02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970817022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897081702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897081702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-17
- Monat1897-08
- Jahr1897
-
-
-
6000
-
6001
-
6002
-
6003
-
6004
-
6005
-
6006
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
DK Morgrn-Au-gab« erscheint am */,7 Uhr, dk Aheud-Largab« Wochentag» am L Uhr. Nedactto« und Erpeditto«: 2»hanne»»asse 8. Di« Expedition ist Wochentag» »nnnterbrochen «eösfnet von früh 8 bt» «bmd» 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Klemm'» Eartim. (Alfretz Hahn), Uaiversität-straßr 3 lPaulinum), Loui» Lösche, Datharinenstr. 14, pari, und König»plat» 7. VezugS-PreiS Kl h« Heniptexpedkkm oder den kn Stadt- betzkk und den Vororte« errichteten LuS- aavestellrn ab geholt: vierteljährlich ^l4.bO, bei tweimaliger tLgltcher Zustellung in» Han» 5.50. Durch die Post bezog« für Deutschland «ad Oesterreich: viertekäbrlich «ch 8.—. Direkte täglich» Kreuzbaadseaduag KG LuSlaad: monatlich ^tl 7.50. Abend-Ausgabe. MWM.TaMaü Anzeiger. Ätttlsökall des Lömgkiche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Matizei-Ärntes der Ltadt Leipzig. AnzetgeN'Preis die 6 gespaltene Petitzeile 70 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spaltea) ö0^, »or den Familiennachrichte« (S gespalten) 40/^. Gröber« Lchriftru laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-vcilagen (gesalzt), nur mit de» Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderunz; ^l SO.—, mit Postbesördrrung 70.—. Tlnnahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabr: Vormittag- 10 Uhr. »7org«a-Ao-gabe: Nachmittags 4 Uhr. Sei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. »<2—c>, Druck und Verlag von <k. Polz in Leipzig. Jahrgang. Dienstag den 17. August 1897. Priesterlicher Hochmuth. Vor uns liegt die vor einiger Zeit in Paris erschienene 7. Auflage eines BucheS, dessen rätbselhaft klingender Titel*) auf die Manreza-Höble, wo Loyola seine „Exercitia" verfaßte, anspielt. Wir finden darin die letzten Gedanken und unwandelbaren Ansprüche der vatikanischen Kirche mit einer verblüffenden, für das Laienpublicum aber um so dankenSwertheren Offenheit ausgesprochen. Wer über die Gesinnung, wer über die Art christlicher Demuth, worin jene Kirche ihren Kleru» erzieht, noch einer Belehrung bedürfen sollte, dem sei der erste dieser (vor der zu Erecietien ver sammelten Geistlichkeit der Erzdiöcese Toulouse) Borträge be sonder» empfohlen. Man lese und erbaue sich an der er habenen Lehre, die hier in wortgetreuer Uebertragung folgt: „Zwischen Gott im Himmel und dein Menschen, der auf Erden nach Gott sucht, steht als Mittelglied der Priester, der, zugleich Gott und Mensch, beide Naturen einander näher bringt und zusammenfaßt. . . . Daß ich Euch (die Priester) Götter nenne, ist keine schmeichlerische Hyperbel, keine rhetorische Lüge. . . . Ihr seid schöpferisch, wie r« Maria in ihrer Betheiligung an Christi Fleischwerdung war. - . . In der Zeit wie in der Ewigkeit seid Ihr Schöpfer gleich Gott selber. . . . Die Frucht aber unseres „tagtäglichen" Erschaffens ist nicht» Geringeres al» da» Fleisch gewordene Wort. ... Gott kann zwar neue Welten ins Dasein rufen, nimmermehr aber vermag er zu bewirken, daß e» unter der Sonne eine That gebe, höher als daS von Euch dargebotene Opfer.... Ich, al» Priester, komme in der Hier archie der Weltregierung nicht etwa gleich