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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.02.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960212021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896021202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896021202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-12
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Den so lange und so gründlich von den berufensten Fachmännern vorberathenen Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches hat der Reichstag an eine Commission verwiesen, die beim besten Willen an dem großen Werke höchstens einzelne Striche und Strichelchen zu ändern und zu bessern vermag, gestern aber hat das Haus den Beschluß gefaßt, die Novelle zur (Gewerbeordnung ohne C o m m i s si o n s b e r a t h u n g durchzuberathen. Dieser Beschluß ist ebenso bedauerlich, wie jener. Es ist seit langen Jahren das erste Mal, daß ein wichtiges, lief in das wirthschaftliche Leben einschneidendes und nur auf Grund der eingehendsten Prüfung von Männern, die das wirthschaftliche Leben von den verschiedensten Seiten kennen, zur rechten Ausgestaltung zu bringendes Gesetz auf diesem kürzeren Wege erledigt wird; und wenn auch im All gemeinen die Klagen über die allzugroßc Ausdehnung des Commissionsverhandlungswesens begründet sind, so können wir es doch nicht gerechtfertigt finden, daß gerade mit der Gewerbeordnungsnvvelle der Anfang zur Beschränkung dieses Wesens gemacht wird. Conservative und Centrum haben als Grund für ihren Verzicht auf AuSschußberathung die Thalsache angeführt, daß der Entwurf seinem wesentlichen Inhalte nach schon im vorigen Jahre einer Commission vor gelegen hat. Aber gerade diese Thatsache bot eine Gewähr gegen das, was die genannten Parteien und, wie wir hinzufügen, auch die Nationalliberalen verhütet wissen wollen: gegen eine abermalige Verschleppung der Sache. Im Großen und Ganzen hätte sich die Mehrheit der Commission bei ihrem Zusammentritt einig gefunden und ihre Kraft auf die Be- rathung weniger Punete, bei deren Erledigung nach der Re gierungsvorlage es auch den Conservativen und sogar manchem CentrumSmanne nicht sehr „Wohl" sein wird, concentriren können. Dahin gehört vor Allem die den Buchhandel, die Näh maschinen - Industrie und noch einige sehr wichtige Gewerbe so nahe berührende Frage des Verbots des Detailreisens. Ter Bundesrath soll bekanntlich die Waaren bestimmen, auf die Bestellungen bei Privaten, das heißt bei Personen, welche die betreffenden Waaren nicht in ihrem Gewerbebetrieb verwenden, ausgesucht werden dürfen. Da ist es nun — die „Kreuzzeituug", die in dieser Befugnißertheilung ein Haar findet. Sie schreibt heute: „Der Reichstag hat sich am 10. d. M. mit der Gewerbeordnungs novelle beschäftigt und dabei sind eine Menge Punete berührt worden, deren fachgemäße Erledigung die allergrößten Schwierig keiten bietet, weil hier immer dem Einen schadet, was dem Andern nützt, und es ost kaum möglich sein wird, das Richtige zu treffen; auch dann nicht, wenn der Entscheidung des Bundesrathes alles Mögliche Vorbehalten bleibt. Der Bundesrath ist eben doch auch seinerseits auf die Berichte angewiesen, die den Regierungen von ihren Behörden zugehen, und da sprechen die besonderen Standpunkte und die besonderen Verhältnisse nothwendigerweise zu sehr mit, als daß man aus diese Weise zu dem völlig „objektiven" Urtheile ge langen könnte, das die Uebertragung der letzten Entscheidung eigentlich voraussetzt." Das ist sehr verständig gesprochen. Nur schade, daß die conservative Reichstagssraction nicht demgemäß gehandelt bat. Denn Schwierigketten dieser Art sind nur in einer Commission zu erledigen, nicht im Plenum, wo das Für und Wider in Einzelheiten nie so reiflich erwogen werden kann, wie in dem etigeren, nicht zum Fenster hinaus redenden Kreis einer Commission. Die „Kreuzzeitung" hat freilich auch einen Trost bei der Hand. Sie meint: „Ohne Härten im Einzelnen kann es da nicht abgehen; und man wird sich mit dem Gedanken vertraut zu machen haben, daß nicht das Gesetz als solches, sondern erst die praktischen Erfahrungen, die man dainit macht, den geeigneten Maßstab liefern werden, nach dem bei der ferneren Rückbildung des dereinst Verfehlten vorgcgangen werden muß." Diese Entschuldigung steht, wie zugegeben werden muß, jedem Gesetzgeber bei jeder Materie zur Seite, aber sie greift billiger- und vernünftigerweise erst dann Platz, wenn der Gesetz geber jedes Mittel, das Nichtige zu treffen, erschöpft hat. Im Herzogthum Braunschweig treten die wölfischen Umtriebe immer ungescheuter zu Tage und verrathen je länger je mehr die innere Verwandtschaft dieser Bewegung mit der Agitation in der Provinz Hannover. Die „Braun schweigische Rechtspartei" hat, wie schon berichtet, am 8. und 0. d. M. unter Theilnahme von hannöverschen Welfen einen Parteitag abgebalten und sich dabei zu einer alle Vereinigungen, welche die Thronbesteigung des Herzogs von Cumberland anstreben, umfassenden Panei erweitert. Bei den Verhandlungen blieb das am weitesten fortgeschrittene welfische Element siegreich, der äußerlich erkennbare Anschluß an die „deutsche Rechtspartei", die bekanntlich im schroffsten Gegensätze zum Reiche steht, wurde lediglich auS Zweckmäßig keitsgründen widerrathen. Bei diesem Charakter der Versamm lung kann es nicht wundernehmen, daß sie mit der Absendung eines Begrüßungstelegramms an den Herzog von Cumber land eröffnet und mit einem Hoch auf ihn geschlossen wurde, während von dem Verhältniß znm Reiche nur insofern die Rede war, als der Gras von der Schulenburg-Hehlen erklärte, die neue Partei solle „nach der Rückkehr des Herzogs" nicht zusammenfallcn, sondern als „eine dauernde politische Partei" ihre Vertreter wie in den Landtag so in den Reichstag senden — mit anderen Worten eine lediglich den Particularimus repräscntirende Terri torialpartei bilden, wie man sie zur Stunde nur in der Gruppe der Elsässer im Reichstage kennt. Für uns hätte es der in dieser Ankündigung liegenden Bestätigung der unbedingten Richtigkeit der Ansicht, daß die Thron besteigung des Herzogs von Cumberland Braunschweig zum kaum mehr angreifbaren Mittelpunkt der reichL-nnd preußenfeindlichen Treibereien der hannöverschen Welfen macken würde, durchaus nicht bedurft. Aber die an der Erhaltung der Rechtsordnung in Preußen und Deutschland zunächst interessirten und für sie verantwortliche» Berliner Stellen sollten sich aus den erwähnten Vorgängen überzeugen, daß man den Braun schweiger Verhältnissen nicht in einer Weise gerecht ge worden ist, wie sie den Interessen des Landes und des Reiches entsprochen hätte. Nirgends in Deutschland außer halb der altpreußischen Provinzen war jemals die Bereitwilligkeit der Bevölkerung, sich bei verständiger Schonung eingewurzelter Einrichtungen und Gewohn heiten in das neue Deutschland einzufiigen, größer, als bei den Braunschweigern nach dem Tode des Herzogs Wilhelm. Es war auch in Berlin das für Braun schweig zweckmäßige System richtig erkannt worden, und wenn in der Lösung der Personcnfrage ein Mißgriff gethan worden sein sollte, so hätte dieser, abgesehen davon, daß er gut gemacht werden konnte, für sich allein die Dinge noch nicht bis zu dem Punete gedeihen lassen, daß die welfische Agitation ihr Haupt so, wie es eben in der Braunschweiger Versammlung geschehen, er heben dürfte. DieAnhänger des Herzogs von Cumberland wären schwach und im Dunkeln geblieben, wie sie es ursprünglich in Braunschweig waren, wenn nicht im Lande durch das Verschulden Preußens der Glaube Nahrung gefunden hätte, der Kaiser begünstige die Thronbesteigung eines Gliedes des Welfcnhauses, wenn nicht des Herzogs selbst, so doch seines Sohnes. Es war nicht nur dies öffentlich be hauptet, sondern es war sogar sehr wenig verblümt an gedeutet worden, man betheilige sich von Berlin aus an Bemühungen, den noch widerstrebenden Herzog von Cumberland für die Duldung des Anfalls der Krone Braunschweig an sein Haus zu gewinnen, und diesen Aus streuungen gegenüber hat keine autoritative Stelle in Preußen ein Wort des Widerspruchs gefunden. So ist es nickt un begreiflich, wenn man sick im Herzogthum auf einen Wechsel nicht etwa der Person, sondern des Systems selbst in Kreisen einrichten zu dürfen, ja zu sollen glaubt, denen nichts ferner liegt als der Wunsch nach der Thronbesteigung des Gmundener Trägers des welfische« Protestgedankens, oder seines Sohnes. Es handelt sich nunmehr darum, die Erwartung nicht zum Verlangen erstarken und die Zuschauer der welsischen Agitation nicht zu Theil- nehmern werden zu lasten. Heute ist eine solche Ent wickelung nock verhältnißmäßig leicht zu verhindern. Nur muß jeder Zweifel daran beseitigt werden, daß man in Berlin einem gefährlichen Experimente mit Braunschweig durchaus abgeneigt ist, und es muß weiter ein Schritt ge schehen, welcher der Enttäuschung der ihren unter Herzog Wilhelm befestigten Anschauungen von einem für das Land passenden Regiment mit Grund treu gebliebenen braun schweigischen Bevölkerung ein Ende macht. Hier nichts zu versäumen, gehört auch — und nicht in zweiter Reihe — zu den Pflichten, die die Feier des 18. Januar aufs Neue vergegenwärtigt hat. Die englische Thron rede hat den Zweck, einen ver hüllenden Schleier über die Ereignisse der letzten Zeit zu weben; waren sie dock für England nicht sonderlich ruhm- und ehrenvoll. Aber es ist vergebliche Mühe, denn dieseEreignisse sind noch zu genau in aller Welt Gedächlniß, als daß sie sich ver schleiern und — beschönigen ließen. „Ich empfange fortgesetzt von den anderen Mächten Versicherungen freundschaftlicher Ge sinnung", beginnt die Thronrede, und doch ist es selbst in England Niemandem mehr zweifelhaft, daß keine einzige Macht England über den Weg traut (selbst nicht das ihm Hals über Kops „befreundet" gewordene Amerika) und in den Cabinetten des Con- tinents eine nichts weniger alsfreundliche Stimmung gegen Albion herrscht. In Bezug auf Armenien begnügt sich die Thron rede damit, daß der Sultan die hauptsächlichsten Reformen genehmigt habe (was er schon früher mehr als einmal gethan), und beklagt den fanatischen Aufruhr eines Theils der türkischen Bevölkerung, welcher zu einer Reibe von Greuel- thaten geführt hat, die in England den tiefsten Unwillen hervorriesen. Was aber war gerade der Zweck der ganzen arme nischen Action? Unruhen zu stiften, Gräulscenen hervorzu rufen, um urbi et orbi den Beweis liefern zu können, daß der kranke Mann am Goldenen Horn sich und feinem Volke nicht mehr helfen könne und daß darum die Türkei nach dem schon fertigen englischen Plane ausgetheilt werden müsse. Das ist freilich durch die Intervention der Mächte verhütet worden, und nun sagt man in England einfach: wir hatten in Armenien überhaupt derartige Absichten nicht, wir wollten lediglich aus reiner Menschenliebe Kleinasien eine menschenwürdige Verwaltung schaffen, um uns dann befriedigt wieder znrückzuzieben. Hoffnungsvoll läßt die Thronrede den Gang der Verhandlungen über die Grenzfrage in Venezuela erscheinen. Thatsächlich ist eS so,daß trotzder„Freundschaft"mit den Vereinigten Staaten der Streit jeden Augenblick wieder größere Dimensionen annehmen kann : denn wenn jene auch von ihren Monroe-Prätensionen zurückgekommen sind und die Frage einer schiedsrichterlichen Entscheidung unterstellt wissen wollen, so fragt es sich noch sehr, ob England seine Ansprüche für so selbstverständlich und wohl begründet ansehen kann, um von einem Schiedsspruch besonderen Vortheil erwarten zu dürfen. Es scheint das nickt der Fall zu sein, denn noch gestern erklärte Lord Salisbury im Unterhaus im Anschluß an die Thronrede, England könne dem Schiedsspruch „ohne Weiteres" nicht zustimmen. WaS aber Transvaal betrifft, so ist die Thronrede weil entfernt davon, dem Ernst der Lage Ausdruck zu geben. Sie erwähnt den Kernpunct der Frage, wie weit die Abhängigkeit der Republik von England geht, mit keinem Wort und erhofft Abstellung der „berechtigten" Beschwerden der Uitlanders, die Präsident Kröger schon so gut wie zugesagt habe. Letzteres ist richtig, obwohl auch nur mit der einschränkenden Bedingung, daß die revolutionairen Elemente unter den Uitlanders dauernd Ruhe ballen. Unter den berechtigten Beschwerden versteht aber die Thronrede in Uebereinstimmung mit den Uitlanders die Gewährung des vollen Bürgerrechts an diese unsicheren Cantonisten, und daß die Republik zu diesem Selbstmord sich nie entschließen wird, bat Kröger auf das Bestimmteste erklärt. Offenbar hält die Thronrede sich hier absichtlich in so bescheidenen Grenzen, um die wahren Absichten, welche England mit der Boeren- republik hat, ofsiciell zu verhüllen. Und doch schimmert auch durch die Thronrede etwas die wahre Gesinnung des officiellen England gegen Transvaal durch, da dieselbe den internationalen Rechtsbruch Jameson's, statt denselben in den schärfsten Ausdrücken zu verurtheilen lediglich als den „plötzlichen Einbruch einer bewaffneten Armee" bezeichnet, der zu einem „bedauernswerthen" Zusammenstoß mit den Burghers geführt hat. Von der Verstimmung zwischen Deuts chlan d und England sagt die Thronrede nichts, sie begnügt sich, dieselben anzudeuten, indem sie als den wichtigsten Gegenstand der parlamentarischen Berathung die Vermehrung und Verbesse rung der Seestreitkräfte hezeichnet. Für die unfreiwillig, aber deswegen nicht unwirksamere Unterstützung, welche die Thron rede damit unseren Plänen auf Vermehrung und Verbesserung der deutschen Seestreitkräfte angedeihen läßt, können wir nur aufrichtig danken. Nach dem glänzenden Empfang, welcher dem bulgarischen M in isterpräs identen Stoilow bei seinem Besuch in Kon stantinopel bereitet, und den Auszeichnungen, die sowohl ihm, wie dem Prinzen Ferdinand bei dieser Gelegenheit zu Tbeil geworden sind, war cs nicht mehr zweifelhaft, daß der Sultan die An regung zur Anerkennung des Prinzen Ferdinand geben werde, und wir sprachen die Vermuthung aus, daß dieselbe schon sehr bald zu erwarten sein werde. Sie ist noch rascher erfolgt, als man vermuthen konnte. Wie wir noch im heutigen Morgenblatt mittheilten, hat die Regierung in Sofia aus Konstantinopel die officielle Mittheilung erhalten, daß der Sultan den Prinzen Ferdinand als Souverain von Bulgarien aner kannt und den türkischen Botschaftern bei den Großmächten den Auftrag gegeben Kat, die betr. Regierungen um ihre Zustimmung zu bitten. Selbstverständlich hat der Sultan zu diesem Schritt sich nicht entschlossen, ohne sich vorher vergewissert zu haben, daß gleich den übrigen Mächten der Kaiser von Rußland da mit einverstanden ist und daß der Anerkennung des Prinzen FauiHetair. U)I Verlassen und verkannt. Erzählung von Wladimir Korolenko. Ueberf. v. Ad. Garbell. Nachdruck »erdoten. D. S. G. XXVH. Und in der That erfüllte die Zeitung am nächsten Morgen ihr Versprechen. Zuerst brachte sie das Portrait des Mister HomperS und dann gab sie eine genaue Darstellung des Interviews desselben mit ihrem Reporter. Und da wurde Mister HomperS in ebenso wohlwollenden Farben gezeichnet wie Mister Robinson. Die Zeitung schrieb: „Mister Hompers ist im Privatleben ein sympathischer und anziehender Mensch. Sein Benehmen unserem Berichterstatter gegenüber war ungewöhnlich freund lich und zuvorkommend, aber sein Uribeil über die Angelegen heit ist sehr erregt und abfällig. Mister Hompers klagt vor Allem die Zügellosigkeit der Polizei dieser Stadt an. Er selbst und seine Zuhörer beobachteten die größte Ordnung. ES ist wahr, daß er in seiner Rede bitter wurde, aber seit wann gilt eS als obligatorisch für einen Amerikaner, in seinem Lande nur süße Reden zu halten. Und wenn er in seiner Rede die Stadt mit einer Dirne verglichen und das Jemandem nicht gefalle, so dürfe dieser auch nicht die Sonntagspredigten hören, z. B. die des Reverend JohnS, weil das sein Lieblingsvergleich ist. Er hoffe, annehmen zu dürfen, daß Tammany-Rinck, dessen thätiges Mitglied, so viel ihm bekannt, Mister Robinson ist, noch nicht im Stande sei, die Redefreiheit in diesem Lande zu beschränken. Mister HomperS bedauere daS Geschehene sehr, denn als die Ge schädigten in dieser Angelegenheit hält er sich und seine Freunde, weil dadurch das Meeting abgebrochen und daS Versammlungsrecht in ihrer Person schwer verletzt wurde. Wie die Schlägerei angefangen, habe er nicht gesehen, aber der Wilde sei phantastisch genug, um als Erfindung der Polizei gelten zu können. Zweifelsohne sei er bereit, die Neugier des ehrwürdigen Senator« Robinson zu befriedigen. Wie aus dem Vorhergehenden deutlich resultirt, habe er Niemand zu einem lleberfall auf die Polizei gereizt; ebenso wenig habe er die Pvliceman zu einem so eifrigen Gebrauch ihrer Stöcke veranlaßt. Was die Früchte seiner Agitation anlange, so sind sie schon jetzt zu sehen. Denn seit zwei Jahren ist die Arbeiterpartei, deren Vertreter er ist, um die doppelte Kopfzahl gewachsen. Das sind die unmittelbaren Früchte. Was die weiteren betrifft, so kann auch Mister Robinson, der Fabrikant und Senator ist, darüber selbst etwas sagen, denn in seiner eigenen Fabrik ist seit dem vorigen Jahre die Zahl der Arbeitsstunden vermindert, der Lohn aber trotzdem nicht geringer geworden. Endlich theilt uns Mister Hompers mit, daß er beab sichtige, einen Proceß gegen die Polizei wegen Verletzung deS Bersammlungsrechts anzustrengen." XXVIII. Noch einige Tage lang verschwand das Ereigniß im Centralpark nicht aus den Spalten der New-Uorker Zeitungen. Die Berichterstatter durcheilten die ganze Stadt, und in den Redactionen erschienen verschiedene Personen, die hier und dort Menschen, ganz ähnlich dem märchenhaften Wilden, gesehen haben wollten. Indem sie die erste Zeichnung zur Grundlage ihrer Nach forschungen machten, begannen mehr oder weniger gelehrte Gentlemen ihre Meinung über den Wilden abzngeben Die Beurtbcilung war sehr verschiedenartig. Der Wahr heit am nächsten kam ein Gelehrter, der ihn dem slawischen Stamme znzählte. Der Kreis um diese räthselhafte Persönlichkeit schloß sich immer mehr und mehr. In Notizen, die immer kürzer, aber um so genauer wurden, hörte man neue Namen und Orte nennen. Von dem Wilden berichtete der Stiefelputzer, der Neger Sam, und der Conducteur deS Wagens, in dem Matwei Abends in den Centralpark fuhr, der sich der Gefahr, mit dem Wilden in den einsamen Gegenden Brooklyns allein zu sein, unterzogen hatte; kann die alte Frau mit den langen Haarlocken zur Seite, bei der der gebeimnißvolle Wilde mit dem Ungeheuern Wuchs und dem entsetzlichen Aussehen an geklingelt hatte, als sie sich gerade allein zu Hause befand, in Absichten, die ihr unbekannt, jedenfalls aber sehr böser Natur waren. Zum Glück vermochte die alte Lady noch zur rechten Zeit die Tbür znzuschlagen und so ihr Leben zu retten. In den Zeitungen der anderen Herrin aus dem Hause Nr. 1235 war nicktS erwähnt, auS dem Grunde, weil sie selbst nur eine polnische Zeitung, die noch dazu in Milwaukee erschien, las. Deshalb erfuhr auch Anna nichts davon, die bei der Erinnerung an Matwei, dessen Schicksal ihr so lange unbekannt blieb, immer tief aufseufzte. Der Mann war wie inS Wasser gefallen, und sie selbst fühlte sich wie ein einsames Boot, das in eine Bucht gerathen. Jeden Tag, wenn der Mann und die Miether der alten Frau fortgingen, erschien Anna wie eine unsichtbare Fee in den Zimmern, machte die Betten, scheuerte die Dielen auf, putzte jede Woche einmal die Fenster und reinigte die Gasschalen. Jeden Tag brachte sie das Kehricht auf die Straße und bereitete dann das Essen für die Herrschaft und zwei Gentlemen, die zu Hause speisten. In den zwei Jabrcn, die sie nun hier war, hatte sie auch noch nicht einmal zwanzig englische Worte erlernt, denn im Hause sprachen ihre Brodgeber nur gewöhnlich polnisch, außer diesen aber sprach überhaupt Niemand mit ihr. Einmal im Monat ging sie zusammen mit der Herrin in die Kirche. Oft seufzte sie und dachte, daß Alles so wie in der Heimath wäre. Alles war wie in dieser und zwar in so einem Grade, daß dem Mädchen ganz weh ums Herz wurde und sie sich fragte: „Wozu bin ich also hierhergekommen, wozu habe ich gehofft, geträumt und gewartet, wozu bin ich jenem hoben, sonder baren Mann begegnet, der da sagte, mein Loos wird auch daS Deine sein, mein Kind." Der junge John und Düima auch erschienen nicht. Ein Brief, den sie abgesandt, forschte vergebens in der Welt nach dem schon längst verloren gegangenen Bruder, und ihr Leben floß im ewigen Einerlei dahin, ein Tag verging wie der andere, sich wie ein Tropfen Wasser dem andern oder wie die Reihe der hohen Häuser ähnelnd . . . Sie batte hier eine Heimath gesunden, die Heimath, die Losinski ersehnte, und wie ost batte sie in ihrer kleinen Küche im Kellerraum, der so eng und niedrig darüber geweint ... Und nicht nur einmal bedauerte sie, daß sie Matwei ge folgt und nicht zu Bork's Tochter, die ihr von dieser Stelle abgerathen, zuruckkebren konnte . . . Wie oft plagte sie sich mit dem Gedanken, ob sie dieselbe nicht aufsuchen und ein anderes Leben, das vielleicht nicht so gut, aber immerhin ein anderes wäre, beginnen solle. Und in den Tagen, wo alle Zeitungen New-AorkS in den verschiedensten Tonarten über den verschwundenen Freund sprachen, hatte sie nicht die geringste Vermuthung von all den Dingen... Zehn Tage später war Düima'S Portrait im National- Costüm in einer der Zeitungen erschienen. Ein geschickter Reporter hatte ihn zu finden verstanden. Diesem Umstande hatte Düima sein ferneres Wohlergeben zu verdanken. Durch dieses Bild aufmerksam gemacht, fand Josef Losinski mit Hilfe der Redaction Düima bei Mister Bork, WaS jenem nicht wenig erwünscht kam. Josef Losinski und dessen Frau Anna, die vermittelst ihres BilletS zu ihrem Manne gelangt war, wußtn in diesem Lande schon Bescheid, wogegen die irländischen Freunde nach allen Himmelsrichtungen zerstreut waren, da Tammany-Hall ihrer Dienste nicht mehr bedurfte, und Arbeit konnten sie nicht finden. Aber schon früher hatten echte Gelebrte, an denen es in Amerika nicht mangelt, ziemlich genau die Heimath deS räthseldaften Mannes bestimmt. UebrigenS hatte das Interesse des PublicumS für das Ereigniß im Centralpark ganz nachgelassen, besonders als man erfuhr, daß Mister Hopkins nicht tobt, sondern dessen Gesundheit wieder voll ständig hergestellt sei. Die Geschichte mit dem Wilden trat immer mehr und mehr in den Hintergrund, und daS allgemeine Interesse be herrschten in diesen Tagen Miß Lisy und Mister Fred, deren Portraits die Zeitungen brachten. Es waren zwei ganz junge Leute, die eigenmächtig geheiratbet und ihren Eltern, bekannten Millionairen in New-Aork, damit eine große Ueber- raschung bereitet hatten. Und der fröhliche Lockenkopf der Miß Lisy mit ihren schwarzen Aeuglcin blickte den Leser von derselben Stelle an, 'wo noch vor einigen Tagen der Wilde gestanden und war sogar mit derselbe« Feder, mit der der Reporter unseren Helden skizzirt hatte, gezeichnet. Das Alles bewies nur auf'S Neue, wie wenig dazu gehört, in diesem Lande berühmt zu werden und wie schnell Alles da in Ver gessenheit gerätb. Und nur Düima und Losinski s lasen, wa« sie nur konnten, über Matwei und backten nur daran, wie sie den armen Mann, der spurlos in dem Menfchenmeer versunken war, finden möchten. XXIX. Unterdessen fuhr der Urheber jenes Aufruhrs in einem Extrazuge nach Detroit, Buffalo, dem Niagara und Chicago zu . . . Wie er in diesen Zug gerathen, wußte er später gar nicht mehr zu sagen. Al« Matwei damals stehen blieb und begriffen batte, daß nur noch da« Allerschlimmste kommen könnte und er auch HopkinS noch immer auf derselben Stelle, wo er hingefallen, liegen fah, batte er sich wild im Kreise umaesehen und nur daS eine Gefühl, daß er in dieser Stadt in sein Verderben renne, gehabt. In jenem Augenblick war er wieder hilflos wir «in Kind
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