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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970724028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-24
- Monat1897-07
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Die gestrige Sitzung des Abgeordnetenhauses bat aber gezeigt, daß diese Annahme falsch war. Der Abg. Rickert brachte die Eingabe des Bunde» zur Sprache und richtete dann an den den Sitzungssaal betretenden Vice präsidenten deS Ministeriums vr. v. Miquel die Worte: „Ich freue mich, daß der Herr Vicepräsident des Ministeriums jetzt noch hereinkommt. Ich möchte ihn fragen: soll das, was der „Reichsanzeiger" über den revolutionären Antrag des Abg. Plötz und des neuen Herrn Diederich Hahn (Heiterkeit) bringt, Alles sein? Will sich die Regierung auf diese in Watte eingewickelten Worte beschränken? Ich hoffe, dah Herr Miquel noch ein kräftiges Wort gegenüber diesem Unfug reden wird." (Beifall links.) Ter Wortlaut der Antwort des Herrn vr. v. Miquel liegt noch nicht vor; der „Reichsanzeiger" wird ihn erst heute Abend veröffentlichen; vorläufig theilt er folgenden Aus zug mit: Ich habe Herrn Rickert's Rede nicht ganz gehört; er ver langte, daß die Regierung sich die heftige Ausdrucksweise der Parteien selbst aneignen möge. Das muß ich aber ab lehn en. Der Antrag ist an den Reichskanzler gerichtet, und was darauf geschehen wird, weiß ich nicht. Es handelt sich um eine Ein gabe wegen Aenderung der Gesetzgebung, worauf die Regie- rung Antwort zu geben nicht geneigt ist, denn sie würde in eine fortwährende Correspondenz mit Privaten einzutreten haben. Ich glaube, daß der Reichskanzler die Meinung vertreten wird, daß die bestehenden Handelsverträge die Genehmigung dieses Antrags vollständig ausschließen. Es ist keine Ver anlassung, über die weiteren Motive sich noch auszusprechen. Dem Wunsche des Herrn Rickert, diesen Antrag als einen Unfug zu bezeichnen, kann ich nicht entsprechen. Aufgabe der Re- gierung ist es, eine Politik der Sammlung zu treiben. Nach der „Köln. Ztg.", der „Nat.-Ztg." und anderen Blättern äußerte sich der Finanzminister folgendermaßen: Ich habe die Rede des Abg. Rickert nicht ganz gehört. WaS ich davon verstanden habe, ist, daß er an die Regierung das Ver- langen richtet, die Ausdrucksweise und eine gewisse Heftigkeit, die die Parteien gegen einander anwenden, sich selbst anzueignen. Ich muß das entschieden ablehnen. (Heiterkeit rechts.) Die Eingabe des Bundes der Landwirthe ist an den Reichskanzler gekommen. Ob der Reichskanzler Veranlassung nehmen wird, aus diese Eingabe osficiell überhaupt zu antworten, weiß ich nicht. Es ist nicht üblich, daß die Negierung auf Eingaben von Privaten, die den Wunsch ausdrücken, auf die Gesetzgebung in einer be- stimmten Weise einzuwirken, oder Anträge aus Abänderung der bestehenden Gesetze enthalten, irgend eine Antwort giebt. Wohin würde das auch führen? Die Regierung würde ja in eine vollständige Correspondenz und Hin- und Her reden mit allen einzelnen Privaten eintreten müssen. Das ist ja ganz undurchführbar. Das ist nie in Preußen üblich gewesen und wird wahrscheinlich auch nicht üblich werden. Dir Preußische Regierung hat übrigens noch gar keine Veranlassung nehmen können, über diesen Antrag einen Beschluß zu fassen. So viel jedoch glaube ich sagen zu können, daß der Reichskanzler die Meinung