02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970813026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897081302
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897081302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-13
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Anzeigen-Prer- die 6 gespaltene Petitzetle 20 Pfg, Ktklami» unter dem Sied«tion»strich <4g» spalten- 50^, vor d«n Fam»li«n»achricht«a iL -«spalten- 40 Sröher« Lchristea laut unf«r«m Pr«>«. derzrichaiß. Tabellarisch«! und Aissirnsatz uach höherem Tarif. Extra-Vrilage« (gesalzt), nar m»t d«» Morgen-Ausgab«, ohne Postbesörderunji SO.—, mit Postbesörderung ^l 70.—» Ännuhmeschlnß für Änzeigen: Lbtnd-Ansgabe: Vormittag- 10 Uhr. Sstorgen«Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Vri den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stet« an die Expedition zu richten. Druck and Verlag von L Polz in Leipzig- 81. Jahrgang. Freitag den 13. August 1897. 418. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. August. Mit wenigen unrühmlichen Ausnahmen Hal es auch die konservative Presse verschmäht, auS Anlaß der Ermordung CanovaS' irreführende Lehren über den Zusammenhang solcher Verbrechen mit der vorbeugenden und der Repressiv gesetzgebung vorzutragen. Nun aber kommt die .Germania", um das Blut des gemeuchelten spanischen Minister präsidenten auf ihre Mühle ru leiten. Sie ver langt in einem „Auch ein Kampf gegen den Umsturz* überschriebenen Artikel da« Aurückgreifen aus die sogenannte lex Heintze, sowie verwandte Maßregeln. ES kommt dem Blatte äußerlich der Umstand zu Statten, daß an dem selben Tage, der die Nachricht von der Ermordung CanovaS' brachte, fünf in Berlin begangene schwere Verbrechen ge meldet wurden. Einer Dirne ist der Hals durch schnitten worden, um dieselbe Zeit hat sich eine andere dem Laster ergebene Frauensperson vergiftet. In derselben Gegend, wo der Mord stattfand, verwundete am Sonntag ein trunksüchtiger Schneider seine Frau durch einen Revolverschuß und beging hieraus Selbstmord. Am Sonntag erschoß sich ein ebenfalls dem Trünke er gebener Schlosser, nachdem er vorher versucht batte, sein dreijähriges Kind mit Petroleum zu verbrennen. Also her mit der lex Heintze. Daß dieses Gesetz Vorkomm nisse wie die erwähnten und auch deren Häufung nicht ver hindern würde, ist wohl auch der „Germania* klar. Eben so, daß man mit seiner Hilfe nicht die in den Höhlen des Lasters hausenden, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sehr gefährlichen Elemente, von denen das Blatt mit Recht sagt, daß sie leicht geneigt sind, Gewalt und Umsturz zu unterstützen — vergleiche die Pariser Commune — ausrottcn oder nur decimiren könnte. Aber der Kunst und Literatur, mit einigem guten Willen auch der Wissensckaft, wäre mit der lex Heintze im Sinne der Pfäfferei beizukommen und daher die Sehnsucht der „Ger mania". Sie sieht den auf Liese Erwägung gestützten Wider spruch voraus und meint: „Mag es noch so handgreiflich sein, daß nur der Unsittlickkeit, die sich als Kunst und Lite ratur aufspielt, zu Leibe gegangen werden soll, man will selbst die Unsittlichkcit nicht antasten lasten aus Besorgniß vor „„zelotischer Engherzigkeit und Mißbräuchen"". Diese Be sorgniß hat man allerdings, und wäre sie nicht schon vorhanden gewesen, würde