Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.02.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970210028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897021002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897021002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-10
- Monat1897-02
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis i» der Hauptexprdition oder den im Stadt, bezirk »nd den Vororten errichteten Aus« gabestellen ab geholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Han« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandlendung iu» Ausland: monatlich 7.S0. Di« Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abrnd-dlusgabr Wochentags um 5 Uhr. NeLaction «nd Erve-Mon: Johannes-offe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktto klemm's Sortim. (Alsred Hahn), Universitätsstraße 3 (Pantinum), Louis Lösche» Aatharinenstr. 14, Part, und AönigsplaU 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nokizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigerr-Prei- " Ve «gespaltene Petitzeile SO Psg. Reklamen unter dem Redartivnestrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis« vrrzeichnitz. Tabellarischer uud Atffernsa, nach höherem Tarif. Extra-Bella««, (gefalzt), nur mit dev Morgen«Ausgabe, ohne PostbefSrderang 60.—, mit Postbesörderung ^ 70.—. Junahmeschluß s»r innigen: ?lbend»Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je »in» halbe Stunde frätzar. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig. 7t. Mittwoch den 10. Februar 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 10. Februar. In Hamburg haben sich, wie der Telegraph gemeldet hat, am Montag die Straßenkrawaile vom Sonnabend wiederholt. Das „Wolff'sche Telegraphen-Bureau" spricht in seiner Meldung vom „Pöbel" als dem Urheber der Unruhen, und auch sonst würde man nicht nothwendig zu der Ver- mnthung gelangen müssen, daß eS sich um directe Anstiftung durch sociaidemokratische Agitatoren zweiten oder dritten Ranges gehandelt habe, wenn nicht der „Vor- wärts" den Vorgang so darstellte, als ob die Schutzleute an gefangen hätten. Das ist verdächtig. Die inbirccte Anstiftung, nämlich durch die sociaidemokratische Presse, läßt sich wenigstens für die Tumulte am Montag ohnehin nickt in Abrede stellen. Von erregten Menschen, die gewohnt sind, auf die Stimmen der socialdemokratischen Führer zu Horen, kann es nicht im Geringsten befremden, wenn sie unter dem Einfluß des von uns bereits erwähnten, das Blut vergießen verherrlichenden Artikels deS „Vorwärts" nun auch Blut sebcn wollten. Das Eentralorgan der Socialdemokratie fährt übrigens fort, dem erregten Hasse Ziele zu bezeichne», und verrälh dabei, daß es nichts mehr türchtet als die richtige Betrachtung des Entstehens und des Verlaufes des Streits durch die Hamburger Arbeiter. Aber sür den nickt ganz von der Leidenschaft geblendeten Blick ist seine Anklage eine unerbittliche Selbstverurtheilung. Man liest: „Der Hunger hat seine Schuldigkeit gethan; der Winter bat seine Schuldigkeit gethan; der Staat hat seine Schuldigkeit gethan; die Polizei bat ihre Schuldigkeit gethan; das Uu tern ehmerlhum hat seine Schuldigkeit gethan; die Hausbesitzer, welche die friernden Rebellen mir Frau und Kindern vor die Thür setzten, haben ihre Schuldigkeit gethan, worauf die Rheder gerechnet hatten." Insoweit diese Feststellungen nicht bewußte Unwahrheiten sind, muß man fragen: Hat eS denn die Sociatdemokratie anders erwarten können'? Haben die Herren Singer und Bebel etwa geglaubt, daß Nichtbesitzcnde, die die Arbeit wegwerfen, nicht dem Hunger cirsgegengehen, uud meinieu sie, als sie Mitte November die Arbeiter in den Ausstand hetzten, eS würde nun Iuliwärme cintretcn? Konnten sie annehmen, die Hamburger Rbeder wurden sich ohne Schwertstreich von politischen Gegnern, die mit der Hafenarbeil nicht das Mindeste zu schaffen baben, den Fuß auf den Racken setzen lassen'? Dies Alles können sie nickt erwartet haben, und dennoch haben sie de» Streik angeordnet; der Hnnger, der Frost, die Gegenwehr sind ihr Werk. WaS der „Vorwärts" sonst für den unglücklichen Ausgang teö locialdemotratischen Feldzuges verantwortlich machen mochte, besteht nicht. Die Hamburger Regierung hat gegen den Aussland nichts unternommen und sich nur geweigert, auf die Seite des offenkundigen Unrechts zu treten und für die Streikenden Partei zu nehmen. Die Polizei hat sich daraus beschränkt, Leute, die ihr Brod durch Arbeit ver dienen wollten, in diesem ihrem Rechte und das Publi cum vor Belästigungen durch Streikgeldsammler u. s. w. zu schützen. Und die Andeutung über eine verabredete Exmission der den Miethzins schuldig gebliebenen Ausständigen ist eine durchaus lügenhafte. Die „Franks. Ztg.", die an Anfeindungen der Hamburger Arbeitgeber mit der social demokratischen Presse wetteifert, hat dieser Tage, nicht ebne erkennbares Bedauern über den Entgang eines schönen Hetz- mittels, ausdrücklich bezeugt, daß eine Unterstützung der Arbeitgeber durch die Hausbesitzer nicht stattgefunden hat. Mit der socialdemokratischen Presse wetteifert übrigens in Verhetzung und Entstellung der Thatsachcn die national- sociale „Zeit", die über den „Pyrrhussieg" der Hamburger- Arbeitgeber sich folgendermaßen ausläßt: „Nichts, gar nichts kann man ins Feld führen, was das Ver halle» der Hamburger Capitalisten in milderem Lichte erscheinen lassen oder entschuldigen könnte. Vom ersten Vermittetungsverjuchc an, Len sie mit einer onrch nichts zu rechtfertigenden Schroffheit zurückwiesen, bis zum letzten eisigen Schweigen, das sie allen neuen Friedensanträgrn entgegensetzten, ist ihr Benehmen eine einzige K e tte von C ap italisle »trotz, von Herrenüberm »th gewesen. Gestützt auf ihre» Fünsmillioiieii-Garantiefonds. vertheidigt von einer schamlos lügnerischen Presse, crinuthiat von hohen Beamten, scharf gemacht von den einflußreichsten Persönlichkeiten im Staate, unterstützt von säst allen Behörden Hamburgs, haben sie ihrer Uebermacht mit einer Unerbittlichkeit Geltung verschafft, die selbst in früheren Vülkerkciegen unerhört ist. Sie haben gegen ihre eigene» langjährigen Arbeiter, gegen Diejenige», deren Schweis; sie ihren Reichthum, ihr» gesicherte Existenz, ihre sociale Machtstellung in erster Linie verdanken, gekämpft, als ob sic gegen eine Rotte Verworfener, Nichtswürdiger zu kämpfen gezwungen wäre». Wie eS in den schlimmsten Gesichte» des Mittelalters die Regel war, so haben die Hamburger Arbeitgeber am Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts den wirthschastlichen Krieg geführt: eS wurde den Unterliegenden kein Pardon gegeben." Man ersieht aus dieser Kundgebung, die dem „Vorwärts" zur Zierde gereichen würde, daß es für das national-sociale Organ nur eine lautere Quelle giebt: die socialdemokratischen Agitatoren, und daß es den Hintermännern des Blattes ebensowenig wie denen des „Vorwärts" vor dem Gedanken graut, ihre Schilderungen von dem „Capitalistentrotz" und „Herrenübermuth" der Hamburger Arbeitgeber könnten am Ende die heißblütigste» der „Unterlegenen" zur Anwendung eines Aderlasses bei ihren unbarmherzigen Bedrückern ver leiten. Weichherzigkeit ist diesen Herren ja nur den Social- demokraten und ihrer Gefolgschaft gegenüber am Platze, Brutalität aber allen Arbeitgebern gegenüber, die nicht jeder socialdemokratischen Forderung sich blindlings unterwerfen. Wir hoffen übrigens, daß die Herren demnächst den von ihnen so hart getadelten Arbeitgebern mit gutem Beispiele vorangehen werden. Es wäre ja albern von der Socialdemokratie, wenn sie so willfährigen Leuten nicht nächstens mit einer recht dreisten Forderung — sei es an die national» socialen P-of°ss"' sei eS an den gesammten National-Socialismus —' gegenüber träten. Herr Bebel wird schwerlich in Verlegen heit geralhen, wenn er die Aufgabe erhält, eine solche Forderung zn formuliren. Staat und die übrige „zerbröckelnde" Gesellschaft werden keinen Finger rühren, um den national-socialen Herren ihre bedingungslose Unterwerfung zu erschweren! Das nordschleswigsche Protestblatt „FlenSborg Avis" versendet soeben an eine Reihe deutscher Zeitungen einen Artikel in deutscher und dänischer Sprache, um zu beweisen, mit welchen Mitteln politische Proccssc in Schleswig geführt werden. Es handelt sich um folgenden Hergang. Ein Mitarbeiter des Blattes in Tendern hatte sich darüber aufgebalten, daß der Vorsitzende des KriegerbundeS Schleswig, der Amtsrichter Brockschmidt in Tendern, anläßlich eines Kriegervcreins- festes früher an General von Wrangel und jetzt an den Kaiser ein Telegramm sandte, und hatte dazu bemerkt, „maaske t'or en Ordens 8k)dd." Amtsrichter Brockschmidt fühlte sich durch diesen Zusatz beleidigt, weil er annahm, daß die Leser der Zeitung in Nordschleswig, zum Theil Bewohner seinesAmtsgerichtsbezirks.die dänische» Worte übersetzen würden: „vielleicht um einen Orden zu bekommen." Die Sache hat vor mehreren Gerichten zur Verhandlung gestanden. Verfasser und Redacteur behaupteten, die Worte bedeuteten im Dänischen nur „vielleicht der Ordnung wegen", denn weil einmal an einen General telegraphirt worden sei, sei eS gewiß „nur in der Ordnung gewesen", auch an den Kaiser zn telegraphire». Ein vom Gerichte eingezogenes Urtheil eines Sprach gelehrten in Kopenhagen bezeichnete diesen Ausdruck als doppeldeutig: eö könne Beides bedeuten. Dagegen besagten Gutachten, welche die Angeklagten heranzoge», die Worte könnten nur bedeuten „der Ordnung wegen". Im Grunde kommt eL nun sehr wenig darauf an, wie dänische Sprachgelchrte die Worte verstehen, sondern wie der nordschleswigsche Bauer, der einen von der Schrift sprache stark abweichenden Dialekt, der gar nicht einmal ursprünglich dänisch ist, redet, die in Rede siebende Stelle versiebt. Und in dem Zusammenhang, in dem die Wendung ursprünglich stand, ist sie von den däniscbredenden Nord- schleSwigern auch nur so verstanden worden, wie sie beabsichtigt war, als eine Beleidigung. Darum waren die Gerichte auf dem richtigen Wege, als sie dem gemäß erkannten, und an dieser Ueberzeugling ändert auch der Umstand nichts, daß jetzt das Proteilblalt sich von 2000 seiner ad live bearbeiteten Leser schriftlich bestätigen läßt: jene straffällige Auslassung sei wirklich harmlos gewesen! Auf Kreta scheint die Lage augenblicklich etwas ruhiger geworden zu sei», d. h., es ist nirgends zu größeren Zusammen stößen gekommen und man hat nichts von neuen Metzeleien gehört; im Uebrigen aber ist die Insel noch in vollem Aufruhr, der im Begriff steht, sich überallhin auSzu- breiten. An zahlreichen Puncten stehen Türken nnd Christen sich bewaffnet gegenüber, hier nnd da kommt es zu kleineren Scharmützeln, und brennende Dörfer beleuchten grell den Schauplatz blutigen Bürgerkriegs. Von den cinzuführen- den Reformen redet kein Mensch mehr, denn Jeder sagt sich, daß jetzt eine andere Frage auf der Tagesord nung steht und der Losung harrt, die nämlich: Was wird aus Kreta? Soll eS als Glied deS ottomanischen Reiches erhalten werden, oder ist die Zeit gekommen, da seine Lostrennung nicht mehr aufzuhalten ist? Wir haben von Anfang an auf dem Standpunkt gestanden, daß früher oder später Kreta Len „Segnungen" türkischen Regiments ent wachsen wird, aber ebenso von vornherein betont, daß, wie die internationalen Machtverhältnisse und Machtbestrebungen gegenwärtig nun einmal liegen, an eine Zerbröckelung der Türkei nicht zu denken ist, ohne den Weltfrieden aufs Acußerste zu gefährden. Diesen Standpunct ver treten thalsächlich auch die Dreibundmächte und Rußland, welche, vor Allem an der Bewahrung des Friedens interessirt, die Aufrechterhaltung des Status <zuo der Türkei als die un bedingt nothwendigc Voraussetzung derselben betrachten. Auf diesem Standpunct stehen gleichfalls, aber mehr oder minder nur formell, England und Frankreich, während Griechenland durch sein Auftreten bekundet hat, daß es gewillt ist, die Kretenser mit offenen Armen zu empfangen, wenn diese bereit sind, die Insel Griechenland anzugliedern. Von England weiß man, daß es sich nur gezwungen dem Coneert der Mächte augeschlvssen hat, um sich nicht ganz zu isoliren nnd immer „dabei sein" zu können, daß es aber in seinem Eifer, die Dinge am Goldnen Horn zur Katastrophe zu treiben, den Thron Abdul Hamid's umzustürzen und sein Reich unter den Hammer zu bringen, nicht nachgelassen hat — es wird jetzt nur vorsichtiger und hinter den Couliffen gewühlt So ist es doch wohl auf englische Inspiration und das Versprechen englischen Succurses im Nothfalle zurückzusühren, daß Griechenland es wagt, sich in Widerspruch mit dem Willen der übrigen Großmächte zu setzen. Allerdings sind die englischen Blätter diesmal sehr zurückhaltend mit ihrer Berichterstattung über die Vorgänge auf Kreta, und englische Minister lassen es sich angelegen sein, zu versichern, daß es dort gar nicht so schlimm sei, daß die Muselmanen und hie türkischen Truppen kein Gemetzel veranstaltet, daß jene nickt geplündert und diese sich vorzüglich gehalten haben, daß der Anschluß an Griechenland noch nicht proclamirt sei n. s. w. Wer durchschaut aber nicht das Gaukelspiel. daS hier getrieben wird! Um die inhestörende Hand zu verhüllen, stellt man sich, als ob man von Ruhe störungen selbst nichts wisse, oder doch nicht recht daran glaube. England will zwar kaum, daß Kreta in griechischen Besitz übergeht — es müßte denn sein, daß ihm weitgehende Concessionen, namenttich auf Kreta selbst, gemacht werden — wohl aber will es ein allgemeines Durcheinander schaffen, uni dann bei der nothwendig werdenden Neu gestaltung der Ordnung dafür zu sorgen, daß es nicht zu kurz kommt. In Frankreich sind die Meinungen nnd Strebungen noch gelheilt. Die französisch« Regierung muß wohl oder übel gleichen Tritt mit der russischen halten, und sie hat dabei die gemäßigte republikanische Parte« auf ihrer Seite, weite Kreise aber sind aus« Arußerste unzufrieden mst der „Thatlosigkeit" Rußlands, das, weil es selbst Frieden braucht, alle übrigen Mächte zwingen will, gleichfalls Frieden zu halten, daS au» Frankreich« Bundesgrnoffenschaft den größten Vorlheit ziebt, ebne seinerseits diesem einen Nutzen zukommenzu lassen, das Frankreich in der Frage der türkischen Finanzen nicht unterstützt und das, wa» die Hauptsache ist, iS in Egypten «in Slick läßt. In diesen, meist rovalistiscken, Kreisen spukt auch noch auS früherer Zeit die großhellenische Idee, und sie wären heute bereit, Kreta den Griechen zum Geschenk zn machen, wenn eben nur Rußland wollte. In gleichem Sinne scheint man auch in osficiösen Berliner Kreisen die Lage aufzufaffen. Von dort wird der „Köln. Ztg." tele- graphirt: Das Ejntressen der griechischen Flotte vor Kreta kan,, schwerlich dazu beitragen, di» Wiederherstellung von Ruh» nnd Ordnung aus der ichwer tze,»ng«sucht»n Insel z« beschleunigen. Len Griechen liegt freilich an dieser Friedeusansgobe nichts, ne wollen die Insel griechisch machen und damit aus eigene Fgnst die Zerstückelung der Türkei eröffnen, an deren Verhinderung die Eoitttnentalmüchte seit Monaten mit Eifer arbeiten. Daß dies für Griechenland kein gutes Ende nehmen kann, liegt aus der Hand. Das Land rechnet aus die sprichwörtliche Uneinig keit der Mächte; eS mag auch hier und da di» Hoffnung hegen, daß schließlich Frankreich sich bestimmen lassen wird, di» griechiiäirn Interessen z» fördern, um für sich die traditionelle sranzösjsche Stellung inl Mittettändijcheir Meere zu befestigen und zu sichern. Die französische Presse beginnt bereits in dieser Hinsicht mit Eifer zu schüren. Der „Gaulois" giebt den Ton an, indem er verbreitet, „Frankreich und Rußland vertheidigten de» Belitzstand des türkische» Reiches, während Oesterreich Hand in Hand mit England, und in gewissem Grade vielleichl von Deutschland unterstützk, ohne Miß vergnügen an der Zerstückelung der Staate» des Sultans sich bethriligkn würde". Diese Tonart ist verständlich, sie läßt sich dahin zujaminenfossen, daß Frankreich seinerseits nichts Positives zu thun wünscht, was der Erfüllung seiner Verpflichtung, den europäischen Frieden zu sichern, entsprechen würhe, und daß es des« halb, um seine Unthätigkeit zu verdecken, ein anderes Länp, pqnflich Oesterreich-Ungarn, auszujpieien sucht, um es als Störenfried zu bezeichnen. Daß gerade das Gegentheit richtig ist, daß Pi» Dreibund- FeuHlrtsv. In der Irre. 7j Novelle von M. v. Oertzen. Nachdruck verboten. LarinSky seufzte leise. Er war ein Courmacher der jungen Frauen, batte sich nie um junge Mädchen bekümmert und wußte nun nicht, wie er es anfangen solle, sich Vieser Resa zu nähern. Man tritt ja schließlich in die Jahre, wo mau, um nicht für arm und unliebenswürdig zu gelten, heirathen muß. Das letzte Mal hatte „sie" ihn sehr unfreundlich behandelt — LarinSky spielte den Gekränkten und betrachtete seine Stiefclspitzen mit großer Melancholie. Julian war einsilbig — Resa stumm — und Adalhart nahm mehrere Male einen Anlauf, etwas zu sagen, unter drückte es jedoch. So quälte sich daS Gespräch eine Weile fort, bis man zu Tisck ging. „Wissen Sie, daß ich in der alten Willow'schen Chronik gründlich nachgeschlagen habe?" sagte Adalhart. „Was giebt !s Schöneres, als an der Hand der Chroniken zurückzu schauen auf Jahr« und Geschlechter — dasselbe Etwas, da« dir Propheten macht, macht auch den Geschichtsschreiber oder Geschichtsschreiber — denn muß man nicht denselben klaren Blick zum Berständniß der Vergangenheit besitzen, wie z»m Erkennen der Zukunft? Ich sehe das Alles . . ." „Und so — haben Sie unsere Burg gesehen?" „Gewiß — und die Geschichte Ihrer Vorfahren mit erlebt; bauptsächlich die des Fräulein Marie Teresa v. Willowe». Ich babe sie abgeschrieben — sie ist so seltsam!" „Ja, er saß bi» zwei Uhr NachtS über den alten Perga menten", warf LarinSky ein. „Aber ich sage — eS lebe das Leben!" „Meinst Du, ich lebe von Asche?" antwortete Adalhart, nnd wieder öffnete er plötzlich die Augen, so daß Resa er schrak. Dabei lachte er leise. „Nein — ich meine gar nichts — aber mich möge Dieser oder Jener davon bewahren, den Motten Concurrenz zu machen und in staubigem Verfall umherzustöberu . . ." „O, ich stöbere nickt immer in Staub und Verfall", sagte Adalhart. „Auch in Blüthen und Frühling und Sonnenschein — wo die alte Zeit aus den Blumen lacht, wie Großmütterchen, das den Brautkranz der Urenkelin auf- probirt!" „Wie auf Burg Horst" rief Resa. Ihre Wangen rötheten sich warm. „Bitte, lesen Sie uns die Geschichte meiner Namensschwester vor — nicht wahr, Julian?" „Ja", sagte er zerstreut, „ich bitte darum!" „Gnädiges Fräulein baben gelehrte Passionen?" sprach LarinSky, zu Resa gewandt. Doch die Spitze fiel zn Boden, ohne ausgenommen zu werden oder zu verwunden. Adalhart griff bedächtig in seine Rocktasche. „Ab, ent schuldigen Sie, ich Hab' es draußen gelassen!" „Wir lesen dann im Salon", entschied May, die Tafel aufhebrnd. Adalhart trat ein, die eng beschriebenen Blätter in der Hand, und hielt sie sehr nahe an die Augen. Eines entfiel ihm, und er mußte eS erst wieder einordnen. Unterdessen wählte man seinen Platz und nahm eine gespannte Lauscher- mieue au, das heißt, nur May und LarinSky. May verschwand fast in den seidenen Tiefen einer niedrigen Causeuse, und Larinskh, nahe bei ihr, saß auf einem türkischen Puff ohne Lehne. „Feierlich! Ueberwältigend! Was?" murmelte er in May's Ohr. „Wird er bald anfangen?" gab May zurück Mit amüsirtem Blick deutete sie auf Bobby, der unter den, Sopha hervorgekrochen war und nun breitbeinig auf der Schleppe ihres Kleides saß. „Ha, ha!" LarinSky rückte de» Fuß etwa« vor. Und plötzlich quiekte der Hund laut auf. Adalhart schrak zusammen, rin nervöse« Flackern ging über sein Gesicht, un willkürlich fuhr er mit der Hand an die Ohren. LarinSky, sehr roth, begriff nickt, wa« dem Hund« passirt sei, und ließ ihn dienstrisrig zur Thür hinaus, wahrend May, krampfhaft da« Lachen unterdrückend, da« Taschentuch an die Lippen hielt. Sie begriff e« ganz gut, aber sie konnte e« LarinSky nicht übelnrhme», e« war zu komisch gewesen, sie würde Bobby später ein Stückchen Zucker'geben. Julian war blaß geworden. May sab c« uud freut« sich. Sie hatte ihm da« „Verhör" von gestern Abend noch nicht verziehen. Adalhart batte schon eine ganze Weile gelesen, ob»« daß May ein Wort vernommen — jetzt paßte sie auf. Welch ein Kauderwelsch war das doch? „. . . Omi das wunderbar »etwas Iuussl'rüulein von WiUowen, benamset Alarie Teresa, so geboren zu 8urg Horst anno Domini 1075 — «kess Haar war avzusebauen wie der Lebern aut dem Wasser und dess Wüngiein waren liebt wie e^n sounensufgang im Ltazen — dess Xugen aber dunkel von evaer nie gesekeuen Darben, uicdt sebwarz und nicbt blau, und nickt braun uud nickt grau, sondern eben nur wie ez?n Oewitter, das im Oebirge aukziebt uud Zcbreeken uud ^.vgst verbreitet unter den Llcoscken — das k'räuiein war i>6)83 nnd rein wie e;n Teuer am Kuvnweudtage. Ond es geseliab, dass e^n stolzer Ritter das Teuer sab und sein Üertz daran arg verbrannte — und er batte scilon o>n Weib. Oud sie könnt die Wunde uit bezien. 8ie küsste ibn mit ibrem stunde und legt die IIand aus seine Lrnst — aber sie könnt die Wuude uit keilen. Da betet sie zur Heiligen Jungfrauen, aber sie könnt' den Lrand nit lüseken — und da kocbt sie ibm eiy Tränkieia von Krliutern und tbat ibr Ringiein kineM und e)n golden Haar von der Hexen — aber es iküt nit Nutzen. Ond da spracl» das dungtraulein von VViilowen /u dem >Veide: „^llerscbünste Dräue, will Dein Herr denn nimmer genesen?— 3o werde icb ibn gesund macken!" Da scbris das >Ve)b und klagte: „>Veb' mir! 8ie will ibn mit ibrer Uinne gesund macken!" „Du irrst", spraok das Driiulein von »'iilowen. „leb werde des starken Kitters Kaspar von kicdungeu ebelick Oemaki — und so dein Den- die >Iür erkaiirt — das» icb «inem Ludern augebore mit Dvib und 8eeie — so wird er gesund!" „b!it Deik nnd 8evle . . . ?" Da senkte das Drüulein das Haupt und seutrts scbwer — und ging bin und wurde des Kitters von Kiedungvu ebeiicb Oemabl. Iber der anders wurde nicbt gesund. 8ein D«ib vertiei und das Deuer verrebrte ibn von innen beraus und er war ki-üuker denn zuvor — uud seine Seelen Lob aus ibm! Ond da weinte blaria Teresa, des Rieduogen Dbctrauc, und klagte: „Warum bab' icb das getiian aus übergrosser btinne? Dr muesste sterben und icb mu ss leben uud das sein scklimmer als der Tod . . ." Onü ist sie verwelkt wie ei» Veigelein und der Sturmwind bat ibre 8pur ver- wiscbt von dieser Orden . . ." Adalbart faltete die Blätter laogsain zusammen. „Ist das Alles", fragte Julian düster. Resa öffnete die Augen, die sie wie in einer bedrückende« Angst geschloffen. Ihr Gesicht war ganz weiß und kalt. Sie rieb die eisigen Hände ineinander und erhob sich. Adalhart'S Auge ruhte durchdringend auf Julian. „Resa", flüsterte der, „ich wollte, Du hättest eiuen puderen Namen — was ist Dir?" „Ich weiß es nicht", murmelte sie, „aber es schnürt mir die Kehle zu —" „Mir auch", sagte Julian. „O, Marie Tertia! Ist Dir'« leid um den Ritter, der schon rin Weib h-tter" Sie legte die Hand über die Augen. Aber wenn sie ihn auch nicht sah, so fühlte sie doch den Blick, der aus dem vergrämten Gesicht ihres Vetters auf sie fiel. Sie wandte sich rasch um und verließ ihn. Adalhart folgte ihr. „Ich hätte Ihnen die traurige Geschichte nicht lesen sollen", sagte er halblaut. „Wäre ick ein Dichter, so hält' ich am Schluß noch Alle« gut werden lassen." „DaS ist unmöglich. Wie sollte da« )e gut werden?" fragte sie schmerzlich. „Ich hätte einem oder dem andere» der Ritter eine starke Waffe in die Hand gegeben — einen Willen au« Eisen und Stein! Einen festen Willen! O, Sic glauben gar nicht, WaS man mit dieser Waffe kann — Alles!" „Führen Sie diese Waffe?" sagte Resa, der weiblichen Neigung folgend, vom Allgemeinen in« Persönliche überzugehen. „Ja", antwortete er einfach. „Wenn ich will, so besiege ich die Welt — und mich selbst. Auch ich war einst weich; aber wäre ich nicht hart geworden, so hieße ich nicht Adal hart, sondern „einer wie viele"." „Und dieser Ihr Wille — erstreckt sich seine Macht auch auf Andere?" „Wenn ich will — ja!" sagte er mit einem eigen- thümlichen Lächeln und blickte aus sie nieder. Wieder empfand sie das Zuschnüren der Kehle. „Denn sehen Sie, ich muß herrschen. Ich beherrsche alle Leidenschaften. Uud wer das erreicht, ist König über ein weite«, großes und mächtiges Land." Resa erzitterte. Sie fühlte «S, als ob er einen inneren wang auf sie ausübe, dieser milde Gelehrte mit der eisernen and — und er rrrieth ihre Gedanken und schonte sie nicht n ihrer Furcht .... ... LarinSky neigte sich zu May. „Gnädige Frau — Sie hatten da vorhin einen reizenden, weißrn Fox-Terrier — ich wüßte einen schwarzen Hund derselben Raffe —" „Oh, wirklich", sagte May mit Interesse. „Ist er zu haben?" „Bei einem Grünkrämer unten in der Wildgaffe. Er beißt Sammy." „Der Hund?"
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite