01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971207018
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897120701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897120701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-07
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Gröbere Schriften laut unserem Preis - verzeichnitz. Tabellarischer und Zifletnjatz »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung ^l 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Ännahmeschlnß siir Älyeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde frühe«. Anzeigen sind stet- an die Expedition zn richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sl. Jahrgang. 823. Dienstag den 7. December 1897. (konservative und Lund der Landwirthe. Li Wir haben dieser Tage eine Kundgebung des osfi- ciellrn Organ» der konservativen Partei mitaetheilt, in welcher diese dir Leitung de- Bunde» der Land wirt he auffordert, mit der mittelbaren oder unmittel baren Unterstützung antisemitischer Sondercandi- daten in konservativen Wahlkreisen innezuhalten und ins besondere gegen die „Deutsche Tageszeitung" ein zuschreiten, weil diese die Antisemiten gegen die Conservativen begünstige. Die Antwort der Bundesleilung ist mittlerweile erfolgt. Zum Theil in der „Deutschen Tageszeitung", zum besseren Theil aber in der „StaatSbürgerzeilung". Das direkt von Herrn v. Ploetz abhängige Blatt schildert die Erklärung der „Eons. Eorr." als da« Werk von konservativen Parteimitgliedern, die Gegner de» konservativen (Tivoli-) Programms seien und beabsichtigten, sür die nächsten ReichStagswahlen die Kräfte der „deutschsocialen" und der konservativen Partei „zu einem guten Tbeil gegen einander zu rngagiren und somit für die Bekämpfung manchesterlicher und kommunistischer Candidaturen unschädlich zu machen". Man rechne wahrscheinlich darauf, so heißt eS weiter, dem Antisemitismus, indem man die „deutschsociale" Partei mehr und mehr in demokratische Bahnen dränge, einen unangenehmen Beigeschmack für konservative Gaumen geben und ihn sodann von Parteiseite abtyun zu können. Also eine förmliche pbilosemitiscbe, Manchester- liche und mittelstandSfeindliche Verschwörung innerhalb der konservativen Partei. „Dir Gegner einer mittelstands freundlichen konservativen Politik" ist der Artikel der „Deutsch. Tagesztg." auch überschrieben; daß Gelder der allmucs israstitv oder wenigstens des „Schutzverbandes" mit im Spiele seien, wird noch nicht gesagt. Die „Deutsche Tagesztg." bewahrt überhaupt, was sie als Organ der Bundesteitung, vorläufig wenigstens, auch noch muß, einige Zurückhaltung. Daß die „Eons. Eorr." ein minder intelligent geleitetes Organ genannt wird, ist wahrscheinlich sogar al» Com- pliment für die Berliner konservative Parteileitung gedacht. Deren Prcßorgan, nicht sie selbst, soll dafür verantwortlich gemacht werden, daß der Anschlag der mittelstandsfeindlichen und judenfreundlichen Mammonisten nicht als solcher erkannt und durch einen Angriff auf die harmlose Leitung deS Bundes der Landwirthe sogar Unterstützt worden ist. Die „Deutsche TageSztg." hat aber nicht Vie Hauptsache zu sagen, sondern, wie schon bemerkt, die „Staatsbürgerzeitung", die unverkenn bar von Herrn v. Ploetz all irov engagirt worden ist. Bon ihr erfahren wir zunächst, wer die Verschwörung angestiftet hat. Die Schuldige ist die „sächsische Hof- rathspartei", ein Ausdruck, der der Bundesleitung sehr gefallen muß, denn er kommt aus dem von der „SlaalS- bürgerzeitung" zur Verfügung gestellten Raume nicht weniger al» dreimal vor. Zn der Sache selbst lautet der Bescheid an die konservative Parteileitung durchaus ablehnend. ES bleibt bei der „Neutralität" de« Bunde», und zwar bei der für die Antisemiten „wohlwollenden" Neutralität. Von dem verlangten Einschreiten gegen die „Deutsche Tagesztg." ist nicht nur keine Rede, die Bundesleitung giebt ihrem Organ gerade gegenüber der Hauptbeschwerde Recht und bringt ihren Beweggrund in einer nicht uninteressanten Enthüllung zu Tage. Die „Cons. Corr." hatte sich namentlich darüber beklagt, daß die „Deutsche TageSztg." die antisemitischen Einbrüche direkt dadurch fördere, „daß geäußert wirk, diese oder jene antisemitische Sondercandibatur wäre wohl unter blieben, wenn der Kreis einen entschiedenen Conservativen auf den Schild gehoben hätte". Dazu bringt nun die „StaalS- bürgerreitung" in Erinnerung» daß es sich um den pommer- schen Wahlkreis D ram bürg - Schivelb ein handele, wo gegen den conservativen Candidaten der Antisemit Sedlatzek aufgestellt worden ist. Dann fährt das Blatt fort: „Diese Bemerkung (de- Bundesorgans) scheint in der conservativen Partei eine bombenartige Wirkung hervorgerufen zu haben. Dem gegenüber muß man Leun doch sagen: Wozu der Lärm? Kennt die „Couservanve Correspondenz" die wirkliche Sachlage nicht, so wollen wir ihr von einem unS schon vor mehreren Tagen aus dem Kreise zugegangenen Schreiben Kenntlich geben. Es wird uns mit- gelheilt, daß die konservativ-agrarischen und antisemi- tischen kreise in dem doriigen Bezirk vor längerer Zeit bereit» dem Bundesvorsitzeuden v. Ploetz eine Eandidatur angrboien haben, und dah Herr v. Ploetz auch Willen- war, sie anzunehmen. Nun kamen aber dir gouvernrmrntal-conservativrn Herren mit ihren Bedenken, sie hielten dir Eandidatur von v. Ploetz für zu „radikal" und empfahlen den „gemäßigteren" Landrath v. Blockhaus« n. Die Verhandlungen nahmen einen derartigen Verlauf, daß Herr v. Ploetz sich veranlaßt sah, »ndgiltig zu verzichten." Das erwähnte Schreiben, wenn es überhaupt rxistirt, rührt natürlich au« der Umgebung der Bundesleitung her, die damit die konservative Partei offen inS Unreckt gegenüber ihrem Mitglied: v. Ploetz setzen zu können glaubt, was ihr freilich nur bei Antisemiten gelingen wird. Herr v. Ploetz ist bei den Landwirthru in Brandenburg und Pommern eine nicht» weniger al« beliebte Persönlichkeit; seine nächste bäuer liche Umgebung hat nicht trotz, sondern wegen der Bemühungen deS Bundespräsidenten für den Conservativen bei den letzten Neich-tagSwahlen in Ruppin-Templin freisinnig gewählt. Die Candivalur deS Herrn v. Ploetz kann also schon au« rein persönlichen Gründen seiner Partei nicht ratbsam geschienen haben. Andererseits begreift sich sein Verdruß über diese Zurückweisung, denn in seinem jetzigen Wahlkreise Frankfurt- Lwrau ist Herr v. Ploetz unmöglich geworden. Iwei Katholiken über den Jesuitenorden. Q Ter CentrumSantrag auf Aufhebung de» ZesuitengeseyeS ist nun im Reichstag vertbeilt worden. Er verlangt die Aufhebung des ganzen Gesetze» und ist von der gesammten Fraktion unterschrieben. ES genügt dem Centrum nickt, daß die Bestimmung aufgehoben wird, wonach den inländi- scken, innerhalb deS Reiches sich aufhaltenden Jesuiten Auf enthaltsbeschränkungen auferlegt werden können, falls sie versuchen, im Reiche die ihnen gesetzlich untersagte Ordens- tbätigkeit auszuübcn. Es soll reiner Tisch gemacht werden. Unter diesen Umständen begrüßen wir als recht zeitgemäß zwei Schriften, deren absolut katholischen Standpunkt Niemand anfechten wird und die, obwohl sie sich für die Zulassung der Jesuiten aussprecken, thatsächlick den Staat vor jedem Ver dachte religiöser Unduldsamkeit sichern, wenn er auch weiter die Ordensthätigkeit der Jesuiten außerhalb seiner Grenzen hält. Die eine Schrift ist ein Nachtrag, den der Würzburger Professor der katholischen Theologie H. Schell zu seiner Schrift „Der KatholiciSmus als Princip des Fortschritts" ver faßt und im Verlag von Andreas Göbel in Würzburg heraus gegeben bat. Die zweite ist die in demselben Verlag er schienene getreue und autorisirte Uebersctzung der letzten Schrift deS Erzbischof« von Westminster, Cardinals Manning, die er „Neun Hindernisse für den Fortschritt deS Katbo- liciSmuS in England" betitelte und im Sommer l8S0 nieder schrieb. Die Kenntniß dieser beiden Schriften ist ein wesent liches Hilfsmittel, um UltramontaniSmuS und KatholiciSmus zu scheiden und daran zu erweisen, wohin der Staat und die von ihm zu gewährleistende Freiheit deS Glauben« gelangt, wenn er in dem politischen Machtkriege, der ibm vom Ultra- montaniSmu» ausgedrungen wird, sich schwächlich erweist. Das Verdienst der Schrift deS Professors Schell ist, un widerleglich nackzewiesen zu haben, daß die jesuitische Theologie und noch mehr ihr politische- Machtbedürfniß und ihre Skrupellosigkeit eine schwere Gefahr sind sür die Bcthätigung einer frei sich entwickelnden katholischen Theologie, soweit sie, streng auf dem Boden der Kirche fußend, Verinnerlichung de» GotteSbegriffS, die vernünftige Erfassung und Begründung der Glaubenslehren anstrebt und außer unabhängigen, hochgebildeten Geistlicken eine stärkere Mitarbeit an der nationale» Entwickelung, eine kräftiger« Be tonung deö germanischen Geistes im KatholiciSmus verlangt. Schell weist nach, daß der JesuitiSmuS daS Haupthinverniß ist, wenn der deutsch^ Katholik in Sorge vor jesuitisch theologischer Censurirung nur zögernd an den Fortschritten der Wissenschaft, der Cultur und der StaatSverbältnisse mit arbeite; daß durch die Erziehung deS Klerikernachwuchses im französischen Seminarsystem dieser den Zusammenhang mit der Laie>lwelt verliere, einseitig und in Wissenschaft und Bildung rückständig bleibt und dadurch „an Autorität ver lierend" nach dem JesuitiSmuS rufe, dem da- Verständniß für den germanischen Geist abgebt. Schärfer, ohne Rückhalt drückt sich Cardinal Manning au», der bei seinem Tore 1892 in der katholischen Welt so sehr gefeiert wurde. Seine Auffassung war: die Jesuiten bringen dem Episkopat Gefahr mit ihren Herrscbgelüstcn; sein Grundsatz, aus« Strengste zu unterscheiden zwischen dem Jesuiten als Priester und dem Jesuiten als Vertreter einer bestimmten politischen Richtung. Streng unterschieb er ferner zwischen Kirche und ultramontaner Partei, und aus diesen Grün den erklärte er sich auch gegen die „Politik", welche die welt liche Machtstellung des Papste« aufrecht zu erhalten strebe und damit geistigen Ruin und Unglück über die Katholiken Italiens heraufbeschworen bade. Und zu diesen Anschauungen hatte sich Cardinal Manning, nachdem er lange für den Jesuiten orden und die Curialpolitik gewirkt, durch den Zwang der Tbatsachen bekehrt. So bat er es denn dem Jesuitenorden 1875 abgeschlagen, in London Mittel- oder Grammatik schulen zu errichten und hat dem Orden verboten, innerhalb feiner Diöcese eine Erziehungsthätigkeit zu entfalten. Und bezeichnender noch als dies: der Cardinal untersagte seinen! Neffen und Privatsecretair nach dem Eintritt in den Jesuiten orden Predigt und Amtsübung in der Diöcese. An diesen Grundsätzen hat der Cardinal Manning fest gebalten bis zu seinem Ende. Geliebt haben ihn darum die Jesuiten nicht; wie er selbst mittheilt, gab der Orden Weisung an die „Livilia cattolicu", das jesuitische Hauptorgan, den Namen deS Cardinals Manning niemals, geschweige rühmend, zu erwähnen. Handelte aber ein Cardinal Manning so in seinem kirchlichen Amte, aus kirchlichem Interesse, dann kann auch das Reich — das sich um kirchliche Dinge nicht zu kümmern, aber zu verhüten bat, daß eine aus politischen Machtkampf zu- gespitzte,vom Ausland auS vermittelst deS unbedingten Gehorsams geleitete Organisation die deutsche Bevölkerung religiös gegeneinander hetzt und den Klerus zur Unduldsamkeit zwingt, — es auch vor den katholischen Reicksangehörigen verant worten, wenn es die Zeit noch lange nickt gekommen sieht, sich mit einer freien Ordensthätigkeit der Jesuiten abzusinten. Und auf diesem Standpunct kann die ReickSregiernng mit Ebren stehen bleiben, wenn auch ein parteiosficiöser Artikel in allen Centrumsblättern versichert, daß nur eine „Hand voll Fanatiker" gegen die Rückberufung der Jesuiten sei. Deutsche Landungstruppen nach China. I,. Kiel, 5. December. Osficiell wird jetzt bestätigt, daß zur Verstärkung der Lantungsabtheilung der Kreuzerdivision in Ostasien ein Bataillon Marineinfanterie und eine Compagnie Matrosenartillerie in kurzer Zeit nach der Feuilletsn. Der neuste Ebers.*) Ou reviens toujours L Ms Premiers amvurs! Unser beliebter Romancier, der uns nach alter, liebgewordener Gewohn heit auch in diesem Jahr- einen neuen, stattlichen Band auf den Weihnachtstisch legt, hatsichin den letztenJahren wahrlich energisch genug gegen die Anerkennung dieser Wahrheit gesträubt. Mehr als einmal versicherte er nachdrücklichst, daß „Kleopatra" sein letzter egyptischer Roman sein und bleiben werde, daß er die Aufgabe, welche er sich mit dem egyptischen Roman-Cyklus gestellt habe, für erledigt halte, nichts mehr darüber auf dem Herzen habe und sich nun ganz der Schilderung des deutschen Mittelalter- zuwen den werde. Und nun behält schließlich der Schreiber dieser Zeilen dennoch Recht, der schon seit Jahren öffentlich und privatim dem verehrten Dichter-Gelehrten zugerufen hat, daß auch über ihn, den Widerstehenden, die Allgewalt der ersten Liebe trium- phiren werde. „Arachne", das neueste Werk des nimmer rasten den Poeten, ist ein Roman, der auf egyptischem Boden zur Re- gierungSzeit de- kunstverständigen König» Ptolemäus Philadel- Phos spielt. Aber nicht die Wahrheit des an der Spitze dieses Artikels stehenden Worte» dürfte es gewesen sein, die Georg Ebers veran laßte, für dieses Jahr die Bahn zu verlassen, die er mit seinem Roman-ChkluS aus dem deutschen Mittelalter mit bedeutendem Erfolge eingeschlagen hatte; die Gründe hierfür sind in etwas An derem zu suchen. Dem schon lange mit großer Heftigkeit wogenden Kampfe um die Aufgaben und Ziele der Kunst, dem erbitterten Ringen der neuen Kunstideale gegen die altgeheiligten, an dem sich schon fast alle Größen der Literatur actio betheiligten, hat Georg Eber» bisher in scheinbarer Ruhe und ohne öffentliche Partei nahme zugeschaut. Nur hin und wieder sickerte ein Wort, eine Aeuherung von ihm an die Oekfentlichkeit. Innerlich aber hatte der feinsinnige Aesthetiker seine Kunstideale schon längst ge- gefertigt; seinem feinfühligen Naturell widerstrebte ei aber, mit lauter Stimme in den lärmenden TageSkampf einzugreifen. Dah er aber dennoch den Wunsch haben muhte, auch seine Ansichten zur Geltung zu bringen, ist natürlich; da er aber die Objektivität über Alles liebt, diese Objektivität jedoch nur in einer längst ver gangenen Zeit rur Geltung bringen zu können meint, so entstand Plan und Ausführung der „Arachne", die ein Künstlerroman im wahren Sinne des Worte« ist. „Die Pergamenischrn Sculpturrn in Berlin und ein Gallierkopf im Museum zu Kairo regten mich an, ihn zu schreiben. Er gab mir Gelegenheit, Einige- von der Seele zu wälzen, wa- ich Uber Kunst denke", schrieb mir Ebers im Oktober d. I. Sollte die» Letztere eine Art Stellungnahme in dem Kampf zwischen alter und neuer Kunst, so muhte Eber» nothgedrungen die Zeit des deutschen Mittelalter» ver lassen, da sich hier keine Analogien für diesen Kampf auffinden ließen, wohl aber boten sich dieselben ungesucht in dem mächtige« Ringen, da» zur Zeit de» Ptolemäu» Philadelpho« zwischen zwei *) „Arachne-. Historischer Roman von Georg Eber-. Stutt gart und Leipzig. 1898. Deutsch« Verlag-Anstalt. verschiedenen Kunstidealen in der Bildhauerei begann, und aus dem schließlich eine neue Kunst emporblühte. Nun aber zunächst zu der Handlung des Romans. In dem kleinen Städtchen Tennis am Nil, fern von dem ge räuschvollen Alexandria, leben seit einiger Zeit zwei junge, hoch- begabte Bildhauer, Hermon und MyrttloS, um hier in eifrigem Wettbewerb, dem aber durch die herzliche Freundschaft der beiden Künstler zu einander jede Feindseligkeit genommen ist, an einer Demeter-Statue als Preisaufgabe zu arbeiten. Myrtilos ver tritt in seinem Schaffen den Grundsatz, daß nur das Schöne in der Kunst Raum habe, für Hermon besteht jedoch die Aufgabe der Kunst in der möglichst getreuen Wiedergabe des Lebens. Des halb fühlt er, daß ihm seine Demeter, ein göttliches, also über sinnliches Wesen, mißlingen muß, obwohl ihr Kopf, zu welchem die liebreizende Daphne, die Tochter des reichen Handelsherrn Archivs, das Modell lieferte, von hervorragender Schönheit ist. In dem Wettbewerb wird Myrtilos den Preis gewinnen. Großes erhofft Hermon dagegen von der Gestaltung einer Arachne, zu welcher er in der Biamitin Ledscha, deren herbe Schönheit ihn gewaltig anzieht, ein passendes Modell gefunden zu haben glaubt. Er sucht das spröde Mädchen auf jede Weise an sich zu fesseln, um es zum Modrllstehen willig zu machen. Ledscha glaubt sich von ihm geliebt. Aber gerade an dem Tage, der ihr einer Weissagung zufolge die höchste Seligkeit bringen soll, als deren Folge sie ihren Widerstand gegen Hermon'» künstlerische Wünsch« aufzugeben gedenkt, tritt der Besuch Daphne's in Tennis hindernd dazwischen. E» ist die Pflicht Hermon'S, dem Mädchen seine Zeit zu widmen. Da Ledscha merkt, daß er die- nicht gern thut, und sich von ihm vernachlässigt fühlt, stellt sie ihn erregt zur Rede. Aus den bekannten Gründen will Hermon es nicht mit der Biamitin verderben und verspricht ihr für den kommenden Vollmond ein trautes Zusammensein auf einer einsamen Insel. Al» er nicht kommt, schwört ihm da» rachsüchtige Mädchen furchtbare Strafe, da sie erkennt, daß sie bei ihm durch die leicht fertige Griechin Althea verdrängt worden ist, in welcher er ein noch bessere» M-dell für die Arachne gefunden §u haben meint. Sie verlobt sich dem Bruder ihre» verstorbenen Bräutigam», einem Seeräuber, unter der Bedingung, daß er die beiden Künstler lebend ihrer Macht au»liefere und die kostbaren Bildwerke zer störe. Zwar gelangt der Plan zur Autfllhrung; aber statt de» Hermon wird ein junger gallischer Krieger gefangen, Hermon selbst aber im Kampfe mit den Seeräubern geblendet. Von den Demeter-Statuen wird die eine zerstört, die andere jedoch gerettet und schnell nach Alexandria geschafft, wo sie allgemein als das Werk Hermon'» angesehen und gepriesen wird. Da beide Künstler den Bedingungen zufolge ihre Demeter so ziemlich das gleich« Aeußere gegeben haben, so kann Hermon au» den Schilderungen nicht erkennen, ob sein oder seine» Freunde» Werk gerettet ist. Dem nach Alexandria zurückkehrenden Ge blendeten. dessen Ruhm von allen Lippen ertönt, werden Feste über Feste gegeben; bfi allen Schmeichelredrn wird er jedoch stets von dem Gedanken gequält, daß eine Verwechselung vor gekommen sein könne, und ein Zufall bestätigt schließlich seine Befürchtungen. AI« ihm aber Gewißheit geworden ist, verkündet er laut, daß die Demeter nicht sein, sonder« seine» Freunde« Myrtilos Werk sei. Nun wendet sich Alle« von ihm, und Schmähungen treffen den Bedauerns wert hen, wo ihm erst im Uebermaß geschmeichelt wurde. Gleichzeitig läßt ein böser Zufall ihn und Archivs in eine Verschwörung gegen den König ver wickelt erscheinen. Zwar erweist sich sehr bald Beider Unschuld, dennoch müssen Beide das Land verlassen. Ein Trost aber wird ihm in dieser schweren Prüfungszeit: die Liebe Daphne's. Und nun kommt für ihn die Zeit der Entschädigung. Myrtilos, ver als todt beweinte Freund, lebt. Ledscha ist ihrem ungeliebten Gotten mit dem Bildhauer, dem alten Diener des Hermon, und dem Gallier davongelaufen. Sie sendet, um völlig frei zu sein, ihrer Schwiegermutter die Brautkaufsummc zurück. Empört über die Untreue der Biamitin, heilt diefe dem blinden Künstler die Augen, giebt aber ihre ehemalige Schwiegertochter unter wilden Verwünschungen der Nemesis preis. In einer wirksamen Scene von grausiger Größe fchildert Ebers nun, wie die Nemesis an das schöne Weib herantritt; jedoch erscheint sie ihr in der mildesten Gestalt: Ledscha fällt durch eigene Hand, nachdem ihr Hermon versprochen hat, ihr Bild nicht in Gestalt der von ihr verabscheuten Arachne, sondern als schönes Weib der Nachwelt zu überliefern. Hermon's Kunstideale haben in der schweren Prüfungszeit eine Läuterung erfahren; er ist in seinem Wesen tiefer und ernster geworden. Als großer Künstler, dessen Ruhm die Welt erfüllt, schafft er an der Seite seiner edlen Gattin Daphne unsterbliche Werke. Archia» aber hatte noch das Glück, die vielverheißenden ersten Kunstversuche seine» ältesten Enkels be wundern zu dürfen. Aus der kurzen Skizze des Inhaltes wird man leicht die Vorzüge, aber auch dir kleinen Schwächen der Erzählung — dem Zufall ist rin etwa« weiter Spielraum gelassen! — erkennen können; jedenfalls aber ist die Phantasie des Dichters be- wundernSwerth, die auf so geringer Basis ein so reichgegliedrrtes Kunstwerk erstehen ließ! Von einem ganz besonderen Interesse ist e» aber, aus dem Roman die Stellung deS Autor« zu den Kunstsragen zu er forschen. Mehrere Seiten sind an verschiedenen Stellen de« Werkes diesen Streitfragen gewidmet, und man muß es dem Dichter lassen, daß er sich ehrlich bemüht hat, diese« Thema »ins 1r» st «tuäio zu behandeln. Ich werde die feindlichen Parteien möglichst mit den Worten de» Dichter» reden lassen, der Leser mag dann entscheiden, zu welcher er sich am meisten hingezogen fühlt. Die Streitfrage ist: Darf in der Kunst diie Schönheit der Wahrheit geopfert werden, oder hat sie ihre Verkörperungen im Hinblick auf da« Schöne in den Grenzen des Natürlichen zu halten? Hermon, der Vertreter der ersten Auffassung, fübrt aus: .Da» wirkliche Leben zu ergründen, hat die Wissenschaft unter nommen, und da» Ergebniß, da» sie mit Maß und Zahlen gewinnt, ist von anderem Werth und von besserer Dauer, als wa» da» eitle Spiel de« Geiste» der älteren Philosophen gewann. Die Kunst aber, ihre edlere Schwester, soll die gleichen Wege gehen. Das Leben nachzubilden, wie eS ist, da« Wirklich» wiederzugebrn, wie e« sich darstellt, nicht, wir e» sein könn'e oder sein muß, um sich den schönheitidurftigen Augen gefällig zu erweisen, das ist die Aufgabe, di« ich mir stellte." Myrtilo« will diese Kunst nur so weit gelten lassen, als st« die Grenzen des Schönen nicht überschreitet. Er will die Natur idealisirt sehen, ihm soll die Kunst Erhabneres und Schöneres schaffen, als was den menschlichen Sinnen Wahrnehmbares unter der Sonne anzutreffen ist. Als Hermon darauf entgegnet: „Uns genügt dir Natur; etwas von ihr abnehmen, heißt sie ver stümmeln, ihr etwas zufügen, sie entstellen", erwidert Myrtilos: „Die letzte Aufgabe der Kunst liegt, wie grimmig Du und Deine wenigen Nachfolger Euch auch dagegen sträubt, im Entwirren, Steigern und Reinigen der Natur." Und als er an Hermon's Statue das Ideale vermißt, den geistigen Stempel, der aus dem Bilde eines Weibes ein göttliches Wesen macht, und Hermon dies ein Unding nennt, antwortet Myrtilos: „Sollte es wirklich ein Unding sein, so ist es wenigstens ein erhabenes, und wer von uns die Natur mit offenen Augen und Herzen durchwandert und in das eigene Innere einkehrt, der wird es werth des Versuches finden, ihm Formen zu leihen." An einer anderen Stelle erklärt Hermon der Daphne, daß er unter der Schönheit Alexandria's, von der er schwärmt, nicht das allgemein darunter Verstandene gedacht wissen will. „Es ist nicht die dem Auge schmeichelnde „Schönheit" allein, was mich entzückt; ihr voran ist es das gefunde, natürliche Wachsthum, das wirklich«, voll saftige Leben." Dann hebt er den Becher und ruft: „Auf das Wahre denn, Daphne, wie ich es meine!" Und aus der Ent gegnung Daphne's klingt dann bereits die Lösung des künst lerischen Conflictes herau»: „Zeig' ei un» sammt dem Geiste, der es beseelt, in vollendeter Form, und ich wüßte nicht, wodurch es sich von der Schönheit unterscheiden sollte, die un: bi» dahin da« Höchste." In die Schlußworte Hermon's am End ' des Roman» legt Eber» allem Anscheine nach sein eigene: künstlerisches Glaubensbekenntniß, das ihm das Beschreiten der goldenen Mittelstraße sichert: „Treue Diener der Wahrheit wollen wir bleiben; sie allein führt indeß nicht den Schlüssel zum Allerheiligsten der Kunst. Wem Apollon, der Reine unter den Göttern, und die schönheitsfreundlichen Musen dies nicht zugleick mit der Wahrheit öffnen, dem bleiben seine Pforten verschlossen, wie stark und beharrlich er auch an ihnen rüttelt." Die Kunst ist viel zu sehr Sache de- subjektiven Empfindens, al» daß e» möglich sein könnte, eine Art Kunst-Orthodoxie an der Hand starrer Dogmen grohzuziehen. Die freie Kunst ge stattet freiere Entfaltung der heterogensten ästhetischen Anschau ungen. Es dürfte darum gar nicht so schwer für einen Gegner der Eberk schen Uebrrzeugung sein, dieselbe unter daS Secirmesser der Kritik zu nehmen. Er würde dadurch jedoch die Sache um nicht» fördern und besser machen. Das aber ist gewiß hoch an zuerkennen, daß au» dem neuen Werke des berühmten Dichters ein wohlthuend versöhnlicher und vermittelnder Ton klingt, der darum zwar wohl keiner der extremen Parteien recht sein wird dem wahren Freunde der Kunst aber doch die erfreuliche Hoffnung gewährt, daß doch vielleicht noch einmal drr häßliche Streik aufhören und dem wohlthuenden, die Kunst und ihr Ansehen fördernden Frieden Platz machen kann. Möge Eber»' „Arachne" hierzu nach Kräften beitragen! Gustav Adolf Erdmann.
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