sie die „Germania" erweckt haben. Denn sie fährt nach ihren beschwichtigenden Worten also fort: „Als wenn es übrigens besonders Schade wäre um Mißgriffe gegenüber Erzeugnissen der Kunst und Literatur, die in den Verdacht der Unsittlichkeit gerathen können." Um die Mißgriffe wäre es freilich nicht Schade, aber um die Kunsterzeugnisse. Der größere Theil unserer besten Literatur gilt dem Klerikalismus der Unsittlichkeit nicht nur verdächtig, sondern überführt. Wenn nun schon der Verdacht hinreichen soll, dann wird gegen die Denunziation der ultramontanen Presse überhaupt kein Buch mehr geschützt sein, das nicht in einem „katholischen" Verlage erschienen ist. Ueber den Begriff der „Unsittlichkeit" werden sich Kunst und Literatur niemals mit der römischen Kirche einigen, in deren eigenem Schooß herrscht keine Uebereinstimmung darüber, und evan gelische Geistliche werden viele Erzeugnisse der Literatur und Kunst anders beurtheilen, als katholische. Anzengruber'S „Pfarrer von Kirchfeld" ist für die „Ger mania" natürlich rin Ausbund von Unsittlickkeit und würde unter der Herrschaft drr lex Heintze, wenn sie gehand- habt würde von einer der Klerisei so ergebenen Regierung, wie die gegenwärtige preußische eS ist, nickt nur in Köln und Trier, sondern wodl auch in Berlin nicht aufgefubrt werden dürfen. Die sittliche Verworfenheit, die man in den Großstädten findet und der die von Hintergedanken freien Befürworter der lex Heintze begegnen wollten, rieht überhaupt so gut wie gar keine Nahrung auS literarischen und künstlerischen Aus wüchsen. Daß die scanvalösen Erscheinungen zu beklagen sind, geben wir dem klerikalen Blatte zu. Denn man mit diesen polizeilich aufräumte, so läge daS meist ebenso sehr im Interesse der Kunst wie in dem der Sittlichkeit. So waren in manchen Schaufenstern längere Zeit Photograpbien auSgehängt, die eine vielgenannte, ent laufene, lüderliche Weibsperson in ganzer, lediglich mit Tricot bekleideter Figur zeigte. Das hätte die Polizei keinen Augenblick dulden sollen, denn hier war auf da« Interesse an der dargestellten Person und nickt auf das an der Darstellung speculirt. Die Ausstellung war ästhetisch mindesten- so anstößig, wie in sittlicher Hinsicht. Noch mehr gilt die« von dem im Schwange befindlichen Unfug, Nuditäten auszuhängen, die zum Theil mit einem Papier streifen überklebt sind. Gegen diesen höchst widerwärtigen Brauch kann die Polizei aber auch ohne eine lsx Heintze einschreiten, ebenso wie gegen die Ausführung gewisser Theaterstücke, über deren künstlerische Werthlosigkeit so wenig ein Zweifel entstehen kann, wir über ihre absolute Unanständigkeit. Die zuerst erwähnten Photographien einer Dirne sind denn auch in Berlin wenigstens auS einem dem Abgeordnetenhause nahe gelegenen Schaufenster alsbald wieder verschwunden, wie wir zu wissen glauben, weit Ab geordnete, und zwar nicht einmal klerikale, ihrem Unwillen über die Schamlosigkeit an der rechten Stelle Lust gemacht batten. Gegen das Schlimme bestehen also Handhaben, Kunstwerke wie Dannecker's Ariadne aber brauche» den Blicken selbst der Jugend nicht entzogen zu werden. Nur ein verdorbener Sinn kann an ihnen Anstoß nehmen. Herr Bebel bat 1893 auf dem socialdemokratischen Parteitag in Köln als Referent eine Resolution vor geschlagen, die eine Betheiligung der Socialdemo- kratir an den preußischen Landtagswahlen kurzer Hand ab lehnt, weil keine Möglichkeit bestehe, bei dem elendesten aller Wahlgesetze aus eigener Kraft einen Erfolg zu er- ringenundein Compromiß mit bürgerlichcnParteien, wie es kurz zuvor Bernstein befürwortet hatte, als bedenklich, ja verwerflich angesehen werden müsse. Ter Kölner Parteitag nahm Liese Resolution einstimmig an. Seither hat sich bekanntlich innerhalb der socialdemokratischen Partei ein starker Um schwung der Meinungen vollzogen, indem neuestens ihre tonangebenden Mitglieder sich mehr oder weniger ent schieden für eine Aenderung dieser Tactik, d. h. für die Be theiligung an den Landtagswahlen aussprachen. Nun meldet sich auch Bebel selbst in der „Neuen Zeit", und er, der noch 1893 vor allen Anderen von einer Wahlbetheiligung nichts wissen wollte, erklärt jetzt, daß er nach reif licher Ueberlegung seine Ansicht geändert habe und die Betheiligung seiner Parteigenossen an Len LandtagSwablen empfehlen müsse. Bebel begründet seine jetzige Stellung nahme in ähnlicher Weise, wie eS kürzlich Kautsky getban hat. Bebel meint, daß in unserem ganzen öffentlichen Leben ein Tohuwabohu herrsche, sowohl in Bezug auf unsere inner politischen Zustände, wie hinsichtlich der handelspolitischen Verhältnisse und unserer Rolle in den auSwärngen Be ziehungen. Das erzeuge ein Gefühl des Unbehagen«, wie es nur der Glaube, vor dem Unberechenbaren zu stehen, Hervor rufen kann. Und diese Störung des socialen und wirtbschaft- lichen Gleichgewichts gehe nicht von der Socialdemokratie auS, sondern von einer Seite, die der natürliche Schützer der bestehenden Gesellschaftsordnung sein sollte, vom „Iunker- thum": „Was immrr wir gegen die Bourgeoisie auf dem Kerbholze haben, gegenüber diesem raubsücht'gen, gewaltthätigen, forlschritis- und kulturfeindlichen Junkerthum, das der Fluch Deutschlands ist, repräsentirt sie die moderne Welt und die modernen Ideen... Wir haben dem Kampfe cker Bourgeoisie und im weiteren Sinne des Bürgerthums gegen das Junkerthum und eine seinen Macht- und Raubgeliisten freundliche Staats gewalt nicht gleichgiltig gegenüberzustehen, sondern wir müssen sie unterstützen und ihr beistrhen. . . . Diejenigen, die ein Compromiß als unter allen Umständen verwerflich angreisen, übersehen, daß unsere ganze politische Tdätigkeit im Reichstag, in Len Landtagen, in den GemeinLe-Vertretungen u. s. w. uns fort gesetzt zu Compromissen zwingt. Die Negation, die wir angeblich in unserer parlamentarischen Thätigkeit uns sollen zu Schulden kommen lassen, wird seit dreißig Jahren durch die Thatsachcn widerlegt." Die „Franks. Ztg." ist eitel Wonne darüber, „daß Bebel so dem Doktrinarismus ins Gesicht schlägt", will sagen, dem bürgerlichen Radikalismus socialdemokratiscke Stimmen zu führen will. Wie die Socialdemokratie diese „Unterstützung" sich denkt, bat sie bekanntlich in Karlsruhe gezeigt, wo sie großmütbig von drei Mandaten den Demokraten und Frei sinnigen eins überließ. Die „Franks. Ztg." bat natürlich trotzdem ihre Gesinnungsgenossen angefeuert, an der Seite der Socialdemokratie „mit rührigem Ernst in den Kampf zu ziehen"! Zn Wiener Regierungskreisen scheint man sich jetzt in Betreff der deutsch-tschechischen Ausgleich-Versuche einer etwas hoffnungsvolleren Stimmung hinzugeben. Worauf sich LieS begründet, ist freilich noch nicht zu erkennen. Wohl treten seit etwa einer Woche Anzeichen dafür zu Tage, daß die Regierung sich eifrig bemüht, eine Annäherung zwischen Deutschen und Tschechen mindestens in so weit herbei zuführen, daß sie zu gemeinsamen Berathungen zusammen treten, doch muß betont werden, daß man es hier eben nur mit Bemühungen der Negierung zu lbun hat. Ob diese Be mühungen Aussicht auf Erfolg haben, läßt sich keineswegs sicher bejahen. Einstweilen lauten Lie Stimmungsberichte weder aus dem tschechischen noch aus dem deutschen Lager befriedigend. Darauf, daß der mährische Tscheche Or. Stransky in den letzten Tagen einen Ton angeschlagen hat, als würden die Tschechen unter Umständen mit sich reden lassen, ist zunächst kein sonder liches Gewicht zu legen, da er nicht als maßgebend betrachtet werden kann. So viel sich bis jetzt erkennen läßt, sind im Gegentheil die isckecki chen Führer zu einem auch nur sehr mäßigen Enlgegeniommen nock keineswegs geneigt. Auf ter anderen Seite liegen die Verlälknisse ziemlich ähnlich. Leitende deutsche Persönlichkeiten erklären rundweg, daß die Deutschen nach wie vor unbedingt an ihrer Forderung fesldaUen müssen, erst seien die Sprachenverord nungen aufzubeben, rbe sie sich auf wie immer geartete Ver handlungen einlassen könnten. Alle die mannigfachen Angaben, die man schon jetzt sowohl über den Modus des Ausgleichs- Versuchs wie über die Vorlagen, die die Regierung den zusammentretenden deutschen und tschechischen Führern unter breiten würde, macht, werten zunächst als von äußerst geringem Werthe bezeichnet. Es ist daher vorläufig überflüssig, auf den in Len Blättern angegebenen Inhalt dieser Vorlagen näher einzugeben. Zu bemerken wäre nur, daß höchstens einige wenige von ihnen geeignet scheinen, einzelnen Forderungen der Deutschen gerecht zu werden, daß aber zugleich andere von den angeblichen Vorlagen den tschechischen Wünschen ent sprechen. Immerhin zeigt sich insofern ein Hoffnungsstrahl, als die Regierung überhaupt eine Action einzuleiten begonnen hat und offenbar Werth darauf legt, daß sich über die von ihr gemachten Anregungen die öffentliche Meinung in beiden Nationalitäten äußert. Thatsächlich beschäftigen sich die Tschechen wie die Deutschen mit den aus Lern Regierungslager lancirten Plänen ziemlich eingehend. Jedoch kehrt man bei Betrachtung all dieser Vorgänge doch immer wieder zu der nickt zu be seitigenden Thalsache zurück, daß die Deutschen, von Miß trauen erfüllt, ohne die Zurücknahme der Sprachenverord nungen aus Verhandlungen nicht einzehen wollen und daß sich bei Len Tschechen bisher durchaus keine Bereitwilligkeit nachzugeben zeigt. Der Berichterstatter des „Figaro" in San Sebastian meldet Einzelheiten über LaS Verhör des Annrchistcn Augiolillo und betont die Genauigkeit seiner Mitthcilungen mit besonderem Nachdruck. Die Voruntersuchung wurte dem Untersuchungsrichter von Vergara anvertraul: „Ter Unter suchungsrichter", schreibt der genannte Bericklerstatter, „ist ein aufgeklärter, gelehrter und gewandter Beamter; er bat ohne Schwierigkeit eingeseben, was für einen Menschen er vor sich habe, und bat seine Zeit nicht damit verloren, Barschheit gegenüber einem Manne berauSzukehrcn, der über sein Schicksal vollkommen klar ist und aus dem nichts zu ziehen wäre, wenn man ihn barsch behandelte. Der Verhaftete er klärte auch bald, er habe nie etwas mit dem Ministerpräsi denten zu lhun gehabt, er babe ihn nicht gekannt, und seine Absicht sei nur die gewesen, seine Brüder zu rächen. „Aber," fügte er binzn, „nicht blos meine spanischen Brüder, sondern auch die auS Italicn und an- Frankreich, alle Diejenigen, Lie man ohne Gnade verfolgt und hingerichtet hat." Ohne sich im Geringsten zu einer unnöthigen Heftigkeit binreißen zu lassen, hielt ter Richter Angiolillo vor, wie nutzlos eS lei, mit solchen Mitteln vorzugehen, und sagte ihm kalt blütig: „Solche Verbrechen haben niemals den Parteien, die sie begehen, etwas genutzt. Sie haben einen Staatsmann von großem Verdienst getödtet. Andere werden ihn ersetzen. ES ist ein Mann verschwunden, eS ist kein Regime untergegangen." Der Richter fuhr eine Weile in diesem Tone fort, was Len Mörder sichlich verwirrte und reizte, der sich, ohne dazu Anlaß zu haben, auf eine robe Behandlung gefaßt gemacht und bereits bei seiner Abführung gesagt batte, nun beginne seine Leidens geschichte, aber er sei auf Alles vorbereitet und wisse, wie es den Andern ergangen sei: waS sei auch daran gelegen, was ibm geschehe, da sein Anschlag vollsübrt sei. Daher war er auf die Wendung, die das Verhör nahm, durchaus nicht gefaßt und sehr erbittert über Lie Haltung des Richters, der dem Verbrechen, was dessen Folgen angehe, gar keine Wichtigkeit beimaß. Diese Aussicht störte offenbar den Ge dankengang des Mörders. Auf eine abermalige Behauptung des Richters, daß die Menschen verschwinden, die Ein- Feuilletsn. „Harmoniken". Ikj Roman von A. Ftscher-Löher. Alle Ste-te verseh-tten. In manche Stimmung hinein muß gesprochen werden, um sie zu lösen. Sie leat sich sonst wie rin Alp auf alle Glieder und lahmt jede Bewegung. Deshalb sagt« der Fürst: „Suchen Sie wieder Anemonen, Renate?" Es war für sie ganz gleichgiltig, waS er sagte. Nur, daß es überhaupt geschah, gab ihr wieder die Besinnung zurück. Sie sah ihn nicht an und ging weiter, und während er nun neben ihr einherschritt, die Hände auf den Rücken gelegt und sie von Zeit zu Zeit mit einem schnellen Blicke streifte, erwiderte sie, seine Frage Lbrrbörend: „Ich habe von unserem Walde Abschied genommen. E« wird viel Zeit vergeben, ehe ich ihn wieder sehe!" „DaS heißt, Sie wollen lange fortbleibrn? Graf Lothar sprach nur von sechs Wochen, die er höchsten« in Baden sein wollte." Seine Worte klangen ruhig, aber sein Ton war heiser. Renate machte eine rasche Bewegung. „Ich kann doch auch ohne Onkel Lothar fortbleiben", sagte sie mit Nachdruck. „Ich habe mir viel vorgenommen." „So, also Sie wollen fort?" Er streifte sie mit einem sprechenden Blick und nickte dabei mit dem Kopfe. Sie sah diese Bewegung, obwohl sie ihn nicht anschaute, und da« zwang sie, ihr Gesicht zu ihm zu erheben. WaS für em düsterer und dabei energischer Zug um seinen Mund saß. Renate hatte ein unbestimmte« Gefühl, al« sei ihre Unterhaltung daran schuld, und al« beschwöre diese, wenn sie da« Thema nicht wechsele, etwa« unsagbar Schreckliche« herauf. Unter diesem Eindruck begann sie nun schnell und hastig zu sprechen, etwa«, wa« ihr gerade einfiel, weil sie sich den ganzen Tag mit der Tante davon unterhalten hatte. „WaS sagen Sie zu Bictoire Schleiden'« Verlobung mit dem Professor Müllner?" ,,E« wird «ine schöne, inhaltreichr Ehe geben", antwortete er. Er ließ seinen Blick an ihr heruntergleiten. „Die Beiden sind für einander geschaffen. Sie folgen ihrem unmittelbaren Gefühl. Da kann es nur äußere Conflicte geben, innere nie. Wie LaS den einzelnen Menschen emporhebrn mag!" Nach einer kurzen Pause, während der Renate mit sich kämpfte, um daS unbesonnene Wort, da» ihr über die Lippen wollte, zu unterdrücken, sagte der Fürst auf einmal wiever: „Freund Zanos, Graf Feilath, hat mir geschrieben, Ihret wegen, Renate. Da» war der Grund, warum ich Sie ein holte, obgleich Sie vor mir davonliefen. Zu einer offenen Frage an Sie, zu der mich der Brief zwingt, war diese Geleaenheit zu günstig." „Und was steht in dem Brief?" fragte die Comtesse kurz. „ZanvS bittet" — er zögert», vollendete jedoch nach kurzem Stillschweigen — „IanoS hofft viel von Ihnen. Er ist beneiden-werth. Er darf um Ihre Hand werben und Sie werden ibn glücklich machen." „Alle Achtung vor Ihrem Zutrauen, TituS." Bei ihrem Einwurfe legte sich eine Falte zwischen seine Brauen, doch fuhr er zu sprechen fort. Aber er sprach leis« und schnell, ohne jeden rhetorischen Nachdruck in der Stimme. „Ich soll also für Ianü« die Erlaubniß auswirken, daß er nach Baden kommen darf. Da« Trauerzabr um den Herrn General, Ihren Vater, wäre in rin paar Wochen zu Ende, bi« zu diesem Termine aber hätten Sie jede Werbung von sich gewiesen." „Ja", sagte Renate. Der Ton ließ ihn einhalten. Er klang so überau« nerven zerreißend schrill in seine monotonen Worte hinein. Mein Gott, es war ihm ohnehin sckwer genug geworden, Le« Freundes Freiwerber zu sein. Wenn Ianü« nicht schon drei-, viermal deshalb geschrieben, hätte er es gewiß unterlassen. Aber wenn Renate diesen Ton festhielt, wurde r« ihm zur Unmöglichkeit. „Kurz und gut, Sie znachen den Freiwerber für ihren Freund?" Die Comtesse lachte spöttisch auf. Wie ihn die unverkennbare Mißachtung in ihrem Lachen erhitzte l Sein Aibrm ging schneller, al« er nun erwiderte: ,,E« ist allerdings keine leichte Aufgabe. Aber zuweilen bietet der Wunsch eine« Anderen, den man vertritt, einem selbst den verlorenen Halt im Kampfe zwischen Psticht und eigenen heißen Wünschen." Renate'« Gesicht war jetzt fahl geworden, fahl zum Er schrecken. Sie halte nur den «inen Gedanken, das Schloß Eberstein in Sicht zu bekommen. Tas mußte ihnen beiden die Besinnung und die Herrschaft über sich wiedergeben. Sie rannte wieder mehr, als sie ging, und die« beschleunigte Tempo zwang ihr sowohl als dem Fürsten ein augenblickliche» Schweigen auf. Da schimmerte der Teichspiegel schon durch die laubleeren Baumkronen. Sie waren wieder im Parke. Nach Athem ringend, mäßigte die Comtesse ihre Schritte. Dabei wagte sie einen Blick auf den Fürsten. Er batte seinen Hut abgenommen und ließ den weichen Wind über sein dunkle« Haar weben. Auf seiner Stirn schimmerte e« feucht, wie bei einem Menschen, der arbeitet und ringt. „Ach", seufzte sie schmerzlich ans und drehte den Kopf herum. Da fühlte sie seine Hand auf ihrem Arm. Sie lag schwer auf ihr, und der Fürst sagte: „Renate, Sie — nehmen Ianü«' Werbung an!" WaS fragend, bittend klingen sollte, nabm, von ihm selbst ungeahnt, einen drohenden, befehlenden Ton an. Die Worte schienen au« dem tiefsten Winkel seines Herzens zu kommen und offenbarten ihm erst selbst die gräßliche Noth, in der er sich befand. Sie unterlag seinem Einflüsse. „So soll er nach Baden kommen, gewiß, e« muß ja sein" fügte sie nickend hinzu. Ob der Fürst diese oder eine andere Wirkung erwartet batte, machte er sich selbst nicht klar. Jedenfalls war DaS, wa« e« in ihm hervorbrachle, außer aller Berechnung. Er beugte sich herab und legte ibre Hand auf seine glühend« Stirn. Dann drückte er seine Lippen leidenschaft lich auf ihre Handfläche. Er stammelte ein paar unzu- sammenhängeude Worte, von denen sie kein einzige« verstand, die aber trotzdem in ihr ein Echo weckten. Sie neigte den Kopf zur Seite und sog diese stammelnden Laute wie einen unendlich süßen Rausch ein. Etwa« bezaubernd Liebliche« saß ihr in den Winkeln de« lächelnden, bebenden Munde«, und da hinein war Alle« geheimnißt, wa» Lberqnellende« Leben, keusche Gefühle und sinnberückende Liebe in ein schöne« Menschenantlitz bineinsckreiben können. Darüber verlor der Fürst die letzte Herrschaft über sich. Er ließ Renate'« Hand fallen, und mit der Rücksichts losigkeit echter Leidenschaft, die nur rin Ziel kennt, breitete er plötzlich die Arme aus, um das willenlose Mädchen an sich zu ziehen, als er sich sestgehalten fühlte. Graf Lothar stand neben ibm. Tie beiden Männer saben sich an, schweigend und durch dringend, als wollte Einer dem Anderen die Worte vorher von den Augen ablesen, ehe sie gesprochen wurden. Renate war voll Entsetzen zurückgewichen und legte die Hände auf das Hockklopfende Herz, wobei ihre Augen in Heller Angst von Einem zum Anderen irrten. Graf Lothar unterbrach zuerst dieses stumme Anschauen. „Ibr müßt beide zu Euch kommen. Ihr habt die Gewalt über Euch verloren." Er sprach weder erregt, noch zürnend, sondern in der rubigen, sickeren Weise, wie sie eS von ibm gewöhnt waren. Der Fürst kreuzte Lie Arme. Ein fast starrer Zug trat auf seine Stirn. „Die Schuld trage ich, ich ganz allein, Graf Eberstein. Auch in Ihren Gedanken darf kein Schatten auf Renate fallen. Ich bin zu jeder Genugtbuung bereit." „Rubig, ruhig, Titus." Ter Graf streckte beschwichtigend seine Hand au«. Auch seiner Nickte, die sich mit tief erblaßten Lippen auf ibn ^u bewegte, gebot er Schweigen. „Ich bitte Euch, kein Wort. Eine Vertbeidigung oder Anklage giebt unter diesen Umständen nach keiner Richtung bin eine Erleichterung. Darum mag sie Wegfällen. Die Hauptsache ist, daß Ihr getrennt werdet", er hielt inne und mackte eine Bewegung, so daß er zwischen dem Fürsten und Renate stand. Dann fuhr er fort zu sprechen: „WaS sonst nock zu tbun ist, muß Jeder von Euch mit sich allein auSmacken. Ibr wißt Beide, was das Leben verlangt, wenn e« Ernst, Würde und ein harmonisches Ziel baden soll." Graf Lothar sprach nun doch mit jener Bewegung in der Stimme, die au« Ergriffenheit zugleich daS Mitleid heraus hören läßt. Er zog den Arm seiner Nichte durch seinen Arm und führte sie am Teich entlang dem Schlosse zu. In tiefe« Rotbgold löste sich die strahlende Pracht des Tages auf. Die breite Schloßmasse leuchtete auf, als berge sie den Herd der Flammen in sich, deren Gluth die feinen weißen Federwölkchen am Himmel mit einem rothen Hauch malte. Auch Graf Lothar'« Auge, da« tiefernst Uber da« Schloß glitt, nabm einen Glanz davon an.
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