Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980129015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-29
- Monat1898-01
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-«Pret- i» der Haupterpeditto» oder da tue Stadt, bezirk und da Vororten «rrichtrten Aut» aabestellrn abgebolt: vierteljilhrllch^l-LO, vri twrimaiiaer täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich 7.50. Di» Morgen.AuSgabe erscheint um V»? Uhr, dl: Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr^ Redartion und Lrveditio«: Iohanne-gassc 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbkocha geöffnet von früh 8 bis Abmd» 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm'» Sortim. (Alfrek Haha), NniversitätSsrratze 3 (Paultnum), Louis Lüsche, Katbarinenslr. 1^, Part, uud König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. MpMer TaMatt Anzeiger. AmlsUatt des königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Au-»tge«-PrOt- die S gespaltene P-titzeil» LV Psg. Nrckamen unter dem Aedactionsstrich (4g»- spalten) 50/^, vor dm Familienaachnchtea (b gespalten) 40/^. Größere Schristeu laut unserem Preis« Verzeichnis,. Tabellarischer und Zifsernsa» nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbefürderung 70.—. ÄuuahMschluß f« Zuzngen: Abeud-AaSgab«: vormittag» 10 Uhr. Morgr a-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei dm Filiale» uud Annahmestelle» je »ine halb« Stund« fr »her. Anzeigen such stet» a» di« Expedition zu richte». Druck uud Verlag von L. Polz in Leipzig. 50. Sonnabend den 29. Januar 1898. 82. Jahrgang. NI! .' Neuer Lucs in der preußischen Polenpolitik. L! Die preußische Politik, im Allgemeinen fest und ziklbe- lvuht, ist in Bezug auf die Behandlung der Polen häufigen Schwankungen unterworfen gewesen. Wie der Sommer dem Winter, so folgte wiederholt einem strengen Regiment« eine Po litik der Nachgiebigkeit gegen die Polen. Diese immer wieder kehrenden Schwankungen tragen einen großen Thtil der Schuld daran, daß, obwohl die Ostmark schon mehr als ein Jahr hundert in preußischen Händen ist, von einem Fortschritte der Germanisirung nicht die Rede sein kann. Und deshalb durchfährt jeden nationaldenkcnden Deutschen ein Schrecken, wenn wieder einmal ein neuer Curs in der Polenpolitik angekündigt wird. Dies geschieht seit etwa einer Woche mit großer Beharrlich keit in der „Vossischen Zeitung", die annimmt, daß trotz des Hundertmillionengesetzes die Regierung wieder geneigt sei, mildere Saiten gegenüber den Polen aufzuziehen und den Versuch zu er neuern, durch eine Reihe von Maßregeln, welche die Polen nicht verletzen könnten, sondern ihnen vielmehr Vortheile bringen würden, die Halsstarrigen zu „versöhnen" und zu gewinnen. Daß Maßregeln zur Förderung der Ostmark geplant seien, wird von anderer Seite bestätigt. Es heißt, die Regierung wolle besonders die Provinz Posen wirthschaftlich heben, besonders durch Verbesserung der Verkehrseinrichtungen; sie wolle ferner durch Maßnahmen auf dem Gebiete der Unterrichtsverwaltung für eine Hebung des CulturniveauS sorgen und endlich Bedacht darauf nehmen, daß eine größere Solidarität zwischen dem deutschen Beamtenthum und dem deutschen Bllrgerthum hergestellt werde. Gegen die Ausführung solcher Maßregeln wird sicherlich nichts einzuwenden sein, ja man wird sie mit Freude begrüßen dürfen, denn die Provinz Posen ist in Bezug auf die Verkehrs verhältnisse hinter anderen preußischen Provinzen, besonders den westlichen, stark zurückgesetzt worden. Es mag dies Wohl darum der Fall gewesen sein, lveil in den dünn bevölkerten und wenig in dustriellen Gegenden eine Rentabilität der großen Verkehrsmittel nicht zu erwarten war. Weil es aber an diesen Verkehrsmitteln fehlte, so konnten sich blühende Industrien auch nicht ent wickeln; es entstand so ein circuirw vitiosus, der der Ent wickelung der Provinz immer hinderlich war und vor Allem dazu beitrug, daß von einer freiwilligen Zuwanderung deutscher Be völkerung nach der ohnehin wenig reizvollen Provinz kaum die Rede sein konnte. Eine Hebung der Verkehrsmittel und andere wirtschaftliche Maßregeln werden auch ein größeres Gedeihen der Provinz l-ervorbringen und einen größeren Zuzug Deutscher zur Folge haben. Die Negierung wird dann ein Werk fortsetzen, das mit seinem bewundernswerthen Scharfblicke der große Frie drich sofort begann, nachdem er jene Gegenden dem Königreiche Preußen einverleibt hatte. Was die Leistungen auf dem Gebiete der Unterrichtsverwal tung anbetrifft, so sind ja hier bessere Grundlagen geschaffen, denn der Unterricht an den unteren, mittleren und höheren Schulen entspricht in der Ausübung und in den Leistungen denen in den anderen preußischen Provinzen. An eine Universität ist Wohl überhaupt nicht, an eine technische Hochschule wenigstens vor läufig nicht zu denken. Hier wäre es von der größten Wichtigkeit für die Germanisirung, wenn es durch irgend welche Mittel, sei es Bibliotheken, sei es allgemein interesiirende und belehrende populaire Vorträge, seien es land- wirthschaftliche Fachschulen und Handwerkerschulen, gelänge, die bäuerliche und kleinbürgerliche Jugend in dem Alter zwischen der Entlassung aus dem regulären Schulunterrichte und dem Ein tritte in das Heer mit dem Staate und mit der deutschen Sprache in Verbindung zu erhalten. Denn gerade in diesem Alter unter liegen die jungen Menschen am ehesten der Gefahr der Poloni- sirung, weil sie in der Schule nur eben nothdürftig die deutsche Sprache gelernt haben, die sie dann im Verkehr mit ihren nur polnisch sprechenden Eltern und Altersgenossen rasch verlernen. Ein engerer socialer Zusammenhang zwischen dem Beamten- thume und dem Bürgerthume wäre ebenfalls lebhaft zu wünschen. Wie überall in Preußen, so scheidet sich auch in der Ostmark das Beamtenthum, insbesondere in den größeren Städten, im ge selligen Verkehr gänzlich von dem Bürgerthume. Während bei den Polen ein enger Zusammenhang zwischen Allen besteht, zwischen denen überhaupt ein geselliger Verkehr denkbar ist, ist dieser Verkehr unter den Deutschen nur ein lockerer. Die Folge davon ist, daß das Bllrgerthum nicht derartig angespornt wird, für die deutsche Sache thätig zu sein, wie tS sich durch lebhaftem Verkehr mit dem Beamtenthume angespornt fühlen würde. Und da gerade von dem Beamtenthum« die Rede ist, so sei darauf hingewiesen, daß es rathsam wäre, wenn den Beamten zur Pflicht gemacht würde, zu den Polen, sofern diese nicht durch Agitation gegen das Deutschthum ein schroffes Verhalten heraus fordern, sich etwas anders zu stellen, als sie es nach überein stimmenden Zeugnissen guter Beobachter gegenwärtig thun. Der berllhmtr Gewährsmann „Ou äit" sagt den