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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960411021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896041102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896041102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-11
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um */,7 Uhr. die Abend-Ausgab« Wochentags um 5 Uhr. Bezugs-PreiS W d« Hanptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus- »abcstellen abgeholt: vierteljährlich ^414.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ms Hau- 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich 6.—. Dtrecte tägliche Kreuzbandjenduog in» Ausland: monatlich 7.50. Lr-actio« und Expedition: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Klemm's Eortim. (Alfred Hahn), Universitütsstraße 1, Lonis Lösche, flntban'nenstr. 14, Part, und Kvnigsplatz 7. ^-183. Abend-Ansgabe Sonnabend den 11. April 1896. 'ch.rigtl Tag Mil Anzeiger. Amfsvsatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Nnzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich <4 ge spalten) 50 vor den Familxennachrichten (ü gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Zifserniap nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbefördrrung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe. Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen fe eine halbe Stunde früher. Anzeigen smd stets an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig W. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, l l. April. Die für die Mitte nächster Woche bevorstehende Wieder aufnahme der parlamentarischen Arbeiten im Reiche ruft von Neuem die Erörterung über das voraus sichtliche Schicksal deS Bürgerlichen Gesetzbuchs wach. Der konservative Reichstagsabgcordnete v. Buchka, Mitglied der Commission für die Vorberathung des Entwurfs, und zwar ein Gegner des conservativcn Ansturms gegen die obligatorische Civilehe und der dadurch verursachten Verzögerung der parla mentarischen Erledigung des Gesetzbuchs, hat dieser Tage ernste Zweifel darüber ausgesprochen, ob der Abschluß des Gesetz gebungswerkes in der gegenwärtigen Session überhaupt nock möglich sei, und in weiten Kreisen sieht man es bereits als selbstverständlich an, daß der Reichstag beim Herannahen des Hochsommers nicht geschlossen, sondern vertagt werde, damit die Commission im Herbst ihre Arbeit ohne Weiteres an dem Puncte wieder aufnehmen könne, an welchem sie im Frühjahr stehen geblieben, wenn sie nicht etwa gar ihre Berathungen auch in der Zwischenzeit fortsetzt. Wie das „ausschlaggebende" Centrum sich zu diesen Fragen stellt, darüber verlautet vorläufig noch nichts Sicheres; es ist aber sehr wahrscheinlich, daß es, nachdem es den „redlichen" Willen, das Werk nach Thunlichkeit zu fördern, bewiesen hat, eben so „redlich" um die Erbringung des Beweises sich bemüht, daß die Fertigstellung im Laufe des Frühjahrs unmöglich sei; denn je länger die Fertig stellung sich hinzieht, um so leichter wird es den Centrumspolitikern, die verbündeten Regierungen zu Con- cessionen auf anderen Gebieten zu drängen. Gerade deshalb aber schließen wir uns dem Wunsche der Münchener „Allgem. Ztg." an, die übrigen Parteien und der Bundesrath möchten sich zu einem energischen Drucke auf das Centrum ermannen unv es zur Beschleunigung der Arbeiten nöthigen. Es braucht kaum ernstlich bemerkt zu werden, daß die Vertagung statt des Schlusses der Session sehr ernste Bedenken gegen sich hat und daß man zu ihr als einem Nothbehelf eben nur greifen könnte, nm ein unzweifelhaft noch größeres Uebel abzuwenden. Dann aber erscheint es dock recht fraglich, ob das Resultat der parlamentarischen Arbeit an dem Gesetzbuch so ausfallen wird, daß der Reichstag sich schließlich sagen kann, der Aufwand an Arbeit und Zeit habe sich gelohnt; einstweilen hat es den Anschein, als werde die Entscheidung in allen wichtigen Fragen zu einer Aus scheidung derselben aus dem Bürgerlichen Gestzbuch führen, ein Ergebniß, an welchem doch keine der staatserhaltenden Par teien eine aufrichtige Freude haben könnte. Endlich aber ist zu bedenken, daß die parlamentarische Campagne 1896/97 ihre eigenen reich bemessenen Aufgaben haben wird, die für sich die volle geistige Kraft des Reichstags in Anspruch nehmen werden, daß aber, wenn überhaupt einmal die Vertagung beschlossen ist, die Gefahr der Verschleppung auch noch anderer Vorlagen in die nächste Session sehr ernstlich zu Tage treten wird. Herr Eugen Richter meint schon jetzt, es wäre am besten, man „machte die Bude zu"; wie wird das erst werden, wenn man sich damit trösten kann, die bisher ausgewendete Arbeit sei ja nicht verloren, auch wenn man zunächst noch nicht zu einem Abschluß gelange? Im Reichstagswahlkreis LSnabriick - Bersenbrück- Zburg hat vorgestern die Ersatzwahl zum Reichs tage stattgefunden, welche durch den freiwilligen Verzicht des Abg. Wamhosf nvthig geworden war. Die Bevölkerung in diesem Wahlkreise gehört zu 46,6 Proc. dein katholischen Bekenntniß an. Zn dieser Bezifferung ist schon enthalten, daß der Wahlkreis alle Leiden der „heiß umstrittenen" zu kosten hat, und zwar schonungslos ohne Ausnahme, denn die respectable MinderheitSstellung, welche das Centrum daselbst innehat, wird durch das Welsent hum gewohnheits mäßig aus dem protestantischen Lager soweit verstärkt, daß zumeist schon im ersten Wahlgang eine Mehrheit beraus- kommt. Gegenüber dem ewigen Pact, den Ultramontanismus und Welsenthum miteinander geschlossen, sollte sich ein un bedingtes Gebot der Einheit für alle national gerichteten Parteien eigentlich von selbst verstehen, zumal da ihnen von der revolutionären Seite her ebenfalls ein Gegner erstanden ist, der nicht versöhnt sein will, weil er von der Unzufrieden heit und Begehrlichkeit lebt. Zm Großen und Ganzen bat denn auch diese Einheit der nationalen Wählerschaft allen An fechtungen bisher widerstanden. Selbst im Jahre 1890, als die Schlagworte über Schnaps und Brodvertheuerung die Luft erschütterten, war ein Zersplitterungsversuch, der von der frei sinnigen Linken ansging, so gut wie erfolglos. Herr Albert Traeger mußte sich mit 860 Stimmen begnügen. Dies mal war derselbe Versuch von rechts her unternommen und mit ganz anderen Betriebsmitteln als je ein freisinniger unterstützt worden. Der Bund der Landwirthe, wie die Handwerker-Partei hatten sich dem Herrn Liebermann von Sonnenberg anvertraut, und unter dessen Ober leitung war nun an agitatorischen Kräften das Ueber- menschliche aufgeboten worden, um namentlich die Landwirthe von dem nationallibcralen Standpunkte abzulocken und auf den antisemitischen hinüber zu bringen. Alles Warnen verständiger und wahrlich unbefangener Landwirthe wurde in den Wind geschlagen, und je mehr sich im Wahlkreise selbst die Einsicht verbreitete, daß auch dieser antisemitisch- bündlerische Versuch am letzten Ende nur den Ultramontanen und Welfen zu Statten kommen, damit aber die wichtigsten nationalen nud geistigen freiheitlichen Güter gefährden müsse, desto mehr Agitatoren entbot Herr Liebermann v. Sonnen berg von außen in den Kreis, vamit sie das Feuer der Zwietracht unterhielten. Dabei war Eines noch besonders verwunderlich. In Waldeck predigten die Antisemiten vor Jahresfrist nack- berühmten Mustern, der Landwirth möge nur einen Berufs genoffen wählen, den die gleiche Sonne bescheine und der gleiche Regen durchnässe. Hier in Osnabrück wurde nun den Landwirthen ein Maurermeister aus Osnabrück empfohlen — genau dieselbe Vielseitigkeit, wie sie sich anfangs vorigen Jahres in Eisenach und Hofgeismar bethäligte. In Eisenach lautete damals ter antisemitische Schlachtruf: wählt keinen Advocaten. Zn Hofgeismar aber wurde ein „Advocat" als Antisemit aufgestellt, „weil die Partei einen Juristen dringend benöthige". Nun liegt das Ergebniß der Osnabrücker Betriebsamkeit in Ziffern vor und man darf annehmcn, daß, wenn auch nicht überall außerhalb, so doch innerhalb des Kreises die volle Erkenntniß dessen reift, was die Gemeinschaft der national- und liberal-gesinnten Wähler sich selbst schuldig ist. Hinter dem Welfen steht der breite Heerbann der Ultramontanen, — jener Partei, die sich heute schon mächtig genug dünkt, um ein Angebot der Conservativcn zur Verständigung über ein Schulgesetz ü. Iu Zedlitz abzulehnen, weil sie der Meinung ist, bei ihrem imponirenden Einfluß im Reiche könne sie ein noch größeres Opfer Preußens auf dem Gebiete der nationalen und geistig freien Erziehung des Volkes fordern und erwarten. Der bescheidenen Schaar von etwa 2000 Mann, die Herr Liebermann von Sonnenberg abtrünnig machen konnte, muß sich doch das Gefühl bemächtigen, daß es besser gewesen wäre, vom GroS der nationalen Wählerschaft sich überhaupt nicht zu trennen. Das Vertrauen zu jenen Rufern im Streite, die die Ver antwortung für die Trennung aus sich genommen und allein zu tragen haben, ist jedenfalls stark erschüttert. Für die Stichwahl ist hiernach der Wiederzusammenschluß der nicht welsisch-ultramontanen Wähler nationalen Bekenntnisses sicher zu erwarten, es wird gar keiner besonderen Parole dazu bedürfen, während eine zweideutige oder gar welsen freundliche Parole nur bewirken könnte, daß die 2000 Wähler der „Mittelstands"-Vereinigung sich in offen aus gesprochener Entrüstung gegen ihre bisherige Berliner Vormundschaft auflehnen würden. — Insoweit erscheint also die Aussicht für die Stichwahl als eine recht günstige. Zm klebrigen und in der Hauptsache liegt die Entscheidung bei Denen, die vorgestern noch nicht zur Urne gekommen sind. Deren Zahl scheint nach den bisher ermittelten Ziffern bis an 6000 heranzureichen. Zn Frankreich ist die Präsident en Hetze wieder frisch fröhlich im Zuge. Die gemäßigte Presse behandelt Felix- Fan re jetzt so, wie die socialistische und radikale Casimir- Perier vor dessen Rücktritt behandelt hat. Sie ver spottet ihn in Wort und Bild. Sie spricht von ihm voll Verachtung als von dem „Gewerbetreibenden". Sie macht sich über seine vornehmen Aeußerlichkeiten lustig, die sie zuerst löblich gefunden hatte, und wirst ihm sein Monocle, seine Weißen Gamaschen, seinen Spitzreiter und dessen Waidmesser am Ledergürtel vor. Die regierungs freundlichen Blätter lassen ihn zur Zeit ungeschoren, aber selbst diese Schonung bat etwas Drohendes und man ahnt, welcher Wildheit die gegenwärtige Nachsicht an dem Tage Weichen würde, an dem Felix- Faure es sich beikommen lassen sollte, sich von seinem radikalen Ministerium loszusagen, waS man im Regierungslager fürcktet. Die „Libre Parole", die vor fünf Monaten die Familiengeschichte der Gattin des Präsidenten an die große Glocke gehängt hatte, fällt heute mit wahrer Zndianergrausaiukeit über Faure her. „Dieser Geschäftsreisende", schreibt der berüchtigte Boulangist und ehemalige Abgeordnete Delahaye, „ist durch Hineinheirathen in eine Firma Haupt eines Handelshauses; dieses Haupt eines Handelshauses ist durch Ueberrumpelung Staatsoberhaupt geworden, jedoch durch und durch Geschäfts reisender geblieben . . . Herr Felix Faure ist eine Gefahr. Das Gespött der einander bekämpfenden Ehrgeizigen, Geisel aller Ausruhrparteien, dauernder Keim deS Bürgerkrieges, kann er morgen der Keim eines auswärtigen Krieges werden. Dieser Mensch würde mit geringerem Bedauern ein Heer Paris belagern, als einen Nachfolger ins Elysse einziehen sehen. .... Und warum all das? Nm die socialistischen Blätter zu verhindern, die Geschichte der Belluvts und ihrer Erben, die Odysseen, die Kreuzungen und die Finanz operationen der Berges ausführlich zu erzählen. (Belluot war der Vater der Frau Felix Faure, Herr Berge ist der Schwiegersohn des Herrn Faure.) Herr Präsident, Sie haben einen Vertrauensmißbrauch begangen, der hassenS- werther ist, als alle diejenigen deS Notars Belluot, ein wahres Verbrechen, dessen Folgen unberechenbar scheinen, als Sie sich um daS oberste StaatSamt bewarben, als Sie wie ein Sinn bild Ihre Ahnenerinnerungen darein faßten, als Sie vor der Gewißheit nicht zurückscheuten, Ihrem Lande früher oder später einen Antheil an Ihrer vielfachen Familienschande zuzufügeu . . . Sie können noch abdanken, ohne den Bechcr der Schmach zu leeren, den Ihre Freunde Ihnen vorbereitet?. Sie können noch ohne Aergerniß aus dem Elysve hinaus ziehen. Am 21. April versammelt sich der Senat und öffne: Ihnen beide Flügel der Thür. Hören Sie auf den Rath eines Gegners, der Sie nicht haßt: gehen Sie und ziehen Sie nicht die Ehrlosigkeit der Hintertreppe vor." — Das darf man in Frankreich ungestraft dem Staatsoberhaupte bieten. Kein Wunder, daß Casimir-Perier s. Zt. voll Ekel fick- ins Privatleben zurückzog. Die Abneigung der Franzosen gegen das englische Monopol der unterseeischen Kabelver bind u «gen gebt Hand in Hand mit dem lebhaften Wunsche, jenes Monopol zu durchbrechen. Insbesondere seit dem neuerlichen Aufschwünge der französischen Colonialmacht wird die Abhängig keit des Nachrichtendienstes von den englischen Linien immer empfindlicher vermerkt. Es wird betont, daß im Fall des Eintrittes kriegerischer Verwickelungen zwischen den beide» Mächten die französischen Colonien so ziemlich aus Gnade und Ungnade an die Engländer ausgeliefert seien, da die französischen Flvttengeschwader, mangels jeglicher raschen und zuverlässigen einheitlichen Verbindung mit den vom Feinde bedrohten Punkten, völlig außer Stande seien, den Colonien wirksamen, rechtzeitigen Schutz angedeihen zu lassen. Am drückendsten wird zur Zeil der Mangel eines eigenen Kabels zwischen Algerien und dem Mutterlands empfunden. Der algerische Generalrath hat schon wiederholt darauf bezügliche Wünsche verlauten lassen, aber bisher immer mit negativem Erfolg. Möglich, daß jetzt der Sache mehrAufmerksamkeit gewidmet wird, da die Reise des englischen Vertreters in Tanger an den Hof des Sultans Abd-ut-Aziz, wie wir schon mehrfach be tonten, in den politischen Kreisen an der Seine mit größtem Mißtrauen conlrolirt wird, angeblich, weil man sich von den Engländern einer Art Handstreiches gegen Len französischen Einfluß in Marokko versieht. Nun ist die natürliche Basis für jede marokkanische Zntereffenpolitik Frankreichs die algerische Colonie, es liegt daher auf der Hand, daß jede Maßregel, welche Algerien in engere Fühlung mit dem Mutterlande bringt, ihre Wirkung auch auf die Wahrnehmung der französischen Interessen in Marokko üben muß. Der Besitz eines oder mehrerer unterseeischer Kabel zwischen Algerien und Frankreich würde letzteres nicht nur von der lästigen Abhängigkeit von den englischen Linien befreien, sondern durch den Anstoß, welchen die Anlage solcher direkter Leitungen dem Verkehr zwischen Frankreich und Algerien geben müßte, auch indirekt dieBedeutnng Algeriens im Gesammtprogramme der französischen Mittelmeer und Westafrikapolitik wesentlich erhöhen. Es würde dann nur der Verlängerung der neuen Kabelleitung, eventuell in Gemeinschaft mit einer Bahnanlage durch die Wüste nach den Senegalbesitzungeu Frankreichs bedürfen, um das lieber gewicht Frankreichs über England im Nordweften des dunkle» Welttheils auf sichere Grundlagen zu stellen. Bis jetzt ist die Meldung, daß die Italiener sich von Kafsala zurückgezogen hätten, nicht bestätigt. Tas Ge rücht war jedenfalls dadurch entstanden, daß man den Obersten Stevam, der sich auf Befehl Baldsssera's nach Agordat zurückziehen mußte, für den Commandanten von FrrrrHetsn. Gottbegnadet. 21) Roman von Konrad Telmann. Nachdruck verboten. Es kam hinzu, daß dies aufregende Gesellschaftstreiben und die ungeordnete Lebensführung überhaupt Harry sehr nervös machten. Er war, wenn er nach Hause kam, immer gereizt, mißlaunia und verstimmt, eine Bagatelle brachte ihn in Harnisch. Das kränkliche und daher unruhige Kind mochte er gar nicht sehen, er hielt das nicht aus. Der Zusammenhang mit Familie und Haus wurde immer lockerer. Wenn Thea ihm gar von Lensihn sprechen wollte, hielt er sich mit beiden Händen die Ohren zu. Dafür hatte er ihr genug von seinen geselligen Vergnügungen zu berichten, die aber seltsamerweise in seinem Munde wie Berichte von schweren Pflichten klangen, welche er um seiner Kunst willen auf sich genommen. Er ging ganz darin auf und kannte nichts Anderes mehr. Seine Stimme-schien wirklich nach der glücklich überwundenen Krise an Glanz und Stärke nur nock gewonnen zu haben. Zn den Zeitungen sprach man gelegent lich einiger WohlthätigkeitS-Concerte davon, wie von etwas Wunderbarem und Phänomenalem, das man gehört haben müsse. Fast immer wurde dabei das Wort „gottbegnadet" gebraucht, das Harry selber gleichfalls im Munde zu führen pflegte. Thea empfand immer dabei einen Stich in der Brust. War es wirklich eine „Gnade" des Himmels, die Harry mit der Verleihung seiner Stimme zu Theil geworden, unv nicht vielmehr ein Fluch, unter dem seine Manneswürde und ihr Glück stückweise zu Grunde gingen? Es mochte Sünde sein, so zu denken, und doch konnte sie sich mit aller Macht oft dessen nicht erwehren. Trübe Stimmungen kamen ihr, wenn sie lange, einsame Stunden am Bette ihres Kindes saß, während Harry fern war und sich in der Gesellschaft anderer Frauen in all seinen glänzenden Eigenschaften zeigte. Sie hatte sich das Alles früher ganz anders gedacht. Noch als er damals krank ge worden und nur ihre aufopfernde Pflege ihn gerettet, hatte sie an eine Wandlung, an bessere Zeiten gedacht, die nun kommen würden. Statt dessen war es schlimmer und schlimmer geworden. Sie fühlte eS, daß er ihr entfremdet wurde, daß sein Herz ihr nicht mehr gehörte. Ohne daß er eS ihr zu verrathen brauchte, wußte sie, daß er kein Verlangen mehr vor. Ueberdies würde man das Gut schließlich überlaste», wenn man in diesen schwierigen Zeiten Schusden darauf eintragcn ließ. Harry konnte sich der Berechtigung dieser Weigerung also schwerlich verschließen. Dennoch brachte sie mit dem häßlichen Auftritt, der ihr folgte, die Ehegatten nur noch mehr auseinander. Eines Tages, als Thea kaum mehr an Harn's Wunsch dachte, erfuhr sie zu ihrer Bestürzung durch einen Vries ihrer Mutter, daß Harry von ihren Eltern Geld gefordert hatte, und Frau Marcella fügte hinzu, dies sei in einen Ton ge schehen, als ob er ihnen im Grunde mit der Erlaibniß noch eine Gunst gewähren wolle. Uebrigens sei ihm die lewiinschte Snmme angewiesen worden, aber unter dem auvrückliche» Hinweis, baß von einer Wiederholung solches Berlingens nie mehr die Rede sein könne und daß man sich über >en Geld verbrauch wohl nicht mit Unrecht wundere. FrauMarcella setzte noch hinzu, daß sie von Thea Aufklärungei erwarte. Aber welche Aufklärung hätte diese selber geben kämen? Sie hielt es für ihr gutes Recht, sie von Harry z fordern. Vielleicht war ihr Ton ihm gegenüber zum ersten Mlc streng und von einem Vorwurf durchzittert, den sie ihm iS dahin immer erspart hatte. Aber das machte ihn nur widerienstiger ES war, als ob er sein Schuldbewußtsein hinter Herrin Trotz verstecken wollte. Er lachte über ihre Anklage, daßer jene» Schritt heimlich gethan und sich überdies zum Btteln er niedrigt habe, er, der von den Lensihner Erträgissen so sorgenfrei hätte leben können und diese überdies all» ihre» Eltern verdankte. Bah! Er verdankte Niemandei et-ckas. Man hatte ihm Lensihn ja aufgezwunaen, er Hattos nicht gewollt, eS ging ihn gar nichts an. Wenn es ni? so viel abwarf, wie er zu einem standesgemäßen b> i g. brauchte, war eS vollends zum Ueberfluß da. N <m s würd er wieder dorthin zurückgehen. Er war übrigens w lnlin kem Bettler, er, der jeden Tag mehr verdienen ,'nnle als Herr Ernst Lindheim, wenn er nur erst wbllte* Und e würde eines Tages wollen. Man trieb ihn ja eraocl Wegs dazu. Thea hörte ihn an mit immer ernster und*l streu e werdenden Mienen. Und nicht nur ihr Antlitz, auch ib Inneres verhärtete sich allmählich unter seinen We tt» Si hatte ihm lange schweigend zugehört, dann sag sic gan, ruhig, wenn auch tonloS: „Geh also — ich balielckio nick t Wenn Dich sonst nicht» hält, bist Du ganz fr^i >m Früh jakr kehre ich nach Lensihn zurück. Ich' halte' tneine An wesenheit dort für nvthig, und der Arzt wünscht v medie« für es erschien ihr sogar als seine Pflicht. Aber die, welche er für sich behielt, mußten ihm ja Wohl Werth sein. Seit sie ihm das eines Tages gesagt hatte — halb im Scherz, aber es war ihr bitterster Ernst damit —, hörten die duftigen BilletS plötzlich ganz auf. Thea hätte gern auf gejubelt, aber als sie Harry fragte, wie eS zugebe, daß er auf einmal die Anbetung aller der schmachtenden Jungfrauen von ehedem eingebüßt habe, erwiderte er ihr mit abweisendem Trotz: „Da ich keine Controle liebe, habe ich andere Vor kehrungen getroffen." Er ließ sich die Briefe also auf einem Umwege zustellen, nur um ihr nicht Rede über sie stehen zu müssen! Thea empfand das wie einen neuen Schritt zu ihrer wechselseitigen Ent fremdung. Sie hätte laut ausjchreien mögen vor Schmerz und Enttäuschung. Aber sie war zu stolz, ihm jetzt auch nur »och ein einziges Wort des Vorwurfs zu sagen. Nie that sie mehr,eine Frage nach seinen Briesen. Möglicherweise erbitterte ihn gerade daS, möglicherweise nahm er ihre scheinbare Gleichgiltigkeit sogar wie eine Er- laubniß hin, nunmehr ganz nach eigenem Gutdünken über sich zu verfügen. Ihr kam eS vor, als wäre seitdem etwas merkwürdig Scheues in Harry, das sich zwar mit einem ge wissen Trotz vermischte, ihn aber doch immer mehr veranlaßte, sich von ihr sernzuhalten. Man wußte schließlich kaum mehr, ob er bei ihr oder bei seiner Mutter wohnte. Dazu kamen die schweren Besorgnisse, die Tbea wegen der finanziellen Lage hegen mußte. Harrv's Bedürfnisse schienen hier in Berlin immer mehr zu wachsen, und die Er trägnisse von Lensihn standen längst in gar keinem Verhältniß mehr dazu. Die wirthschaftlichen Verhältnisse, zu denen sich die Erkrankung deS nur noch in beschranktem Maße arbeits fähigen Inspektors Parsenow gesellte, forderten von Harry mehr als von jedem Landwirth noch die äußerste Einschrän kung. Und statt dessen lebte er auf so großem Fuße, als hätte er über unbegrenzte Mittel zu gebieten. Wozu er die großen Summen eigentlich verwandte, begriff Tbea gar nicht. Weder die zahllosen Gesellschaften, zu denen er geladen wurde, noch die Concert- und Theaterbesuche, für die ihm immer GratiSbillete zur Verfügung standen, gaben eine Er klärung dafür. Trotzdem fragte Thea nicht. Nur mußte sie ihm schließlich sagen, daß kein Geld mehr da sei und daß sie auch nichts mehr zu beschaffen wisse. Von einer abermaligen Hypothek wollte sie nichts hören. Daß man damals eine ausgenommen, ohne daß ihre Eltern davon erfahren, drückte sie immer noch schwer, eS kam ihr wie ein BertraurnSbruch nach ihr trug, daß eine wirkliche Ehe zwischen ihnen nicht mehr bestand. Thea weinte oft in die Kissen hinein, in die sie ihr fieberndes Kind gebettet hatte, wenn sie ihn sich vorstellte, wie er eben jetzt in glänzend erleuchteten Festsälen als der Held des Abends gefeiert wurde und hundert Augen be wundernd und verlockend zugleich auf ihm ruhten. Der Mann, der das duldete und das wollte, liebte sie nicht mehr. Er hatte selbst vergessen, daß er der Vater dieses Kindes da war. Thea glaubte nicht daran, daß Harry ihr die Treue breche. Sie glaubte überhaupt niemals an etwas Schlechtes bei den Menschen, ehe es unumstößlich feststand, am aller wenigsten bei Harry. Aber eine wilde Eifersucht flammte oft in ihr auf. Hätte es anders sein können, da sie ihn immer noch liebte? Sie beneidete Alle, denen er sein Interesse zu wandte, mit denen er sprach und lachte, für die er sang und glänzte. Sie beneidete diese ganze Umgebung, in der er glücklich war und die er für sich verlangte. Wie lange war es her, daß er nicht mehr vor ihr gesungen hatte? Er würde heute wohl kaum mehr begriffen haben, wie sie ein solches Verlangen überhaupt an ihn stellen könne. Immer zerstreuter, übellauniger, müder und gelangweilter zeigte er sich in ihrer Gegenwart, immer mehr kürzte er unter tausend Gründen das Zusammensein mit ihr ab. Er erzählte ihr zuletzt kaum mehr etwas aus dem Leben, das er führte, wie wenn er fürchtete, sie zu reizen. Daß jeder von ihnen seine eigenen Wege ging, schien ihm jetzt schon bloS noch natürlich, er dachte gar nicht mehr daran, daß es im Grunde anders hätte sein müssen. Unter den Postsachen, die mehrmals am Tage einliesen, befanden sich seit Langem wieder viele farbige Briefumschläge, die nach irgend einem Parfüm dufteten. Schon in Montreux hatte das ja angefangen. Wenn Tbea einen nach dem andern derselben in die Hand nahm, überkam sie oft eine tiefe Traurigkeit. Manchmal gab ihr Harry später eine oder mehrere von diesen Zuschriften zu lesen oder laS sie ihr selber vor. Er lachte dann immer ausgelassen dabei. Meist waren sie auch erheiternd, aber seine geschmeichelte Eitelkeit trug doch nicht wenig zu seiner übermüthigen Stimmung bei, und es war kein Zweifel, daß er selbst dann eine tiefinnerliche Be friedigung aus ihnen schöpfte, wenn er sie ins Lächerliche zog. UeberdieS fragte sich Tbea, warum er ihr nur diese und nicht überhaupt alle zeige. Sie hätte da- nur natürlich gesunLen,
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