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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970614026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-14
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfrrnjaz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der. Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunu 80.—, mit Postbeförderung 70.—. Anntchmelchlub für Än)eigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Vri den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 14. Juni 1897. 298. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Juni. Der Verlauf des evangelisch-socialen (kongrcsse«, der in der vergangenen Woche in unserer Stadt versammelt war, ist sehr geeignet, den national-socialen Agitatoren zur Lehre zu dienen. Sie oder doch ein Thcil, und namentlich der Regsamste von ihnen, pflegen zu Arbeitern Uber volkS- wirthschaftliche Dinge wie auS dem Tempel der Gewißheit heraus zu reden und mit ihren „Grundwabrbeiten" den socialen Bestrebungen ihrer Zuhörerschaft die Richtung zu geben. Aus dem Leipziger Congresse tonnten sie erkennen, wie große Vorsicht für den Gewissenhaften geboten ist, wenn er eine zum Prüfen des Gehörten nicht befähigte Masse über Erreichbares anfklären will. Die berühmten Volkswirthe, die in die Verhandlungen eingegriffen haben, haben in ihrer Auf fassung der gegenwärtigen Wirtschaftslage und ihrer vor aussichtlichen Entwickelung sehr viel mehr Meinungsver schiedenheiten als Uebereinstimmung sehen lassen, und Herr Pfarrer Naumann ist von einem derselben und zwar dem jenigen, der sich mit ihm vor Kurzen in einer viel besprochenen Arbeiterversammlung gezeigt hatte, wegen wieder holter „Mißverständlichkeit" rectisicirt worden; er mußte in seiner Entgegnung einfach bestätigen, daß er eben mißverstanden worden sei. Wo aber Männer von der agitatorischen Begabung eines Naumann von Gelehrten mißverstanden werden, dort finden sie bei dem einfachen Arbeiter das volle gewünschte Verständniß. Wenn man von Meinungsverschiedenheiten auf dem Congresse spricht, so sagt man zu wenig. Die beiden wichtigsten Vorträge, die der Herren Sch moller und Oldenberg, waren Klänge auS zwei verschiedenen Welten. Die Erhaltung des Mittel standes, eines Mittelstandes, die Professor Schmoller nicht bezweifelt, ist absolut unvereinbar mit dem totalen wirthschaft- lichen Zusammenbruch, den Di. Oldenberg mit Bestimmtheit für den Fall voraussagte, daß Deutschland nickt zur Eigenwirth- sckaft zurijckkehrt, was unmöglich ist. Herr Professor Wagner freilich soll dem einen Redner „im Grundgedanken zu gestimmt" nnd sich mit dem andern „im Hauptpunkte völlig einig" erklärt haben, aber das wird wohl auf ein „Mißver- ständniß" der Berichterstattung zurückznsühren sein. Jeden falls bat die Versammlung den Widerspruch erkannt und zu ihm Stellung genommen, indem sie von der beruhigenden, „aus wissenschaftliche Beobachtung gestützten" Neberzeugung Schmoller's mit Genugtbuung Kenntniß nahm, während eine Resolution zu dem Vortrage Or. Oldeuberg's nicht gefaßt wurde. Auch dürfte dem Vorsitzenden, der unter dem Eindrücke der Oldenberg'scheu Zukunftsbilder seiner Bestürzung über die „Consequenzen der industriell kapitalistischen Entwickelung" Ausdruck verliehen hatte, ein Cansalnexus zwischen der beruhigenden Wirkung und der wissenschaftlichen Grundlage der Schmoller'schen Dar legung vorgeschwebt haben, als er bemerkte, dessen, nach dem Oldenbtrg'schen gehaltener Vortrag habe den evangelisch socialen Congreß auf eine Höhe gehoben, die er nie besessen habe und die er hoffentlich behaupten werde. Der Vortrag dcS jüngeren Nationalökonomen sollte aber damit gewiß nicht nach jeder Richtung hin abfällig kritisirt werden. Er bat jedenfalls großes phychologisches Interesse. Die Sicherheit des Bakkalaureus im zweiten Theile des „Faust" ist zweifelnde Zaghaftigkeit zu nennen im Ver gleich zu der Bestimmtheit, mit der dieser Gelehrte unsere gegenwärtige wirthschaftliche Welt als die schlechteste aller denkbaren Welten hinstellte, die Löhne als sinkende und die Lebenshaltung der Masse als eine gegen sonst vertheuerte und verschlechterte, die Nichterhöbung des individuellen GlückSgefühle« durch den Luxu« al- eine neue, unserer Zeit anhaftende Erscheinung bezeichnete und unS schließlich al» rin von seinem unfehlbaren Geiste erleuchteter Prophet, den Glauben an die Möglichkeit einer von ihm,nicht vor- bergesehenen Entwickelung als Aberglauben verwerfend, ver kündete, was sein wird. Wenn wir nicht — der Weg zur Umkehr wird nicht gezeigt — nmkehren, nicht die Hälfte unserer Maschinen zerstören, die Ausfuhr von Maschinen und Eisenbahnschienen ganz verbieten —„daß die jungen Länder diese Artikel auch anderswo haben können, ist Neben sache —, dann wird der Untergang kommen, „wahrscheinlich plötzlich, lawinenartig, wie ein elektrischer Schlag", aber kommen wird er gewiß! Dreißig Millionen Industriearbeiter werden erst durch Mangel an Nahrungsmitteln dem Hunger tode nahe gebracht und dann durch Arbeitslosigkeit ihm völlig überantwortet werden. So lehren vom Katheder Herr Pufendorf und Feder. Wir, ohne zu verkennen, daß dem Exportshstem deS Aus gleichs bedürftige Nachtheile anhaften, getrosten uns der geschichtlichen Thatsache, daß bisher die wirthschaftlichen Systeme ohne dauernde Schäden für die Menschheit einander abgelöst haben, und vertrauen mit Schiller deren dunklem Drange: Doch weil, was ein Professor spricht, Nicht gleich zu Allen dringet, So übt Natur die Mutterpflicht. Einstweilen, bis den Laus der Welt Philosophie zusammenhält, Erhält sie das Getriebe. Die Natur, so hoffen wir, wird vorläufig auch für die „Nationalökonomie" des Herrn vr. Oldenberg einspringen. Wie mitgetheilt, hat der Polizeipräsident von Berlin dem dortigen Verein der Getreide- und Producten händler für den Fall der Forsetzung seiner Ver sammlungen im Aeenpalaft „unmittelbaren Zwang" angedroht. Wir haben diesen Schritt wiederholt als unauSbleiblick be zeichnet. Jene Versammlungen wurden vom Minister als börsenmäßige angesehen, auch die meisten Juristen, die sich über ihren Charakter äußerten, waren der gleichen Ansicht, sie entsprachen aber dem neuen Börsengesetze nicht. Trotzdem begreifen wir die Ueberraschung darüber, daß die polizeiliche Verfügung gerade in dem Augenblick erscheint, wo die Regierung eben er klärt hat, sie werde der behufs einerEinigung zwischen Börse und Landwirthschaft einberufenen, jedoch ergebnißlos gebliebenen Conferenz eine zweite folgen lassen. Es ist zwar richtig, der Oberpräsident hatte am 12. Mai den Verein der Getreide händler ausgcfordert, eine Börsenordnung binnen drei Wochen einzureichen, und dies ist nicht geschehen. Aber diese Verfügung ist nicht einfach ignorirt, sondern es ist gegen sie Klage erhoben worden. Dann — da« ist nicht unwichlig — hat die Behörde das Verbot der Versammlungen im Feenpalast nicht nach Ablauf der dreiwöchigen Frist ausgesprochen, sondern nach demselben noch zehn Tage verstreichen lassen. Man hat also wohl ursprünglich die Entscheidung des Ober- verwaltungSgerichts über die Klage gegen die Anordnung, betreffend die Einreichung einer Börsenordnung, abwarten wollen. Noch mehr. Wie glaubwürdig versichert wird, ist man in Regierungskreisen überrascht, daß die „freie Vereinigung" die Androhung des Polizeipräsidenten mit der sofortigen Einstellung der Versammlungen im Feen palaste beantwortet hat. Man soll erwartet haben, der Vereinsvorstand werde auch hier zunächst Klage erheben; nach dem Gesetze hätte dann die Regierung die Versammlungen bis zur Spruchfällung weiter dulden können. Ist diese Erzählung richtig, so hat der zweite Schritt der Behörde keinen Sinn. Denn eine oberverwaltungsgericht liche Entscheidung stand ja schon auf die erste Klage des Vereins vorstandes in Aussicht. Wenn eS der Behörde nicht aus mehr als eine solche Entscheidung ankam, warum die ZwangSan- drohung? Es scheint in der That, als ob das Concept dcS Handelsministers von anderer Seite corrigirt worden wäre. Das müßte man aus allgemein politischen Gründen sehr beklagen; in der Sache, das wiederholen wir, ist die Ver fügung des Polizeipräsidiums unanfechtbar. Sie bewegt sich in der Richtung der Wahrung eines ordnungsmäßig be schlossenen und verkündigten Gesetzes. Da« Sturmläuten der Schutzverband-Prefse findet deshalb auch taube Ohren. Die gestern in Brüssel veranstaltete Kundgebung für die Reorganisation «er belgischen Armee hat, wie gemeldet, einen großartigen Verlauf genommen. Eine weit größere Bedeutung aber, als man erwarten konnte, hat dieselbe durch die Rebe deS Königs Leopold erhalten, mit welcher der selbe die Ansprache des Generals Brialmont beantwortete. Der König erwiderte nach den unS zugegangenen Meldungen: „Sie kennen die ganz besondere Hochachtung, welche ich den jetzigen und den früheren Führern des Heeres entgegenbringe, die ihre Begabung und ihr ganzes Sein dem Dienste des Landes gewidmet haben und ich bestätige gerne die herzlichen Bande, welche uns vereinigen. Was die Frage betrifft, von welcher Sie soeben zu mir gesprochen haben, so predigen Sie einem Bekehrten. Mir liegt dir Sicherheit und die etwaige Vertheidigung meines Landes zu sehr am Herzen, als daß ich nicht wünschte, daß der Grund satz des persönlichen Heeresdienstes die Grundlage seiner militairischen Einrichtungen sei. So wenig es einer Nation möglich ist, sich von der übrigen Welt abzuschließen, kann sie sich dessen ent- schlagen, ihre Vertheidigung in gediegener Weise vorzubereiten, wenn sie nicht dem Ungefähr der Ereignisse preisgegeben sein will. Was uns insbesondere betrifft, die wir sowohl nationale al- internationale Verpflichtungen haben und die wir unS in unmittelbarer Nachbarschaft von Regierungs- mittelvuncten befinden, welcke dem vorherrschenden Einfluß auf die Geschicke Europas ausüben, so müssen unsere militairischen Einrichtungen, unter Beachtung des richtigen Verhältnisses, denjenigen der uns umgebenden Nationen nachgebildet sein. Unsere taktischen Einheiten müssen in analoger Weise zusammengesetzt, bewaffnet und eingellbt sein wie diejenigen unserer Nachbarn. Wenn namentlich im Momente der Gefahr eine belgische Division aus weniger durchgebildeten Mannschaften bestehen würde, als diejenigen der anderen Länder, jo würde sie nur mit der Aussicht in den Kampf eintreten, sich nutzlos aufzuopfern. Jede Selbst täuschung über diesen Punct würde verhängnißvoll sein, andererseits müssen wir, da wir wesentlich geringer an Zahl sind, um so mehr darauf zählen, unsere Vertheidigung durch die Hilfe militai- rischer Kunstbauten zu sichern. Die Nation bestimmt über ihre Geschicke im vollen Umfange ihrer Freiheit. Ich habe niemals meine Pflicht versäumt, zu warnen. Ich bin bei der vordersten Linie der Patrioten geblieben; aber es ist die Nation selbst, die über ihre Zukunft entscheidet. Diese Rede ist ein scharfe- Tadelsvotum für daS klerikale Cabinet. Die Tbeilnehmer an dem Zuge vereinigten sich. 91. Jahrgang. nachdem ihre Abordnung aus dem Palais zurückgetehrt war, und der Zug sich weiter durch die Stadt bewegt hatte, zu einer Versammlung, in welcher eine Tagesordnung zur Annahme gelangte, die besagt: Die Versammlung spricht den Wunsch aus, daß die öffentlichen Gewalten so bald als mög lich die durch die Lage des Landes gebotenen Reformen ver wirklichen, und nimmt ihrerseits die Verpflichtung auf fick, mit allen gesetzlichen Mitteln die Agitation für dieses nationale Werk zu betreiben. Die Annahme der Tagesordnung erfolgt unter anhaltendem Beifall. Ueber das gestrige „Attentat" auf Sen Präsidenten Fanrc sind uns noch folgende Nachrichten zugegangen: * Paris, 13. Juni. Die Explosion der mit Pulver gefüllten Röhre erfolgte in dem Augenblicke, als der Wagen des Präsidenten an der Kaskade in dem Bois de Boulogne vorüberfuhr, um nach dem Rennplätze einzubiegcn. Der Urheber der Explosion war zweifel los im Gebüsch versteckt. Die Polizisten, sowie die Umstehenden eilten sofort in der Richtung, von welcher der Knall vernommen worden war, davon, Loch war die sofortige genaue Durchsuchung des Gebüsches ergebnißlos. M * Paris, 13. Juni. Ter Polizei-Präsect machte über den An- schlag auf den Präsidenten ziemlich unbestimmte Angaben. Die all gemeine Annahme geht dahin, daß die ganz roh ausgeführte Schieß- Vorrichtung ein Zündloch hatte und mittels einer an einen: Stabe befestigten Lunte zur Entzündung gebracht wurde. Im Augenblicke der Explosion, als der Wagen des Präsidenten beran- gesahren war, ist der Uebelthäter entflohen. Uebrigens ist man allgemein der Ansicht, daß die Vorrichtung nicht geeignet war, viel Unheil anzurichten. * Paris, 13. Juni. Eine osficielle Persönlichkeit, welche den Präsidenten Faure bei der heutigen Fahrt begleitete, erzählte in einer Unterredung mit einem Berichterstatter, daß man, nahe am Dickicht bei der Kaskade angekommen, eine Detonation wahr- nahm und dichten Rauch aufstcigen sah, gerade, als der Wagen des Präsidenten vorbeifuhr. Es entstand einige Beunruhigung; als sich aber herausstellte, daß Niemand verwundet war, setzten der Präsident und seine Begleitung die Fahrt noch dem Hippodrom fort. Zwei Polizisten stürzten sich sogleich ins Gebüsch. Sie fanden einen Pfropfen und die bereits angegebenen Gegenstände, die sie an sich nahmen, ferner ein Papier mit den Worten: „Hinrichtung Felix Fanre's". Die Menge war über den Anschlag äußerst aufgebracht und als sie bemerkte, wie ein Polizeibeamter die Pulverröhre, die er soeben aufgehoben hatte, in den Händen trug, hielt sie ihn für den Schuldigen und schlug ihn mit Stücken und Schirmen, so daß er blutüberströmt von anderen Polizei-Agenten befreit werden mußte. * Paris, 13. Juni. Außer dem bereits genannten Göltet sind auch ein ebenfalls in der Rue Zida LcvalloiS wohnender Bruder desselben, sowie ein in Gentilly wohnender Getreidehändler Laurin unter dem Verdachte verhaftet worden, an dem Anschläge auf den Präsidenten Faure betheiligt zu sein. Alle drei Personen wurden jedoch, nachdem die in ihren Wohnungen vorgenommenen Haussuchungen und das von dem Untersuchungsrichter Atelin mir ihnen angestellte Verhör Beweise für ihre Schuld nicht erbracht hatten, Mitternacht wieder in Freiheit gesetzt. * Paris, 14. Juni. (Telegramm.) Tie meisten Blätter bezeichnen den gestrigen Anschlag aus den Präsidenten Faure als das Werk eines Geisteskranken oder als einen Gassenbuben streich. Der Polizeipräsident Lepine erklärte einem Interviewer gegenüber, es scheine sich um eine Mystification zu handeln. Die Explosion konnte absolut keinen Schaden ourichten. Die Pistolen und das Messer sind mit einer gewissen theatralischen Absichtlichkeit hingelegt worden. Uns scheint nur die letztere Meldung von Belang, denn so sehr wir bei neuen Attentatsgerüchten geneigt sind, an eine anarchistische That zu denken — Acciarito, der erst am FattiHeton. Zwei Frauen. L7j Roman von F. Marion-Crawford. Nachdruck verboten. „ES scheint mir sehr unrecht, eS zu thun", sagte Greif zu Rex, al« sie eines Abends zusammen in einer Laube deS Gartens saßen und mit Behagen dem Rauschen deS in der Tiefe von Felsvorsprung zu Vorsprung niederstürzenden Wassers lausckten. Es war spät im Juli. „WaS Alle glücklich macht, kann kein Unrecht sein", er widerte Rex, die Cigarre au« dem Munde nehmend. „Aber eS giebt AnstandSrücksichtrn, die nichts mit Recht oder Unrecht zu thun haben", wendete Greif ein. „So last' sie bei Seite. Wenn Du mir beweisen kannst, daß Du irgend eines Menschen Gefühle verletzest, wenn Du jetzt Heiratbest statt in sechs Monaten, will ich eS aufgebrn, Dich zu widerlegen." Und so ließ Greif sich überreden, der Hochzeitstag wurde aus Ende August festgesetzt und all» Vorkehrungen wurden getroffen. Rex und Greif hatten schon längst Alles gethan, wa- nöthig war, di« ErbschaftSangelraenheiten zu «rlrdigen, und die vorhandenen Briefe und Schriftstücke geprüft und ge ordnet; aber obgleich Greif di» Hauptarbeit willig seinem Vetter überlassen und dieser Alle» weit gründlicher durch sucht hatte, als Greif ahnte, war nicht ein Blättchen auf gefunden worden, da» al« rin« Botschaft de- tobten Vater« an seinen Sohn gelten konnte. Rex sing endlich an zu vrrmutben, daß der alte Baron kein Abschird«- wort für Greif zurückgelassen batte. Der Bries, drn Rex erhalten batte, bot allein den Schlüssel zu der Lage. Der Charakter des alten Greifenstein war streng, entschlossen, moralisch und unbeugsam gewesen. Rex war überzeugt, Laß, wenn er überhaupt an Greif geschrieben, er den Sohn feierlich beschworen batte, die Folgen der Verbrechen seiner Mutter auf sich zu nehmen, Güter und Baarvermögen den Wildenbergs den nunmehr einzig rechtmäßigen Erben zu übergeben, nachdem er ihnen offen gestanden, daß er hinfort weder Namen noch Besitz habe, und Armuth und Schmack, >vie eS einem redlichen Manne gezieme, zu tragen. Und Rex kannte Greif zur Genüge, um zu wissen, daß er de« Vaters ausdrückliches Gebot buchstäblich erfüllen werde, es koste was es wolle. Hatte der grimmige alte Edelmann sich aber noch in letzter Minute besonnen und auf seine grausame Verfügung verzichtet, so blieben die Dinge, so weit sie Greif betrafen, so wie sie waren. Er konnte nicht vorauSsehen, daß die Umstände, die seinen Tod begleiteten, Greif dazu treiben würden, von der Heiratb zurückzustehen, noch vorauszusetzen, die Baronin von Wildenburg werde sich weigern, Greif und sein Vermögen für ihre Tochter anzunehmen, um nicht mit der üblen Nachrede, die sich an die Tragödie von Greifenstein knüpfen würde, in Verbindung gekrackt zu werden. Gegen diese Theorie sprach jedoch der Bries, den Rex selbst erhalten hatte. Wenn Greifenstein entschlossen gewesen wäre, daß sein eigener Sohn niemals über das schauerliche Geheimniß aufgeklärt werden sollte, so würde er seinem Bruder nicht gestattet haben, Rex alle Einzel heiten mitzutheilen, selbst nicht mit der Verpflichtung zu ewigem Schweigen für diesen. Rieseneck seinen Willen auf zuzwingen, der auS guten Gründen Rex warnen zu müssen glaubte, würde er schon die Mittel gefunden haben. Nie mand konnte sagen, ob nicht noch Zeugen lebten, welche zu beschwören vermochten, daß Clara sowohl Greifenstein'« wie Rieseneck'S Gattin gewesen war. ES mußten nothmendiger- weise Ungesetzlichkeiten und andere häßliche Dinge vor gekommen sein, durch die Clara von Rieseneck sich die falschen Papiere verschafft hatte, deren sie bedurfte, eine zweite Ehe zu schließen, und sie allein war sicher nicht im Stande gewesen, die Fälschungen anzufertigen. Alle« sprach für die Wahrscheinlichkeit, daß einer ihrer früheren Ge sinnungsgenossen, nachdem die Wirren der Revolutionszeit vorüber, unbeachtet in einem NegirrungSamt geblieben und ihr geholfen hatte, sich von Rieseneck, drr ein Werkzeug der revolutionären Gewalten gewesen war, zu befreien, indem er ihr geschickt gefälschte Papiere übergab, die sie gegen jede Entdeckung sicher stellten. Wäre Rex nicht gewarnt und Greif weniger innig zugethan gewesen, so hätte er vielleicht die Unterstützung der Behörden verlangt, eine Erklärung für drn Tod seines Vaters ausfindig zu machen, und dies« Einmischung der Behörden wäre dann gewiß verhängnißvoll für Greif geworden. Rex erwog die Frage nach jeder Richtung. In jedem Falle war ungeachtet deS eifrigsten Suchen« kein verdächtige- Papier zum Vorschein gekommen, und um jede weitere Ge fahr zu vermeiden, bot er Alles auf, die Heirath zu be schleunigen. War die Verbindung zwischen Greif und Hilda erst geschlossen, so war von einer Entdeckung der Wahrheit weniger zu fürchten. Inzwischen hatte Greif den Wünschen der Baronin gehorcht und sofort Schritte gethan, seinen Namen zu ändern. In Deutschland ist die Erledigung einer solchen Angelegen heit eine ziemlich leichte. Nichts ist erforderlich als die förmliche und gesetzliche Einwilligung aller Personen, die denselben Namen tragen, den der Bittsteller anzunehmen wünscht. Wenn diese ertheilt wird, sind die nothwendigen Formalitäten sehr leicht zu erfüllen und daS Patent wird anstandslos dem Bittsteller ausgefolgt. Ist dies geschehen, so ließt eS nicht mehr in der Macht der Familie, die ihre Einwilligung gegeben hat, den Namen wieder zurück zu nehmen. In Greis s Fall wurde Alles besonders leicht und schnell erledigt. Dem HeroldSamt, das mit der Sache befaßt, war eS bekannt, daß die männliche Linie der Wilden berg'« erloschen und daß die Familie nur durch Hilda und ihre Mutter vertreten war. Die erforderlichen Urkunden wurden den Herrschaften übermittelt, von der Baronin und ihrer Tochter in Gegenwart von Zeugen bescheinigt und unterzeichnet und wieder zurückgcschickt. Einen Monat später erhielt Greif sein Patent mit der Unterschrift und dem Siegel des Souverains, mit der Erklärung, daß er. Greif von Greifenstein, einziger Sohn deS Freiherrn Hugo von Greifenstein, hinfort ermächtigt und berechtigt war, sich Greif von Wildenberg zu nennen. Und am Mittag eine» gewissen JunitageS erblickten die Holzhauer im Walde, die zu den Thürmen von Wildenberg aufsahen, daß eine Fahne an langem Flaggenstock sich langsam aufrichtete und daß der Wind sich in das mit drei goldenen Kronen gestickte Fahnentuch verfing, daß bald lustig über den Zinnen deS alten Schlosses flatterte. „WaS bedeutet da«'?" fragte ein junger Mensch. „ES ist di« Flagge der Wildenberg'«," antwortete ein grauhaariger Mann, ein Stück Käse auf seiner Messerspitze zum Munde führend. „Ich habe sie seit zwanzig Jahren, seit der junge Baron im Kriege fiel, nicht mehr gesehen. Wildenberg muß jetzt einen neuen Herrn bekommen haben." In diesem Augenblick fuhr Greif s Wagen die letzte An höhe zum Schloß hinauf. Gr»if bemerkte die Fahne, die Waster« kräftige Hände auf dem Thurm befestigt batten, wechselte ein wenig die Farbe, richtete sich leicht in seinem Gefährt empor und entblößte sein Haupt. Eine feierliche Stimmung bemächtigte fick seiner. Ihm war, als ob alle die tobten Wildenberg's, die Seite an Seite in der Capelle ruhten, sich aus ihren Gräbern erhoben hätten, um den neuen Besitz ihres Namens zu begrüßen. Er konnte nicht weniger thun, als sich gleichfalls erheben, und ihre Flagge grüßen, die jetzt auch die seinige war. Sein junges Herz voll ritterlicher Ueberlieferungen war von Gefühlen durck- glübt, die ein Mann, der einem jüngeren Geschlecht an gehörte, schwer nachempfinden könnte. Er sah im Geist die alten Ritter in schimmernder Rüstung vor sick, koch zu Roß, an der Spitze einer reisigen Schaar aus dem Schloß Hof reitend, ihre Fahne in der Mitte, einige von ihnen in der Vertheidigung der geliebten Flagge sterbend, andere als Sieger unter dem ruhmreichen Banner beimkehrend. Es wurde ihm leicht, sich mit ihnen zu identisiciren und mit Stolz und Genugthuung zu fühlen, daß ihre Geschichte hin fort auch die seinige war. DaS wehende Banner mit seinen leuchtenden Farben war ihm das Sinnbild eines neuen Ausgangspunktes für das Leben. Gestern noch war er mit der Erinnerung an übel vergossenes Blut belastet, heule begann seine Existenz mit einem neuen Blatt, das nock keine schmachvolle Inschrift trug. In den Wochen zwischen April und August trafen Rer und Hilda häufiger zusammen als zuvor und allem Anschein nach zu Greifs größter Befriedigung in der freundschaft lichsten Weise. „Rex", sagte Greif eines Tage«. „Hilda wird meine Frau, e« ist nothwendig, daß Du sie gern hast. E« ist kein vernünftiger Grund für daS Gegentheil vorhanden und doch benimmst Du Dich so, al« wäre sie Dir durchau« zuwider." Rex' strinerne Augen zeigten einen Ausdruck von Er staunen, so weit sie im Stande waren, etwas auSzudrückrn, denn er war überrascht, zum ersten Male in seinem Leben durchschaut worden zu sein, und er bemerkte, daß nicht Greif ihn allein durchschaut hatte. „Ich bedauere, daß Hilda mich fähig glaubt, sie zu hassen", antwortete Rex. „Meine Gefühle sind in Wahr beit so verschieden von dem, wa« ihr vorau«setzt, daß ick lieber jede« Opfer bringen, al« diese Heirath vereitelt sehen würde." Greif verstand zwar nickt ganz die Bedeutung der Worte seine- Vetters, aber er hörte sie dennoch mit Ge nugthuung. „Ich wünschte, Du sagtest da- Hilda selbst", ant wortete er.
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