preußischen Beamten im Allgemeinen nach, daß sie mit unter ihnen stehenden Per sonen häufig sehr viel wenig«! höflich verkehrten, als mit ihnen gleich oder gar Häher stehenden, daß sie sich in dieser Hinsicht nicht zu ihrem Vortheile von ihren sächsischen, badischen u. s. w. Kollegen unterschieden und dadurch in Elsaß-Lothringen, in Hannover u. s. w. viel zur Verschärfung der Gegensätze beige tragen hätten. So allgemein gefaßt, ist dieser Vorwurf zweifel los übertrieben, aber in der Ostmark nicht, — vielleicht deshalb nicht, weil dem vornehmeren Theil der Polen und Polinnen be sondere Liebenswürdigkeit und berechnende Schlauheit nachge- rühmt wird. Und gerade in der Ostmark sollte man unter allen Umständen mit der alten Gepflogenheit brechen. ES soll nicht gesagt werden, daß man das umgekehrte Ver fahren einzuschlagen hätte, aber man sollte den polnischen Klein bürgern oder Bauern ebenso begegnen, wie dem polnischen Arzt oder Großgrundbesitzer. Denn man sollte daran denken, daß dir gefährlichen Gegner des Deutschthums nicht in den polnischen Bauern und Kleinbürgern zu suchen sind, sondern gerade in den social hochgestellten polnischen Kreisen. Und man thut nicht gut daran, durch sine unfreundliche Behandlung der kleinen Leute diese gegen die Regierung einzunehmen. Wenn so die preußische Regierung neben dem Hundert- millionengesetze andere Maßregeln zur Germanisirung ergreift, so wird man darin keine Veränderung des Curses zu sehen brauchen. Eine solche Veränderung wäre nur dann vorhanden, wenn man wieder damit begönne, mit den polnischen Aristokraten zu ko- kettiren und den Polen Zugeständnisse in Bezug auf den Gebrauch der polnischen Sprache zu machen. Das hieße allerdings, ein Pferd vor und ein Pferd hinter den Wagen spannen. Wenn aber die Regierung beide Pferd« vor den Wagen spannt, so ist zu hoffen, daß die Germanisirung endlich raschere Fortschritte machen werde. Zwei Regierungen. X. Die französische Kammer hat, von der Dreyfus- Epidemie angesteckt, beschlossen, daß eine Erinnerungs medaille an den Krieg von 1870/71 gestiftet werden solle. Diese äußere Form einer Erinnerung war nicht nöthig, denn die Zustände in Frankreich erinnern reichlich genug an die Zustände, die kurz vor dem Kriege von 1870 herrschten und zu der empfindlichen Niederlage Frankreichs den Anlaß gaben. Das Verhalten der französischen Regierung in der Dreyfus-An- gelegenheit contrastirt so eigenartig zu der Haltung, die der deutsche Staatssecretair des Auswärtigen Amtes in dieser Angelegenheit eingenommen hat, daß man ordentlich dazu ver leitet wird, das Benehmen beider Regierungen in einen Vergleich zu ziehen. Klar und bestimmt lautete die Antwort, die Staatssecretair vonBülowauf eine Anfrage über die Dreyfus-Angelegenheit gab. Die deutsche Regierung habe von vornherein keinen Zweifel daran gelassen, daß weder sie noch die deutsche Botschaft mit Dreyfus in irgend welcher Verbindung ständen. Damit sei für die deutsche Regierung die Angelegenheit erledigt. Von diesem correcten Standpunkt wird sich die deutsche Regierung auch durch die Beschimpfungen, die ihr wegen der Bülow'schen Er klärung von den französischen Chauvinisten zu Theil werden, nicht abbrinaen lassen. Sie kann um so eher diese Schmähungen mit ruhiger Verachtung hinnehmen, als sie sieht, daß die anstän dige Presse der