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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970706010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-06
- Monat1897-07
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Der Artikel, welcher durch die Fülle des beigebrachten Materials und die Wucht seiner Beweisführung Alles als hinfällig er weist, was von den Gegnern der Deutschen für die Badeni schen Sprachcnverordnungen vorgebracht wird, bildet den Beginn einer Artikelserie „Zum Kampfe der Deutschen in Böhmen", welche von den hervorragendsten Führern der Deutschen aller Parteien verfaßt ist. Schlesinger schreibt: „Die für Böhmen erlassenen Sprachenverordnungen des österreichischen Ministeriums Badeni vom 5. April 1897 haben eine tiefgehende nationale Bewegung bei allen guten Deutschen in Oesterreich hervorzerufen. Dieselbe dürfte ferner stehenden Kreisen nicht recht erklärlich sein, zumal über die Nationalitätsverhältnifse in Böhmen nicht einmal in anderen Ländern Oesterreichs, geschweige denn in Deutschland die richtigen Anschauungen verbreitet sind. Im Allgemeinen hält man Böhmen für ein sprachlich gemischtes Land, weswegen die Forderung der Zweisprachigkeit für alle öffentlichen Be amten als etwas Begreifliches immerhin erscheinen könnte. Daß aber in Böhmen zwei vollständig von einander abgeschiedene Sprachgebiete besteben, ein deutsches und ein tschechisches, zwischen welchen die Grenzen ganz scharf gezogen werden können, daS ist trotz der älteren Arbeiten Ezörnig's und Fickcr'S und der neuesten von Herbst und Schlesinger u. A. nur wenig bekannt und möge daher zu nächst diese Thatsache den Gegenstand unserer Erörterung bilden. Nach der Volkszählung vom Jahre 1890 betrug die ein heimische Gesammtbevölkerung Böhmens: Deutsche . 2 159 011 Tschechen . 3 644 188 Andere . . 866 5 804 065 Von der deutschen Bevölkerung wird der mehr oder weniger in das Innere des Landes eingreifende, im Norden an Preußen und Sachsen, im Westen an Bayern, im Süden an Oberösterreich anstoßende,ununterbrochen zusammenhängende Grenzgürtel bewohnt. Zu diesem Hauptslock des deutsch böhmischen Sprachgebietes kommen noch vier im Osten aus Schlesien, Mähren und Niederösterreich hereinragende deutsche Sprachzungcn. Unter den 219 Gerichtssprengeln, welche in Böhmen be stehen, befinden fick 90 territorial zusammenhängende Bezirke, in welchen die deutsche Bevölkerung die erdrückende Mehrheit besitzt. In 15 dieser Bezirke befinden sich mehr oder weniger tschechische Gemeinden, und diese Bezirke können als deutsch gemischte bezeichnet werden. Dagegen weisen 75 deutsche Bezirke kein einziges tschechisches Dorf auf, bilden also that- säcklich ein geschlossenes deutsches Sprachgebiet. Umgekehrt befindet sich in 129 Bezirken die tschechische Bevölkerung in der Mehrheit und bilden 104 Bezirke ein reines tschechisches Sprachgebiet, in welchem sich keine deutsche Gemeinde befindet. In 25 überwiegend tschechischen Bezirken zählen die Deutschen zusammenhängende Gemeinden in größerer oder geringerer Anzahl. Es stellt sich daher die ethnographische Gruppirung nach der gegenwärtigen Eintheilung sehr einfach so heraus: 1 deutsches Sprachgebiet mit 7b Bezirken 1 tschechisches - - 104 - 1 deutjchgemischtes - « 15 « 1 tschechischgemischtes - - 25 - Die 40 gemischten Bezirke bilden einen schmalen Gürtel an der Sprachgrenze, ließen sich aber durch die von den Deutschen so oft begehrte nationale Abgrenzung theils durch Neubildung rein nationaler Bezirke, tbeils durch Zuweisung der einzelnen Gemeinden zu den angrenzenden connatio nalen Bezirken bis auf einen ganz geringen Nest ver mindern. Wie leicht eine solche nationale Abgrenzung durchführbar wäre, gehl schon daraus hervor, daß im Ganzen nicht mehr als 263 Gemeinden in Frage kämen, die zur Ausscheidung auS den bisherigen gemischten Bezirken, und zwar entweder zur Bildung neuer, rein nationaler Bezirke oder zur Angliederung an bereits bestehende, an grenzende, connationale Bezirke herangezogen werden müßten. Wollte man aber den Einwand erheben, daß in den oben genannten 75 deutschen Bezirken allerdings kein tschechisches Dorf sich befinde, daß aber in gar manchem dieser Bezirke ansehnliche tschechische Bevölkerungstbeile als Minoritäten in deutschen Orten oder in Colonisten- häusern leben, so kann dies für einige wenige Bezirke, z. B. Brüx und Dilin, zugestanden werden. Wie gering aber der Procentsatz von tschechischen Bewohnern in der überwiegend großen Mehrzahl der deutschen Bezirke auf Grund der heutigen Eintheilung ohne vorbergegangene nationale Abgrenzung sich darstellt, erqiebt sich aus fol genden Ziffern: In 72 deutschen Bezirken sinkt der Procentsatz der Tschechen unter 5 Proc., in 68 Bezirken unter 4 Proc., in 65 Bezirken unter 3 Proc., in 55 Bezirken unter 2 Proc.» in 40 Bezirken unter 1 Proc., in 27 Bezirken unter 0,5 Proc. und in 4 Bezirken (Duppau, Neudeck, Platten, Scbastiansberg) wurde im Jahre 1890 kein einziger Tscheche gezählt. Hält man diese 72 Bezirke fest und untersucht sie in ihrer Gesammtheit nach der nationalen Mischung, so er geben sich folgende drastische Ziffern: In denselben wurden 1 616 262 Bewohner gezählt. Hiervon entfielen auf die Deutschen 1 597 556, die Tschechen 18 706. In 72 deutschen zusammenhängenden Bezirken beträgt somit der Procentsatz der Tschechen nicht mehr als 1,15Proc. Wer nun den angeführten, tatsächlich bestehenden Ver hältnissen gegenüber, an dem Bestände der nationalen Reinheit eines großen, zusammenhängenden deutschen Gebietes in Böhmen zweifeln wollte, der müßte auch die geschlossenen deutschen Sprachgebiete in ganzdeulschen Kronländern, z. B. in Ober- und Nieder-Oesterreich, in Frage stellen. Bleiben wir bei Nieder-Oesterreich stehen. Nach den Zäblungsoperaten vom Jahre 1890 bestehen in den 69 Gerichtssprengeln Nieder- Oesterreicks nur 6 Bezirke, in denen kein Tscheche gezählt worden ist (PLgstall, Kirchschlag,, Kirschberg a. d. Pielach, Atzenbrugg, Gerungs und Ottenschlag). In den übrigen 63 Gerichtssprengeln finden sich durchweg mehr oder minder beachtenswertste Minderheiten tschechischer Bevölkerung. So wollen wir nur die Bezirke hervorheben, in welchen der Procentsatz über 5 steigt. Feldsberg 16 l Procent Tschechen, Mödling 11.7 55 Schrcms 9,5 55 Ebrisdorf 8,7 55 SS Schwechat 6,7 55 5/ Marchegg 6,7 55 55 Zistersdorf 6,4 55 5, Hierzu kommt noch die Hauptstadt Wien mit 5,2 Proc. Der Vollständigkeit wegen sei noch angeführt, daß, wie ja bekannt, in Nieder-Oesterreich es Gemeinden giebt, welche in der Mehrheit tschechische Bevölkerung aufweisen, so Bischofwarth, Rabensburg, Ober - Themenau, Nieder- Tbemenau (Bezirk Feldsberg), Beinhöfen, Rottenscbachen, Witschkoberg (Bezirk Schreins) und Heimersdorf (Bezirk Schwechat). Die Gesammtbevölkerung der genannten 7 Be zirke Nieder-Oesterreichs, in denen die tschechische Mischung über 5 Procent beträgt, zuzüglich der Stadt Wien, die einen tschechischen Zusatz von 5,2 Procent ausweist, beträgt 1 394 052. Da die Zahl der einheimischen Bevölkerung 1890 auf 2 462 557 gezählt worden ist, so erübrigt ein Stock deutscher, Bevölkerung in Nieder-Oesterreich von 1 068 507, die sich' auf 62 Gericktssprengel vertbeilen, innerhalb welcher die tschechische Mischung die Höhe von 5 Procent nicht erreicht. Vergleicht man daS niederösterreichische deutsche Sprach gebiet, in welchem die nationale Mischung unter 5 Procent fällt, mit dem von Bödmen mit demselben Procentsatz der nationalen Mischung, so stehen sich folgende Ziffern ent gegen: Nieder - Oesterreich: 62 Bezirke mit 1 068 507, Böhmen: 72 Bezirke mit 1616 212 Bewohnern. Diese Ziffern bringen doch wohl zum deutlichsten Aus druck, daß das deutsch-böhmische Sprachgebiet ein unleugbar stärkeres ist, als das deutsche Sprach gebiet von Nieder-Oesterreich. Ja, noch mehr! Sieht man von Mähren und Steiermark ab, so erreicht kein einziges Kronland, in welchem eine zusammenhängende deutsche Be völkerung seßhaft ist, eine größere Gesammteinwohnerzahl, als etwas über 800 000, wie in Tirol. Es kann schon aus diesem Grunde darauf verzichtet werden, die nationale Mischung in Tirol, Ober-Oesterreich, Kärnten rc. zu untersuchen, um den Nachweis zu liefern, daß in allen diesen Ländern nur weit kleinere deutsche Sprachgebiete als in Böhmen bestehen. Bleibt Mähren und Steiermark. In Mähren, mit einer einheimischen Gesammtbevölkerung von 2 261 296, zählen die Deutschen, die vielfach in ihren Gebieten von slavifchen Territorien durchbrochen sind, 663 119 Bewohner. Nur in acht Gerichtssprengeln, die überdies nicht Zusammenhängen, geht der Procentsatz der Tschechen unter fünf Procent herunter. In Steiermark kommen von der Gesammtbevölkerung von 1 248 403 die Slovenen mit 400 480 in Abzug. Es ergiebt sich somit, daß das deutsche Sprachgebiet Böhmens die einzelnen deutschen Territorien aller übrigen Kronländer der Monarchie weitaus an Stärke schon nach der gegenwärtigen Bezirkseinlheilung übertrifft und noch viel mehr überflügeln würde, wenn die nationale Abgrenzung der Ge richtssprengel vorgenommen worden wäre. Und gerade das allerstärkste deutsche Ländergebiet Oester reichs wurde durch die neuerlichen Sprachcnverordnungen in einen unerträglichen Ausnahmezustand versetzt! Weder die staatlichen Bedürfnisse, noch die der Parteien rechtfertigen eine derartige Absicht. Es muffen somit ganz andere Gründe bestimmend wirken, und dieselben liegen auf der Hand. Es liegt nichts Anderes vor, als eine rein politische Action, die mitderBedürfnißfrage absolut nichts zu schaffen hat. Die immer ungestümer hervortrctcnden staatsrechtlichen Bestrebungen der Tschechen sollen in einer der wichtigsten Fragen eine ausgiebige Befriedigungerfahren. Milder Forderung der Zweisprachigkeit aller landcSfürstlichen Beamten in ganz Böhmen wird dem tschechischen Staatsrecht das weiteste Thor eröffnet. Was noch fehlt zum weiteren Aus bau des böhmischen bezw. tschechischen Staates, daS wollen die auf eine Zeit lang befriedigten tschechischen Politiker mit Beruhigung der weiteren Entwickelung der Dinge überlassen. Kann man das Staatsrecht nicht mit einem Schlage er reichen, so hofft man es stückweise zu erlangen. Die Sprachen verordnungen bedeuten aber nicht blos die Einsetzung des tschechischen Staates, sondern auch in weiterer Folge die Tschechisirung des deutschen Sprachgebietes." FeurHeton. Reisegeld. Von Heinrich Lee (Berlin). NaLtruck verboten. Es giebt noch immer Leute, die da glauben, man müsse, um auf Reisen zu geben, in gewissem Sinne Capitalist sein Solchen Leuten gegenüber fübre ich als Beweis für die Hin fälligkeit ihres Glaubens meine eigene Person inS Treffen. Ich bin ein deutscher Schriftsteller und macke dennoch in jedem Jahre meine Reisen. Ich beschränke mich allerdings mit Vorliebe auf deutsche Erde, das ist Geschmackssache, ich habe aber bei allen gelegentlichen Streifereien in den Nachbar ländern herauSgesunden, baß der Kostenpunct in der civilisirten Welt so ziemlich überall derselbe ist. Ich glaube nicht, daß ich, wenn ich auf Reisen war, im Monat jemals mehr als dreihundert Mark verbraucht habe, das Fahrgeld ein- gescklossen, und ich habe meinen Leib, was Essen und Trinken betrifft, in seinen vernünftigen Freuden bisher noch nicht verkürzt. Leute der oben erwähnten Art werden für meine Reisefinanzpraktik vielleicht Tkeilnahme empfinden und für solche Leute sollen nachfolgende Zeilen hiermit geschrieben sein. Der erfahrene Mann reist, wenn eS sein Ziel und seine Zeit erlaubt, nicht im Sommer, sondern im Spätfrühling oder im Frühbcrbst. Abgesehen von der erhöhten Schönheit der Natur in diesen Jahreszeiten, der Vermeidung all' der Schrecknisse, die der Fremdenstrom auf seinem Haupte häufen würde, und dem Mangel der Gefahr, aller Orten mit einem unvorsichtigen Fußtritt kleine Kinder zu zertreten, erhält er in den noch leerstehenden Gasthöfen ein Zimmer, daS er sich aussuchen kann. Der Fall, daß der Wirth zu ihm spricht: „ES ist Alles besetzt, nur im ersten Stock ein vierfenstriger Salon mit Balcon und Cabinet ist noch frei", bleibt gänz lich ausgeschlossen. Ganz ebenso der Fall, daß, weil infolge des Andrangs der Braten auszugehen droht, auS einer sonstigen Normalportion zwei gefertigt werden, so daß der Gast, um seinen Appetit zn stillen, nicht eine, sondern zwei bezahlen muß. Das Thema „Gasthof" bleibt bei unserer Betrachtung im Vordergründe sieben. Manche Reisend« fürchten, eine Einbuße an ihrer bürgerlichen Ehre zu erleiden, wenn sie an jedem Orte nicht in den ersten geben. Ich persönlich fühle kein Bedürfniß, elektrische Lichtanlagen, Spiegelscheiben, Frisur und Frack des Oberkellner-, wenn ich ein Nachtquartier suche, niitzubezahlen. Gern lasse ich mir auch von Kutschern, Dienst männern, Führern und Commissionairen Gasthöfe empfehle». Solche Gasthöfe vermeide ich dann, denn ich hätte die Prämie, die derartige Vermittler vom Hotelier für einen Fang be kommen, mitzubezablen. Der gleicke ökonomische Fehler wäre eS, in einen ganz niedrigen Gastbof zu geben, denn der Wirth, einen solchen Gast sonst nicht gewohnt, käme in Versuchung, die seltene Gelegenheit durch eine seltene Rechnung zu feiern. Sternen in Reisehandbüchern schenke ick grundsätzlich keine Beachtung. Entweder lasse ich mir deshalb von Gastwirthen, mit denen ich zufrieden war, auch von Reisenden, die mein Vertrauen erwecken, Adressen aufgeben, oder ich gehe, wenn Zeit und Umstände es zulassen, selbst auf die Fährte, trete in einen Gasthof» der von außen einen versprechenden Eindruck auf mich macht» in die Gaststube ein, trinke ein Glas Bier und aus dem, waS ich dabei sehe, erräth mein geübter Instinkt, ob ich einen guten Hort gefunden habe. Nothwendig dabei ist, daß man nicht erst am späten Abend, sondern schon am Vormittag inS Quartier kommt. So habe ich in den berühmtesten Bädern und sogar zur Hochsaison die ge räumigsten, hellsten und behaglichsten Zimmer schon zum Preise von einer Mark bekommen. Bei mehrtägigem Auf enthalt suche ich mir, immer mein Gepäck vorläufig auf dem Bahnhof lassend, ein Privatlogis. So fand ich zum Beispiel in Straßburg, ohne etwa dem Vermiether etwas abzu handeln, in bester Gegend ein fünffenstriges Eckzimmmer mit Balcon im ersten Stock für täglich eine Mark, und in Venedig im Juni, wo es in den Hotels und Privathäusern sonst keinen Platz mehr gab, dicht an der Riva di Schiavoni, der gesuchtesten Partie in Venedig, ein schönes zweifenstriges Zimmer für siebzig Pfennige täglich, wobei die gute Frau, die Wohnungseigenthümerin, noch glaubte, mich furchtbar übers Ohr gehauen zu haben. Richtig machte ich am Abend auf der Piazzetta noch die Bekanntschaft eines Deutschen, der mir erzählte, für ein Zimmer in einem der anstoßenden Kirchspiele gemeinschaftlich mit einem Freunde ebensoviel zu bezahlen, pro Mann also 35 Pfennige. Wer den Süden, der ja weit billiger als Deutschland, namentlich Norddeutsch land, in der Lebensweise ist, ordentlich kennt, wird sich nicht darüber wundern. In Gasthöfen zu übernachten, die auf hohen Aussichts punkten liegen und die trotz mangelhafter Bewirthung und schlechter Betten ihre hoben Preise auf der Stirne tragen, bleibt Leuten, die in leichtsinnigem Optimismus auf einen klaren Sonnenuntergang rechnen, unbenommen. Dilettanten in der Kunst, billig zu reisen, suchen, wenn sie gerade zur Mittagszeit in einem Gasthofe Absteige halten, auf Schleich wegen die Tadls ä'KSts zu fliehen. Vielleicht noch unter dem Vorwande, keinen großen Appetit zu haben, mustert er mit auf- und niederirrendem, rechts nach der Zahlen reihe blickendem Auge die Speisekarte, die er vom Kellner sich hat reichen lassen; den Wirth, der ihn mit einem Blick wie einen Todlfeind ansiebt, bemerkt der Unglückliche nicht. Er spart nur einige Nickel, ißt sich vielleicht nickt satt und rechnet sich während des Mahles reuevoll auS, daß, wenn er noch Compot bestellen würde, wonach er eine starke Neigung verspürt, die Zeche dasselbe auSmachen würde, wie ein Eouvert an der verscherzten inhaltsvollen Pablo ck'köts. Sie hätte seinem Magen ein Fundament gegeben, und zur Abendmahlzeit, weil der Culturmensch laut wissen schaftlichen Feststellungen ohnehin schon zuviel ißt, hätte ein geheimer Gang zum Bäcker und zum Fleischer dann genügt, Fleischer und Bäcker sind meine Freunde, und gern packe ich an einem goldnen Wandermorgen auf kurzer Rast im Grase liegend unter BaumeSschatten, während nicht weit der wafferspendende Quell rauscht, ihre guten Gaben vor mir auS. Nicht zu vrrgessen bei dem Gasthosthema wäre noch der alle gute Rath, fall- man mehrere Tage verweilt, die Rechnung nicht anwachsen zu lassen, sondern sie immer täglich zu bezahlen, erstens um den Oberkellnern keinen Anlaß zu den bekannten Ärrthümern zu geben, zweitens um betreffs der Preise beizeiten sich gegen Ueberraschungen zu feien. Daß glückliche Besitzer von Hundertmarkscheinen und selbst von Doppelkronen vor Wirth und Kellnern an ihrem Gute sich nicht weiden sollen, weil es die Begehrlichkeit erweckt, sagt fick der Verständige selbst. Für Inhaber von Tausendmarkscheinen — nack einer Sage, die mir zu Obren kam, soll es auch solche geben — sind meine Vorschläge ja nicht berechnet. Reist man ins Ausland und braucht zweierlei Geld, so thut man gut daran, die fremde Münzsorte sich bereits bei einem Bankier im deutschen Vaterlands zu verschaffen. Im AuSiande, wo man den Fremden merkt, hat man sonst mehr dafür zu zahlen. Zwar sind an manchen Grenzstationen auch die Eisenbahnbilletverkäufer zum Wechseln verpflichtet und der Tagescours stehl am Sckalterfenster angeheslet; ich habe aber, namentlich auf den italienischen Bahnen, Exemplare solcher Beamten gefunden, die im Rechnen an Mangel haftigkeit keinem Oberkellner nachstanben. Wer erst im AuSlande wechselt, tbut das gewöhnlich nach der Anschauung jenes Mannes, der seinem Hunde den Schwanz abschneiven wollte und, um dem armen Thiere nicht zu wehe zu thun, ihm jeden Tag nur ein Stückchen davon abschnilt; nämlich um sich von seinem schönen deutschen Gelbe nicht auf ein mal zu trennen, wechselt er eS womöglich Zwanzigmarkstück weise um. Natürlich nimmt der Bankier bei so gering fügigen Summen mehr Aufgeld als verställnißmaßig bei größeren. Ueberbaupt wird der Neuling im Auslande gut daran tbun, wenn er Geld sparen will, seine Fremdschaft möglichst wenig auffällig zu machen. Das beste Mittel wird natürlich immer bleiben, daß man die Landessprache kennt und sich schleunigst mit den herrschenden Bräuchen bekannt macht. Schon einige schnell gelernte Worte und Redensarten thun in dieser Hinsicht Gutes. In der sonst zrößtentheils soliden Schweiz wird die Ansicht, daß der Ausländer doppelt zu zahlen habe, sogar amtlich bekräftigt. Am Eingänge zu der bekannten eisernen Aussicht-platte über dem Rdeinfall steht nach meiner Erinnerung ein Vermerk, daß der Schweizer 50 Centimes, der Fremde aber einen Franken als Eintritts geld zu bezahlen habe. Der Sang deS Heerrufers auS Lohengrin tönt mir dabei ins Ohr: „Der Edle büß' es mit der Hand, mit seinem Kopf büß' es der Knecht!" Wenn die Bürger auS dem Canton Schaffhausen nach Berlin kommen, so vergißt der Berliner Magistrat hoffentlich nicht, anläßlich einer von ihnen beabsichtigten Besteigung des RatbhauSthurmes sich geziemend zu revanchiren. Was noch die italienischen Bahnen betrifft, so jgilt der Rath, sich, bevor man am Schalter ein Billet verlangt, darüber zuverlässig zu vergewissern, ob der Zug dritter Classe führt — falls man nämlich diese benutzen will, nicht nur aus Billigkeits gründen, sondern auch deshalb, um Studien unter der Be völkerung zu treiben. Mir ist es auf den italienischen Privatbabnen im Anfang mehrfach vorgekommen, daß, wenn ich rin Billet „tertiu" verlangte, der Beamte mir mit wissentlicher Unwahrheit erklärte, es gäbe keine tertia, und verdutzt ließ ich mir von dem Manne eins zweiter zuschieben ; der Aerger in dem mit langweiligen Culturgenossen voll gestopften Coups kam dann zu spät. Selbst innerhalb Deutschlands thut e- Noth, um UnnützlicheS zu vermeiden, sich mit den örtlichen Gewohnheiten baldigst zu befreunden. Als ich zum ersten Mal nach Bayern kam, trat ich in eine Wirlhschast und bestellte eine Tasse Kaffee. Die Kellnerin fragte mich, ob ich etwas „dazu" wünsche. „Meinethalben — einen Pfannkuchen", erwiderte ich. Kellnerin, Wirth, Wirthin, Gäste sahen mich befremdet an. „Einen Pfann kuchen?" wiederholte fragend und kleinlaut die Kellnerin, als mache ich einen ungeeigneten Scherz oder als seien meine geistigen Kräfte nickt in der wünschenswertsten Verfassung. „Einen Pfannkuchen! Jawohl!" entgegnete ich nunmehr gereizt. Jeder Norddeutsche versteht, was ich mit einem Pfannkuchen meinte — in Süddentschland nennt man ihn Krapfen. Endlich kam die Kellnerin mit dem Kaffee, nachdem er lange auf sich hatte warten lassen, an; hinter ihr her die Frau Wirthin, auf einer umfangreichen Schüssel ein gelbes Riesenrad, einen Eierkuchen. Das hieß hier eben Pfannkuchen. Ick bezahlte den Betrag dafür, bat aber, das Backwerk einem armen Waisenkind zu über mitteln. Ueber ein besonderes Capitel, an Reisekosten zu sparen, nämlich daS Gepäck auf das Nothwendigste zu be schränken, habe ich mich schon früher einmal an dieser Stelle ausgelassen. Ganz tbörickt ist cs, den Wunsch nach entfernteren Reisezielen sich nur deshalb zu versagen, weil das Fahrgeld einige Mark mehr beträgt. Es giebt Gegenden auf deutscher Erde, die durch ihre Billigkeit, abgesehen von ihren Schön heiten, die geringfügige Mcbrauslage schon innerhalb weniger Tage wieder ausgleichen, Thüringen, Oberbayern und das Ncesengebirge voran. Eine besondere Entdeckung auf diesen: Gebiete machte ich im vorigen Sommer in der Fränkischen Schweiz, einer Gegend von völlig eigenartigen, förmlich verblüffenden Reizen, die von Touristen und Sommerfrischlern allerdings noch wenig heimgesucht wird. Möge diese ehren volle Erwähnung die dortigen Gastwirthe aber in ihren bis herigen Gepflogenheiten nicht erschüttern! Zu den billigen außerdeutschen Ländern gehört noch immer in erster Reibe Tirol und seine östliche Nachbarschaft, das freilich an die Pracht Tirols nicht heranreichende Steiermark und Kärnten. Vorzügliche vollständige Pensionen in der Schweiz zum Tagespreise von fünf bis sechs Francs sind genugsam bekannt. Ein mir befreundetes Ehepaar mit Kind zahlte in Montreux für zwei Zimmer, gänzliche und ausgezeichnete Verpflegung und Bedienung zusammen täglich nicht mehr als zehn Francs. Der billige Wein im Süden, der sich häufig nicht über die deutschen Bierpreise stellt, verdient noch außerdem Beachtung. Es giebt Gegenden in Deutschland, vornehmlich hock im Norden, wo man den Gastwirthen ihre südlichen Collegen zum Muster gern empfehlen möchte. Wagt man aber, an ibncn etwas öffentlich zu bemängeln, so ist man der Lynchjustiz verfalle», wie eS dem Verfasser in einem thüringischen großen Badeort geschah, wo die Badezeitung aufgeregte Extrabeilagen gegen ihn herauSgab und diese ringsum in allen Wäldern an die Bäume schlug. Ich schließe mit dem Wunsche, daß jeder meiner Leser für dieses Jahr sein Reisegeld zusammen haben möge, und ist eS nickt viel, sondern nur wenig, so wünsche ich ihm noch oben drein, daß, wenn er auf Reisen geht, sein Herz und Sina nicht schwerer wiegen möge als sein Beutel.
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