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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970708014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-08
- Monat1897-07
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Die Morgen-AuSgcibe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedartion und Lrve-ition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend- 7 Uhr. Filialen: klto Alemm'S Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 8 (Paulinum), Lonis Lösche. Kathannenstc. ^4, part. und Lönsti-Platz 7- BezrrgS-PreiS fn der Hauptexpedition oder den km Ttadt- bezirk und den Bororten errichteten Aus» gavrstellrn abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« hau« ./e 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Dircctr tägliche Kreuzbandirndung in« Au-land: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. MpMer TaMalt Anzeiger. LltttlsbkaU des Königlichen Land- nnd Ämlsgerichles Leipzig, -es Rathes und Volizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. NnzeigenPrelß d!e 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. 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Ztg." einen beachtenSwertben Artikel, in dem zu nächst darauf hingewiesen wird, daß die bis jetzt angeordnete Personalveränderung in der preußischen und der deutschen Regierung nur Wasser auf die demokratischen Mühlen ge schöpft und dem Centrum eine stille Freude über das Scheitern der Hoffnungen auf die Herstellung eines einheitlichen Regi ments bereitet hat. Dann heißt eS weiter: „So lange im politischen Leben die Frage, wann man eine politische Action unternimmt, genau so wichtig ist, wie die, welchen Zielen diese Action gilt, kann zumal ein monarchisch geleiteter Staat eine- leitenden Ministers nicht entbehren; besonders in Deutschland bedarf es an der Spitze der inneren Verwaltung eines politischen Kopfes. Der Ressorteifer deutscher hoher StaatSfunctionaire ist gewiß ein hoher Ruhmestitel pflichttreuer Beamtenschaft, und andere Völker mögen uns um dieses hohe Gut mit Recht beneiden. Allein die Kehrseite darf auch nicht vergessen werben: derselbe rühmenSwerthe Ressorteifer ist häufig die Ursache gewesen und wird sie immer wieder sein, welche ein eigentliches politisches Fortschreiten hemmt. Die Nichtigkeit und Zweckmäßigkeit einer geplanten Reform bietet an und für sich noch keine Gewähr, daß sie auch realisirbar ist. Soll sie zur Wirklichkeit werden, so müssen außerdem Zeit, Umstände, Stimmungen sorgfältig beachtet werden; mit einem Wort: der politische Tact bedeutet hier das Beste. Die Geschichte weist eine Reihe Beispiele auf, in denen ein aus Fachcapacitälen ersten Ranges zusammengesetztes Ministercollegium kläglich gescheitert ist, weil ihm das politische leitende Haupt fehlte, welches die Möglichkeit der geplanten Reformen, das Nacheinander der Actionen mit kühlem Sinn erwog und angab. Ist schon in parlamentarisch regierten Staaten der Mangel eines solchen leitenden politischen Kopfes unerträglich, so führt er in einer ernstlichen Monarchie schließlich nothwendigerweise zu einer Minderung des althergebrachten obersten Be stimmungsrechts des Regenten. Ein moderner Herrscher ist in unseren Tagen so vielfach in Anspruch genommen, er hat so vielen Dingen und Personen sein Interesse zu zuwenden, daß eine persönliche Betätigung seiner Re gierungsgewalt in den Einzelheiten der Politik und Verwaltung mit praktischem Nutzen nickt mehr erfolgen kann. Der moderne Staat ist eine viel zu com- plicirte Maschine geworden, als daß man den Meister mit einer Beschäftigung am Detail behelligen dürfte. Was er verlangen kann und mas man von ihm verlangen muß, ist der Ueberblick über das Ganze. Verliert sich die Thäligkeit des Herrschers in die Einzelheiten, so zersplittert seine Kraft, und sein Einfluß auf das Ganze wird nothwendigerweise geringer. Ja die Dinge können sich dann recht wohl in einer seinem eigentlichsten Sinne gerade entgegengesetzten Weise ent wickeln. Die deutsche, speciell die preußische Geschichte bieten in einer noch nicht zu fernen Vergangenheit hierfür so deut liche Beispiele, daß wir darauf verzichten können, sie für die Gegenwart namhaft zu machen. In der Monarchie entgeht der Herrscher regelmäßig diesen unvermeidlichen Gefahren, sich und seinem Volke zum Heile, wenn er äußerlich eine Selbstbeschränkung sich auf erlegt, die in Wahrheit keine ist. Ober wäre es wirklich eine Selbstbeschränkung für den Monarchen, wenn er dem Mann seines vollen Vertrauens freie Bahn schafft, ihm die Summe der Geschäfte in die Hände legt und unter Verzicht auf daS Detail nur strenge Rechenschaft über die Gesammtleitung der Staatsgeschäfte verlangt? Die persönliche Entfernung von diesen erleichtert dem Monarchen die ruhige Beobachtung deS Erfolges oder Mißerfolges seines Vertrauensmannes. Wer auf der Commandobrücke steht, kann unmöglich zu gleicher Zeit Steuermann sein wollen. Den Curs bestimmt der Commandant, steuern muß ihn ein Anderer! Ist übrigens dieses neuerdings so beliebt gewordene Bild geeignet, die Stellung deutscher Fürsten zu ihren Unterthanen, des Kaisers zur Nation, in daS richtige Licht zu stellen? Mit Nichten. Seit den ältesten Tagen germanischer Freiheit haben deutsche Männer unbedingten Gehorsam ihren Herzogen immer nur vor dem ausländischen Feinde gelobt und gehalten. Im Innern aber glaubten sie, vertrage sich freieste Meinungsäuße rung deS tüchtigen Mannes sehr Wohl mit der treu verehrten fürstlichen Gewalt. Herrschen heißt nach dem Wortsinn der deutschenSvrache nicht Commandiren. Alle großen deutschen Fürsten baden deshalb geherrscht, weil ihnen die Herzen, das Empfinden, die Gedanken des Volks zu eigen geworden waren. Keinem mehr als Wilhelm I.! Das wäre kein deutsches fürst liches Gemüth, in dem nicht der Wunsch lebendig lebte, in diesem Sinne Herzensherrscher zu werden. Allein wie könnte man dies Ziel erreiche», ohne vertrauensvoll und ausvauernd tüchtige Männer frei sich bethätigen zu lassen? Der Premier minister, den das parlamentarische England so nothwendig braucht, ist für das monarckische Deutschland noch viel unent behrlicher; denn eben er ermöglicht, ohne den ruhigen Gang der politischen Entwicklung stoßweise zu alteriren, eine dauernde und gerade darum wirkungsvolle Bethätigung des Fürsten selbst. Wer auf den Höhen der Menschheit steht, ist immer ver einsamt; wenn ihm die strenge Gottheit klare Augen verliehen hat, so werden ihm aus dem Gedränge unter ihm immer wieder versönlicherEgoismus,Herrschsucht undEkrgeiz mit ihren häßlichen Zügen entgegengrinsen. Aus diesem servilen Haufen die wirklichen Männer herauszugreifen, ist die höchste, ist die königliche Kunst. Wer das will, muß zunächst in sich selbst die Resignation üben, Andere walten zu lasse». Soldatische Tugend ist der blinde Gehorsam, politische Treue bekundet sich nicht selten im Widerspruch. Eine das beachtende Resignation erwirbt dann aber auch dem Monarchen jenes Recht, das nicht mit ihm geboren ist, sondern verdient sein will, das Recht auf die hingebende Unterstützung von Männern, die nicht sich und ihren oder der Ihrigen Vortheil im Auge haben, die dem Könige nicht als Person, sondern als dem Repräsentanten des Vaterlandes dienen! Was der Kaiser und das deutsche Volk braucht, sind Männer solcher Gesinnung; denn ihnen allein kann und wird gelingen, mit Erfolg gegen den Sturm von links anzukämpfen!" Diese Ausführung, der wir in allen Puncten beipflichten, bezieht sich, wie man siebt, hauptsächlich auf Preußen als Einzelstaat. Preußen ist aber nicht nur ein solcher, son dern auch die Vormacht in Deutschland, deren König die deutsche Kaiserkrone trägt. Als Kaiser ist ihm durch die Neichsverfassung ein weit geringerer Einfluß auf die Reichs gesetzgebung eingeräumt, als ihm die preußische Verfassung auf die Gesetzgebung in Preußen zuspricht. Die gesetzgebenden Factoren im Reiche sind der Bundesrath und der Reichstag, gegen deren gemeinsame Beschlüsse dem Kaiser nicht einmal ein Vetorecht zusteht. Seine Einwirkung auf die Reichsgesetz gebung reicht — von einigen Bestimmungen über Verände rungen im Militairwesen rc. abgesehen — nicht weiter, als die preußischen Stimmen im Bundesrath und die preußischen Gesandten an den Höfen der übrigen Staaten sich Geltung zu schaffen vermögen. Diese Einwirkung ist nicht gering zu veranschlagen, und in der Thal sind die Fälle selten, in denen Preußen im Bundesrath überstimmt worden ist. Aber cs giebt solche Fälle, und sie müssen sich um so mehr häufen, je mehr Preußens König seine persönliche Regierungs gewalt bethätigt. Ist schon der preußische Staat eine viel zu complicirte Maschine geworden, als daß man den Meister mit einer Beschäftigung am Detail behelligen drirste, so gilt dies in noch viel höherem Maße vom Reiche. Ist schon der preußische Monarch in seinem Staate zu vielfach in Anspruch genommen und hat er zu vielen Dingen und Personen sein Interesse zuzuwenden, um mit praklijchem Nutzen in die Details der Politik und Verwaltung .eingreisen zu können, so ist es noch viel weniger möglich, daß er stets die Verhältnisse und Bedürfnisse im ganzen Reiche so völlig zu übersehen vermöchte, um Preußens Politik zu einer vor bildlichen für das ganze Reich macken und preußische An träge beim Bundesrathe vor Ueberstimmung zu sickern ver möchte. Um das Letztere zu verhüten, sind bisher stets, von zwei kurzen Abweichungen abgesehen, die Aemler des preußischen Ministerpräsidenten und des Reichskanzlers vereinigt gewesen. Jene beiden Abweichungen, bei denen der Reichskanzler nicht zugleich preußischer Ministerpräsident war, haben gezeigt, Laß Preußens Vormachtstellung im Reiche leidet, wenn dem Kanzler ein maßgebender Einfluß in Preußen fehlt. Schon hieraus ergiebt sich, daß nur zum Nachtheist Preußens dem ersten Beamten des Reiches eine leitende Stellung in Preußen entzogen werden kann. Dann überwiegen nur zu leicht die Interessen und Anschauungen der übrigen Staaten, und sie werden um so sicherer überwiegen, je mehr in Preußen ein specifisch preußischer Eigenwille dominirt, in den übrigen Staaten die Fürsten dagegen ihre eigenen Wünsche den Be dürfnissen des Reiches anbequemen. Der preußische Minister präsident, der zugleich Reichskanzler ist, muß als solcher der Vertrauensmann auch aller nichtpreußischen Bundesfürsten sein oder werden, wie es Fürst Bismarck trotz 1866 geworden war. Sie, die durch ihren Eintritt in das Bundesverhältniß so viel von ihren alten Rechten dahingegeben haben, müssen wissen, daß der verantwortliche Reichskanzler als preußischer Minister präsident im Stande ist, die preußische Politik in den Bahnen zu halten, auf denen das Wohl des ganzen Reiches und aller seiner Glieder zu erreichen ist. Ein preußischer „Handlanger" — dieses leider nun einmal bei uns eingebürgerte Wort läßt sich nicht mehr vermeiden — kann nie der Vertrauensmann der nichtpreußischen Fürsten werden, wie eö Fürst Bismarck trotz sesties überschauenden Geistes und trotz seiner unsterb lichen Verdienste nie geworden wäre, wenn nicht Kaiser Wilhelm I. ihm den Platz am preußischen Throne eingeräumt hätte, der es dem besten Preußen und besten Deutschen er möglichte, eine preußische Politik zu treiben, die zu gleich die beste Reichspolitik war. Ist aber der preußische Ministerpräsident und Reichskanzler nicht Vertrauens mann der nichtpreußischen Bundesfürsten, weil er nicht Steuer mann in Preußen ist, so müssen an die Stelle der unausbleiblichen Differenzen, die jetzt unter den verantwortlichen Ministern mehr ober minder leicht beglichen werden, monarchische Differenzen treten. Und kommt es so weit und wandelt wohl gar einen und den anderen der nichlpreußischen Monarchen die Lust an, in seinem Staate gleich dem primu8 inten pare8 Herrscher im allen Sinne des Wortes zu sein: dann genügt auch kein wirklicher „Canossazang" zu dem Alten im Sachsen walde, um eine ernste Gefahr für das Reich zu beschwören. Alldeutscher verband und vlämischer Volksrath. Die Thatsache, daß der vlämische Volksrath gegen den Alldeutschen Verband eine Kundgebung gerichtet bat, die am 9. Juni auf dem Alldeutschen Verbandstage in Leipzig verlesen wurde, bat Gegnern des Verbandes willkommene Veranlassung gegeben, diese Gegnerschaft aufs Neue zu be kunden und sich dabei auf jene Kundgebung zu stützen. Die in dieser erhobenen Vorwürfe wurden zwar von den Refe renten über die vlämische Bewegung wie von anderen Rednern als unbegründet zurückgewiesen, aber eine volle Klar stellung war in einer Versammlung mit reichhaltiger Tages ordnung doch nicht möglich. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß eine solche Klarstellung jetzt in Form eines von dem Vorsitzenden des Verbandes au den vlämiscken Bolksrath gerichteten offenen Briefes erfolgt, den die „Alic. Bl." ver öffentlichen und der die Behauptungen der Kundgebung Punct für Puncl beleuchtet, richtigstellt und charakterisier. Der Brief, dem wir besten Erfolg wünschen, lautet: Geehrte Herren! Ihr werthes Schreiben vom 16. Mai 1897 ist uns rechtzeitig zugegangen und am 9. Juni auf dem Alldeutschen Verbandstage zur Verlesung gelangt. Der Eindruck, den es auf unsere Kreise gemacht hat, dürfte jedoch Ihren Erwartungen wenig entsprochen haben. Allseitig wurde es peinlichst empfunden, daß Sie, anstatt in dieser völkischen Frage zur Vermeidung grober Mißverständnisse zunächst mit uns Fühlung zu nehmen und unsere wirklichen An schauungen und Bestrebungen kennen zu lernen, mit einer Kund gebung hervorgetreten sind, die von völliger Unkenntniß oder Ver kennung der letzteren zeugt und nur den Französlingen und Nückgratlosen in Belgien, wie im deutschen Reiche Freude bereiten konnte. Wir müssen es daher lebhaft bedauern, daß Sie jeden Versuch, sich über die Stellung des Alldeutschen Verbandes zur vlämischen Bewegung besser zu unterrichten, unterließen, bevor Sie Ihre unbegründeten Anklagen der Oessentlichkeit übergaben. Aus diese Anklagen erwidern wir nun das Folgende: 1) Es ist durchaus unrichtig, daß der Alldeutsche Verband die Forderung aufstelle, in Belgien solle das Hochdeutsche die Sprache der Landesregierung und des höheren Unterrichts werden. Daß der Alldeutsche Verband eher gerade den entgegengesetzten Standpunct vertritt, davon konnten Sie sich aus den Verhandlungen des vom 23. bis 26. August vorigen Jahres stattgehabten niederländischen Sprach- und Literatur-Congresses zu Antwerpen, dem wohl auch Sie beigewohnt haben, mit Leichtigkeit überzeugen. Auf diesem Congreß hat der Vertreter des Alldeutschen Verbandes, Herr von Pfister-Schwaighusen, für sich den Wunsch und die Hoffnung aus gesprochen, daß in nicht allzuserner Zeit Niederdeutsch die Befehls- spräche auf der deutschen Kriegsflotte werden möge. 2) Wir sind weit davon entfernt, uns in die inneren Angelegen heiten des vlämischen Stammes irgend wie einmischen zu wollen. Insbesondere müssen wir die Art, wie Sie die Einigung der beiden Niederlande zu erreichen hoffen, Ihrem eigenen Ermessen überlassen. 3l Was dagegen die Zukunft der Beziehungen des deutschen Reiches zu Belgien und Holland betrifft, so gehen unsere Wünsche lediglich dahin, daß das deutsche Reich zu beiden Staaten — gleich viel ob sie vereint oder getrennt sein mögen — in ein Zollbündniß auf womöglich staatsrechtlicher Grundlage tritt, das ähnlich dem deutsch-österreichischen Bündniß, wie dies sein sollte, der Gemein schaftlichkeit unserer wirthschaftlichen und überseeischen Interessen entspräche, ohne die Selbstständigkeit und Unabhängig keit beider Staaten irgendwie zu beschränken. Nichts liegt uns ferner, als Ihnen hierbei mit einem fertigen Plane ent- gegen zu treten. Die Ausgestaltung dieser naturnothwendigen An näherung können wir vorab auf sich beruhen lassen; wir erblicken nur in der jetzigen lebhaften Erhebung des vlämischen Volkes einen erfreulichen Schritt zur Förderung unserer vaterländischen Hoff nungen und fühlen uns deshalb verpflichtet, jener Bewegung nicht blos unsere Autheilnahiue zu bekunden, sondern auch, wo es möglich ist, ihr durch Wort und That unsere Unterstützung zu leihen. Feurlletsn. Erinnerungen an Algier. In der letzten Zeit wieder häufiger in den Blättern auf tauchende Notizen über wachsende Unruhen in Algier, rufen mir die Erinnerung an meinen letzten Aufenthalt dort wach. DaS Feuer der Unzufriedenheit, daS jetzt, wohl in Folge der türkischen Siege in Griechenland, hier und dort Heller auf flammt, das habe ich schon vor Jahresfrist reckt deutlich durch die Asche schimmern sehen. Wer in Algier, der Kabylie oder Deu-Oasen auch, Gelegenheit gesucht und ge funden hat, daS Volk kennen zu lernen, dem kann der ver steckte Groll und der schlecht verborgene Haß auf das fran- zösiscke Regiment nicht entgangen sein. 5n wieweit und ob die Regierung ein Vorwurf treffen kann für die Unbeliebtheit, deren sie sich bei den Eingeborenen erfreut, will ich hier nickt untersuchen, gewiß ist nur, daß das französische Volk Alle- thut, was die Araber und Kabylen aufreizen unv empören muß. Bei zahlreichen Veranlassungen habe ich Gelegenheit ge habt, mich Uber französische Rohheit zu entsetzen, und ebenso oft gesehen nnd gehört, wie da» eingeborene Volk beschimpft und gekränkt wurde. Es ist wahr, die Araber behandeln die Thiere mit großer Grausamkeit, aber die Franzosen stehen ihnen darin nicht nach, der Kabyle läßt eine Wunde im Fell seines MaultbiereS nicht heilen, um daS arme Geschöpf an der wehen Stelle desto wirksamer antreiben zu können, aber ich habe französische Trainsoldaten ihre Zugthiere schlagen und mißhandeln sehen, daß meine Feder sich sträubt, eS wieder zu geben. In privaten Kreisen besteht rin Tbierschutzverein, und mitleidige Seelen, namentlich Damen aus der englischen Fremdencolonie sammeln Beiträge und Unterstützung, um etwas die Notb der Thiere ru lindern, doch waS nützt ein Tropfen ins Meer, WaS können die paar hundert Francs jährlich nützen, wenn von obenher nickt« geschieht? — Nun, und wie der Franzose daS Vieh behandelt, so behandelt er auch den Araber und Kabylen, denn der ist für ihn nicht mehr wie ein Hund. Auf die Terrasse unseres Hotels kamen täglich eingeborene Händler und boten alle möglichen Sachen zum Ver kauf, geriebene Burschen, aber drollig und friedfertig, eines I Tages kaufte ich dem Einen etwas ab in Gegenwart eines I Franzosen; ich redete den Araber mit „Sie" an, worauf der! Franzose sagte: „So ein Hund heißt „Du" (tu), Sie müssen nicht „vou8" zu ihm sagen." Der Blick, mit dem der braune Bursche ihn dafür bedachte, war nicht gerade menschenfreund lich, sondern hatte ein gut Theil von wildem Thier! — Ein anderes Mal sah ich, wie am Place de Gouvernement, dem verkehrsreichsten Punct der Stadt, ein Omnibuskutscher einem alten, gebrechlichen arabischen Bettler aus purem Uebermuth erst den Turban vom Kopf schlug und ihm dann einen Fuß tritt versetzte, der den Alten zum Fallen brachte. Der Franzose lachte unbändig über seinen köstlichen Spaß, die kleinen Biskris wichen mit funkelnden Augen zurück und ein vornehmer Araber, der vorüber ging, spie aus vor ihm, sagte aber kein Wort. Einen Beweis, wie wenig die Kabylen an Mitgefühl und Interesse gewöhnt sind, lieferte mir das folgende kleine Ereigniß: An einem recht heißen Tage sah ich den Hügel herauf ein Gespann Maul- thiere kommen, sie zogen keuchend einen schwer be ladenen Wagen. Der Weg war durch kürzlich gefallenen Regen glatt, als sei er mit Seife beschmiert, als es steiler wurde, versagten die Thiere den Dienst. Nun begann ein unbarmherziges Prügeln, aber ohne den geringsten Erfolg, die vier Kabylen, die den Wagen begleiteten, rissen und zerrten, d. b. zwei kamen gar nicht von dem Gefährt herunter, schließlich konnte ich die Quälerei nicht mehr mit anseben, nachdem ich ihnen bedeutet, sie möchten berunterkommeii und selber mal anfafsen und nachschieben» während ich dieMaul- thiere antrieb und auch daS noch nichts nützte, hieß ich sie Leute zur Hilfe holen, um die gepreßten Ballen abzuladen und hinauszutragen. Sie gehorchten alle willig und freundlich, aber noch eine Stunde darnach standen und gesticulirten sie und konnten sich nicht darüber beruhigen, daß Jemand sich ihrer angenommen, das könne doch gewiß keine Französin sein, denn denen sei es gleich, ob sie und die Thiere sich todt- quälten. Jedem, der vorbei kam, wurde die Geschickte erzählt, eö schien etwa« ganz Unerhörtes für sie zu sein. Die Kabylen dürfen nicht mit Waffen zur Stadt kommen, ein junger Bursche passirte daS Zollamt, seiner Kleidung nach war er vornehmen Stande-, zwei — Beamte traten heraus und durchsuchten auf offener Straße seine Taschen und seine Gewänder nach Waffen, er ließ eS ruhig geschehen, aber mit brennenden Wangen und zusammengebissenen Zähnen; als sie ibn los ließen, murmelte er einen Fluch und ballte die Faust. Einen noch eclatanteren Beweis für den tiefen Groll, den die braunen Söhne der Wüste gegen ihre Bezwinger haben, habe ich in der Wüste selber, in Biskra gehabt. Biskra ist eine große schöne Oase am Rande der Wüste, von dort aus habe ich zum ersten Mal einen Ausblick gehabt auf daS weite, weite öde Sandmcer der Sahara, wo »ickts mehr den Blick hemmt, der Horizont ist flach wie ein Teller, so daß man in Wahrheit auf ein Meer zu blicken meint. Man er reicht den Ort in zwei Tagereisen mit der Bahn, deren End station es ist, von Algier. Wünscht man von Biskra weiter zu reisen, so bedient man sich eines KameelS oder auch des Postfuhrwerks, welches an einigen Tagen der Woche zu be nachbarten Oasen fährt. Ein Reitkameel befördert aber schneller und bequemer, denn die Wege sind für Wagen äußerst primitiv; wenn man nicht gut Acht giebt, läuft man Gefahr, die armseligen Spuren zu verlieren. Das Paris der Wüste beißt man Biskra, das Paradies der Wüste könnte man mit gleichem oder besserem Recht noch sagen, doch eS ist hier nicht der Ort, um über die Schön heiten dieses Fleckchens Erde zu schreiben, nur ein Erlebniß, das ich in Alt-Biskra hatte, will ich noch erzählen. Ein kleines, nur von Arabern bewohntes, von Palmen umgebenes Dorf, dessen Häuser und Hütten aus Lehm gebaut sind, daS ist Alt-Biskra, etwa eine Stunde von der französischen Niederlassung Neu-BiSkra entfernt. Im Zickzack winden sick schmale Gäßchen durch den Ort, ein kleiner Bach begleitet die Straße in allen Windungen, die Seiten werden flankirt durch Lehm-Mauern und Häuser. Jedes Haus mit seinem Garten ist streng abgegrenzt und eingescklossen, kein un berufenes Auge kann hineindringen. Dorthin lenkten wir eines Morgens früh unsere Schritte — meine Freundin und Reisegefährtin und ich. Sehr bald gesellte sich ein Araber zu unS und bot sich als Führer an; er sah nicht sebr vertrauenerweckend ans, aber wir mußten uns seine Gesell schaft schon gefallen lassen, denn er sprach leidlich französisch, WaS die anderen meistens nicht tbaten. Wir bemerkten bald, daß unser finsterer Begleiter unS fortwährend von der Seite musterte und fragten nach der Ursache, worauf er sagte, ob wir nicht Furcht hätten. Furcht? nein, warum? war unsere Entgegnung; nun, meinte er, so ganz allein! Ob wir den Weg zurück finden könnten? (Wir befanden uns in einem Gewirr von Gassen.) Ja, sagte ich, obgleich es nicht der Fall war. Das glaube ich nicht, erklärte er unS. Nun setzten wir ihm auseinander, daß es keinen Zweck habe, darüber zu ratben, daß wir keine Furcht hätten, sondern ihm fest vertrauten und überzeugt seien, daß er uns gut zurückführen werde. Nichts ehrt den Araber mehr, als wenn man Vertrauen zu seiner Person bat, und er rechtfertigt dies Vertrauen fast immer, auch hier bewies sich das. Der Ausdruck seines Gesichts wurde ein anderer und ernst versicherte er: „Sie sind keine Franzosen, ich will Sie sicher führen". „Sind Sie Engländerinnen?" Nein. „Ich wußte» daß Sie nicht französisch sind", fuhr er fort, „denn Franzosen sind feige und französische Damen baben Furcht, die kommen nicht hierher ganz allein — nnd können es auch nicht", setzte er leiser hinzu. „Was sind Sie, wenn Sie nicht Engländer sind?" fragte er weiter. Deutsche — er schüttelte den Kopf, Deutsche kannte er nicht, und wir konnten es ihm nicht klar machen, da siel mir ein zu sagen, wir seien ,.pru88ien8". Ick werde nie die Wirkung dieses Wortes vergessen, wie elektrisirt fuhr er auf ,,pru88wll8, p!'U88wn8'l, beim höchsten Gott, wir wären Preußen und könnten eS wagen, nach Biskra zu kommen? Wir seien doch Feinde der Franzosen, hätten einen großen Krieg mit ihnen gehabt, hätten sie geschlagen (seine Augen blitzten) und kämen nach Biskra! Der Mann war wie ausgetauscht, ver schwunden die ernste, verschlossene Zurückhaltung, Alles Feuer an ihm und glühende Worte deS Hasses und der Racke auf seinen Lippen. Wir versuchten ihm eine andere Meinung beizubringen und sprachen lobend über die Franzosen, aber dafür hatte er nur ein verächtliches bitteres Lachen. Als wir schieden, schieden wir als Freunde, er legte mit tiefer Verneigung die Hand an Stirn und Lippen. Wir batten das Dorf kennen gelernt, wie vielleicht wenig Frauen vor unS, Männern ist daS Innere der Häuser ja überhaupt verschlossen. Er batte unS in seinen Harem geführt und uns ausführlich über Sitten und Gebräuche seines Volkes unter richtet. Ich könnte noch manches derartiges Erlebniß erzählen, doch die vorstehenden werden genügen, um zu zeigen, daß ich nicht zu schwarz gesehen habe. Frankreich weiß sehr Wohl, warum eS 70 000 Mann regulärer Soldaten in Algerien h-t. V. L.
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