ganzen Welt die Haltung des Herrn von Bülow in dieser Angelegenheit als correct und taktvoll anerkennt. Wie anders die französische Regierung! Warum hatte Herr Mßline, der doch wohl weiß, daß die Dreyfus-Affaire von den Chauvinisten zur Verhetzung gegen Deutschland ausgebeutet wird, nicht den Muth, im Parlamente zu erklären, daß die Chauvinisten, so weit sie selbst an das, was sie behaupten, glauben, auf falscher Fährte sind, und so weit sie nicht daran glauben, das Volk bewußt auf eine falsche Fährte locken? Warum mußte er sich erst die Blamage holen, daß der deutsche Staatssecretair ihm mit einer derartigen Erklärung zuvorkam? Weil den Minister präsidenten, wie den französischen Staatsmännern überhaupt, die Ehrlichkeit fehlt, die die deutsche Diplomatie auszeichnet. Muth und Ehrlichkeit gehen in der Regel Hand in Hand, ebenso wie andererseits Feigheit und Heuchelei. Auch hierin zeigt die Dreyfus - Angelegenheit den Kontrast zwischen den beiden Regierungen. Der französische Socialist IaurSs ver glich mit Recht den Dreyfus-Proceß mit der Tausch- Aff a i r e. Die deutsche Regierung hatte den Muth, jene An gelegenheit zweimal in voller Öffentlichkeit zu verhandeln, obgleich dabei manche recht unerfreuliche Erscheinungen ans Tageslicht gebracht wurden. Die französisch« Regierung hat diesen Muth nicht, sie macht allerlei elende Ausflüchte, um nur zu verhindern, daß die Autorität des ersten Kriegsgerichts bloßgestellt wird, während doch diese Autorität eben durch diese Geheimnißkrämerei viel m«hr bloßgestellt wird, weil der Verdacht,der durch ein solches Vorgehen erregt wird, immer viel schlimmer ist, als es die Thatsachen sein können. Die französisch« Regierung kann sich eben nicht, wie die deutsche, von dem Angstgefühl vor den Ge danken losmachen: „Was wird man dazu sagen?" Die Furcht vor der großen Masse ist ein Charak teristikum aller französischen Regierungen. Sie denken nur daran, wie sie der Menge schmeicheln, und sie finden dabei sogar den traurigen Muth, außerhalb Frankreichs Stehende zu verletzen, in der für ihr Ehrgefühl nicht gerade sprechenden Voraus setzung, daß die Gekränkten mit Verachtung über die Kränkung hinwegsehen werden. Nur so läßt es sich erklären, daß fran zösische Minister es wagten, im vergangenen Sommer, um dem Chauvinismus der Franzosen zu schmeicheln, mit landesverrätherischen Elsässern Begrüßungen und Be glückwünschungen auszutauschen. Die deutsche Regierung hat sich einer derartigen Taktlosigkeit niemals schuldig gemacht, sie legt im Gegentheil einen ganz besonderen W«rth darauf, gerade Frankreich gegenüber sich stets absolut correct zu verhalten. Die Schwäche der französischen Regierung läßt es für das deutsche Volk doppelt dankenswerth erscheinen, daß seine Re gierung Würde und Ruhe zu wahren versteht. Denn diese Schwächlichkeit der französischen Regierung legt die Gefahr nahe, daß über kurz oder lang in Frankreich eine Bewegung entsteht, die zu schweren Conflicten mit dem von den Chauvinisten sinnlos gehaßten Deutschland führen kann. Dann ist es nöthig, daß Deutschland eine ruhige und zielbewußte Regierung hat, die es unter allen Umständen versteht, das Recht und die gute Sache auf ihrer Seite zu haben. Denn damit besitzt Deutschland die Vorbedingungen des Sieges. Deutsches Reich. Leipzig, 28. Januar. Wie bisher jeder anarchistische Mordgeselle, so haben auch die chinesischen Mörder des Matrosen Schulze einen Fürsprecher in dem Centralorgan der deutschen Socialdemokratie, im „Vorwärts", erhalten. Das genannte Blatt nennt zwar herablassend den Vorfall „be dauerlich", vindicirt aber zugleich dem chinesischen Pöbel daS Recht, unsere Mannschaften wie tolle Hunde todtzuschlagen, indem es schreibt: „So bedauerlich der Vorfall ist, so sollte die chauvinistische Presse doch nicht in der lächerlichsten Weise den Thatbrstand verdrehen. Wir sind den Chinesen die Störenfriede, wir breche« in ihr Land ein, wir bedrohen ihre alten Sitten und Gebräuche. Können wir da noch besonder- liebevolle» Entgegenkommen be anspruchen? Brauchen wir uns da im Geringsten zu wundern, wenn die chinesische Bevölkerung sich vom Unmuth über die fremden Eindringlinge hinreißen läßt?" Also: Kopf ab den Störenfrieden, die alte Sitten und Gebräuche bedroben! Daß eben diese Störenfriede in China „einbrachen", um die Sühne für die bestialische Nieder- metzelung friedlicher Missionare sicher zu stellen, verschlägt dem „Vorwärts" nichts; auch die Missionare sind ja „Stören friede"! Und daß die bewaffneten deutschen Störenfriede kraft eines mit der chinesischen Regierung abgeschlossenen Vertrages ihren Dienst erfüllen, berührt den „Vorwärts" ebenso wenig; denn nur die zügellose, blutleckerische Gewalt- tbat, nicht die gesetzmäßig geordnete Macht ist in seinen Augen berechtigt. Darum schreibt der „Vorwärts" weiter: „Schon wird gemeldet, daß Tompagnirn der soeben auf der „Darmstadt" angelangten Mannschaften nach Tsimo abgrschickl werden sollen. Eine Untersuchung wegen des Mordes ist eingeleitet. DieBlutthat wird mit Blutthaten gerächt werden. Schön lassen sich wahrlich die Anfänge deutscher Besitzergreifung in China nicht an." So wird die Sühne für blutigen Frevel dem Frevel selbst mit eiserner Stirne gleichgestellt. Und solche Anwälte ver brutalen Gewalt geberden sich al- die einzigen Hüter unveräußerlicher Menschenrechte, spielen sich aus als die Propheten de» „Kampfes mit geistigen Waffen", wenn ihnen — den Störenfrieden, die alte Sitten und Gebräuche be drohen — der Staat auf gesetzlichem Wear gezenübrrtritt! WaS würde aus der deutschen SocialdemokraNr, wenn man die Gewalt-Theorie ihre» CentralorganS an ihr erprobt»?! * Berti», 28. Januar. Die Erwerbung der Kiaolschau- Bucht wird von den Socialdemokraten bekanntlich in der Weise ihren agitatorischen Zwecken dienstbar gemacht, daß sie in Presse und Versammlungen die Ueberfchwemmung Deutschlands durch chinesische Arbeiter al« bevor stehend auSaeben. Wir bezeichneten e» de-halb al» unerläßlich, daß die Regierung diesem Versuch, Wahlstimmen zu ergattern, so bald als möglich mit dem größten Nachdruck entgegentrete und ihre Entschlossenheit erkläre, da- Auftauchen einer „Chinesen Frage" für da- deutsche Reich auf dem Wege der Gesetzgebung von vornherein unmöglich zu machen. Unser Vorschlag hat in der Presse mehrfach Zustimmung gefunden. So schreibt z. B. die Münchener „Allg. Zig.": „Diesem Wunsche wird man unzetheilten Beifall zollen müssen, denn die Chinesen-Frage, welche in den Bereinigten Staaten von Amerika bis zum Verbot der Chinesen - Ein wanderung im Jahre 1888 eine große politische Nolle ge spielt hat, ist in der That geeignet, al» Schreckgespenst auf ängstliche