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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.04.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980401020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898040102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898040102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-01
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Ec hat sich beeilt, den guten Eindruck, den die Behandlung deS FlottengcsetzeS hervorgebracht, zu verwischen und den Ostern- Thorschluß nicht eintreten zu lassen, ohne noch einmal der Schauplatz scandalöser Auftritte zu werden. Die Mittwoch-Sitzung bildet einen Schandfleck in der Ge schichte des Parlamentarismus. Dabei braucht man gar nicht daS Auftreten Ahlwardt'S in Betracht zu ziehen; für diesen Herrn ist Niemand verantwortlich. Aber schon Herr Richter, der in einer langwierigen Diskussion mit dem Gemiedenen billige rednerische Lorbeeren pflücken zu muffen glaubte, hat dadurch das Ansehen der Körperschaft herab gesetzt. Die Palme aber haben die Herren Be bel und Kunert errungen, also Mitglieder der Partei, die Deutschland durch den Reichstag beherrscht sehen möchte und nicht laut genug über „Rückständigkeit" klagen kann, wenn abfällige Kritik am Parla mentarismus geübt wird. Das „System Bebel", bestehend in falscken ehrenrührigen Behauptungen und in der jesuitischen Verdrehung von Berichtigungen, die jene nach sich ziehen, hat vorgestern wahre Triumphe gefeiert. Allerdings hat eS auch seinen Gipfel erklommen, denn als der nationalliberale Abgeordnete Vr. Friedberg das gewohnheits mäßige Vorbringen ehrabschneiderischer Unwahrheiten eben als System Bebel's gekennzeichnet hatte, wußte der sonst so beredte socialdemokratische Führer nichts mehr zu sagen. Er simulirte Erregtheit unv behalf sich mit den Herrn Friedberg ins Gesicht geschleuderten Schimpsworten „Unverschämt heit" und „Frechheit". Das gehörte übrigens auch inS System und vermag uns nicht in Erstaunen zu versetzen. Erstaunlich war nur das Verhalten, das der Präsident Freiherr von Buol beobachtete. Der Abg. Friedberg bat, nicht weil sich der schlagfertige Debattcr nicht selbst zu helfen vermocht hätte, sondern im Interesse deS Ansehens des Hauses, um Schutz gegen die Kothwürfe Bebel's. Und was erwiderte der Präsident? „Wenn Herr Bebel diese Ausdrücke gebraucht hat, so muß ich sie rügen." Für den förmlichen Ordnungsruf waren jene Worte der Gasse dem Herrn Vorsitzenden offenbar nicht derb genug. Dieser befremdliche Fall von Handhabung der Versammlungs- disciplin war nicht der einzige der Sitzung. Wir beschränken uns darauf, nur noch einen weiteren hervorzuheben. Der sächsische Bundesrathsbevollmächtigte Graf Vitzthum v. Eck- slädt hatte Tags vorher Bebel'sche Behauptungen über die Heistellung von Sattlerarbeiten für die sächsische Armee als — Bebel'sche Behauptungen dargelhan. Am Mittwoch wiederholte der Socialdemokrat Kunert die unrichtige Angabe und zwar — ganz dem System entsprechend — nicht obschon, sondern weil der Abg. Merb ach Herrn Bebel inzwischen das Material zuzestellt hatte, aus dem die Widerlegung der social demokratischen Behauptung hervorging. Graf Vitzthum v. Eckstäbt berief sich in correcter und dankcnswerther Berück sichtigung der Geschäftslage des HauseS, das verfassungsgemäß den Etat binnen 24 Stunden festsetzen mußte, einfach auf seine erste Erklärung und that dasselbe in Bezug auf die Wiederholung einer andern, von ihm früher richtig gestellten unwahren social demokratischen Behauptung. Herr Kunert seinerseits erklomm den Gipfel des Systems, indem er die Angaben des Bundes bevollmächtigten — wir citiren hier nach dem „Vorwärts" — „Unwahrheiten gröblicher Art" nannte. Der Präsident Freiherr von Buol-Berenbera hatte die Freundlichkeit, an zunehmen, dieser Ausdruck sei nur im objektiven Sinne gebraucht. Daß die Bundesrathsmitglieder, gerade weil sie nicht der DiSciplin deS Präsidenten unterstehen und sich des halb in der persönlichen Vertheidigung tactvoll halten müssen, doppelten Anspruch auf Schutz gegen persönliche Beleidigungen haben, diese doch nicht so sehr complicirte Erkenntrnß scheint dem Präsidenten vom 23. März 1895 noch nicht aus gegangen zu sein. Der Reichstag ist gestern auSeinander- gegangen und kommt nur auf wenige Tage wieder. In diesen wird man noch ertragen können, was man drei Jahre mit ansehen mußte. Aber für eine weitere Zukunft ist ein dermaßen seiner Aufgabe nicht gewachsenes Präsidium wie daS gegenwärtige einfach unmöglich, und es wird allgemein gehofft, daS Centrum werde, falls es auch in der nächsten Session den ersten Vorsitzenden zu präsentiren haben sollte, ein Einsehen haben. Die den Reichstag compromittirenden Mängel der Leitung der Verhandlungen waren in den letzten Jahren Legion, aucb das Herumzerren der Berliner Revolution vom 18. März 1848 auf der Tribüne fällt, beiläufig bemerkt, ausschließlich dem Präsidium zur Last. Dieses ist gerichtet aus dem Munde seines Zntroducteurs und ersten Lobredners. Am 23. März 1895 meinteHerrRichter: „Es geht auch so", und vor wenigen Tagen erpreßt ihm eine präsidiale Meisterleistung den Aus ruf: „So etwas wäre unter Herrn v. Levetzow nicht passirt." b'iat applicatio — nicht in Bezug auf Herrn von Levetzow, aber in Anbetracht der im Uebrigen hochehrenwerthen Person des Freiherrn von Buol-Berenberg. Es ist schon öfter darauf hingewiesen worden, daß die Agitatoren -cs Bundes -er Landwtrthe durch ihre Einmischung in der Aufstellung von Candidaturen die Einmüthigkeit der rechts von den Fortschritts»» stehenden Gruppen erschwert und dadurch auch die Sache deS Bundes schädigt. Die „Deutsche Tageszeitung" giebt selbst indirecl zu, daß durch daS Vorgehen jener Agi tatoren Verwirrung geschaffen Werve, indem sie berichtet, daß in 150 Wahlkreisen Candivaten aufgestellt seien, die im Großen und Ganzen den Forderungen des Bundes zustimmten, daß aber in 20 Wahlkreisen sich je 2 Candidaten des Bundes, und in 30 Wahlkreisen Bewerber gegenüberstehen, die auf dem Boden ces wirthsckaftlichen Sammelaufrufs stehen. Es ist nickt klar ersichtlich, ob in den letztgenannten 30 Wahlkreisen, die vorher erwähnten 20 Wahlkreise mit einbegriffen sind. Ist dies nicht der Fall, so sind in 50 Wahlkreisen, also in einem Drittel der erwähnten 150 Kreise, je 2 Candidaten ein und derselben wirthschaftlichen Richtung aufgestellt; ist eS aber der Fall, so stehen immerhin in einem Fünftel der 150 Wahlkreise Bewerber der gleichen wirthschaftlichen Auffassungen einander gegenüber. Auch in dem letzteren Falle ist der Schaden gerade groß genug, denn man kann annebmen, daß in den meisten der Fälle, wo zwei Candidaten derselben Richtung aufgestellt sind, der Candidat einer anderen Ricktung den Sieg davonträgt. Dieser Schaden ist so groß, daß durch ihn die Agitationskraft, die in der Organisation des Bundes der Landwirthe liegt und sicherlich in einer Reihe