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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980506018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898050601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898050601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-06
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DI» Morgen-An-gab« erscheint um '/»? Uh* * dir Vbend-Au-gabe Wochentag» u» b Uhö^ Nr^artto» «»> Lrveditti«: Zohavneiftzasse 8. Di» Ir-edition ist Wochentag« nounterbroche» ««Sssnet von früh 8 bis Abend« ? LH«, Filiale«: Dito Klemm'« D«rti». lMft-r -cktz^ UniversitLt-straße S (Paultm«), r««t» Lüsche, chacharineUsle. od ff«nsK«plnß D Mvrtzen-Aüsgltve. KMgcr.TagMM Anzeiger. ÄMsvlatt -es Königliche« La«-- ««- ÄcktSMchieS Leipzig, des Nathes ««- Nolizei-Ämles der Ltadt Leipzig. A»-»tsechPrei- l^e -gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strich ^ge spalten) bO/g, vor den Familirnnachrichtea (6 gespalten) 40^. Gröber» Schrift«» laut unserem Preit verzeichaiß. Tabellarischer und Ztffernsus nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de. Morgen.Ausgabe, ohne Postbeforderuag SO.—, mit Postbesörderung 70. —. Aimahmeschlaß fSe A«)eigea: Ab end »Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeige« smd stet« o» die Expedition z» richte«. Drnck nnd Verlag von E. Pol» la Leipzig- 22«. s Freitag den 6. Mai 1898. S2. Jahrgang. Telephonrecht. vr. L. Im Jahre 1892 ist das Telephon-Monopol gesetzlich ausdrücklich festgefiellt. Thatsächlich bestand eS schon, aber seine rechtliche Grundlage war angezweifelt. Infolge deS damals zu Stande gekommenen Gesetzes sind da« Reich bezw. Bayern und Württemberg ausschließlich berechtigt, Telegraphen- und Fern sprechanlagen „für die Vermittelung von Nachrichten zu errichten und zu betreiben". Auch die neue Telegraphie ohne Draht, die auf 1 bis 2 Meilen wirksam sein soll, fällt, soweit sie Nachrichten vermittelt, zweifellos unter das Staatsmonopol. Nur drei Aus nahmen sind gemacht. Zunächst kann jeder Grundbesitzer inner halb der Grenzen seines Grundstücks Nachrichten durch Tele graphen oder Fernsprecher vermitteln. Zweitens kann, wer zwei von einander getrennt liegende Grundstücke besitzt oder auf ge trennten Grundstücken einen Betrieb irgend welcher Art hat, zwischen diesen Grundstücken Telegraphen oder Fernsprechanlagen errichten und betreiben, falls die beiden Grundstücke in der Luft linie nicht über 25 Kilometer entfernt und die Anlagen „aus schließlich für den der Benutzung der Grundstücke entsprechenden unentgeltlichen Verkehr" bestimmt sind. Al« dritte Ausnahme ist zu erwähnen, daß Gemeinden für den Verkehr innerhalb des Gemeindebezirk- dar Telegraphen- und Fernsprecherrecht verliehen werden muß, wenn die Reichs- bezw. die bayerische oder die württembergische Verwaltung eine solche Anlage nicht errichten will und die Gemeinde genügende Sicherheit für ordnungs mäßigen Betrieb bietet. In allen übrigen Fällen ist selbst die unentgeltliche telegraphische oder telephonische Vermittelung von Nachrichten seitens Privatpersonen nicht gestattet, auch nicht innerhalb eines begrenzten Kreises von Personen. Also die An legung eines Privattelephons seitens eines Bankgeschäftes in Mitteldeutschland zu seiner Filiale in Berlin oder einer Zeitung zu ihrem Berliner RedactionSbureau ist unzulässig. Derartige, sogenannte „besondere" Telegraphen bestehen allerdings mehrfach („besondere" Fernsprecher noch nicht), sie sind aber von der Tele graphenverwaltung für ihre Rechnung hergestellt und dem Be steller gegen eine JahreSmiethe überlassen. AIS Gegengewicht argen da« Monopol ist den Grundstücks- Eigenthümern da» Recht gegeben, Anschluß an da« Localnetz zu verlangen: und hat Jedermann außerdem da« Recht auf Zu lassung zu einer telephonischen Unterhaltung. Die Bedingungen, unter denen der Anschluß gewährt wird, setzt die Verwaltung fest. Sie ist darin gesetzlich nicht beschränkt, sondern es steht ihr frei, von dem betr. Grundstücksinhaber zu verlangen, daß er sich bereit erklärt, auch die Anbringung anderer Leitungen auf seinem Gebäude zu dulden. In Deutschland ist die Telegraphen verwaltung nämlich nicht berechtigt, die Duldung ihrer Gestänge und Isolatoren auf fremden Grundstücken zu erzwingen, wie in Belgien seit 1883 und Frankreich seit 18W. Es hat sich kein Bedürfniß hierzu herausgestellt, da zufolge Mitteilung deS ver storbenen StaatSsecretairS v. Stephan bei der Berathung des Gesetzes im Reichstag in tausend Fällen kaum einmal Streit ent steht. Herr v. Stephan führte die» darauf zurück, daß die Telegraphen-Verwaltung in größtem Umfang die erforderlich werdenden Reparaturen an den Gebäuden vornehme, so daß drei Viertel aller Dachreparaturen auf Kosten der Telegraphen- Verwaltung auSgeführt würden. Das Recht Jedermanns auf Zulassung zu einem telephonischen Gespräch hat nur zur Voraussetzung, daß die Unterhaltung eine „ordnungsmäßige" ist. E« soll hiermit gesagt sein, wie bei Be- rathung des Gesetzes ausgeführt wurde, daß die Unterhaltung weder strafbar, unsittlich, noch unstatthaft sein dürfe. Wie man mir im Reichspostamt auf meine Anfrage in bereitwilligster Weise mittheilte, ist dieserhalb noch kein Gespräch zurückgewiesen worden, da die Verwaltung keine Controle über den Inhalt der Gespräche auSübe. Durch ihr ordnungswidriges Verhalten, wurde gesagt, führten die angeschlossenen Personen vielmehr selbst oft die Unmöglichkeit einer Unterhaltung herbei, z. B. dadurch, daß sie ungeduldig fortgesetzt die Kurbel drehen, wa» den beab sichtigten Zweck nicht erreicht, da an der VermittelungSstelle die Klappe bei der geringsten Drehung der Kurbel schon fällt und jedes weitere Drehen dem Beamten nur die Möglichkeit nimmt, während dessen die betreffende Person anzurufen, und er daher eine Andere zuvor bedient. Ausschließungen von der Benutzung sind gesetzlich aus Gründen des „öffentlichen Interesses" zu lässig, eine Bestimmung, von der bisher gleichfalls kein Gebrauch gemacht sein soll. Sollte der Beamte von dem Inhalt eines Ge- sprLH Kenntniß erhalten, so ist er ebenso, wie bei Briefen und Postkarten, zur strengsten Wahrung des Geheimnisse« ver pflichtet, insbesondere auch darüber, ob Jemand überhaupt und mit wem er gesprochen hat. Wird ein durch den Fernsprecher gepflogenes Gespräch durch Verschulden der VermittelungSstelle unvollständig oder an eine falsche Adresse weiter befördert, und entstehen hierdurch Nach theile, so leistet die Verwaltung keinen Ersatz, höchstens zahlt sie die entrichtete Einzelgebühr zurück. Früher mehr als jetzt entstanden Differenzen darüber, ob eine angeschlossene Person ihren Fernsprecher auch Bekannten oder Kunden (z. B. im Restaurant, im Cigarrenladen) zur Ver fügung stellen