Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.06.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189706133
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970613
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970613
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-13
- Monat1897-06
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- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.06.1897
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Tt» Morgenausgabe erscheint um '/,7 Uhr. ht« Abrud-AuSgabe Wochentag» um b Uhr. Redaktion und Expedition: AohuuneSgaffe 8. Dt»Expedition ist Wochentag» ununterbrochen »Met vo» früh ö bi» Wend» 7 Uhr. Bezugspreis dttiou »der de« im Stadt- Bororten errichteten Aut- Filialen: ktt« Klemm'« Sorti«. (Alfred Hahn), Uuiversitüttstraß« S (Paulinum), . Laut» Lösche, Nacharisenstr. 14, Part, und «önigSpla- 7. bthkk «ch de» I" aaoestelle« abgeholt: vierteljährlich4ckO, bet »wetmaltger tägllcher Zustellung tn» Haut b.SO. Durch die Post bezogen für Teutjchlaud und Oesterretch: vierteUührltch 8.—. Direkte tügliche Kreuzbandlendung t»s Ausland: monatlich ^l 7.bO. KWigrr Lagtblatt Anzeiger. Ämlsölatt des Königkichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Auzeigeu-Preis die 6 gespaltene Petitzei^ 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) ü0^, vor den Familieunachrichte» (6 gespalten) 40 >4- Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Äunahmeschluß für Änzei-en: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 298. ESSWISSMSSSSESSMSSSS-S--S! Ans der Woche. Der Proceß Tausch mit der Fülle von Betrachtungs punkten, die er zeigt, wird noch lange nicht auS der Er örterung verschwinden. Viel Klärung wird man aber von der DiSeusfion nicht erwarten dürfen, da Parteisucht, blinde Liebe zu dem Vater des österreichischen Handelsvertrages und Haß gegen eben denselben, die Angst manches schlechten Journalisten- und Berlegergewiffen», endlich die bloße Sen- sationSmacherei Verwirrung und Verdunkelung eifrig auszu breiten suchen. Jetzt ist man sogar schon wieder dahin gelaugt, da» Einzige, was der Proceß unwiderleglich dar- gethan hat, nämlich die Nichtexistenz von „Hintermännern", zu leugnen und die alten Verdächtigungen auszuwärmen. Herr Bebel, der — die Heiligkeit des Eides ist für Social demokraten eine Einbildung, aber das Zuchthaus ist auch in ihren Augen eine Realität — vor Gericht beschworen bat, von „Hintermännern" nichts zu wissen, stellt ein Vorhandensein solcher im „Vorwärts" wieder als unzweifelhaft hin und die „National-Zeitung" zieht au demselben Strange. Nur daß sie die Conservatwcn hinter Lützow u. G- stellt, während der „Vorwärts" natürlich auf den Fürsten Bismarck zeigt. Das social demokratische Blatt bleibt dabei sich selbst getreu, aber wenn man e» Herrn v. Marschall als Verdienst anrechnet, daß er die Helden deS Tausch- und deS Leckertprocefses als Lügner ent larvt habe — was in Wahrheit ihm nicht gelungen ist —, so verfährt man mit einer Inkonsequenz, die einen anderen Namen verdient, wenn man Angaben überdieangebliche Bekannt schaft v. Lützow'S mit Herrn v. Manteuffel, die gelegentliche Beschäftigung deS Polizeiagenten im konservativen Agitations dienst u. dgl. m. gegen den konservativen Parteiführer auS- beutet. Die „Confervative Corresp." hat inzwischen diese Angaben auf da» kolossale Gebiet Lützow'schcr Lügen verbannt. Wenn aber etwas an der Sache wäre, so bliebe eS doch ein Zeichen allerschlechtesten Geschmackes, sich auf v. Lützow gegen politische Gegner zu berufen. Der Mann hat Leute, die klüger sind als Herr v. Manteuffel, dupirt und über seinen Charakter zu täuschen gewußt; wenn er von dem konservativen Führer nicht durchschaut worden wäre, so wäre dies nichts Außergewöhnliche» gewesen. Die Parlamen tarier zeichnen sich übrigens in der Mehrzahl nicht durch Vorsicht im Verkehr mit Vertretern der Presse aus. Die Ungeheuerlichkeit, Lützow an die Rockschöße der kon servativen Partei zu hängen, läßt sich nur aus der Absicht erklären, die Blicke von der „Flucht in die Oeffentlichkeit" und ihrem FiaSco abzuziehen. Es bleibt dabei, daß der Proceß Leckert-Lützow als die Einleitung einer Action gegen v. Tausch gedacht war — man erinnere sich nur an die raffinirte Dramaturgie jener Gerichtsverhandlung. Nun aber ist v. Tausch nicht nur freigesprocken worden, eS ist auch vollkommen zutreffend, was die „Schief. Ztg." sagt: „Von alledem, was Herr v. Marschall unter Beweis gestellt hat, ist gerade daS Wichtigste nicht erwiesen worden." Darum Räuber und Mörder und darum — wie man nunmehr erkennen muß — wieder freie Bahn für die Ver giftung der öffentlichen Meinung durch Andeutungen und Behauptungen über Hintermänner. Der „Vorwärts" schreibt: „Handelt eS sich doch um Hintermänner, deren Beine meter lang unter dem Bett hervorschauen, für die berühmte Göttin mit der Binde jedoch so unsichtbar sind, als trügen die Be sitzer der Beine Tarnkappen." Wir haben durchaus kein Bedürfniß nach einem „Feld- Somrtag den 13. Juni 1897. 91. Jahrgang. zuge" gegen Herrn v. Marschall. Aber die Beurtbeilung seines Schrittes ist nicht nur von historischer Bedeutung und auch der in der Presse hervorgehobene Umstand, daß der StaatS- secretair erkrankt ist, enthebt nicht der Nothwendigkeit, der herausfordernden Billigung der „Flucht", die man jetzt wieder vielfach beliebt, entgegenzutreten. Haben wir doch mit dem Ausdruck des Befremdens über das Verhalten des Polizei präsidenten v. Richlhofen, also eines Todten, nicht zurück gebalten, weil wir die Kritik der durch den Proceß zu Tage gekommenen Thalsachen und Erscheinungen als eine Voraus setzung künftiger Reformen und politisch gebotener Unter lassungen ansehen. Es muß also auch gesagt werden, daß das socialdemokratische Hetzblatt einzig und allein durch Herrn v. Marschall in den Stand gesetzt worden ist, zu schreiben, was wir angeführt, und daß Herr v. Marschall wie auch die loyale Presse andererseits gänzlich außer Stande sind, zu verhindern, daß der „Vorwärts" und seine Nachtreter Glauben im Lande finden. Es ist eben eine allzunahe liegende Argumentation: daS Auswärtige Amt eines großen Reiches hat sicherlich einen solchen Apparat nicht gegen Leute wie Lcckert, Tausch und Lützow aufwenden wollen; es muß die Absicht gehabt haben, Hintermänner zu entlarven; später aber hat man in der Aufklärung ein „Haar gefunden" und den Proceß in der Hauptsache resultatlvS ver laufen lassen. Die falsche Voraussetzung, von der diese Folgerung ausgeht, ist ein leider unverdientes Compliment für die staatsmännische Umsicht des Auswärtigen Amtes. Es ist höchst sonderbar, daß dieselben Federn, die s. Zt. den Verzicht auf eine gerichtliche Verfolgung des „Klad deradatsch", bei der man Ehrenmänner hätte zum Reden bringen können, belobt baben, jetzt eben so entschieden die Verfolgung erst eines v. Lützow, daun eines v. Tausch billigen. Freilich immer mit der Einschränkung, daß sie sagen: „Hätten wir eine einheitliche Regierung, so wäre die „Fluckt" nicht nöthig gewesen." Ja, glaubt man etwa, die Processe, wenn sie etwas politisch Greifbares ergeben hätten, würden die Regierungsverhältnisse gebessert haben? Oder nimmt man gar an, die Treibereien der Lützow, Leckert u. s. w. seien Schlimmeres für den S'aat gew.'en, als tic .,Uu:inh:il!'ck keil" der Regierung? Hier steckt gerade der Fehler, nicht dir Entschuldigung für Herrn v. Marschall. Ist eö so weit, daß ein höchster Staatsbeamter mangels Unterstützung der College» sich nicht mehr auf dem ordentlichen Wege gegen obscure nichtsnutzige Burschen zu helfen weiß, dann muß er die weitere Verantwortung für die Aufrechterhaltung eines solchen „Regierungs"-Zustandes ablehnen, d. h. seinen Ab schied nehmen. Ein weiteres Verschulden des Herrn v. Marschall ist, daß er nicht für die Verhaftung des Normanu-Schumann gesorgt hat. Da der Proceß sich gegen Tausch richtete und dieser ein Interesse an dem Verschwinden deS von ihm zu vielerlei Zwecken benutzten Agenten mindestens haben konnte, so hätte Tausch von ihm — tatsächlich ihm — drohenden Unter nehmungen nichts erfahren dürfen, bevor der bedeutendste Theilnehmer an den gemuthmaßten Straftbaten des zunächst Angeklagten und des für die Anklage in Aussicht Genommenen dingfest gemacht war. Die Flucht Nvrmann'S, über die, beiläufig bemerkt, die Vertheidiger der anderen „Flucht" wenig oder gar nicht reden, bleibt ein Räthsel, dessen Auslösung für die große Menge die umstürzlerische Agitation in einem für die Staatsautorität gründlich compromittirtcn Sinne sich an gelegen sein läßt — nicht im guten Glauben, aber darum doch mit gutem Erfolge. Hiobsposten! In Wiesbaden ein klerikaler und ein demokratischer Sieg, bei der ReichstagSwahl in Königs berg die Socialdemokrat im ersten Wahlgang durchgedrungen, hier zugleich ein bedeutender Rückgang der natioualliberalen Stimmen, der in Wiesbaden, weil die Partei 1893 keinen Canbidaten aufgestellt batte, nicht genau ermittelt werden kann; endlich der Uebergang deS Landtagswablkreises Stargard in Westpreußen von den Deutschen auf die Polen. Die Einzelheiten der Ergebnisse haben wir besprochen, auch die mutbmaßlicheu Ursachen der selben bargelegt. ES ist als beacklenswerth nach zutragen, daß daS bedeutende Anwachsen der freisinnigen Stimmen in Wiesbaden von verschiedenen Seiten der Wirkung der Rece Rich ter's vom 18. Mai zugeschrieben wird. Dergleichen Resultatserklärungen sind immer mit Vorsicht auszunebmen. In Königsberg, wo jene Rede gleichfalls verbreitet war, hat die Volkspartei ca. 900 Stimmen gegen 1893 verloren, während hier die Socialoemokratie, die in Wiesbaden um 1100 zurückgegangcu und damit von der Stichwahl ausgeschlossen worben ist, gegen 1000 Stimmen gewonnen hat. Es ist die Vermuthuug »erstattet, daß die Richler'sche Rede in Königsberg so gewirkt bat, wie die freisinnige Agitation zumeist, nämlich direct die Socialdemokratie fördernd. Daß Wiesbaden der Volkspartei zu Gute ge kommen ist, ist durch den Hinzutritt gemäßigter Elemente zu erklären. Daß diese letzteren sich durch die Rede des nihilistischen BerusSagitators hätten bestimmen lassen, möchten wir bezweifeln. Wobl aber ist eS sehr möglich, daß die Rede, die am 18. Mai von nationalliberaler Seite nicht gehalten worden ist, aber hätte gehalten werden sollen, die Parteigenossen verstimmt hat. Ohne Zweifel haben auch daS Verhalten der ReichSlagssraction bei der letzten Berathung deS Jesuitenantragcs, sowie etliche dem Centrum wegen seiner positiven Haltung von nationalliberaier Seite im Reichstage gemachten Complimenle ihre abschreckende Wirkung nicht ver fehlt. Wenn es sich nun auch noch bestätigen sollte, daß man — von conservativer Seite vermuthlicb — zu Gunsten der natiouallibe-> k.n Canbidatur die wiederholte, „die ^Wähl r zu Dank verpflichtende" Anwesenheit deS Kaisers in Wiesbaden angeführt hätte, so brauchte man nickt nack weiteren Ursachen der Stärke deS Mißerfolges zu suchen, am aller wenigsten aber würde man solche in der laudwirthsckafts- freundlichen Stellung des nationalliberalen Canbidaten zu finden haben. Von den zahllosen Versammlungen der Pfingstwoche ge bührt dem in Wien abgehaltenen Parteitage der öster reichischen Socialdemokraten das größte Interesse und zwar deshalb, weil sich offenbart hat, daß die Socialdemo kratie in Oesterreich sich zu dem nationalen Gedanken anders stellt als die Partei in Deutschland. Diese erkennt nationale Interessen nur bei fremden Nationalitäten an. Sie fördert das Polcnthum, bestärkt die Franzosen in der Forde rung nach der Rückgabe der Reichslande, nimmt die Partei der Dänen, aber die Pflege deS deutschen Nationalgefühls ist ihr eine verabscheuungswürdige Barbarei. Sie ist anti national, nicht international, weil sie nnr dadurch die Fiction der Jnternationalilät aufrecht zu erhalten vermag. Daß ihr dies trotz der nationalen Selbstentwürdigung, in der sie gelegentlich geradezu schwelgt, doch nicht gelingt, haben viele Vorgänge der letzten Jahre, so die deutschfeindliche Kundgebung gegen Socialdemokraten deutscher Staats zugehörigkeit in Lille und anderen französischen Orten, deutlich genug gezeigt. In dem nationalitätenreichen Oester ¬ reich hat man eingesehen, daß der deutsche Arbeiter nicht auf Kosten gerade seiner und einzig und allein seiner Nationalität „international" gemacht werden kann. Dek Führer der Partei, vr Adler, hat unter allerlei Drehungen uud Wendungen anerkannt, daß es richtig und zulässig sei, wenn man sage: „Ich bin Pole und internationaler Social demokrat". Daß sei, so fügte er hinzu, die Losung. Stellt man den Grundsatz einmal auf, so darf man nicht dem Deutschen allein Gleichgiltigkeit gegen sein Volkstbum an sinnen. Der Reichsrathsabgeordnete Pernerstorfer hat denn auch warme Worte nicht nur für die culturelle Bedeutung der Nationalität überhaupt, sondern speciell für seine Nation, die deutsche, gefunden. Pernerstorfer hat, wie übrigens auck vr. Adler, alsStubent einer Verbindung ausgesprochen deutsch nationaler Tendenz angehört und er hat soeben in Wien erklärt, daß er sich der österreichischen Socialdemokratie erst habe anschließen können, nachdem diese dem „fleisch- und blutlosen Internationalismus", mit anderen Worten der Vater landslosigkeit und dem Hasse des eigenen VolksthumS, den die deutschen Führer den deutschen Anhängern predigen, Valet gesagt halte. Daß die Herren Singer, Liebknecht und Bebel von diesen Gefühlen der österreichischen „Genossen", die wegen derselben aushören, Genossen im vollen Sinne zu sein, angesleckt werden könnten, ist natürlich ausgeschlossen. Deutsches Reich. Leipzig, 12. Juni. Der Beschluß, den der Alldeutsche Verband slag am 9. d. M. in Bezug auf die Sprachen verordnung in Oesterreick gefaßt hat, verdient insofern »och besondere Beachiung, als er im schärfsten sachlichen Gegensätze zu der Resolution steht, die von der deutsch socialen Protest Versammlung in Dresden am 9. Mai d. I. angenommen wurde. Wie unseren Lesern erinnerlich sein wird, halte Herr Zimmermann unter Entstellung der Worte Kaiser Wilhelms vom 18. Januar 1896 die Dresdener Versammlung zur Annahme einer Resolution verleitet, in der die „deutsch-bewußten" deutschen ReichStagS- abgcordneten aufgefordert werden, „auch im Parlament neuerlich wieder die deutsche Gemeinschaft zu betonen und an geeigneter Stelle zur Gellung zu bringen, daß das deutsche Volk aus Grund der feierlichen kaiserlichen Kundgebung vom 18. Januar 1896 von Seiten des Reiches einen entschiedenen Schutz aller Deutschen im Auslande erwarte". Wir haben uns seiner Zeit gegen diesen Beschluß aus gesprochen, weil er vom Deutschen Reiche eine Politik der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Mächte verlangt, die daS Deutsche Reich ob > Gefährdung seiner eigenen Interessen schlechterdings nicht treiben kann. Hin gegen deckt sich die vom Alldeutschen Verbandstage zur Sache angenommene Resolution vollständig mit unserem Stand punkte; sie lautet: „Die heute in Leipzig versammelten Mitglieder des Alldeutschen Verbandes beauftragen den Vorstand, eine Sympathiekund geb u n g für die Deutschen in Oesterreich abzugebcn und zu ver öffentlichen." Wir baben unsere Sympathie für die Deutschen Oester reichs bei jeder Gelegenheit, anläßlich der Dresdener deutsch socialen Versammlung aber wie folgt bekundet: „Auch wir verurtheilen die Unterdrückung des Deutschthums in Oesterreich-Ungarn aufs Schärfste und leihen unseren Stammes- FerriHeton. Zur Geschichte der Fechtkunst. Mitgetheilt von Otto Moser. In den Berichten der Blätter über das vor einigen Tagen in Jena erfolgte Ableben de» UniversitätSfrchtmeisterS a. D. Roux wurde neben den hohen Verdiensten des Verstorbenen um die moderne Fechtkunst auch erwähnt, daß bereits sein Urgroßvater in Jena unter Kreußler die Vorzüge der deutschen Stoßfechtkunst derart schätzen gelernt habe, daß er der bisherigen französischen Mode entsagte und seitdem die Familie Roux Trägerin der Kreußler'schen Ideen und Lehrerin seines deutschen Fechtens geworden sei. Es dürfte deshalb einiges Nähere über die berühmte Kreußler'sche Fechtmeisterfamilie sowie rin kurzer geschichtlicher Rück blick auf die Entwickelung der Fechtkunst überhaupt nicht unwillkommen sein. Mit dem Aufblühen der Städte hatten auch die Bürger dem Adel gegenüber ein eigentliche» Waffenrecht erlangt, welches ihnen nickt nur die Tournierjähigkeit verlieh, sondern auch Veranlassung wurde, daß sich schon frühzeitig zünftige Fechter gilben bildeten. Die älteste und berühmteste der selben trat in Frankfurt am Main unter dem Namen einer „Brüderschaft de» heiligen Marcu» vom Löwenberge" zu sammen und bestand auS einem Hauptmann und vier Meistern, die ursprünglich Jedem, der al« Fechter auftreten wollte, herauSforderten und so regelmäßig zusammenhieben, daß er entweder die Kunst aufgeben oder in die Schul« der MarcuS- brüder eintreten mußte. Durch diese Fertigkeit im Waffen handwerk kamen die Frankfurter Meister vom Schwert in so hohen Ruf, daß jeder Fechter, der in Deutsch land «ine Schule gründen wollte, vorher nach Frankfurt zog, um eine Probe zu bestehen. Der Hauptmann und di« vi«r Meister fochten dort mit ihm vor den Augen de» Publicum» auf freiem Platze, und wurden seine Leistungen genügend be funden, dann schlug txr Hauptmeister ihn mit einem reich verzierten Schwerte über die Lenden, für welchen Ritterschlag der neue Meister zwei Goldgülden zum Besten der Brüder schaft auf da» Sckwrrt legen mußte. War die- geschehen, so empfing er „die Heimlichkeit", welche in allerlei Kunst griffen bei Handhabung der Waffe bestand, und jetzt durfte er da» Wappen der MarcuSbrüder, «inen Löwen, gebrauchen >wd, wo r» ihm beliebte, eine Schul« aufthun. DaS Ansehen der MarcuSbrüder, deren Privilegien sogar römisch-deutzche Kaiser bestätigten, wurde aber nicht wenig durch «ine neue Fechterzunft, „die Federsechter", bein- trächtigt, deren Waffe nicht in dem gewaltigen Schwerte der Frankfurter Gilde, sondern in einem zweischneidigen Korb degen bestand. Die Federfechter durchzogen ganz Deutschland und forderten die MarcuSbrüder auf, öffentlich mit ihnen zu fechten auf Hieb und Stoß. Hierdurch wurden bie Marcus brüder gezwungen, sich auch mit der Feder bekannt zu machen. Die neue Zunft nannte sich auch „Freifechter von der Feder von Greiffenfels", batte als Patron den heiligen Veit und führte im Wappen, das ihr ein Herzog von Mecklen burg verliehen haben sollte, einen Greif. Der Haupt mann deS Bundes, sowie die Jnnungslade befanden sich zu Prag, der Obermeister aber zog stets mit dem kaiserlichen Hoflager. Beide Fechtergilden hatten gleiche Jnnungsgesetze und Waffengebränche. Ehre, Zucht, Sitte, Treu und Glauben waren ihnen heilig, und wer dagegen handelte, wurde als ehrlos auS der Brüderschaft gestoßen. Eine dritte Fecbter- zunst, „Die LucaSbrüder", nannte sich nach dem heiligen LucaS, bestand jedoch nur aus sogenannten „Klopf fechtern", welche auf Jahrmärkten öffentliche Vorstellungen gab und deshalb in keinem besonderen Ansehen stand. Noch jetzt hat sich im Volksmunde der Ausdruck „Luxbruder" als Bezeichnung eines Herumstreichers erhalten. Nach der Verbesserung der Handfeuerwaffen sank auch daS Ansehen der Meister vom Schwerte, und die Fecbtkunst flüchtete sich al» Bestandtheil einer ritterlichen Erziehung in die Militairschulen und Universitätsstädte. Zahlreiche Verbote beweisen jedoch, daß Fechtübungen für die Studenten erst im 17. Jahrhundert landesherrliche Bestätigung erhielten, obgleich sie deshalb nickt unterbrochen worden waren. Zu dieser Zeit erscheint ein Meister vom langen Schwert und Frei sechter von der Feder, dessen Ruhm sich erhalten hat bis auf unsere Zeit und der zugleich Stammvater einer bi» in die dritte Generation gleich berühmten Fechterfamilie, sowie Gründer einer besonderen Fechtmethode, des deutschen StoßfechtenS, geworden ist. Um da» Jahr 1618 wanderte Wilhelm Kreußler, der Sohn eine» Schulmeister» auS Hadamar in Nassau, nach Frankfurt, um dort ein Schüler der MarcuSbrüderschaft zu werden. Der junge, muntere Bursche erlangte bald den Meisterschlag und zog nun nach Jena, um sich dort als privilegirter Fecht meister niederzulassen. Schon im Jahre 1620 genoß der damals dreiundzwanzigjährige Meister hohe- Ansehen, doch handhabte er nur di« «isrrn« F«d«r, dir Stoßwaffe, wrlchr auch bald auf anderen, meist südlichen Universitäten Anklang fand. Diese Waffe bat der alte Kreußler dreiundfünfzig Jahre geführt, bevor es dem Tode gelang, den rüstigen Freifechter niederzulegen. Noch ist sein Bildniß im Saale der Universitätsbibliothek zu Jena, wo ich es vor etwa fünfzig Jahren selbst gesehen habe, vorhanden. Als der Meister gemalt wurde, war er fast achtzig Jahre alt, aber noch zeigt er eine stattliche Haltung. Er trägt ein schwarzes Wams, breiten weißen Hemdkragen, Schwert und Stulp handschuhe und langes, weißes Haar. Sein rechte- Auge ist feurig und lebhaft wie das eines Adlers und überhaupt die rechte Seite des Mannes offenbar auf Kosten der linken Seite ausgebildet. Wilhelm Kreußler hinterließ nicht weniger al» zwölf Kinder, von denen vier eingefleischte Fechtmeister wurden. Der älteste von ihnen, Gottfried, war Fechtmeister in Leipzig und nach seines Vaters Tode in Jena, der zweite, Friedrich, übernahm nach Gottfried'S Ableben dessen Amt, und die beiden jüngeren leiteten den Fechtunterricht in Erfurt und Nürnberg. Der berühmteste Fechtmeister auS der Familie, Johann Wilhelm, war ein Sohn Gottfried'S. Von Johann Wilhelm Kreußler existirt ein Geschichtchen, daS seiner Zeit viel Aussehen und Heiterkeit erregte. Im königlichen Pagenhause zu Dresden war ein schlichtes, schwarz gekleidetes Männchen erschienen, das mit ländlicher Neugierde den eben stattfindenden Fechtübungen zusah. Die an solchem Orte ungewöhnliche Persönlichkeit, welche ein Land pastor oder Schulmeister zu sein schien, veranlaßte einige Pagen zu naseweisen Bemerkungen, aus welche ihnen jedoch daS Schulmeisterchen die Antwort nicht schuldig blieb, und sogar erklärte, soviel wie sie, die Pagen, verstände «S auch vom Fechten. Diese Renommage wurde mit großem Gelächter begrüßt, der ruhmredige Fremdling beim Wort genommen, ihm ein Rappier in die Hand gedrückt und er gezwungen auf die Mensur zu treten. Hier aber erkannten die über- mütbigen Pagen, daß da» ehrsame Männchen «ine höchst ge wandte Klinge schlug, denn er zeichnete eine blutige Nase nach der anderen und beim Stoße ligirte er die Nappiere der Gegner, daß sie nur so herumflogen. Mit staunender Be wunderung batte auch der Pagenfechtmeistrr diesem Ge bühren zugeseheu, und forderte den famosen Schul meister ebenfalls auf einige Gänge heraus. Der aber entwickelte jetzt eine Kun)t fast wunderbarer Art und arbeitete den Pagenfecktmeister dergestalt zusammen, daß dieser nicht mehr wußte, was er thun sollte. Als er eben von dem schwarzen Männchen auS einem Winkel in den anderen getrieben wurde, erschien plötzlich der König August der Starke. Man hatte ihm die Wundermär von dem unheimlichen Fechtmeister mitgetheilt und den König, der selbst ein ausgezeichneter Fechter war, dadurch angeregt, sich ebenfalls mit ihm zu messen. Aber auch der König wurde dergestalt in die Enge getrieben, daß er, an die Wand gedrängt, ärgerlich daS Rappier wegwarf und lachend aus rief: „Schwarzer Kerl, entweder bist Du Kreußler aus Jena oder der leibhaftige Teufel." DaS Männchen aber senkte salutirend sein Rappier und erwiderte: „Der Erste in eigener Person, Eurer Majestät zu dienen." Nock ergötzlicher ist folgender Vorfall. Heinrich Wilhelm, der Sohn des genannten Fechtmeisters, war ein ebenso be deutendes Fechtgenie wie sein Vater, und ihm hat diese Kunst auch ihre eigentliche systematische Begründung zu danken. Schon als junger Student schlug er eine vorzügliche Klinge, und sein einziger Wunsch bestand nur darin, Gelegenheit zu finden, unerkannt von seinem Vater, mit diesem einige Gänge zu thun. Um sie herbeizuführen, stellte der junge Mensch sich eine» Abends sehr müde und ging zeitig nach seiner Schlafkammer. Anstatt aber inS Bett zu steigen, nahm er Hut, Mantel und Stoßdegen, schlich sich hinab auf die Straße und begann unter deS VaterS Fenster die Klinge zu wetzen. Der alte Kreußler saß eben über der HauSpostille und laS sein Abendgebet, als er das Klirren der Klinge auf den Pflastersteinen und eine raube ManneSstimme vernahm: „Heraus, alter Kreußler!" ertönte es auf der Straße. „Hast Du Herz? Hier ist Einer, der es mit Dir aufnehmen will! Heraus, Alter — Rrrrrraus!" Der alte Fechtmeister stutzte. Einer solchen Ausforderung konnte und durfte er nicht widerstehen. Nach der langen Stoßwaffe greifend, stieg er auf die Straße hinab, und daS Gefecht begann. Beim Scheine der Straßenlaterne wurden einige Gänge gemacht; endlich aber ries der Alte: „Alle Teufel, so ficht nur ein Kreußler! Heinz, unverschämter Schlingel, willst Du gleich inS Bett?" und mit besonderen Kunstbieben trieb nun der Vater den überglücklichen Sohn die Treppe hinaus bis nach seiner Schlafkammer. Außer dem Stammvater der Kreußler sind auch Gottfried und die beiden letztgenannten Kreußler im Conterfei erhalten. Sie waren zugleich Stadthauptleute und wurden deshalb im Harnisch abgebildet. Die Fechtkunst zeigte sich bei dieser Familie so eingewachsen, daß noch im Jahre 1787 Ernst Kreußler, der bereit« Doctor der Rechtswissenschaft war, sich in Leipzig als UniversitätSsrchtmeister anstrll«« ließ.
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