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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980721024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898072102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898072102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-21
- Monat1898-07
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Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. S?tra-Vellage» (gefalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmelchluß für Anzeigen: Abend-Au-aabe: Bormiidags 10 Uhr. Morge n-Au-gabr: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annadmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet- au die Sxpedttia» zu richten. a Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 365. Donnerstag den 21. Juli 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. Den Union--Obercommandirenden General Mi les lassen die Lorbeeren Shafter'S nicht schlafen; er soll Mac Kinley ersucht haben, ihn nach der Einnahme Puerto Rico- mit seinen Truppen nach Spanien ziehen zu lasse», um dort noch glänzendere Siege als Shafter zu erringen. Wir bezweifeln durchaus nicht, daß die Nachricht auf Wahrheit beruht, denn der Begeisterungs taumel im amerikanischen Volke ist so groß, daß er alle möglichen Zukunftsträume zeitigt. Daß sich eine Nation ihres Sieges freut, das ist selbstverständlich, aber es gewinnt bei einem Theil der Amerikaner die Sucht nach größeren Er folgen die Oberhand über die Freude über den Sieg. So verkündet eine Zeitung: „Ueber dem Sternenbanner geht die Sonne nicht unter!" „DaS neue Amerika (nämlich daS, wie es voraussichtlich nach Beendigung des Krieges auSsehen wird) ist von jetzt ab eine That- sacke, mit der die Großmächte der Welt werden rechnen müssen", schreibt ein New Aorker republikanisches Organ und fährt dann fort: „Wir haben die Bahnen einer imperia listischen Politik betreten. Wir haben einen so ungeheueren Ueberschuß an geistiger und physischer Kraft, daß wir Bentile für denselben suchen müssen. Colonien werden uns als solche vorerst genügen. Von dort werden sich unsere Ideen, unsere Gewohnheiten allmählich über die ganze Welt Bahn brechen, denn der Amerikanismus ist dazu bestimmt, im Laufe der Zeit der ganzen Menschheit seinen Stempel aufzudrücken." Ein anderes Blatt versteigt sich sogar noch höher und sagt: „Wir sind dazu bestimmt, die Völker der Erde zu re- form iren und zu befreien." Einstweilen wird die Ge fahr, „amerikanisirt" zu werden, für Europa gar so groß doch nicht sein. Wären die Vereinigten Staaten anstatt mit Spanien mit einer anderen, militairisch und maritim potenten europäischen Macht zusammengeratheu, so würde daS Ver fahren wahrscheinlich ziemlich kurz gewesen sein. Wenn aber der „Sieg", der bisher auf amerikanischer Seite über einen minderwerthigen Gegner mit Mühe und Notb davon ge tragen ist, schon hinrcicht, in den amerikanischen Blättern derartige NationalilätSexcessc, wie die bisher stattgehabten hervorzurufen, so beweist dies das Vorhandensein eines Maßes von Anmaßung und Verblendung auf amerikanischer Seite, das in Europa immerhin Beachtung zu finden hat. Wenn die Monroedoctrin als eine unglaubliche Dreistig keit gegenüber allen anderen amerikanischen und denjenigen europäischen Staaten, die in Amerika Besitz haben, zu be zeichnen ist, so verdient die Sprache, welche die amerikanische Presse gegenwärtig führt, diese Bezeichnung ebenfalls. Sie läßt erkennen, was die übrige Welt von den AankceS zu ge wärtigen hätte, wenn diese militairisch zur Macht gelangten. Ueber die Lage in Amerika liegen folgende Tele gramme vor: * Santiago, 21. Juli. Dem verwundeten General Linares wurde der Arm amputirt. Der Zu stand ist bedenklich. * Havanna, 21. Juli. Es herrscht hier große Begeisterung für den energischen Widerstand gegen den Angriff der Ameri kaner. Die Führer der Freiwilligen sind entschlossen, eher zu sterben, als zu capituliren. * New Nork, 21. Juli. „Evening Post" meldet aus Kingston: AuS Siboney eingetroffene Cubaner berichten, Laß der Rebellen» Ehrf Garcia todt ist. * New Nork, 21. Juli. Wie versichert wird, soll es den Spaniern gelungen sein, die Ladung des Dampfers „Antonio Lopez" zu bergen, der, wie berichtet, bei dem Versuche, die Blockade von Puerto Rico, mit Vorräthen befrachtet, zu durchbrechen, nahe bei San Juan auf Puerto Rico gestrandet war. In Madrid steigt die Erbitterung gegen den General Toral. Eine halbamtliche Note besagt, das Schreiben des Generals Toral an den General Shafter, in welchem er be hauptet haben soll, die Regierung habe ihn ermächtigt, zu capituliren, werde für apokryph angesehen, denn das Schreiben enthalte eine Behauptung, welche Toral unmöglich habe ausstellen können. In der Thal könne unmöglich gesagt werden, die Negierung habe zur Uebergabe die Ermächtigung ertheilt. Der Vorgang sei vielmehr folgen der gewesen: Der Kriegsminister erhielt zwei Tele gramme des Marschalls Blanco; das eine war eine von Toral herrührende kritische Darstellung der Lage, das andere enthielt die Bedingungen der Capitulation und ver langte Instructionen. Der Kriegsminister erwiderte dem Marschall Blanco, er möge Toral alle Initiative überlassen; er, der Minister, könne ihm kein anderes Verhalten vor schreiben, als daS durch daS Militairgcsetzbnch festgesetzte. Die Note schließt, General Toral habe gehandelt, wie er es für gut gehalten habe, er werde vor dem Kriegsgerichte die Gründe auseinandersetzen, die ihn bestimmt hätten, zu capituliren. In Manila scheint sich die Lage ein wenig gebessert zu haben; in einigen Gefechten hat der Feind ernste Verluste gehabt und der Kriegsminister bat gestern erklärt, daß es dem Generalgouverneur von Manila, General Augustin, gelungen sei, mit dem Generalcommandanten der Visayas- Gruppe sich in telegraphische Verbindung zu setzen. Die A u f- stä irdischen zeigten sich, wie Letzterer meldet, wenig feind selig gegen die Spanier. Nach einer Aeußerung des Minister präsidenten Sagasta selbst ist die Lage in Manila besser. Dagegen sind die 1000 von den Aufständischen gefangen ge nommenen Spanier einer schlechten Behandlung ausgesetzt. Ueber den Zwischenfall mit der „Irene" wird uns aus Madrid berichtet: Nach den Mittheilungen, welche die spanische Regierung aus Manila über daS angebliche Einschreiten der „Irene" erhalten hat, liegt der Fall wesentlich anders, als er von der nordamerikanischeu und der englischen Presse dargestellt wurde. Nach den spanischen Berichten bestehen vielmehr zwischen dem deutschen Admiral und Aguinaldo ganz normale Zustände und die Angriffe der Aufständische», welche von der „Irene" verhindert werde» sollten, gingen nicht von Aguinaldo, sondern ohne dessen Vorwissen von einem aufständischen Unterführer auS. Die Nordamerikaner hatten im Gegentheil den Admiral Diedrichs zu verdächtigen gesucht, daß er Anknüpfungen mit Aguinaldo gesucht habe, um diesen in einen offenen Gegensatz zum Admiral Dewey zu bringen. Als ver bürgt wird hierüber jedoch nur folgende Thatsache berichtet: Aguinaldo hatte den deutschen Admiral schriftlich um eine Unterredung gebeten, wobei er dessen Vermittelung in Anspruch nehmen wollte, um seitens der Großmächte die Anerkennung der Aufständischen als kriegführende Macht zu erlangen. Diese Unterredung hatte jedoch Admiral Diedrichs nicht bewilligt, sondern einen Osficier zu einer Zusammenkunft mit Aguinaldo entsandt. Hierbei ließ er dem Letzteren erklären, daß bei einer Beseitigung der spanischen Herrschaft auf den Phi lippinen Deutschland sich voraussichtlich der Begründung eines unabhängigen Inselstaates nicht widersetzen würde, falls derselbe die dortigen deutschen Handelsinteressen nicht schädige. Dagegen würde der Versuch, die Inselgruppe in den Allein besitz einer anderen Großmacht zu bringen, wahrscheinlich bei den übrigen Mächten auf Widerspruch stoßen. Nach nord amerikanischer Auffassung bat in dieser Erklärung die Auf forderung an Aguinaldo gelegen, sich einer Inbesitznahme der Inseln durch die Vereinigten Staaten zu widersetzen; und aus diesem Grunde war man bemüht, irgend einen äußeren Zusammenstoß zwischen den Aufständischen und dem deutschen Geschwader zu schassen. Man bediente sich hierzu einiger Unterführer, deren Ehrgeiz man schon seit Längerem gegenüber den Ansprüchen Aguinaldo's zu erregen wußte, und gerade von nordamerikanischcr Seite veranlaßte man ohne die Mitwirkung Aguinaldo's jene Ueberfälle, gegen welche die „Irene" einschritt. Als dann jedoch die amerikanischen Kriegsschiffe zur Stelle waren und somit selbst die Verant wortung für etwaige Raub- und Mordthaten der Ein geborenen übernahmen, war selbstverständlich die Aufgabe deS deutschen Kreuzers erfüllt. Ans keinen Fall aber kann dnrch den Vorgang eine Spannung zwischen Agninaldo und dem deutschen Geschwaderchef entstanden sein. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. Juli. Seit mehreren Tagen spukt in der Presse ein angebliches Telegramm des Kaisers an den Regenten von Lippe. Wir haben eS bisher nicht erwähnt, weil eS erstens von der „Neuen Bayer. LandeSztg." in Würzburg, einem der giftigsten der bayerisch-particularistischen Blätter, zuerst ver öffentlicht wurde und schon deshalb verdächtig erscheinen mußte, und weil wir zweitens trotz der bekannten kühlen Temperatur, die zwischen Berlin und Detmold herrscht, nicht glauben mochten, daß die Verhältnisse in solcher Weise sich zngespitzt haben könnten. Da aber beute einer der beiden verantwortlichen Redacteure der „Tägl. Ruud sch.", H. Rippler, versichert, er könne, nachdem er „an zu ständiger Stelle Erkundigungen cingezogen" habe, bestätigen, daß die Vorgänge sich im Großen und Ganzen so zugetragen hätten, wie die „N. Bayer. Landesztg." sie schildert, so glauben wir unseren Lesern diese Schilderung nicht länger vorenthaltev zu dürfen. Wir schicken ihr die Mittheilung voraus, daß die „Lippischr Landesztg." zum Jahrestage des Amtsantrittes des Regenten schrieb: „Das Legimitätsprincip, welches für das Haus Biesterseld in dem Schiedsspruch mit Begründung seine Bestätigung gefunden, ist die unantastbare Grundlage deS Thrones; wer daran rüttelt, zer stört die Wurzeln, aus denen die Throne der deutschen Fürsten auf gebaut sind. Das werden die deutschen Fürsten bedenken, wenn ihnen ein Eingriff i» die Rechte eines deutschen Bundesfürsten zugemuthet werden sollte. Die Verfassung des deutschen Reiches, wie sie der greise Kaiser und sein heldenmüthiger Sohn mit dem Eisernen Kanzler geschaffen, ist des Reiches fester Grund. Wer sie erschüttert, wer für das Reich Rechte in Anspruch nehmen will, die einem Bundesstaate zukommen, zerstört diesen Grund. Dem Reiche, was des Reiches, den Bundes- staaten, was ihnen »nd ihren Fürsten gebührt. Tie deutschen Fürsten werden an sich und ihre Nachkommen denken, wenn ihnen zugemuthet werden sollte, sich in die inneren Angelegenheiten eines deutschen Bundesstaates zu mischen. Sie werden einmüthig auf trete», wenn Uebergrisse gegenüber einem deutschen Bundesfürsten gemacht werden. Heute mir, morgen dir!" Die Schilderung der „N. Bayer. Landeszeitung" lautet wörtlich: „Nach dem Tode des ohne direkte Erben verstorbenen Fürsten von Lippe suchte der Kaiser einen seiner Verwandten in die Erb- folge zu bringen, und dieser hatte auch ohne Weitere- die Regen!- schäft übernommen. Aber der nächste Verwandte des Verstorbenen, der auS dem Fürstruhaose stammende Graf zur Lippe-Biestcrfcic, macht« seine Ansprüche geltend, und der als Scknedsrichter eingrscpie König Albert von Sachsen entschied, daß der Verwandte des Kaisers den Throu zu räumen und an seiner Stelle der Graf zur Lippe die Regentschaft zu übernehmen habe. Der Kaiser war über diese Entscheidung so aufgebracht, daß er ein Telegramm an seinen abgehenden Vetter richtete, in welchem er die Einwohner des Fürsten- thum- gleichsam bedauerte, daß sie einen so ausgezeichneten Regenten verlieren müßten. Der neue Regent ist ein alter, vornehmer Herr der in seinem Aeußeren dem Prinz-Regenten von Bayern gleich sieht, aber nicht mehr so mobil ist, wir Jener, denn seine Beine sind gelähmt, und er muß sich deshalb immer eines Wagens bedienen. Wir erwähnen dies, damit die Leser unser« Be- urtheiluug des kaiserlichen Telrgrammes noch besser zu würdigen vermögen, als wenn sie lediglich blos den Inhalt desselben kennen würden. Aus Grund der zwischen Preußen und Lem Fürstenthum Lippe abgeschlossenen Militair - Convention hat der Regent eine Reihe von Rechten, und er verordne:- nun, daß seine Söhne und Töchter von den Officieren der Garnison zu grüßen und mit dem Titel „Erlaucht" anzurrden seien. Diesem Befehl des Regenten wurde aber keine Folge gegeben, wes wegen derselbe den General zu sich beschied und ihm Vorhalt machte. Dieser gab zu verstehen, daß er seine Befehle vom obersten Kriege- Herrn in Berlin und nicht vom Landessürsteu zu empfangen habe. Der alte Fürst wandte sich nun in einem Schreiben, wie es selbst ein gewöhnlicher Unterthan kaum unterthäniger und höflicher schreiben könnte, an Len Kaiser und bat ihn unter Berufung aus seine verbrieften Rechte, dem Befehle des Regenten Achtung zu verschaffen. Dieser ging dabei auch von der Meinung aus, daß es nicht zur Stärkung der Autorität und des monarchischen Principes beitrage, wenn das Volk sähe, wie ein General den Befehl Les Lande-fürsten einfach unbeachtet lasse, uud wie dadurch selbst Ossiciere und Soldaten zur Auflehnung gegen die Autorität veranlaßt werden. Diese Meinung sprach der Regent nicht einmal an-, sondern ließ sie nur in der leisesten Weise durch- blicken. Der alte Herr durfte wohl einen vornehmen Bescheid er warten, aber er war um so niehr betroffen, als er am andern Tage folgendes Telegramm erhielt: An den Regenten von Lippe in Detmold. Mein General hatte Befehl. Dem Regenten, was dem Regenten gehört, sonst weiter nichts. Im llebrigen verbitte ich mir den Ton, den Sie sich in Ihrem Briefe erlauben. Wilhelm, I. k. Der Regent theilte nun diese zwischen ihm und dem Kaiser gepflogene Cvrrespondenz den übrigen Bundesfürsten mit und gab ihnen in seiner Denkschrift zu bedenken, welche Folgerungen aus dieser ihm zu Theil gewordenen Behandlung auch für die anderen Bundesfürsten gezogen werden können. Was gestern dem Regenten von Lippe begegnet ist, kann morgen einem anderen Bundesfürsten ebenfalls begegnen. Unwillkürlich stellt man deshalb die Frage, ob die deutschen Bundesfürsten nach englischem Vorbild Las Schicksal der Fürsten Indiens theilen sollen, wo die von der britischen Regierung eingesetzten Residenten die höchste Civil« und Frnilletsn. Lauernblut. 37s Roman in drei Büchern. Bon Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck «erboten. Wenige Minuten später tönten die Stimmen Tell's und Just's im Hausflur, und Gebauer meldete seinem Herrn: „Herr Justizrath, es ist auch ein Herr hier gewesen, ein Universitäts freund von Ihnen, wie er sagte, der Sie überraschen wollte — er hat sehr bedauert. Sie nicht anzutreffen — er will nächste Woche wiederkommen." „Wie hieß er denn?" * „Den Namen hat er nicht genannt." „Nun, dann hätten Sie ihn danach fragen sollen." „Habe ich auch, Herr Justizrath — aber er rückte damit nicht heraus, um Ihnen den Spaß nicht zu verderben." Tell zuckte ungeduldig mit den Achseln, er hatte eine tadelnde Bemerkung auf der Zunge, doch er unterdrückte sie und sagte gut- müthig lachend: „Sie sind ein Kindskopf, Gebauer — ein andermal lasten Sie sich die Karte des Besuchers geben — die wird mir den Spaß nicht verderben. Sonst nichts Neues?" „Nein, Herr Justizrath — die Postsachen habe ich drinnen auf Ihren Tisch gelegt. Befehlen Sie die Lampe?" „Meinetwegen, aber es eilt nicht, ich bin müde und werde mich erst ein wenig ausruhen." Tell wandte sich nach dem Verandazimmer, während Just, dem als stummem Zeugen dieser Unterhaltung eine ahnungsvolle Unruhe gekommen war, nicht wie sonst nach seinem Giebel stübchen oben hinaufstieg, sondern sich unmittelbar vom Flur aus nach dem linken Eckzimmer, das dem Tell'schen Wohnraum be nachbart war, begab. Als Tell ganz unbefangen seine Stube betrat und eben seinen Hut und Stock ablegen wollte, glaubte er, eine Bewegung des Thürvorhanges zu seiner Linken bemerkt zu haben. Es konnte aber auch eine Täuschung gewesen sein, denn eS war schon ziem lich dämmerig, uckd das schwach« ungewisse Licht des Abends ließ nichts mehr deutlich erkennen. „Ist da Jemand?" fragte er ohne jede scharfe Betonung, er mißtraute seiner eigenen Wahrnehmung. „Allerdings", tönte es warm und herzlich, aber mit etwas gedämpfter Stimme zurück, „kennst Du Deinen alten Freund noch?" > Hinter dem Vorhang war ein Heller Paletot hervorgetreten, der Mann aber, der in diesem Paletot steckte, blieb für Teils scharfe Augen ziemlich unerkennbar. „Die Stimme ist mir nicht ganz unbekannt", versetzte der Justizrath, einigermaßen befremdet, und vergeblich seinen Seh nerv anstrengend, „ich muß aber schon bitten, meinem Gedächt- niß etwas zu Hilfe zu kommen — man sieht ja hier nicht mehr die Hand vor Augen." „Ist auch gar nicht nöthig", versetzte munter der Andere, in dem er näher trat und nun dicht vor dem noch immer an das Märchen vom alten Freunde Glaubenden stand. „Es genügt mir, Dich erkannt zu haben, William Tell, einstiger Staats anwalt und jetzt Justizrath außer Diensten. Erinnerst Du Dich noch Deiner letzten famosen Anklagerede in Moabit, in der Du den armen Teufel, dessen Schicksal in Deine Hand gelegt war, so meisterlich zudecktest? Es war eine Leistung, Deiner ganz würdig, und ich gratulire Dir noch nachträglich dazu." Die Stimme des Redenden war um einen leisen Ton schär fer geworden, verrieth aber mehr neckische Ironie als eigentliche Drohung, und Tell war sich noch immer nicht klar darüber, ob der Unbekannte hier als Freund oder als Feind eingedrungen war. Er hatte auch nicht Zeit, darüber weiter nachzudenken, denn der Andere fuhr lebhaft fort: „Es war schon längst meine Absicht, Dir die Hand zu drücken, und damit Du nun endlich weißt, wer ich bin: hier meine Karte." Er hatte seine Linke in die Brusttasche getaucht und hob sie nun mit dem Gegenstände, den er erfaßt hatte, hoch in die Lust, um sie blitzschnell gegen sein Gegenüber niedersausen zu lassen Doch bevor noch seine flinke, messerbewehrte Faust ihr Ziel er reicht hatte, fühlte er seinen linken Arm von hinten gepackt und im tödtlichen Stoße gehemmt. „Halt, Bandit, diesmal bist Du um Deine Beute betrogen." Es war Just, der dies wuthempört hervorwetterte; er hatte vom Nebenzimmer aus die Unterhaltung der Beiden belauscht und war in stets wacher Sorge um das Leben seines Freundes zur rechten Zeit hinzugesprungen. Ein kurzes Ringen zwischen Just und dem Fremden ent spann sich, dem der durch die Ueberraschung völlig erstarrte Justizrath einen Augenblick lang unthätig zuschaute. „Er ersticht mich", stöhnte Just; „rette Dich, William; dort hinaus!" Unwillkürlich hatte er in diesem Momente höch ster Noth seinen Freund mit „Du" angeredet. Und sich wieder gegen den Verbrecher werfend und ihn an einer ferneren Be drohung des Freundes hindernd, rief er mit gellender Stimme: „Gebauer! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Man ermordet den Herrn!" Schon that sich die Thür aus, und der alte Invalide, der die eben angezündete Lampe in der Hand trug, hinkte eilfertig über die Schwelle: „Barmherziger Gott, was giebt es denn hier?" „Carvalho!" rief der Justizrath, der im Scheine der Lampe den Fremden erkannte. Er hatte die Lähmung des Schreckens abgeschüttelt und sein kräftig niedersausender Spazierstock zielte nach dem Haupte des Bösewichtes. Doch dieser parirte den Hieb, der ihm den Schädel zerschmet tert haben würde, gewandt mit dem linken Arm. „Dich treff' ich ein ander Mal!" stieß er höhnisch hervor, stürmte durch die Berandathllr, deren Glasscheibe beim jähen Aufmachen zersplitterte, und verschwand in der Dämmerung. „Na, warte, Canaille!" knirschte der Invalide wuthentbrannt durch die Zähne, „wenn Du ooch schneller loofen kannst, als ick mit meine misepetrigen Spazielhölzer, ick erreiche Dir doch noch mit meine Kugel!" Die Wuth hatte ihn in seine gewohnte Berliner Ausdrucks weise zurückfallen lassen. Er eilte nach seiner Stube, riß dort ein altes Gewehr von der Wand und setzte, mit seinen ungleichen Beinen wie ein Känguruh hüpfend, dem Flüchtling nach. „Sie sind doch nicht verletzt?" fragte Tell, indem er besorgt an den Genossen herantrat, der sich schweigend auf einem Polster stuhle niedergelassen hatte und sein Taschentuch gegen die linke Brustseite drückte. „Es scheint, ich habe etwas abbekommen", versetzte Just, „aber es wird nichts Besonderes sein. Wie danke ich Gott, daß ich Ihr Leben beschirmen durfte!" „Um des Himmels willen", rief Tell erschrocken, indem er die Hand des Retters erfaßt« und von dessen Brust fortziehen wollte, „lassen Sie mich Nachsehen!" „Nein, nein!" wehrte Just hastig und mit äußerster Entschie denheit, „es ist nichts! wirklich nicht der Rede Werth!" „Das wollen wir doch erst feststellen! Mein Gott, was sper ren Sie sich denn so?" Er hatte mit Gewalt das Tuch entfernt »nd sah zu seinem Schrecken einzelne Blutflecke in dem weißen Linnen. Nun hielt er den sich Sträubenden gewaltsam fest und erkannte bei näherer Prüfung daß dessen Jacket gerade über der Herzgegend ausge schlitzt war; die Schlitzränder waren feucht und dunkelroth von einem, wenn auch nur mäßigen, Blutergusse. „Herunter mit den Kleidern!" commandirte Tell in hef tiger Besorgniß. „Ich werde die Wunde untersuchen. Gebauer muß anspannen, um einen Arzt zu holen. Ich werde Sie so lange pflegen; ich weiß Bescheid; ich habe nicht umsonst drei Jahre lang auf dem akademischen Fechtboden gelegen." Just hatte sich erhoben. - — „Ich werde mich selbst verbinden", versetzte er mit erzwunge ner Gelassenheit, „Ihrer Dienste bedarf ich wirklich nicht. Und ich bitte Sie dringend, bleiben Sie mir mit dem Arzt vom Leibe ... ja? Das müssen Sie mir versprechen! ... es ist nichts wie eine Schramme, und an dergleichen bin ich gewöhnt. Im fernen Westen haben wir solche Lappalien immer selbst be handelt." Er sah den Justizrath noch einmal innig an, aus seinen dunkeln Augen brach ein Strom von Glück und Dankbarkeit, daß er ihm hatte das Leben retten dürfen; dann wandte er sich nach der Flurthür, um nach seinem Giebelzimmer hinaufzu steigen. Doch schon hatte Tell mit der Linken die Lampe ergriffen; mit der Rechten umfaßte er die schmiegsame Gestalt des Freun des, um ihn so zu unterstützen. Trotz Just's Widerrede beharrte er auf seinem Vorhaben. Er führte ihn die Treppe hinauf, öffnete die Thür des Giebel zimmers, trat mit ihm über die Schwelle und deckte das Bett auf. Dann zwang er den sich immer heftiger Sträubenden, sich auf den Bettrand niederzusetzcn, und begann ihn zu ent kleiden. „Ich beschwöre Sie, es ist nicht nöthig, daß Sie mir helfen. Ich kann das Alles ganz gut allein besorgen." „Aber so lassen Sie mich doch machen!" rief Tell, beinahe ärgerlich. „Ich begreife Sie gar nicht — wir sind doch unter uns. Sie haben sich ja so zimperlich wie eine alte Jungfer!" Als ihm Tell das Hemd über die Schultern ziehen wollte, kreuzte der immer ängstlicher Werdende beide Arme über die Brust nnd hielt so das blutbefleckte Gewand krampfhaft fest. „Zum Teufel! Das ist ja die reine Albernheit!" grollte der nun ernstlich ärgerliche Helfer, „wenn Sie es nicht anders wollen, gut, dann mag es in Fetzen gehen!" Mit starkem Ruck hatte er an dein Hemde gezogen, ein eigen artig kreischender, zischender Laut, nnd er hielt das abgerissene Vordertheil des Hemdes in der Hand. Nun beugte er sich zu der Wunde des Freundes nieder, aber schon taumelte er betroffen zurück und stammelte in maßloser Verwirrung: „Wie, Sie sind ein — Weib? — Just! — Um des Himmels willen, wer sind Sic denn?" Er hatte die Arme des Anderen mit überlegener Kraft nieder gedrückt und starrte mit großen runden Augen auf eine weibliche Brust, durch deren oberen Ansatz, wie es schien, parallel mit den Rippen, das von seiner eigentlichen Richtung abgelenkte Messer des Mörders gedrungen war. „So sprechen Sie doch!" herrschte er den Ueberrumpelten an, der sich unter der zwingenden Gewalt von Teils urkräftigcm
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