht z» leisten, auf welche es schon längst einen Anspruch hatte. Das wird auch die conservative Partei anerkennen müssen." Fast noch mehr als durch die Dortmunder Großtbat erschwert aber die ultramontane Presse den Conservativen die Annahme dieser Offerte durch ihr Drängen, Falsch eide der Beichtväter gesetzlich zu sanctioniren. So schreibt die „Deutsche Reichsztg." in Bonn in einer Be sprechung des bekannten Mülhausener Falles: „Ein jeder 'Richter weiß, daß Alles, was das Beichtgel,eininlß aiibelangt, gar nicht in Betracht kommen kann, er weiß, daß der Priester das Recht hat, zu sagen: Ich,weiß nichts. Sollte aber ein deutscher Richter das nicht wissen, so ist das ein Fehler seiner Vorbildung, dann soll man sorgen, daß Alle das in Zukunft wissen. Wir bleiben also bei unserer Ansicht: der Priester muh vollkommen frei sei» in Bewahrung des Beichtgeheimnisses, und sollte es zu diesem Zwecke nolhweiidig sei», so müßte eben das einschlägige Gesetz geändert werden." D. h.: Der Priester muß ermächtigt werden, auch wenn er die Dinge, um welche cs sich handelt, kennt, zu schwören: Ick weiß nichts! In demselben Sinne schreibt der „Westfäl. Merk ": „Allein steht eine Anssage, wie die des Pfarrers Burtz, nicht im Widerspruch mit der Wahrheit und ist ein Eid auf dieielbe nicht ^in Meineid? Durchaus nicht. Um das zu verstehen, muß inan beim Geistlichen zwischen Beichtvater und Privatperson untcricheiden. Was der Geistliche in der Beicbte erfährt, wciß er nur als Beicht- vaier; vor Gericht aber steht er nicht als solcher, sondern als Zeuge oder als Privatperson.... Für uns Katholiken ist das Urtheil im Mülhausener Proceß ein neuer mächtiger Antrieb, immer von Neuem darauf zu dringen, daß die Gesetze jo geändert werden, das; ein katholischer Geistlicher, der einfach nach den Vor schriften seiner Kirche handelt, nicht mehr als einer der schwersten Verbrecher angeklagt und verurtheilt werden kann." Daß Letzteres nicht einzulreten braucht, wissen die Con servativcn so gut wie andere Leute: der Beichtvater hat, wie jeder Seelsorger, das Reckt, betreffs der Dinge, die er als solcher erfahren, dasZengniß zu verweigern, und er kann es derart, daß keinerlei Schlußfolgerung auf das, was er er fahren hat, möglich ist. Das Verlangen, daß durch Ab änderung der Gesetze Falscheide der Beichtväter sollen zugelassen werden, beweist eine so furchtbare Vergiftung der religiösen und sittlichen Grundbegriffe durch den Zesnitismus und kommt in so krasser Form auf die Forderung hinaus, daß die StaatSgcsetzgebung sich Allem unterwerfe, was die jesuitischen „Moralisten" für kirchliche Lehre erklären, daß auch den cartellseindlichsten Conservativen eine Scheu anwandeln muß bei dem Gedanken, daS Prä sidium des Reichstags mit einer Partei zu theilen, deren Organe mit solche»: Anschauungen und Forderungen hervor- zutretcn wagen. Die Landtagswahlen in Böhmen haben den Jung- tschcchen den gewünschten vollen Erfolg gebracht, da die Alttschechen das Feld räumten und ihre vierzig Mandate den Gegnern kampflos überließen. Tie demokratische Richtung, die sich gegen den reichen Grundadel wendet, ist demnach unter den Tschechen aus der ganzen Linie siegreich. Dagegen brachte im deutschen Sprachgebiete das Ringen zwischen Liberalen und Nationalen keine volle Entscheidung. ES gelang den ersteren, welche sich in der