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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.03.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970301029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897030102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897030102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-01
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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsotz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung >l 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Borgen-Ausgabe: -iachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Montag den 1. März 1897. Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. März. Auf die dringende Mahnung, die der Kaiser am Freitag bei dem Feste deS brandenburgischen Provinzialland tags zunächst an die Märker, dann aber an daS ganze deutsche Volk gerichtet hat, ihm in dem schweren Kampfe gegen den Umsturz beizustehen, ist bereits eine ganze Fülle von Antworten erfolgt, von denen aber leider die wenigsten von dem guten Willen, ihr zu folgen, Zeugniß ablegen. Ein Theil der Presse legt den Maßstab der historischen Kritik an die kaiserlichen Worte, ein anderer wirst die Frage auf, ob die Abschätzung des persönlichen Antheils Kaiser Wilhelm'- I. und deS Fürsten Bismarck an den großen Erfolgen die richtige sei, ein dritter ergebt sich in Erörte rungen der Frage, welche Mittel zur Bekämpfung des Um sturzes dem Kaiser wobt vorgeschwebt haben möchten, noch andere Blätter kommen mit Rathschlägen, die den Beweis liefern, daß die Rathgeber in dem Kampfe nur mittbun wollen, wenn er mit den ibnen zusagenden Mitteln geführt wird. So schreibt ein klerikales Blatt: „Im Kampfe für die Religion, für Sitte und Ordnung wird der Kaiser nicht nur die Märker, sondern das ganze christliche Deutschland auf seiner Seite finden. Möge dieser Kampf nur mit den richtigen Waffen geführt werden und das Wort Kaiser Wilhelm's I.: „Dem Volke muß die Religion erhalten werden" bei der Schule und auch in den kirchenpolitischen Verhältnissen Anwendung finden!" D. h. mit anderen Worten: das Centrum ist willig, wenn dein Klerus die Schulen ausgeliefert werden und das Iesuitengesetz fällt. Die national-sociale „Zeit" hat noch ganz andere Rathschläge; sie schreibt: „O, deutscher Kaiser, nein und abermals nein! Ein Kaiser leben ist größer und eine Kaiserhand ist mächtiger, als daß sie nur zum Zerdrücken der Jrrthümer der Arbeiterbewegung vorbanden sein könnte. Will derselbe Mund, der das Wort vom größeren Deutschland sprach, nicht auch das Wort vom freieren Deutschland reden? Sollen nicht einst einmal die Pilgerzüge aus allen Ländern kommen, um zu sagen: er hat Ketten gelöst, Herzen gewonnen, Familienleben gebaut, Frauenarbeit gehoben, Männerkraft geschützt, Deutschlands Arbeiter um sich gejchaart, so gut wie seine Ahnen die märkischen Bauern um sich hatten!? Soll man ihn nicht einst unter die Ahnen eines positiven, praktischen Socialis mus zählen? Das wenigstens waren die Hoffnungen von 1890. Doch was gesprochen ist, ist gesprochen. Schon rollt es in den Wolken. Die Hundertjahrfeier Wilhelm's I. wird zur Agitation gegen den „Umsturz" werden. Es wäre besser gewesen, wenn wir sie hätten friedlicher feiern können, mehr unter den Erinnerungen von 1870, als unter denen von 1848. Aber Klagen Helsen nichts, es gilt tapfer zu bleiben und Gott zu vertrauen, daß sich die Flammenzeichen nicht enthüllen." Herr Naumann und die Seinen wollen also den Kaiser, der aus eigenster Erfahrung kennen gelernt hat, daß weder die vaterlandßlose und staatsfeindliche Socialdemokratie sich „versöhnen" lassen will, noch vaß er allein im Stande ist, sie zu zerschmettern, zu dem Versuche bewegen, ohne Rücksicht auf die wirthschaftUchen Weltverhältnisse sich zum Vollstrecker der socialdemokratischen Forderungen zu machen, deren Er füllung die deutsche Industrie vernichten -und die Arbeiter selbst dem Elende preisgeben würde. Daß die kaiserliche Mahnung, wenn man sie ihres Beiwerks entkleidet, eine Wahlparole für die nächsten Reichstagswahlen sein soll und daS deutsche Volk auffordern will, bei diesen Wahlen in erster Linie die Zurückdrängung der Social- oemokratie als seine Aufgabe zu betrachten, hinter die die Verfolgung kleinlicher Partei- und Sonverinteressen zurück- treten muß, wird nur von einigen wenigen Blättern betont. Und wie der Bunv der Landwirthe diese Mahnung zu beherzigen gedenkt, da- haben seine Führer sofort am Sonn abend im preußischen Abgeordnetenhause gezeigt. Sie werden in die Wahlbewegung den Getreide-Monopol-Antrag des Grafen Kanitz bineinwerfen und dadurch einen unüber brückbaren Riß in die Reihen der bürgerlichen Parteien bineintragen. Heute soll an derselben Stelle von konservativer Seite kundgemacht werden, daß die Parole „Zwangs innungen und Befähigungsnachweis", sofern diese von einem großen Theile des Handwerks ver abscheuten Einrichtungen nicht vor den Wahlen gewährt werden, für die Wahlen ausgegeben werden soll zur Freude der Socialdemokratie, die mit Recht von dieser Parole auch eine Zerspaltung deS Handwerks erwartet. Herr von Kardorff hält zu gleichem Zwecke die Silberwährung bereit. Der Freisinn hat sich bereits vollends auseinander geeinigt und wird die Zerklüftung des Bürgerthums in Gruppen und Grüppchen bei den Reichs- tagSwahlen noch verstärken Kelsen. Vom Ce nt rum weiß man, daß eS bei der Wahl zwischen einem National- liberalen und einem Socialdemokraten dem Letzteren den Vorzug giebt. Auf die Socialdemokraten selbst aber wirkt die kaiserliche Mahnung befeuernd. Arm in Arm und Schulter an Schulter werden Alle und Junge, Anarchisten und Ge mäßigte in den Kampf ziehen, dessen Ausgang gar nicht zweifelhaft sein kann, wenn nicht eine kaum noch zu erhoffende Wandlung in der Haltung der bürgerlichen Parteien sich voll zieht. Bloße Mahnungen, daS siebt man schon jetzt, werden schwerlich etwas fruchten, da die Gegensätze im bürgerlichen Leben zu stark sind und der Kaiser in die Interna der Parteien sich nicht einmischen kann, ohne seine Stellung Uber den Streitenden zu gefährden. Eine Aende- rung zum Bessern können nur der BundeSrath und die Negierung der Einzelstaaten, besonders Preußens, herbeiführen, wenn sie mit unbeugsamer Festigkeit Alles zurückweisen, was über eine mittlere Linie hinausgeht, und erkennen lassen, daß auch die wüsteste Agitation und das trotzigste Fordern nicht hinreicht, um die Haltung der Regie renden schwantend zu machen. Erhält sich aber im deutschen Bürgerthume, das an die Stelle de- großen Wortes „Wenn ich Dich nur habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde", das andere gesetzt hat: „Wenn ich nur habe rc.", die Meinung, man brauche nur recht zu schreien und zu wühlen, um das Gewünschte zu erreichen, so müßte ein Wunder ge schehen, wenn nicht geschehen sollte, was ver Kaiser abwendcn möchte, aber allein nicht abwenden kann: neue Siege der Socialdemokratie bei den nächsten Reichstagswahlen. Festig keit der Regierung ist aber unmöglich ohne Einigkeit. Und daß es bei inneren Fragen an Emmüthigkeit im Bundes- rathe wie im preußischen Staatsministerium noch gar häufig fehlt, daS haben leider trotz gegentheiliger Versicherungen auch in neuerer Zeit die Thatsachen erwiese». Die klerikale „Kölnische Volks-Zeitung" findet es zwar nicht schön, daß dem Lande verratben worden ist, der Reichs tag könne in dieser Woche keine Plenarsitzungen Hallen, weil die rheinischen Centrumsmänner zum Karneval nach Köln wollen, sie findet sich jedoch damit in folgender Weise ab: „. . . wer einigen Sinn für Humor hat, möchte wünschen, daß die Carnevals-Ferien eine bleibende Institution für den Reichstag würden. Unter der Führung von n ationalliberalen Parlamentariern wird seit einiger Zeit Stimmung gemacht behufs Einführung nationaler Festtage mit Hüpfen und Springen, Essen, Trinken und Reden — in Köln können die Herren alles zusammen haben und brauchten sich nicht nach neuen Festtagen umzuiehen. Aber man muß die Feste feiern, wie sie fallen. Also auf zum Carneval!" Der Zufall fügt es, daß gleichzeitig der Vorstand des Westdeutschen Vereins zur Hebung der öffent lichen Sittlichkeit in der „Kreuzztg." folgende Erklärung veröffentlicht: „Der unterzeickinetr Vorstand richtet an alle VolkSfreunde ohne Unterschied des Standes und der Confession die herzliche und dringende Bitte, angesichts der verwüstenden Wirkungen, welche die mit der Carnevalsfeier verbundenen sittlichen Ausschreitungen auf unser ganzes Volksleben üben, diesem Un- wesen nach Kräften entgegenzutreten. Wir kennen kein Volksvergnügen, das zerstörender auf das wirthschastliche, häusliche und sociale Leben einwirkte, als der Earneval in seiner heutigen Gestalt. Ec ruinirt ungezähltes Menschenglück, häuslichen Frieden und Wohlstand, jugendliche Un schuld und weibliche Ehre und hinterläßt bei Unzähligen Reue und Ekel. Wer es mit dem Volke gut meint, muß mithelfen, daß es anders werde." Vielleicht sorgt der Vereinsvorstand dafür, daß im Reichs tage von conservativer Seite ein Antrag eingebracht wird, der den BundeSrath ersucht, auf gesetzliche Mittel zur Ein dämmung der verwüstenden Wirkungen der Carnevalsfeier zu denken. Die Berathung dieses Antrags würde zu einer Scene führen, die in Köln nicht überboten werben könnte. Uebrigens sind wir mit den „Berl. N. N." der Meinung, daß der Carneval, seitdem das Centrum die ausschlaggebende Partei ist, längst eine „bleibende Institution für den Reichs tag" geworden ist, ja, daß der ganze Reichstag an den meisten seiner Sitzungstage innerhalb und außerhalb des Hauses Carneval feiert. Wenn dieser Carneval nur nicht gar so traurig wäre! , „ES ist klar, daß schrittweise vorgeganzen wird", sagte in Bezug auf Kreta in seiner letzten OberhauSrede Lord Salisbury am Donnerstag — da ließ er die Vertreter der übrigen Mächte, die sich aus die russischen Vorschläge geeinigt hatten und nur noch der in Aussicht gestellten Zu stimmung Englands harrten, um mit einem collectiven Ulti- matum in Athen vorstellig zu werden, vergeblich warten, so daß die Collectivnote nicht, wie geplant, am Freitag zu Stande kam und die Meldungen, welche bereit- von dem Anschluß Englands, ja von der Ueberreichung der Note berichtet hatten, dementirt werden mußten. Da kam plötz lich das russische Ultimatum, und nun erst, so be hauptet man in Wiener diplomatischen Kreisen, sah sich England veranlaßt, zu erklären, daß eS mit den russischen Vorschlägen einverstanden sei; daS Gleiche habe Italien gethan. Demnach hätte das russische Communiqus, von dem behauptet wird, es sei der griechischen Regierung noch nicht übermittelt, wenigstens den Erfolg gehabt, die beiden noch schwankenden Mächte zum Entschlüsse zu drängen. Das wäre schon sehr viel. Allein uns will es nicht scheinen, daß die Uebereinstimmung eine vollständige sei. England will, daß schrittweise vorgegangen wird, und so wäre es verwunderlich, wenn es sich sofort ohne Rückhalt und bedingungslos den russischen Vorschlägen angeschlossen hätte. DaS hat es auch anscheinend nicht getban; wenigstens dürfte es aus folgenden beiden, schon im heutigen Morgenblatte mitgetheilten Meldungen bervorgehen, die wir nochmals folgen lassen, da sie den gegenwärtigen Stand der Mächte-Action bezeichnen. Sie lauten: * Paris» 37. Februar. Eine Note der „Agrnce HavaS" besagt: Die Mächte übersandten ihren Botschaftern in Konstantinopel und ihren Gesandten in Athen Instructionen zu dem Ende, sich über Notificirungen an die Regierungen der Türkei und Griechenlands zu verständigen gemäß dem Vorschläge Ruß- lands Mid den Erklärungen Salisburh's im Oberhause. * Rom, 28. Februar. Der „Agenzia Stesani" wird aus London vom heutigen Tage gemeldet: Die Botschafter in Konstan tinopel und die Gesandten in Athen haben nunmehr den Wortlaut der Collectivnoten, welche der türkischen und der griechischen Regierung überreicht werden sollen, vereinbart. Die Noten werden wahrscheinlich morgen überreicht werden. Es wird bestätigt, daß die für die griechische Regierung bestimmte Note dieser eine Frist vou Vier Tagen zur Zurückberufung deS Ge- schwaders und der Truppen von Kreta stellt. Wenn der Pariser Correspondent der „Franks. Ztg." recht unterrichtet ist, so wäre die Collectivnote thatsächiich gestern Nachmittag in Athen überreicht worden. Demnach wären wir so weit, daß ein Compromiß zwischen der englisch-italienischen und der russischen Auf fassung, welche zugleich die Deutschlands, Oesterreichs und Frankreichs ist, zu Stande gekommen scheint. Wie weit darin dem Sonderstandpunct Englands, das bekanntlich u. A. die Zurück ziehung auch der türkischen Truppen aus Kreta fordert und nötigenfalls erzwungen wissen will, entgegengekommen ist, weiß man nicht, aber wenn England insofern nachgezeben hat, daß es die Anwendung von schroffen Maßregeln nicht mehr hinanszuzögern, d. h. zu verhindern sucht, sondern nach Ablauf von vier Tagen an der Blockade der griechischen Häfen oder gleichwertigen Zwangsmaßnahmen theilnehmen will, wenn England sich also zu einem letzten entscheidenden Schritt entschlossen hat, so kann man die England etwa gemachten Concessionen vorläufig auf sich beruhen lassen und mit Genugthuuug constatiren, daß Ruß lands energischeSAuftreten thatsächiich,wenigste ns in der Hauptsache, seinen Zweck erfüllt hat. E« kann nun nicht mehr „schrittweise" vorgegangen werden, und wenn England sich mit Italien doch noch im Hinter treffen halten sollte, wenn die übrigen Mächte gegen Griechenland einschreiten, so kann man in London wenigstens nicht mebr den Schein zu erwecken suchen, als geschähe etwas, was die Zustimmung der englischen Regierung nicht gefunden habe, vielmehr handelt dann die internationale Flotte nicht nur im Anflrage der vier Mächte, die biSber England- Italien gegenükerstanden, sondern als Mandatar aller Mächte, einschließlich Italiens und Englands. Nach Ablauf der viertägigen Frist wirb eS sich ja zeigen, ob wirklich die Dinge so weit gediehen sind, oder, womit man immer rechnen muß, die Karten wieder anders gemischt werden. Wenn jetzt von Wien auS versucht wird, das russische Communiqu4 als apogryph zu behandeln und ein D4Saveu desselben in Aussicht zu stellen, so mag sein, daß Letzteres erfolgt. Ja, mit etwas Aehnlichem hat man eS schon zu thun, wenn eS in der „Pol. Corr." heißt: „Gegenüber der vom „Wolff'schen Bureau" über das Vorgehen Rußlands in der kretischen Angelegenheit verbreiteten Darstellung FrrrNlrt-ir. 8! Ein Frauenherz. Roman frei nach dem Englischen bearbeitet von Emil Bernfeld. Nachdruck verboten. «Ich finde, mein lieber Tom", entgegnet« der Major trocken — entschlossen, seinem Neffen der dieser Gelegenheit die alte Schuld voll heimzuzahlen, „daß Du es ein wenig machst, wie der Hund in der Fabtl, der die Speise wenigstens in den Fluß wirft, die er nicht selbst genießen kann. Du hegst nicht den Wunsch, Margaret zu heirathen, aber Du gönnst sie trotzdem keinem Anderen!" Mr. Tom Blessinzton fand es nach dieser Bemerkung gut, sich für beleidigt zu halten, war bös« und verließ Brighton noch an demselben Tage, die offerirte Gastfreundschaft seines Onkels stolz ablehnend. Sein flüchtiger Besuch hatte indeß Grey'S Sache insoweit gefördert, daß Major Willmor am folgenden Tage seine vfsicielle Einwilligung gab, und nachdem er in der Haupt- sache selbst einmal die Entscheidung getroffen, war Willmor nicht der Mann, in Einzelheiten zu deuteln oder Schwierig keiten zu machen. Er hatte nicht- gegen eine möglichst nahe Anberaumung des Hochzeitstages einzuwenden, und der Wunsch beider Verlobten, die Ceremonie so einfach wie möglich und im engsten Bekanntschaftskreise zu vollziehen, um Margaret nicht der Peinlichkeit der öffentlichen Neugier aus- znsetzen, war so natürlich, daß er gleichfalls nur seine Billigung finden konnte. Pansy, wurde bestimmt, sollte die einzige Brautjungfer sein und sie war durchaus nicht ganz ohne Mitwirkung bei dem Umstande, daß man Lord Flemmingham zum einzigen Begleiter deS Bräutigam- erwählte; im Uebrigen sollte sich die Gesellschaft, da Tom den Gestaden BrighlonS nicht seine Anwesenheit schenkte, nur aus dem Major und Miß Blessington zusammensetzen. Wenige Tage vor der Hochzeit kehrte Mr. Russell, der bi« jetzt auf Reisen gewesen und von der Verlobung noch nicht- wußte, unvermuthet zurück. Pansy hatte in seiner Abwesen heit aus Margaret'- Bitten bei dieser Quartier genommen, und als er dies bei seiner Ankunft hörte, begab er sich nach dem Willmor'schen Hause, um sie abzuholen. Wenn dort sein Erscheinen, da man ihn noch auf der Reise glaubte, einige Ueberraschungrn hrrvorrief, so sollte dir Ueberraschung, die ihn selbst dort erwartete, viel größer und, wie es schien, merkwürdigerweise ungleich weniger harmlos sein. Der Major und Miß Blessington waren nicht anwesend, die übrige Gesellschaft traf er bei den Vorbereitungen zum Thee. Pansy kniete, mit dem Kessel beschäftigt, vor dem Kamin und Lord Flemmingham kniete in feierlichem Ernst und Schweigen neben ihr, um ihr Handreichungen zu leisten; Stephen und Margaret saßen in einiger Entfernung von ihnen seitwärts. Mr. Russell war ein langer, robuster Mann mit dem steifen, trockenen Wesen eines Amerikaners, ein Mann, dessen unbewegliche- Gesicht selten ein Lächeln oder einen Anflug irgend einer Erregung zeigte, und dessen Erscheinung nach kemer Richtung bin freundlich oder sympathisch zu wirken pflegte. Selbst Pansy empfand im Stillen ein kleines Be dauern, daß er gerade jetzt kam, wo Alles so gemüthlich war, und man eine so hübsche, frohe Zeit vor sich hatte, obwohl sie natürlich eifrig aufsprang und ihn begrüßte. „Welch' rin glücklicher Zufall, daß Du früher heimkebrst, als wir erwartet batten", sagte sie in Beantwortung seiner etwas steifen und wohl abgemessenen Begrüßungsworte. „Denke Dir nur, wenn Du Margaret'- Hochzeit versäumt hättest — Margaret'« Hochzeit, waS sagst Du dazu?" „Ah — Miß Willmor wird heirathen? Und schon in nächster Zeit? Very «elll Ich habe die Ehre, Miß Willmor, Ihnen meinen ergebensten Glückwunsch anszusprechen." Er hatte sich an Margaret gewendet und reichte ihr die Hand. Dann mit den Augen suchend um sich blickend, fuhr er fort: „Mr. Thomas Blessington ist zu meinem Bedauern nicht hier. Ich muß daS Vergnügen, ihm meine Glückwünsche ab- zustatten, auf ein anderes Mal verschieben." Pansy zupfte ihn erschrocken am Rockärmel. „Nicht doch! Mr. Grey ist ja der Bräutigam!" flüsterte sie ihm zu. Er wendete langsam daS Gesicht zu ihr und starrte sie betroffen an. Während bie anderen Drei sein momentanes Schweigen und sein Betroffensein lächelnd auf Rechnung der Verlegenheit schoben, in die ihn sein Irrthum versetzt, hatte nur Pansy die leise Neußerung gehört, die ihm dabei ent schlüpft, bevor er sich den Verlobten wieder zuwandte, uni einige ruhige, gemessene Worte der Entschuldigung an sie zu richten „Stephen Grey? Der Himmel stehe ihr bei!" hatte er gemurmelt, und Paush, die ihren Vater kannte und wohl wußte, wie selten er eine Bewegung zeigte oder ein Zeichen von Thrilnahme oder Mitleid gab, erschrak. Eine bange Vorahnung beschlich sie, daß die Zukunft ihrer armen theuren Freundin nicht so wolkenlos und freundlich sei, wie sie ge glaubt und gehofft hatte. VIII. Die Sonne strahlte hell an Margaret'- HvchzeitSmorgen. „Ich weiß, daß die Sonne scheint, ich fühle ihre Wärme auf meinem Gesicht und die Luft, die durch die Fenster strömt, ist mild und würzig. Das Wetter muß schön sein heut an meinem Hochzeitstage. Ist es nicht so?" sagte die junge Braut, als Pansy, die über Nacht im Willmor'scken Hause geweilt hatte, Morgens an ihr Bett trat und sie weckte. „Es ist so", antwortete Pansy bewegt. „Glücklich die Braut, auf deren Kranz die Sonne blickt, heißt es in einem alten Spruch!" „Wie ernst und feierlich Du das sagst!" „Ich fühle es auch so. Es ist rin seltsam Ding, eine solche Hcirath, welche stets dem Weibe, zumal aber in Deinem Falle Dir, die Selbstständigkeit nimmt und sein Schicksal aus den eigenen Händen, ohne jede Reserve, für gut und schlimm, in die Hä»de eines Anderen legt, der fast ein Fremder ist." „Ich empfinde keine Furcht!" versetzte Margaret mit einem verklärten, gläubigen Lächeln, das Pansy wie mit Ehrfurcht erfüllte und vor dem sie sich schweigend beugte. Auch ihr Bangen schwand und frohe Zuversicht kehrte ihr wieder bei dem Vertrauen, von dem sie die Freundin beseelt sah. Pansy hatte ihren Vater nicht nach der Bedeutung seiner