vertreten wird, wenn er Gelegen heit hat, sich selbst zu äußern, daß die bestehenden Handels verträge die Genehmigung dieses Antrags schon ihrerseits voll ständig aus schließen. Ich glaube, dieses Motiv könnte dem hohen Hause genügen. Es ist gar leine Veranlassung, sich hier noch weiter über andere Motive gegen den Antrag seitens der Regierung auszusprecheu. Ich kann dem Wunsche de» Abg. Rickert, diesen Antrag für einen Unfug zu erklären, meinerseits nicht entsprechen. (Heiterkeit rechts.) Die Aufgabe der Negierung geht dahin, eine Politik der Sammlung zu führen (Sehr richtig! rechts), die Ausgleichung der Gegensätze, nicht aber die Gegensätze durch Annahme deS ToneS, den der Abg. Rickert hier angeschlagen hat, noch zu verschärfen. (Beifall rechts.) Welche von beiden Versionen die genauere ist, wird man ja wohl auö dem vom „ReichSanz." in Aussicht gestellten ausführlichen Berichte ersehen, wenn dieser nicht vorher „corrigirt" wird. Jedenfalls aber geht aus den Inhalts angaben deS amtlichen Organs und der übrigen Blätter klar hervor, daß die Erklärung des „Reichsanzeigers" nicht auf das preußische Staatöministerium zurückzuführen ist und daß Herr vr. v. Miquel sie gestern noch nicht ein mal kannte. Sie muß also vom Reichskanzler her rühren. Daß dieser das Recht zu einer durchaus selbstständigen Erklärung hatte, ist selbstverständlich. Aber daß zwischen ihm und seinem Stellvertreter in Preußen über eine derartige Kundgebung und ihren Umfang nicht vorher eine Vereinbarung stattgefunden hat, ist auffällig und wirft ein nicht gerade erfreuliches Licht auf die „Einheitlichkeit" der „umgebildeten" Regierung. Jedenfalls ist man durch die That- sache, daß Herr v. Miquel der Erklärung des „ReichSanz." sern steht, zu dem Schluffe berechtigt, daß auch seine An sichten über die Zweckmäßigkeit einer eingehenden Begründung der Zurückweisung der Forderung deS Bundes lediglich seine Privatansicht und seine Abneigung gegen eine scharfe Ab fertigung der Antragsteller lediglich seine Privatabneigung ist. Wie wenig Erfolg feine Absicht, auch den Bund der Land wirthe durch in Watte gewickelte Worte um sich und die Regierung zu „sammeln", verspricht, das sollte er alsbald durch den Abg. vr. Hahn erfahren, der auf die Rede des Finanzministers eine Antwort ertheilte, die sich völlig mit der Erklärung des Bundesorganes deckt: „Wir haben gemeint und meinen heute noch, daß, wenn der ernste Wille vorhanden wäre, sich ein diplomatischer Weg finden ließe, um das Getreideeinsuhrverbot unter Zustimmung der Handels vertragsstaaten durchzuführen. Weist die Regierung den Antrag des Bundes kühl und kurz ab, so hat sie die unabweisbare Pflicht, mit allen ihr thunlich erscheinenden Mitteln dafür zu sorgen, daß das Ziel deS Bundesantrages auf anderem Wege erreicht werde. Wir erwarten dringend, daß sie diesen andern Weg sofort verkündet und einschlägt." D. h. mit anderen Worten: „Die Regierung könnte Wohl, aber sie will wieder einmal nicht und muß also gezwungen werden." Hoffentlich ersieht Fürst Hohen lohe hieraus, daß er gestern im Abgeordnetenhause von Herrn vr. Miquel nicht in einer Weise vertreten worden ist, die Erfolg verheißt, und daß es durchaus nöthig ist, die neueste Forderung des Bundes nicht nur gründlich zu beleuchten, sondern auch mit allem Nachdrucke zurückzuweisen, damit feine Gegner nicht ganz wo anders sich „sammeln", als wo es der Regierung angenehm sein kann. Das schroffe Auftreten der Leitung des Bundes der Land wirthe veranlaßt die konservative Parteileitung zu einer ausdrücklich als parteiofficiell bezeichneten Erklärung, worin sie, nachdem ihr Appell an die „Ueberlegung" der conservativen Mitglieder der Bundesleitung höhnisch abgewiesen worden, an die „Treue und Klugheit ihrer Parteiangehörigen im Bunde" appellirt. Bemerkenswerth ist außer dieser vom 22. Juli datirten Antwort auf die am 21. Juli erfolgte Herausforderung in der Correspondenz der Bundesleitung, daß in derselben Nummer der „Cons. Corr." noch folgender Artikel sich findet: „Aufklärung erwünscht. In den Zeitungen wird berichtet, in Hildesheim habe unter Theilnahme des Abgeordneten Or. Diederich Hahn eine Versammlung der Vertrauensmänner deS Bundes der Landwirthe, der Conser vativen und der Deutsch-Socialen stattgefunden, in der als gemeinsamer Mittelstandscandidat des 10. Hannoverschen Reichstags-Wahlkreises einstimmig der Hofbesitzer Feldmann in Wartjenstedt aufgestellt worden sei. Es dürfte doch Wohl zur »öthigen Klarstellung erforderlich sein, anzugeben, welcher Partei Herr Feldmann beizutreten beabsichtige, bezw. welche politische Farbe er trage. Der Ausdruck Mittelstandscandidat ist doch zu unbestimmt, als daß er geeignet erscheinen könnte, aus die Wähler günstig zu wirken." Da in diesem Wahlkreise niemals confervativ gewählt worden, so ist diese Auslassung nicht anders zu verstehen, als daß die conservative Parteileitung eine Aufklärung darüber wünscht, wo es hinaus soll, wenn conservative Vertrauensmänner veranlaßt werden, mit den der conservativen Partei fast überall entgegentretenden Antisemiten gemeinsame Candidaten der Richtung Hahn aufzustellen. In der Sache wird der „Nat.-Lib. Corr." aus Hildesheim mit- getheilt, daß vorläufig daS ganze Vorgehen des Abg. Hahn „viel Geschrei, aber wenig Wolle" bedeute. Es wären so wenig „Vertrauensmänner" anwesend gewesen, daß mau es bisher nicht für gerathen gehalten habe, ihre Zahl auch nur anzudeuten. Vor diesen hielt dann vr. Hahn seinen bekannten Monolog über die nationalliberale Partei. Herrn vr. Hahn geschähe nun ein großer Gefalle, wenn man ihn in Hildes heim wichtig nähme. Das geschieht aber nicht, und so ist die ihm zur Verfügung stehende Presse darauf angewiesen, „potemkinsche Dörfer" zu fabriciren. Als wir vor einiger Zeit gelegentlich der Egerer Vor gänge darauf hinwiesen, daß in Oesterreich unter den Deutschen der politische Zwiespalt vor der großen nationalen Frage der Selbsterhaltung und Selbstachtung zurücktreten müsse, schien eS nicht gleich, als ob die Antisemiten diese Anschauung theilen. Verschiedene Vorstöße der Deutsch nationalen Schönerer'scher Richtung im Wiener Gemeinde rath wurden mit dem Hinweis auf die Geschäftsordnung ab- gethan und damit eine für den Bürgermeister Lueger zum Mindesten peinliche Situation vermieden. Man weiß ja, oder man weiß es auch nicht, welche Dienste er dem Grafen Badeni für die Bestätigung als Bürgermeister ge leistet oder zu leisten versprochen hat; jedenfalls wird man nicht fehlgehen, wenn man von Lueger annimmt, daß er sich nicht gern mit dem polnischen Grasen verfeinden möchte. Umso mehr muß es Wunder nehmen, daß gestern, obgleich sich die Wogen schon etwas gelegt haben und man dadurch in der Zauderpolitik bestärkt wurde, im Wiener Gemeinderathe als Folge, eines Parteibeschlusses der Christlich-Socialen eine Resolution angenommen wurde, die scharf und ohne Ein schränkung für die deutschen Volksrechte eintritt. Der Beschluß ist einstimmig gefaßt worden, er lautet: „Der Gemeinderatb spricht seine tiefste Entrüstung über die seitens der Regierung gegen das Recht der freien Meinungsäußerung des deutschen Volkes angewendeten Maßregeln auö und giebt der Hoffnung Ausdruck, daß daS deutsche Volk in unserem Vaterlands Oesterreich zum Schutze desselben den ihm aufgedrungenen Kampf siegreich bestehen werde." Ein Antrag deS deutsch nationalen Gemeinderathes Tomanek, nach welchem der Gemeinderath der Stadt Wien bedauert, sich den Beschlüssen vieler deutschen Städte, die Arbeiten in dem ihnen übertragenen Wirkungskreise nicht mehr auszuführen, nicht anschlicßen zu können, weil er gesetzlich daran verhindert sei, wurde der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zugewiesen. Mit dieser Heranziehung deS Antrags zur geschäftSorduungsmäßigen Behandlung billigt der Wiener Gemeinderatb das Vorgehen vieler deutschen Gemeinden; ein Vorgehen, dessen Nutzen selbst in deutschen Kreisen nicht recht verstanden wurde. Daß der Gemeinderath den Beschluß ohne Lueger's Zustimmung gefaßt habe, ist nicht anzunehmen, und so kann man daraus folgern, daß Lueger selbst die Tage seines mächtigen Gönners Badeni gezählt sieht und sicher ist, daß dieser bald dem Lieblingswunsche feiner Polen Folge leistet und zu den Penaten nach Lemberg zurückkehrt. Die neuerliche Aufwühlung des Panamascandals ha! in Frankreich vielfach Veranlassung gegeben, Betrachtungen über die sittlichen und gesellschaftlichen Zustände im Lande anzu stellen. Eine erneute Anregung dazu ist durch das Wieder auftauchen der Persönlichkeit von Cornelius Herz gegeben worden. In durchaus zutreffender Weise wird im „Figaro" auf einen Wunden Punct des gesellschaftlichen Lebens in Frankreich hingcwiesen und dargethan, wie überhaupt Persönlichkeiten ü la Cornelius Herz zu einer großen Rolle in der Gesellschaft gelangen können und wodurch es ihnen gelingt, trotz schwerer Verfehlungen der irdischen Gerechtigkeit zu entgehen. In diesem Artikel, der „Zu viel Beziehungen" überschrieben ist, wird zunächst recapitulirt, wie es in dem ersten Panamaprocesse zugegangen sei. Damals fragte der Schwurgerichtspräsident Herrn v. Lesseps, woher er eigentlich Cornelius Herz kenne. Und Herr von Lesseps antwortete prompt: Woher ich ihn kannte? Jedermann kannte ihn. Er war ein Freund von Freycinet, von Clemenceau und von allen Ministern. Eines Tages sagte er mir sogar: „Waren Sie schon einmal bei Grevy in Mont sous Vaudrey?" Und als ick verneinte, lud er mich ein, mit ihm mitzukommen, und Grevy nahm uns denn wirklich auch auf das Liebenswürdigste auf. Als dann Clemenceau gefragt wurde, woher er Cornelius Herz kenne, nannte er wiederum Lesseps unter seinen Gewährsmännern. Der „Figaro" fügt satyrisch hinzu, daß, wenn der verstorbene Grevy nach der Bekanntschaft mit Herz gefragt worden wäre, er gesagt haben würde: „Nun, Lesseps und Clemenceau und Freycinet und alle meine Minister kennen ihn. Jedermann kennt ihn überhaupt und man kann unmöglich nicht ein Freund des Freundes von Jedermann sein." Die Folge davon, daß jeder beliebige Taugenichts, wenn er nur daS nöthige Maß von Frechheit und Gewandtheit hat, sich in die maßgebende französische Gesellschaft eindrängen kann, ist, daß diese Abenteurer eine gewisse Jdemnität für alle ihre Vergehungen erlangen. Der „Figaro" sagt ganz richtig: „Man hat ihm die Hand geschüttelt, hat bei ihm gegessen, hat ihm Briefe geschrieben, hat dieselben Frauen verehrt, und so kann man ihm eben nicht» anhaben". Der „Figaro" fordert die französische Gesellschaft auf, sich für die Zukunft doch lieber etwas zugeknöpfter zu verhalten. Wir glauben aber, daß dieser Wunsch leichter auszusprechen, als zu erfüllen ist. Zu allen Zeiten hat man in der französischen Gesellschaft, auch bei Hofe, Abenteurer der schlimmsten Art gesehen, ohne daß es möglich war, sich ihrer zu entledigen. Der Leichtsinn der führenden französischen Kreise in Hinsicht auf den Lebenswandel bringt sie notbwendigerweise mit bedenklichen Persönlichkeiten zusammen, die dann bald zu viel wissen, um ohne Weiteres abgestoßcn werden zu können, weil man fürchten muß, daß sie aus Rachsucht plaudern könnten. Dazu kommt eine gewisse Würdelosigkeit, die den Franzosen nicht danach fragen läßt, ob ein Mensch nach Stellung und Erziehung für seinen Verkehr geeignet ist, sondern die ihn dazu verführt, liebenswürdige gesellschaftliche Eigenschaften als einen Ersatz für den Mangel an sittlichen Qualitäten anzusehen. So wenig man auch damit einverstanden sein kann, wie in Deutschland gewisse Classen sich völlig exclusiv verhalten, so ist doch diese Exclusivität für die Gesundheit deS Staats wesens erheblich vortheilhaster, als der Gegensatz davon in Frankreich. In einem recht bemerkbaren Gegensätze zu der Erfolg losigkeit aller Bemühungen der Großmächte in Konstantinopel haben es die Admirale der europäischen Geschwader vor Kreta bereits erreicht, die Stellung ihrer Regierungen endgiltig zu sichern. So hat, wie die „Internat. Corresp." ausführt, sich die Vertheilung der europäischen Besatzungs truppen in der Weise vollzogen, daß man bereits von einer FeniHet-ir. Nanny Trauner. L8s Roman von C. Schroeder. Nachtruck «ertöten. 22. Capitel. Dann war eS über sie gekommen, wie eine Betäubung und nun fand sie sich einsam, an einem Pfeiler gelehnt. Er war fort — der Irre auch. Gar nichts regte sich um sie her — gar nichts und daS war gerade so schauerlich. Nach dem Winkel, auS dem der Schrei gedrungen, wagte sie nicht hinzusehen. Es war so ein Schrei gewesen, den man im Leben nicht vergaß. DaS Blut in den Adern batte er gerinnen gemacht. Todesfurcht war darin gewesen und TooeSqual zugleich. Gar kein Zweifel, da hinten ,m Winkel lag lang au-gestreckt am Boden — Die Vögel wußten eS schon. Wie angstvoll sie durch einander flatterten und kreischten! Sie waren auS ihren Nestern aufgescheucht worden, waren gekommen, zu sehen, we-halb und nun schrie au» ihren kleinen Kehlen die groß« empörte Natur, dir den Mord haßt und den Mörder verfolgt. Halte — fass' ibn! — DaS war der erst» Impuls, den sie im Menschen weckte. Diesem Impuls, so schien r», war Franz Flemming gefolgt. Ob er sich zuvor überzeugt hatte, daß da — hinten nicht» mehr zu retten sei? Eö war doch anzunehmen, e» — ganz und gar zweifellos war eS, daß er e» gethan! Deshalb hatte man hier auch weiter nicht» verloren — konnte man ruhig seiner Wege — Nein, so ruhig doch nicht! Ein bischen feig« kam man sich vor, wenn man ging. — Ein bischen nur? Pfui doch! Ganz erbärmlich — abscheulich feige! Mit einem plötzlichen Ruck hatte Nannh sich umgedreht. Durch die gesenkten Wimperu that sie den ersten scheuen Blick, dann — mit kleinen, zögernden Schritten — näherte sie sich der Stelle, wo Anna von Hellbronn'S Gestalt in sich zusammengesunken am Boden mehr kauerte, als lag. DaS Gesicht erschien marmorbleich und starr, der Mund hing offen — so welk, so weit! Ein Verschönerer war der Tod in diesem Falle nicht. Mit einem Schauder wandte Nanny sich ab und spähte bange nach der Herzgegend hin. Sie meinte, dort müsse ein Blutstrom hervorquellen — ein dicker, dunkler, Aber sie sah keinen — gewahrte überhaupt kein Blut — nein, nirgends an den Kleidern auch nur einen Tropfen Blut! Staunend, fragend sah sie sich um. ES konnte sich doch nicht um eine Ohnmacht handeln — nach dem Schrei von vorhin, um eine bloße Ohnmacht? Ungläubig schüttelte sie den Kopf und kniete doch nieder, bemühte sich, die leblose Gestalt in eine horizontale Lage zu bringen, fing an, ihr mit bebender Hand die Kleider zu lösen. Dann sprang sie wieder auf. Sie brauchte Wasser. Unten im Föhrengrund war ein klarer Bach an ihr vorübergeflossen, aber wo in der Welt fand sie ein Gefäß, um zu schöpfen? Ungeduldig suchend fuhr ihr Blick über den Boden hin. „Eine Scherbe", dachte sie, „eine Scherbe würde genügen!" Da gewahrte sie in einer Fensternische zwischen allerlei Mal- geräth eine Feldflasche. Im Nu hatte sie diese geöffnet, ihren Inhalt geprüft und nun kniete sie wieder neben der Todes starren, flößte ihr Wein in den Mund, rieb ihr die Schläfen damit. Mit ganzer Seele war sie bei ihrem Rettungswerke. Sich selber batte sie vergessen. Daß sie die Feindin im Arm hielt, empfand sie nicht. „Ach! wenn eS doch nur eine Ohnmacht wäre", hoffte, wünschte, betete sie, nnd wie der schlaffe Mund sich plötzlich schloß, wie die geschlossenen Augen sich groß und weit öffneten, da entfuhr ihr ein jubelndes „Gott sei Dank!" Anna von Hellbronn aber legte wieder einmal eine glänzend« Probe ab von der Behendigkeit ihre- Griftes. Kaum war rr zur Stelle, so wußte er auch schon von Allem Bescheid. Ein Blick »ach dem EiugangSportal, unter dem vorhin der Irre aufgetaucht war, und Grauen malt« sich in ihren Zügen — «in Blick auf Nanny und da» Grauen verwandelte sich in Haß und Abscheu. Der Kopf ward ab- grwandt, die zitternden Finger fuhren nestelnd zwischen den Kleiderhaken herum. „Soll ich helfen?" erbot sich Nanny. „Ich danke", lautete die eiskalte Entgegnung. Und dann erhob sich Anna von Hellbronn, suchte sie wenigstens sich zu erheben, aber die Glieder wollten sie noch nicht recht tragen, und strauchelnd, taumelnd kam sie auf einem Mauervorsprunge zu sitzen. „So geht es nicht", sagte Nanny kopfschüttelnd. „Sie brauchen eine Stütze. Kommen Sie, Fräulein von Hellbronn! Hier ist mein Arm, ich geleite Sie heim!" Für den Moment war die Augeredete noch so erschöpft von der Anstrengung, daß sie sich darauf beschränken mußte, die Zudringliche mit den Augen zurückznweisen. Plötzlich aber kam sie zu Athem. „Sieh' da!" höhnte sie, den Kopf in den Nacken biegend. „DaS sittsame Förstersfräulein! Heinigeleiten will eS mich? Danke verbindlichst! Bin nicht gerade zimperlich in solchen Dingen, aber eine Person, die sich den Männern ungebeten an den Hals wirft — da gehe ich denn doch lieber allein!" Ein schneidendes Lachen, dann stand sie auf ihren Füßen und nun ging sie — ein bischen schwankend, aber sie ging doch, quer durch das Kirchenschiff hinaus in'S Freie. Ein solcher Geist ist am Ende auch im Stande, einen noch viel schwächeren Körper zu tragen. Al» der Wald sie ausgenommen batte, keine Spur mehr von ihr zu erblicken war — da erst stahl sich Nanny heraus. Scheu huschte sie an dem alten Gemäuer entlang, kein Auge wagte sie vom Boden zu heben, auS Furcht, einem spöttischen Menschenantlitz zu begegnen. Ja, der harmlos heitere Sonnenblick, der sie bei einer Wegbirgung traf, war ihr schon zu viel. Aufstöhnend schlug sie die Hände vor das Gesicht und stürzte dem Dickicht zu. Und durch daS Dickicht — durch Tannengezweig, durch Gestrüpp uud Dornengerank suchte sie sich ihren Weg. Jeden offenen Pfad, der ihr in die Quere kam, vermied sie ängst lich. Sie war ja mit einem Brandmal gezeichnet. „Eine Person, die sich den Männern ungebeten an den Hals wirft" — da« stand ihr ja auf der Stirn zu lesen. Die EssenSstunde war längst vorüber, als sie in der Oberförsterei anlangte und das ganze Haus ihretwegen in Aufregung. Gar keine Möglichkeit, sich verstoblen in ihr Kämmerlein zu schleichen. Schon in der Thür stieß sie auf Susanne und auf deren Freudenruf war auch sofort der Onkel zur Stelle. Sich eng in die dunkle Flurecke schmiegend, mit gesenkter Stirn hielt sie den besorgten Fragen der Beiden Stand. Wo sie gewesen? Verirrt im Wald. — Wo denn ver irrt ? Hinten — ganz hinten beim Kloster. — Ob sie denn nichts erlebt? „Erlebt?" murmelte sie und das Blut stieg ihr heiß in die Wangen. „Na, kannst von Glück sagen, wenn Du nichts gehört und nichts gesehen hast", meinte der Oberförster. „Im Walde ist'S nickt gebener gewesen beute Morgen. Sind haarsträubende Dinge passirt. Die Müllerin, die alte Hart mann — stell' Dir vor — gebt Reisig suchen und stößt am Seeufer aus ihren Anton. Kriegt natürlich einen Todes schrecken, denn erstens weiß sie gar nicht einmal, daß er im Lande ist, zweitens sieht er aus, als wäre er aus dem Toll haus entsprungen und agirt mit einem Revolver in der Luft herum zum Bangemachen. „Um Gotteswillen, Anton", schreit sic, „wo kommst Du her? „Ha ha ha! Weißt Du eS denn noch nicht?" lachte er ganz vergnügt. „Ich hab sie kalt gemacht — das Teufels weib und jetzt — ..." dabei zwinkert er so recht lustig mit den Augen nach dem Schloß hinüber — ... „jetzt gebt's dem gottvcrd .... Hund von Potiphar an den Kragen. Adieu! Ich habe Eile!" Potiphar! Ich bitte Dich! Daß der Bursche übergeschnappt war, lag ja auf der Hand. WaS hätte sie also tbun sollen, die Alte? Jbm was vorschwatzen natürlich, ibn auf andere Gedanken bringen! Statt dessen stürzt sie auf ihn los und will ihm den Revolver entreißen. Na, da« gelingt ihr nicht, aber eine Kugel durch den Kopf bat sie beinahe schon weg, als gerade noch zu rechter Zeit Professor Flemming auftaucht. Der packt den Rasenden hinterrücks, wirst ihn zu Boden, entwindet ihm da- Mord instrument nnd schleudert e», um beide Hände frrizukriegen, weit von fick weg — wie sich'S trifft, gerade in den See. DaS siebt aber der Anton nicht so bald, da hat er sich auch schon mit einem Ruck befreit und ist dem Ding nach!" „In'S Wasser?" schauderte Nanny. „Ins Wasser", nickte der Oberförster. „Na, und der
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