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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980713016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-13
- Monat1898-07
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernlatz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Avnahmeschlnß für Anzeigen: Abrnd-?lusgabr: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 349 Mittwoch den 13. Juli 1898. 92. Jahrgang. Bestellungen auf KisellblMilltllts nimmt entgegen und führt für jede beliebige (Zeitdauer aus Die Erpeditio» des keiMtt Ts-eblattes, Johannisgasse 8. Die Wahlerfolge der Leiter des Lundes der Landwirthe. 12 Unmittelbar nachdem die Organe der Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe triumphirend behauptet haben, etwa ein Drittel der neuen Neichstagsabgeordneten stehe ans dem Boden der Forderungen des Bundes; circa zwei Millionen Wähler hätten im ersten Wahlgange 60 und bei den Stich wahlen 52 Bündler durchgebracht, und wenn man die bayerischen Bauernbündler und einige auf dem Boden des Bundes stehende Abgeordnete der nationalliberalen und der — ledig lich aus Herrn Stöcker bestehenden — christlichsocialen Partei mitzähle, die gegen ihre agrarischen Mitbewerber (!) um das Mandat gewählt worden seien, so verfüge der Bund über 130 „stramm agrarische" Abgeordnete, die alle Hauptforde rungen des Bundes zu verfechten entschlossen seien — un mittelbar nach dieser Nenommage überreicht in der „Kreuz zeitung" ein Conservativer, v. D., der Bundesleitung ihr Gewinn- und Verlustconto. Er schickt eine nichts sagende liebenswürdige Einleitung voraus, im Uebrigen ist die Rechnung mit kaufmännischer Nüchternheit aufgestellt und darum vernichtend für die „Politik" der Bauernverbetzer unter agrarischem Zeichen. Zur geschäft lichen Nüchternheit und Solidität gehört eS auch, daß die „Thoniasmehlgeschichte" erwähnt, aber nicht entschuldigt wird. Der Verfasser verwahrt vielmehr die „Kreuzzeitung" aus drücklich gegen die von ihm und dem Blatte offenbar als Borwurf empfundene Behauptung, jene Geschäftspraktiken gerechtfertigt zu haben. Sodann bestätigt Herr v. D. das Urtheil, daß der Bund vor der Wahl in einer Löwenhaut, die ihm die Natur nicht mitgegebeu, herumgegangen sei: „Es trifft zu, daß man vor den Wahlen wohl allgemein von dem Einfluß des Bundes eine größere Vorstellung gehabt, als die Wahlresultate ergeben haben." Dann folgt die Rechnung: „Tas „kleine Wahl-ABC" Les Bundes für die diesjährigen Ncichstagswahlcn gicbt den Antisemiten die beste Censur. „Ihre Kandidaten", heißt es wörtlich, „werden stets die Zustimmung des Bundes erhalten können." Von Len Deutsch-Con servativen wird das nur bedingt gesagt; ihre Candidaturen würden vom Bund ,,fast immer unterstützt werden können", wenn bei denselben „nicht persönliche, ehrgeizige Bestrebungen oder aber ein zu weites Ent gegenkommen gegenüber jedweder Stellungnahme der Regierung im Vordergründe ständen." — Ebenso sollen di» Bauern sich auch die freicooservativen Candidaten „genau ansehen". — Die Nattoualltbrralen und daS Crntrum kommen, wenigsten- in ihrer großen Mehrheit, noch etwas schlechter weg, während die Freisinnigen und Socialdemokraten entschieden bekämpft werden. Hätte der Bund der Landwirthe über sehr großen Einfluß verfügt, so würde man hiernach haben annehmen können, daß den Antisemiten ein großer Sieg beschieden gewesen sei. DaS Gegentheil ist eingetreten, der Bund hat sie also nicht