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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971104022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897110402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897110402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-04
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Größere «christen laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zisternsatz nach höherem Tarif. Extra Beilagen (gesalzt), nur mit de» Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderunj 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschluk für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Riorgen-Au-gabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 5K4. Donnerstag den 4. November 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. November. Daß in der bevorstehenden Session deS sächsichen Land tag- von socialdemokratischer Seite abermals ein Antrag ans Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrecht» ringe- bracht werden wird, unterließt wohl keinem Zweifel. Ta er absolut aussichtslos ist, so Ware es zwecklos, sich mit ihm zu beschäftigen, wenn nicht vorauSzuseben wäre, daß er von einigen bürgerlichen Doktrinären werde unterstützt werden. Diese möchten wir auf die Mittheilung Hinweisen, die ein Officier der „Tägl. Rundsch." über den Erfolg deS Versuches macht, über die Kenntnisse seiner Recruten in der vater ländischen Geschichte durch Stellung der Frage „WaS wissen Sie von BiSinarck?" einigen Ausschluß zu er halten. Er schrieb sich die erhaltenen Antworten sofort auf und berichtet nun: „Einer meiner Zöglinge wußte von Bismarck nichts weiter, als die unumstößliche Thatsache, daß er „ein alter Mann" sei, rin Anderer beschränkte seine Kenntniß von dem Schöpfer unserer Ein heit auf drn Titel „Fürst". Wieder Andere erklärten: „Bis marck ist todt", auf meine Frage „Wie lange?" meinten sie — es waren dies mehrere — einzeln „Schon seit Jahren". Gott gebe, daß er uns noch lange erhalten bleibe l Ein Anderer gab zur Antwort: „Er ist pensionirt", ferner hörte ich „Er lebt in Berlin", ja sogar „Er lebt in Paris". Bermuthlich glaubte dieser junge Krieger, die Franzosen hätten Bismarck für die Erfahrungen von 1870/71 rin Schloß in ihrer Hauptstadt eingeräumt. „Er war General bei die Kürassiere", lautete wörtlich eine Antwort, eine andere: „Er war General-Feldmarschall, hat 70 mitgemacht und war stets an der Seite von Kaiser Wilhelm". Einer der Recruten — seines Zeichens Colon ialwaar en Händler — erklärte ganz folge- richtig: „Er hat die afrikanischen Colonien gegründet" und ein zweiter Vertreter dieses Standes — man ersehe daraus, wie gebildete Recruten ich den Vorzug habe Heuer auszubilden l — erzählte: „Er hat gegen den Handelsvertrag mit Ruß land protestirt, dann ist der Zollkrieg mit Rußland ausgebrochen". Des Oesteren sand ich die Ansicht, daß BiSinarck lediglich Soldat sei und als General sich Verdienste erworben habe. So eine Art Chef des Generalslabes muß ein Rccrut in ihm vermuthen, der mir berichtete: „Er hat sich im Feldzug immer ausgesonnen, wie es sich am besten schicken könnte." Ein Anderer nennt ihn einen „tüchtigen Kriegshrld", etwas geringere An- erkennung zollt ihm dagegen der folgende Ausspruch: „Er hat den Feldzug mitgemacht und das Ehrenzeichen für gute Führung erworben", obschon die „gute Führung" nicht zu bezweifeln ist. In biblischer Tonart an Joseph in Egypten erinnerte mich die Antwort: „Er war einer der Größten am königlichen Hofe", während die weitere Entgegnung: „Der zweite Kopf bei König", bei aller grammatikalischen Schwäche um ihre- tiefsinnigen GehaltS willen überraschte. Ich bin über zeugt, der Mann, der dies sprach, hat Mund und Herz auf dem rechten Fleck. „Er war ein Mitbegründer des Drei bundes und hat den Krieg splan bearbeitet." Hier finden wir also auch diplomatische Talente anerkannt, wenn auch in Verbindung mit militairischen. Ein Recrut polnischer Abkunft erzählte mir: „Es war ein großer Fürst, aber zu den Polen war er nicht gut!" (Das hat er sicher von seinem Caplan gehört!) Als Reichstagspräsidenten denkt ihn sich ein Anderer: „Er war Reichskanzler und Vorsitzender im Reichstag", während ihn sein Nachbar lediglich für Preußen in Anspruch nimmt und ihn als „das Oberhaupt im Abgeordneten haus»" bezeichnet. Den Gipfel der Thorheit erreichte folgende Erwiderung: „Bismarck stammt von den Hohenzollern ab und ist am I. April geboren". Es waren im Ganzen sechsund sechzig Recruten, an die ich die Frage richten konnte. Von diesen wußten — und nun kommt nach dem Humoristischen das tief Traurige dieser Sache — zweiundzwanzig Mann (also genau ein Drittel) überhaupt nichts von Bismarck. Ich gab mir die größte Mühe, irgend eine Erinnerung in ihnen zu erwecken, es blieb erfolglos, sie erklärten mir, niemals in ihrem Leben etwas von diesem Mann gehört zu haben. Ein weiterer — der Dreiundzwanzigste also — gab zu, mal etwas von einem Bismarck gemußt zu haben, das habe er jedoch wieder vergessen. Wir übergehen die Schlüsse, die der Verfasser auö diesen Antworten auf den Volksschulunterricht zieht, und begnügen uns damit, darauf hinzuweisen, daß von den Befragten schwerlich ein einziger Socialdemokrat war. Diese hätten vielleicht, um sich nicht zu verrathen, ausweichende oder ganz farblose Antworten gegeben, so dumme aber gewiß nickt. Solche konnten nur Leute geben, die, nachdem sie aus der Schule entlassen waren, stumpf und glcichgiltig gegen alle die Nation bewegenven Ereignisse dahingelebl uno selbst an nationalen Festtagen ihre Aufmerksamkeit leviglich den materiellen Genüssen geschenkt haben. Welches Versländniß von solchen Leuten für politische Fragen überhaupt und für die Lebensbedingungcn eines Staates erwartet werden kann und was sie aus den Kämpfen, die politischen Wahlen vorausgeben, zur Erhöhung dieses Ver ständnisses herauszunehmen vermögen, liegt wohl auf der Hand. Welche Gründe dagegen sprechen, solchen Leuten ein ihnen im Reiche durch die Verfassung gewährtes Recht wieder zu nehmen, braucht nicht wiederholt zu werden. Was aber die Einzel st aalen veranlassen sollte, während des Kampfes, den sie gegen die von der Socialdemokratie „auf geklärten" Massen zu führen haben,als Wählerauch noch Elemente vom Schlagender oben charakterisieren Recruten heranzuziehen, wird wohl Jedem schleierhaft bleiben, der nicht bei der Ber ti funz in sein System das Slaatsinteresse völlig auS den Augen verloren hat. In Sachsen würde man wohl mit den Recruten etwas bessere Erfahrungen machen, als der Ge währsmann der „Tägl. Rundsch." sie in einer leider nicht genannten Garnison gemacht hat. Aber wenn die Jnstruc- toren der sächsischen Recruten ihre Erfahrungen mittbeilen wollten, so würde gewiß lehrreiches Material zu Tage kommen, daö bei einer Debatte über die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts sich verwenden ließe. In Baden haben die Ultrauiontancu bekanntlich bei den Landtagswahlen trotz der ihnen zu Theil gewordenen „wackeren" geistlichen Hilfe und trotz der ihnen von demo kratischer und socialbemokralischer Seite geleisteten Gegen dienste nicht einen Sitz gewonnen und lediglich den bürgerlichen und den „proletarischen" Umsturzparteien zu einem Zuwachs t an Mandaten verhvlfen. Trotzdem treten sie als Sieger au I den Plan, die ihre schon während ter Wabldewegung genau ! formulirten Forderungen der Regierung abzwingen zu können glauben. Diese Forderungen betreffen die Besetzung bes erz bischöflichen Stukles in Freiburg; sie sind formulirt in zwei Kundgebungen, von denen wir die eine bereit» rnit- getbeilt