ungünstigen Stellung der politischen Defensive befinden, mebr Boden zu behaupten, als Freund und Feind gedacht batten. Aber der Einbruch der Deutschnationalen und selbst der Klerikalen in die dentschbökmischen Wahlbezirke ist tatsächlich geglückt. Die Deutschnationalen gewannen zu ihren früheren Mandaten noch fünf entschiedene Anhänger und zrvei Abgeordnete, welche sie mit größerem oder geringerem Rechte zu den Ihrigen zählen, den Klerikalen fiel ein Landbezirk und ein Stadtbezirk zu. Doch behaupteten sich die Liberalen in der Mehrzahl ihrer Wahl bezirke, so daß sic etwa 48 Mann stark in den Landtag ein ziehen werden. Bedeutungsvoll ist, daß »nit Pater Opitz zun» ersten Male ein entschiedener Klerikaler aus einem deutsch- böhmischen Wahlbezirke in Len Landtag einzieht. Es gehörte bisher zu den bemerkenSwerthesten Thatsachen, daß die Deutsch bvhmeii und die ihnen verwandten Deutschmäbrer der einzige katholische Stamm unter allen übrigen Deutschen sind, welche sich dein Klerikalismus gegenüber entschieden ablehnend ver hielten. Jetzt sind dem Pater, einem streitbaren Bekämpfer der Altkatholiken, die Ereignisse in der ReichSbauptstavt mit dem Umschläge ihrer Bevölkerung vom Josephinismus zur christlich-socialen Richtung trefflich zu statten gekommen. Das sind Anzeichen der Wandlung, welche sich in Deutsch-Oesterreich vollrieh». Wer schärfer zusiebt, wird erkennen, daß die Erb schaft der autisemitlscheii Agitation zumeist dem Kleri- kalismus in den Schoß fallen wird. DaS »vissrn die Fübrer dieser Partei; damit hängt zusammen, daß, wie jüngst rin antisemitisches Blatt obne Widerspruch meldete, der Erz bischof von Wien, Cardinal Gruscha, selbst beim Grafen Badeiii vorsprach, um ihn zu bestimmen, dem Kaiser die Sanction Di-. Lueger s zum Bürgermeister vorzuschlagen. Freilich ist auch die Hobe Geistlichkeit in. diesen Dingen ver schiedener Meinung, keim es gicbt in ihren Reihen auch solche, die, »vie der Cardinal-Erzbischof Gras Schönborn von Prag, der christlich-socialen Bewegung abbold sind. Für die Politik deS Grafen Ba deni ist es von Wichtigkeit, daß die Liberalen in Nordböhmen ihren Gegnern Stand hielten. Seine Absicht, sich im Parlament auf sie zu stützen, wäre undurchführbar gewesen, wenn sie eine schärfere Nieverlage erlitten hätten; den» dann wäre ihre Widerstandsfähigkeit gebrochen und Graf Badeni hätte sich nach einer anderen Stütze Umsehen müssen. Die Angelegenheit dec französische» Admirals Gervais, des einst hochgcfeierten Helden der Tage von Kronstadt, im Grunde rein sachlicher Natur, hat einen starken politischen Beigeschmack. Gervais ist bei den Radikale»», die heule die Macht in Händen haben, höchst unbeliebt, da er aus seiner Abneigung gegen sie nie ein Hebt gemacht und die Parlamentarier überhaupt stets etwas gering schätzig behandelt hat. Ganz besonderen persönlichen Haß hegen gegen ihn zwei der heutigen Minister, Guieysse und Lockroy. Als vor etwa einem Jabie in Folge der Enthüllungen Clemcnceaus Uber Vie Flottenzustäntc eine Untersuchungscommission zu deren Untersuchung eingesetzt wurde, lehnte es, wie die „Voss. Ztg." in Erinnerung bringt, Gervais ab, Guieysse die Hand zu reichen; damals lief das Wortspiel um, der Avmiral wolle »nit Niemandem verkehren, von dem man sagen könne: ,.tzui «8t ce?" Dieser Herr Guieysse ist gezeiiwärtig Colonialininistcr. Noch heftiger ist Gervais mit Lvckroy aneinander geralhen. Dieser war in der UiilersuchungScommissioii Berichterstatter. Als er seinen Bericht vorgetragen hatte, erbob sich Gervais, damals Chef des Marine > GeneralstabeS, und erklärte wörtlich: „Während die Marineverwaltung Gegenstand befliger Angriffe war, wurden von der Kammertribüiie den Marineosficieren, die man von der Venvaltung trennte, Lob- sprücke gespendet. Die Marincofficiere weisen dieses Lob deS Herrn Lockroh zurück." Auch bei einem später» Anlaß verletzte Der Admiral Herrn Lockroy, indem er ihm, als er mit dem Untersuchungsausschüsse nach Toulon kain, die verlangten Auskünfte verweigerte. Lockroy ist gegenwärtig Marine minister. Die radicalen Blätter verlangen ein scharfes Vor geben gegen Admiral Gervais, dem wieder von seinen Ossi eieren und Mannschaften stiirmische Ehningen bereitet werden. Zunächst ist ein aus Avmiralen zusammengesetzter Aus schuß zur Untersuchung des jüngst vorgekommenen Ge schwaderunfalls eingesetzt worden. Inzwischen hat General Saussier, der Commandant von Paris und voraussichtliche Oberbefehlshaber in einem Kriege »nit Deutschland, seine Entlassung verlangt, da er niit der Ernennung Cavaignac's zum Kriegsminister und dessen ersten Handlungen, inS- L3s FoiriHot»n. Der Kampf ums Dasein. Roman von A. von Gersdorsf Nachdruck «erboten. (Fortsetzung.) „Ach, es geht mit diesen beiden letzten Romanen nicht gut!" sagte sie sorgenvoll. „Sie sind beide wiederholt zurückaewiesen. Den einen, welchen ick immer noch für »nein bestes, reifstes Werk kalte, habe ich mich entschließen müssen, umzuarbeiten, vielleicht, daß ihn dann eine größere Provinzzeitung aufnimmt. Man hat mir von dort An weisungen gegeben, »vie ich den Roman zn ändern habe, um ihn für das betreffende Publicum schmackhaft zu machen." „Und Sie wollen sich dazu hergeben?" „Was bleibt mir übrig? Bei den großen VerlagSanstalten ist er abgelehnt, ohne Sang und Klang. Unterbrmgen muß ich ihn und sobald wie möglich. Ich geböre zu den unglück lichen Naturen, die nicht frisch und freudig Anderes schaffen können, so lange eine Arbeit umherirrt in solcher Weise. Es hilft Alles nichts, der Zweifel am eigenen Können lähmt mir den Geist. Es ist gar zu furchtbar, müßig zu sitzen und zu warten." „Und die Arbeit, welche Schmidt zurückgab, ist auch nicht untergebracht?" „Mit der ist eS mir recht lächerlich ergangen. Unter Anderein wurde sie auch von einem Blatt abgewiesen mit der Bemerkung, sie sei zn breit angelegt, viel zu lang aus gesponnen. Aus den zwanzig Capikeln zehn zu machen, würde sich empfehlen. Ich schneide also die zehn Capitel heraus und flicke den Rest zusammen. Aber trotzdem lehnte jenes Blatt die Arbeit zum zweiten Male ab, als viel zu theuer. Sie könnten nur höchstens die Hälfte des geforderten Preises geben. Ich schicke also die Geschichte an rin anderes Blatt unv erbalte sie innerhalb vierzehn Tagen mit dem Bedauern zurück, daß die Arbeit viel zu skizzenhaft angelegt, viel zu sehr zusammengedrängt sei; wenn sie gut zehn bis fünfzehn Capitel länger wäre, dann könne die Arbeit als brauchbar betrachtet werden. Leider aber halte ich bei Kürzung deS Romans in» Sinne des Worte« theilweise mit der Sckeere gearbeitet und die verstümmelten Blätter in den Ofen geworfen. „Da sah man ihre Trüinmer rauchen — Der Rest war nicht mehr zu gebrauchen." Ich schicke die Arbeit also an eine große, bekannte Zeitung. Bekomme gar keine Antwort. Schreibe, mahne — Alles umsonst. Endlich auf eine Depesche kommt die Arbeit wieder an mit inliegendem Brief: Wenn wir den Roman nicht hätten behalten wollen, dann Kälten wir Ihnen denselben längst zurUckgeschickt; da Sie sich aber nicht gedulde» können, folgt das Manuskript anbei zurück." Herr Bierke lachte, trotz aller Thcilnabme. „Also scheint eS, die Zeitung bat den Roman gratis be halten »vollen, da sie ihn nach dem Briefe „längst" gelesen hatte, die Honorarfrage aber linerörtert ließ. Nett von den den Leuten! Coulant! Was werden Sie nun damit macken?" „Nichts. Ich hin müde. Mir fehlt augenblicklich die Kraft zu jedweder Anstrengung. Neulich ging ich in eine hiesige Redaction mit der Arbeit, um sie da persönlich viel leicht anzubringcn. Man muß eben Alles versuchen. Als ich in das Haus trat, traf mein Blick »eben dem Placat der Redaktion ein anderes im Hausflur: „Betteln und Hcmsiren ist hier verboten." Mit Beschämung erkannte ich, daß ich entschieden im Begriff war, das Verbot des Hausirens zu übertreten und freute mich, daß die Redaction schon ge schlossen war." „Kaum verständlich, daß Ihnen, Fräulein Rcvalla, das noch passiren muß." „Ja. Ich glaubte auch, ich wäre über den Berg. Und nun ist eS, als sei ich wiever weit zurückgeworfci», fast b»S zum Anfänge." „Es muß an irgend etwas liegen. Vielleicht an Ihnen selber?" „Schon möglich. Ich bin nicht gut gestimmt. Aber bä hst mir früher nichts gemacht. Ich habe doch gearbeitet." „Fräulein Jakobs, lasten Sie mich einmal eine Frage tbun. Sind Sie auch sicher, daß Sie mit dein rechten Ernst, der rechten Hingabe au Stoff und Gestaltung arbeiten? Denken sie nicht zu sehr an den Zweck der jeweiligen Arbeit? An das Geld, das Sie. dainit gewinnen wollen? Freuen Sie sich nicht oft auf das Ende der Arbeit?" „Sie meinen, ob ich nur arbeite, um zu leben?" fragte Jakoba betroffen. „Ja, daS meine ick." „Ich muß aber", stieß sie heraus. „DaS ist nicht gut für den Wertb der Arbeit. Es sübrt leicht zu eine»» großen Schaden für die Kunst." „Ach", sagte Jakoba traurig, „freilich wäre es schöner, zu — leben, um zu arbeiten! Wie gern möchte ich daS! Werde ich es je dahin bringen?! Ich zweifle nun fast." „Ihr Fräulein .Schwägerin hat die Schriftstellerei ganz aufgeaeben?" „Ja. Ganz." „DaS ist ein Glück. Sie hatte keinen Funken von Talent." „Ich habe »nir den Vorwurf zu machen, sie ans diesen Weg gebracht zu haben. Sie hat nichts dabei gewonnen." „Wer weiß! Ich halte keine Erfahrung für unnütz", meinte Bergmann gedankenvoll. „Leider", sagte Jakoba, „hat sie nun einen kleinen Groll gegen mich gefaßt, und von meinem Standpunct kann ich nur sagen, mit Recht. Ich habe es zwar gut gemeint, aber doch nicht ernst genug überlegt, ehe ick den Kein» zu Hoffnungen und Enttäuschungen in eine fremde Seele senkte. Mir wenigstens wird diese Erfahrung als Lehre dienen, daß man im Helfen nicht übereilt sein soll." „Ein sonst höchst sympathisches, echt weibliches Wesen", bemerkte Bergmann. „Ihnen sympathisch?" fragte Jakoba erstaunt. Ein feines Lächeln zuckte über sein schönes Gefickt und er strich leicht mit der Hand über die Stirn. „In anderer Art, als Sie, liebe Freundin, in ganz anderer Art. Es ist mir eine — eine angenebme Erinnerung an den Besuch der Baronesse zurückgeblieben. Wer solche Augen bat, wenn er Kinder anschaut, der ist mir rin lieber Mensch und kann viel von mir erreichen." „Nur keine gute Kritik über eine schleckte Arbeit- '.achte Jakoba. „Aber ick dars doch meiner kleinen SchwJacr-n von Ihren Eindrücken Mittbeilung machen? Ich ala. de — Sie würden mir dann meine Einmischung »u :br Schicksal verzeihen." Bergmann errötbete leicht. „Bitte, tbun Sie daS nickt", bat er lei'«. Der Mann sah liebenswürdiger aus als je. mit dieser leichten Befangenheit in Antlitz und Ton. Jakoba sah ihn aufs Höchste erstaunt von der Seite an. „Ist es denn denkbar?" dachte sie. „Um Dich zu erobern, einen der geistvollsten, vornehmsten Menschen, nach dem die schönsten Frauen ganz vergeblich die Hände auSstrecken, muß meine kleine, verblühte, altinngserliche Schwägerin kommen ?! Wenn sie ihr Glück ahnte, wenn ich ibr erzählen dürfte, ich denke doch, sic ließe ihren verflossenen Lieutenant für immer im Grabe der Vergessenheit ruhen und sänke mit aller ihrer sentimentalen Zärtlichkeit Dir zu Füßen. Aber warum soll ich es ibr nicht sagen? Wie würde ihr armes, verdrossenes Gesicktchen aufleuchten! Wie herzlich möcht'ichS ihr gönnen!" Auch Berginann schwieg. Aber er schien an nichts Sonniges zu denken. Seine Stirn »var umschattet, er schaute in eine andere Welt. Als die Tafel aufgehoben war, trat Frau Bierke zu Jakoba und nabm ibre Hank. „Kommen Sie, Kind. Wir wollen ein wenig plaudern." „Gern", sagte Jakoba freudig, die eine innige Verehrung für die Frau hegte. „Wie geht es Ihrem Verlobten?" „Er ist sehr fleißig. Er arbeitet mit einem junge» Kaufmann zusammen, um sich dann mit mebr Aussicht auf Erfolg um eine gute Stellung bewerben zu können." „Tie er hoffentlich bald erreicht." „Ach, daS wohl kaum", meinte Jakoba trübe. Frau Bierke streichelte leise ibre Hand. „Ist es denn ganz nntbunlich, daß Sie ibm schon bald als seine Frau zur Seite stehen können? Ich glaube, der Mann braucht sehr eine rubige Häuslichkeit, einen syinpatkischen Kameraden, nämlich Sw, gute Jakoba, um reckt mit Ernst und ruhiger Stetigkeit arbeiten zn können. Wir saben ibn neulich in einem Restaurant mit einigen Herren, deren Ton unfein und prahlerisch war. Herr von Andor war blaß und sab eigcntbümlicd ermüdet auS — so recht, als ginge er gern nach Hause und setzte sich friedlich zu seinem guten, verständigen Frauchen." Iakoba'S Her; erzitterte. Warum sagte ihr die Frau daS?l „Sehen Sie, liebes Kind —, ick hielte eS Wohl in jeder Beziehung für gut, wenn Sie recht bald heiratheten. Sie sind zu i»ing, zu hübsch, um so häufig und oft zu späten Stunden den Besuch Ihres junge» Bräutigams zu empfangen. Man siebt Sie häufig allein mit ibm auf der Straße, allein sogar in Cafös. Das ist nicht gut. Wie die Welt einmal ist, wird darüber geredet, über Sie — Kind, aber auch über ihn — daß er seine künftige Gattin in unkluger Weise compromittirt. Man muß den Schein »neiden, liebe Jakoba. Sie batten vor Monaten schon Ihre Vermählung für den 2. Februar angcsagt. Wir haben beute März und eS ist noch kein Termin bestimmt." „Was soll ich aber anfaugen?" flüsterte Jakoba mit erstickter Stimme. „Kommen Sie zu uu-l Hier in unserem Kreise können Tie Ihren Helmuth» so oft Sie wollen, sehen und sprechen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite