Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971002029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-02
- Monat1897-10
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
7218 Hiernach ist e» sicher, daß Delyanni« nicht wieder zur Macht zurückkehrt, und da- ist als rin Glück zu bezeichnen. Er war er, der das furchtbare Unglück über Griechenland Heraufbeschmoren hat und dann von der Bildfläche ver schwinden mußte, wenn der gänzliche Zusammenbruch verhütet werden sollte. Er spielte ein höchst frivoles Spiel und spielt eS auch heute noch, indem er die Dreistigkeit besitzt, für die kritische Lage, in die er daö Land gebracht hat, seinen Nachfolger verantwortlich zu machen, und jedem nicht Delyan- nistischen Eabinet den Krieg anzukündigen. Ihm kommt eS ledig lich darauf an, wieder das Heft in die Hand zu bekommen, ob auch dabei die Interessen des Landes in den Boden ge treten werden. Diesmal aber scheint er doch den Rückhalt in der ihm bisher ergebenen Majorität verloren zu haben, und so dürfte der neue Ministerpräsident ZaimiS doch noch zu einem Einverständniß mit der Kammer jim Sinne der An nahme der Friedensbedingungen gelangen. Ueber die gegenwärtige Stellung der Deutschen am Bos porus schreibt man der „N. Fr. Pr." aus Konstantinopel: Nächst dem gesteigerten Selbstbewußtsein der Türken hat für sie der letzte Krieg als dauernden Eindruck eine gewaltige Zuneigung für Deutschland gezeitigt. Ein klassische Scene ereignete sich jüngst im Zollamt von Galata. Ein deutscher Kaufmann, Vertreter einer Berliner Papierfabrik, sollte seine Muster verzollen lassen. Der Beamte schätzte sie ziemlich hoch ein, so daß der Reisende auSrief: „Der Zoll ist ja höher als der Berliner Fabrikpreis." Kaum hörte aber der Beamte daS Wort Berlin, als er entgegnete: „Sie sind Deutscher, das ist etwas Anderes" — und die Schätzung war sofort auf ein Minimum herabgesetzt. Seit dem letzten Vierteljahrhundert ist der Einfluß Deutschlands hier fühlbar gewachsen. Die deutschen Siege von 1870 bildeten den ersten Markstein für daS Erblühen dcö deutschen Ansehens im Orient; dann kam der Besuch Kaiser Wilhclm's im Jahre 1885, endlich die Haltung Deutschlands während der letzten orientalischen Wirren. Günstig war eS für ungetrübte deutsch-türkische Be ziehungen, daß Deutschland jetzt in der Türkei keine politischen Interessen zu vertreten batte, wie cs in den Zeilen der Fall >var, da der Große Friedrich seinem Vertreter am Goldenen Horn schreiben mußte: „Hetz' Er mir nur den Türken dem Russen auf den Hals und spar' Er keinen Thaler!" Heute pflegt Deutschland seine Freundschaft mit der Türkei nur zum Zwecke friedlicher Handelsverbindungen, zum Zwecke seiner Ausfuhr, sowie der Hebung und Ausbreitung seiner Colonien im Türkenreich zu Liebe. Dabei muß hervorgehoben werden, daß eben diese Colonien selbst. Dank der Initiative und Auf opferungsfähigkeit ihrer Mitglieder, der deutschen Diplomatie die Aufgabe wesentlich erleichtert haben. Ein Beispiel bietet die hiesige d e u t s ch e C o l o n i c, die eS fast ohne StaatS- hilfe zu großer Blüthe gebracht und ihren bisherigen Gütern in der türkischen Hauptstadt, dem Spital und der Teutonia, nunmehr ein neues dauerndes Monument, einen Sch ul Palast, hinzugefügt hat. Sie verdankt dieses neue Prachtgcbäude der Freigebigkeit eines ihrer Mitglieder, des Bau- ralheS Kapp, dem eben von seinem König, dem Württem berger, der Personaladel verliehen wurde. Kapp'S Erscheinen in Konstantinopel, von wo er die Erbauung der anatolischen Eisenbahnen leitete, war für die hiesige deutsche Colonie außerordentlich segensreich. Die „Teutonia", daS größte Vereinshaus der Deutschen, war niedergebrannt, die Colonie war ihres geselligen und geistigen Mit telpuncteS