haben. Sie ist bezeichnet als „Kundgebung der Geist lichkeit der Decanate Breisack und Freiburg in Sachen der Nichtbesetzung des erzbischöflichen Stuhles", die zweite ist ein „beherzigenswerther Erlaß", der am 31. October von allen Kanzeln der Erzdiöcese verlesen worden ist. Die erste besagt bekanntlich, es sei eine „schreiende Mißachtung der wichtigsten Neckte der katholischen Kirche des Landes", daß die Wieder besetzung des erzbischöflichen Stuhles „trotz der klarsten Be stimmung eines Staatsvertrages durch die Staatsgewalt ver hindert werde", und daß die ganze Entwickelung der öffentlichen Verhältnisse in Baden dazu mahne, „die Katholiken deS Landes nicht weiter zu beunruhigen". Ter Kanzelrunderlaß ist vom „erzbiscköflichen Capitelvicariat" ergangen und er sucht die Gläubigen, zu beten, Laß Gott die Hemmnisse beseitige, „welche der Vornahme der kanonischen Wahl eines dem heiligen und verantwortungsvollen erzbischöflichen Amte gewachsenen, vom Heiligen Geiste dazu berufenen Mannes entgegenstehen." Als dieses Hinderniß ist dann von dem politischen Führer des badischen Klerikalismus, dem Pfarrer Wacker, von dessen Kanzel gleichfalls der Erlaß verlesen wurde, offen der badische Staats- und Cultusminister No kl bezeichnet worden, der den unverant wortlichen Träger der Krone mit seiner Verantwortlichkeit zu decken habe. Um völlig zu verstehen, was diese Kund gebungen bedeuten, muß man sich vergegenwärtigen, wie die Situation noch vor vier Wochen war. Das Domcapitel hatte den Versuch gemacht, dem Großherzog den Weihbischof vr. Knecht aufzunölhigen, den man während der Erkrankung des früheren Bischofs zum Weihbischof gemacht hatte, ohne den Landesherrn vorher in Kenntniß zu setzen. Die Vorschlagsliste, mit dem Namen des Or. Knecht an der Spitze, war außerdem nickt, wie vorgeschrieben, dem Groß herzog überreicht, sondern dem Staatsminlsterium zugesckickt worden. Nun war es klar, daß unmöglich ein Mann Erzbischof werden konnte, der nicht einmal zur kirchlichen Disciplin den Finger gerührt hatte, als der ibm unterstehende „geistlicke.Rath" Wacker die Katholiken zur Wahl von Social demokraten anreizte. Und trotzdem hatte der römische Stubl Or. Knecht zum ErzbisthumSverweser gemacht und „mit Voll machten auögestatlet, welche auch bei längerer ScdiSvacanz ge nügen", alle wichtigen Bedürfnisse der Diöcese zu befriedigen. Jetzt, nachdem eS gelungen ist, durch die Karlsruher Social demokraten daS parlamentarische Fundament der Negierung zu unterwüblen, wird der Versuch gemacht, dem Großherzoz den Mann zum Erzbischof aufzuzwingen, der für ihn, wie die Curie seit der Entsendung des badischen Gesandten in Berlin nach Rom genau weiß, eine Unmöglichkeit ist. Daß dieser Versuch schon vor den Wahlen geplant und vorbereitet war, ergiebt sich daraus, daß die Kund gebung der Geistlichkeit der Decanate Breifach und Freiburg bereits bei einem Festmahle am 19. Oktober festzestetlt wurde und daß der von den Kanzeln verlesene Runderlaß deS erz- bischöslichen Capitalvicariats — dessen leitender Geist, nebenbei bemerkt, derselbe Herr Or. Knecht ist, der Erzbischcf werden soll und will — vom 22. October datirt ist. Dieser Rund erlaß hätte schon am 24. October, der auf einen Sonntag fiel, verlesen werden können, aber man überschlug diesen und wäblte den 31. October, da inzwischen die Wahtscklacht geschlagen war. Damit ist die Situation klar. Es handelt sich darum, den Landesfülsten, der als die Personificatiou deS nationalen Gedankens und der religiösen Verträglichkeit gilt, den ganz Deutschland in Stunden nationaler Bedrängniß als getreuen Eckart des deutschen Volksthums erprobt Hal, nach Canossa zu schicken, nachdem man ihm vor seiner Residenz die rothe Fahne gehißt. Und um dieses Ziel erreichen zu können, gilt es, die Minister zu verdrängen, die diesem Treiben bisher Stand gehalten. Erfreulicher Weise ist es in Baden nicht nölhig, „Landgraf werde hart" zu sagen. Die Mittbeilungen der „Norddeutschen Allgem. Ztg." über den Zwischenfall mit Haiti kann man mit Befriedigung ausnehmen, denn es ergiebt sich aus ihnen, daß der Vertreter des kaiserlichen Ministerresidenten, Gras Schwerin, im Ein vernehmen mit dem Auswärtigen Amt in Berlin mit der nölhizen Energie ausgetreten und daß auf sein slricles Ver langen die Freigabe deS verhafteten Lüd ers erfolgt ist. Von einem Gnadenacte des Präsidenten und einer Intervention des amerikanischen Gesandten, wovon der Haitier Geschäfts träger in Berlin zu berichten wußte, kann also nickt die Rede sein. Immerhin halten wir es, da es sich nur um einen Fall handelt, in welchem der deutsche Vertreter notorisch sich een nöthigen Respecl zu verschaffen wußte, sür angezeigt, aus der im „Verl. Loc.-Anz." veröffentlichten Zuschrift der in Haiti ansaffigcn Deutschen an den Hamburger Senat, auf welche die „Nordd. Allgem. Ztg." Bezug nimmt, folgende Stelle mitzutheilen: „Andere Staatsangehörige, zumal Engländer und Amerikaner, werden wirksam durch ihre Conjutate befchutzt. Wir Deutschen aber sind schütz- und schonungslos auf uns selber angewiesen. Außer dem oben geschilderten Falle grober Freiheitsberaubung (eben dem Fall Lüders. D. Red.), die bei den hier herrschenden Zuständen mit Lebensgefahr verbunden ist, bestehen andere Fälle in Menge, wo Recht und Interessen deutscher Kaufleute in Haiti auf frivolste Weise vergewaltigt werden, und wo unsere Coniulatsvertrelung sich als durchaus unzulänglich erweist und sich höchstens mit platonischen Proteslanouen begnügt. Diese beschränkte und unzureichende Stellung unieres Per- treters, der verwirrte und unsichere Rang, den dadurch das deutsche Reich in Haiti einnimmt, sind nicht nur unverträglich mit der Macht und Wurde unseres Vaterlandes — zum Bedauern aller Patrioten — sondern werden geradezu bedrohlich sür unsere physische und materielle Existenz. Das Land steht am Vorabend blutiger, politischer Ereignlye, und der Haß des Pöbels sowohl wir der Regierung gegen alle Weißen, bewnders aber gegen die deutsche Colonie, die geschäftlich hier die hervorragendste ist, läßt das Schlimmste befürchten." Diese Klagen können unmöglich völlig gegenstandslos sein. Jedenfalls ist es gut, daß, die Schulfrcgauen „Gneisenau", „Cbarlotte" und „Stein" sich auf der Fahrt nach Weslindien befinden. Ihr bloßes Erscheinen vor Port-au-Prince dürfte fürs Erste genügen, um die noch immer ausstehende Be strafung der im Falle Lüders betheiligten Beamten und die Herausgabe einer Entschädigung zu beschleunigen. Des Weiteren aber hätte, wenn die Stellung unseres Vertreters in Haiti eine unzureichende ist oder in unzureichender Weise repräseulirt werben sollte, sofort Remedur einzulrelen. Von den verschiedensten Seiten kommt jetzt die Meldung, daß der Staatssecrelair deS Transvaal Or. Lcybs zum Gesandten der Republik im Haag und zugleich noch bei den anderen europäischen Regierungen ausersehen worden sei. Danach scheint es nicht mehr zweifelhaft zu sein, daß er demnächst Südafrika verläßt und seinen neuen Posten antritt. I Den Entschluß des Or. LeycS wie der gesammlen Regierung I in Pretoria kann man verstehen, wenn man sich der An- I strengungen des Or. LrycS entsinnt, als er im vorigen Faurlletsn. Der Page. 7j Roman von A. Hehl. Nachdruck verbotm. „O, ich Ungeschickte! Nun habe ich gar den Herrn ver gessen. Entschuldigen Sie! Wenn man sich als Kinder kannte, verfällt man allzu leicht in die gewohnte Ungenirt- heit. Gedenken Sie noch der Zeit, da wir gemeinsam spielten? Wir fütterten die Tauben, wir ritten auf den Ponies durch den Park, wir schaukelten. — Denken Sie noch daran?" Er holte tief Athem: „Immer, immer denke ich daran, gnädiges Fräulein." Sie lachte ihn an: „Wir waren glückliche Kinder! Sie sind wohl recht lange nicht in unseren Park gekommen, Herr Hans?" „Seit Jahren nicht, gnädiges Fräulein!" antwortete er. „Das ist schade!" bedauerte sie. „Ich bestehe darauf, daß Sie das Versäumte nachholen, sobald Sie wieder mobil sind. Ihr Fräulein Schwester wird Sie begleiten", wandte sie sich mit verbindlichem Neigen des Kopfes an Lieschen, die, ihren Bruder ängstlich beobachtend, im Hintergründe des Zimmer- stand. „Sie sind zu gütig, Fräulein von Monhardt", erwiderte Lieschen ablehnend. „Wir haben selbst einen großen Garten und die Luft in demselben dürfte meinem Bruder zuträg licher sein, als die im Park." „Wie Sie wollen, meine Liebe", versetzte Melanie kühl. „Mein Anerbieten war gut gemeint, bedaure, wenn es nicht im gleichen Sinne ausgenommen wird. — Doch Ihr Bruder hat wohl auch ein Wort mitzureden." „Vor allen Dingen hat hier der Arzt mitzureden", ent gegnete daS junge Mädchen trotzig. Hans zürnte der Schwester wegen der abweisenden Hal tung, die sie dem Fräulein gegenüber rinnahm. Sein bit tender Blick flehte um Vergebung für die Schroffheit Lies chens; die geradezu verletzend war. „Bis ich von Ihrer Einladung Gebrauch machen kann, sind Sie längst nicht mehr hier", sagte er. Sie seufzte: „Leider werde ich bis dahin Ehestands fesseln tragen und das reizende Landleben mit dem er müdenden Treiben der Großstadt vertauscht haben." Doctor Franz konnte seinen Aerger nicht länger unter drücken, er beschloß der Sache ein Ende zu machen: „Sie werden entschuldigen, Fräulein", wandte er sich ohne Um stände an die junge Dame, „wenn ich Sie als Arzt ersuchen muß, meinen Patienten jetzt zu verlassen, er bedarf der Ruhe!" Melanie wurde blaß, biß sich auf die Unterlippe, be hauptete aber, der Mahnung zum Trotz, ihren Platz noch einige Minuten, löste eine Rose aus ihrem Gürtel und reichte dieselbe dem entzückten Jüngling dar. „Mein Abschiedsgeschenk", flüsterte sie. „Leben Sie wohl, bester Hans! Unbeschadet aller Hindernisse werde ich bald wieder kommen, um mich von Ihrer fortschreitenden Besserung zu überzeugen. Und nicht wahr, wir Beide bleiben gute Freunde, wir lassen uns nicht irre machen?" „Nun und nimmermehr, es bleibt ewig wie es ist und wie es war", gelobte er, die Hand wie zum Schwur gehoben. Zufrieden mit dem Triumph, den sie errungen, erhob sich Melanie und machte dem Arzt eine spöttische Verbeugung. „Nehmen Sie zum Abschied den Ausdruck meiner Be wunderung, Sie Muster eines gewissenhaften Arztes." „Danke!" erwiderte der Angeredete trocken. „Leute, die ein Gewissen haben, sind jedenfalls mehr Werth, als solche, die keines haben." Mit knappem Gruß gegen Lieschen entfernte sich Melanie Monhardt, schritt ungeleitet über den Hof, schwang sich be hende auf den Sitz ihres Wagens, ließ sich von ihrem Groom die Peitsche reichen, berührte damit die muthigen Ponies und sauste im Trab davon. „Sie waren sehr unfreundlich gegen meinen Besuch, Doctor Franz", bub der Mllllerssohn in vorwurfsvollem Tone an. „Hat Ihnen das Fräulein jemals em Leid zu- gefüat?" Der Befragte stieß ein kurzes, rauhes Lachen auS: „Mir thut sie nichts zu Leide, mein Bester, denn erstens bin ich stich- und kugelfest und zweitens alt und häßlich; es ver lohnt sich nicht der Mühe." „Ich begreife Ihre Abneigung nicht, Doctor. Melanie von Monhardt ist die Güte selbst, so liebenswürdig, so harmlos —" „Harmlos!" wiederholte Franz und schnitt eine höhnische Grimasse, „harmlos, ha, ha." „Und", fuhr der entzückte Jüngling fort, „ein Götter weib an Schönheit und Anmuth. Gestehen Sie es ehrlich, haben Sie in Ihrem Leben ein schöneres Geschöpf gesehen?" „Doch", lautete die entschiedene Antwort. „In Algier sah ich ein Exemplar dieser Sorte. Ein Geschöpf, das einem Bewunderung und Grauen einflößtc. Eine Boa Constrictor von seltener Schönheit. Ein Neger ließ das Thier für Geld sehen, ich war Zeuge, wie die Schlange ihre armen Opfer lockte, mit dem Blicke bannte und dann vertilgte. Die Scene, der ich soeben beiwohnte, rief die Erinnerung an jene Boa wieder wach." Hans warf dem sarkastischen Menschen einen bösen Blick zu, dieser ließ sich dadurch nicht beirren: „Mein lieber, junger Freund", fuhr er glAchmllthig fort, „ich verharre schon lange am Fußende des BetteS. Die Pflicht ruft anderwärts. Verhalten Sie sich hübsch ruhig und nehmen Sie von dem braunen Safte, den ich Ihnen aufschreibe, die angegebenen Tropfen zur bestimmten Zeit, dazwischen ab und zu einen Löffel voll Verstand, der ist ja hier im Hause billig zu haben. Gegen Abend werde ich nach sehen, ob beide Medicamente ihre Schuldigkeit gethan haben. Gott befohlen." Im angrenzenden Zimmer saß Lieschen auf einer der Holzbänke, die längs der Wand angebracht waren; sie barg das Gesicht in den Händen und weinte. Der Doctor, welcher den Grund ihrer Thränen ahnte, berührte sanft den lockigen Scheitel des Mädchens und suchte sie zu beschwichtigen. „Gemach, Jungfer Lieschen! Zum Weinen ist die Sache noch nicht. Seien Sie nur gescheidt. Die Kokette kann dem ehrenwerthen Sinn Ihres Bruders nichts anhaben, er wird sie kennen und verachten lernen. Hans ist viel zu ver nünftig, um tolle Streiche zu machen." „Er vernünftig? — Er ist bethört —" warf Lieschen heftig ein. „Er ist rechtschaffen", behauptete der Doctor dagegen. „Sie wird ihn schlecht machen", prophezeite sie. „Sie kommt demnächst von hier fort", tröstete er. „Er wird ihr nachziehen", schluchzte sie. Anfangs hatte sie mit verhaltener Stimme gesprochen, allmählich aber schwollen die Töne stärker an und die Vermuthungen, welche sie zürnend ausstieß, waren auch im Krankenzimmer ver nehmbar. „Sie haben die Augen gesehen, Herr Doctor, mit denen er sie anstarrte. Ein rechtschaffener Mensch sieht die Braut eines Anderen nicht mit solchen Augen an, und wer es thut, dem soll man sie aushacken." „Na, na, Jüngferchen", lachte der Doctor. „Sie dictiren da ein drakonisches Gesetz; wenn das in Kraft träte, würde die Welt eine große Blindenanstalt." Lieschen rang die Hände: „Sind die Menschen wirklich so schlecht?" Franz zuckte die Achsel: „Im Allgemeinen nicht so schlecht und nicht so gut, als man sie gewöhnlich schildert, sondern ein Gemisch von Beidem. Sie müssen nicht Alles so tragisch auffassen, liebes Kind! Gutes Muthes, Jungfer Lieschen! Halten Sie tapfer! Ade!" Kaum war der Doctor gegangen, so rief Hans die Schwester zu sich und empfing sie mit zorniger Rede: „Das alberne Geschwätz über mich und über Melanie will ich mir ein für allemal verbieten. An dem, was ich denke und fühle, ändert Niemand etwas. Wenn Du meinst, man solle mir die Augen aushacken —" Lieschen erschrak: „Wie, Du hast gehört, Hans?" Er ließ sie nicht weiterreden: „Taub müßte ich sein, wenn ich es nicht gehört hätte, und ich will Dir sofort eine Antwort darauf geben: Wenn ich diese Strafe verdiene, dann verfällst Du derselben auch." „Ich — Hans — ich?" rief sie empört. „Ja, Du", bekräftigte er. „Du weißt wohl, daß der Schullehrer des Pfarres Nichte heirathen soll und siehst ihn doch mit verliebten Blicken an. Lasse Dir also Deine Augen ebenfalls aushacken." Sprachlos, daS Herz von bitterem Weh zusammenge zogen, stand Lieschen dem Bruder gegenüber. Worte waren ihr versagt. Sie machte nur eine abwehrende Handbewe gung, als ob sie damit die Beschuldigung zurllckweisen wolle und eilte aus dem Zimmer. Viertes Capitel. Bei ihrer Ankunft auf Schloß Adlershof wurde Melanie von Monhardt mit der Nachricht empfangen, ihr Bräuti gam, Graf Rioero, sei vor einer Viertelstunde zum Besuch
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