schützen können. Nach dem Wahl-ABC stehen dem Bunde nächst den Antisemiten die Conservativen am nächsten. Dem Bunde ist eS aber auch nicht beschieden gewesen, den Conservativen zu bedeutsamen Erfolgen zu verhelfen. Das Centrum, daS sich dem Bunde gegenüber strikt ablehnend verhielt, hat gewonnen. Der Freisinn ist — wenn auch mit Hilfe anderer Parteien — nicht geschwächt. Die Socialdemokratie, welche sehr scharf gegen den Bund vorging, hat erheblich zugenommen. Dos sind keine Resultate, welche geeignet sind, die Macht des Bundes zu überschätzen. Tie alten Parteien werden noch weniger Neigung fühlen als bisher, sich ihm gegenüber ihrer Selbstständigkeit zu entäußern. Nun könnte allerdings die Bundespresse antworten, die Conservativen und Antisemiten würden noch weit schlechter gefahren jein, wenn der Bund ihnen nicht den Rücken gedeckt hätte. DaS ist freilich eine Hypothese, die ohne sorgfältige Prüfung aller Verhältnisse weder zu bejahen noch zu verneinen ist. Ohne Weiteres nehmen wir nicht an, daß die Zahl der Kreise, die ohne Mithilfe des Bundes verloren gegangen wären, sehr groß ist. Diese Mithilfe anzuerkennen, stehen wir übrigens keinen Moment an. Dem Centrum gegenüber hat der Bund nichts geleistet; er hat ihm keinen einzigen Wahlkreis abgenommen. Die national liberale Partei kehrt nach dem Ausscheiden der Osann, Placke, Paajche und Friedberg sicherlich nicht agrarischer zurück. Ganz besondere Hoffnungen wurden auf die WerbekraK des Bundes in Hannover gesetzt. Der Bund hat Otterndorf be hauptet und Osterode-Einbeck gewonnen, während der bundessreund- liche Graf Knyphausen fiel. Von den sieben Comproinißcandidaten der Nationalliberalen und des Bundes hat nur einer gesiegt. S o gering hatten die Erfolge des Bundes sich nicht einmal die hannoverschen Nationalliberalen vorgestellt, sonst würden sie ihm nicht so weit entgegrngekommen sein. Der „Hann. Kur." bedauert dies daher und meint, seine Partei habe m i t dem Bunde schlechte Geschäfte gemacht. Auf der anderen Seite haben die Welfen kein Mandat verloren und Osnabrück und Celle ge wonnen. Die socialdemokratische Stimmenzahl hat sich in der Provinz um 16255 vermehrt; in Hannover hat ihr Candidat zum ersten Male ohne Stichwahl gesiegt." Das Alles ist schon von anderer Seite gesagt worden, aber in der „Kreuzzeitung" ausgesprochen, gewinnt eS doppelte Bedeutung. Niemand wird bestreiten können, daß daS Blatt in der That, wie eS sagt, die „Thatsachen in aller Ruhe und Objectivität constatirt". In dieser nackten Aufzählung liegt auch die Widerlegung einer freisinnigen, von Herrn v. Ö. mit Recht als übertrieben bezeichneten Behauptung, der Bund habe seine „vollkommene Ohnmacht" erwiesen. Nein, der Bund ist nur unfähig, der Landwirlhschaft zu nützen, Social demokraten und Welfen; wie auch Freisinnige haben die wohl- thätigen Aeußerungen seiner Macht verspürt und quittiren mit höhnischem Dank darüber. Tie „Kreuzzeitung" protestirl auch gar nicht gegen folgende Darstellung der BundcSlhälig- keit in einem freisinnigen Blatte: „Fürst Bismarck hat einmal das Wort gesprochen: Huieta. non movere! Was ruht, das soll man nicht bewegen und erregen. Der Bund der Landwirthe dagegen hat gemeint, die ländliche Be völkerung gegen eine angeblich falsche Handelspolitik der Regierung ausbieten zu müssen. Er hat in der That Leben in viele ländliche Wahlkreise gebracht. Was aber ist die Wirkung? Allenthalben in den ländlichen Bezirken, besonders des Ostens, zeigt sich plötzlich ein so gewaltiges Anwachsen der socialdemokratischen Stimmen, daß die Rechte mit großer Besorgniß in die Zukunft blickt. Wie es in dem Wahlkreise des Herrn v. Ploetz gegangen ist, so wird es in anderen Wahlkreisen gehen, wo der Bund der Land« wirthe seine Arbeit verrichtet. Tas Bündlerthum säet, und die Socialdemokratie erntet." v. D. nennt diese Kritik eine Denunciation, er hütet sich aber Wohl, ihre Grundlosigkeit in Zweifel zu ziehen. Vielmehr ruft er im Anschluß an sie dem Bunde ein „cliseitv, mouiti^ zu, nachdem er schon vorher bemerkt, aus den Wahlergebnissen gehe „unzweideutig hervor, daß es schlechte Freunde deö Bundes wären, die ihm den Rath geben wollten, Partei zu spielen und sich an die Stelle bestehender Parteien zu setzen". Die Wahl des verbalen „ModuS" ist eine geschickte Höflichkeit, die der Verfasser nach dem, waS er vorausgeschickt, selbst für nichts Anderes ge nommen zu sehen wünschen kann. Auch für ihn liegt das Auftreten „schlechter Freunde" nicht mehr im Be reich: der Möglichkeit, er siebt sie wie jeder Andere in den Herren vr. Hahn und Liebermann v. Sonnenberg und kehrt denn auch sogleich in den Jndicativ zurück, indem er von Ohrenbläsern spricht, die der Bundesleitung die „Emancipation von der conservativen Partei anrathen und eine Sprache führen, wie sie in den obigen Citaten des ABC-Buches beliebt ward." Diese Inanspruchnahme des Bundes fast wieder ganz ausschließlich für die konservative Partci ist eine Sache für sich. Einstweilen genügt es, zu zeigen, daß die Herren vr. Hahn und Lucke, daß die Bundespresse und -Literatur auch von Conservativen als das, was sie sind, erkannt werden, nämlich als Vorfrüchte der Socialdemokralie. Auf diese Anschuldigungen geht die „Deutsche Tagcsztg." nicht ein, sie begnügt sich, die Ausführungen in der „Kreuzztg." für „vollkommen zwecklos und unnütz" zu erklären. Hoffentlich bleiben sie daS nicht. Oie wirthschaftliche Erschließung Liautschaus. Die Marineverwaltung von Kiautschau ist in letzter Zeit vielfachen Angriffen ausgesetzt gewesen, versteckten und offenen, weil ihre Maßnahmen in der Land frage äugen scheinlich nicht den Interessen Derer entsprechen, die durch eine ausgiebige Bodenspeculation schnellen Gewinn aus der Colonie zu ziehen hoffen. In einem offenbar inspirirten Artikel vertheidigt die „Köln. Zig." den Stand der Marineverwaltung mit Grün den, denen man die Zustimmung nicht wird versagen können. Der Artikel lautet: Die erste Einrichtung einer jeden jungen Colonie bietet, auch nachdem deren politische Verhältnisse sichergestellt sind, eine Fülle von Schwierigkeiten auf technischem, wirthschaftlichem und ad ministrativem Gebiete. Die coloniale Erfahrung, die alle Natio nen nach dieser Richtung gemacht haben, lehrt, daß solche Schwie rigkeiten sich bei planvollem Zusammenwirken von Regierung und Colonisten verhaltnißmäßig rasch überwinden lasten. Zu diesen, sozusagen normalen Schwierigkeiten der Coloni- sation gesellen sich in Kiautschau zwei besondere Momente, welche in den örtlichen und zeitlichen Verhältnissen unserer jüngsten colonialen Erwerbungen begründet sind und in hohem Maße ein vorsichtiges, aber auch systematisches und nachdrückliches Vor gehen der Schutzgebictsverwaltung erfordern. Einmal ist zu be denken, daß wir zum ersten Mal in der deutschen Colonial geschichte nicht ein „wildes" Land mit geringer und kulturell tiefstehender Bevölkerung vor uns haben, sondern ein Gebiet ur alter Cultur mit tiefeingewurzelten Anschauungen und Einrich tungen in Recht und Sitte, das bereits bis an die Grenze seiner heutigen Ertragsfähigkeit bevölkert ist. Hier heißt es, ganz neue Erwerbsmöglichkeiten schaffen, ehe an eine irgend erhebliche Ver mehrung der Einwohner durch fremden Zuzug gedacht werden kann. Dabei bedarf das ganz außerordentlich fein ausgebildete Rechtsgefühl der chinesischen Bewohner der größten Rücksicht nähmet während andererseits doch wieder mit Nachdruck ihnen ge zeigt werden muß, daß ein neues und kräftiges Regiment im Lande besteht, das entschlossen ist, die berechtigten Wünsche der neuen Ansiedler durchzusetzen. Das andere Moment liegt in den Zeitverhältnisten, d. h. in dem Stadium, in welchem sieb gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt die wirthschaftliche Erschließung Chinas überhaupt befindet. In den letzten Jahren hat diese Er schließung erstaunliche Fortschritte gemacht, und Alles weist dar auf hin, daß sie in der nächsten Zukunft mit zunehmender Ge schwindigkeit weitergehen wird. Dadurch ist ein scharfer Wett bewerb unter den alten und neuen Handelsplätzen der chinesischen Küste entstanden, ein jeder von ihnen möchte sich möglichst ein ausgedebntes wirthschaftliches Hinterland, ein möglichst weites Aufnahmegebiet kaufmännisch und industriell sichern. Vielerlei Anzeichen weisen darauf hin, daß in diesem scharfen Wettkampfe gerade die nächsten Jahre entscheidend sein werden für die Ab grenzung des wirthschaftlichen Einflußkreises der verschiedenen Häfen. Es kommt daher Alles darauf an, aus Kiautschau rasch einen Handelsplatz großen Stils zu machen. Dazu gehört vor Allem die Schaffung eines erstklassigen Hafens mit allen Einrichtungen, welcher der moderne Schiffsver kehr verlangt; dazu gehört im Zusammenhänge mit dem Hafen die völlige Neugründung einer Stadt modernen Gepräges. Bis her hat die deutsche Verwaltung in dem unbedeutenden Fischer- Feurllstsn» Was der Wald erzählt. Eine Studie zur Reisezeit. Von Georg Seeger. Nachdruck verbeten. I. Unser deutscher Wald — ja, so dürfen wir von ihm sagen und singen! Was dem Skandinaven die See, was die Berge dem Schweizer sind, das ist uns der Wald: die charakteristischste Erscheinung unserer Landschaft. Unlösbar ist er mit unserem Geschichts- und Geistesleben verwoben. Im Walde standen die Tempel der alten Germanen; durch die dichten Wälder des Harzes floh der junge König Heinrich IV. drei Tage lang vor den ihn verfolgenven Sachsen; der thüringische Bergwald barg I)r. Martinum Luther vor seinen Feinden. An der Quelle im Walde endet Jung-Siegfried, im Walde sucht die gescheuchte Genofeva eine Zuflucht, in den Wald führen uns schier unzählige unserer Märchen, den Wald besingen unsere Dichter von den Minnesängern bis zu den Jung- und Jüngstdeutschen, und dem Walde ziehen alljährlich Tausende und Abertausende zu, sich rein zu baden von Staub und Sorge, sich Frieden zu holen im Waldesfrieden und Weihe im Waldesdome. Ihnen Allen hat Arndt aus der Seele gesungen: Wenn der Kummer Dich befallen, Geh' hin zum grünen Wald, Da triffst Du Tempelhallen In ihrer Urgestalt .... Er ist die stille Kammer, Wo Aeolsharfen Klang Verscheuchet jeden Jammer, Womit die Seele rang. Und Geibel mahnt im gleichen Sinne: Kommt her zum Frühlingswald, ihr Glaubenslosen, Tas ist rin Dom,, drin Pred'gen tausend Zungen. Wenn die Dichter hier von den Stimmen des Waldes reden, so ist dies mehr als ein Bild. Ja, der Wald spricht. Das Rauschen der Bäume, das Summen der Käfer, der Sana der Vögel — Jedem sagen sie etwas. Wer aber des Waldes Stimme besser versteht, dem erzählt er noch von Vielem mehr, als von Frieden, Sommerschönheit und Vogelsang; dem spricht er von Vergangenheit und Zukunft, von Thaten und Sitten, von Kampf und Versöhnung. H. Was der Wald erzählt? Er erzählt von einer Geschichte, die weit über alle Er innerung des Menschengeschlechts hinausreicht. Noch lebte der Mensch nicht, noch bespülte den langsam aufsteigenden Nordfuß der Alpen ein Binnenmeer, da bedeckte — eS war in der Braun- kohlenepoche — Deutschland schon der Wald, und er war weit herrlicher, als wir ihn heut kennen. Fast alle Arten von Bäumen und Sträuchern setzten ihn zusammen; „lichte Mimosen mischten sich mit zartem Spitzenlaub und schön gefiederte Johannisbrod-, I Götter- und Terpentinbäume unter die spiegelnden Laubmasten I immergrüner Eichen, großblätterige Magnolien und Arabien, I Sassafras-, Lorbeer-, Zimmt- und Kampherbäume". Mit un seren heimischen Laub- und Nadelbäumen vereinigte sich der kalifornische Mammuthbaum, Chiles Liboceder, die Widdring- tonia vom Capland, der japanische Gingko und Glyptostrophus. Damit verglichen, erscheint freilich schon der Urwald dürftig, in dem unsere ältesten Vorfahren hausten; doch dem Römer dünkte er in seiner Macht und Größe überwältigend, und furcht sam berichtete er von diesen Wäldern, „die das Land mit Kälte und Dunkel füllen". Was er von ihren Riesenbäumen erzählt, ist ersichtlich zum Theil Uebertreibung; doch zeigt uns ein aus einem Eichenstamm von 50 Fuß Länge hergestellter Kahn, den einst Pfahlbauern auf ihren Fahrten im Bieler See verwandt haben, daß es in Wahrheit ein gewaltiger Urwald gewesen sein muß, der damals ganz Germanien mit Ausnahme des Marsch- und Geestlandes des Nordwestens bedeckte. Gern machten wir uns von diesem Urwalde der Germanen eine anschauliche Vor stellung, doch reichen unsere Kenntnisse dazu nicht aus. Nur so viel wissen wir, daß damals das Laubholz das Nadelholz weitaus überwog und den deutschen Wald so recht eigentlich bevölkerte. Die Eichen, von denen Plinius ehrfürchtig sagt, daß sie „von den Jahrhunderten unberührt und gleichalterig mit der Welt, durch ihr fast unsterbliches Lebensloos alle Wunder der Erde übertrafen", sind rar geworden in Deutschland, und kein Baum mehr steht in unserem Walde, der noch über den Holztempeln der Germanen gerauscht und der Winfried's be geisterte Predigten gehört hat. Denn Deutschlands ältester Baum, die berühmte Linde zu Neuenstadt am Kocher, ist höchstens auf ein Alter von 700 Jahren zu schätzen. Das mag also ums Jahr 1200 gewesen sein, als diese Linde das liebe Licht sah, und dazumal hatte sich schon gar Vieles mit dem deutschen Walde ereignet. Die Menschen waren seßhaft geworden, hatten Acker- und Weideland zu gewinnen gestrebt und darum einen Krieg gegen den Wald begonnen. Es fielen die Stämme, es lichteten sich ganze Bezirke, der Wald wich. Die Wälder, die einst als heilige im gemeinen Besitze des Stammes gewesen waren, gingen in die Hand einzelner Herren über, in die Hand des Kaisers, des Landesherrn, des Grundherrn, und sie erhoben Tribut von denen, die den Wald zur Schweine mast oder zur Weide benutzten. Auch wurde viel Bienenzucht im Walde getrieben, die Holznutzung aber stand noch zurück, und Niemand dachte noch an einen Ersatz des geschlagenen Holzes. Das waren keine guten Zeiten für den Wald, der mit der Axt der kleinen Menschlein einen aussichtslosen Kampf führte. Aber allmählich begann sich Holzmangel geltend zu machen, und der Kampf gegen den Wald hörte zuerst hier und da, dann allgemein auf. In Nassau wurde z. B. bereits 1582 die Verwendung deS Eichenholzes zu Bauzwecken im Interesse der Schonung des gefährdeten Sichenbestandes untersagt. Auch wurden neue schnellwüchsige Bäume eingeführt, die inzwischen Heimathsrecht in Deutschland erworben haben: Die unechte Akazie, die bald nach 1700 Verbreitung gewann, die Lärche, die etwa gleichfalls um jene Zeit auch außerhalb Schlesiens und Bayerns sich aus breitete. Inzwischen hatte sich auch das Aussehen des deutschen Waldes bereits wesentlich geändert. Das Nadelholz hatte sich auf Kosten des Laubwaldes vielfach siegreich vorgeschoben; schon standen im Harze Buche und Fichte nebeneinander, der Schwarz wald und die bayrischen Alpen waren alte Nadelholzreviere und im Laufe des 18. Jahrhunderts machte der Nadelwald wiederum in den verschiedensten Theilen Deutschlands erhebliche Fort schritte. Zugleich aber entstanden die Anfänge der modernen rationellen Waldwirthschaft, deren Entwickelung wir die Er haltung unseres Waldes danken. Die rationelle Forstpolitik ist eine Eigentümlichkeit, deren sich Deutschland und Oesterreich- Ungarn vor allen Ländern rühmen können; in England z. B. ist der zusammenhängende Wald und seine methodische Aus nutzung so unbekannt, daß der deutsche Grundbesitzer, der den Wald als seine Haupteinnahmequelle bezeichnet, dort schlechter dings kein Verständniß findet. III. So hat der Wald eine lange Geschichte von der Feindschaft des Menschen und der schließlichen Versöhnung mit ihm zu er zählen. Aber auch unter seinen eigenen Bürgern hat er wilde Kämpfe gesehen. Wie bereits erwähnt, stehen die beiden großen Familien der Laub- und der Nadelbäume seitAlters in einem er bitterten Kampfe. Bei uns ist in diesem Kampfe der Mensch vielfach dem Nadelholz zu Hilfe gekommen, indem er Fichte und Kiefer, die schnelleren Ertrag als die anspruchsvolleren Laub bäume versprechen, begünstigte. Aber an anderen Stellen hat sich das Laubholz revanchirt. So sind Dänemarks Wälder der Schauplatz eines erbitterten Kampfes zwischen Buche und Kiefer gewesen. Im Schatten der Kiefer (so schilderte der bereits citirte berühmte Botaniker Ferd. Cohn diesen Kampf) schoß die schattenhebende Buche auf, wuchs ihr allmählich über den Kopf und erstickte sie, die die Sonne nicht entbehren kann, allmählich in ihrem Schatten. Der gleiche Kampf tobt noch heute mit un entschiedenem Erfolge in Westpreußens Wäldern. An anderen Stellen wiederum gerathen die Familienmitglieder selbst in Streit. So verdrängt die Buche bei uns gewöhnlich die Birke und zuweilen selbst die Eiche; so hat in großen Theilen Nor wegens die Fichte über die Kiefer gesiegt. In diesem Kampfe gehen ganze Arten zu Grunde; cs sei nur an den herrlichen Eichcnbaum erinnert, der einst in Deutschland ein häufiger Waldbaum gewesen und heute fast zu einer Seltenheit geworden ist. Aber selbst die feindlichen Geschlechter thun sich zusammen, wenn es gilt, einem fremden Eindringling den Eintritt in den Wald zu wehren. Seit der Entdeckung Amerikas sind Tausende und Abertausende ausländischer Gewächse in unserer Garten- cultur eingeführt worden, aber nur vierzig Pflanzen von dort haben im Ganzen seitdem den Eingeborenen unserer Flur das Bürgerrecht abzutrotzen vermocht. IV. WaS der Wald erzählt! Er weiß von den Anschauungen gar vieler Völker zu er zählen, die er an sich selbst erlebt hat. Die Alten scheuten ihn; ihnen war er ein unheimliches grauenvolles Revier, in dessen Dunkel unholde Wesen, hämisch« Frauen, schadenfrohe Satyre hausten. So tritt auch Jbikus bei Schiller „mit frommem Schauder" in Poseidon's Fichtenhain ein. Noch heute nennen die Nachkommen der alten Römer in der Gegend von Florenz die Kinder mit unheimlicher unsicherer Herkunft macmüiajoli, das ist: Kinder der mseeüia, des dichten Waldes. Dante wußte seine Höllenfahrt von keinem passenderen Orte aus zu beginnen, als von einem „finsteren Walde", der „wild, rauh, dicht, voll Angst und Noth" war. In dieser Anschauung begegnen sich mit der Antike manche Naturvölker, so die Bongos und Nia-Niams in Afrika, denen der Wald als etwas Teuflisches, als der Wohn ort der fürchterlichen Bitalbohs gilt. Bei einer großen Anzahl anderer Nationen aber galt und gilt der Wald als etwas Hei liges. Die Indier verehrten ihn als den Ort, in dem die ehr würdigen Büßer ihr heiliges Leben führten, in dem ein höheres Wesen waltete und Buddha so manch« seiner gefeierten Thaten verrichtet hatte. Die Völker des alten Bundes wählten, wie Mielck in seinem jedem Naturfreunde warm zu empfehlenden Buche über die „Riesen der Pflanzenwelt" (Leipzig, C. F. Winter) treffend anführt, den Schatten großer Bäume zu ihren Opferfesten. Am tiefsten aber wurzelt die Verehrung des Waldes doch im deutschen Gefühlsleben. Seit die alten Germanen hier unter mächtigen Bäumen und in schlichten Holztempeln ihre Festtage feierten, ist die Vorstellung, daß der Wald heilig sei, bei uns nicht erstorben. Auch der Christ hing später gern seine Heiligenbilder an dieBäume des Waldes; kam dann einWanderer an einem so geheiligten Baum vorüber, so warf er (z. B. in der Oberpfalz) einen Stein an ihm nieder: je größer der Stein, desto größer die Sündenlast, die ihm vom Herzen fällt. Auch hat der alte Wodan sein geheiligtes Revier noch nicht verlassen, nur führt er jetzt andere Namen, z. B. Hohmann, und ist zu einem gutmüthigen Waldgeiste geworden, der Niemandem Uebles zufügt, der ihn nicht beleidigt; wie denn überhaupt die meisten deutschen Waldgeister im Gegensätze zu denen der Griechen und Römer gutartig sind. Muß der deutsche Holzhauer einen Baum fällen, so bittet er ihn noch heute in manchen Gegenden um Verzeihung (was übrigens auch in einer bulgarischen Sage ge schieht); der Baum aber stöhnt und blutet unter den Schlägen der Axt. Hierin erkennen wir die Neigung, den Wald und seine Bäume als lebende Wesen anzusehen, — ein Zug, der für die Liebe der Deutschen zum Walde so recht bezeichnend ist. „Der Wald hat Ohren", sagt ein altes Wort; er besitzt den Schlüssel zu allen Geheimnissen. Die Bäume, die Blätter sprechen, sie theilen ihre Kunde den Vögeln mit; drum, wer die Sprache der Vögel erlernt hat, wie Siegfried, der ist aller Weisheit Meister. So ist der Wald, der im dreißigjährigen Kriege die Hilflosen vor den wilden Banden der fremden Söldner rettete, auch sonst die Zuflucht Aller geworden, die Sammlung, Trost, Rath suchen, die Zuflucht der Dichter und Denker, die Zuflucht eines Jeden, der . zu hören weiß in frommem Lauschen, Wie, herrlicher als Lied und Kunstgedicht, In stundenlangem leisen Wipfelrauschen Des Walder Seele mir sich selber spricht.« (Scheffel.)
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