beraubt und Niemand wußte, woher die Mittel zu einem Neubau kommen sollten. Da erschien Kapp, und in kürzester Zeit war das Geld, zum allergrößten Theil von ihm selbst gespendet, auf gebracht und der prachtvolle Neubau fertig. Ebenso hat er die über 200 000 betragenden Kosten für den Bau einer neuen deutschen Schule bestritten. Deutsches Reich. * Berlin, 1. October. In den „Berl. N. N." lesen wir: „In Krotvschin scheinen anläßlich der jüngsten Anwesen heit des Fürsten Thurn und Taxis seltsame Dinge passirt zu sein. Abgesehen von einem Empfang, wie er sonst nur dem Landes Herrn gegenüber üblich zu sein pflegt — wir rechne» hierzu namentlich die Aufstellung des OfficiercorpS —, lesen wir in dem „Kroloschiner Anzeiger", daß bei dem „Hoffest" am 27. September von dem Fürsten und der Frau Fürstin von Tburn und Taxis „Frau Justizrath Kröckenberger und Frau Oberstlieutcnant Giesche jede mit einer Brosche,. Herr Bürgermeister Sponuagcl mit einer Busennadel, Herr Haupt mann Giersch mit Manscheltenknöpfen, Frl. Marie Köcken- bergcr mit einer Brosche, Frl. Füllkrug, Frl. Giesche und Frl. Sponnagel jede mit einem Armband beschenkt wurden." — Wir gönnen den beschenkten Damen ihre Schmucksachen von Herzen, auffälliger wären schon die Manschettenknöpfe für einen Hauptmann, namentlich wenn dies etwa der in Krotvschin stationirte königliche Gendarmerie-Hauptmann sein sollte. Wie sagte doch einst Fürst Bismarck ... „Mylord, Sie kennen die Deutschen nicht. Wenn sie das Geld dazu hätten, hielte sich jeder seinen König." — Der Iagdaufenthalt des Kaisers in Rominten dürfte sich, wie verlautet, bis zum 5. d. M. auSdehnen. Man nimmt an, daß der Kaiser am Dienstag Nachmittag zur Besichtigung der Schichau'schen Werft in Danzig eintreffen und Abends die Fahrt nach Hubert» Sstock fortsrtzea werde. — Dem Vernehmen der „Voss. Z." nach werden der Herzog und die Herzogin von Connauaht am 18. October der Enthüllung deö Kaiser-Friedrich-DenkmalS in Wiesbaden al» Vertreter der Königin Victoria beiwohnen. — Die Nachricht der Berliner „BolkSztg.", daß der Reichs kanzler in Baden-Baden wegen einer Uebertretuug der Sonntagsruhe von einem Schutzmann, der ihn nicht kannte, notirt worden sei, beruht auf einer Mystification. Es hieß iu der Mittheilung, der Kanzler habe am vorigen Sonntag in der Blumenbude einen Einkauf machen wollen, nachdem die gesetzlich sreigegebcne Stunde für den Verkauf bereits verflossen war, und sei dabei von einem Schutzmann betroffen worden. Wie man dem „Hannov. Cour." aus Baden-Baden schreibt, reducirt der wirkliche Sachverhalt sich darauf, daß der Reichskanzler am bezeichneten Tage Vormittags gegen 10 Uhr in der Bude erschien, um sich rin Tags vorher gekauftes Kistchen Trauben einhändigen zu lassen. Dir Anwesenheit und daS Dazwtschentreten eines Schutzmann- gehört der freien Erfindung des Berichterstatters an, aus den die Sonntagsruhe anscheinend ebenso wirkt, wie das rothe Tuch auf den Stier. — Der Colonialrath wird dem Vernehmen der „Post" zufolge voraussichtlich Ende dieses Monats, spätestens in den ersten Tagen des Novembers einberufen werden. — Die „N. A. Z." schreibt ofsiciöS: Die „Freisinnige Zeitung" vom 20. und 30. September beschäftigt sich mit Angaben, die die „Köln. Ztg." bezüglich der zu erwartenden Marinevorlage gemacht hatte. Indem wir unS füglich eine Prüfung der Angaben des rheinischen Blattes erlassen können, müssen wir immerhin der von der „Freisinnigen Zeitung" an dieselben geknüpften Behauptung entgegentreten, eö seien in der beabsichtigten Marincvorlage 224 Millionen mehr beansprucht, als in der von Admiral Hollmann während der vorigen Reichstagssession vorgelegten Nieder schrift angegeben worden. Als Beweis für ihre Behaup tung führt die „Freisinnige Zeitung" an, Admiral Hollmann hätte vom Jahre 1901—1905 keine neuen Schiffe in Bau nehmen wollen. Nun weiß doch Jeder, der sich einmal mit Marine und Marine-Etat beschäftigt und mit einiger Auf merksamkeit unsere Marineentwickelung in den letzten Jahren verfolgt bat, daß es für die Marineverwaltung, ähnlich wie für die Leitung irgend eines technischen Betriebs, unbedingte Pflicht ist, in jedem Jahr eine Reihe von neuen Schiffen in Bau zu nehmen. Wäre die Behauptung der „Freisinnigen Zeitung" richtig, so wäre der Marineverwaltung die Absicht zugemuthet, nur bis 1901 neue Schiffe in Bau zu nehmen, von 1901 bis 1905 aber kein neues Schiff mehr auf Stapel zu setzen. ES sind also hier offenbar Behauptungen aus gestellt, an deren Nichtigkeit die „Freisinnige Zeitung" selber nicht glauben kann." — Der Zusammentritt der Generalsynode der evan gelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens wird nach der „Kreuzztg." erst in der zweiten Hälfte des Novembers erfolgen. — Der kaiserliche Gesandte in Stockholm Graf Bray- Steinburg ist, wie gemeldet, zu anderweitiger dienstlicher Verwendung von seinem Posten abgerufen worden. Auö bayerischen Diensten trat Graf Bray in den NeichSdienst über, war 1875 Geschäftsträger in Stockholm und ging von dort nach Belgrad, wo er als kaiserlicher Gesandter bis zum Januar 1892 verblieb. Er vertauschte diese Stellung mit der des Frhrn. v.Waecker-Gotter in Lissabon, der nach Serbien ging. Im October 1894 wurde er von Lissabon abberufen und zum Gesandten in Stockholm ernannt; im April 1895 erhielt er als Wirklicher Geheime Rath das Prädicat „Excellenz". — Der LandwirthschaftSminister Frhr. v. Hammer» stein-Loxten vollendet am 2. October sein 70. Lebensjahr. Unter den activen Preußischen Staatsministern ist er nach dem Ministerpräsidenten Fürsten zu Hohenlohe der älteste; ihm folgt Finanzminister vr. v. Miquel, der am 21. Februar sein 70. Lebensjahr vollendet. — Infolge deS Todes des Geh. RathsPindter hört mit dem heutigen Tage die ihm gehörige „Charlottenburger Zeitung" zu er cheinen auf, da die Erben das Unternehmen nicht fortsetzen wollen. — Der nationalliberale Abg. Landgerichtsrath Groth schreibt der „Kiel. Ztg.", daß er an der Berathung iu Plön, in welcher die Candivatnr deS Herrn von Tungeln auf gestellt wurde, nicht Theil genommen, noch sonst in irgend einer Weise an der Aufstellung eines Candidaten für die bevorstehende Reichstagsersatzwahl im neunten schleswig- holsteinischen Neickistagswahlkreise sich betheiligt habe. — Auf dem Gebiete des Vereinsrechtes hat das Ober- VerwaltungSgericht, nach einer Mittheilung der „Deutschen J.-Z.", den folgenden wichtigen Grundsatz ausgesprochen: Gegen die Herbeiführung einer Verbindung politischer Vereine (welche bezwecken, politische Gegenstände in Ver sammlungen zu erörtern) kann die Polizeibehörde auch präventiv einschreiten. Diese Bcfugniß erleidet keinerlei Einschränkung durch die Bestimmung deS VereinSgesetzes, wo nach die Ortspolizeibehörde befugt ist, einen Verein vorläufig zu schließen, der den für politische Vereine erlassenen Vor schriften zuwiderhandelt. — Eine Protestversammluna jüdischer Ge meindewähler, einberufen vom Centralverein für die Interessen der jüdischen Gemeinden, hat laut der „Post" nach erregter Debatte folgende Resolution angenommen: „Die Versammlung erhebt entschiedenen Einspruch gegen die ge plante Einführung von Sonntags-Predigtgottes diensten, als gegen einen Verstoß wider Glaubenssatzung und Ueberlieferung. Sie verurtheilt die dahin zielende Agitation als den Versuch einer Verleitung zum Abfall vom Glauben der Väter." — ES erscheinen jetzt an socialdemokratischen Blättern täglich 40, wöchentlich dreimal 15, wöchentlich zweimal 9, wöchentlich einmal 5, einmal monatlich 1. Von den GewerkschastSblättern erscheinen wöchentlich dreimal 1, zweimal 1, einmal 26; monatlich dreimal 1, einmal 3, aller 14 Tage 22 Blätter. — Generalfeldinarschall Graf Blumenthal sagte sein Er scheinen bei der Enthüllung deS Denkmal- für Kaiser Friedrich zu. — Der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen ist aus Karlsbad in Berlin riiiaetroffcn. * Stettin, 30. September. Die Verhandlung wegen Unterschlagung gegen den Pastor Rauh in Kladow hatte noch ein Nachspiel. Gegen den Superintendenten G e h r k e zu Greifenhagen wurde die Untersuchung wegen Meineids eingeleitct. Es wurde ihm zur Last gelegt, daß er bei seinen Aussagen in dem Nauh'schen Processe nicht bei der Wahrheit geblieben sei. Gehrke wurde auch auf Beschluß des ConsistoriumS der Provinz Pommern vom Amt sus- pendirt. Jetzt ist von der Staatsanwaltschaft die Sache niedergeschlagen und dem Consistorium die Anzeige ge macht worden, daß kein Anlaß zum gerichtlichen Einschreiten gegen Gehrke vorlicge. * Brandenburg a. H., 30. September. Wie alljährlich am Michaelistage versammelten sich gestern Morgen die Domherren des Capitels, um über die Angelegenheiten des Capitels zu be- rathe» und zugleich den für den verstorbenen Domherrn General der Cavallcrie von Albedyll neurrnannten Domherrn, früheren Reichskanzler Graf von Caprivi, als solchen einzusühre». * Tcssan, 30. September. Der Regierungspräsident und erste vortragende Rath im Staatsministerium I)r. Walther ist, wie wir der „N. Pr. Z." entnehmen, unter Verleihung des Prädicats „Excellenz" in den Ruhestand versetzt und der Vorsitzende der Finanzdirection Geh. Negierungsrath Brunn zum ersten Vortragenden Rath im Staatsministerium mit dem Titel „Geheimer Ober-Regierungsrath" ernannt worden. * Erfurt, 30. September. Die zur Sitzung versammelten Mitglieder des evangelischen Ministeriums zu Erfurt haben auf einstimmigen Beschluß folgendes Telegramm an den Präsidenten deS evangelischen OberkirchenrathsO. vr. Bark hausen gesandt: „Unter dem Eindrücke des gewaltigen evangelischen Glaubens zeugnisses, welches Euer Excellenz auf der 50. Hauptversammlung des Gustav-Adols-Vereins abgelegt haben, fühlen wir uns gedrungen, Eurer Excellenz unseren tiefgefühlten, begeisterten Dank auszu sprechen. Evangelisches Ministerium zu Erfurt, gez. I). Bärwinke l." n. Weimar, 1. October. AuS den allgemeinen Wahlen zum weim arisch en Landtage sind folgende Abgeordnete hervorgegangen (die Abgeordneten, welche bereits dem ver flossenen Landtag angehörteu, sind gesperrt gedruckt): Stadlrath Meyer-Weimar; Bürgermeister Ja cob-Rödigsdorf; Bürgermeister Elli nger-Nöda; Bürgermeister Ziehn»Nieder zimmern; BürgermeisterEckardt-Jlmenau; Bürgermeister Hünger- Magdala; Bürgermeister Dorubluth-Jena; Mühlenbesitzer Knüpfer-Dorndorf; Restaurateur Baudert-Apolda; Bürger meister Gröschler-Sulza; Gutsbesitzer Rcichmuth-Olbersleben; Bürger meister Hossmann-Hegendors; Buchdruckereibesitzer Kühuer-Estenach; Forstcommissar a. D. Casselmann-Eisenach; Landwirth Beyer- Unlersuhl; vr. Kiel-Geisa; Bürgermeister Simon-Tiefenort; Bürgermeister Streng-Ostheim; Rechtsanwalt Schönemann- Jena; Bezirksdirector Stichling-Neustadt a. O.; Bezirksdirector vr. Eucken-Eisenach; Bürgermeister Kolbe-Auma. * Köln, 30. September. Die vielbesprochene Angelegen heit der Verhaftung einer unbescholtenen Dame scheint in ein neues Stadium zu treten. Bekanntlich hat sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Oberstaats anwaltschaft die Eröffnung des Verfahrens gegen den Schutz mann Kieser abgelehnt. Der eigentliche Tharbestand stellt sich nach der „Frkf. Z." jetzt folgendermaßen heraus. Die Polizei fahndete aus eine Dirne NainenS Faßbender. Fräulein Faßbinder