Aeußerung zu fragen gewagt, er liebte das nicht und würde ihre Frage nicht beantwortet haben. Aber sie mochte Stephen Grey gern leiben und konnte sich jetzt nur dem Glauben hiogebeu, daß entweder ibr Ohr sie getäuscht bei dem, was sie von ihrem Vater gehört, oder dieser infolge «rgend eines MHoerständnisseS gesprochen. Margaret Willmor war, obwohl blind, als Braut so schön, baß man kaum eine lieblichere sehen konnte. Dir Ereignisse dieser letzten drei Monate, die über ihr junges Leben dahin gegangen waren, hatten sie nur mit erneutem Reiz, ihr Wesen mir erhöhter Anmuth geschmückt. „So wahr ick, weiß, was schön ist, sie sieht wie ein Engel aus!" erklärte Pansy enthusiastisch, als sie ihr durch den Cborgang der Kirche folgte, von Lord Flemmingham begleitet, der ihr murmelnd beistimmte, obgleich er so zufrieden mit dem wunderhübschen Gesicht an seiner Seite war, daß er noch gar keine Zeit gesunden hatte, Margaret anzublicken. Der junge Lord Timburh, der sich zufällig gleichfalls in Brighton befand und am Vormittag des Hochzeitstages ge kommen war, seine Glückwünsche abzustatten, machte plötzlich die Entdeckung, daß es eigentlich furchtbar dumm von ihm gewesen sei, Margaret nicht selbst zu nehmen, da er keinen Augenblick daran zweifelte, daß er sie bekommen haben würde, wenn er sich nur vor Grey gemeldet hätte. Stephen aber war sich der Köstlichkeit de- Preises Wohl bewußt, den er errungen hatte. Ein Ausdruck fast abgöttischer Verehrung lag auf seinem Gefickt, als er mit der strahlend schönen Braut vor den Altar trat. * * Stepben Grey führte sein junge« Weib unmittelbar nach der Trauung nach ihrem zukünftige» Heim, seiner Besitzung Greystone Abtei. Die übliche größere Hochzeitsreise ins Ausland wäre in Margaret'« Fall zwecklos und für die Blinde mehr eine Unbehaglichkeit als eine Zerstreuung ge wesen; sie wünschte statt dessen umgebend ihr Heim zu erreichen, um sich durch die der Annehmlichkeit der Blinden so unumgänglich nöthige Gewöhnung dort so schnell als möglich einzuleben und zu orientiren. „Wenn ich den Ort, wo ich leben werde, doch nur einmal hätte sehen können!" batte sie. als man die Eisenbahn ver ließ und die harrende Equipage bestieg, voll Bedauern gesagt und ihr Gatte antwortete zärtlich: „Du sollst ihn mit ineiuen Augen sehen, Geliebte! Ich werde ihn Dir beschreiben — jeden Baum, jeden Strauch, jede Einzelbeit I" Und er gab ihr auf der Fahrt eine Schilderung von jedem Punct, an dem sie vorüberkameu und der sie irgendwie interessiren konnte, dabei gewissenhaft selbst nicht geringfügigere Gegenstände übergehend, die ein weniger von eifrigster Sympathie Geleiteter für nicht erwähnenSwerth gehalten haben würde. „Iktzt", sagte er, als sie das Parktbor von Greystone Abtei passirten, „sind wir in unserem Befitzthum. Soeben durchfahren wir da- Parktbor, dessen Gitter für unS geöffnet worden ist. Hier rechts von uns ist das Parkwächterbauschen und davor steht der alte HallowS, der Parkwächter, der von Glück über unsere Ankunft strahlt und vor freudiger Begierde zittert, seine neue junge Herrin zu begrüßen. Bitte, zeige Dick ihm, mein Liebling! Ich möchte dem alten Mann die Freude macken, Dich zu sehen — ich will, daß jeder Einzelne auf Greystone Abtei es sieht, welch schön« jung« Herrin ich mit mir in mein Heim gebracht!" Sie hielten einige Augenblicke an dem Parkthorhänscheu,
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