Gemüther zu wirken. In den Vereinigten Staaten strömten zur Zeit herrschenden ArbcilermangelS in dem Zeitraum 1850—1870 Chinesen in großen Schaaren ein und sanden lohnende Beschäftigung bei Eisenbahn bauten, in Bergwerken und Goldwäschereien; 1870 wurde ihre Zahl auf 63 200 berechnet. Schon damals erregten sie bei den einheimischen und weißen Arbeitern allgemeine Unzufriedenheit, hauptsächlich deshalb, weil sie bei ihrer außerordentlichen Bedürfnißlosigkeit dem Aufstreben der weißen Bevölkerung im Lohnkampfe einen starken Widerstand entgegenstellten, sodann aber auch, weil mit ihrem Eindringen der größten Demoralisation und Degeneration Thür und Thor geöffnet worden war. Der Haß gegen die Chinesen steigerte sich dermaßen, daß es im Jahre 1885 in Montana zu einem Tumult kam, in welchem fünfzig Chinesen getödtet und ihr Eigenthum zerstört wurde. Die Ausschreitungen wiederholten sich, so daß der Präsident eine besondere Proklamation dagegen erlassen mußte. In der Folgezeit wurden Anti-Cbinesengesetze in einzelnen Staaten vereinbart, so verbot man 1879 die Einwanderung derselben nach Californien; fast gleichzeitig beschloß der UnionScongreß ein die Cbineseneinwanderung für das gesammte Bundesgebiet einschränkendes Gesetz, trotzdem gelang eS ihnen, ihre Zahl bi- 1880 auf etwa 105 500 zu erhöhen. Am 6. Mai 1884 wurde ein Gesetz erlassen, welches die Einwanderung auf 10 Jahre völlig suSpenvirte; diese Maßnahme verfehlte jedoch ihren Zweck ebenso, wie diplomatische Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und China rrgebnißloS verliefen. Am 1. October 1888 erging ein Gesetz, welche» die Ein wanderung von Chinesen gänzlich verbot; dasselbe wurde aber umgangen dadurch, daß sich die Chinesen in Canada und Mexiko auSschiffen ließen und von dort au» über die unbewachten Grenzen rindrangen; 1890 wurden fast über 107 500 Chinesen gezählt. Die AuSnahmcgesetzgebung kam weiterhin in Be stimmungen über RegissrirungSzwang und Haft zum Au-druck. — In den australischen Colonien wurde die Chinesen einwanderung durch Kopfsteuern erschwert, im russischen Grenzgebiet im Juni 1887 die Ansässigmachung in Städte r unterlagt. — Wir führen diese Thatsachen an, lediglich um die Gefährlichkeit de« Agitation-mittel», welche» die Chinesen- Ferrilletsn. vom Wiener Fasching. Ein Wener Bries von Th. von Li«ea. Nachdruck verboten. Vom Wiener Fasching läßt sich schon Interessantes berichten. Nicht vergebens sprach Schiller von der „Stadt der Phäaken, wo immer am Herde sich drehet der Spieß", es herrscht in der Kaiserstadt an der Donau eine unbändige Lebenslust, die sich be sonders kennzeichnend in der CarnevalSzeit bethätigt. „Hier giebt'S der Musikanten viel, allerlei Tanz und Saitenspiel", verzeichnet in Versen der Wiener Chronist Wolfgang Schmelze! vor Jahrhunderten, ein Beweis, daß eS zu allen Zeiten so gewesen. Vor einer Anzahl Jahren wohnte ich in Währing, einem seither in die Stadt einbezogenen Vorort, und da versetzten die Leute im Souterrain ihr Bettzeug, um am Abend im Fiaker zur Fasching»- Belustigung fahren zu können. Alle Welt wußte eS im Hause, wo ich wohnte, die Leute machten selbst kein Geheimniß daraus, und Niemand nahm es übel, man lachte darüber. Glücklich« Leute, die sorglos durchs Leben tanzen können! Im hohen Norden hat man gar keine Vorstellung von den umfassenden Larnevalsveranstaltungen, deren Schauplatz Wien ist. Bitt«, — wir stehen erst am Anfang de» Fasching», und schon an dem Tage, da ich diese Zeilen schreibe, weist der „Ball kalender für heute" (wird pietätvoll von allen Zeitungen ver öffentlicht) die folgenden Ereignisse auS: „Kränzchen d«» Staat»beamten-Lasinover«in» (Ronacher), GeselligkeitSveretn der österreichisch-ungarischen Bank (Kauf- männischer Verein), Unterhaltung-abead der Hilf»- und Unter- beamten der Nordbahn (zweite« Kaffeehaus im Prater), Ball der Schuhmachermeister (Apollosaal), Ball de» UntrrstützungSverein» der Ministerial-Amtsdiener (Stahlehner), Ball der christlichen Arbeiter „Austria" (Gwandner), Ball de» Währinger Lonsum- dereinS („Wilder Mann"), Kränzchen des Radfahrerclubs „Cy- klon" (Hernalser BräuhauS), ReiSthaler Touristenkränzchen („Drei Engel"-Säle), Kränzchen deS Verein» „Enzian" („Gol dene! Kreuz"), Ball de» Verein» „Mariatroster Spatzen" (Wein berger), Eostüm-Kränzchen de» Verein» „Angestellter Scontisten" („Zum Auge Gottes"), Fasching»fest de- Sängerbünde» „Einig keit" (Mariensäle), Ball der Firma Hoffmann (Banner-Saal), Kränzchen de» Tanzinstitut» Rumpel („Hotel Central"), Kränz chen deS Club» der Lithographen Wiens (Rotundrnsaal, Gartrn- baugesellschaft), Gesangverein der Briefträger und PostamtS- diener (Altdeutscher Saal, Dreherpark), Ball deS Graf Wilcek'- schen Veteranenvereins (Katharinen-Festhalle, Dreherpark), großer internationaler Bauern» und Costümball (TökSS), Maskenball (Sophiensäle), Maskenball (Blumensäle), Maskenball (Schwen- der), Maskenball (Dreher, Landstraße.)" Ich finde die Liste auch nur diese» einen FaschingStageS unge heuer charakteristisch. Es ist darau» ersichtlich, daß nicht nur Beamtrn, Hilfs- und Unterbeamten aller Art, sondern daß auch Touristen, Radfahrer, die „angestellten Scontisten", die Briefträger und Postamt»deener, denen Gesang gegeben, die Consumvereine und die Veteranen — sogar! — ihre besonderen Bälle haben müssen. Bringt nur ein Tag so viel Absonderliches zu Tage, wie viel mag e» während deS ganzen Faschings geben! Und thatsächlich ist e» Ehrensache für die Schlosser- meister»-, Bäckermeister»- und Fleischselchrrssöhne, wie für die männlichen Sprößlinge aller ander«« Zünft«, Ehrensache für die Einjahrig-Freiwilligen der einzelnen Regimenter, Ehrensache für alle Mrnschenkategorien bi» hinab zu den Dienstmännern, ihre besonderen Bälle zu veranstalten. Ist der Fasching zu Ende, mag e» auch manchem biederen Wiener wirbelig und schwindelig zu Muthe sein, greift er an sein Herz und an sein Portemonnaie! — Der Hof veranstaltet alljährlich zwei große Faschingsfeste, einen „Hofball" und einen „Ball bei Hofe". Die verschiedenen Bezeichnungen kennzeichnen wichtige Unterschiede. Der Hofball ist rin Staatsfest. Er findet in den weiten Pedantensälen statt. Zu diesem haben alle hohen Staatswürdenträger, die Vertreter der Centralstellen, di« Abgeordneten und Ordensritter, jeder Officier Zutritt. Der Kaiser erscheint in der Marschallsuni form. An den Buffets werden Schlachten geschlagen, und wehe dem Besucher, der zu Frau und Kind oder in den Kreis befreun deter Damen zurückkehrte, ohne drei, vier sehr tiefe Rocktaschen mit den berühmten „Hofzuckerln", Bonbons exquisitester Sorte, gefüllt zu haben. Auf der Heimfahrt sitze man sehr vorsichtig im Wagen und um keinen Preis auf den Frackschößen, sonst sind Frack und Bonbons dahin! Der Ball bei Hofe ist ein intimeres Fest, eine Art Familienunterhaltung des Hofes. Geladen ist nur die CrSme der CrSme. Nur die höchsten Würdenträger und Staatsbeamten, die Mitglieder der höchsten Adelsfamilien, die Botschafter und Gesandten. Das Fest findet in dem prunkvollen Ceremoniensaale der Hofburg statt, da» elektrische Licht flammt aus venetianischrn Lüstres auf. Der Kaiser erscheint in der Oberstenuniform eine» seiner Regimenter, waS schon den fa miliären Charakter der Veranstaltung veranschaulicht. Ein Specialtanz de» Balle» bei Hof« ist der Lancier, ein Tanz, reich an malerischen Figuren. Nach dem Cotillon versammeln sich sämmtliche Gäste zu einem gemeinsamen Souper, welches — leider! — nur eine halbe Stund« dauert. Auch einzelne der Erzherzöge veranstalten große Ballfeste. Die im Palai» des Erzherzogs Karl Ludwig waren berühmt. Seit seinem Tode herrscht Trauer in dieser Seitenlinie de» Kaiserhauses, die zur Thronfolge berufen ist. Im letzten Jahre stellte sich dafür Erz- Herzog Ludwig Victor mit einem Ballfeste ein. Hof und Bürgerschaft begegnen sich während deS Faschings auf einer Reihe großer Elitrbälle. Die Hauptbiille der Bürger schaft sind der Ball der Stadt Wien, der Weiße-Kreuz-Ball, der Rothe-Kr«uz-Ball, der Concordia-Ball, der Studenten-Ball, der Jurist«n-Ball, der Techniker-Ball, der Eisenbahn-Ball und andere. Der Kaiser besucht einzelne dieser Bälle, und mit ihm erscheinen der ganze Hof, die Hof- und Staat-Würdenträger, das diplomatische Corps rc. Der Kaiser hält überall Cercle, es finden zahlreiche Vorstellungen statt, und der Monarch richtet an Alle, die er kennt, leutselige Worte. Er kann natürlich nicht alle Elitebälle der Bürgerschaft besuchen, denn ihrer sind zu viele; aber wenn er nicht selbst erscheinen kann, läßt er sich durch das eine oder andere Mitglied deS Hofe» vertreten. Bei Anwesenheit des Hofes finden auch jährlich zwei oder drei Opern-Redouten statt. Das sind die glänzendsten Maskenfeste Wien». Berühmt sind die künstlerischen Faschingt-Beranstaltungen Wiens. Der Eliteball dieser Kreise ist der bereit» vorhin er wähnt« Ball de» Schriftsteller- und Journalisten-Ver«ins „Con cordia", der besonderen Glanz durch den engen Anschluß der Theaterkreise gewinnt. Es ist ein Ball, auf dem die Berühmt heiten der Literatur und der Bühne tanzm. Boll künstlerischer Phantasie und doch dem tollsten FaschingSulk gewidmet sind die CarnevalSunterhaltungen der Maler, Bildhauer und Sänger. Die Maler und Bildhauer vereinigen sich zu ihrem großen Ulk im Künstlerhause und legen ihm immer eine exquisite Narrenidee zu Grunde. So veranstalteten sie im Vorjahre ein komisches Hubertu»-Fest, das dem edlen Waldwerk die lustigsten Seiten abgewann. All« Wände de» KUnstlerhause» waren mit komischen Gemälden von meisterlichen Händen geschmückt — die spatere Versteigerung dieser schnurrigen Decorationt-Malerei ergiebt immer riesige Summen. Jede« Mitglied ist verpflichtet, durch seine Persönlichkeit zur allgemeinen Unterhaltung beizutragen, und jeder Gast ist erfinderisch, durch Costüm, Erscheinung, Vorträge rc. die Belustigung der Gesammtheit zu erhöhen. Ganze Bekanntenkreise vereinigen sich da zu komischen Gruppen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite