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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970506018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897050601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897050601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-06
- Monat1897-05
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Größere Schrisleu laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Sptra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Poslbesörderuug 60.—, mtt Postbesörderung 70.—. Iinnahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck uud Verlag von E. Polz tu Leipzig. 228. Donnerstag den 6. Mai 1897. 91. Jahrgang. Die Schnellladekanone. Bon unterrichteter Seite wird unS geschrieben: Die Schnellladekanone ist nicht mehr das Geschütz der Zukunft, sondern der Gegenwart. Thatsache ist, daß bereits vier ArmeecorpS, darunter daS Garde- und daS sechste, mit der Schnellladekanone ausgerüstet sind und in diesem Sommer mit dieser ausschließlich schießen werden. Unserem Kriegsherrn gebührt für diese That uneinge schränkte Anerkennung. Sie entspricht, wie alle früheren Rüstungen deS deutschen Heeres, dem Grundsatz „si vis pktesw, para deUum", — sie beruht auf der Gewißheit, daß Frankreich seit Jahresfrist mit allen Kräften an der Her stellung von Schnellladekanonen nach dem gleichen Princip arbeitet, zu welchem unsere 5 jährigen Versuche gelangt waren, — sie bedeutet einen außerordentlichen artilleristischen und taktischen Fortschritt. Letzteren wollen wir mit wenigen Worten in einer für den Laien verständlicheren Form auseinandersetzen, als eS bisher durch die vielen theilS zu gelehrten, theil» unvoll ständigen Aussätze in der Militair-Literatur geschehen ist. Der Vorzug des neuen Geschützes besteht haupt sächlich in der Beseitigung des Rücklaufs, der beim bisherigen Feldgeschütz trotz der Schießbremse auf ebenem lockeren Boden 1 bis 2 Schritt, auf ebenem festen bezw. glattem Boden 3 bis 4 Schritt, auf rück wärts geneigten Flächen das Doppelte und mehr betrug. Dieser durch den Rückstoß deS Pulvers bedingte Rücklauf erheischte vor jedem Schuß eine Entfernung aller Bedienungs- Mannschaften aus dem Gleise, und in der Regel nach jedem Schuß ein Wiedervorbringen der Laffette in die Feuerlinie und eine völlige Erneuerung der Richtung d«S Geschützes nach dem Ziele. Von den größeren oder geringeren Schwierigkeiten dieser beiden Verrichtungen hing die Zeitdauer ab, in welcher das abgefeuerte Geschütz wieder schußfertig war. Sie betrug durchschnittlich annähernd eine Minute, so daß eine Batterie von 6 Geschützen in derselben Zeit etwa 5 bis 6 Schuß abgeben konnte; wenn die Batterie zu ihrer Deckung gegen feindliches Feuer sich auf einen Abhang hinter der Kammlinie der Höhe aufgestellt hatte, so konnte durch daS Vorbringen der hinabrolleuden Geschütze aber auch ein viel größerer Zeitverlust entstehen, — in allen Fällen ermüdete diese Arbeit selbst aus ebenem Boden die Bedienung ganz außerordentlich. Taö neue Geschütz beseitigt den Rücklauf der Laffette bis auf einige Centimeter durch einen Sporn, der sich in der Richtung des Rückstoßes in die Erde eingräbt. Da aber bei starrer Verbindung des Rohres mit einer so festgestellten Laffette letztere viel zu schwer sein müßte, um der Gewalt deS Stoßes zu widerstehen, so besteht die Laffettirung aus einem feststehenden Untergestell und der daS Rohr tragenden Oberlaffette, die auf ansteigenden Schienen in dem Untergestell zurückgleitet und selbstthätig wieder vorläuft. Dadurch fällt nicht allein das Vorbringen nach jedem Schuß fort, sondern wird ermöglicht, daß die Richtung deS Geschützes in der Regel in wenigen Secunden durch einen Richtkanonier allein wiederber gestellt werden kann, welcher währenv deS AbfeuernS am Geschütz stehen bleibt und nur durch Niederbeugen auf das Visir die Richtung zu controliren und die feine Anvisirung zu verbessern hat, vorausgesetzt, daß das Ziel sich nicht ändert. Durch Verfeinerung der Richtmaschine, welche beim bisherigen Geschütz noch sehr primitiv war und unnütz Kraft und Zeit in Anspruch nahm, Verbindung von Geschoß und Ladung, die bisher getrennt eingebracht und angesetzt werden mußten und veränderte Art des AbfeuernS ist die Zeitdauer der Bedienung des Geschützes nach jedem Schuß noch mehr verkürzt worden, so daß daraus erhellt, wie die Schnellladekanone ihren Namen in der That führt und nöthigenfalls in der gleichen Zeit die vierfache Schußzahl und darüber abgeben kann, als daS bisherige Geschütz. Wenn man dem neuen Geschütz gleichzeitig eine bessere Wirkung zuschreibt, als dem alten, so ist dies indeß nur durch die überlegene Schußzahl deS ersteren zu erklären. Die Wirkung deS einzelnen Geschosse« neuer Art wird etwas ge ringer sein als desjenigen alter Art, weil das neue Kaliber (7,5 cm) kleiner ist, als daS alte (8,8 cm), und aus demselben Grunde auch die ballistischen Eigenschaften deS neuen Ge schützes die deS alten nicht voll erreichen dürsten. Indeß sind durch Verbesserungen deS neuen Geschosses (Bodenkammer-Shrapnel) und der Einrichtungen des RohreS (Länge, Drall) die Nachtheile des kleineren Kalibers auch einigermaßen ausgeglichen, jedenfalls sind sie gegenüber der verfügbaren Feuergeschwindigkeit ganz verschwindend. Wir bemerken dabei, daß ein größeres Kaliber für daS Feldgeschütz sich als unverträglich mit der Hemmung durch den Sporn, bezw. mit der durch die gebotene Beweglichkeit ver Feldartillerie bedingten Leichtigkeit der Laffette erwiesen hat. Daher ist auch Frankreich auf dasselbe Kaliber (7,5) ab gekommen. Eine weitere Consequenz der bedeutenden Schnelllade- Fähigkeit ist es, daß die Batterie nicht 6 Geschütze uölbig hat, um ein ununterbrochen durchlaufendes Feuer zu unter halten; schon 4 Geschütze genügen weitaus. Wenn man dennoch 6 Geschütze pro Batterie beibrbält, so wird man den doppelten Vortheil haben, in kritischen Momenten ein übermächtiges Schnellfeuer erreichen und Verluste an Mannschaften, Pferden und Material bis zur Hälfte der GefechtSbatterie leicht ertragen zu können. Endlich aber bringt unS daS Schnellladegeschütz einen taktischen Vortheil, auf den in der Press« bisher kaum aufmerksam gemacht worden, der aber aus schlaggebend für seine Einführung gewesen ist: Die Feldartillerie ist jetzt erst in der Lage, von allen Deckungen im Gelände Gebrauch zu machen, weil sie unabhängig vom Rücklauf der Geschütze geworden ist. Sie kann auf steilen Abhängen so hinter der Kammlinie de» Berges abprotzen, da nur daS Visir über dieselbe hinwegsieht, oder vor Gräben und in Waldrändern Stellung nehmen rc. Wenn dies auch bisher schon beim Mannöver geschah, so ent sprach das oft nicht den kriegsmäßigen Verhältnissen, war nur ausführbar durch die schwache Ladung der Manöver kartusche und auf Kosten der Feuergeschwindigkeit. Uebrigens wird das neue Geschütz die Schießbremse für diejenigen Fälle behalten, in denen der Sporn in den Boden etwa nicht einbringen kann (Stein, Frost). Erwägt man hiernach, welch' ungeheures Uebergewicht die Schnelllade kanone der Feldartillerie sowohl an Wirkung gegen einen noch nickt damit ausgerüsteten Gegner, als auch durch Schonung und Sicherung der eigenen Kampfmittel gewährt, so wird man einsehen, wie groß die Gefahr war, durch eine Großmacht in dieser Hinsicht überflügelt zu werden, welche nach wie vor daS Wort „revLucke^ auf ihre Fahne ge schrieben hat. Deutsches Reich. Q Berlin, 5. Mai. Der „Vorwärts" ist in früher Morgenstunde des vorigen Montags in einer Sonderaus gabe erschienen. Diese bestand au« vier enggedrucklen Seiten, repräsentirte also eine sehr umfangreiche Setzerarbeit. Wie Vie Bourgeois und leider auch viele „Genossen" schon sind, wurde eS bekritelt, daß das „Centralorgan" eine große Anzahl von „Arbeitern" unter Verkürzung der herkömmlichen Sonnlags pause in die, mit Herrn Pfarrer Naumann zu reden, „Frobnveste der Fabrik" gezwungen hatte, noch dazu, um Berichte über den zur Bekämpfung der Arbeitssclaverei ein gesetzten „Proletarier-Feiertag" berzustellen. Diesmal aber kann der „Vorwärts" mit Leichtigkeit die Vorwürfe zerstreuen. Er ist genau nach dem Brauch der regelmäßig am Montag Vormittag erscheinenden bürgerlichen Blätter verfahren, die zum größten Thcil einen am Sonn abend hergestellten Test verwenden. Natürlich müssen üe auch da» Manuskript dazu am Sonnabend baden. Sie halten sich in ihrer Rückständigkeit zumeist an geschichtliche, literarische und verwandte Aufsätze. Hierin ist der „Vorwärts" allerdings von ihnen abgewiche». Er bat seine Berichte über die Maifeier in Berlin und im Reiche als vorsorglicher Hausvater ants kost um verfaßt. Dadurch sind seine Leser nicht im Mindesten benachtheiligt worden. Denn wenn die Berichte zwei Tage später ge schrieben wären, würden sie gerade so renomistisch erfunden gewesen sein, wie die vorliegenden. Wir glauben sogar, die diesjährigen Bulletins des „CentralorgangS" über „aus gedehnte Arbeitsruhe" am 1. Mai stimmen genau mit den vorjährigen überein. Auch darüber dürfen sich die Abonnenten nicht beklagen, denn: waS sich nie und nirgends hat begeben, bas allein veraltet nie. Berlin, 4. Mai. Immer wieder nötbigt der Posener Erzbischof vr. von Stablewski, darauf hinzuweisen, wie er die Hilfsmittel der Kirche und seine hirtenamtliche Auto rität in den Dienst der großpolnischen Agitation stellt, und wie wenig davon zu halten ist, wenn er, so ost die Unvor sichtigkeit einzelner übereifriger Pröpste seinen Klerus bloß gestellt hat, mit einem national versöhnlichen Hirtenbrief eine Deckung davor aufbaut. JuGraudrnz existirt seit mehreren Jahren rin polnisches Hetzblatt untergeordnetster und schlimmster Art, das von eimm ehemaligen Lehrer NamenS KulerSki redigirt wird, soweit dessen Thätigkeit nicht durch seine fortgesetzten Conflicte mit dem Strafgesetzbuch unter brochen wirb, und das seine Arbeit nur darum so ungenirl voll ziehen kann, weil sie sich infolge der fremden Sprache ungestört von der großen Ocffentlichkeit, namentlich der Aufmerksamkeit der Berliner Presse vollzieht. Die Artikel jenes Blattes sind eine endlose Kette von Verhetzungen schlimmster Art. Der deutsche katholische Dekan in Graubenz, derselbe, dem von Polen das berüchtigte Wort „Schlagt die deutschen Hunde todt!" in der Kirchenwablversammlung zngerusen wurde, hat zur Genüge erfahren müssen, welche Verwüstungen dieses Blatt in seiner früher so friedlichen Parochie anrichtet. Dieses Blatt meldet nun seinen Lesern, wie unS auS Grauden; geschrieben wird, Herr Erzbischof v. Stablewski habe den Verleger des Blattes in seinem Palais empfangen und ihm, seiner Familie und — seinem Verlage seinen Segen gespendet. Wir wünschen im Interesse des Posener Erzbischofs, daß der Sachverhalt sich anders berausstellt. Denn hier läge ein Fall vor, wo es sich nicht mehr um eine rein kircblicheHandlung handelte, sondern um eine politische, und zwar um eine direkte, bewußte För derung der polnischen Propaganda. Der Oberhirte des Herrn KulerSki ist der Kulmer Bischof vr. Redner in Pelplin. Dieser hätte znm Alle, mindesten um seine Ansicht befragt werden sollen, ob der Herr KulerSki und sein Verlag eine solche kirchliche Auszeichnung verdienen. Wir vermuthen, die Ant wort wäre verneinend ausgefallen, denn die Hctzarbeil des genannten „Verlags" hat sich auch vor der Würde des deutschen Bischofs nicht genirt. So würde sich diese Amts handlung LeS Herrn v. Stablewski auch als eine politisch außerordentlich gefährliche Einmischung in die Verhältnisse anderer Provinzen und Diöcesen darstellen, die geeignet wäre, den Rückhalt, den das Deutschtbum noch an den Bischöfen Or. Redner in Pelplin, Vr. Thiel in Frauenburg und dem Fürst-Bischof Kopp in Schlesien hat, zu untergraben. Wir empfehlen daher der Regierung, wenn sie im Osten wirklich etwas erreichen will, dem Herrn Erzbischof v. Stablewski in Posen eine Erläuterung zu dem Treueide zuzustellen, den er selbst in die Hand des Kaisers geschworen hat. * Berlin, 5. Mai. Zur Frage der „Verelendung der Massen", die durch den Scbönlank-Licbkneckt'schen Streit wieder einmal auf die Tagesordnung gesetzt worden ist, liefert daS „Statistische Jahrbuch deS Deutschen Reiches" recht beachtenSwertheS Material. Darnach ist der Kopf verbrauch gestiegen von Roggen Weizen Gerste Kilogramm Hafer Kartoffeln 1879/84 121,0 51,6 46,6 82,1 339,9 1894,95 126,5 68,7 63,7 94,7 443,0 Der Branntweinverbrauch stellte sich pro Kopf 1887/88 auf 3,6, 1894/95 auf 4,3 Liter, der Bierverb rau ch wuchs von 93,3 Liter im Jahre 1875 auf 106,9 Liter 1894/95, der an Tabak von 1,3 kx in den Jahren 1861 65 auf 1,6 kss im Jahre 1894/95, an Salz von 12,6 im Jakre 1875 auf 18,1 kg 1894/95, an Zucker von 7,7 in 1886/87 auf 10,7 kg in 1894/95. — Ferner finden sich dort folgende An gaben über den Kopfconsum für einen fast sechzigjährigen Zeitraum: 1836 40 1891/95 Kilogramm Baumwolle 0,34 4,95 Gewürze . 0,05 0,15 Heringe , 1,10 3,74 Kaffee . . 1,01 2,41 Cacao . . 0,01 0,16 Rei- . . 0,18 2,49 Südfrüchte 0,06 1,39 Thee . . 6,004 0,05 Diese Zahlen sollten, bemerkt dazu der „Hann. Cour ", im socialdemokralischen Lager einen Streit darüber gar nicht erst auskommen lassen, ob die Theorie von der Verelendung der Massen haltbar sei oder nicht. ?. Berlin, 5. Mai. (Telegramm.) Der Kaiser, der gestern Abend auS Stettin hier eintraf, hörte heute früh um 8 Uhr den Vortrag des Reichskanzlers Fürsten zu Hohen lohe, begab sich darauf nach dem Tempelhofer Felde zur Be Feuilleton. Pharsalos. Bon Karl Weber. Nachdruck verboten. Wer von Larissa durch die weite, heiße, baumlose Ebene Thessaliens südwärts zieht, der ist, ermüdet durch die Ein tönigkeit der Wanderung, herzlich froh, wenn er am Horizonte Hügel und Berge näher und näher kommen sieht und endlich einen Haufen weißer Häuser am Fuße eine- ziemlich steilen röthlichen Hügel» erblickt. Ein paar MinaretS überragen die niedrigen Gebäude, die Störche, die nirgend- in Thessalien fehlen, schwimmen über ihnen in der blauen Luft, vom Hügel herab blicken die Ruinen der Akropole, noch heute impomrend, in da» Thal hiriab, daS mit Getreide, Mais und Tabak recht gut bebaut ist und von dem Flusse durchströmt wird, den die Alten EnipeuS nannten. Nicht» stört den weltverlorenen Frieden, in dem daS Nest ruht, selten nur unterbricht der Pfiff eines ZugeS, der von Larissa kommt und nach Volo fährt, diese Stille der Vergessenheit. DaS ist Pharsalo», wie eS jetzt wieder officiell heißt, Fersala, wie eS da» Volk zu nennen pflegt, Tschataltsche, wie e» die Türken hießen. PbarsaloS! Wer könnte wohl ohne Bewegung auf die ärmlichen verfallenden Häuser blicken, die den Schauplatz einer vielhundertjährigen, von Dichtern und Historikern be sungenen und geschilderten Geschichte darstellen! Hier, auf dem Blachselde, das zwischen dem Flusse und dem Burghügel sich dehnt — wogende Kornfelder bezeichnen heute die historische Stätte —. standen einst, an jenem gluthheißen Augusttage, Pompezu» und Cäsar einander gegenüber: Morgens scholl daS Thal wieder von den übermüthigen Jubelrufen der Pompejaner, di« in ihrem Lager schon da« SiegeSmahl rüsteten und AbendS war der flüchtige Pompes»« schon mehr al» acht Meilen weit fort und stillte seinen brennenden Durst durch einen Trunk auS den kühlen Wassern deS da« Tempe-Thal durchströmenden Peneu«, während in Pharsalo» der neue Herr der Welt seine Anordnungen traf. Und nun scheint r«, als ob auf diesen pharsalischrn Feldern »in neuer Entscheiduug«kampf sich abspirlea soll, der zwar nicht über die Herrschaft deS vrdi» terranun, aber doch I immerhin über daS Geschick von Völkern und Herrschern ent- scheiden würde. Eine wunderliche Fügung, die den merk würdigen Ort noch merkwürdiger macht. Da» heutige Pharsalo» zeigt nicht» von Größe und Blütbe. Der Ort ist unter der griechischen Herrschaft sehr zurückgegangeu; in der Türkenzeit zählte er 5—6000 Ein wohner, jetzt beträgt die Bevölkerung nur etwa 2300 Köpfe, und die weitläufige Anlage ist für die Gegenwart viel zu groß geworden. Die Vergänglichkeit hat Pharsalo» zahlreiche melancholische Spuren aufzedrückt. Ein großer Tbeil der Gebäude liegt in Trümmern, nur zuweilen erhebt sich zwischen verfallenden Ruinen «in bewohnte» Hau«, und der ganze Ort ist allmählich in zwei getrennte Weiler zeiffallen. Zahl lose Dohlen durchschwärmen schreiend diese» Ruinenfeld. Einst luden hier fünf Moscheen die Bekenner Mohamed'» zur Andacht eia, jetzt, wo nur etwa 1000 Türken am Orte an sässig sind, genügt ihnen eine; und während die anderen ver fallen, wirb die letzte, wenn im Ramadan-Monat Abend» „der Muezzin seinen klangvollen melancholischen Ruf erschallen läßt und nach eiagetretener Dunkelheit am schlanken Minaret al» festliche Beleuchtung unzählige Lämpchen aufflammen", gewissermaßen zu einer plötzlichen phantastischen Erscheinung au» dem tiefen Oriente, dem Pharsalo« noch vor wenigen Jahrzehnten ganz angebörte. Die Straßen de« Städtchen» sind krumm und schmal, schleckt gepflastert und still. Zu beiden Seiten Geschäfte; ihre Schirmläden sind aufgezogen und bilden so eine Art fortlaufenden Dache» über der Straße, durch da» die Sonne nur in Streifen hindurchfällt. Dieser Schutz ist besonder- im Sommer sehr nötbig, da die Hitze dann hier zuweilen eine außerordentlich« Höhe erreicht. Der Bazar ist wenig interessant, an dem kothigen Hauptplatze zeigen sich rin paar CafS«. Da- ist etwa da- Bild de» heutigen Pharsalo», wie e» sich in Frieden-zeiten zeigte. Still und träge wie die Straßen sind auch die Menschen. Sie haben keine Eile, si« geben langsam, sie sprechen ruhig mit einander. Die griechische Fustanella, die Tracht der Albanesen, da- Türkencostüm zeigen sich friedlich nebeneinander^ dazwischen zeigt sich ab und zu dir Uniform eine» griechischen Gendarmen, der rothe Fez eines „Effendi" und selbst wohl einmal eine europäische Kleidung äeruler ert, die au» den Athener Magazinen stammt. Griechen und Türken vertrugen sich in diesem stillen Oertchen reckt gut; DcSckamp« sah in einem CafS den griechischen Pappas und den mohamedanischen Mufli ganz vergnüglich zusammen Karten spielen, unbekümmert um den „Zwist der Könige" und der Rassen, und auch der jüngste deulsche Reisende, A. Philippson, bestätigt, daß selbst die Griechen ihren mohamedanischen Genossen nur Gutes nachsagten, und daß die Türken hier überall friedliche fleißige Arbeiter oder milde Gebieter waren. Nun baden sie sich seit dem Urbergange der Stadt in griechischen Besitz allmählich immer mehr und mehr au« der Gegend zurückgezogen. Aeußerlich ist die Umwandlung von Pharsalo« au« einer Türken- in eine Griechenstadt dem Orte nicht gut bekommen. Denn hier wie überall suchten die Türken die Schönheit der Natur zu ver wenden; sie liebten und pflegten laubreiche Bäume und legten kühlende Fontaine» an. So gewährte da« türkische Pbar- saloS einen freundlichen Anblick. Die Griechen hingegen be sitzen wenig Natursinn und dies vermehrt den ärmlichen Eindruck, den die verfallende Stadt hervorruft. Sv bot PbarsaloS bis in die jüngsten Tage hinein daS Bild deS tiefsten Frieden« und ganz befremdlich muß jetzt der Lärm der Soldaten, das Dröhnen der Kanonen, die ganze Aufregung eine« Feldlager« diese Abgeschiedenheit unterbrechen. Freilich ist PbarsaloS erst in der griechischen Zeit auch wirth- schastlich so völlig in Verfall geraihen. In der ersten Hälfte unseres Jahrhundert« traf Leake hier sech« bi« sieben Hundert bewohnte Häuser und eine ziemlich rührige Bevölkerung, von der damal» nur ein geringer Tbeil griechisch war. Von Natur ist der Ort zu einer gewissen Bedeutung bestimmt. Hier erreicht die große thessalische Ebene ihre Süvgrenze und der Weg von Larissa nach dem Hafenorte Volo tritt in die Hügel und Berge ein, hier schneidet er sich mit den Straßen nach Lamia und Trikkala, und auf diesem Umstand beruht Pharsalo« geschichtliche und strategische Bedeutung. Einst war r« Thessalien« angesehenste nnd mächtigste Stadt. Sie lag damal« auf dem Abhänge de« Berge«, den sie heute ver lassen bat; mächtige Festungswerke schützten sie, die noch di» heute den Unbilden der Witterung getrotzt haben und jetzt zum Theil in die modernen Häuser verbaut find. Bald zeigt ein« Fontaine, bald ein Sitz oder ein Ladentisch Steine, die einst jenem berühmten PbarsaloS angehörtrn, in dem nach der Ueberlieferung der Gegend Achill sein Grab ge sunden und nach EuripideS' Angabe Andromeda in der Ge fangenschaft geschmachtet haben soll. Fallen hier einst die verlassenen Moscheen und Wohnhäuser ganz zusammen, so mag der Archäologe aus ihren Trümmern noch manche interessante Inschrift herauslesen. Auf der Höhe des Berges war die Burg errichtet, von der man einen ungehinderten Blick über ganz Nord-Tbessalien genoß; die Hänge entlang zogen sich die festen Mauern, deren Untersuchung durch Leake, Ufsing u. A. von Neuem gezeigt bat, wie ausgezeichnet die Alten, „jede kleine Gunst des Festungsgeländes für sich zu benutzen verstanden." Hinter diesen festen Mauern bansten einst Pharsalos' mächtige Könige, deren Grabkammer — ähnlich dem sogenannten Schatzhause deS AtreuS in Mykene — sich noch erhalten bat. Pharsalos hat seine Bedeutung daS ganze Altcrtbum hindurch behalten. Die griechische Königsburg ersetzte ein römisches Castell, das jene welthistorische Schlackt sab, die PbarsaloS' Namen für immer berühmt gemacht bat (leltsamer Weise bat Cäsar selbst den Namen in seinem Berichte nicht genannt), und dem Römer castell folgte eine byzantinische Festung. Im Mittelalter war PbarsaloS freilich nicht mehr der mächtigste unter den thessa lischen Kleinstaaten, aber eS blieb ein angesehener und wichtiger Ort und den alten Befestigungswerken wurden neue binzugcfügl, so daß man auf dem Burgbügel beute die Kesiungsbaukunst von Jahrhunderten gewissermaßen mit einem Blicke überschauen kann. Danu sank eS mehr und mehr herab, bis eS schließlich ein freundliches türkisches Handelsstädtchen geworden war uud endlich auch das wirth- schaftliche Leben träger und träger wurde. Und nun dringt der Strom der Geschichte, der einst brausend diese Gefilde erfüllte und sie dann in Vergessenheit liegen ließ, von Neuem mit Macht in die Ebene von PbarsaloS ein, und über die Reste altgriechischer Bildwerke, über Steine mit uralten Inschriften schreiten die Soldaten des modernen Griechenland«, für die nun wieder daS Wort HomerS gilt, daß nur ein Wahrzeichen gelte: da- Vaterland zu erretten. WaS wird Wohl die Geschichte zu verzeichnen haben, wenn PbarsaloS, die Ruinenstavt, wieder vergessen und still weiter träumt und die aufgeschrrckten Dohlen ihre alten Platze wieder ungestört besuchen werden
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