ging an dem verhängnißvollen Tage zufällig auf der Straße eine Zeit lang neben einer Dirne. Als nun Kiefer sie nach ihrem Namen fragte, glaubte er die Faß bender vor sich zu haben und schritt zur Verhaftung. Da dieser Jrrthum als entschuldbar angesehen wird, ist die An klage wegen ungesetzlicher Verhaftung fallen gelassen worden. Wegen der Nichtfreilassung trotz der Legitimirung der jungen Dame ist der Schutzmann disciplinarisch bestraft worden. ES bleibt nur noch seine Verfolgung wegen sahrläfsiger Körperverletzung übrig, da er sein Opfer so gezerrt hat, daß blaue Flecke und Aehnliches davon zurückblieben. Das OberlandeSgericht hat nun verfügt, daß eine neue Unter suchung eingeleitet wird, in der die Zeugen vernommen werden sollen. * Nürnberg, 30. September. In einer socialdemo kratischen Versammlung zur Erörterung des Streikes der englischen Maschinenbauer trat der Referent, Arbeitersecretair Segitz, dafür ein, daß die deutschen Arbeiter ihre Beiträge zu organisatorischen Zwecken namhaft erhöhen müßten, wenn sie etwa« erreichen wolltea. Die Solidarität mit der streikenden englischen Arbeiterschaft müsse aufrecht erhalten werden, indem man den Zuzug deutscher Arbeiter nach England fern halte und, selbst aus die Gefahr ernster Conflicte hin, die Uebernahme englischer Arbeit in Deutsch land verweigere. -Karlsruhe, 30. September. Die hiesigen Eonser- vativen wollen am 9. Oktober in einer eigens einberufenen Versammlung zu den Karlsruher Landtagswahlen Stellung nehmen. * Offenburg, 30. September. Die mehrfach wiederholten Ver suche, den Landiagsabgrordneten O»k. Muser zur Wtederannahme des Mandats sür Offenburg - Stadt zu bewegen, sind erfolglos geblieben. * Aus Lothringen, 30. September. Drei Saarburger, dem Militairverband noch angehörigen Unterzeichnern der Bvurillon-Velo-Adresse wurde von militairischer Seite aufgegeben, den Velo wegen Beleidigung gerichtlich zu be langen. Rechtsanwalt Schiffele aus Zabern wird gegen die Redaktion des „Velo" Klage erheben. (Frkf. Z.) * München, 30. September. In der durch die Umstände gebotenen stillen Weise wurde heute das Namen-fest de» Königs Otto durch eine kirchliche Feier begangen. Nur die Fahnen, welche von den Thürmen, den königl. und städtischen Gebäuden, von den Gesandtschaften und Consulaten, sowie von vielen Privathäusern wehten, waren die äußeren Zeichen deS Tages. — Ueber das Befinden deS Königs erfahren die „Münch. N. N." von authentischer Seite, daß sich in dem beklagenSwerthen, apathischen Zustande des Monarchen nicht die geringste Äenderung ergeben hat. DaS körperliche Befinden des Königs ist dagegen verhältnißmäßig gut. Der Prinz-Regent läßt sich wöchentlich eingehenden Bericht über daS Befinden seines königl. Neffen erstatten. Oesterreich-Ungarn. Finanj-Exposs. * Wien, 1. October. Abgeordnetenhaus. Der Finanz minister vr. v. Bilinski legt in seinem Finanz-ExposS die einzelnen Poste» des Staatsvoranschlages eingehend dar. Er stellt zunächst mit Befriedigung fest, daß die Tilgungsrente bei ihrer Begebung einen bis dahin nie erreichten Cours erhielt (Beifall rechts), wobei der Minister großes Gewicht auf die Thatsache legt, daß, obwohl bei der ersten Begebung der Tilgungsrente nur auf den inländischen Markt reflectirt wurde, dennoch Deutsch land, Frankreich und auch Schweden große Posten bezogen hatten, was einen Beweis dafür liefere, wie die Creditfähigkeit Oesterreichs gestiegen sei; auch im Jnlande habe sich die Jnvestitionsrente voll ständig cingclebt. Der Redner führt sodann aus, daß der Ueber- schuß von rund 3900 000 Gulden, mit dem der Voranschlag ab schließe, durch die gemeinsamen Auslagen eine wahrscheinliche Ver kürzung aus 900 000 erfahren würde. Ein großer Ueber schuß im lausenden Jahre sei nicht zu erwarten, da die Hochwasser- schaden die Steuercingänge herabdrückten. Das Jahr 1898 dürfte ein kritisches Finanzjahr werden, weil sichere alte Ein nahmen fortfielen und an deren Stelle unsichere neue träten. Nur mit Mühe und durch die Einstellung des Restes deS Kaufschilliugs für die Südbahn im Betrage von 1800 000 in den Einnahmeetat habe er (der Finauzminister) eine Bedeckung für alle Ausgaben ge- fundeu. Vollständig unmöglich sei jedoch, daß die vom Hause und von der Regierung angestrebte Reyulirung der Beamtengehälter und Unterstützung der Landesfinanzen ohne neue Einnahme quellen erreicht werden. Dies würde kein Finanzminister auf sein Gewissen nehmen können. Für die Durchführung dieser und noch anderer Staatszwecke, deren Gesammtbedarf auf 40000000 Gulden berechnet wurde, sei die Bedeckung durch eine im Einverständniß finit Ungarn vorzunehmende Erhöhung der Branntwein-, Bier- und Zucker st euer ge- plant gewesen, was aber leider jetzt nicht realisirbar sei. Andererseits sei die Regulirung der Beamtengehälter, welche 18 500 000 Gulden erfordere, dringend nothwendig. Deshalb werde die Regierung die Einführung einer Zuckerverschleiß- sleuer mit einem Ertrage von 14 bis 15 Millionen und eine Transportsteuer vorschlagen. Es liege in der Hand des Hauses, ob und wann das Bcamtengesrtz in Kraft treten solle; die Regierung wolle zur Einlösung dieser moralischen Verpflichtung gern behilflich sein. (Beifall) WaS die Steuerreform betreffe, so könne er er klären, daß dieselbe in vollem Zuge sei, und eS stehe zu hoffen, daß das große Werk zum Wohle Oesterreichs gelinge. Tas Ergebniß der im November in Kraft tretenden Börsensteuer sei schwer vorher zu bestimmen. Tie Börse sei jetzt zwar etwas günstiger gestimmt, allein die an die Steuer geknüpften Erwartungen dürften wohl nicht eintreten. (Hört! Hört!) Der Redner weist hieraus auf die außerordentlich humane und milde Hand habung der Steucrpraxis hin. 1896 seien 9'/, Millionen Gulden an Steuern abgeichrieben und gegen 2 Millionen Executionsgebühren nachgelassen worden. Ter Minister schildert sodann die Vor kehrungen jocialpolitischer Natur in den dem Finanz. Ministerium unterstehenden Betrieben. Speciell für die Salinen arbeiter iu Ebensee sei die Herstellung von Arbeiterwohnungen binnen 11 Jahren im Zuge. Des Weiteren kündigt der Redner eine Reihe von Gesetzvorlagen an, darunter ein Jmmobiliengcjetz zur Entlastung des bäuerlichen und deS kleinen städtischen Grund besitzes, ferner ein Gefällstrafgesetz und eine Zollordnung nach modernen Principien; in Betreff der letzteren seien Verhandlungen mit Ungarn in der Schwebe. Der Minister schließt alsdann mit den Worten: In der Haud des Hauses wird es nun liegen, sich den Anträgen der Regierung anzuschließrn und so dem Staate die budgetäre Elasticität wiederzugewinnen, dem Beamtenstande und der Landwirthjchaft entgegeuzukommen, die Landesfinanzen zu den Hinterkopf stülpte und ohne Gruß und ohne jedes Wort davonging. Auf der Straße angelangt, blieb er aber doch noch einen Augenblick unschlüssig stehen und schaute erst nachdenklich aus seine zerrissenen Stiefeln, dann auf den schmutzigen, mit Wasserpfützen bestandenen Weg. „Adolf", murmelte er leise vor sich hin, „der Kerl war immer ein Esel, also möglich wäre es schon, daß er dem Alten sein gutes Geld schickt. Wo mag denn der Mensch jetzt stecken? Er ist doch gewiß schon an die zehn Jahre fort". Endlich schien er seinen Entschluß gefaßt zu haben und stapfte mit einer gewissen Todesverachtung die Straße ent lang, nach Heblingen zu. Er hätte sich den Weg vielleicht gerne erspart, aber die Hoffnung, von seinem Vater ein paar Groschen oder Thaler herauspressen zu können, ließ ihn über die Unannehmlichleiten des Weges und des Wetters, wie auch über seine defecten Stiefel hinwegsehen. Er hatte keinen Groschen mehr in der Tasche und das war ihm von allen unangenehmen Sachen die allerunangenehmste, be sonders des Sonnabends, wenn seine ehemaligen Eollegen und seine Kneipcumpane, wenn alle Welt Geld besaß, so weit man eben gearbeitet hatte. Er fand seinen Vater, als dieser eben im Begriff war, eine alte, verstaubte und verschmutzte Hobelbank, die er aus einem Schuppen gezogen, wieder zu reinigen, die Durchsteck eisen anzupassen und die Schraube, womit die Tischler die abzuhobelnden Gegenstände festzuschrauben Pflegen, zu probiren. „Leopold!" rief ihm der alte Mann überrascht entgegen. „Wo kommst denn Du daher? Schämst Du Dich nicht, am helllichten Tage schon wieder betrunken zu sein? Na, mit Dir wird's noch einmal ein schlimmes Ende nehmen, ich sehe das schon kommen " „Vater " „Der Henker sei Dein Vater! Du bist ein großer Taugenichts, der weiter nichts im Kopfe hat, als das Saufen. Ist es nicht eine Schande, wie es bei Dir zu Hause hergeht? Ich habe es wohl und oft genug gehört". Der junge Hartwig machte eine betrübte Armensünder miene und war überhaupt, seit er vor seinem Vater stand, von einer Duldsamkeit und Unterwürfigkeit, die ihm sonst durchaus nicht eigen war. Er schien es sich unterwegs wohl überlegt und einstudirt zu haben, wie er bei seinem Vater am besten reüssiren können. „Ich weiß cs wohl, Vater, daß ich unglücklich bin", greinte er, „meine Krankheit wird mich auch noch unter die Erde bringen " „Deine Krankheit? Der Suff willst Du wohl sagen. Diese Sorte von Krankheit kennen wir schon." „Das ist's za eben, Vater, was mich so elend macht. Alle Welt glaubt, ich trinke zu viel; aber ich will nicht gesund vor Dir stehen, wenn ich auch nur einen Tropfen getrunken habe. Ich weiß wohl, daß ich nichts vertragen kann und gehe daher jeder Gelegenheit zum Trinken aus dem Wege. Was kann ich dafür, wenn meine Nerven durch Kummer und Elend so herunter sind, daß es immer so aussieht, als wäre ich betrunken". „Jawohl, Nerven! Warum haben denn Andere nicht solche Nerven wie Du? Das sind ja ganz sonderbare Nerven! Betrunken bist Du, das sind Deine Nerven". „Vater ", winselte der junge Hartwig wieder. „Was willst Du denn nun eigentlich? Willst Du Geld? Da kommst Du schön bei mir an! Und wenn ich im Golde säße bis über die Ohren, von mir bekämst Du keinen Groschen! Geld ist Dein Unglück! Arbeite Du, dann weißt Du auch, was Geld ist. So wie Du jetzt bist, werfe ich das Geld lieber in den Dorfteich, als daß ich es Dir gebe. Dort stiftet es wenigstens keinen Schaden". „Vater, siehst Du nicht, wie mich das Fieber schüttelt". „Das Fieber? Du " „Den ganzen Morgen bin ich herumgelaufen nach Arbeit, sieh meine Stiefeln an. In dem Wetter! Nun kann ich nicht mehr. Und wenn ich morgen mit der Miethe im Rück stände bleibe, setzen sie mich mit Weib und Kind auf die Straße! O o " Dabei weinte und schluchzte der Gauner, daß ihm wirklich die Hellen Thränen über die Backen rannen und daß ihm selbst der Vater erstaunt ansah. „Du bist selber Schuld an Deiner erbärmlichen Lage", rief er ihm zu. „Ich weiß eS, Vater, ich weiß es", heulte der Sohn weiter, „ein zweiter verlorener Sohn". „Du prügelst in Deiner Trunkenheit Frau und Kinder", schrie der Vater wieder erbost. „Vater, was macht Elend, Kummer und Verzweiflung nicht Alles! Ich weiß, daß ich ein erbärmlicher Schwächling voller Fehler und Launen bin, aber so wahr ich lebe, es soll anders werden. So wahr ich vor Dir stehe, ich will mich bessern. Nur das eine Mal hilf mir noch aus meiner Noth — nur noch dies einzige Mal! Sonst gehe ich unter, sonst bin ich verloren und mit mir meine ganze Familie". „Wieviel brauchst Du denn?" fragte der Vater und sah ihn milder und nachdenklich an. War er denn nicht schließ lich doch sein Sohn? Seine Familie? Und machte er denn nicht von dem Gelde, das ihm sein Sohn Adolf so reichlich übersandt, einen schlechten Gebrauch, wenn er Alles für sich behielt und seine nächsten Angehörigen dabei in höchster Noth im Stiche ließ? „Fünfunddreißig Mark Miethe für den Monat Mai, Vater. Ach, nur das eine Mal, das einzige Mal hilf mir noch. Ich gebe Dir ganz bestimmt das Geld nächsten Monat wieder. Nächste Woche gehe ich in die Fabrik von Sommer und Söhne auf Arbeit. Ich will nicht ruhen, ehe Du Deine fünfunddreißig Mark wieder hast, nur hilf mir noch das eine Mal — das letzte Mal!" „Das hast Du immer schon gesagt, selbst wie Du meine letzten Groschen in die Kneipe getragen hast". „Aber diesmal ist es wahr. Nur dieses eine Mal noch!" „Na, ich will Dir 'was sagen, Leopold", sagte der Vater endlich und faßte den Sohn energisch am Arm, „einmal will ich cs noch thun, um Deiner Frau und Deiner Kinder willen, aber das ist das letztemal, das allerletztemal — verstehst Du? Du sollst die fllnfunddreißig Mark haben; aber dann ist es aus. Und wenn Du das nächstem«! Blut weinst — Du bekommst keinen rothen Pfennig wieder, wenn Du Dich nicht ernstlich besserst". „Vater, so wahr ich lebe —- —" „Halt das Maul und schwatze nicht. Thue Deine Pflicht und Schuldigkeit als Mann, als Vater und Sohn, das sage ich Dir, sonst gehst Du einem traurigen Ende entgegen." „Das Geld " „Na, Du sollst es gleich bekommen. Ich will eS holen und dann machst Du, daß Du wieder in die Stadt kommst, wo Du hingehörst. In Heblingen hast Du nichts zu suchen". Also die Sache ist doch richtig, dachte der junge Hartwig, der Alte hat Geld! Nun hätte er aber auch gerne wissen mögen, wo er es hat und wie viel es war. Denn das fühlte er nun wohl heraus, das nächste Mal würde er vor seinem Vater bis zum Anwurzeln knieen und betteln können, ohne auch nur irgend Etwas damit zu erreichen. Es würde also in einem anderen Falle nichts Anderes übrig bleiben, als eine mehr oder minder gewaltsame Anleihe, einen kleinen Einbruch in die alte, von seinem Vater bewohnte Baracke oder etwas Aehnliches zu versuchen. Jedenfalls aber wollte er hierzu schon jetzt die Gelegenheit auskundschaften. So gut er konnte, folgte er daher seinem Vater, der vom Hofe, wo sie diese Unterhaltung geführt, nach dem Wohnhause ging, auf dem Fuße. Aber sein Vater mochte einen ähnlichen Gedankengang haben, denn unter der Hausthür drehte er sich plötzlich um und sagte ruhig: „Bleib Du nur hier, ich werde das Geld herausbringen". Um nicht Alles aufs Spiel zu setzen, gehorchte der Sohn und der Alte ging allein ins Haus. Leopold suchte durch Fenster und Thllre zu spähen; es schien aber nicht, als wenn er irgend etwas Besonderes hätte entdecken können. Endlich kam der Vater mit einem Hundertmarkschein in der Hand zurück: „Ich habe es nicht einzeln", sagte er, „wir müssen den Schein wechseln lassen". „Gieb her, Vater", antwortete Leopold rasch, „gieb nur her, ich bringe Dir den Rest sofort zurück". Der Alte jedoch steckte den Schein rasch in die Tasche. „Du denkst wohl, ich bin dumm?" gab er ruhig und kurz zurück. Und Leopold wußte, woran er war. Dann gingen sie Beide zum Fleischer des Ortes, der als wohlhabender Mann natürlich im Stande war, den Schein zu wechseln. Herr Hartwig gab seinem Sohne die versprochenen fünfund dreißig Mark Miethe und außerdem noch viele und gut gemeinte Ermahnungen mit auf den Weg. „Also Hundert-Markscheine hat er", murmelte Leopold Hartwig vor sich hin, als er endlich wieder allein, mit seinen fllnfunddreißig Mark in der Tasche, der Stadt zutrollte. (Fortsetzung folgt.) *
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder