02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.02.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970213022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897021302
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897021302
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-13
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisternsvtz nach höherem Tarif. ikrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit dev j-iorgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung »i SO—, mtt Postbefördrruug 70.—. Auaahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 80. Sonnabend den.13. Februar 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Februar. Daß gestern im Reichstage zeitweise kaum zwei Dutzend Abgeordnete anwesend waren, ist bedauerlich, aber begreiflich. Auf der Tagesordnung stand der Militairetat und es war daher vorauSzusehen, daß die socialdemokratische Fraction ihre liebsten Dauerredner vorschicken würde, um ihrem Hasse gegen alle unsere militairischen Einrichtungen Ausdruck zu geben. Und diese in jedem Jahre wiederkehrenden Ausbrüche ruhig mit anzuhören, ist nicht Jedermanns Sache. Die Fehlenden würden aber, wenn sie sich zur Erfüllung ihrer Pflicht ge zwungen hätten, reichlich belohnt worden sein durch eine Er heiterung, die der volksparteiliche Abg. Beck h den Anwesenden bereitete. Er kam auf den Fall Brüsewitz zu sprechen und legte dabei folgendes Bekenntniß ab: „Ich bin auch schon in der Lage gewesen, mit dem Revolver auszugehrn, weil ich fürchten mußte, über fallen zu werden. (Lachen.) Glauben Sie nicht, daß viele Leute in dieser Lage ähnlich handeln? (Erneutes Lachen.) Lassen Sie mich doch erst ausreden. Wenn diese Grundsätze maßgebend werden, wie bei Brüskwitz, glauben Sie dann nicht, daß so und so viel Leute fortwährend glauben werden, sich in einer gefährlichen Lage zu befinden? (Lehr richtig! bei den Socialdemokraten. Lachen und Unruhe rechts.) Ich freue mich, daß Sir darüber jo erregt sind." (Erneutes Lachen.) „Sehr richtig" riefen bei dieser heldenhaften Auslassung nur die Socialdemokraten, und doch hat Wohl keiner von ihnen während der Wochen, in denen der Fall Brüsewitz das Tages gespräch bildete, es für nöthig gehalten, sich bei jedem Aus gange mit dem Revolver zu bewaffnen, um sich gegen einen wülhenden Lieutenant vertbeidigen zu können. Und alle diese Herren waren sich doch bewußt, offen Dinge gesagt zu baden, die die gerechte Entrüstung nicht nur eines einzelnen Officiers bervorrufen mußten. Sie wußten eben ganz gut, daß die Fälle Brüsewitz nach jeder Richtung, nach der der GemütbSverfassung des Officiers und nach der der Auf stachelung seines empfindlichen Ehrgefühls, zu den seltensten Ausnahmefällen gehören und jedenfalls viel minder häufig Vorkommen, als Todesfälle durch Ziegelsteine und Scbieser- stücke, die den „Grundsatz" haben, ab und zu von den Dächern zu fallen. Wessen mag nun wobl der Herr Rechtsanwalt imd Gutsbesitzer Beckh sich bewußt gewesen sein, um den Schutz deS Revolvers für unentbehrlich zu halten! Zu seiner Ehre nehmen wir an, daß er wenigstens kein böseres Gewissen gehabt hat, als seine socialdemokratischenEollegen. Um so komischer erscheinen seine bewaffneten Ausgänge und um so mehr reizen sie zum Gelächter. Wahrscheinlich bat er auch einen Panzer unter der Weste getragen und seine Schreiber, Knechte und Mägde als Wächier an den Ecken der Straßen postirt, in denen ihm ein Lieutenant begegnen konnte. Und auf die weit größere Gefahr aufmerksam gemacht, die durch herabfallende Dachziegel droht, wird er künftig nie ohne einen Schirm von starkem Wellblech zum Schutze seines theuren Hauptes sich aus die Straße wagen. Ein Götteranblick für volks parteiliche „Mannesseelen", die vor nichts zittern. Es war Schade, daß nicht der ganze Reichstag Zeuge dieser Selbst verherrlichung wurde; er batte diese Erheiterung redlich ver dient! Seine Wähler werden hoffentlich bei den nächsten Wahlen wieder wie ein Mann für ihn eintreten, denn sie werden schwerlich einen andern Candidaten finden, der so fürsorglich über das Leben und die Gesundheit ihres Er wählten wacht und in die Oede der Verhandlungen so erheiternde Abwechselung bringt. Zum Dank für seine gestrige Rede werden sie ihm zweifellos einen Ehren-Revolver und einen Ehren-Blechschirm durch eine mit Espenlaub geschmückte Kinderdeputation überreichen lassen. Schon seit geraumer Zeit rüstet man sich zu der würdige» Feier des 100. ÄrbnrtStages des erste» deutschen Kaisers, und je näher der festliche Tag heranrückt, desto mehr zeigt es sich, daß überall in Deutschland, ebne Berücksichtigung der Grenzpfähle der Einzelstaaten, die Feier mit gleicher Begei sterung begangen werden wird. Ist dies schon nicht nur an sich erfreulich, sondern auch wegen des Eindruckes auf das Ausland von politischer Bedeutung, so ist es ans dem letz teren Grunde von besonderem Wertbe, daß nicht nur die deutschen Stämme, sondern auch die deutschen Fürsten das Fest in froher Einmüthigkeit begehen werden. Eine erhebliche Anzahl deutscher Fürsten oder deren nächste Angehörige werden der Feier in Berlin selbst beiwohnen, unter ihnen auch der Prinzregent von Bayern. Daß gerade dieser Fürst sich nicht damit begnügt, in der Hauptstadt seines Landes an der Spitze der Feier zu stehen, sondern daß er nach dein gegebenen Mittelpunkte der festlichen Veranstaltungen, nach Berlin eilt, um hier an der Seile des deutschen Kaisers an dem großen nationalen Feste theilznnehmen, ist nach innen wie nach außen von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Man entsinnt sich, daß vor ^ Jahren gelegentlich der Friedensfeier in München manckerlei merkwürdige Nach richten über die cigenthümliche Abhaltung dieser Feier in die Oeffentlichkeit drangen. Kaum war die erregte DiScussion über diese Angelegenheit in ein rubigcreS Fahrwasser gerathen, als die öffentliche Meinung durch jenen unglücklichen Zwischen fall bei dem Bankette in Moskau auss Neue aufs Tiefste erregt wurde. Wenn auch officiell bald alles Mögliche geschah, um den ungünstigen Eindruck, den das Moskauer Ereigniß weit über die Grenzen Deutschlands hinaus machte, zu beseitigen, so sorgte doch eine gewisse Hetzpresse dafür, daß man besonders im Auslande an eine starke particularistische Strömung in Bayern glauben konnte. Die Anwesenheit des Prinzregenten bei der Feier in Berlin macht den tbörichten Gerüchten, als ob das berechtigte Selbststäiidigkeilsgefübl des bayerischen Königshauses sich mit der gewissen Selbst beschränkung, die nun einmal durch die Einigung des Reiches geboten ist, nicht vertrage» könnte, ein Ende. Denn dieser Besuch in Berlin zeigl, dap das Gesüyl der cseuugiyuung ».-er die durch Kaiser Wilhelm I. und seine Helden erkämpfte Einigung ein so starkes ist, daß der Gedanke an frühere Zeiten, in denen die Truppen dieses Herrschers gegen Bayern fechten mußten, glücklicherweise vergessen ist. Der Besuch des Prinz regenten in Berlin zeigt ferner, daß der Herrscher deS zweit größten deutschen Staates frei ist von der Kleinlichkeit, die ihn Neid darüber empfinden lassen könnte, daß ein Anderer als er xrimus inter pures ist. Es ist zu wünschen und zu hoffen, daß das Beispiel des Prinzregenten nicht nur, was sich ja von selbst versteht, auf die Mitglieder seines Hauses, sondern auf das ganze bayerische Volk vorbildlich wirken und eS gefeit sein lasten wird gegen die Hetzversuche eines Sigl, der in dem Volke die Gefühle kleinlichsten Neides zu erregen und es dadurch in eine Rolle zu drängen sucht, die eines so wackeren und großen Volksstammes nicht würdig ist. Wirkt, wie wir hoffen, die Anwesenheit deö bayerischen Prinzregenten bei der Nationalfeier nachhaltig auf das bayerische Volk ein, so wird Kaiser Wilhelm I. noch nach seinem Tode für des Reiches Einigkeit gewirkt haben. Noch haben die griechischen Schiffe eS nicht gewagt, Truppen auf Kreta zu landen. Es scheint also, daß die ge meinsamen Erklärungen der Mächte in Athen einigen Ein druck gemacht nnd den Ausbruch der Katastrophe wenigstens hinauögeschoben haben. Freilich kann jetzt, nachdem die griechische Flotte fast vollzählig vor Kreta angekommen ist, jeder Tag den entscheidenden Schritt bringen, der dann von der Pforte unverzüglich mit dem Einmarsch türkischer Truppen über die griechische Nordgrenze nach Thessalien beantwortet werden und voraussichtlich auch die schleunige Absendung türkischer Kriegsschiffe nach Kreta zur Folge haben würde. In Berliner politischen Kreisen hat man nicht eben viel Hoffnung, daß ein blutiger Zusammenstoß zwischen der Türkei und Griechenland noch zu verhüten sei und daß die Mächte mehr thun könnten, als den Kamps zu localisiren. So schreibt u. A. die „Post": Angesichts der Ereignisse der letzten Tage scheint cs fast un möglich, daß ein gemeinsames Vorgehen der Großmächte noch ein Blutvergießen zwischen Türken und Griechen wird ver hindern können; wohl aber muß man die Hoffnung hegen — und nach Lage der Dinge möchten wir glauben, sie hegen zu können —, daß es gelingen wird, den Kampf auf die beiden Nachbar« staaten zu beschränken. Dahin ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, muß unter den gegenwärtigen Verhältnissen als die vor nehmste Aufgabe der deutschen Politik angesehen werden. Andererseits wird von Paris und Wien gemeldet, daß die Mächte entschlossen seien, Griechenland nicht blos mit diplo matischen Protesten, sondern im Nothfalle auch mit Anwen dung von Gewalt entgegenzutreten, d. h. entweder Kreta zn blockiren, oder die griechische Flotte durch ihre Schiffe nach dem Piräus zurückescortiren zu lassen. Auch die russische Presse stimmt der Ergreifung derartiger Maßnahmen zn. Darüber freilich, ob sie thatsächlich von den Cabinetten beschlossen sind, verlautet nichts unbedingt Verläßliches. Wir würden sie mit Freuden begrüßen, da sie das einzige Mittel sind, zu verhüten, daß der Orient in Brand geräth. Man sagt, Griechenland könne nicht mehr zurück, der König riskire sonst seinen Thron und er sei deshalb genöthigt, vg bangue zu spielen. Allein dem ist entgegenzu halten, daß das einstimmige Veto der Mächte eine vis major für Gciechenkvnig bedeuret, der sich zu beugen, ihm nicht als „Landesverralh" angerechnet werden kann. Die Sache läßt sich vielleicht beute noch in ein friedliches Gleis bringen, wenn man sich in Atben darauf zurückziebt, die Absendung der Flotte lediglich als eine unumgängliche Demonstration gelten zu lassen. So wird in Wiener diplomatischen Kreisen angenommen, daß die griechische Regierung zunächst nichts Anderes bezweckt, als die Ansprüche Griechenlands auf Kreta den Mächten in Erinnerung zu bringen und sie sozusagen durch Untätigkeit nicht verjähren zu lassen. Man erinnert daran, daß im vorigen Sommer während des kretensischen Aufstandes, bevor die Mächte auf das bekannte Reformprogramm sich geeinigt hatten, auch andere Vorschläge auftauchten, wie der, Kreta unabhängig zu machen oder der Insel eine an Unabhängigkeit grenzende Auto nomie nach dem Muster der für Samos geltenden Verfassung zu geben. Keine dieser Lösungen wäre Griechenland er wünscht, und man glaubt, daß die griechische Regierung schon deswegen, damit nicht auf eine derselben zurückgegriffen werde, sich zu einem activen Eintreten für die christliche, religions- und stammverwandte Bevölkerung Kretas ver pflichtet fühlte. Man glaubt in den erwähnten Kreisen daraus folgern zu dürfen, daß Griechenland nocb keineswegs entschlossen sei, sich kopfüber in einen Krieg mit der Türkei zu stürzen. Ist das auch nicht die HerzenSmeinung der Griechen, so könnte das Land sich doch immer noch an der Hand solcher Argumente aus der Afsaire ziehen. Allerdings ist darauf nur in dem einen Falle zu rechnen, daß die Mächte in Athen keinen Zweifel darüber lassen, daß sie zu den energischsten Repressalien bereit sind. Die Autorität der Großmächte, deren feierlich ausgesprochener Wille die Erhaltung der Inte grität der Türkei ist, wird von Griechenland angetastet. Zeigen sie sich jetzt diesem kleinen, aber dreisten Staate gegen über schwach oder gar uneinig, so können sie nicht darauf rechnen, ihre Vermittlerrolle in Zukunft noch mit Erfolg fortzusetzen. Aber sie müssen auch aus dem andern Grunde einschreiten, weil in dem Augenblicke eines griechischen Handstreichs und nun vollends im Falle eines Sieges der griechischen Waffen und der thatsächlichen Annexion Kretas die Gährungsstoffe, die sich an zahlreichen übrigen Tbeilen der Türkei angehäust haben, sofort zur Ex plosion gelangen würden. In diesem Falle aber ist Alles in Gefahr; denn die Balkansürstenthümer werden dann hinter Griechenland nicht zurückstehen wollen, sie und auch noch andere Leute werden gierig und eifersüchtig nach dem Theile des zerfallenden Reiches Haschen, der ihnen „von Rechts wegen gehört". Niemand hat Sympathie für die Türkei, deren unverantwortliche Mißwirthschaft eine europäische Gefahr geworden ist, aber die Integrität des ottomanischen Reiches ist in diesem Augenblick der einzige Schutz deS Friedens; nur sie kann verhüten, daß die widerstrebenden Interessen zu gewaltsamer Lösung drängen. DaS würde aber der Fall sein, wenn zwischen türkischen und griechischen Truppen der erste Schuß fiele. Dies zu verhindern, ist die Aufgabe der Großmächte. Sie kann nur durch eine Jsolirung Griechenlands gelöst werden. Was die Stellungnahme Deutschlands zu dem griechisch türkischen Eonflict anlangt, so mißbilligt es nach osficiösen Verlautbarungen selbstverständlich die Einmischung Griechen lands und wird sich allen Schritten der Mächte anschließen, welche darauf gerichtet sind, die Uebereilung Griechenlands rückgängig zu machen. Es wird aber ebenso selbstverständlich nicht die Initiative ergreifen, da eS nicht zu den nächstbetheiligten Staaten gehör!. Auf die Frage, wer die Schuld an dem neuen Anöbruck der Unruhen auf Kreta trägt und wie solchen in Zukunft vorznbeugen sei, einzugeben, haben wir jetzt keine Veranlassung. Wo der Hebel mit weil größerer Energie als bisher eiiizusetzen ist, zeigt die erstaunliche Note des Sultans an die Mächte, in welcher er, ohne zu erröthen, den Bot schaftern und ihren Reformbestrebungen die Verantwortung für ven Ausbruch deS Bürgerkriegs auf Kreta zuschiebl. Der Hauptsitz und die Quelle alles UebelS ist die Regierung deS Sultans! Zwischen dem Vatikan und der russische» Regierung sind gegenwärtig Verhandlungen über die viel erörterte Frage des Studienplanes der katholischen Priesterseminare in Rußland im Zuge. Dieselben beziehen sich hauptsächlich auf jene Bestimmung der im Jahre 1882 zwischen Rußland und dem Vatican abgeschlossenen Convention, welche vor schreibt, daß die Zöglinge der bezeichneten Seminare nur dann ein priesterliches Amt in Rußland bekleiden können, wenn sie eine genügende Kenntniß der russischen Sprache und Geschichte, sowie der Geographie Rußlands nachzü- Feuilleton» In der Irre. 10j Novelle von M. v. Oertzen. Nachdruck verboten. „Ganz allein", wiederholte sie. „Niemand wird zwischen uns stehen — und Du wirst wieder zu mir sein wie früher —" Unbewegt starrte er auf sie nieder. „Wie früher? Ja. Ich lasse Dich gewähren — und Du läßt mich gewähren — und daS ist ja ganz schön!" „Julian, was fehlt Dir?" May's Gesicht verlor den kindlich lieblichen, nichtssagenden Ausdruck und wurde plötzlich älter und innerlicher. „Was fehlt Dir? Ist es etwas, wo von ich Dich curiren kann?" „Nein, e« ist nichts, von dem Du mich curiren kannst", sagte er schroff. „Aber wann wirst Du Adalhart gratuliren?" „Adalhart . . ." „Nun, ja!" „Wer ist eigentlich Resa's Verlobter?" fragte May ernüchtert. „Adalhart!" ri«s er st« ärgerlich an. „Wer sonst?" „Na, das ist 'ne schöne Geschichte", sagte May, sich auf ihren Bettrand setzend. „Heute hat LarinSky mich gebeten, um Resa werben zu dürfen. Er meinte, sie gäbe 'mal eine famose Commandeuse — und Tante Willow wünschte diese Partie sehr für Resa —, und da habe ich ihm denn meine gnädigste Erlaubniß dazu gegeben — und nun — Grund gütiger I" „LarinSky", murmelte Julian. „Ehe ich sie jenem Flach kopf gegeben, hätte ich sie eher in eine Wüste gefangen gesetzt —" „Nun, LarinSky ist der Löwe der Gesellschaft — ist da« nicht Wüste genug?" spottete May. „Im Uebrigen haben wir ja Gott sei Dank keine Verantwortung —" „Du nicht, aber ich!" rief Julian. „Wieso denn Du?" Er lachte. „Es würde un« etwas weit führen, wenn ich Dir daS auseinandersetzen wollte. Geh' und gratulire dem Brautpaar — eS ist da- Beste, was Du thun kannst." Im Salon brannte die Helle Sonne, als May eintrat, um Resa in die Arme zu schließen und sich in einem Athem nach den Einzelheiten des Ereignisses zu erkundigen und sich zu wundern — eine Flasche Sect wurde auf Eis gestellt und ein Telegramm nach Burg Horst aufgesetzt — bis Adalhart mit ernster Stimme Einhalt gebot und fest erklärte, nicht Verlobung feiern zu wollen, bevor er regelrecht den Segen von Resa's Eltern nachgesucht. „O ihr trockenen, nüchternen Menschen", rief May auS. „Wie könnt Ihr nur so kalt sein? Aber da sieht man wieder den „gründlichen" Gelehrten — alles regelrecht — pah —" sie schüttelte sich und bemerkte nicht, daß Julian hinter sie getreten war. „May", flüsterte er in daS Ohr seiner Frau, sie heftig dadurch erschreckend, „Deine Scherze verletzen!" Ein peinliches Schweigen entstand. Der Bursche brachte den Eiskübel mit dem Sect, die Gläser klangen aneinander, doch kaum Einer nippte an dem stark duftenden Wein. Adalhart beugte sich zu Resa nieder und sagte: „Auf daS Wohl Deine- BaterS!" Da lächelte sie hell: „Ich danke Ihnen, Herr v. Adalhart!" May setzte ihr GlaS ad. „Wie nennst Du Deinen Verlobten?" „Ich..?" Adalhart verschränkte die Arme und schwieg. Aber er wurde dunkelroth bi» an die Haarwurzeln. „Ja. Du!" „Ich — weiß nicht —" „Du weißt nicht? Weißt Du am Ende auch seinen Namen nicht?" Sie lachte. „Nein", sagte Rosa. „Nein!" May faltete die Hände in grenzenlosem Er staunen. Sie blickte von Einem zum Anderen — von Adalhart auf Resa — nur nicht auf Julian. Und dann brach sie in Lachen auS. „Ihr seid daS sonderbarste Paar, das ich je gesehen", rief sie. „Herr v. Adalhart, jetzt befriedigen Sie meine Neugierde — sonst suche ich Ihren Namen zu errathen!" „Wenn eS Ihnen Vergnügen macht", sagte Adalhart glcichmülhig. „Sie heißen — Lorenz!" „Nein." „Philipp..." „Nein." „Jacob!" „Nein." May bis sich auf die Lippen. Ihr neckischer Ton und sein kurzes, kaltes „Nein" paßten schlecht zusammen. Aber sie wollte die Sache nicht aufgeben, das dünkte sie eine Niederlage — und vor Adalhart möchte sie eine solche um keinen Preis erleiden. „Sie beißen Sebastian — oder — Melchior?" „Nein", sprach Adalhart mit einem ironischen Zucken der Mundwinkel. „Sie haben vergebens Ihren ganzen Schatz an Philisternamen an mich verschwendet — bis auf Kaspar, Balthasar und Peter — aber dennoch bedauere ich: Sie täuschen sich!" „Ja, wie heißen Sie denn?" fragte May, ihren Mangel an Scharfsinn verwünschend. „Vielleicht erratben Sie es bis morgen", sagte er leicht. „Und nun möchte ich mich empfehlen —" „Gute Nacht!" rief May, ihren Zorn mühsam unter drückend. „Komm, Julian! Störe das Brautpaar nicht! Vielleicht ist Resa glücklicher zum Räthselrathen veranlagt als ich — komm!" Sic zerrte den Widerstrebenden am Aermel mit sich hinaus. Die Abendsonne beleuchtete nur die zwei Menschen, die beute ihr Schicksal an einander gekettet — und jetzt ergriff Adalhart Resa's beide Hände. „Bevor ich scheide, Resa, will ich nur einmal meinen Namen von Deinen Lippen hören — noch nie habe ich ibn von einem lieben Menschen vernommen — denn, wie Du weißt, starben meine Eltern, als ich ein kleines Kind war. Willst Du mir zeigen, daß ich nun Jemand gesunden, der fortan an meinem Leben theilnimmt? Kür den mein Name kein bedeutungsloser, leerer Schall?" „Ich will", flüsterte sie. „Aber —" „Du kennst ihn nicht. Er ist häßlich. Ich beiße Camill." Er legte sanft seinen Arm um ihre Schulter. „Was soll ich Deinem Vater sagen, Resa?" „Sagen Sie ihm, daß ich Dick, am meisten auf der Welt —" Er lauschte athcmloS, sie an sich pressend — „Achte und ehre", endigte sie. Der Druck seiner Arme lockerte sich. „Dann lebe Wohl", sprach er leise, „ich danke Dir!" „Lebe wohl, Camill." Wie fremdartig es klang — Adalhart trank den süßen, zitternden Laut mit durstigem Ohre. Nochmals — „ich danke Dir —" und er ging. Resa folgte mechanisch. Die Thür schloß sich hinter ihm, und sie stand in dem engen Vorgarten, wo vor Kurzem der Gärtner die Pflanzen begossen. Der Staub, den der Wasser strahl emporgewirbelt, senkte sich langsam wieder auf Blatt und Blüthe — im Nachbarhofe scharrten die Hühner schläfrig im Sande — Resa's Glieder wurden schwer, und sie blickte mit schmerzenden Augen auf die grelle Straße, auf den Alltag um sie her. Da bog Julian um die Ecke, rauchend, die Hände in den Taschen. Er trug ein bequemes Civil und eine halbwelke Blume im Knopfloch. Seine Züge waren hager. Resa mußte an eine Landschaft denken, die sie einst in lackender Frühlingspracht gesehen und die dann nach einer Ueber- schwcmmung versumpfte, ohne je ihre frühere Lieblichkeit wieder zu erreichen — dies „Versumpfte" lag in Julian's Gesichtsausdruck. „O, bist Du bier", sagte er nachlässig. „Ich habe Dick gesucht — ich wollte Dir die Rose geben." Er nahm sie aus dem Knopfloch und warf sie fort. „Abscheulich! Sie ist ganz welk geworden." Er kam näher, und wieder empfand Resa dies Zusaminen- prcssen der Brust, das sie in Julian'« Gegenwart stet- quälte. „Wo ist May?" Er zuckte ungeduldig die Achseln. „Willst Du eine Jagd aus Sie veranstalten? Sie begießt ihre Blumen — oder thut sonst etwas. — Resa!" Seine Stimme veränderte sich. „Wir haben uns kaum noch gesehen seit — jener verhäng- nißvollen Stunde — und doch ist mir die Mär von dem Burgfräulrin, das den Ritter heirathete nicht aus dem Sinn gekommen —" Resa erblaßte. „Wir leben unser eigene- Leben", sagte sie herb, „was brauchen wir die Geschichte Todter und Be grabener, nm unsere Phantasie anSzufüllen . . ." „Du siehst ihr ähnlich, das ist kein Spiel der Phantasie", sprach er leise. „Doch nein — geh nicht fort — ich muß Tick etwas fragen — Dir etwa« sagen — ich weih nur nicht, wie? Resa, wer trägt die Schuld an — dieser Ver lobung?" „Ich selbst", antwortete sie ruhig. „Wer sonst?" „Ja, wer sonst! Ich dachte, ein Lied — und was darauf folgte— weißt Du noch, Resa? Weißt Du nocb!" rief er leidenschaftlich. „Ich kann es nicht vergessen! Doch ich bin ein Mann und was ich mir selbst aufaeladen, da- trage ick — bis zuletzt — um einer schwachen Stunde willen gebe ich nichts auf — aber ahnte ich, daß Du — um dieser schwachen Stunde willen — da« getban "
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