von Wahlkreisen den vom Bunde unterstützten Candidaten zum Siege verhilft, in einer vielleicht ebenso großen Reihe anderer Wahlkreise lahm gelegt wird. Es ist eben verfehlt, wenn eine Organisation, ine ausdrücklich keine Parteiorganisation sein soll, über die von den einzelnen Parteien aufzustellenden Candidaten diktatorisch bestimmen will. Der Bund der Landwirthe hätte durchweg den Parteien die Aufstellung von Candidaturen überlassen und sich dann entscheiden sollen, ob er die aufgestellten Candidaturen unterstützen wolle oder nicht. Indem er den Parteien vorschreiben will, wer als Candidat aufzustellen sei oder nicht, vergißt er ganz, daß die innere deutsche Politik doch nicht nur von der Frage höherer Getreidezölle, ja selbst nicht allein von den agrarischen Fragen beherrscht wird, sondern daß auch noch andere Interessen gewahrt sein wollen, für die ein Theil der Wähler vielleicht nicht das rechte Verständniß bei einem Candidaten vorauSsetzt, der in wirthschaftlichen Fragen auf dem Standpunkte deS Bundes der Landwirthe und auch auf ihrem eigenen steht. Wenn nicht der Streit in dem dem Bunde der Landwirthe entgegengesetzten Lager ein Gegenstück zu der durch den Bund geschaffenen Verwirrung bildete, so würde das Vorgehen der Bundesagitatoren wahrscheinlich zu einer Niederlage führen; aber auch trotz des Haders der Gegner wird diefen der Sieg in gar manchem Wahlkreise durch Herrn vr. Hahn und seine Werkzeuge erleichtert werden. Es muß wohl dem Einflüsse Oesterreichs aus den Fürsten Ferdinand von Bulgarien, der bekanntlich erst vor einigen Tagen aus Oesterreich nach Sofia zurückgekehrt ist, zuzu schreiben sein, daß die bulgarische Regierung sofort nach der Rückkehr des Fürsten sich bemüßigt fand, der Türkei be ruhigende Versicherungen über die Anhäufungen von Truppen an der bulgarisch-makedonischen Grenze zu geben. Diese Truppenbäufungen in Verbindung mit den in Make donien aufgestöberten geheimen Waffenlagern, hatte in der Türkei doch eine solche Beunruhigung hervorgerufen, daß allein von Thessalien aus 12 000 Mann an vie bulgarische Grenze gesandt worden waren. Diese Truppenverschiebnngen sind mit dem Eintreffen der befrievigenben bulgarischen Erklärungen sofort sistirt worven, und die Pforte hat ihrerseits für die türkischen Truppenanhäufungen an der Grenze eine friedliche Er klärung gegeben, die allerdings eines stark ironischen Anstrichs nicht ermangelt. Die Pforte hat nämlich er klärt, sie habe die Truppen nur zusammengezogen, um in Makedonien aufrührerische Banden zu zerstreuen, die sich im Frühjahr trotz der Wachsamkeit der bulgarischen Regierung möglicherweise bilden könnten. Diese Erklärung zeigt zwar, daß vie Türkei der bulgarischen Regierung nicht über den Weg traut, aber immerhin beweist sie ein wieder etwas besser gewordenes Verhältniß zwischen dem Sultan und seinen Vasallen. Diese Besserung paßt nun ganz und gar nicht den Eiigländern in den Kram, denen jetzt wieder etwas Unruhe im Orient recht erwünscht wäre. Die englische Presse sucht deshalb die Bulgaren zum Ein greifen in die makedonischen Angelegenheiten auf- zubetzen. Diese würden ja nun sehr gern die Rolle eines „Beschützers der unterdrückten Christenheit auf dem Balkan" übernehmen, die zu spielen die „Times" ihnen räth, d. h. die Balkanfrage aufzurollen und bei dieser Gelegenheit ein Stück Makedonien an sich zu reißen, aber der Wink, den Fürst Ferdinand in Wien bekommen hat, scheint, für den Augenblick wenigstens, mehr Eindruck gemacht zu haben, als eS die Verlockungen der „Times" vermögen. In Pretoria ist Anfang März der Bericht veröffentlicht worden, den der Staatssecretair I)r. Leyds über die' zu künftige diplomatische Vertretung der Transvaal Republik in Europa an den Präsidenten Krüger erstattet hat. ES heißt in demselben u. a.: Die Republik sei in der unglücklichen Lage, nur schwer eine geeignete Person finden zu können, besser wäre aber Niemand als ein ungeschickter Vertreter. Ueber die Nothwendigkeit einer guten diplo matischen Vertretung in Europa könne bei Allen, die es mit der Republik gut meinen, kein Zweifel bestehen. Die betreffen den Regierungen wünschten eine bessere Vertretung, al- sie die Republik bisher hatte. Bei der Südafrikanischen Republik komme zu den allgemeinen Gründen noch der besondere Um stand, daß die Republik durch ihren Reichthum viele begehr liche Augen auf sich ziehe unv viele Feinde habe. Die große Entfernung von Europa und die allgemeine Unbekanntschaft mit den dortigen Verhältnissen mache es diesen Feinden reckt bequem, falsche Vorstellungen und Berichte über die Republik zu verbreiten und also andere Völker gegen dieselbe aufzu hetzen. Der einzige diplomatische Vertreter war bisher Bee- laerlS von Blokland, der kein Bürger der Republik, sondern holländischer Unterthan war. Der Posten eines Gesandten war aber nicht sein einziges Amt. Er hatte diese Stelle aus Zuneigung für die Republik übernommen, erhielt anfäng lich ;ahrelang gar keine Entschädigung, später eine kleine Vergütung. Als niederländischer Bürger, Beamter und Volksvertreter war er nicht bei der Regierung im Haag beglaubigt, sondern nur bei der deutschen, französischen und portugiesischen Regierung. Da Herr BeelaertS durch viele Pflichten in Holland gebunden war, kam er nur wenig mit den Regierungen in persönliche Beziehungen, bei denen er beglaubigt war; das gab zu vielen Klagen Anlaß. Tie Republik mußte Vertreter haben in London, Berlin, Paris und Lissabon; die von Berlin undParis sollten zugleich auch im Haag und in Brüssel beglaubigt werden. Eine gleiche Maß regel sollte auch für Italien und die Schweiz in Erwägung gezogen werden. Einer von diesen Gesandten sollte auS wirth- schastlichen Rücksichten zum Haupt im diplomatischen Dienste gemacht werden. Zuerst sollten die Posten in London und Lissabon besetzt werden, da diese beiden Staaten in Südafrika durch Commissarien vertreten sind. Sollte es nicht möglich sein, je einen Gesandten für Berlin und Paris zu ernennen, so dürfte ein gemeinsamer nur außerhalb Deutschlands und Frankreichs wohnen, etwa im Haag oder iu Brüssel. Wenn ein Gesandter angestellt werde, solle er verpflichtet sein, viel umherzureisen, damit er mit den verschiedenen Ländern in Fühlung bleibe. Er müsse einen zu seiner vollen Vertretung berechtigten Beamten an seinem Wohnsitze haben. In jeder der Hauptstädte sollte ein Vertreter der Republik sein, der unmittelbaren Zugang zu den Ministern hätte; die Geueral- consuln sollten zu Lkargög ä'Ltkailvs ernannt werden. Auch wäre es nölhig, daß das Haupt der Gesandten aller zwei Jahre die Republik besuchte, damit er mit dem Volk, dem VolkSraad und der Regierung bekannt bliebe und die nothwendigen mündlichen Unterhandlungen pflegte. Deutsches Reich. — TreSdcn, 31. März. In einer beute hier abgehaltenen Sitzung deS Vorstandes des Nationalliberalen Landes vereins wurde festgestcllt, daß, wie der Dresdner Reichsverein seither eine selbstständige Stellung gegenüber dem Landesverein eingenommen hat, so insbesondere auch dessen Vorgehen in der gegenwärtigen Dresdner Wahl angelegenheit ein durchaus selbstständiges gewesen ist. Nach einer längeren Aussprache über die Art des Vorgehen- gaben Ferrilletsn. Der Lamps mit dem Schicksal. 1s Roman von Hermann Heinrich. Nachdruck verboten. Durch das Gedränge der Friedrichstraße zwischen Leipziger straße und Linden bewegte sich an einem Sonnabend gegen zehn Uhr Abends eine kleine, muntere Gesellschaft. Junge Leute, die sich nach der sauren Wochenarbeit einen fröhlichen Abend machen wollten, drängten sich, die Spazierstöcke aufrecht in den Seiten taschen der Jackets haltend, die kleinen Hüte keck auf den jugend lichen Köpfen, im Gänsemarsch durch die Menge, welche zu dieser Zeit über die Trottoirs der Friedrichstraße wogt. An der Behren straße angelangt, schwenkte der Führer plötzlich links ab, während seine Genossen zur Passage hinüber wollten. „Was ist das, Omar?" riefen mehrere Stimmen zugleich. Omar machte ein unternehmendes Gesicht. „Wollen wir uns einmal einen rechten Ulk machen?" Damit waren sie natürlich Alle einverstanden, und im Augen blick sah sich der Führer von einem halben Dutzend erwartungsvoll blickender Gesichter umgeben. „Hier in der Behrenstraße wohnt eine alte Hexe, die von einem Wahrsagergeist besessen ist. Thut Ihr aber bei Leibe nicht das Unrecht an, sie mit einer gemeinen Kartenschlägerin zu ver gleichen. Nein, es ist etwas ganz Originelles. Sie weissagt nämlich das Schicksal der Menschen aus Eidotter und Eiweiß. Meine Schwester hat sie mit einer Freundin besucht und mir da von erzählt. Natürlich bekommt jede einen Mann. Der eine der beiden Zukünftigen wird nach dem Orakel der Sibylla Del- Phica seinen Weg immer gerade ausgehen, also zweifellos ein Ritzenschieber, der Andere wird schnell in die Höhe kommen, also ein Schornsteinfeger. Riesig dumm die ganze Geschichte natür lich, aber riesig ulkig. Wer kommt mit?" Die Gesellschaft stimmte lachend zu, und eben wandte sie sich zum Gehen, al» eine sehr entschiedene Stimme erklärte: „Ich gehe nicht mit, Adieu!" „Aber Richard! Du wirst doch nicht Spielverderber sein?" Richard war seinem Aussehen nach der Aelteste der kleinen Gesellschaft, wenigstens hatte sein Gesicht einen reiferen Ausdruck, und zum Schnurrbart gesellte sich bei ihm der Backenbart, der hellblond das feine Oval des Gesichtes umrahmte. Die braunen Augen waren groß und seelenvoll, aber um den Mund zuckte etwas von Trotz und Eigenwillen, was zu dem gutmüthigen Ausdruck der Augen nicht recht paffen wollte. Er hatte sich bereits ge wendet und sagte über die Schulter hinweg: „Muthet mir doch nicht solchen Unsinn zu!" Die Freunde umringten ihn schnell. Mit heiterer Gegen rede und manchem Witzwort suchten sie seinen Widerstand zu beseitigen. Richard aber blieb standhaft und erklärte, zu dem vorgeschlagenen Ulk nicht aufgelegt zu sein. „Eine junge Hexe wäre Dir wohl lieber, was?" „Laßt ihn, er ist verheirathet!" „Dieser Philister!" So schwirrten die Reden durcheinander, ohne einen wesent lichen Eindruck auf den Widerstrebenden zu machen. Da ergriff Willy Ender, ein kleiner, zierlicher Mensch, das Wort. „Soll ich Dir sagen, warum Du Dich weigerst? Du fürchtest Dich, Du bist abergläubisch." ,,Jch?" „Ja. Du glaubst an die Orakel der weisen Alten. Ja, ja, meine Herren, er hat zuweilen wunderbare Träume, die ihn beun ruhigen. Wenn ihm des Morgens zuerst ein altes Weib begegnet, so macht er heimlich drei Kreuze, um den Zauber zu vernichten, wenn er sein Taschentuch vergessen hat, so putzt er die Nase lieber mit dem Aermel, als daß er noch einmal zurückgeht, weil's Un glück bedeutet. Er springt nie mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bette und sagt bei einem glücklichen Ereigniß: „Ich will's nicht beschreien." Du, nimm Dich vor der Hexe in Acht, sie weissagt Dir Zwillinge." Ein Lbermüthiges Lachen erscholl. Richard suchte sich ver geblich zu vertheidigen, er kam gar nicht zu Wort. „Siehst Du", fuhr Willy fort, „wir Alle sind frei von jedem Aberglauben, deshalb können wir die Kunst der Alten von der spaßhaften Seite nehmen. Du aber —" „Ich auch", warf Richard ein. „Nun so beweise es! Wir würden sonst lebenslang glauben, daß Du mit dem Käuzchen wider Willen Zwiesprache hältst und auf das Picken des Todtenwurms hörst." Die Freunde nahmen ihn in ihre Mitte und führten ihn schnell und mit fröhlichem Lärm davon. In einer Handlung kaufte Jeder ein Ei, denn dieses mußte Jeder, der sein Schicksal erfahren wollte, selbst mitbringen. Das Ei behutsam in der Hand haltend, gingen die jungen Leute weiter. Sie paßten sich schnell der Situation an, indem sie das Gackern der Hühner nachahmten, während Omar mit Hahnenschritten voranging und zuweilen ein gedämpftes Kikeriki! erschallen ließ. An einem vornehmen Hause, dessen Fassade mit großen Sand steinquadern verkleidet und mit Skulpturen reich verziert war, hielten sie an, und Omar zeigte auf einen goldenen Namen, der sich von einem schwarzpolirten Grund wirksam abhob." „Madame de Giorgewo." „Das ist sie", erklärte Omar. „Donnerwetter!" entgegneten die Freunde. Als die jungen Leute die mit breitem Teppich belegte Marmcr- treppc hinaufstiegen und ein weiter vornehm ausgestatteter Raum sie aufnahm, wurden sie unwillkürlich ruhiger. Ihre laute Aus gelassenheit hielt vor der vornehmen Ruhe nicht Stand, und auch bei ihnen machte sich der Einfluß gellend, die eine von der Kunst geschmückte Stätte auf gebildete Gemüther ausllbt. Schon die hohe Frauengestalt, welche an der Treppe einen Kandelaber mit drei Flammen hielt, schien zur Ruhe zu mahnen, und die Fresken an den Wänden, Scenen aus dem Mythus von Amor und Psyche darstellend, verbreiteten eine ernste Stimmung. Die Klingel an der Thür tönte mit scharfem Klange, ein Diener in Livrke öffnete und führte die Herren auf ihren Wunsch in den Empfangssalon der gnädigen Frau. Sie mußten warten, die gnädige Frau hatte gerade eine Konsultation. Verwundert sahen sich die Freunde um. „Verdammt fein!" flüsterte Omar. „Die Hexen haben sich modernisirt und sind aus ihren Höhlen in die Paläste gezogen." Die von der hohen Decke herabhängende Krystallkrone, deren Prismen in allen Regenbogenfarben funkelten, warf ihr gedämpf tes Licht auf Oelgemälde, die von Künstlerhand herrührten, auf ebenholzschwarze Möbel mit kunstvoller Holzschnitzerei, auf die schwellenden Sessel und den üppigen, in satten Farben erglühenden Teppich. Die Freunde setzten sich und nahmen schweigend die illustrirten Prachtwerke zur Hand, die auf dem Tische ausgebreitet lagen. Richard aber musterte lange mit trübem Blicke die ganze Herrlichkeit. „So baut die Dummheit den Schwindlern Paläste", dachte er. Zugleich griff er unwillkürlich in die Tasche nach seinem Portemonnaie und zählte sein Geld. Mit einer Mark war die Sache hier nicht abgemacht, das wußte er. Da fiel sein Blick auf eine Zwanzigmarkstückimitation aus Pappe und Gold schaum, die ihm einst im Scherz zugesteckt worden war. Ein satyrisches Lächeln zuckte über sein Gesicht. Er legte das Falsi fikat in eine besondere Abtheilung des Portemonnaies und steckte dies ein. Nach einer viertel Stunde öffnete sich die Thür und eine Dame in Seide mit tief verschleiertem Gesicht rauschte vorbei. Zugleich meldete der Diener, daß einer der Herren eintreten könne. Ömar ließ die gnädige Frau bitten, Alle zugleich vorzulassen, wurde aber kurz abgewiesen. Das war durchaus nicht nach dem Sinne der Herren. Bis jetzt sah die Geschichte wenig nach Ulk aus, und sie wollten sich das bischen Vergnügen, das die gemeinsame Consultation zu bringen versprach, durchaus nicht verkümmern lassen. „Entweder Alle auf einmal oder Keiner", sagte Omar, und erst vor diese Alternative gestellt, entschied sich die Dame für den gemeinsamen Empfang. Dunkelrothes Licht und ein weicher, aber nicht unangenehmer Duft schlug den Eintretenden entgegen. Die Wände waren mit dunkelrothen Sammettapeten bekleidet, von denen sich das goldene Rococomuster und die breiten Goldrahmen matt abhoben, während die Gemälde selbst nur in dunklen Umrissen zu erkennen waren. Dunkelroth war der Teppich, dunkelroth der seidene Ueberzug der Sessel, und dunkelroth das Licht, das aus einer geschliffenen Ampel auf die Umgebung fiel. Mit einem gewissen künstlerischen Raffinement war das weite Zimmer in Dämmerung gehüllt, so daß Schiller's „purpurne Finsterniß" hier zur Wahrheit wurde. Und aus dieser Finsterniß trat Madame de Giorgewo in Heller Gewandung den Freunden wie ein Wesen aus altgriechischer Zeit entgegen. Ein ernstes Gesicht mit nicht gerade schönen, aber durchgeistigten Zügen erhielt durch das volle, graue Haar, welches den stolzen Kopf krönte, ein ehrwürdiges Ansehen. Die schlanke Gestalt war von einem Kostüm umhüllt, welches in geschicktem Schnitt antike Schönheit mit moderner Form vereinigte und die üppigen Glieder des Weibes zur Geltung brachte. Mit an- muthiger Handbewegung lud sie die Herren ein, auf den Sesseln Platz zu nehmen, und die Freunde folgten gehorsam ihrem Winke. Sie selbst setzte sich auf einen schwarzen Lehnstuhl, der eine reiche Schnitzerei zeigte und dessen Armlehnen nach vorn in zwei Drachenköpfen ausliefen. „Was führt Sie zu mir?" fragte sie mit einer Stimme, die wie tiefer Glockenklang den Raum durchbebte. Niemand antwortete sogleich. Die Freunde fühlten sich unter einem Bann, von dem sie sich nicht befreien konnten, war es doch, als ob sie plötzlich aus den belebten Straßen der Hauptstadt in das ferne Heiligthum eines Fabellandes versetzt worden wären. Endlich entgegnete Omar leise, mit fast schüchterner Stimme: „Wir möchten Sie bitten, uns einen Blick in die Zukunft zu er öffnen." „Treten Sie näher!" entgegnete das Weib. Omar stand auf und ging einige Schritte vorwärts, schrak aber förmlich zurück, als sich plötzlich vor der Alten ein kleiner Tisch in die Höhe hob, der, von derselben Farbe wie der Lehn stuhl, einem zierlich gearbeiteten nach allen Seiten verschlossenen Kasten glich und aus dem Fußboden zu kommen schien. Sie winkte Omar hoheitsvoll näher, nahm ihm das Ei ab und zerschlug es auf einer Krystallschale, die sich auf die Mitte des Tischchens gesetzt hatte. Als sie die dunklen Augen forschend senkte, erglühte die Schale plötzlich in Hellem Schein, der wie
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