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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-04-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930425027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893042502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893042502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-04
- Tag1893-04-25
- Monat1893-04
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Ich habe dreizehn Jahre dem Jesuitenorden anzchört; ich habe mit allem Ernst und aller Aufrichtigkeit darnach gestrebt, einzudringen in den Geist dieses Ordens; ich habe, waS ich hatte uud was ich sonnte, eingesetzt zu seiner Ver- Iheitigung; ich habe ihn als da» zu erfassen gesucht, als was er mir vorschwebte und als waS ich ihn zu erkennen wünschte: taS Ideal christlicher Frömmigkeit. Und das Endergebniß dieses jahrelangen Bemühens ist die Trennung! Die Gründe, dir mich zur endgiltigen Scheidung be stimmten, lasse ich weiter unten folgen; zunächst möchte ich in thunlichster Kürze klarstrllen, wie ich zu dieser Trennung gekommen. Das „wie" bei solchen und ähnlichen Schritten ist zwar stet» rin innerer Proccß, rin Stück individualistischer Psycho logie, und deshalb in manchen Einzelheiten unverständlich für Andere; dennoch bleibt seine Erörterung eine Nothwendigkeit. Erst von hier aus empfangt daS „warum" seine volle Be leuchtung: die den Schritt bestimmenden Gründe treten in ihrer psychologischen Wirksamkeit deutlicher hervor. Al- ich mich dem Jesuitenorden anschloß, da suchte ich, wie schon gesagt, das Ideal christlicher Frömmig keit. Die Vorstellung, die ich mir von der Gesell schaft Jesu gebildet, das, wa» ich von ihr durch Lesen, Hören und Sehen kennen gelernt zu haben glaubte, ließ mich dir Ueberzeugung gewinnen, dies Ideal in ihr finden zu können. Rückhaltlos gab ich mich ihr hin; ich wollte das werden, was ich io dem Institut der Gesellschaft Jesu ver- lörpert zu sehen glaubte: ein vollkommener Ebrist, ein wahrer Jesuit. Beide- war für mich identisch. Niemand, weder innerhalb noch außerhalb des Jesuitenordens, der mich während tiefer Zeit gekannt hat, wird mir das Zeugniß dieses red lichen Wollen» verweigern. War rS rin Glück oder war es rin Unglück, daß ich ver- dältnißmäßig alt, mit 28 Jahren dem Jesuitenorden beitrat? Ich hatte meine juristischen Studien absolvirt, war als Referendar im Justizdienst thätig gewesen, hatte viel gereist, viel vo» der Welt gesehen: kurz ich war ein urtheilSfahigrr Mann. Wäre ich, wie so Viele, wie die meisten Anderen ganz jung, unfertig dem Orden beigetreten, die innere Um wandlung wäre vielleicht erfolgt, ich hätte vielleicht den Jesuitengeist in mich ausgenommen. So geschah dies nicht, und der innere Widerspruch gegen da- religiös-asketische System des Orden- regte sich schon bald, um nicht mehr zu verstummen. Bon diesen ersten Regungen an bis zu meinem Austritt habe ich ein harte- Leben gesübrt; schwere innere Kämpfe durcharmacht. Ich wollte dem sich regenden Widerspruch kein Gehör geben; ich wollt« da» Ideal, da» ich erkannt ") Wir entnehmen diese» Aufsatz dem soeben ausgegebene» Mai- beste der „Preußische »Jahrbücher". (HerauSg. von H.Del brück, Verlag von H. Walther-Berlin. Preis vierteljährlich b ^l, dar einzelne Heft L,üO ^ll Bon dem sonstigen, ebenso gediegenen als jesielnden Inhalt diese» Heste» heben wir hervor: Han« Delbrück: Ätueral von Verlach, vr. Richard Fischer, Königsberg i. Pr.: Das Polenthum i» Westprrußen. vr. E. G. O. Müller in Breslau: Betrachtungen riue» Mädchenschullrhrer». vr. I. M. Stahl, o. Pros, d. cl. Philologie a. d. Akademie Münster: lieber Umsang und Be deutung d»S Sprachstudium», vr. Alexander Tille, Docent a. d. Umv. Bla»gow: Die Bilder zu Goethe'« Faust, vr. Georg v. Mayr, k. Unterslaatssecrelair z. D., Strahburg: Wehrbedürftig. Kit «nd wirthschaftlich« Leistungsfähigkeit. Besprechungen. Politische Correspond enz. zu haben glaubte, nicht als Jrrthum fallen lassen; ich wollte mich und mein Urtbeil ins Unrecht setzen. Unerbittlich sür mich selbst, für meine eigenen Gefühle, für mein eigene» Urtbeil nahm ich den Kampf auf. DaS, was mir am meisten widerstrebte, suchte ich am pünktlichsten zu thu»; diejenigen asketischen Mittel und Ratbschlägr, dir mir am meisten zuwider waren, wandte ich am rücksichtslosesten auf mich an; die spontansten und drängendsten Acnßerungrn meines Unheils suchte ich am energischsten zu unter drücken: mein Geist und mein Empfinden sollte — daS war mein aufrichtigster Wille — vom Geist und dem Empfinden de« Jesuitenorden- erfüllt, mit ihm assimilirt werden Drei zehn Jahre führte ich diesen Kamps gegen meine immer pärker sich regende eigene Ueberzeugung. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte die Entscheidung wohl nicht so lange auf sich warten lassen. Tic Ausnahme stellung jedoch, die der Jesuitenorden zur Zeit meine« Eintritts einnahm und noch ciniiimmt, seine Verfolgung auf allen Seiten, die Verleumdungen, die gegen ihn und seine Mitglieder auSgestreut werden, die« Alles wirkte in sehr bedeutender Weife mit, mich, trotz des inneren Gegen satzes zu ihm, immer wieder aus« Neue für ihn cinzuncbmcn; mich immer wieder auf« Neue den Versuch machen zu kaffen, ihm nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich anzuzehören. Ich fühlte mich persönlich verletzt durch die ungerechten An griffe gegen den Orden. Unter vielen und großen Opfern batte ich mich ihm an- geschlosscn, unter schweren inneren Kämpfe» suchte ich an ihm fcstzuhalten: da empörte eS mich doppelt, birst Genossen schaft, der ich meine Persönlichkeit hingegcben batte, al« nicht-würdig und schlecht dargcsteUl zu sehen. Meine Ehre war engagirt, daS verletzte UuschuldSgesiihl, die Entrüstung über erlittenes Unrecht kam mir als Bundesgenosse zu Hilfe bei dem Bestreben, den Widerstand gegen das jesuitische System im eigenen Herzen endgiltig zu brechen. AuS dieser Stimmung heraus wurde ich zum Vcrtheidiger deS Ordens. Ich schrieb die betreffenden Schriften mit ganzer Hingabe an die Sache. Ich brauchte nicht zu heucheln, nicht eine Entrüstung zur Schau zu tragen, die ich nicht fühlte. Die Gegner und die Anklagen, gegen die ich mich wandte, konnte ich mit voller Ueberzeugung angrcifcn: e« war dir Unwahrheit, dir ich bekämpste, die Verleumdung, die ich aus decken wollte. Auch, wo ich persönlichen Gefühlen für den Orden und einzelne seiner Einrichtungen Ausdruck gab, wurde ich nicht unwahr. Es ist die Wahrheit, wenn ich sage, daß bei jeder dieser Stellen ick mich srug: kannst du daS rechtfertigen vor dir selbst, eö in Einklang bringen mit deinen inneren oft entgegenstehcnden Anschüttungen? Und jedeömal antwortete ich mir: Ja, denn deine Anschauungen sollen und müssen irrig sein, sic sollen und werden sich ändern. Zudem ist der Jesuitenorden eine wunderbar großartige Institution, ein Organismus von stauncnSwcrlher Einheitlich keit, Lebenskraft und Vielseitigkeit; seine Ziele sind die um fassendsten und, weil aus den Richtlinien der Ziel« des EhristenthumS liegend, die edelsten, erhabensten, würdig der Begeisterung und de» Lobe». DaS habe ick nie verkannt und werde eS nie verkennen. Nur zu seine» Mitteln stehe ich im Gegensatz und auch hier bewundere ich die Genialität ihrer Anordnung, ihr enggesügte- Jneinandergreisen, ihre psychologische Kraft. Hätte ick innerlick mit vollständiger Klarheit verworfen waS ich äußerlich vertrat, hätte ich die Worte, die ich zur Bcrthcidigung deS Ordens schrieb, als leere Phrase erkannt und sie dock geschrieben: kann wäre mein Thu» und Schreiben eine Unwahrheit gewesen. Allein dem war nicht so. Meine Bedenken uud Zweifel gegen das jesuitische System waren nicht über Nacht wie eine Helle Offenbarung über mick gekommen, sondern langsam, allmälig stiege» sie in mir aus; unbestimmt, schwankend, erst nach und nach greifbare, festere Gestalt annebmend. Und, wie ich schon sagte, immer und immer wieder wurden diese Zweifel durch meinen entgegenstehcndcn Willen zurückgedrängt. Ich wollte ja die Bedenken in mir nicht hören: ich hoffte aus die Dauer sie unter die Füße zu bekommen und zu dem Urtbeil über den Orven zu gelangen, das ich Andere ver treten sah: ick känipfte mit ganzer Seele dafür, meine An schauung als die irrige zu erkennen. So ist eS gekommen, daß ick jahrelang dem Jesuitenorden an- gebörte alS ein Glied, das sick nie dcimisck in ihm fühlte; so ist es gekommen, daß ick für den Jesuitenorden sckreiben konnte, was ick geschrieben habe Nickt ein Wort der positive» Vcr- tdeidigung brauche ick zurückzuncbmen, »nd bei den subjektiven Aeußerungen habe ick nur binzuzusetzen, daß sic der Ausdruck waren de« energischsten WunsckeS meine« Innern, dessen Er füllung ich in heißem Bemühen und jahrelangem Ringen angestrcbt habe. Die definitive Klärung und Entscheidung in dem innern Proecß und die Trennung vom Orden brachte cndlick ein anderes Ereigniß, von dessen Besprechung ick Abstand nehme, da eS mit dem Zweck und dem Gegenstand dieser Zeilen nicht un mittelbar zusaininenhängt. DaS ist die kurze Darstellung, wie ich zum Austritt aus dem Jesuitenorden gelangte. Ebe ick das Warum, die mich bestimmenden Gründe, folge» lasse, babe ich zwei Erklärungen abzugebcn, tbeilweise sind sie sckon im Vorhergehenden enthalten, aber ich halte eS für meine Pflicht, sie auch sormell auSzu- sprcchen. Erstens, die Anklagen, mit denen man gewöhnlich den Jesuitenorden überhäuft, sind falsch; sie beruhen auf Unwissen heit oder Abneigung. Was speciell die vielgeschmähte Moral de» Ordens angeht, so ist sie eine Moral von tadelloser Lauterkeit; die sogenannte „schleckte Jrsuilenmoral" bildet die eigenen Glieder de« Ordens zu Männern des reinsten Lebens wandel« heran. Wer in de» Werken jesuitischer Moraltbeologen bewandert ist,wird zwar leicht eine ganze Reihe vonEntschcidungen und Auf fassungen herauSschreiben können, die dieser Behauptung zu widersprechen scheinen und von denen viele auch wirk lich abzuweisen sind. Aber solche Entscheidungen sind Jrrthümcr spitzfindiger Köpfe; eS sind keine Ver irrungen deS Herzen».*) Sic gingen hervor, nicht wie man vielfach behauptet, aus dem Bestreben, den Weg zum Himmel breit und leicht zu machen, sondern au« dem Bestreben, die haarscharfe, ja oft kaum zu erblickende Grenze zwischen moralisch Erlaubtem und Unerlaubtem zu ziehen. AuS solchen Aussprüchen die Moral deS Orten« construircn zu wollen, ist tbvrickt und ungerecht zugleich. Zweiten« erkläre ich, daß auck ich keine Anklagen erbeben will. Ick constatirc nur meine Ueberzeugung. Diese Dar legung wird ja leider tbatsächlich einer Anklage gleichbedeutend sein. Ich bedauere diese tbatsächliche Wirkung; sie ist meiner Absicht gänzlich fremd. Diese ist nur, meine Gründe vor- zulegen, die mich bestimmten, den Orden zu verlassen. Dazu bade ich ein Recht; und weil mein Austritt öffentlich bekannt ist. habe ick auch da« Reckt ans öffentliche Darlegung dieser Gründe. Wenn die objcctive Ausübung diese« Rechte« eine Anklage mit sich führt — ick wiederhole dies nochmal« —, so lasse ich diese Folge bedauernd zu, beabsichtige sie aber nicht. H. Der Jesnttisinn» nntrrtzrückt, ja bis zu einem srwtffru Grad »ernichtet die Lrlbstständiskrit, den Charakter, die Jiidivtdnalititt de» Einzelnen „JesuitiSmnS" steht hier sür da« innere Wesen, das System des Jesuitenordens; „Selbstständigkeit" bezeichnet hier nicht die freie Selbstbestimmung deS äutzeren Handeln«; denn daß diese ganz oder tbeilweise ausgegcbcn werten muß mit dem Eintritt in einen religiösen Orden oder überhaupt in irgend eine Gemeinschaft mit festen Gesetzen, versteht sich von selbst. Unter „Selbstständigkeit" verstehe ick hier die freie Entwickelung de« innern geistigen Menschen. Aus diese Entwickelung, welche zur geistigen Individualität führt *) Wir lassen diese Unterscheidung hier auf sich beruhen. Red. d „L. T." und in selbstständiger Gesinnung, selbstständigem Handeln ich äußert, hat jeder Mensch rin angeborene», unveräußer liches Recht. Ein System, da« dieses Recht antastet, ver greist sich recht eigentlich an einem unveräußerlichen Menschenrecht. Wohl bat daS Cbristcnlhum durch die neuen Erkennt nisse »nd Offenbarungen, die eS der Menschheit brachte, dem Menschcngeist Schranken gesetzt und Wege gewiesen, die er beachten und befolgen muß, aber nur, weil Gott in Christus der Urheber de» Cbristenthum- ist, d. h. weil der böckstc Herr und Schöpfer des Menschen auch das Reckt bat. von seinem Geschöpf Unterordnung de« Verstandes, Trangabc seiner Selbstberrlickkeit zu verlangen. Außer Gott aber und seinen rechtmäßigen, von ihm selbst eingesetzten Organen steht diese Art der Oberberrsckaft Niemand zu Kein Verein, so heilig und edel auch sein Zweck, darf solche Opfer von seinen Gliedern verlangen und noch viel wcniger, darf systematisch solche Srlbstentäiißcrung, solche Selbstentlcerung deS individuellen Geisteslebens bei seinen Gliedern herbeisübren. DaS aber thut der JcsuitiSmuS. Die geistige Individualität de« Menschen äußert sich bauptsäcklick i» dreifacker Richtung: im gewöhnliche» Alltags leben, in wissenschaftlicher und in religiös-asketischer Beziehung. Diese drei Sphären der menschlichen individuellen Selbst ständigkeit werden durch den JcsuitiSmuS nicht nur ersaßt und irgendwie geregelt, gemodelt — dagegen ließe sich ja weiter nichts rinwendcn. indem jede gesellschaftliche Ver einigung mit fest uiusckritbenen Zielen und geregelter Lebensführung in gewisser Weise und bis zu einem gewissen Grad bestimmend aus Denk- und GesinnungSart, aus Inneres und AeußercS ihrer Mitglieder einwirken wird —, sondern der JcsuitiSmuS nivellirt in den an gegebenen drei Richtungen die geistige Selbstständigkeit seiner Glieder, zwingt dieselben in eine alle« umfassende, alle« beherrschende Schablone, läßt sie dadurch verkümmern und nickt zu der ibr naturrcchtlich zustchcndcn Entfaltung gelangen. Dieser widerrcchtlicke Zwang ist uni so wirksamer, ein flußreicher. je weniger er sich kundgicbt durck Gcwaltmaß- rcgeln. Es ist der Wassertropfcn, der den Stein auShöhlt, langsam, aber sicher; sanft, geräuschlos glättet, schleift er, ohne stoßweise zu verletzen. Fast unmerklich, wie von selbst gegeben, bemächtigt sick dieser Zwang desjenigen, der in den Jesuitenorden einlritt; er erfaßt ihn ganz, Leib und Seele, Tag sür Tag, Jahr sür Jahr; begleitet ihn bei allen seinen Handlungen und läßt ihn nicht mehr loS, bis die Umwandelung vollendet, die genannte Selbstständigkeit erstört ist. oder — bis der Betreffende, diesen Zwang als olchcn erkennend, sich ihm frei entzieht. 1) Die Unterdrückung der Individualität im gewöhnlichen Alltagsleben. Jeder menschliche Verein hat da« Recht und, wenn er Bestand haben will, die Pflicht, seinen Mitgliedern gewisse Aeußerlickkciten vorzuschreibtn. Eine Uniform, fei eS nun eine wirkliche von buntem Tuch und blanken Knöpfen, oder eine solche gebildet au» Tagesordnung und LebenSusancen, ist für jede Genossenschaft, dir auf dem Zusammenleben ihrer Glieder ausgebaut ist, notdwendig. Gäbe der Jesuitenorden seinen Mitgliedern nur eine Uniform, die bei aller wünschenswerthen Gleichförmigkeit deS äußeren Auftretens, der äußeren LebenSgeftaltnng doch dem Einzelnen selbstständige Freiheit und Belbätigung der Indi vidualität beläßt, er wäre nicht zu tadeln. Allein er thut mehr; seine Uniform ist — man verzeihe den zu schroff klingenden Ausdruck — eine Zwangsjacke, die dem Princip und de», System nach ;edc freie individualistisch-selbst ständige Bewegung hcnimt und absolut gleichförmig gemodelte Schabloncnmenscken bervorbringen will Ick sage „dem Princip und dem System nach"; denn thatsäcklick gelingt diese völlige Nivelliruna doch nicht. Die Individualität deS Menschen ist als Naturkraft zu stark, zu triebfähig, als daß sic sich ganz unterdrücken ließe. Aber der Fswilletsn. Lady Sibylle. Roma» vo» S. Echrveder. ri»adruck »ert-Ien. Lj (Fortsetzung.) „Ich Hab'« gewagt I" warf er ironisch hin, während er da» Siegel erbrach. Ein süßlicher Heliotropduft wehte ihm entgegen. In seinen, übermäßig verschnörkelten Schriftzüaen stand zu lesen: „Mein Richard, mein einzig Geliebter^ Kannst Du — willst Du mir denn nicht vergeben? O Gott! auch dann nicht, wenn ich Dir schwöre — auf den Knien schwöre, daß ich nie — nie einen Andern geliebt habe als Dich?! Kann man einen Andern lieben als Dich? O wenn Du ahnen könntest, wie Du vor mir stehst — wie groß, wie herrlich! Und nun dieser Herr von Northeim! Weiß Gott — wenn ick mir nicht dir Augen auSweinrn müßte, so würde ick lachen. Richard, sei doch nicht so grausam — so grausam und so thöricht zugleich! Sieh, ich will Dir wahrheitsgetreu erzählen, wie e» kam: E< war eine solche Menschenmenge bei Northeim s, rin solches Gedränge und eine Hitze in den engen Räume» — zum Ersticken. Da schlug er vor, mich ein bischen im Garten spazieren zu führen, and ich nahm seinen Arm und dachte mir nichts daoei. Nun und dann — dann lag der Kahn am Ufer, und aus dem Wasser, meinte er, würde es so köstlich kühl sein, uud — o Richard, war es denn wirklich etwa» so Fürchterliche», daß ich rinstirg und mich eia bischen hinauSrudera ließ von ihm?" Mit einem verächtlichen Zucken der Lippen, mit einem höhnischen Auflachen hin und wieder hatte er so weit gelesen, jetzt aber verzerrte ein WutbauSdruck seine Züge. „Heuchlerin! Schlange!" stieß er durch die zusammea- aebiffcaen Zähne. „Ein bischen binausrudern ließest D» Dich und hernach — ein bischen küssen! E« war nicht» Fürchterliches — o nein! E« war etwa« sehr Spaßhafte« nad Verlockende«. Warum? Weil Dir der Mann gefiel? — Bah! Daß Du Dir aus ibm nicht« machst, brauchst Du nicht zu beschwören. WaS Deinesgleichen reizt, ist die ver botene Frucht. Es war so hübsch dunkel, wo der Mond nicht binschien, aber — ich habe verdammt scharfe Augen!" Seine Finger zuckten, als wollten sic de» Brief zerreißen, allein er zwang sick, weiter zu lesen: „Hatte cö wirklich einen so entsetzlichen Empfang verdient? Gott welch' eine Scene! Die Haare sträuben sich mir, wenn ich daran zurückdenke! Wir traten aus dem Boot, da standest Tu vor uns — wie au» der Erde gewachsen — mit einem Gefickt, so wuthentstclll, ich kannte Dich nicht wieder! Du sagtest nicht viel — gar nickt». Ich sehe nur noch immer Deine Weißen Zähne blinken in der Nacht — an einen Tiger mußte ich denken — cs war schrecklick, aber — eS war sckon! Du packtest den Mann bei beiden Sckultern, Du schütteltest ihn und hobst ihn hock, als wolltest Du ihn in den See hinauSschlrudrrn. DaS Herz wollte mir springen vor Angst, und dann auch wieder war eS mir — zum Lachen. Der kleine, erbärmliche Mensch, wie er zappelte! Ach! Und Tu, Richard, so groß, so gcwalligl Nie — nie batte ich Dich so bewundert, vor Dir hinknien hätte ich mögen, wie vor einem Gott! Und Du — Du glaubst, ich liebe Dick nickt — ick liebe Jenen? Ach! E» ist Tborheit, e» ist Wahnsinn! Richard, wenn Du mir die Treulosigkeit zutraust, den jämmer lich schlechten Geschmack solltest Tu mir nickt Zutrauen Solch' eia Dutzendmensch und Du! Meinst Tu, c» hätte sich etwa« iu mir geregt, als ick hörte, er sei verwundet worden in dem Duell ? Tödten hättest Du ihn können, und mein Herz bärte doch nicht- gefühlt als jubelnde» Frohlocken, weil Du glück lich davongekommrn!" Schaudernd dielt er inne. .Nicht« als jubelnde» Frohlocken", wiederholt« er, „und den Tag vorher batte sie ihn geküßt! DaS ist da» Weib — da« seelenlose Zerrbild von einem Weibe, da« ich geliebt — Wahnsinnig geliebt Hab«! — Und — e» ist nicht, al« ob mir plöblick die Schuppen von den Augen fielen. Ich habe ge wußt, daß nicht» an ihr ist al- eine blendende Hülle — da« ist meine ewige Schande!" Er starrte wieder in den Brief „LirbrSversickerungen", mnrmelt» er» „wiaseladr Bitten um Vergebung — Selbst- morddrobiingen und — zum würdigen Abschlüsse ein thränen- verwischteö Irene!" E» lachte kurz und höhnisch, dann drehte er da« Schrift stück langsam in der Hand herum und betrachtete eS von allen Seilen wie rin Curiosm». „Ein Meisterwerk der Lüge", entschied er, „aber — ha ha ha! — so viel unfreiwillige Aufrichtigkeit dahinter! Einen Vcrrath zu bcmäntcln, legt sie ihren ganzen erbärm lichen Charakter bloß!" Plötzlich stieß sein Auge wieder auf die Worte: „Nickt« als jubelndes Frohlocken", und der Zorn schoß ihm zu Kopse. Den Brief in der Faust zu einem Klumpen ballend, schleuderte er ihn weit von sick. „Teufel i» Frauengestalt!" knirschte er. „Wenn ich jemals wieder in Deine Schlinge liefe, ick wäre ein Elender!" Mit gefaltete» Brauen saß er hierauf eine Zeit lang. Im Geiste vor sich sah er den Mann, den er »n Dunkel verwundet batte. Es war ein ehrliches Duell gewesen, trotzdem, wenn dieser Mann starb — und die Möglichkeit war den letzte» Nackrichtcn zufolge noch immer nicht ganz ausgeschlossen — so war er sein Mörder, denn um eine» solchen Weibe» willen einen Kampf aus Leben und Tod bcrbei- zufübren, war ein Verbrechen. Wen» solch ein Weib Einem die Treue brach, so tankte man seinem guten Stern und ging seiner Wege. In seine finsteren Gedanken sielen belle Kinderstimincn Unwillkürlich verändert« er seine Stellung ein wenig, so daß er den Blick in die Bucht frei bekam. 2. Capitek. Aus einem niedrigen FrlSblock da unten saßen drei goldblonde kleine Mädchen ui verwaschenen Leinenkleidchen. Tic Beine in rothe» Strümpfen waren koch herausgezogcn, denn jede» hielt ans dem Schooß rin Skizzenbuck, da« die Knie stützen mußten Jede» handhabte mit fieberhafter Hast ein Pinselchen, jede« hatte ein Farbenkästcheu neben sich sieben und «inen kleinen Wassrrnaps. E« schien, man malte in Aquarell, und eine schöne Kleckserei mochte es geben, denn so oft eine« dem audern verstohlen in« Buch sah, er scholl laute» Gelächter. „Wie die -Uten sungen, so zwitschern die Jungen", duckte Waldstedt in Bezug auf eine vierte weihlicke Persön lichkeit, die ein bischen abseits auf den Userkicseln saß. Wie alt sie war, konnte er nicht entscheiden, ihr Antlitz verschwand vollständig unter einem riesigen Strandhut au« grobem Strvbgcflecht; sic kehrte ihm auch fast den Nücke». Allein es war etwa« in dem Schnitt ihrer Kleidung und auch etwas in dem Namen „Tante Sibylle", der di» und wieder zu ihr hinüberflog, daß er nicht versucht ward, sie für jung zu halten. Darüber, daß ihr Beispiel den künstlerischen Eifer in den Kleinen geweckt batte, war kein Zweifel, denn sie malte selbst mit großer Emsigkeit. So versunken war sic in ibre Aus gabe. daß sie nur da» Auge Kob, um den Gegenstand ihrer Inspiration — anscheinend den Löwenselsen — zu suchen. Die Fragen ihrer Nicklchen beantwortete sie, odne den Kopf zu wenden, aber so störend sic ibr mitunter kommen mochte», nie ungeduldig, auck nie im belehrenden Tantenton, sondern immer jn der rücksichtsvoll artigen Weise, die man Gleich berechtigten gegenüber herau«kebrt. Die Weise batte etwa« Bornebme» und die Stimme etwas Ungewöhnliches hier zu Lande. Wenn die Töchter AlbionS den Mund austbnn, so zerstören sie nicht selten die Illusionen, die ibre Schönheit geweckt hat. Inwieweit oder ob überhaupt der einheimische Nebel daran schuld ist, weiß ich nicht, sicher ist, sie haben säst auSnaknisloS in der Stimme etwas Raube«, Heitere«, oder auch etwas Scharfe«, Harte«, seelenlos Meckernde«. Wenn „Tante Sibylle" jedoch sprach, so klang eS wie voller Harfcnlon. DaS berührte Waldstedt'« Obr so angenehm, wie die Schönheit de- Kinderklecblatt« sein Auge, »nd weil ibm jede Ablenkung seiner Gedanken willkommen war, so blieb er einstweilen noch sitzen und horchte und blickte hinunter. JndiScrction konnte bei der Sacke nicht sein, denn da« Geplauder, da« deutlich beraufscholl, war gar harmlo«. „Hurrah!" jauchzte eben die mittlere der Kleinen. „Mein Felsen ist fertig! Willst Dn ihn seben, Tante Sibylle?" „Später, Dolly, wenn eS Dir einerlei ist", antwortete der Harsenton. „Tante Sibylle hat schreckliche Eile", erklärte die weis«
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