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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.02.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970208028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897020802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897020802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-08
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Daß der von der freisinnigen Voltspartei deS ReichSlagS an den Proceß Leüert-Lützow geknüpfte An trag, der Reichskanzler möge bei den preußischen Behörden dafür Sorge tragen, daß gehässige Angriffe gegen Hobe Reichsbcamte von Mitgliedern der politischen Polizei nicht wieder ausgeüdt werden, hauptsächlich den Zweck verfolgte, die wegen der Handelsverträge zwischen den Conservaliven und der Reich srcgierung herrschende Spannung zu ver schärfen und zu einem Conflicte zu steigern, war schon am Freitag zu Tage getreten. Den überzeugendsten Beweis erbrachte aber am Sonnabend Herr Eugen Richter, als er vor der Abstimmung den Antrag zurückzog, weil dieser „seinen Zweck erfüllt habe". Hätte er wirklich den Zweck gehabt, den Reichskanzler zu einer Einwirkung aus die preußischen Behörden zu veranlassen, so hätte die am Freitag vom Fürsten Hohenlohe crtheiltc Antwort Herrn Richter überzeugen müssen, daß dieser Zweck nicht erfüllt worden sei. Den andern und hauptsächlichen Zweck als erfüllt zu bezeichnen, hatte Herr Richter freilich auch keine Ur sache; denn zu einem besonders scharfen Zusammen stöße zwischen den Conservativen und dem Staalssecretair v. Marschall ist es nicht gekommen. Am Sonnabend sprach von den Deutschconscrvativen überhaupt kein Mensch mehr über den Proceß Leckert-Lützow, und die freiconservativcn Redner^ denen der nationalliberale Abg. I)i. Friedberg sich anschloß, acccptirten die Erklärung des StaatssecretairS, daß >r durch einen socialdcmokratischen EnthüilungSplan in eine Zwangslage versetzt worden sei. Der ganze „Erfolg" des votksparlcilichen Vorstoßes ist also der, daß Staalssecretair v. Marsckall durch zwei Dcbattentage erfahren hat, daß die „Flucht in die Oeffentlickkeit" als ständige Praxis auf der ganzen Rechten und in der Mitte- des Hauses keinen Verlheidiger findet, in diesem besonderen Falle aber als Folge einer Zwangslage entschuldigt und jedenfalls nicht als Grund für eine Verschärfung wirthschasksxolitischer Gegensätze an gesehen wird. ^Vas über den proceß Lcuert-Liitzolv noch zu sagen ist und was besonders der preußische Minister des Innern zu thun haben wird, um die Wiederholung von Vor gängen abzuschneidcn, wie sie durch de» Proceß zu Tage ge bracht worden sind, wird wahrscheinlich heute im Ab geordnetenhaus«: zur Sprache gebracht werden. Was im Reichstage am Sonnabend zur Ausfüllung der Debatte dienen mußte, stand mit dem Hauplgegenstande der Tagesordnung nur in lockerem Zusammenhänge. Am beuierkenswerthesten war der gereizte Ton, den der Centrums redner vi. Lieber gegen den Grafen Mirbach anschlug, der am Freitag eine allerdings nicht tactvolle Anspielung auf die Schwerhörigkeit des Präsidenten Bnol gemacht hatte. Der Abg. v. Levetzow, der zum ersten Male seit seinem Rück tritt vom Präsidium das Wort ergriff, bemühte sich vergebens, den grollenden Centrumsmann zu besänftigen; dieser scheint sehr kampfeslustig zu sein, und wenn er die Absicht hegen sollte, in den nächsten Sitzungstagen abermals auf die Polen- frage zuiückzukommen und sich zur Vertheidigung der reichS- und staatsfeindlichen polnischen Agitatoren aufzuwersen, so wird es ihm hoffentlich an schneidigen Gegnern auch auf conservativer Seite nicht fehlen. Wenn man unter Streik einen Zustand versteht, bei dem die nöthiae Arbeit nicht geleistet wird, so war der Ausstand »er' Hamburger Hafenarbeiter längst beendigt, als am Sonn abend sein formeller Abschluß herbeigefübrt wurde. Es batte kein Mangel au Arbeitern mehr geherrscht. Das mit schänd licher Gewissenlosigkeit begonnene Unternehmen der social demokratischen Parteileitung ist gänzlich fehlgeschlagen, nach dem es über achtzig Tage gedauert, dem deutschen Handel unberechenbaren Schaden zugesüat und zahlreiche Arbeiter familien in eine wirthschaftliche Zerrüttung gestürzt bat, die noch lange anhalten wird. Einen ökonomischen Ausgangs punkt hat dieser Ausstand nicht gehabt, er war kein Lohn- kampf, kein Kampf um sonstige Arbeitsbedingungen, sondern ein Kampf, in dem sich die Socialdemokralie der Arbeiter zu bedienen versuchte, um diesen und dem Bürgerthum ihre Macht zu zeigen. Was in Hamburg, wenn auch nur zum Theile, gelungen wäre, würde im ganzen Reiche wiederholt worden sein; man glaubte endlich den Anspruch durchsetzen zu können, daß Niemand ar beiten und Niemand Arbeiter beschäftigen dürfe, ohne daß die Herren Singer und Genossen ihre Genehmigung dazu ertheilt hätten. Dieser rein politische Plan der deutschen Socialdemotratie wurde von England aus unterstützt, bier allerdings aus dem rein geschäftlichen Grunde, dem Wett bewerb der deutschen Arbeit einen vielleicht tödtlichen Schlag zu versetzen. Der Ursprung des Streiks und alle seine Phasen sind erst kürzlich wieder im „Leipz. Tagebl." von einem an Ort und Stelle die Vorgänge Beobachtenden dargestellt worden. Wir brauchen nicht darauf zurückzukommen. Nur daran sei erinnert, daß die Anstifter des Ausstandes durch die ausge sucht verletzende Art, wie sie ihn androhen ließen, und späterhin durch die Zusammensetzung eines von ihnen angebotenen Schiedsgerichts aus nicht znm Hafenarbeiterstande ge hörigen socialdemokratischen Führern deutlich verrathen haben, daß sie den Streit um keinen Preis vermieden wissen und ihn nicht in einem verhältnißmäßig früheren Stadium beendet sehen wollten. Auch die unausgesetzt den Arbeitgebern ins Gesicht geschleuderten Beleidigungen deuteten auf die Absicht, eine den Frieden ausschließenoe Er bitterung zu erzeugen. Die Erregung, die Verlängerung und Verbitterung deS Kampfes hat also die Sociatdemötratic meisterhaft verstanden, sonst ist ihr nichts gelungen und sie hat sich denn auch schon vor einiger Zeit, von dem Götterrechtc, die in Verschuldung getriebenen Armen der Pein zu überlassen, Gebrauch machend, tatsächlich zurück gezogen. Einigen Vortheil wird die Umsturzpartei aus der von solchen Kämpfen zurückbleibenden Erbitterung ja ziehen, ihre Führer selbst zeigen sich jedoch von dem Bewußtsein, eine schwere Niederlage erlitten zu haben, und von der Befürch tung gedrückt, der ihnen aus der gewachsenen Einsicht der Arbeiter in die Erwerbsbedwgungen erwachsende Schaden werde den Nutzen überwiegen. Diese Gemüthsverfaffung vermag der „Vorwärts" auch hinter einem von ihm aufgelhürmten Chim- borasso von Unwahrheiten und Schimpfreden nicht zu verbergen. Das Centralorgan der Partei ist so völlig fassungslos, daß es, die neuerdings eingeschärfte Taktik vergessend, wieder ein mal die Pariser Commune verherrlicht und auch sonst Material liefert, welches die National-Socialen ganz gewiß nicht zur Begründung ihrer Auffassung von der Social- demotratie als einer dem gewaltsamen Umsturz abholden Partei benutzen werden. Es ist überflüssig, auf die Wutbausbrüche des Blattes einzugehen. Nur eine Frage. Der „Vorwärts" malt die Hamburger Arbeitgeber, wie sie „bei Austern und Champagner", „die goldne Uhr in der Hand", abwarten, bis die Streikenden dem Hunger erliege». Haben etwa die sociatdemokralischen Partei-Herren, die Singer, die AarvnS, die Bebet u. s. w. während dieses Hungcrzustandes, den sie kalten Blutes berbeigeführt haben, ihre Lebensweise einge schränkt? Man bat in Berlin nichts davon gesehen oder gehört, und daß der Genuß von Austern und Cham pagner den Proletariern an der Spitze der Socialdemotratie so wenig fremd ist wie der Besitz von goldenen Uhren, ist doch sehr wohl bekannt. Wir wollen einmal sehen, ob die Nachwehen des Hamburger Streiks im künftigen Sommer die Zahl der Badereisen und Villegiaturen dieser Herren — sie besitzen ja auch schon zu einem beträchtlichen Theil ihre eigenen Lnsthäuser — herabmindern werden. Dieser Punct ist wund und nochmunder ist der „internationale". Der „Vor wärts" schreit am Schlüsse seines Hetzartikcls, um sich Muth zu machen: „Hoch die Socialdemokralie!" Das „international" blieb diesmal weg, mit der „Vereinigung der Proletarier aller Länder" ist angesichts des Hamburger Streiks nicht mehr Staat zu machen, als nach dem Empfang in Lille und — dem Londoner Congreß. WaS haben denn die englischen „Genossen" für die Hamburger gethan, nachdem sie ihren Tom Mann entsandt hatten, um vie Berliner Parteileitung bei der Heraufbeschwörung des Streits zu unter stützen? Ganze 32 000 ^ sind in England aufgebracht worden. Die Arbeitscottegen der Hamburger Ausständischen, die Londoner Dockarbeiter und Seeleute, die in ihren beiden Verbänden '»0 000 Mitglieder zählen, haben in einem Viertel jahr 3000 geschickt. An den von Hamburg kommenden Schiffen ist in englischen Häfen so gut Gelb verdient worden wie an allen anderen, der Zuzug englischer Streikbrecher nach Hamburg blieb ungestört und die Leiter der englischen Gewerkschaften haben nicht einmal einen Wochenbeitrag für die ihnen die Kastanien aus deni Feuer holenden deutschen „Brüder" ausgeschrieben. „Mit der goldenen Uhr in der Hand" und vielleicht bei lullt' null ball statt des Champagners und der Austern haben die reich dolirlen englischen Arbeiterführer das Erlöschen des Streites abgewartet. Die „Solidarität" hat sich wieder als das gezeigt, was sie ist: eine Lüge im Munde der deutschen socialdemokratischen Arbeiterbethörer. Diese Lehre des Streiks, weil allzu eindringlich gepredigt, wird der Wind nicht so leicht verwehen, zuickal da die Hamburger Arbeit geber — ihre Anregung, einen ArbeitSinspector für den Hafen zu ernennen, bürgt dafür — der Socialdemotratie nicht den Gefallen erweisen und, wie der „Vorwärts" in Aussicht stellt, „die Racke der Sieger" nehmen werden. Das wäre ja den geschlagenen Führern sehr erwünscht, und vielleicht waren die neuesten Unruhen, die den Actschluß des Streiks begleiteten, bestimmt, das vermißte Rachegefühl zu erwecken. Auf Kreta hat die Lage noch nichts von ihrem acuten Charakter verloren. Unter den Mündungen der europäischen Marinegeschütze dauert der erbitterte Kampf zwischen Christen und Muhamedanern fort, und die fremden Schiffe haben bisher nichts thun können, als die zu Tausenden flüchtenden Christen an Bord zu nehmen und in Sicherheit zu bringen. Ueber einen Löschungsversuch bei neuen Aus brüchen blutiger Wirren haben die Mächte offenbar noch keine Vereinbarung getroffen, eS müßte denn die negative sein, daß keine Macht einzeln, sondern nur in Gemeinschaft mit den übrigen Vorgehen darf. Ueber die Art eines eventuellen gemeinsamen Eingreifens aber ist anscheinend nichts verabredet, und es sieht auch nicht so auS, als ob es zu einem solchen kommen sollte. Geschieht aber durch die Gesammtheit der Mächte nicht mehr, als was zum Schutze der Europäer nöthig ist, so sind nur zwei Möglichkeiten denkbar: entweder läßt man den Brand sich selbst verzehren, d. h. Mobamedaner und Cbristen sich gegenseitig so lange abschlachten, bis beide Theile völlig aufgerieben und erschöpft sind, oder aber inan muß das isolirte Vorgehen einer Macht allen Vereinbarungen zum Trotz gewärtigen. Griechenland, hinter dem. wie man weiß, England steht — dies geht auch wieder aus dem Fraternisiren der englischen und griechischen Schiffe in Kanea hervor —, ist schon lange der Absicht verdächtig, ein tn.it rweomi'Ii zu schaffen, indem es mit einem Handstreich der Insel sich bemächtigt. Ob es diesmal wirklich Ernst machen wird ? In Athen herrscht fieberhafte Erregung, der Minister des Aeußcrn und der Marineminister batten eine lange Unterredung mit dem König, in verschiedenen Provinzstädten finden Volksversammlungen statt, in denen Adressen an die Regierung beschlossen werden, welche ihre thatkräftige, zielbewußte Politik begrüßen und sie zu entschlossenem Vorgeben anseuern, zahlreiche Depeschen aus der Provinz bezeugen die Begeisterung der Bevölkerung für die Vereinigung Kretas mit Griechen land. die Empfänge der Gesandtschaften in Athen sine ein gestellt, der Commandant des nach Kreta entsendeten griechischen Geschwaders hat in Milo zu eröffnende Befeble erhalten, nach welchen das Geschwader im Falle von U» ruhen in Retimo und Hcratleion dort die griechische Flagge zu zeigen hätte, und die griechischen Schiffe baden bei ihrer Ankunft im Hasen von Kanea die türkische Flagge in der üblicken Weise durch Kanoncnsalut zu grüßen unterlassen, angeblich um zu vermeiden, daß durch die Schüsse Unruben hervorgerufen werden! Altes das läßt sich sehr kriegerisch an, und daran ändert auch der Umstand nichts, daß der griechische Gesandte in Kvnstantinopel über die Entsendung der Schiffe nach Kreta der Pforte „Aufklärung" zu geben beauftragt worden ist. Wie ernst die Lage, namentlich wegen der Haltung Griechenlands, aufgesaßt wird, zeigt ein Artikel des „Wiener Fremdenblattes" vom 7. Februar: Das osficiöse Blatt stellt in einer Besprechung der jüngsten Er eignisse aus Kreta fest, die europäische Rcformaction in der Türkei sei von Seiten aller Mächte mit der grundlegenden Erklärung ein geleitet worden, den Status guo aufrecht zn erhalten; somit könnten die in entgegengesetzter Richtung sich bewegenden Bestrebungen nicht aus die Begünstigung Europas rechnen. Ein Versuch Griechenlands, die kretische Frage im Sinne seiner Radikalen zu behandeln, würde seine Stammesgenossen aus Kreta in die äußerste Gefahr stürzen. So nahe auch Griechenland von den Ereignissen berührt werde, so müsse es doch aus vielen Gründen rüstiges Blut bewahren. Das eingeleitete Reformwerk könne nicht als durch die jüngsten Katastrophen vereitelt angesehen werden. Jene Lösung der kretischen Frage, mit welcher sich eine ungesteure Majorität der Bevölkerung der Insel einverstanden erkläre, müsse trotzdem in die Praxis umgejetzt werden. Wie weit das jetzt noch möglich ist, wird freilich nicht gesagt. Zunächst wird cS sich darum handeln, daß die Mächte einen Handstreich Griechenlands verhindern. Was weiter zu geschehen hat, liegt noch im Dunkeln. Die Wahr scheinlichkeit eines katastrophenartigen Ausgangs der Orientkrise tritt aber immer mehr hervor, und man muß entschieden damit rechnen. Das Grundübel liegt in der gegenwärtigen Regierung der Pforte, die kein ehrliches Spie^ In -er Irre. 5j Novelle von M. v. Oertzen. NaLvruck vnvoien. Resa wurde beiter. Der Mann, der halb wie ein Pfarrer und halb wie ein „Verschworener" aussah und aller fünf Minuten gleichsam aus dem Tode zu erwachen schien, setzte sie in Erstaunen. „Ich komme von Burg Horst. Wir bewohne» dort die alte Ruine." Adalhart legte das Messer fort. „Erlauben Sie . . . waS bewohnen Sie?" „Die Ruine. Mein Großvater ließ sie ausbauen." „Das ist sehr interessant", sagte Adalhart. „Wahr scheinlich ein historischer Platz. Ah, ja . .. Willow-Willowen" — er wurde lebhaft und wandte sich Resa zu — „in der unterirdischen Capelle, die vormals als Gruft diente, muß laut Urkunde la, deren Abschrift wir im Archiv besitzen, das uralte Wappen der Willowen in die Mauer gehauen sein —" „Ganz recht, in unserem Keller", sprach Resa. „Ich werde morgen gründlich nächteten", sagte er. „Gewiß, gründlich", dachte Resa. „Dieser Mann ist sicher erschreckend gründlich!" Nack einer Pause, während deren Adalhart stumm vor sich hin gebrütet hatte, bot er Resa Wein an. „Ich fürchte —" „WaS, Sie fürchten?" „Daß ich «in sehr unaufmerksamer Cavalirr bin. Ich sehe es nie, wenn meiner Dame etwas fehlt — ich habe nicht den glücklichen Instinkt — auch dafür nicht, herauszusinden, was sie inlrrrssirt. Worüber möchten Sie am liebste» sprechen?" „Ich sitze gern still... in einer lärmenden Gesellschaft. Man kau» so gut Nachdenken; das Gewirr der Stimmen trägt mich angenehm, wie MeereSbrausrn oder das Rauschen nn Walde. Zu Hause denke ich.auf dem Dache nach — da rauscht immer der Wind." „und worüber denken Sie nach?" „Worüber!" Wieder lächelte Resa. „Oh, entschuldigen Sie! Das war eine thörichte Frage, nicht wahr?" In dem Raume war Stille rmgetreten Adalhart bemerkte es nicht. „Ick verkehre sehr selten mit jungen Mädchen", sprach er, „und gehe fast nie aus. Meine Arbeit verträgt keine Unterbrechung und —" Resa erröthele. „Nämlich — Ibr Vetter wird Ihnen erzählt haben, daß —" Resa legte flüchtig einen Finger auf den Mund. Flüchtig, doch bedeutungsvoll. Adalhart unterbrach sich ver wirrt, zust zur rechten Zeit, um noch den Schluß der kleinen Rede zu vernehmen, die Julian seinen Gästen weihte. Ironische Blicke wandelten zu dem Missethäter hinüber, der, verzweislungsvolt den Kopf schüttelnd, sich zu Resa berabbeugte. „Sie sehen, ich bin wirklich ein sehr ungeschickter Mensch. Aber eS schadet nichts . . ." „Er hat Augen wie ein PriSma, in dem sich alle Farben spielen", dachte Resa. „Ob man sich wohl vor ihm fürchten muß?" „Ich glaube, man erhebt sich", sagte er milde. Und wieder ging es in langer Reihe durch den Corridor in den heißen Salon. Dort angelanzt, kam Larinsky, elegant bei jedem Schritt den Oberkörper vorbiegend — eigentlich eine ununterbrochene Folge von kleinen Verbeugungen — auf Resa zu. Bis jetzt hatte er May den Hof gemacht und daher seine Geschosse ziemlich verbraucht. Er lächelte nur verbindlich und beobachtete ein vielsagendes Schweigen. Resa fühlte unbequem, daß sem Blick auf ihr ruhte — bald offen, bald verstohlen. Sie wollte sich zu Avalhart wenden, aber er hatte sich entfernt und stand in einer Ecke, ganz in Gedanken versunken. „Wo ist Julian?" fragte Mao im Vorübergehen. Es war ihre Gewohnheit, sehr oft zu fragen: „wo ist Julian?" ohne eine Antwort zu heischen; doch Resa übernahm eS, ihn zu suchen. Sie öffnete viele Thüren vergebens, bis sie ihn in einem schmalen Hinterzimmer fand, am Fenster stehend. Das Zimmer war sehr spärlich mit Gegenständen möblirt, die man offenbar nirgend- sonst brauchen konnte. Ein schwarzes, lederbezogene- Sopha, dessen Polsterung durch trampelnde Kinderfüße stark gelitten batte, ein brauner Schrank, der ein Potpourri der verschiedensten Stile bot, ein alter, polirter Secretair und ein Bügeltisch. Alles die« hatte Julian'S Mutter gekört. „May fragte nach Dir", sprach Resa. Julian schrak zusammen. „Ah — ich danke Dir, Reja — mack' die Thur zu —" . Er warf sich aus- Sopba und strich mit der Hand über die Stirn. Schon als Junge pflegte er das zu thun, wenn er sehr, sehr müde war. „Ich habe mich nur etwas zurückgezogen; aus wenige Minuten. Heute früh war ich bereits um fünf Uyr unter wegs — jetzt ist es bald Mitternacht — und die vielen Menschen —" „Warum hast Du sie eingeladen? Geht das immer so bei Euch? Wie hältst Du es aus?" „May ist sehr gesellig. Man hat ja auch Ver pflichtungen —" „Sich zu Tode zu amüsiren?" „Vielleicht, ja." Resa seufzte. Julian'S Art zu sprechen, hatte etwas so Wegwerfendes, Muthloses — „Daß ist Tyrannei!" rief Resa. „Warum taffen die Leute Euch nicht in Frieden?" Julian lachte kurz. „Die Leute... ?" Resa schwieg. Die alte Freundschaft übertam sie. „Julian", sagte sie nach einer Weile, „erinnerst Du Dich, wie wir uns vor Jahren Deine Häuslichkeit ausmalten, als wir Kinder waren ? „Wenn ich eine Frau habe?" Das war Dein stolzestes Wort. Am Tage, sprachst Du, werde ich meinem Könige dienen und sie wird am Fenster sitzen und spinnen und auf mich warten; dann, kehre ich müde und heiß heim, so wird sie mir einen kühlen Trunk credenzen und wir werden von Allem plaudern, waS in der weiten Welt geschab, bis die Sonne untergeht. Und dann schweigen wir und fühlen nur, daß wir beisammen sind!... So redetest Du, Julian — und warum kann es nicht so sein?" „Warum? Wir haben unS damals Manches auSgcmalt. Es giebt keine Spinnräder mehr, Resa, außer in den Bauern stuben —" „Und das meiniae?" „Das deinige begeisterte mich Wohl damals zu jenem Traum — doch, lang ist « her!" sagte er und ging zur Thür. Resa folgte ihm in den überfüllten Salon . . . May saß auf dem Clavierstuhl und hörte mit un vergleichlichen, Ernste eine Auseinandersetzung Adathart's über da- Wappen Derer v. Willow mit an. Sie hatte längst vergessen, daß sie nack Julian gefragt. Sie verbarg ein leises Gähnen hinter dem Fächer und lächelte dennoch jedem «bschiednehmendrn bedauernd zu: „Sie wollen schon gehen? Es ist noch so früh!" LarinSty verbeugte sich sehr tief vor Resa. „Ihre Frau Cousine bat mir gestattet, zuweilen den Tbee bei ibr ein zunehmen — auch ich interessire mich für Burg Horst, wie mein Freund Adalhart, noch mehr aber für das schöne Burgfräulein Marie Theresa, daS im siebzehnten Jahrhundert dort gelebt — und heute noch lebt —" Resa verstand ihn nicht. „Heute noch —?" „Ihre Geschichte ist in dem Werke verzeichnet, das ich vorher erwähnte", sagte Adalbart's gemessene Stimme hinter ihr. „Ich werde sie hervorsuchen." LarinSty lächelte ironisch und trat zurück. Nur Eine batte dies kurze Gespräch mit angebört, außer Resa — Resa's Mutter. Und sie merkte es sich, Wort für Wort, und sah Larinsky sehr genau an. „Was ist das für eine Familie, die Larinskys?" fragte sie ihren Neffe» beiläufig. „Oh, alter, polnischer Adel — sehr reich — schöne teilt: sinnige stolze Leute —" warf Julian hin. Frau v. Willow war befriedigt. Endlich war man allein. May debnte die Arme und nahm Bobby, der sich nun bervorwagte, auf den Schoß. „Ab — Adalhart war wieder einzig —" „Hat er Dich zu Tisch geführt, Resa?" fragte Frau v. Willow ärgerlich. „Ja." „Warum nicht LarinSty?" „Es ist mir gleickgiltig, wer mich führt." „Es soll Dir aber nicht gleichgiltig sein — da haben wir's wieder —" Bobby schnappte wülbend nach Julian s Hand, die ihn von May's Schoß auf den Boden befördern wollte. „Laß doch da- arme Thier in Ruhe" sagte May. „Du quälst ihn fortwährend und wunderst Dich, wenn er unartig wird." „Wo habt Ihr den Hund her ?" fragte Frau v. Willow „Papa bat ihn mir geschenkt. Die Brooks — meine Stiefmama. wollt' ich sagen — konnte ihn nickt leiden. Uni ,hn loSzuwerden, bat Pappa mich, ihn aufzunrhmen." „Ich muß morgen um sechs Uhr auf dem Etdinger Felde sein" sagte Julian. ° Da zogen Frau v. Willow und Resa sich zurück. V. Frau v. Willow « Geschenk an ihre Tochter vor der Ab reise bestand auS einem Hundert Visitenkarten: „Marie Theresa v. Willow". „Der Name bat »inen guten Klang. Abkürzungen ge.
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