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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970717014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-17
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Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzcichniß. Labrllarischer und Ziffrrnsatz . nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abrnd-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz i» Leipzig. 359. Sonnabend den 17. Juli 1897. 91. Jahrgang. Die Verstaatlichung der Neichsbank und die deutsch-conservative Partei. K Die „Kreuz-Zta." girbt offen zu, daß die Forderung der Verstaatlichung der Reichsbank zum Agitationsmittel der conservativen Partei bei den nächsten Reichstagswahlen aus ersehen sei. DaS war, soweit die „Kreuz-ZeitungS"-Leute in Betracht kommen, auch nicht zu bezweifeln. Aber die „Conservative Correspondenz" untersteht, wie oft genug verkündet worden ist, der Leitung der gesammten, der „deutsch-conservativen" Partei, nicht nur der preußischen, und eS klingt für den Unterrichteten mehr als sonderbar, wenn dieses Organ schreibt: „Hinsichtlich der Reichsbankfrage hat die conservative Partei mit ihren Wünschen niemals zurückgehalten: sie hat stets rückhaltSlo- ihr estsrum ceoseo dahin ausgesprochen, daß da- Reich vom 1. Januar 1901 ab die Reichsbank in Besitz nehmen müsse, daß also das jetzige Bankprivilegium, das nur dem Interesse einiger großkapitalistischer „AntheilSeigner" dient und die Interessen der Gesammtheit vernachlässigt, rechtzeitig zu kündigen sei." Wer ohne Kenntniß der Geschichte des Verstaatlichungs- ProjecteS dies liest, muß glauben, „die" conservative Partei wäre von Anbeginn oder doch zu der Zeit, wo es sich um die erste Erneuerung des Notenprivilegs der Reichsbank handelt, ein» einmüthig in der Beurtheilung ter Reichsbank in ihrer jetzigen Verfassung als einer „nur dem Interesse einiger großkapita listischer AntheilSeigner" dienenden und die Interessen der Gesammtheit vernachlässigenden Anstalt gewesen. Das ist jedoch keineswegs der Fall gewesen, vielmehr paßt auf die Dar» stellung der „Cons. Corr." ausgezeichnet der Ausdruck, mit dem sie die Warnungen vor dem neuesten leichtfertigen An schlag der preußischen Conservativen belegt, nämlich: „Humbug". In den kürzlich von uns erwähnten Reichstagsverhandlungen vom November und December 1889, die die Erneuerung de« Bankprivilegs zum Gegenstände hatten, zeigte sich die conser vative Partei gespalten. Eine Mehrheit derselben wollte die Ver staatlichung, eine starke Minderheit bekämpfte sie, und eS ist für uns doppelt interessant, hoffentlich auch „actuell", er wähnen zu dürfen, daß die ihren andersdenkenden Partei genossen an Sachkenntniß weit überlegenen Wortführer der Minderheit Sachsen gewesen sind, die Abgeordneten Hultzsch und Klemm, von denen Hultzsch in erster, Klemm in der zweiten und dritten Lesung unter warmer Anerkennung der gemeinnützigen Wirksamkeit der Reichsbank di« Nothwendigkeit und die principielle Erhaltung des bestehenden Zustandes gegen die Grafen Udo Stolberg und Mirbach mit größter Entschiedenheit betonten. Wir lassen diese Conser vativen selbst reden. Abg. Hultzsch (23. November 1889): „Wir erblicken gerade in der gegenwärtigen Organisation der Reichsbank, also der Verwaltung und Leitung durch das Reich direkt unter dem Reichskanzler, der Capitalbetheiligung und wirksamen Controle der Verwaltung der Bank seitens der AntheilSeigner durch die auS der Mitte der Meistbetheiligten von der Generalversamm lung gewählten Ausschüsse — Centralausschuß, Bezirksausschuß und engerer Ausschuß — eine sichere Gewähr dafür, daß die durchaus segensreiche Wirksamkeit der Reichsbank auch fernerhin im Interesse des deutschen Vaterlandes erhalten werde. Den Borthrilen, welche den Antheilseignern aus dem Geschäftsbetriebe der Reichsbank zu- fließen, steht natürlich da- große Risiko gegenüber, während bei der Erwerbung der Antheile durch da- Reich nicht nur der größere Nutzen, sondern auch die vermehrte Gefahr auf da« Reich allein übergehen würde." Hultzsch machte sodann das Interesse der Privatnoten banken, daS ja in der That auch rin starkes sächsische« ist, geltend r „In der gegenwärtigen Organisation erblicken wir auch eine größere Gewähr für die Forterhaltung der deutschen Privatnoten banken, welche im wohlverstandenen Interesse des Handels und der Industrie erhalten werden möchten .... Was für mich und meine Freunde hauptsächlich bestimmend ist, das ist das natur- gemäß hervortretende Bestreben der Privatnotenbanken, innerhalb ihres Bezirk« diejenigen Lücken auszufüllen und der Creditgewährung auch in denjenigen kleinen und feinen Canälen nachzugehen, welche die große Reich«bank vermöge ihrer Organisation und vermöge der bei Weitem größeren Gesichtspunkte, die ihre Verwaltung natürlich leiten müssen, eben nicht befriedigen kann." Hier ist noch nicht deutlich ausgesprochen, aber „zwischen den Zeilen" zu lesen, daß, wenn einmal die Reichs bank aufgehört habe, Privatinstitut zu sein, das Begehren, die anderen Notenbanken in die Hände der Staaten und damit indirect unter den Einfluß der in den Einzellandtagen wirksamen Agitation zu legen, einen mächtigen Ansporn er halten werde. Weil aber diese Banken mehr dem kleineren Creditbedürfniß dienen, so würde der Gedanke, ihnen ihre Praxis ohne Rücksicht auf eine normale Bankpolitik vor zuschreiben, noch ungleich populärer werden, als der Gedanke der Verstaatlichung der Reichsbant — wir haben das früher schon eingeräumt — bei Landwirthen und kleinen Gewerbe treibenden geworden ist. Um nicht auf Sachsen zu recurriren: wenn die Reichsbank verstaatlicht wäre, würde sich der bayerische Bauernbund mit aller Vehemenz auf die Betrei bung der Verwandlung der bayerischen Notenbank in eine reine Staatsbank verlegen und sich von den Sigl nnd Ratzinger mit dem Verlangen nach einer Creditwirtbschaft erfüllen lassen, die allerdings etwas sehr Verlockendes für Bauern köpfe und -Herzen hätte, aber mit dem Zusammenbruche enden müßte. Auch die Pfandbrief-Institute würden noch mehr, als sie eS jetzt schon sind, ein Gegenstand deS Verstaatlichungs- Begehrens werden, wenn die Reichsbank in eine StaatSanstalt verwandelt wäre. Der Abg. Klemm hat gegenüber dem Projekte eines TheileS seiner Parteigenossen der Sorge um die Privatnoten banken Ausdruck gegeben (Sitzung vom 2. December 1889), dann aber die Leicktberzigkeit gegeißelt, mit der die nur agrarischen Conservativen sich in das Verstaatlichungs- Abenteuer zu stürzen entschlossen waren. Er sprach aus, daß die Reorganisation der Bank, welche eintreten müsse, wenn die Bankantheilhaber verschwänden, ein außerordentlich schwieriges gesetzgeberisches Werk sein würde: „Die Herren (dir Urheber des Antrags Graf Stolberg auf Verstaatlichung) stellen sich die Sache allerdings etwas leicht vor, sie sagen: es bleibt im Uebrigen Alles beim Alten, nur die Antheil- inhaber scheiden aus. Die Organisation im Uebrigen soll bleiben. Was ist denn diese „Organisation im Uebrigen", die dann bleiben soll? ES sollen die Notenbanken aufrecht erhalten bleiben. Aber was heißt denn „aufrecht erhalten bleiben", unter welchen Voraus setzungen und unter welchen Bedingungen? ES soll ein Beirath eintreten statt der Ausschüsse der Anteilbesitzer. Aber mit welchen Befugnissen denn? Wenn Sie die Güte haben wollen, den Blau stift in die Hand zu nehmen, und sich die Stellen anstreichen, von denen man sagen könnte, sie fallen auch aus dem Gesetz heraus, wenn die Antheilinhaber auSscheiden, — ja, waS bleibt dann? Glauben Sie denn — ich habe das versucht — daß Sie ein zusammen hängendes klares, faßliches Gesetz, organische- Gesetz haben? Sie haben einen ganz elenden, traurigen Torso." So wenig wie 1889 die Grafen Udo Stolberg und Mirbach, so wenig laßt sich heute die „Cons. Corr." graue Haare wachsen um das, was nach kommt. Für sie handelt es sich „einfach um eine finanzielle Frage". Das Institut „heißt Reichsbank, das deutsche Reich deckt es mit seinem Namen und Ansehen; es ist also wirklich nicht zu viel verlangt, wenn man fordert, daß die Reichsbank tatsächlich zum Reichs institute erhoben werde und ihre Ueberschüsse an die NeichS- bank abliefere". Allerdings sehr „einfach". Nur sollte man meinen, daß den Herren von Ploetz und Graf Limburg- Stirum — diese sprechen ja aus der „Cons. Corr." m diesem Augenblick — angesichts der Ernte und der drohenden Getreideabsatz-Schwierigkeiten Gedanken über die „Einfach heit" agrarischer Cavaliereinfälle gekommen sein könnten. Wem das Herz eines Ollivier nicht geschenkt ist, der würde gerade, weil daS Reich die Reichsbank „mit seinem Namen und Ansehen deckt", den von den Abgeordneten Hultzsch und Klemm geäußerten Bedenken nachzugeben sich gedrängt fühlen. Freilich diese Männer redeten 1889, heute schreiben wir 1897 und leben im fünften Jahre der von Tivoli datirten neuen conservativen Zeitrechnung. Klemm schloß damals, nach dem er auf die Beunruhigung unsere- Wirtschaftslebens hingedeutet: „Wir wissen es Alle, man ist von gar vielen Seiten bemüht, Lichter auszublasen undFeuer anzublasen. In derartigen Zeiten sollte man jedes Moment, welches geeignet sein könnte, dieser Strömung irgend einen Zufluß zuzusühren, die Spannung, die Beunruhigung zu steigern, sorgfältig vermeiden. Mir ist der Antrag (Stolberg) um deswillen nicht annehmbar. Mir ist das Gebiet, auf welches er uns leitet, zu nebelhaft, und ich gehe durch diesen Nebel auf einen großen Berg von faktischen und gesetz geberischen Schwierigkeiten, und hinter diesem Berg wohnen auch noch Leute." Lichter auSblasen und Feuer anblasen! Wenn Klemm noch deutschconservativer Abgeordneter sein würde, wäre ihm daS Schicksal Helldorff-Bedra'S gewiß. Deutsches Reich. * Leipzig, 16. Juli. An der Kundgebung der ordentlichen Professoren der 21 deutschen Uni versitäten haben sich, wie wir gestern mittheilten, bisher 816 Ordinarien betheiligt. An den deutschen Universitäten le,>-eu zur Zeit rund 1100 ordentliche Professoren, somit ist die Sympathiekundgebung für die Prager Universität und die Sache der Deutschen in Oesterreich der Ausdruck der Ge sinnung der weit überwiegenden Mehrheit (»/«) der berufenen Vertreter der Wissenschaft. Eine derartige Einhelligkeit in einer öffentlichen Angelegenheit ist bisher in den Annalen der deutschen Universitäten nicht zu verzeichnen gewesen, selbst gegenüber dem Zedlitz'schen Schulgesetz nicht. * Berlin, 16. Juli. Den nachbenannten Angehörigen der Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika wurden .olgende Auszeichnungen verliehen: Der Rothe Adler-Orden vierter Classe mit Schwertern: dem Hauptmann von Perbandt und dem Seconde-Lientenant EggerS; der Kronen-Orden dritter Classe mit Schwertern: dem Major L la suito der Armee, kaiserlichen Landesbauptmann Leutwein; der Kronen-Orden vierter Classe mit Schwertern: dem Premier- Lieutenant der Reserve stellvertretenden Landeshauptmann von Lindequist, dem Premier-Lieutenant der Reserve interimi stischen Bezirk-Hauptmann von Burgsdorff, dem Premier- Lieutenant der Landwehr a. D. Kriegsfreiwilligen Her mann und dem Seconde-Lieutenant a. D. Kriegsfreiwilligen von Ziethen; das Militair - Ehrenzeichen erster Classe: dem Vice - Feldwebel Froede, dem Sergeanten Polett und den Unterosficieren Maczkewitz und S tessen; sowie daS Militair- Ehrenzeichen zweiter Classe: den Wachtmeistern Urban und Stell brink, dem Bice - Wachimeister Kunde, den Sergeanten Koczy, Gutmann, Deubel, Arnold Schmidt, Simon, Pewestorf, Hübner, Kaschub und Stubenrauch, den Unterosficieren Modler, Gräfe, Salpeter, Ueckermann, Mewes, Wie land, Ludwig Schmidt, Köhler, Weiland, Becker und Voigtländer, dem Unterosficier der Reserve KriegSsrciwilligen Voigts, dem Unterosficier des Beurlaubtenstandcs Kriegsfrei willigen Hell berg, dem Obcr-Lazarethgehilfen Czapla, den Ge freiten Wiedorn, Tausenfreund, Diißler, Bochert, Kühnel und Peters, sowie den Reitern Hartmann, Hagen stehn, Kietzmann, Praß, Halberstadt, Honscha und Lehmann. * Berlin, 16. Juli. Zur selben Zeit, in welcher der nationalliberale Abgeordnete Schoof in Sachen der Vereins gesetznovelle von seiner Partei sich trennt und an die Seite seines Freundes vr. Hahn rückt, werden in den Kreisen des Bundes der Landwirthe, dessen Direclor Herr vr. Hahn bekanntlich ist, die früheren Bedenken gegen die Novelle wieder lebendig. Die „Deutsche Tagesztg." macht mehrere dieser Bedenken namhaft; sie fürchtet, daß das Gesetz nicht nur gegen den Umsturz der monarchischen Verfassung und der Wirthschaftsordnung, sondern auch gegen die be rechtigten und nothwendigen Bestrebungen der Arbeiter zur Besserung ihrer Lage angewendet werden könnte. Dieses Be denken sei durch die Erklärungen des Herrn v. d. Recke wesentlich abgeschwächt, wenn auch nicht völlig beseitigt worden. Dagegen bestehe ein anderes Bedenken unverändert fort: „Wenn ein Socialisiengesetz nothwendig ist, so ist es — das be darf wohl keines besonderen Beweises — nicht nur für Preußen, sondern für das ganze Reich zu erlassen. Wird es nur für Preußen erlassen, so kann es die erhoffte Wirkung, wenn überhaupt, nur zum Theil äußern." DaS Blatt fürchtet, daß das Gesetz, wenn es zur An nahme käme, die erhoffte Wirkung nicht haben werde. Zu einem entschiedenen Widerstand mögen sich die Bündler aber dock wohl nicht entschließen, um es nicht mit den Conservativen völlig zu verderben; es müßte denn sein, daß dieAnti- semiten ihre Unterstützung bündlerischer Candidaten von einer Erklärung derselben gegen die Tendenzen der Novelle abhängig machten. (-) Berlin, 16. Juli. (Telegramm.) Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" meldet: Geheimrath Koch ist gestern in Dar-es-Salaam eingetroffen. L. Berlin, 16. Juli. (Privattelegramm.) Graf Ernst zur Lippc-Btcsterfel- wird morgen Mittag mit seiner Familie Berlin verlassen und sich im Sonderzuge nach Schieder begeben. Dort findet an der Landesgrenze festlicher Empfang statt, und es erfolgt von hier aus die Weitersahrt und der feierliche Einzug in Detmold. Abends ist Tafel im Familienkreise, Sonntag Gottesdienst; Empfang der Abord nungen, Tafel mit den Spitzen der Behörden; Montag größere Tafel. — Der außerordentliche chinesische Botschafter Prinz Chan macht heute einen Abstecher nach Stettin, um die Schiffsbauwerft des „Vulkan" einer Besichtigung zu unterziehen. — Der Kaiser wird, wie schon kurz erwähnt, auf seiner Reise nach St. Petersburg von beiden Divisionen des FerriHetsn. Literatur und Kunst in ihrem Zusammen hänge mit dem Leben. Von Aug. Wünsche. N-Nbdruck verboten. Mit dem Leben stehen Literatur und Kunst in innigem Zusammenhänge und sind für dasselbe von der größten Be deutung. Wie arm wäre unser Leben, wenn eS Literatur und Kunst entbehren müßte! Wir wollen keineswegs die Genüsse deS Lebens, wie sie Beruf, treue Pflichterfüllung, Familie, Freundschaft u. s. w. in reichem Maße darbieten, unterschätzen, daS aber ist sicher, daß Literatur und Kunst un» neben der Religion über unzählige kleine Alltäglichkeiten, über Aerger, Verdruß, Kummer, Leid und Schmerz wesentlich mit hinweghelfen. Die Literatur führt uns in da- Reich der menschlichen Denkarbeit hinein, in das Suchen und Forschen der Wahrheit. Bald sind eS die großen Ereignisse und Vor gänge im Bölkerleben, bald die Erscheinungen nnd Processe im Naturleben, bald die Fragen deS socialen Leben«, über die die Literatur Licht zu verbreiten sucht. Sie arbeitet an der Ergründung alle« dessen, waS dunkel, verborgen und unverständlich ist, und bemüht sich, die uns umgebenden Räthsel zu lösen. Geradezu großartig und erstaunlich sind die Forschungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaft. Auf allen Gebieten de« organischen und unorganischen Lebens verzeichnet die natur wissenschaftliche Literatur Entdeckungen und Erfindungen, die aus unser modernes Verkehr«- und Gesellschaftsleben mächtig umgestaltend gewirkt baden und noch immer fortwirken. Die naturwissenschaftliche Literatur ist in unseren Tagen geradezu führend geworden und viele andere Literaturzweige, leider auch da« Interesse für die Kunst, sind in den Hintergrund ge drängt worden. Mit den Leistungen der Naturwissenschaft aber ringen sodann die Leistungen der Geschickt«- und Sprachwissenschaft um die Palme. Der GeschicktSforscher betracktet nicht bloS die politischen Tbaten al« solche und sucht sie in ihrem wirk lichen Vollzüge darzustellen, soudern er spürt auck den ihnen zu Grunde liegenden Ursachen und Motiven nach, er sucht die Triebfedern der einzelnen welthistorischen Handlungen zu erkennen, wie der GrschichtSphilosoph wieder da- den historischen Processen Gemeinsame und Unterscheidende ins Auge faßt. Wie ganz ander« sehen wir heute die meisten großen völkergeschichtlichen Bewegungen und Umwälzungen deS Alter- thums und Mittelalters an, als es noch zu Anfänge unseres Jahrhunderts der Fall war. Selbst jüngere Ereignisse, wie die französische Revolution und die in den Staaten Deutschlands vollzogenen Umgestaltungen betrachten wir heute von einem höheren Standorte aus, als eS früher der Fall war. Fast unzählig sind die Fabeln, Anekdoten und Märchen, von denen uns die neuere kritische Geschichtswissenschaft be freit hat. Dabei ist freilich nicht zu leugnen, daß vielen Thatsachen durch die Forschung der poetische Zauber be nommen, daß ihnen der fesselnde Reiz und Schmelz abgestreift worden ist, aber was fragt die kritische Geschichtsbetrachtung darnach, sie will die Wahrheit, den reinen, ungeschminkten und unverfälschten Tbatbestand der Vorgänge. Und die Sprachwissenschaft, welche Aufschlüsse haben wir nicht ihr zu danken! In dunkle Zeiten, wohin der Forscher blick deS Historikers nicht zu dringen vermag, weil ihm keine Archive, keine Handschriften, keine Inschriften, keine Münzen und Wappen, keine Denkmäler der Baukunst und auch keine mündliche Ueberlieferung zu Gebote stehen, da ist sie mittels der Etymologie oder Wortforschung vorgedrungen und hat un« wichtige Enthüllungen über den Zusammenhang und die Verwandtschaft der Völker, über ihre Sitten und Gebrauche, über ihr religiöses und kommerzielles Leben ge geben. ES ist^ür den Sprachforscher keine allzuschwere Auf gabe, auS der Sprache eine« Volke« seine wichtigsten Cultur- Verhältnisse zu ergründen, worin seine Beschäftigung und sein Verkehr, seine Nahrung und Kleidung bestanden, wie e« ge lebt und geliebt, wie eS getrauert und gebetet hat, kurz sein grsammte« leibliche- und geistiges Leben zu ergründen. Wie die Spectralanalyse un« den stofflichen Zusammenhang de« ganzen KoSmoS erschlossen, so daß wir beute wissen, daß unsere Erde au« denselben Elementen besteht, wie der un« Licht uud Wärme spendende Sonnenball, nur in anderen Agaregatzuständen, so zeigt un« die Sprachwissenschaft den Zusammenhang der einzelnen Sprachen, mögen sie zu den lebenden oder längst abgestorbenen gehören. Unser ursprüng liches deutsche- Sprackgnt ist im Großen nnd Ganzen das selbe wie da- der Römer, Griechen, Perser und Inder und da« der heutigen Finnländer dasselbe wie daS der Ungarn, Türken und Tartaren. Die philosophischen Denker wieder bilden sich ihre eigene Gott- und Weltanschauung, indem sie alle Substanzen und Erscheinungsformen des Lebens in Kategorien bringen. Das ganze Sein mit seinen Attributen und Modalitäten geht durch ihren Denkproceß hindurch und wird in mannigfache Sphären geschieden, in besondere Gebiete. Auch den Philo sophen treibt nichts anderes bei der Lösung des Welt- und LebenSräthselS als in erster Linie der Drang nach der Wahrheit. Und schließlich die scköne Literatur, die Dichtkunst, auch sie steht in innigem Zusammenhänge mit dem Leben und gewinnt Bedeutung für dasselbe. Sie zeigt uns die in ihr niedergelegten Ur- und Musterbilder, lehrt uns, was aus der Vergangenheit in der Gegenwart noch lebenskräftig ist und was wieder erweckt zu werden verdient, WaS ferner als Keim für die nächste Zukunft sich regt. Die Dichter der heutigen naturalistischen Schule haben eine neue Bahn be treten, nach unserm Dafürhalten befinden sie sich auf Ab wegen, aber die Zeit wird sicher Klärung bringen, das Wüste, Rohe und Obscöne wird schwinden und eS wird sich ein gesunder Naturalismus herauSbilden, der, wenn auch immer etwas Einseitiges, doch sicher seine Berechtigung hat. Da die schöne Literatur zum Theil aus dem Leben fließt, so wirkt sie naturgemäß auch wieder auf dasselbe zurück. Manche Dichter haben in ihren Werken sogar die Zukunft vorweg- genommen und sind zu Propheten geworden. Durch die schöne Literatur erwachsen aber auch dem Literaturforscher die anregendsten Aufgaben. 'Er prüft die Schöpfungen der Dichtkunst auf ibren Culturinbalt bin, indem er das Religiöse, Wahre, Rechte, Gute und Schöne darin herauS- bebt, oder er vergleicht einzelne Gebilde miteinander, zeigt ihre Verwandtschaft auf und führt sie auf eine gemeinsame Quelle zurück. So ist denn die Literatur, sofern sie das ganze Schrift- thnm in sich besaßt, nicht ein todter Buchstabenschatz, sondern eine Quelle des Lebens, die immer wieder neues Leben schafft, indem sie unser Wissen bereichert, unser Urtheil klärt und schärst und an uns die Aufforderung richtet, die erforschte Wahrheit im Leben zu verwerthen und zur Geltung zu bringen. Die Literatur eines Volkes ist mit ein Gradmesser seiner Cultur; je hervorragender sie ist, desto höher steht ein Volt in der Bildung. Während die Literatur sich somit vorzugsweise an die Denkkraft des Menschen wendet und seinen Scharf- und Tiefsinn anregt und befriedigt, führt uns dagegen die Kunst zunächst in da« Reich der schaffenden Phantasie, in daS Bilden und Gestalten. E« ist da« Individuelle, vollständig bestimmte und allseitig Begrenzte, das Charakteristische und Lebendige und zwar nach den drei Gebieten deS Geistigen, Leiblichen und Menschlichen, daS sie zu ihrem Gegen stände hat. Mit dem Leben aber steht die Kunst insofern in lebendigem Zusammenhänge, als sie zunächst unsere ganze Innenwelt wiederspiegelt. Wir finden in ihren Gebilden unser eigenes Denken, Fühlen und Wollen wieder, eS ist unser Sinnen und Planen, unser Sehnen und Hoffen, unser Kämpfen und Wagen, unser Leiden und Dulden, unser Siegen und Erliegen, da« sie zum lebendigen Ausdrucke bringt. Die ganze Scala unserer Seelenstimmungen, unser Seufzen wie unser Froh locken, unser Bekümmertsein wie unser Wohlbefinden, ferner alle unsere Cbaraktercigenthümlichkeiten, unsere Fehler und Laster, unsere Vorzüge und Tugenden, erhalten durch sie ein sichtbares oder hörbares Gewand. Wir sind sogar der Meinung, Laß ein Werk der Kunst uns nur in dem Grade fesselt, als e« unser eigenes GemüthS- und Gefühlsleben, oder das unserer Freunde und Bekannten verkörpert. Daß die Kunst eine vortreffliche Lehrmeisterin der Zeiten und Völker ist, wird sicher Niemand bestreiten. In ibren Werken strahlt uns die gesammte Lebensrichtung der Völker entgegen; wir erblicken in ihnen ihre gesellschaftlichen Ein richtungen, ihre Gottesverehrung, ihren Verkehr. Die Kunst des AltertbumS ist ihrem Charakter nach eine andere als die des Mittelalters und der Neuzeit, die des Orients eine andere als die des OccidentS und die der Franzosen und Italiener eine andere als die der Deutschen. Auf den Menschen wirkt die Kunst unmittelbar. Der Kunst gegenüber erscheint der Mensch sozusagen macht- und willenlos; über wältigend reißt sie ihn mit sich fort, ohne daß er sich Rechen schaft geben kann, was über ihn den Sieg davongetragen hat. Den Hartherzigen stimmt sie weich, den Muthlosen beflügelt sie mit neuer Kraft, daS innerlich zerrissene Gemütb versöhnt sie und giebt eS dem Frieden wieder. Fragen wir, was eS ist, daS der Kunst eine so gewaltige Macht über den Menschen verleibt, so giebt eS keine andere Antwort als die: Es ist die Schönheit, die sie^zum lebendigen AuSdrucke bringt. So verschieden auch die Schönheit von den Aesthetikern definirt worden ist, darin stimmen Wohl alle miteinander überein, daß sie etwas Göttliches ist, ein himmlischer Funke, der dem Menschen inS Herz gelegt worden ist. Literatur und Kunst sind somit beide- Liebesgaben, durch deren Einfluß der Mensch erst die wahrhaft harmonische Bit» düng erlangt.
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