nach dem Cherubim und Seraphim; sondern stehe hoch über denselben; denn diese sind Gotte» bloße Diener, wir aber sind Gottes Koadjutoren . . . Dem Gott unserer Altäre gegenüber erfülle ich drei erhabene Functionen; er wird von mir herniedergerufen, dem Menschen verabreicht und gehütet . . . Jesu» weilt unter Eurem Verschluß . . . Ihr öffnet und schließt seine Audienzstunden; ohne Eure Er- laubniß darf er sich nicht rühren, kann weder ohne Eure Mitwirkung segnen, noch anders als durch Eure Hände Gnaden verleihen; und so unendlich lieb ist ibm diese seine Abhängigkeit, baß er seit 1800 Jahren keinen Augenblick sich von der Kirche hat in die Glorie seine» Vaters flüchten wollen . . . Mag auch die Mutter Gotte- mehr al» Ihr gelten; an Macht steht sie Euch doch nach. Gnaden kann sie wohl verleihen, hat aber niemals auch nur eine Absolution er- theilen dürfen. Seht Euch diesen 25jährigen jungen Mann an, der bald durch das Heiligthum schreiten wird, Sünder, die seiner warten, aufzusuchen. Er ist der Gott dieser Erde, die er reinigt . . .**). Au» dem hochinteressanten Buch könnte ich noch viele charakteristische Citate anführen; Proben, wie deS geistlichen Hochmut Hs Wahnsinnes, so auch der faden Jesuiten ziererei, die seit 300 Jahren sich stets gleich geblieben ist, liefert eS die Menge. Doch genüge e», auf das Werk die Gegner der vatikanischen Kirche aufmerksam gemacht zu haben. Der schönen Enchklika zu Canisiu»' Ehren steht eS gewiß würdig zur Seite. Wagt es noch ein Vatikaner, von der christlichen Demuth seines Klerus zu reden, so halte man ihm die obigen Stellen des k. Caussette entgegen, wonach Gott von der Kirche confiScirt, sequestirt und geknechtet ist, der Priester aber zum Coll eg en de» Schöpfer» erklärt wird, dem er bald kameradschaftlich auf die Schulter klopfen dürfte. *) I,a Llavrvre <lu prStrs p»r le Rä. k>. Oaussetts, nnoien vieairv ^SoSrals äe Toulouse. Zwei Bände von zusammen 1125 Seiten. Paris. **) Erster Band, passim, in den Seiten 28—57. Und man wende nicht »in, die gotteslästerlichen Sätze seien individuelle Verirrungen eines Schriftstellers. DaS Buck ist 1879 mit dem Imprimatur des Cardinal- Erzbisckoss Tesprez versehen und seitdem sieben Mal mit dem selben Imprimatur neu aufgelegt worden. Wa» es enthält, ist also „reine" Lehre, die ^ur „Erbauung" von ungezählten Klerikern verbreitet wird. So diene es denn auch denen zur Erbauung, wenn auch in anderem Sinne, welche in der Be kämpfung der vatikanischen Lehren und Ansprüche ihre Ge- wissenSpflicht und Lebensaufgabe erblicken. In Deutschland hätte eS nie erscheinen können; schon auS Scheu vor dem protestantischen Entrüstungsschrei. Daß in Frankreich der Iesuito-PapismuS keine solchen Rücksichten nimmt, wollen wir als Glück preisen und von drüben uns Aufklärung holen über die Ziele, die er, wenn auch unein- gestanden, auch bei uns verfolgt. I. Roland io den „Münch. N. N." Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. August. Deutschland ist Heil widerfahren. Ter „Allgemeine KrielwnSrongretz" Hal sich auf feinem Gebiete, das er lange geflissentlich gemieden, zusammengesunden. An der Peripherie zwar, in Hamburg, aber doch auf deutschem Gebiele. Wir sind natürlich gerührt. Aber nicht gewonnen. Denn dem Hamburger Congreß ist in Brüssel die „interparlamentarische Friedrnsconferenz" vorangegangen, auf der die französischen „Delegirten" wleder mit der bekannten elsaß-lothringischen Reservation hervortreten konnten, ohne zurechtgewiesen zu werden. ES war von „SchiedSverträgen" zwischen den einzelnen Staaten die Rede, und eS wurde darüber auch etwas „beschlossen". Aber die Franzosen behielten sich vor, daß die SchiedSverträge nicht alle künftigen Streitigkeiten umfassen sollten, sondern nur Streitigkeiten von Fall zu Fall. Für Fälle, die auf historischen „Ereignissen" beruhen, sollten die Sckiedsverträge und Schiedsgerichte keine Anwendung finden. Mit anderen Worten: Wir machen den FriedenSrummel mit, aber den Revanchekrieg lassen wir uns von Niemand verwehren als von — der deutschen Armee. Diese Armee, wie auch die Heere der anderen zuverlässigen Staaten, ist mithin auch nach einem auf dem Friedenöcongreß abgelegten Zeugniß die sicherste Garantie deS Friedens. Die Brüsseler Bileamsrede eines französischen TheilnehmerS — es war der Senator Heros de Saity — ist das einzig Bemerkenswerthe von dem dies jährigen Friedenskränzchen. Im klebrigen war, wie herkömm lich, Alle» Farce: der überflüssige Beschluß gegen das Duell, der — vertagte — Antrag über die Einführung einer Welt sprache und der — ebenfalls vertagte — Antrag über die Umwandlung der zerstörenden Armeen in producirende. Bezeichnend für das Schwindelhafte der Veranstaltungen war die Zusammensetzung der deutschen „Delegation" auf dem „interparlamentarischen" Congreß zu Brüssel. Wie der Name besagt, soll dieser Congreß eine Versammlung von Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften sein. Au- Deutschland aber waren, wie e» in den Berichten hieß, erschienen „die Reichstagsabgeordneten" vr. Hirsch und Wete- kamp. Nun ist Herr Wetekamp niemals ReichslagSabgeordneter gewesen, er gehört dem preußischen Landtag an, der im gegebenen Falle nicht einen Groschen zu Kriegszwecken ver weigern könnte. Und Herr Hirsch war einmal Reichtags abgeordneter. Das ist bekanntlich kein cduracter iuäelebilis, wie der de» römisch-katholischen Geistlichen. Es ist ein Fort schritt, daß selbst unsere freisinnigen NeichStagsabgeordneten sich diesen einerseits lächerlichen, andererseits ans demokratische Dupirung de- deutschen PublicumS berechneten Conventikeln fernhalten. Auch in Hamburg ist keiner gewesen. Den Vorsitz führte dort ein Herr Richter auS Pforzheim, der nur durch seine vergeblichen Bemühungen, in den badischen Landtag zu kommen, bekannt geworden ist. Dieser Staatsmann wetterte, wie auch noch die betriebsame Frau von Suttner, gegen den „Militarismus", während andere Redner ehrlich genug waren, wenigstens indirect anzuerkennen, daß die stärksten Armeen die besten Bürgschaften des Friedens böten. Einer meinte sogar, der Friedenscongreß könnte den deutschen Kaiser und den Zaren Nicolaus ganz gut zu Ehrenmitgliedern des Congresseö ernennen. Das war natürlich nicht nach dem Geschmack der, wie noch nachzutragen, sehr kleinen und überwiegend aus Damen bestehenden Versammlung. Es spielte denn auch die Frauensrage in die Unterhaltung hinein. Das ist begreiflich. Der oberflächlichen Betrachtung dieserFrage, wie sie Frau Lina Morgenstern, die sich natürlich auch hier hören ließ, allseitig nachgerühmt wird, muß die Erhaltung des Wehr wesens mit den modernen Frauenbestrebungen unvereinbar erscheinen. Die Frau soll Alles werden können, Amazonen regimenter sind ausgeschlossen, ergo „die Waffen nieder". Da Liese Damen und Herren in Deutschland keine Clientel finden — wir haben wenig Friedensvereine und diese wenig Mitglieder —, so braucht man sich bei ihren Demonstrationen nicht aufzuhalten. Bedauerlich bleibt es aber immerhin, daß sich auch bei uns Leute finden, denen die heilige Sache des Friedens nicht zu hoch steht, um aus ihr ein Speculations- object der Eitelkeit, wenn nicht von Schlimmerem, zu machen. Berliner Anarchistenblätter — es erscheinen dort nicht weniger als drei — haben an die Ermordung Canovas' Be trachtungen geknüpft, die, wenn die Umsturzvorlage der Regie rung vom Jahre 1894 Gesetzeskraft erlangt hätte, oder wenn das Socialistengesetz erhalten geblieben wäre, ohne Zweifel die Beschlagnahme der Zeitungen und die Bestrafung ihrer Redacteure nach sich gezogen hätten. Zur Zeit ist „nichts zu machen". Wer diese ungenügende Ausrüstung des Staates zum Gegenstand von Vorwürfen machen will, der mag es immerhin thun — nur muß er sich an die richtige Adresse wenden, im ersteren Falle an das Centrum, im anderen an die Jtn-en des neuen Curses, die schon vor der Entlassung des Fürsten Bismarck wirksam gewesen sind. Wer aber angesichts der anarchistischen Preßbetzereien tadelnd an die Ablehnung der preußischen Bereinsgesetznovelle erinnert, der muß sich schon gefallen lassen, Laß man seine Redlichkeit oder die normale Ver fassung seines Geisteszustandes in Zweifel zieht. DaS be stehende preußische Vereinsgesetz, es mußte das der Stumm'- schen Presse schon einmal gesagt werden, bietet hinlängliche Handhaben, Versammlungen, in denen der Umsturz ge predigt wird, vom Morde nicht zu reden, aufzulösen. Die Vorlage der Regierung und die Anträge der Freiconservativen enthielten aber nichts über die Presse, konnten es auch nickt, da diese ter reichsgesetzlickcn Regelung unterliegt. Die durch den Druck betriebene Aufreizung ist aber unvergleichlich ge fährlicher, als die Agitation in Versammlungen, und der stärkste materielle Grund, der gegen die Vereinsgesetznovelle angeführt wurde, war der, daß sie Mücken seihen und Kameele verschlucken wollte. Man muß denn auch anerkennen, daß außer der „Post", die im Auftrag des Herrn v. Stumm handelt, und einigen ganz gedankenlosen Preßorganen Nie mand mehr die Beseitigung dieser Vorlage beklagt. Nachdem in Belgien die liberalen Parteien vor acht Wochen eine Kundgebung in den Straßen Brüssels gegen die Politik der Regierung in der Mi litairfrage ver anstaltet hatten, folgte ihnen am Sonntag darin die socialistische Partei nach, die an jener tbeilzunehmen sich geweigert hatte, weil sie erstens die zugleich positive Bedeutung der liberalen Kundgebung zu Gunsten der persönlichen Dienstpflicht im stehenden Heere nicht unter schreiben und zweitens aus Gründen der Parteitaktik nnd Propaganda eine eigene Kraftprobe für sich leisten wollte. Ihr Ideal ist bekanntlich die bewaffnete Nation, die jedem Manne das eigene Gewehr neben den häuslichen Bettpfosten stellt, ein Ideal, da» ja auch vortrefflich in ihre Pläne Paßt, für den augenblicklichen belgischen Rechts staat aber schon dem Selbstmord gleichkäme. Die socialistischen Führer haben ihr Militairprogramm oft und laut genug in Wort und Schrift kundgegeben, als daß es dafür noch dieser Straßenkundgebung bedurft hätte. Worauf es also ankam, war, wieder einmal die Massen in Bewegung zu setzen und Heerschau abzuhalten, eine Kraftprobe und eins jener Zug mittel in Scene zu setzen, die eine Besonderheit des politischen Lebens in Belgien nach englischem und auch nach klerikalem Muster bilden. Ter Werth und die Bedeutung der socialistischen Straßenkundgebunz, an welcher an 20,000 Personen beiderlei Geschlechts auS allen Provinzen thcilnahmen, läßt sich dahin zusammenfassen: die Socialdemokratie verfügt in Belgien über eine disciptinirte Kraft, die angesichts der mangelhaften und unzuverlässigen Wehrkraft des Heeres und der Bürger wehr bereits jetzt eine stehende Gefahr für die Ruhe und Ordnung im Lande bildet; sie dringt ferner, das bewies die starke Betheiligung der Männer und Frauen aus den flan drischen Landestheilen, mit Riesenschritten in diese Gebiete, das letzte Bollwerk des innern Friedens, vor. Hier wird der Entschcivungskampf um das Geschick Belgiens zwischen der Socialdemokratie und dem Klerikalismus gekämpft. Als der Zug der Socialisten den Boulevard du Nord entlang zog, bewegte sich in der gleichlaufenden „Rue Neuve" wenige Schritte von ihm in entgegengesetzter Richtung die katholische Marien- procession Ladin. Ihr Weihrauchduft drang bis in die Reihen der rothen Genossen, aber die Arbeiter-Marseillaise über tönte die Gebete und Lieder der Processionsgänger und zwang diese zu Umwegen. Eine Ironie des Zufalls, aber eine be zeichnende, der der Gang der Dinge dabinten in den Städten und Dörfern Flanderns ganz genau entspricht. Wenn auch der Emir von Afghanistan durch den Erlaß seines FirmanS die Begünstigung der Aufständischen an der britisck-indiscken Grenze officiell abgeleugnet hat, so zweifelt doch Niemand an seinen eigentlichen Absichten, und die Gefahr eines afghanisch-englischen Krieges liegt auch jetzt noch vor. Befindet sich nun Afghanistan in der Lage, den Kampf mit dem mächtigen Nackbar im Süden und Südosten aufzunebmen? Nack „The StateSman'S Jear-Book für 1897" bat der gegenwärtige Emir sehr viel für die Vervoll kommnung und Organisirung der Streitkräfte Afghanistans getban. Die Stärke der afghanischen Armee im Kriegsfälle wirb auf 50 000 Mann angegeben, wobei aber wohl nur die regulären Truppen und ihre Reserven gemeint sind, da die Ziffer von 50 000 Bewaffneten bei einem kriegerischen Volke von mehr als sechs Millionen Einwohnern doch wohl viel zu niedrig wäre. Nack demselben Bucke verfügte Eng land in Indien im Jahre 1896 über erstens eine britische Armee mit 3500 Ossicieren und 66 OA) Mann, sowie zweilens über eine Eingeborenenarmee mit 1500 englischen, 2500 eingeborenen, zusammen also 4000 Officieren und 145 000 Mann. Zusammen verfügt somit England über rund 220 000 Officiere und Mannschaften. Danach ist also Eng land auf den ersten Blick den Afghanen bei Weitem über legen, da zu der vierfachen Uebermackt der Truppen noch die bessere Bewaffnung und die bessere Ausbildung kommt. Auf der andern Seite aber werden diese Vortheile doch durch mancherlei Nachtbeile herabgemindert, wenn nicht gar aufgehoben. Was nun zunächst die der britischen Armee doppelt überlegene Eingeborenen- Armee anbetrifft, so fällt die sehr geringe Zabl europäischer Officiere auf, denn eS kommt nur ausf je 100 Mann, also etwa auf eine Compagnie, ein britischer Officier. Fallen in einem langwierigen Kriege die englischen Officiere der Eingeborenenarmee zum großen Theile, so wird die ohnehin schon große Gefahr, daß die eingeborenen Truppen meutern und zum Feinde übergehen, noch vergrößert. Dazu kommt die ungeheure Verbreitung schlimmer, ansteckender Krankheiten in der indischen Armee. Wenn, wie feftgestcllt wurde, von einer Armee von 70 000 Mann 38 000 im Laufe Fenilletom „Harmonier«". I8f Roman vo« A. Fischer-Löher. «llr Nicht« »orbrhaltiN. Einundzwanzigste» Capitel. Schloß Ebersteiu hüllte sich wieder in Trauer. Mit dem Ableben der junge« Fürstin Schwarzenbura war selbst über Graf und Gräfin Eberstein eine große Muthlostg- keit gekommen, und der Fürst war wie gebrochen. Er sah hohläugig und finster au», wie «in Mensch, der eine erdrückende Last mit sich herumschleppt. Selbst der An blick seine- kleinen Töchterchen», dessen Dasein er mit innigem Segen-Wunsche begrüßt hatte, vöthiate ihm kein Lächeln ab. Die» Dasein schien uur eine Frage der Zeit zu sein. Das schwächliche Kind, da» auf den Namen der Mutter ge tauft war, ließ trotz aller sorgsamen Pfleg« die Angst um sei» zarte» Leben nie ruhen. „Du arme» Ding, D,r fehlt die Mutterliebe", seufzte zu weilen die alte Gräfin, wenn sie in Verzweiflung gerirth über die anscheinende Nutzlosigkeit ihrer Pflege. Ihre Briefe an Renate variirtrn immer nur da- Thema über de» Kindes Wohl. Sie hätte gern di« Nichte zu Hilf« gerufen, aber Graf Lothar widersetzte sich dem auf« Ent schiedenste. Titu» und Renate mußten einander fern bleibe« in der Zeit der Trauer um die Todte. Der Winter war brreingebrochen, ohne daß sich im Schlosse die Stimmung ändert«. Da« Zusammealedrn mit dem Fürsten übertrug sein düstere« Wesen auf alle Hau«ge«ossea. Beim Diner war ma« wortkarg, und selbst di« Gäste, die nach und nach wieder empfangen wurden, fühlten den Druck, besonder« wenn Titu» zugegen war, wa« Graf Eberstein zuweilen durch ein Machtwort veranlaßte. Leider war auch diese» Mittel vergebens. In den Gram de« Fürsten mischte sich ein verzehrende» Schuldbewußtsein und ließ ihn zu keiner Ruhe kommen. Jener Moment in seinem Zimmer, al» er JanoS Feilath'S Brief gelesen und während seiner treulosen Gedanken Clarissa der erste Frost anfall gepackt hatte, stellte sich gespensterhaft vor jede Regung, d,e nach einem Ausgleiche trachtete. Die Tobten sind immer schuldlos gegenüber den Ueber- lebrndrn, ihre Bertheidigung hat die Ewigkeit übernommen. Der Fürst verlor sein gesunde» Aussehen. Er wurde schlaff und mager. Dazu kam, daß er jede Thätigkeit unerträglich fand. Er war zu stolz, um Komodi«. zu spielen. Seine Liebe hatte er nicht verloren, nur seine innere Ruhe, und das würde man nickt bemitleiden. — Liebe war in sich Harmonie und seit dem er verheirathet war, hatte er erst leise und in großen Pausen, daun immer öfter und anhaltender schrille Dis harmonien in sich empfunden, bi» alle Harmonie erstickt war. Er hoffte in Schwarzenburg Ruhe ru finden. Da» gräfliche Ehepaar versuchte nicht, ihn zurückzubalten. Der Wechsel de» Aufenthalt« trug immerhin die Aussicht in sich, daß andere Umgebung auch andere Eindrücke geben würde. Allerdings durfte von einer Uebersiedelung de« Kinde« nicht die Rede sein. Der Fürst hatte auch gar nicht daran gedacht. E« war an einem frostklarrn Tage, al« Graf Lothar den Fürsten rum Abschiede zur Bahn begleitete. Die beiden Männer saßen schweigend iw Schlitten. Im Walde hing der Rauhfrost an den Bäumen wie silberne Franzen, und über die weite, glitzernd« Scharefläche der Felder flogen die Dohle«. Da« Geläute de» Schlitt««» unterbrach hell da« Schweigen der Natur. Wie eine Mahnung, daß da« Leben auch dahinein noch harmonisch tönt, drang e« sich dem Fürsten wider Willen auf. Da sagte Graf Lothar: „Vergessen Sie nicht, Titu», daß ich Sie sehr vermissen und mich »ach Ihnen sehnen werde." „Ich bin es nicht Werth, Gras Eberstein." Der Graf schüttelte den Kopf. „Es giebt kaum einen Menschen, sofern er nur geistig etwas über daS gewöhnliche Niveau veranlagt ist, der nickt über begangene Tborheiten Schmerzen empfände, oft bis an sein Lebensende. Man kann sie nicht als einen Mißklang im Dasein bezeichnen. Sie fügen sich in die Triebe ein, die im strebenden Menschen wirksam sind, ibn über sich selbst hinauszuheben, und tragen mit bei, Schicksal und Willen in ihm in Einklang zu bringen. — Auch bedenken Sie, daß da» Nichtvergeffenkönnen etwas Krankhaftes an sich bat. Für den gesunden Menschen ist die Gesundheit der Reichthui», mit dem er Alle- bezahlen kann, wa» Leidenschaft ihn schuldig werden läßt." Der Fürst fand keine Antwort. Er drückte stumm de- Grasen Hand zum Abschied und versprach nur, ehe er in den Zug einstieg, im Frühling wieder zu kommen. Zu derselben Zeit, al« er Schloß Eberstein verließ, trat Renate ihre Rückreise an. Eine Telegramm de- Onkel« rief sie heim. „Zur Heimath!" jubelte e« in ihrem Herzen mit dem rhythmischen Klappern deS Blitzzuge«, der sie von Florenz nach Norddeutschlaad bracht». Sie schalt sich selbst auS wegen diese« Gefühl«, da» ihre Brust dehnte, wenn sie das Wort aussprach. Heimath und Zukunft sollten für sie ja ganz wo ander« lieaen, tief in Ungarn. Graf Feilath'S Werbung würde sie nicht länger von sich weisen können. Er gefiel ihr ja auch, und e« mußte wohl sein, um wieder zu einem Aufatbmen zu kommen. Leidenschaft sollte ja anstecken, und aus Graf Feilath sprach diese« Gefühl für sie. Ihre Augen, die durch da« CoupSfenster in die fliehende Ferne schweiften, wurden düster. Das Klopfen und Pochen in ihrer Brust war schirr un erträglich. Und so grenzenlos nutzlos! Um sich zu beschäftigen, nahm Renate an« ihrer Tasche den gestern von Eberslein empfangenen Brief und las ihn wieder durch. „Meine alte Liebe ist kein Lebensaustausch für ein schwaches junges Dasein wie das der kleinen Clarissa," schrieb ihr die Tante. „Die Amme ist brummig, unk die Kinderfrau, die mir als eine sehr erfahrene Frau empfohlen wurde, ist auch zu alt. Für die Kleine fehlt die Hauptsache, das Lächeln eines jungen Antlitzes. Bei alten Leuten gedeckt ein Kind nicht. Ta setzte ich nun meine letzte Hoffnung auf Dich." Renate steckte den Brief ein. Wie schneckenhaft der Zug durch die Ebene weiter kroch! Am Horizont verschwand nur langsam eine Kirchtlnirmspitzc. Die weiße Schncefläche dehnte sich endlos. An jeder Haltestelle des Zuges verglich sie ihre Taschenuhr mit der deS Bahnhofs. Sie batte in Dresden übernachten wollen. Aber es trieb sie vorwärts. Wenn sie gleich weiter reiste, konnte sie am nächsten Mittag in Eberstein sein. Sie telegraphirte an ihren Onkel und fuhr weiter. Je näher sie der Heimath kam, um so prickelnder wurde ihre Ungeduld. Wenn das flackernde Lebensflämmchcn des Kindes verlöschte, ehe sie eS anlächelte? Diese Frage machte ihr die Stirn feucht vor Angst. Endlich fuhr der Zug in die ihr wohlbekannte Halle ein. Sir stand am Fenster und überblickte die dort Harrenden. Sie entdeckte auch bald die Verwandten unter ihnen; sie waren tief in Pelze gehüllt und von der klaren Winter sonne umflossen. Sie erschienen ihr wie von einem Glorien- fckein umstrahlt. Willkommen, willkommen! Die Comtesse hatte eS nie für möglich gehalten, daß ein Heinikommen so schön sein könne! Am Nachmittage stand sie in ihrem kleinen Rococosalon. Sie hatte sich umgeklridet und ausgeruht und ließ nun die Fluth von Erinnerungen auf sich wirken, die in der alten Umgebung auf sie eindrana. In transparenter Klarheit zitterte der letzte TageSschimmer um die entlaubten Baumkronen deS Parke-, ein gleißendes, schattenlose«, kalte« Licht.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht