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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18931030029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893103002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893103002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-10
- Tag1893-10-30
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I» d« HmMtUPedtt»«, Med» i» St«d4. »«ckrk «dd» «»»He» rrrtch—— «»«. oabrftrlle» aba-holt: vierteljährlich^4-S0, bet twetnulltg« tätlicher gvftell»», in« Hau« ^4 «chL Dnrch dft Post bezoqe» für Deutschland «d Oesterreich: viertel,Sbrlich ^4 S.—. Direkt» täglich« streuzbandleudung i»« «u»>aad: »»natlich ^4 7ck0. Die vtorgen-Sn-gab« erscheint täglich'/,? Uhr, di« Abeud-Ausgabe Wochentag« b Uhr. Ledstltilm »d Lr»eVition: J«tzan»e»,,fi« 8. Die Expedition ist Wochentag« »»»»terbroche» geöffnet von früh 8 bi« Abend- ? Uhr. FUi«1e»: vtt« «e»»'« Lurtt«. Mlfrr» Hatz«), Universttät-strah« 1, Laut« Läsche. Katharinenstr. 14. Part, uud Söaig-platz 7. Abend-Ausgabe. 'npMtr.TiWUlltt Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- nnd GeschSftSverkehr. A>KeEgON»Aee^s die Sgespaltme Petitzeile 20 Pfg. Reklame» nntrr de»Redactionsftrich (4aa» Ipalte») üO^, vor den FamiUennachrichk, (6 gespalten) 40 »z. Größer» Schriften laut unserem Preis» verzeichnib. Tabellarischer und Zissausatz nach höherem Tarif. Netra-Beilagen (gefalzt), nur «nit de« Morgen - Äuraab« . ohne Poslbesördernng ^4 60.—, mit Postbesörüeruag ^4 70.-^. ^nnah«rschlv8 für Anzrize»: Abrnd-Au-gabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Sonn- und Festtag- früh '/,9 Uhr. Bet den Filialen und »nuahmeslellea je ein« halb« Stunde früher. Anzeige» find stet« an die Expeditt«» zu richte». Druck und Verlag von L. Polz tu Leipzig. ^ 555. Montag dm 30. October 1893. 87. Jahrgang. Zur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Dienstag, den 31. Oktober, Vormittags nnr bis VrV Uhr geöffnet. Lxpoctltlvn ües I^lprlxer 1'»xedl»ttv8. politische Tagesschau. * Leipzig, SO. October. Der f«kialdcmakr«tische Parteitag, aus den wir noch au« führlicher zurückkommen, ist am Sonnabend von Herrn Singer unter Ausdrücken der herkömmlichen Rcnommage geschlossen worden. Daß der Parteitag der Social demokratie „unzählige neue Recruten gebracht habe", glaubt der Leiter der Versammlung wohl am allerwenigsten. Die Beratbungen waren weder nach Form, noch nach Jnbalt geeignet, eine werbende Kraft auSzuüden. Charakteristisch für diese Versammlung wie sür alle ibre Vorgängerinnen ist die Doppelzüngigkeit, mit welcher die Macchiavelli'« auf den Führerfesseln ihr Volk tractirteu. Heute wird ein Antrag auf mäßige Einschränkung des Parla mentarismus als ketzerisch schroff abgewiesrn, morgen widerfährt dasselbe einem Anträge auf Herbeiführung einer Reichsvcrfichcrung gegen Erwerbslosigkeit. Zn dem einen Fall wird daS Verlangen, vorzugsweise revolutionaire Propa ganda zu treiben, aus die böswillige Gesinnung der „Unab hängigen" zurückgeführt, in dem anderen die Forderung nach positiver Wirksamkeit mit dem Hinweis aus die alleinige Be recktigung der revolntiouairen Propaganda abgelebnt. Vor rnittagS wird der „Unfug radical klingender Redensarten* verdammt, Nachmittags gebrauchen die Herren selbst Au« drücke, wie socialdeniokratischcS Wadclstrümpferthum, klein bürgerliche Beschränktheit u. s. w., und predigen über die Unverletzlichkeit des „PrincipS de- Clafftnkampft«". Und nachdem man dem Götzen de« Opportunismus Hekatomben dargebracht, schließt Herr Singer den Parteitag mit der Redensart: „Unsere Wege zum Ziele müssen immer revolutionaircr werden." Diese diplomatische Behandlung der „Genossen", welche durch die hier und da geflissentlich angebrachte» Grobheiten nicht verschleiert werden konnte, besitzt keine Anziehungskraft. Aber die Massen, die noch gewonnen werden sollen, erfahren ja nur wenig von den Vor gängen aus dem Parteitag und da« Wenige entstellt, weshalb man sich auch von der in Köln wieder zu Tage gelrelenen Uinvahrbastigkeit de« Wesen« der Socialdemokralle keine ausklärende Wirkung versprechen darf. Wa« da« Ber- bältniß der Parteileitung zu der Versammlung betrifft, sc hat unsere Vcrmuthung vollkommene Bestätigung gefunden: da« letzte „Arbciterparlameut" ist n»ch mehr al« die früheren eine ckamdro intronvabls gewesen. Mit einer kleinen Variante paßt aus diese« Parlament der einer bayerischen Abgeordnetenkammer gewidmete Ver«: Was dieser Landtag loll. Da- steht in diesem Reim: Versammelt Euch, sagt Ja Und trollt Euch wieder heim. Nicht einmal der von der bürgerlichen Demokratie de» Alterlhum« wie der Neuzeit bochgehaltene und häufig streng durchgefübrte Grundsatz, die oberste Leitung nicht zu lange in denselben Händen zu belassen, durfte ernstlich di«cutirt werden. Er wurde mit der Bemerkung abaetban, daß da« Praktische über dem Demokratischen stehe. Die Herren Bebel. Singer rc. verblieben in ihren Aemlern, und da Herr Lieb knecht auf dem Berliner Parteitag die Höhe seiue« Gehalte« als socialdemokratischer Redacteur u. A. mit der Noth- wendigkeit begründete, seine Söhne im Interesse der Socialdcmokratie studiren zu lassen, so liegt für einen künftigen Parteitag die thatsächliche Anwendung der erblichen Nachfolge nicht außer dem Bereich der Möglichkeit. Die Frage de« Gewerkschaft-Wesen« ist natürlich gleichfalls conform den „Sympathien" der Parteileitung für diese Bewegung beant wortet worden, und über den Antisemitismus durste au« der „Menge" heran« nicht geredet werden, dem — übrigen« der kritischen Beachtung nicht unwerthen — Bortrag Bebel'« über diesen Gegenstand ließ man «ine Er örterung nicht folgen. Wäre nicht beantragt und be schlossen worden, daß die Rede in den Druck gelegt werden solle, so hätte der junge jüdische „Genosse" Katzensteia nickt einmal Gelegenheit zu der Erklärung gesunden, daß er mit Einzelheiten m der Rede Bebel'« nicht einverstanden sei Wa« den Kölner Parteitag vor seinen Vorgängern unter- schied, war der Umstand, daß er erheblich langweiliger al« jene gewesen ist. Herrn Bebel entging dieser zweifelhafte Vorzug nicht und er glaubte, eine seine« Erachten» unterhaltende Schlußscene kerbeiführen zu sollen, indem er dir angeblich be glaubigte Abschrift eine« Briefe« vorla«, den vr. Miquel al« innger Student in einer durch die Entäuschungen der natio nalen und liberalen Hoffnungen von 1848 derbeigeführten Stimmung im Jahr 1850, also vor 43 Jahren, an Karl Marx gerichtet bat oder haben soll. Der Effect diese« Auf tritt« wäre wohl auch kein nachhaltigerer gewesen, wenn man einen anderen Acteur gewählt Kälte al« Bebel, der in seinen Zugendjabren in katholischen Gesellcnvereinen sür den UltramontaniSmu«, den er eben in Köln heuchlerisch nannte, gewirkt und später einen mit großdeutschen Phrasen ver brämten königlich sächsischen ParticulariSmu« cultivirt hat. Zn Oesterreich dauert die Krisi«, die Graf Taasft mit seinem Wa hlreformentwurfe heraufbesckworeu hat, noch fort. Daß er um seine Entlassung eingekommen ist, ist zweiftllo«. Zn schlimmerer Verlegenheit al« er hat sich wohl noch nie ein Staatsmann befunden, denn noch keiner hat e« fertig gebracht, die drei Parteien, auf die er sich stützen mußte, in die Opposition förmlich bmeinzuzwingen und sie. die einander beständig in den Haaren liegen und nur einig in der Unterstützung de« Minister präsidenten waren, jetzt einig in seiner Bekämpfung zu machen. Aber in nicht viel geringerer Verlegenbrit ist der Monarch, der, abgesehen von seiner persönlichen Vor liebe für den Grafen Taasft, sich keinen Nachfolger denken kann, der e« fertig bringt, ein halbwegs einheitliche« Mini sterium zu bilden, dem die Unterstützung der Mehrheit de» ReichSrath« sicher wäre. Leichter scheint man sich allerdings innerhalb der deutschliberalen, der konservativen und der polnischen Partei die Sache vorzustellen. So sagt die „N Fr. Pr." bezüglich de« Einvernehmen« zwischen Plener, Hohenwart und ZaworSki: „DaS Unerhörte, da« Unglaubliche sängt an Errigniß zu werden. Dir Parteicoalition der Linken mit den Polen und Conftrvativen rückt leibbastig am Hori zont herauf." Die Einmüthigkcit der drei Parteien könne nicht auf die Gegnerschaft gegen dir Wablresorm beschränkt bleiben, sondern müsse sich naturnothwendiz gegen da« Ministerium richten, da« diesen Fcuerbrand in« Parlament geschleudert bade. Eine von der Parteileitung der Linken ausgehende Mittheilung besagt, die wirkliche Entscheidung sei noch nicht gefallen, allein der Zusammenschluß aller österreichisch gesinnten Elemente vollziehe sich von selbst, um einer Politik der un überlegten Elemente ein Ende zu bereiten. Zunächst werde ich die Einigung in einigen taktischen Fragen äußern. E« ei wünschcnSwertb, daß der Proceß zur positiven Beseitigung der parlamentarischen Verhältnisse führe. Wünschenswert!, ist daS allerdings, aber daß e« auch möglich sei, muß erst noch nachgewiesen werden. Al« Epilog zu den Nusftnscstspielen t« Frankreich er scheinen jetzt Telegramme, in denen der Zar und der Präsi dent der Republik einander nicht nur ihre Freundschaft, sondern auch ihre Friedensliebe in tiefer Rührung ver sichern. Lieft diese Telegramme ein Mensch, der sich mit Politik nicht besaßt, so muß er zu der Vermutbung kommen, in Toulon und Pari« sei soeben ein FriedcnSbunv gestiftet worden, der Europa aller Sorgen vor einer Störung de» Friedens durch den Dreibund entbcbe. Andere Leute werden aus diesen Versicherungen nicktS Andere- brrauSIcsrn, als daß der Zar von seinen französischen Freunden ruhige» Blut, geduldiges Abwarten und — HeereSsolge verlangt, wenn er die Stunde zur Realisirung seiner Pläne für gekommen erachtet. Daß er inzwischen mit aller Consequenz dieVorbereitungen trifft, die ihm nöthiz erscheinen, um seinen Wünschen de» gehörigen Nachdruck zu geben, gebt aus einem vom „Russischen Inva liden" veröffentlichten kaiserlichen Erlasse hervor, durch welchen die Bildung von fünfzehn neuen Infanterie Reserve-Brigaden (13 Armee- und 2 kaukasischen) an geordnet wird. Zu diesem Behuse werden von den bestehen den 7l Reserve-Bataillonen 60 in Regimenter zu 2 Bataillonen formirt, waS eine Verstärkung der russischen Reserve Infanterie um sechzig Bataillone bedeutet. Die Stäbe dieser neuen Brigaden erhallen die fortlaufenden Nmnmern von 49 bis inclusive 6l, respective die Benennung 3. und 4. kaukasische Reserve-Brigade, und eS haben dieselben den für Infanterie-Truppen-Divisionen normirten Stand anzu nebmen. Diese Anordnung wie auch die Orckro cln bntLillo dieser Brigaden zeigen, daß diese nur den Namen „Brigaden" führen, in der Tbar aber „Truppen-Divisionen" sind. Bon nun an wird somit da» europäische Rußland Kl Armee Infanterie-Divisionen und der Kaukasus deren 4 besitzen. Im Ganzen werden 63 Infanterie-Truppen-Divisroneu vorhanden sein, die allein zur Dotirnng von 23 ArmrecorpS binreichen. Diese Verstärkung der russische» Reftwetruppen bedeutet einen erheblichen Fortschritt in der Bereitstellung der russischen Feldarmee. Außerdem werden auch alle »och derzeit im Kaukasus befindliche», aus dem europäischen Rußland stammen den HerrcSkörper disponibel, so daß durch ihre Heranziehung an die russische Westgrenze die Aufstellung neuer Armee- corpSvcr bände ermöglicht wird. Die in Frankreich während de» RusientaumelS einiger maßen in den Hintergrund gedrängten Kämpfe zwischen Arbeitern und Arbeitgebern treten jetzt mit voller Schärfe wieder in Erscheinung. Der Streik in den Kohlen gruben des PaS de Calais hat bis jetzt allen Bemühungen ihn friedlich beizulrgen, getrotzt. Seine Fortsetzung wurde dieser Tage von einer Arbeiter-Delegation beschlossen, welcher nur sieben Mitglieder angehörten, die mit Fug und Recht al« Arbeiter bezeichnet werden dürfen. Alle übrigen, 39 an der Zahl, sind Kneipwirthe. ES zeigt diese Tbatsache, daß auch io Frankreich, ähnlich wie bei uns, die sogenannte Arbeiter bewegung in Wabrbeit von Leuten gemacht wird, deren Inter essen mit denen der Arbeiter nicht nur keine Gemeinschaft haben, sondern ihnen in der Regel entgegengesetzt sind. Der Weizen des KncipwirthS blllbt, wenn die Leute, statt ihrer Arbeit nachzugehen, in den Branntweinsckänken sich gegen seitig ausstachcln. Eö ist denn auch kein Wunder, wenn die Grubengesellschaften eS rundweg abgelehnt haben, mit den Knripwirlhen über ihre Arbeiterangelegenheiten zu verhandeln. So lange freilich die Arbeiter fortfahrco, mit Vorliebe de« Bock zum Gärtner zu machen, werden sie kaum auf einen grünen Zweig kommen, in Frankreich so wenig al< anderwärts. In Italien haben bekanntlich die politischen Kämpfe, welche der Eröffnung der Kammcrsession voranzugehen pflegen, mit der s. Zt mitgetbeilten Rede de» Ministerpräsidenten Giolitti in Dronero begonnen. Die Rede wurde, wie da« nicht anders erwartet werden konnte, von der ministeriellen Presse über alle» Maß gelobt, während die Opposition«blätter kein gutes Haar an ihr ließen. Man kann nicht leugneo, daß ft der Kritik Angriffspunkte in große» Anzahl bietet,iu«besoad«re aus dem Gebiete der Finanzpolitik, die ja von jeher da« Schmerzenskind der italienischen Regierungen gewesen ist. Durch enorme Abstriche, namentlich auf dem Gebiete der Heeres« Verwaltung, haben eS die Finanzminister der letzten Jahre aller dings dahin gekrackt, daß derFrhlbetraade« Staatshaushalte« von über 20» Millionen aus etwa 14 Millionen gesunken ist. Aber die zur Deckung diese« Deficit« von Giolitti vorge schlagene Einsührung einer Einkommensteuer widerspricht dem gewodttheitSgemäß von jedem Ministerium aufgestellten Pro gramm: „Keine Anleihe, keine neuen Steuern" vollständig; die von Giolitti angckündigtc Einkommensteuer soll außerdem die Einkoinmc» von mcbr al« 5000 Lire (4000 tressea. sie würde also die bisherige Steuerbevorzugung der Wohl habenden einigermaßen auSgleichen, mithin auch den Berufs politikern Opfer zumntben, die diese kann, zu bringen ge sonnen sind. Man dürfte also wohl nicht sebl gehen mit der Verinntbuiig, daß Giolitti mit seinem Finanz Programm Schiffbruch leiden wird. Der frühere Ministerpräsident Rudini, der Führer der conftrvativen Partei, bat sich denn auch bereit« als evcntuellcn Nachfolger Giolitti'- präsen- tirt, indem er einen Brief an seine Wähler veröffentlichte, der die Politik Giolitti» scharf kritisirt. Und auch auf der Linken erbebt sick gegen Giolitti eine deftige Opposition unter der Fübrung EriSpi'«, der Alle« daran zu setzen ent- schlossen sclwint, sich wieder in den Besitz der Macht zu setze». Wird dock von mancken Seiten die dicht an offene Revolntio» streifende Bewegung der Landarbeiter und da« wieder zu ge» sabrdrobender Blütbe gelangte Räuberunwescn in Swilir» direct aus CriSpi« Ränke zurückgesübrt. Giolitti hat nun »war in einer neuen Rede die Angriffe seiner Redner zu ent kräften versinkt: e« bleibt aber fraglich, ob seine Beredsam keit im Stande sein wird, die in ihren materiellen Interessen bedrohten Abgeordneten unter der Fahne der Regierung zu- sammenzubaltcn. Jedenfalls ist die Lage de» Minister,um« äußerst precär, und e« wird großer Gewandtbeit bedürfe», zwischen den Klippen hindurch zu segeln. Die Meldung von der Schlappe der Ltzanter in Marskka bat in Madrid große Aufregung erzeugt. Vor dem KriegSininisftriu», fanden stürmische Kundgebungen der Volksmenge zu Gnnstcn eine» cntscklosftnen Vorgehen« gegen die Kabylen statt. Die Mensckcnniasftn zogen auch vor den KönigSpalast und riesen: „Nieder mit Marokko! E« lebe die Königin!" In Folge der Berathungen de« MinisterratbeS, zu dem der Führer der Eonscrvativen, Canovaö dcl Castillo, zugezozen wurde, beschloß die Könizin-Regentin, einen Au; ruf an die Bevölkerung zu erlassen, worin die Züchtigung der marokkanischen Stämme, welche der spanischen Fahne eine Unbilde zusügten, versprochen werden soll. Nach dem Minister- ratb begab sich die Königin mir dem jungen König, begleitet vom .Kriegsminister General Lopez Tominguez, Feuilleton. Die quade Foelke. Roman au» der EmSgau. Von F. Klinck-Lütrt-burg. (Fortsetzung.) Nachdruck vrr-otrn. Draußen begegnete ihr Bernd. Auch er hatte eine ruhe lose Nacht verbracht, ruheloser noch als sonst. Er fürchtete den „Tater" doch, wenn er sick anck den Anschein zu geben versucht, al» sei die» nicht der Fall. Die Furcht war eS auch, die ihn die Frage an sie richten ließ: „Wohin?" „In die Stadt", entgegncte sie mit einem Ausdruck in ihrem Gesicht und einem Blick au» ihren Augen, die sein Herz unwillkürlich schneller schlagen ließen. Indem er dem sick eilig rnlsernendtn Mädchen nachsckaute, regte sich in ibm ein Gefühl, da« ihn veranlassen wollte, ihr nackzugeben, uni sie zurück)»- ballen. Er gab demselben nicht Folge. Wenn sie eine Schwäche oder irgend welche Furcht an ihm bemerkte, war er ihr für immer unrettbar verfallen. Ihre Absichten, die sie in Bezug auf seine Person gehegt, hatte er zu», großen Glück noch rechtzeitig durchschaut. Nichtsdestoweniger fühlte er sich im Lauft de« Vormittag« von einer Unrubc beherrscht, die sick nicht bewältigen ließ. Wolberich kam ibm nicht au« dem Sinne. Er crinnerte sich ibrrr Drohungen, nicht zu», ersten Male hatte er in Erfahrung gebracht, daß sie unberechenbarer Handlungen säbig war, selbst wenn solche ihr zum Nacktheit gereichten. Ter Gedanke an die Aeußerungen, welche sie auch wieder am vorhcrgebenden Tage gemacht, quälte ihn unablässig, bi» er gegen Mittag seinen gewohnten Platz in der Schenk« eingenommen, um hier zu vergessen. Wolberich Hevmann kehrte nickt mehr in da« Dorf zurück, und schon am Abend desselben Tage« wurde Bernd Brun« wegen Meineid« gleichfalls verkästet und von einem Gendarm abgrfübrt. Ter unselige, völlig gebrochen scheinende Mann hatte einen jammervollen Anblick gewäbrt. Wilhelm Adam« reiste nach Zandwoort, Foelke von diesem entsetzlichen Vorgang in Keontniß zu setzen, damit sie nicht zufällig davon höre. Tr hatte sich nicht darüber getäuscht, daß die Mittheiluug von demselben sie in große Erregung bringen werde, aber die Wirklichkeit überstieg feine schlimmsten Befürchtungen. Nicht ein Gedanke galt ihrer vollständigen Ehrenrettung, die ihr durch Wolberich Heymann'S Grslänvniß geworden, sondern ihre Seele war erfüllt von dem Elend, da« zwci Menschen, wenn auch durch eigene schwere Schuld, aus sich geladen, und nur mit Mühe gelang e« Wilhelm, sie zu beruhigen. Sie wollte abreisen zu Bernd. Vergessen war all da« Herzeleid, da« sie durch diesen Mann erfahren. Er war ihr Gatte, der Vater ihre« Kinde«. Er befand sich in einem Raum, dessen sie sich noch schaudernd crinnerte, aber nicht wie sie, unschuldig, sondern schuldbeladen, rin Verbrecher, den schwere Strafe ereilen würde. Nur mit Mühe gelang r« Wilhelm, sie zum Bleiben zu bewegen, indem er ihr sagte, daß sie Bernd durch ibr Kommen schwerlich eine Guttbat erweisen werde. Sie könne ihm schreiben und eine Antwort abwarten. Wenn er Verlangen trage, sie zu sebcn und ihre Vergebung zu empfangen, sei e« immer noch Zeit. Ehe Bernd nicht ein solche« ausgesprochen, möge er ihr nicht rathen, den Versuch zu machen, zu ihm zu ge langen. Foelke mußte Wilhelm Recht geben. Sie blieb und schrieb an Benid, sie fragte bei ihm an, ob >dr Kommen ihm Trost bringen werde. Sie erhielt keine Antwort. Um den Frieden, den Foelke kurze Zeit bier genossen, war e« geschehen. Nur da« Abwarten eine« Briefes von Bernd zwang sie zu einem längeren Verweilen. Al- aber acht Tage vergangen waren, ohne daß sie Nachricht empfangen, dünkte sie die Entfernung von dem Orte, wo so Furchtbares geschehen, unerträglich und sie rüstete zur Abreise. Sie mußte Bernd sehen, ihn sprechen, ihm Trost bringen. Fast lastete es aus ibr wie eigene Schuld. Cie suchte überall nach einer solchen »n der Vergangenheit, eS war keine zu finden. Von einem redlichen Willen beseelt, batte sie Alle-, waS in ihrer Macht stand, getban, Bernd » Leben gut zu gestalten. Wenn e» ihr nicht gelungen war, so führten andere Einflüsse ein Scheitern ihrer Pläne herbei. Und doch fanden sür einen Charakter wie derjenige Foelke'« sich immer noch Bedenken »nd Vorwürfe, die schwer aus ibr lasteten. Sie fand tausend Entschuldigungen sür Bernd, ob sie auch von der Furchtbarkeit de« von ihm verübte» Ver brechen« mit Grauen erfüllt war. In der Zeit, während welcher rin ihr unerträglich scheinende- Schicksal aus ihr geruht, hatte doch der heilige Glaube an einen gütigen Gott, der sich ihrer erbarmen werde, wenn Zeit und Stunde ge kommen sei, sic aufrecht erhalten. Und von diesem Gott hatte Bernd sich abgewendct. er war fähig gewesen, mit frecher Stirn einen Meineid über seine Lippen zu bringen, um — sie zu vernickle». Wer konnte ihm diele Schandtkat ver geben? Sie mußte zu ihm — seine Seele retten. Vielleicht war er gebrochen und eine» Beistände« bedürftig. WaS sie nach reiflicher Ucberlegung dem i» gesickerter Lebenslage Befindlichen gegenüber balle zur AnSsübrung bringen wollen, dünkte sie jetzt eine Unmöglichkeit. Er war ein Unglücklicher — Ver lorener, den sie vielleicht noch retten konnte. Nur für Wolberich Hevmann wollte sich anfang« keine Stimme in ibr regen. Heiß drängte bei dem Gedanken an diese« Mädchen da« Blut sich in ihre Wangen. Dasselbe hatte sic mit eincin unbegreiflichen glühenden Haß verfolgt, während sic allzeit eifrig bemüht gewesen war, c« gegen berechtigte und unberechtigte Angriffe zu vertbeidigen. Grundlos drängte sie sich verderbenbringend aus ihren ruhigen Lebensweg. Wenn sie büßte, so batte sie ihre Straft zweiftllo« verdient, und sie würde auf lange Zeit hinan« verhindert sein, ihre Bosheit auSzuüben. Aber die Straft würde eine sehr schwere sein, und dieser eine Gedanke reichte au«, Foelke milder gegen ihre Gegnerin zu stimnien. Sic mußte auch der alten Pflegeeltern Wolberich» gedenken, die in redlicher Arbeit durch da» Leben sich gerungen, und nun am Abend desselben für ein Mitleid büßten, da« sie einem hilflosen Kinde entgcgengebracht. Wo war da Ge- rechtigkcil? Nur mit Müde gelang c« der jungen Frau, sich finsterer Betrachtungen zu erwehren. Sie kebrte nach St. zurück. Die HauSwirthin trat ibr freudestrahlend entgegen, sie z» beglückwünschen. Schon am folgenden Tage kam auch der alte Doctor, um seine Genug thuunq aiiSzusprechen, daß e« so gekommen. „Ich Hab« mir gedacht — genau so. Wer dem Teufel einen Finger reicht, dem nimmt er gleich die ganze Hand Lumm genug, daß der Bernd mit diesem Teufel sich ein gelassen. denn ein solcher ist der „Tater" immer gewesen. Du aber siebst noch nicht aut au«, Foelke. Besser hättest Du freilich geida», wenn Du diesem Schauplatz fern geblieben wärest, bi« Alle- au« und vorbei war. Lange kann « ja nicht dauern, die müssen nun schon d ran glauben" „Giebt e» keinen Au«weg, Onkel Doctor?" fragte Foelke in müdem Tone. Der alte Mann sah sie verwundert an, indem er weit di« Auge» ansriß. „Einen Ausweg? Wie meinst Du? Da« wäre noch schöner« wenn e« für den Meineid einen Ausweg gäbe, um der Strafe zu entkommen. Nein, Gott sei Dank: Für diesen Fall giebt eS nur eine Gerechtigkeit, da» Zuchtbaus." Foelke schauderte, während der alte Doctor fortfuhr: „Ob der Bernd seine Straft, die seiner wartet, antreten wird, siebt freilich aus einem anderen Blatte. Die veränderte Lebensweise wird ibn zu Grunde richten. DaS gänzliche Ent sagen de« Branntweins kann sein Körper schwerlich auSbalten. Ich möchte ikni ein vorzeitiges Ende als AuSgang wünschen — auch um Deinetwillen, Foelke. So lange er lebt, kommst Du nickt zur Rübe, sein Tod wäre die einzige, richtige Lösung, nur em solcher würbe Dick vor weiteren Consticten schützen. Ich kann mich beinahe darüber ärgern, daß einem so feste» Cbaraktcr wie dem Deinen dieser Hökegrad von Mitleid« je von HcrzenSschwäcke beigegebcn ist. Hier hat man Dir zu freien Spielraum gelassen." Alle», wa- Foelke in diesen Tagen hörte, war nur dazu angetban, ikrc Seelenangst zu steigern, eS kamen Augenblicke, in welchen sic abermals bachle, der ibr zuertbcilten schweren Ausgabe nicht gewachsen zu sein. Voll Unruhe wartete sie aus eine Nachricht von Bernd, DaS, was ibr der alte Doctor gesagt, erfüllte sic mit unheimlichen Vorstellungen von dem Zustand, in welchem Bernd sich befinden mochte. Die Vorstellungen, welche Foelke sich machte, entsprachen nicht der Wirklichkeil, wenigstens nickt bezüglich von Oualen der Reue, die seiner sich bemächtigt. Bernd hatte nur ansang« seine Fasst»»» verloren gcbabl, die Größe der Gefahr, »n welcher er schwebte, gab ibm eine» Muth, dessen er sich bei seiner geschwächte» Körperkrast-selbst kaum »och fähig gehalten. Er war empört gegen sich selber, daß er nicht gleich von An- sang an sestcr und entschiedener geleugnet Ader er glaubte nicht« verloren. Wa« konnte da« Zeugnis Wolberich « ihm schaden? Tnrch ibre Anzeige von dem wahren Sachverhalt batte sie selbst sich de« Verbrechen«, einen Meineid begangen zu baben, schuldig bekannt Sein Wort galt so viel als da« ihre, gewiß noch ein gut Theil mehr. Und einen Zeugen sür ibre Au«sage würde di« schwarze Wolberich nicht beibringcn können. (Fortsetzung folgt.)
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