darf, und deren Unterhaltung zugelaffen werden muß. Nach der jetzigen Praxis der Verwaltung wird diese Frage bejaht; aber nur innerhalb des Stadtverkehrs, in welchem ja jeder Anschluß seine eigne Leitung hat, und die Be- lastung der Verwaltung nur in der größern Inanspruchnahme und dadurch erforderlichen Verstärkung des Beamtenpersonals be steht. Eine andere Stellung nimmt die Verwaltung bei den jenigen Vororten größerer Städte ein, bei welchen die Teil nehmer durch eine jährliche Zuschlags-Vergütung (meist 50 ein für allemal dar Recht erwerben, mit dem Nachbarort sprechen zu können. Hier erhält nicht jeder Theilnehmer eine besondere Leitung von dem Hauptort nach dem Vorort, sondern es ist nur eine Anzahl von Verbindungsleitungen zwischen Hauptort und Vorort angelegt, und glaubt die Telegraphen-Verwaltung eine Benutzung dieser Leitungen seitens nicht zahlender Personen nicht gestatten zu Linnen, weil darunter die zahlenden Theilnehmer leiden würden. Uebrigens bringt die Reichsverwaltung der artige Zuschlags-Pauschale bei neu hergestellten Ortsverbindun gen nicht mehr zur Anwendung, sondern läßt jedes Gespräch einzeln bezahlen. Die Vergütung hierfür ist bei einer Ent fernung deS OrteS von 50 Kilometern auf 25 H für ein Gespräch von drei Minuten festgesetzt, bei größeren Entfernungen auf 1 Verboten bleibt aber nach wie vor die Ueberlassung deS Fern verkehrs an einen Fremden gegen Bezahlung. Wer dies thut, setzt sich der Gefahr auS, daß ihm der Fernsprecher ent zogen wird, ohne daß er von Entrichtung der Jahresvergütung befreit wird, Da» gleich» R-cht behält sich die Verwaltung «ach bei eigenmächtigen Abänderungen der technischen Einrichtungen, z. B. durch Einschaltung selbst beschaffter Apparate vor. Die Neuanlage eines Fernsprechers geschieht auf Kosten der Verwaltung, die Verlegung desselben nebst Leitung auf Kosten deS Theilnehmer-, wobei jedoch Kosten für Leitungsmaterial außer Berechnung bleiben. Einem ganz anderen Rechtsgebiete, nämlich demjenigen deS bürgerlichen Rechts, gehört die Frage nach der Giltigkeit der Vertragsabschlüsse durch Telephon an. Es ist wieder holt anerkannt, daß Verträge durch den Fernsprecher abgeschlossen werden können. Lange bestand Streit, ob diese nach den Regeln der Verträge unter Abwesenden oder unter Anwesenden zu be- urtheilen seien. Der praktische Unterschied liegt hauptsächlich in der Verschiedenheit der Zeitdauer, während welcher der Antrag steller gebunden ist. An einen Antrag, den ich einem Anwesenden mache, bin ich nicht mehr gebunden, wenn er nicht sofort an genommen wird; an einen Antrag, den ich einem Abwesenden mache, bin ich so lange gebunden, bis ich bei ordnungsmäßigem Geschäftsgänge die Antwort erhalten kann, also wenn ich Jemand telegraphire, in der Regel nach 12—24 Stunden. Die Mehr zahl der deutschen Juristen hat sich im Gegensatz zu einigen aus ländischen Rechtsgelehrten trotz mancher Bedenken — z. B. der Käufer kann eine Prob« nicht sehen, nicht fühlen, nicht schmecken, die Verständigung ist infolge der Einflüsse von Wind, Luft, Geräusch erschwert, die Verbindung kann unterbrochen werden rc. — dafür entschieden, daß Verträge mittel» des Fernsprechers nach den Regeln der Verträge unter Anwesenden zu beurtheilen sind. Das Bürgerliche Gesetzbuch spricht dies ausdrücklich aus. Wird eine Mittheilung, z. B. der Antrag zu einem Geschäft, durch den Fernsprecher ohne Schuld des Sprechenden unrichtig wiedergegeben, vielleicht durch zufällige Verwickelung mit der Leitung eines anderen Theilnehmer» oder dadurch, daß ein Schornsteinfeger auf dem Dache seine Leinen auf die Drähte hängt und dadurch den Fortgang des Gesprächs vorübergehend hindert, so daß dem Angeredeten die Bedingung, die dem Antrag hinzugefügt ist, verloren geht, so entsteht die Frage, wen die Gefahr kifft. Diese wird diejenige Person tragen müssen, welche den Anlaß zur Benutzung eines so unsicheren Verstän digungsmittels, wie des Fernsprechers, gegeben hat; also der Antragsteller. Wenn er auch nicht an den Antrag gebunden ist, weil das Vermittelte und Verstandene seinem Willen nicht ent sprach, so ist er dem Andern dennoch für denjenigen Schaden ersatzpflichtig, den dieser dadurch erlitten hat, daß von dem Ge- schäft überhaupt dieRedewar, also für Aufwendungen, die er infolge der Unterredung gemacht hat, sowie für sonstigen Schaden, den er infolge seines Vertrauens auf die Giltigkeit der empfangenen Mittheilungen erlitten hat. Zum Schluß sei noch auf eine Entscheidung des Reichsgerichts über die Bedeutung des Fernsprechers für die Verpflichtungen aus dem Miethvertrag hingewiesen. Es ist daS Urtheil vom 30. Januar 1896. Hier wird ausgesprochen, daß der Ver- miether auch ohne ausdrückliche Verpflichtung seinem Miether die Anlage eines Fernsprechers dann erwirken muß, wenn letzterer nach der Berkehrssitte für den Geschäftsbetrieb oder die per sönlichen Bedürfnisse des Miethers als erforderlich zu erachten ist. Das Benutzungsrecht deS MietherS, sagt das Reichsgericht, beschränkt sich nicht auf den Aufenthalt und daS Hineinstellen von Gegenständen in die Wohnung, sondern es kann auch Ein griffe in die Substanz erfordern, wie das Einschlagen von Nägeln oder dergleichen. Miether war in dem vorliegenden Falle eine Druckerei mit Zeitungsverlag in Insterburg, die JahreS miethe betrug 1350 cL. Meines Erachtens würde in den Ge bieten des gemeinen und des rheinischen Rechts ebenso erkannt werden. Deutsches Reich. -g- Leipzig, 5. Mai. Wie wir vor Kurzem mittheilte», war in RozSrieulleS ein gewisser Le fort durch den Grenz- polizeicommissar auS Amanweiler unter dem Verdachte der Spionage verhaftet und nach Metz gebracht worden. Die Angelegenheit ist nun beim Reichsgericht geprüft und Lefort auf Antrag deS OberreichSanwaltS wieder außer Ver folgung gesetzt worden. j?. Berlin, 5. Mai. DaS vierzigjährige BischofS- jubilaum deö Bischofs v. Seuestrey giebt der ultra- moutaneu Presse Veranlassung, den «Hirten der Diöcese Regen«bu»n verehrungsvoll zu feiern. Bischof v. Senestrey hat da« sicherlich verdient. Wüßte die ultramontane Presse auch nichts weiter von ihm, als daß er am 8. März 1897 einen Erlaß, betr. die Feier des 100. Geburtstages Kaiser Wilhelm'- I., veröffentlichte, so genügte diese That, ihn unvergeßlich in ultramontanen Herzen fortleben zu lassen. Sprach doch der hochwürdigste Herr, wie einst Napoleon I. von „le nomm6 Klein", in dem Erlaß von dem „genannten Kaiser Wilhelm", dessen Regierung in einer Weise gedacht wurde, die geradezu als eine Verhöhnung der Anordnung deS Prinzregenten, auf die Bedeutung der Festfeier in geeigneter Weise auf merksam zu machen, angesehen werden muß. In richtiger Würdigung deS vaterland-feindlichen Geiste«, der dem Erlasse den Stempel aufdrückte, hat bald darauf der socialdemo kratische Abgeordnete von Boll mar bei der Zesuitendebatte im Reichstage schirmend die Fittiche seiner Beredsamkeit über Bischof v. Senestrey gebreitet. In die Fußstapfen deS soeialistischen Führer- trat im vorigen August bei der Ein weihung der Kirche in Stephansposching der ultramontane Freiherr vonOw auS Schloß Lobam; Bischof v. Senestrey selbst aber that bei dieser Gelegenheit die Angriffe der natio nalen süddeutschen Presse wegen deS Erlasses mit der Be merkung ab: „Es verdroß Wohl, daß ich bayerisch geredet habe." Der jesuitische Versuch, „bayerisch" gleich „römisch" zn setzen, angeblich bayerischen Patriotismus als Deckmantel für undeutsche Gesinnung zu benutzen, ist von den nationalen bayerischen Blättern, besonders scharf von den „Münchener Neuesten Nachrichten", gebührend zurückgewiesen worden. Die CentrumSpresse hat natürlich kein Wort deS Protestes gehabt. Heute, da ganz andere Leute als der frühere Reichskanzler Graf von Caprivi die „nationale" Eigenschaft der ultramon tanen Partei entdeckt haben, ist eS nicht- weniger als über flüssig, die oben erwähnten unanfechtbaren Thatsachen inS Gedächtniß zurückzurufen.' 'S * Verliu, 5. Mai. Zu der Besprechung der Wahl taktik deS Centrums weist die CentrumSpresse nach wie vor ein generelle« Zusammengehen milde« Conservativen zurück. Die „Köln. Volköztg." giebt vielmehr folgende Richt linie für da- Verhalten de« CentrumS: „Die LentrnmSportei hat vor Allem da« Interesse, die Möglich- keit einer doppelten Mehrheitsbildung und die aus- fchlaggrbendr Stellung des Centrom» zu erhalten. Wir haben daher weder Grund, die Linke auf Kosten der Rechten, noch die Rechte auf Koste« der Linken allzu sehr zu verstärken. Conser- vativr, Reichtpartei und Nationalliberale zählen mit den ver- wandten „Wilden" etwa 140 Mitglieder. Die drei linksliberalen Parteien und die Socialdemokraten dagegen zählen nur 101 Mit- alirder, oder mit Hinzurechnung ewiger „Wilden" etwa 110. Die Gefahr, daß da« Lartell zu stark werde, ist also weit größer, al- daß die Linke r- werde. Nun wären allerdings noch 15 Anti. semitea und 20 Polen da. Wenn man im Allgemeinen diese auch für eine Abwehrmehrhrit in Anspruch nehmen kann, so sind sie doch zugleich in den wichtigsten positiven Fragen oft genug bei der Mehrheit. Jedenfalls kann man sie nicht zur Linken rechnen. Eine gefährlich werdende Linke hätten wir, wenn man die National- liberalen zu ihr rechnen dürfte; sie wäre dann etwa 160 Mann stark. Aber an ein Zusammengehen dieser einander so heftig be- fehdenden Elemente ist viel weniger zu denken, als an ein Wieder- aufleben des alten CartellS. Mögen nun die Conservativen so feierlich, wie sie können, versichern, daß sie nichts BöseS im Schilde führen, sie wissen ganz gut, daß man ihnen im Lande nicht glaubt. Dieses Mißtrauen ist keineswegs durch Verleumdungen und Ver dächtigungen von gewisser Seite erweckt worden, sondern durch die zweideutige und unzweideutige Haltung der Conservativen selbst. Zn einem andern Artikel deS Blattes, der ebenfalls der doppelten Mehrheit das Wort redet, heißt eS, daß die Centrumspartei nicht für eine bedingungslose Unterstützung der Conservativen zu haben sei, sondern sich die Ent scheidung von Fall zu Fall Vorbehalte. Natürlich sind rie Conservativen mit diesem Verhalten höchst unzufrieden. Die „Cons. Corr." wirft dem Centrum grundsatzlose Taktik vor und droht ihm, daß eS sich den Boden untergrabe. Sie nennt ferner- die Behauptung der „Köln. VolkSztg.", daß man die CentrumSabgeordoeten seiner Zeit von der Unterschrift des Sammlungsaufrufs absichtlich ferngehalteu habe, eine „nn- erhörte Unrichtigkeit" und behauptet, die Ceutrumsmitglieder seien im Gegentheil dazu dringend eingelaven worden. * Berlin, 5. Mai. Die „Germania" läßt sich zum Capitel deS letzthin im preußischen Abgeordnetenhause be sprochenen Arbeitermangels auf dem Lande von einem schlesischen Leser einen eigenartigen Vorschlag unter breiten. Tausende von deutschen Auswanderern, die mit ihren Familien in Amerika ihr Fortkommen nicht finden und ein über alle Beschreibung elendes Dasein führen, würden nach Ansicht deS Autors bereit sein, in die Heimath zurückzukehren, um, wie ehedem, der Landarbeit obzuliegen, falls man ihnen Gelegenheit zur Uebersahrt gäbe und gegenüber kleinen Vergehen, die vielleicht den Anlaß zur Auswanderung boten, ein Auge zudrückte. „Und daS wären deutsche Familien, nicht ausländische, andersdenkende, auch nicht blo- unzufriedene Leute, sondern Menschen, die es erfahren hätten und davon zeugen würden, wie wabr der Spruch ist: Sieh', daS Gute liegt so nah." Ein ähnlicher Vorschlag ist, wie die Münchner „Allgem. Ztg." in Erinnerung bringt, bereit- vor längerer Zeit gemacht und von der Regierung in ernstliche Erwägung gezogen worden, indem die Consulate zur Berichterstattung über die Lage vornehmlich der nach Südamerika Ausgewanderten und über deren Neigung zur Rückkehr in die Heimath auf gefordert wurden. Praktische Folgen ergaben die auf Grund dieser Enquete angestellten Versuche der Rücksiedelung jedoch nur in. beschränktem Umfang. Unter dem Druck der Noth paffen sich die Auswanderer sehr bald den neuen Lebens bedingungen an und sind alsdann für die heimischen Arbeitsverhältniffe nicht mehr brauchbar, vor Allem, da sie nach ihrer Rückkehr fast durchgehends den Aufenthalt in den Fabrikstädteu demjenigen auf dem Lande vorziehen. D ese und jene Ausnahme vermag dabei die Regel keineswegs nm- zustoßeu. Zumal die Voraussetzung der „Germania", daß Leute nach 20 jährigem Aufenthalt in Brasilien Lust haben dürsten, sich der Feldarbeit in Oberschlesien zu widmen, ist eine sehr phantastische; sie beruht auf einem ähnlichen Zrrthum, wie die mancher WirthschaflStheoretiker, wenn sie meinen, jeder Fabrikarbeiter sei augenblicklich im Am -ie Er-e. Retfrbrlef« vo« Paul Lindenberg. Nachdruck Verbote». Ueberraschuag. — JnHaukau. — Deutscher Handel. — Da« erste deutsche „Settlement" in China. — JnderChinesenstadt. — Chinesischer Schmutz. — Wusang. — Die Stellung unserer deutschen Ossieier e. — Deutsche Offictrr«- damen. — Ein intelligenter Vtcekönig. — Etwa» vomchinesischenMilitair. — BeiNacht zurück nach Hankau. Tief im Innern China», 800 Meilen von Shanghai entsernt, eine europäische Billencolonie zu finden, da» geht doch über die kühnsten Erwartungen! Man kann sich zunächst gar nicht von seinem Erstaunen erholen, wenn man in Hankau da» Schiff ver läßt und gleich danach eine -reite, sorgsam gehaltene Promenade entlang schlendert, die jeder europäischen Stadt Ehre einlegen würde. Begrenzt aus der einen Seite von dem aewaltigen, hier eine halbe deutsche Meile -retten Strom, i« dessen rauschenorn Fluthen stattliche Oceandampftr ankern, wird sie auf der anderen von zierlichen Ville» mit hübsche» Gärte» einarsliumt, in welch' letztere» bet unserer Anwesenheit einzeln« brettblättrige, schare- bedeckte valmen von den Fickten bäumen im Nordea träumen konnten, vte sich a» diese kühle Umarmung besser wie sie gewöhnt haben! von diesem „Bund , wie auch hier die Strandpromenad« genannt wird, zweige« sich sauber« Straßen ab, welche einen ansprechenden Eindruck machen, und an einer von ihnen erhebt sich eine große römisch-katholisch« Kirche, an anderen kleinere Ist es noch nöthig, hervorzuheben, daß auch hier uns unsere protestantische und griechische Gotteshäuser; natürlich fehlt es I Ist es noch nöthig, hervorzuheben, daß auch hier uns unsere ebensowenig an einem behaglichen Club wie an ausgedehnten I Landsleute auf das Liebenswürdigste aufnahmen und bestrebt Tennis- und Raquet-Plätzen, gut gedrillte indische und chinesische I waren, uns unseren zweitägigen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen und unseren inneren Menschen mit dem Besten, was Küche und Keller zu bieten vermochten, anzufüllen, daß wir kaum noch piep sagen konnten? Welch' traulichen deutschen Kreis fanden wir an dem gastlichen Tische unsere- ConsulS, gewissermaßen einem geschichtlichen Tische, denn als an demselben vor wenigen Monaten unser deutscher Gesandter in Peking, Herr von Heyking, der mit dem „Kormoran" nach Hankau gekommen war, bei festlichem Mahle saß, lief hier die Nachricht von der Ermordung der beidrn Steyrer Missionare ein und spielte dann von Hankau auS in den wichtigsten Dingen der Telegraph. Die Chinesenstadt, von einer Million Menschen etwa be- wohnt, bietet wenig BemerkenSwerthes dar, eng, dumpfig, übel riechend, von Menschen überfüllt, wie jede andere chinesisch« Stadt — doch halt, solchen Schmutz hatte ich doch noch nirgends ge funden! Der Schnee war geschmolzen und viele Wege waren dadurch völlig grundlos geworden, man versank oft bis zu den Knöcheln in dem zähen Brei; da wir keine Sänften fanden und einen Landsmann in Hanyang besuchen wollten, mußten wir über «ine volle Stund« durch die- ungeheure Schmutzmeer waten. Hanyang wird von Hankau durch den Han-Fluß, der sich in den Uangtse ergießt, getrennt, und man muß eine ziemlich «roße Böschung hinunter, um die im Han liegenden Boote zu er reichen. Hätte sich nicht je ein kräftiger Chinese unserer erbarmt, ach, wie wären wir unten angekommen, wahrscheinlich mit einem gehörigen Rutsch, der uns zu Krustenthieren verwandelt hätte! Aber eS war auch schon so genug, und wir waren froh, als wir ohne Arm- und veinbrüchr in dem Hausboot, da« uaS übersetzen sollte, angelangt waren. Und drüben di« gleiche «rscheerung und wieder eine lange Wanderung auf den grundlosen Straßen, welch« diesen Namen absolut nicht verdienen. Dann aber der Polizisten in adretten dunklen Uniformen sorgen für Ordnung, und Abend« flammen überall die elektrischen Lichter auf und man fühlt sich zu später Nachtstunde so sicher wie auf dem Hamburger Jungsernstiege. Der Hafen HankauS wurde 1861 geöffnet und sein Verkehr ist in steter Steigerung geblieben; im vorletzten Jahre bezifferte sich die Ein- und Ausfuhr auf fast 133 Millionen Mark, aber sie wird noch eine wesentliche Vermehrung erfahren, wenn erst die schon in Angriff genommene Eisenbahn von Peking nach hier und von hier nach Laatoa eröffnet sein wird. Dann dürfte Hankau der bedeutsamste Handelsplatz ganz Chinas werden. Mit berechtigtem Stolz kann man hervorheben, daß hier, von dem fast ganz in russischen Händen befindlichen Theehandel abge sehen, deutscher Handel und Wandel die erste Stell« rinnehmen und daß über em Halbhuadert deutscher Firmen würdig da» Ansehen unsere» Vaterlande« vertritt. Dieser einflußreichen Stellung unserer Kaufleute Rechnung tragend, hat China end lich vor Jahresfrist Deutschland eia eigene« „Settlement" ein geräumt, da» erste selbstständige, welche« wir im Osten haben werdea, da wir ua« sonst stet« mit einem Antheil an den de» übrige» Nationen bewilligten Ansiedelungen begnügen müssen. Die Arbeite», diese» Settlement herzurichtcn, find im vollsten Gange und werden selbstverständlich auch besonder« Quaianlagen umfassen; sind diese erst ftrtig, so werden di« deutschen Haupt- firme» hier ihr« eigenen Schifft anlraen lassen, am deutschen „Bund" «erden dann di« deutschen Fahnen wehen. Dieft« deutsche Settlement, Hess«» Kosten di, deutschen Firmen be- streiten, ohne mit eine« vfennig di« Hilft de» Reich,« in An- sprnch P» nehmen, wird »ftlleicht «ch «ine besondere Wichtigkeit erlangen, da man hofft, daß der Vahnhof der Peking-Hankau- Eisenbahn auf seinem «rund und voden errichtet werden wird. Rückweg, während uns Chinesen mit großen bunten Papier laternen voranleuchteten, damit wir bei der pechrabenschwarzen Finsterniß nicht in den Pfützen ertrinken sollten, und wieder in schwankendem Boot bei pfeifendem, eisigem Wind, den Han hinab zum Uangtse, dessen Wellen so hoch gingen, daß unser Fährmann erklärte, er könne nicht weiterfahren, es wäre zu gefährlich; also schnell ans Land, wo wir glücklich auf Sänften trafen, deren Träger uns durch Dutzende enger, finsterer Gassen endlich zu unserem Schiff brachten, in welchem es aufs Schleunigste ans Umziehen ging, um noch rechtzeitig an einer fröhlichen Geselligkeit theilnehmen zu können. Der zweite Tag war einem Besuche Wuchangs gewidmet, der am anderen Ufer des Uangtse liegenden, gleichfalls von einer Million Menschen bevölkerten Stadt, in der eine Anzahl deutscher Officirre eine umfassende Thätigkeit gefunden hat. Einen der Herren, der früher dem Harburger Pionierbataillon angehört hat und jetzt die Stelle eines chinesischen Oberst einnimmt, Lieute nant Hoffmann, hatten wir bereits in Hankau kennen gelernt, und in liebenswürdigster Weise hatte er uns aufgefordert, ihn am nächsten Morgen zu begleiten. Ein winzige» Dampfboot, einem deutschen Handelshause gehörig, brachte uns über den breiten Strom, dessen Wellen das kleine Ding gehörig tanzen ließen, und drüben mußten wir un« noch eine geraume Zeit in Sänften durch die nicht« Neues bietenden, gleichfalls von furcht- barem Schmutz starrenden Straßen kragen lassen, ehe wir da deutsche Heim erreichten, in welchem wir an gastlichem Herde echl deutsch« Behaglichkeit fanden. » ' Zwei deutsche OfficierSfamilien wohnen hier zusammen, und wenn meine schönen Leserinnen über die beiden Damen, diese armen Opfer männlicher Tyrannei, ihre zarten Händchen ringen und auf da« Innigste diese nach ihrer Ansicht wir in Ver bannung lebende» Evaschwestern beklagen sollten, so kann ich sie oeruhigen: diese beiden jungen, schönen und verwöhnten Frauchen fühlen sich ungemein wohl in ihrem neuen LebenSkrrile; nur von
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