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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980805019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898080501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898080501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-05
- Monat1898-08
- Jahr1898
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/-? Uhr. die Abend-Vlusgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: ktto klemm's Torlim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinus-), LoniS Lösche, Aatharinenstr. 14, Part, und Königsplatz Vedaction und Lrpe-ition: JohanneSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen grössuet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Bezugs-PreL» der Hauptexpedition oder den km Stadt» bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^>4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS Haus .M 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandicudung ins Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. KipMer Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd ANttSKtichtes Leipzig, -es AaHes nn- Polizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS bie 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter demRedactionSstrich (4g«» spalten) 50^, vor den Familien Nachrichten (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- vr^eichniß. Tabellarischer und gisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mlt Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zn richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 92. Jahrgang. Freitag den 5. August 1898. Bestellungen auf MMMllMts nimmt entgegen und führt für jede beliebige Zeitdauer aus Die Lr-k-itioil -es Miger Tageblattes, Johannisgasse 8. Die Trauerfeier für den Fürsten Bismarck in der Äaiser- Wilhelm-Gedachtnißkirche in Berlin. 52 Heute fand, wie bereits kurz mitgetheilt, in der Kaiser-Wilhelm - Gedächtnißkirche zu Berlin eine Trauer feier für den Fürsten Bismarck statt, die als eine allgemeine deutsche angesehen werden darf. Ihr wohnte der Kaiser bei, der sie angeordnet hat, zu ihr waren die in den Reichstag Gewählten geladen, da die deutsche Volksvertretung als Körperschaft, weil noch nicht constituirt, nicht herangezogen werden konnte. So war es die erste und voraussichtlich vor der Beisetzung seiner Leiche die letzte Todtenfeier für den theueren Dahingeschiedenen, bei der Alldcutschland vertreten war, und so ist der heutige Tag der erste der officiellen deutschen Trauertage, durch deren Begehung auch äußerlich den Schmerz über den unnennbaren Verlust zu bekunden, den Deutschen Herzensbedürfniß ist. Wenn es möglich gewesen wäre, die der heutigen Feier in Berlin angemessene Stimmung »och zu steigern, so würde die von Friedrichsruh aus, vom Sarge des Beweinten, ergangene Kundgebung desKaiserS dies bewirkt haben. Sie ist überaus wohlthuend für die Gemüther, und indem sie, manches früher gefällte Urtheil berichtigend, die volle Bedeutung BiSmarck's als des Werkzeuges Gottes, nicht eine« Sterblichen, anerkennt, zeigt sie das Oberhaupt des Reiches doppelt berechtigt, im Namen der Nation auszusprechen, waS der Tvdte ihr gewesen, und das Gelübde, das er für die Nation ablegt, wird im Munde des Kaisers doppelt heilig und doppelt verbindlich für alle Söhne des Vaterlandes. In der That, der Tod dieses Großen mahnt laut und eindringlich zu werkthätiger Dankbarkeit. Bismarck, eS ist wahr, hat im Leben reichen Liebeslohn geerntet. Zwar nicht leicht haben die Deutschen das Stählerne, daS sie im Staatsleben vor ihm nicht gekannt, schätzen, bewundern, lieben gelernt. Dann aber hat Bismarck unveräußerlich Besitz genommen von den unverkrüppelten deutschen Gemüthern, und die Schuld, das dürfen wir reinen Gewissens am offenen Grabe anSsprechen, die Schuld, die mit Verehrung und Dankbarkeit abgetragen werden konnte, sie ist ent richtet. An größere Verpflichtungen aber werden wir durch den Hiutritt des Einzigen aufs Neue und eindringlicher als je vorher gemahnt. Als ein greiser Patriot am 20. März 1890 die kaiserliche Entlassungsördre an Bismarck gelesen hatte, sprach er unter Thränen das Wort: »Jetzt erst ist Kaiser Wilhelm todt." Diese Klage hat das deutsche Volk nicht gerechtfertigt, der alte Kaiser war ihm lebeud erhalten worden durch BiSmarck's auch in der Zurückgezogenheit reich und be reichernd gebliebenes Leben. Nun aber auch der Diener leiblich todt ist wie sein Herr, nun die große Zeit des ersten Kaisers äußerlich vollkommen abgeschlossen ist, soll dem Vaterland mehr verloren sein, als verloren sein muß? Am Reiche besitzen wir der beiden Gottgesandten materielle Hinterlassen schaft; werden Alle, die berufen sind, das Reich zu erhalten, fähig und bereit sein, von BiSmarck's großem Vermächtnis sich so durchdringen zu lassen, wie es geringerer Kraft über haupt verstattet ist? DaS ist die bange Frage, die den unnennbaren Schmerz um den Todten noch verschärft. Fürst BiSmarck's Gedenken und Ruhm werden strahlen, so lange Menschen athmen, wir Deutsche aber werden seinem Gedächtniß nur gerecht werden, wenn wir im Denken und Thun beherzigen, was des Großen Worte und Thateu gelehrt haben. Sein herrlich schönes Leben ist herrlich schön abgeschlossen, wir Zurückgebliebenen jedoch, die wir nimmer seines Gleichen sehen werden, müßten uns der Trauer schämen, wenn sie nicht die Mutter des Entschlusses würde, für das Werk deS Dahingegangenen zu kämpfen und, wenn eS sein muß, zu leiden. Fürst Bismarck war zu groß, zu erhaben, als daß er nur durch TrennungS- schmerz würdig geehrt werden könnte. Ueber die Trauerfeier in der Kaiser-Wilhelm- Ged ächtnißkirche entnehmen wir der „National-Zt." folgenden ausführlichen stimmungsvollen Bericht, den uns ein Privattelegramm übermittelt: „Von einem wolken losen, tiefblauen Himmel strahlt wie von einem ehernen, glänzenden Schilde das Sonnenlicht durch den Raum; ein voller Sommertag, doppelt heilsam empfunden nach dem rauhen Wettersturm der jüngsten Tage, der auch der Eiche im Sachsen wald den letzten Lebensstrom erstarren machte, war über der Erde aufgegangrn. Eilig fuhren schon von 9 Uhr ab durch die der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnißkirche zusirömenden Volksmassen die Wagen, in denen die geladenen Gäste dem selben Ziele zustrebten. Klagend läuteten die Glocken vom Thurme herab. Im Schiff der Kirche und auf den Emporen fand sich nach und nach die auserlesene Trauergemeinde zusammen, jedoch nicht so zahlreich, daß nicht kurz vor zehn Uhr noch die Nebenpforten für da» draußen darrende Volk geöffnet werden konnten. Um die ge ladene Gemeinde, die in Kleidung und Miene ein Bild ernster Feierlichkeit bot, fügte sich rin Rahmen sommerlich hell- und buntgekleideter Menschen: eine sinnbildliche Vertretung des großen, namenlosen Volkes, dessen Herz auch Andacht halten wollte. Einfach und stimmungsvoll war der Altarraum mit grünen Pflanzen und wenigen lichten Blumen geschmückt; und wurde es erst als störend empfunden, daß den uoch dunkeln Kronen und Candelabern der Trauerflor fehlt, so wich diese Empfindung, sobald sich allenthalben die Kerzen entzündeten und deren Glanz sich mit dem durch die gemalten Kirchenfenster hereinbrechenden Sonnenschein zu einer wahren Lichtfluth vereinigte. Angesichts deS Altars, unmittelbar vor dem Taufstein, standen die beiden hohen Armsessel, die für das Kaiserpaar bestimmt waren. Zu beiden Seiten waren Stühle für die Fürstlichkeiten aufgestellt, die zunächst im Vestihül verweilten, um das Kaiserpaar zu begrüßen. Wir sahen später hier sich einfinden den Prinzen Friedrich Leopold in Husarenuniform, die Prinzen Joachim Albrecht und Friedrich Wilhelm, Prinzen Max von Baden, den bei den GardeS du Corps siebenden Prinz von Hessen, Prinzen Albert von Schleswig-Holstein, den Erbprinzen und Prinzen Karl von Hohenzollern, und den Erbprinzen von Hohenlohe- Oehringen. Nur die Prinzessin Friedrich Leopold batte sich sofort in daS Innere der Kirche begeben. Im Schiffe auf der ersten Bank der rechten Seite hatte der ReichSkanzlerFürstHohen- lvhe Platz genommen. Ihm batten sich die zahlreich erschienenen Herren des diplomatischen Corps angeschlossen. Links war die erste Sitzreihe des Schiffs für die Damen der fürstlichen Gefolge reservirt. Dann folgten die Ritter des Schwarzen Adlerordens, in deren Mitte wir auch Graf Walderfee, Graf Lehndorff und Minister v. Bötticher bemerkten. Die Minister, als deren erster Graf Posadowsky erschien, dem alsbald v. Miquel folgte, saßen zusammen mit den Mitgliedern deS BundesratheS hinter den Rittern des Schwarzen Adlerordens. Des Weiteren folgten auf der linken Seite des Schiffs die Mitglieder der Parlamente, die in nicht allzugroßer Zahl sich eingefunden batten; in ihrer Mitte sahen wir Freiherrn v. Manteuffel in Husarenuniform; auch vr. Bachem, Spahn, Pachnicke, Rickert u. A. batten sich Karten erbeten. Auf der rechten Seite deS Schiffs sah man hinter dem diplomatischen CorpS die Räthe 1. und 2. Classe und die Herren deS MilitairS und der Marine. Die Stadt Berlin wurde durch Ober bürgermeister Zelle und mehrere Stadträthe und Stadtver ordnete vertreten. Von Lehrern der Universität sahen wir Prof. Adolf Wagner, Harnack und Kleinert, von hohen Geist lichen den Propst Freiherr« v. d. Goltz und die General superintendenten Dryander und Braun. Während die vor dem Haupt-Portal aufgestellte Ebren- compagnie vom 2. Garderegiment z. F. präsentirte, daS Spiel gerührt wurde und die Glocken zum dritten Male anschlugen, erfolgte die Anfahrt deö von einer Schwadron Gardekürassiere eScortirten kaiserlichen Paares; dieKaiserin trug tiefe Trauer, der Kaiser batte dieUniform des 1.Garderegiments mit der Kette des Schwarzen Adlerordens angelegt. Die Majestäten schritten, während die Orgel präludirte, unter Vorantritt der Geist lichkeit und gefolgt von den Prinzen, zu ihren Plätzen; der Kaiser, unbeweglichen Antlitzes, gab im Vorübergehen dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe die Hand, grüßte die im Altarraum versammelten Pastoren, hielt dann den Helm vors Gesicht zum Gebet und setzte sich. Die Andacht begann. Leise intonirte die Orgel die trostvollen Cadenzen von: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt"; kraftvoll, wie im Sieges- gibel, sang darauf der Chor das herrliche Lied, indessen General superintendent Faber vor den Altar trat. Verklärung hauchte der wieder einsetzende Gesang des ChoreS von den Worten des Geistes, daß die Kinder Gottes ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke ihnen nachfolgen, über die Gemeinde aus: und dieser Gemeinde des Geistes prägte darauf tief der Prediger Schriftworte über die Hinfälligkeit des Menschen, über das Gericht und das ewige Leben ein. Auf die letzte Schrift verlesung, die sich an den Wechselgesang zwischen Chor und Gemeinde knüpfte, und die sich auf den dem Fürsten Bismarck besonders lieb gewesenen 149. Psalm be schränkte, ließ der Liturg dann daS Gebet folgen, das der Größe des Fürsten Bismarck in Gedanken und Ausdruck gerecht zu werden suchte. Er rief den Herrn der Heer- schaaren an, vor dessen Angesicht sich jetzt ein großes Volk versammle, trauernd um den Mann, der es zum Volke ge macht. ES gehe das Empfinden durch die Welt, daß jetzt die Sonne jener großen Zeit, in welcher Gott durch seine auserwählten Rüstzeugs der Weltgeschichte eine Wendung gab zum Segen und zu Deutschlands Heil, im letzten Abenh- roth verglimme, und in ihrem erbleichenden Glanze jetzt nochmals wie Leben gewordenes Gedächtniß die hohen un vergeßlichen Gestalten jener Tage austauchten: der große Heldenkaiser, um den daS deutsche Volk vor zehn Jahren in eine Klage ausbrach ähnlich derjenigen von heute, und der Liebling der Nation, dem sie den Lorbeer des Helden und die Palme deS Dulders auf sein frühes Grab gelegt. Nun sei als der Letzte der alte, große Kanzler beimgegangen zu seinem alte», großen Kaiser. Eine Hoffnung aber dürfen wir schöpfen aus diesem Sterben einer großen Zeit: ein Volk, daS so zu trauern vermag, wie das deutsche Volk um seine Helden trauert, darf seiner Zukunft sicher fein. Ihm voran wird immer leuchten der gewaltige Mann in seiner urwüchsigen Kraft, mit seinem eisernen Willen, seinen bahnbrechenden Gedanken, der seinem Könige das Beste bot, was rin Unterthaa dem Könige zu bieten vermag: Wahrhaftigkeit und Treue; und der sich darum auch deS Köstlichsten rühmen durfte, was Könige zu verschenken haben: deS unbedingten Vertrauens seines Herrn. Alles, was der Patriot empfinde, werde sich für alle Zeiten an den Namen Bismarck knüpfen. Bismarck hat den deutschen Namen wieder zu Ehren gebracht; und vann wird der Name BiSmarck's ein Zauber bleiben für jeden Deutschen, daran die Jugend sich begeistern, der Starke sich entflamme, der Schwache sich ermuthigen und der Volksgeist sich stählen und erquicken werde. Ueber all den herrlichen Tugenden aber, die den großen Mann geschmückt, über die Liebe und Treue zu seiner Familie, zu seinem König und zu seinem Vaterlande, sei er noch weit hinaus begnadet gewesen mit FeniHetsir. Fürst Gismarck und das Glück. Eine persönliche Erinnerung an den Heimgegangenen Fürsten. Von Hermann Jahnke. Ein junger König hatte den Thron seiner Väter bestiegen. Verheißungsvoll lag die Zukunft vor ihm, die Aufgabe, ein schönes, weites Reich zu beherrschen, und ein mächtiges Volk zu regieren, schwellte sein edles Herz. In dem Bewußtsein, durch sein Thun und Wirken die Millionen seiner Unterthanen zu be glücken, hoffte er, ein hohes, ungetrübtes Glück zu finden. Er ließ im Hochgefühl dieses Gedankens in der Kuppel seines Fürstenschlosses ein Glöcklein anbringen; das sollte jedes Mal ge läutet werden, wenn der edle König sich recht von Herzen glück lich fühlte. Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Der hoch herzige König sollte die Wahrheit erfahren, daß die, welche mit der Menschheit Höhen wandeln, am wenigsten Gelegenheit gaben, ein wahres Erdenglück zu empfinden. Die Sorge um das Wohl seines Volkes ließ den König nicht zum Genüsse des Glückes kommen; Widerspruch, Verkennung seiner edelsten Bestrebungen, Untreue, Verrath selbst, bereiteten ihm Kummer und Schmerz und machten die Zeit seiner Regierung zu einer Kette von Un glück und Leid. Er kam nicht dazu, das Glöcklein des Glückes läuten zu lassen. Frühzeitig ward seine Lebenskraft erschöpft, die er im Dienste seines Volkes und Vaterlandes aufgerieben; er sank aufs Krankenlager, sein Todtenbett. Da erkannte sein Volk, was ihm der edle König gewesen, und in Schaaren zog es zum Schlosse, um seinem Wohlthäter die Liebe, den Dank zu beweisen, den es ihm bisher versagt. Die Klagen, das Weh der Menge über den bevorstehenden Verlust drang zum Lager des kranken Königs. Die Erkenntniß, von feinem Volke dennoch geliebt und verehrt zu werden, verklärte seine letzten Augenblicke. In seiner Sterbestunde ließ er zum ersten Male daS Glöcklein des Glückes läuten. „Nach Eimern zählt das Unglück, Nach Tropfen zählt das Glück; Von tausend Eimern giebt e» Drei Tropfen kaum zurück.» Diesen Gedanken von der Spärlichkeit menschlichen Glückes, der in einem bekannten deutschen Gedichte*) ausgeführt ist, sprach der gewaltige Mann aus, dessen Hinscheiden jetzt das deutsche Volk betrauert, als einmal der Verfasser daS Glück hatte, den Helden in seinem Altfitz Friedrichsruh von Angesicht zu An-* gesicht zu sehen, und an seinem gastlichen Tische Stunden zu ver leben, die zur schönsten Erinnerung seines Lebens gehören. Es war am 24. Februar 1896, als ich mich in Friedrichsruh befand, um eine Audienz bei dem Alt reichskanzler nachzusuchen, in welcher ich demselben daS dreißigtaufendste, Vas letzte unverkaufte Exemplar der ersten Ausgabe meine- Buches „Fürst Bismarck" über reichen, und ihn bitten wollte, die Widmung der zur damals *) »averl Seidl. Da» SlScklein de» Glück». nahen Feier des 80. Geburtstages des Fürsten vorbereiteten großen Jubiläums-Ausgabe anzunehmen. Ich war auf gut Glück zum Sachsenwalde gefahren, und hatte mein Gesuch um Empfang erst dort an Ort und Stelle eingereicht. De» Fürst war ietdend gewesen, und hatte seit Monaten keinen Besuch ange nommen, meine Aussicht war also sehr gering. Im Gasthause traf ich mit vier Herren zusammen, aus Leipzig ge kommen, und mit mir in gleicher Lage waren. Als Schicksals genossen wurden wir schnell miteinander vertraut. Es waren Vorstandsmitglieder des Vaterländischen Vereins in Leipzig, welche vom Fürsten die Erlaubniß zu einer Huldigungsfahrt ihres Vereins erbitten wollten. Unsere Erwartung wurde aufs Höchste gespannt, als ein Diener aus dem Herrenhause kam und nach uns fragte. Er brachte die Einladung des Fürsten zur Frühstückstafel. Ein Jubelruf von aller Lippen! — Mit pochen dem Herzen machten wir uns zur angegebenen Zeit auf den Weg ins Herrenhaus. Die Freude über unser Glück, den großen Mann von Angesicht zu Angesicht zu sehen, strahlte aus unfern Augen. Der Fürst empfing uns in leutseligster Weise, hörte stehend und in frischer Rüstigkeit unsere ZllMegen an, und — ge währte sie. Dann lud er zur Tafel ein. Der Fürst sah außerordentlich frisch aus. Er trug die ein fache bürgerliche Kleidung, schwarzen Gehrock und weitze Cra- vatte; ein Flor um den Arm erinnerte an den schmerzlichen Ver lust, den er im Herbst zuvor durch den Tod seiner Johanna erlitten hatte. Trotz der alten Gesichtsschmerzen, die ihn zu weilen störten, zeigte er sich während der ganzen, nun beginnen den Unterhaltung von einer erstaunlichen Frische des Geistes und äußerst lebhaft und heiter. Sein Gedächtniß erwies sich so treu und dienstbar, fein Urtheil so scharf und besonnen, sein Gemüth so tief und warm, daß man einen rüstigen Sechziger statt eines Achtzigers vor sich zu haben glaubte. Auf seinem Antlitz, in seinen Augen lag ein freund licher, milder Glanz, so daß von dem ernsten, strengen Ausdrucke des gewaltigen, eisernen Kanzlers kaum noch eine Spur zu mer ken war. So verlebten wir zwei unvergeßliche Stunden mit Bis marck, und was der Fürst während dieser Zeit sprach, gehört zu dem Schönsten und Interessantesten, was er jemals gesagt hat. Angesichts der heiteren Stimmung und des in rüstiger Frische erglänzenden Antlitzes deS greisen Helden, sagte Einer von uns zu ihm: „Durchlaucht sind doch ein glücklicher Mann." „Glück lich?" erwiderte der Fürst nachdenklich. „Meine Herren, was nennen Sie glücklich? — Ein glücklicher Mann bin ich selten ge wesen. Wenn ich die spärlichen Minuten wahren Glückes zu sammenzähle, so kommen nicht mehr als vierundzwanzig Stunden im Ganzen heraus." Welch ein Ausspruch auS dem Munde eines ManneS, der Erfolge seines Wirkens und Schaffens ohnegleichen errungen, dessen staatmännischeS „Glück" geradezu sprichwörtlich geworden ist! Wir ließen das Wort deS Fürsten darum auch nicht un widersprochen, und es war im höchsten Grade fesselnd zu hören, wie der Gewaltige, der Jahrzehnte lang auf den Höhen der Menschheit gewandelt, ausführte, was er unter Glück verstehe. Er sagte: „Die Glücksempflnduna dauert immer nur Augenblicke, Minuten höchstens, dann ist st« verrauscht, abgeschalt. So be sinne ich mich, auf Augenblicke glücklich gewesen zu sein, wie ich als Junge meinen ersten Hasen schoß, dann ferner, als ich von meiner Johanna das Jawort erhielt, oder wenn ich als Land- und Forstwirth meine Rieselwiesen und meine jungen Wald- culturen gedeihen sah, da habe ich mich gefreut, da bin ich oft glücklich gewesen." „In der Politik, meine Herren", fuhr der Fürst fort, „meinen Sie, hätte ich Glück gehabt? — In der Politik giebt es für den, der sie treibt, wie ich sie habe treiben müssen, kein Glück. Der Staatsmann ist wie rin Börsenspieler. Wenn der heute eine Million gewonnen hat, und er denkt, sich darüber zu freuen, s- kommt auch schon die Sorge, wie er die gewonnenen Millionen zu weiteren Speculationen anlegen könne. So auch mit meinen Unternehmungen! Wenn mir die eine gelungen, so mußte ich sogleich wieder darauf sinnen, wie der Erfolg festzuhaltcn und auszunutzen sei. Der Staatsmann wirthschaftet mit fremdem Vermögen, das fällt um so schwerer ins Gewicht, je mehr man Ehrgefühl im Leibe hat. — Meine politische Laufbahn war ein Hetzen und Jagen, bei dem man zum Genuß nie gekommen ist. — Ich habe in meinem Leben als Staatsmann nicht einmal Zeit gefunden, ein Concert oder ein Theater zu besuchen. Erfreut aber habe ich mich oft an der Hausmusik, die mir meine Johanna auf dem Flügel bereitete." „Zur Glücksempfindung", Hub der Fürst, nach einer Pause das Gesprächsthema weiter verfolgend, wieder an, „gehört Natur anlage. das rechte Temperament. Das hatte mein alter kaiser licher Herr. Er war eine phlegmatische, etwas hausbackene Natur, schwer zu einem Entschlüsse zu bringen; aber wenn man ihn dann so weit hatte, dann konnte man wie auf Felsen auf ihn bauen. Er hatte ein kindliches Gemüth, das seiner Mutter, der Königin Luise, rein wie Gold, das er sich bis ins höchste Alter bewahrt. Ich habe auch als Staatsmann stets das Bestreben gehabt, offen und wahr zu sein, aber manchmal forderte die Diplomatie auch von unS eine kleine Nothlüge. Und wenn ich dann meinen alten Herrn veranlassen mußte, im öffent lichen Interesse ein klein wenig von der Wahrheit abzuweichen, da wurde er stets roth wie ein junges Mädchen, und ansehen konnte er mich gar nicht. An ihm habe ich oft wahrgenommen, daß er sich eines Glückes kindlich freuen konnte. Uebrigens auch er hat das Unglück gekostet. Was hat der hohe Herr nicht allein in den Eonflictsjahren schon gelitten!" „Euer Durchlaucht aber nicht minder", wurde eingeworfen. „Ich", versetzte der Fürst fast erstaunt, „ich war dazu da!" Hier erinnerte ich an das Seidl'sche Gedicht vom klöcklein des Glückes, führte den darin enthaltenen Gedanken aus und fügt« am Schlüsse, zum Fürsten gewendet, hinzu: „Dieses große Glück, von einem ganzen Volk geliebt, verehrt, und theilnehmend huldigend begrüßt zu werden, genießen Durch laucht nun doch seit Jahren im hohen Maße!" Der Fürst sah mich eine Weile sinnend an, der Ausdruck in seinen großen, herrlichen Augen wurde noch um »inen Schein milder und weicher. „Ja", sagte er dann in sichtlicher Rührung, „Sir haben recht, in dem Sinne bin ich jetzt ein Glücklicher!" Es wurde an die Triumphfahrt de» Fürsten im Sommer 1892 erinnert, an di« begeisterten, dankvollen Huldigungen, dir ihm in Oesterreich, in allen Theilen Deutschlands während seiner Reise bereitet worden waren. Der Fürst erinnerte sich mit leb hafter Freude daran, sein Antlitz leuchtete, sein köstlicher Humor begann zu sprudeln und er erzählte ergötzliche Einzelereignisse von jener denkwürdigen Reise: „So in Herzberg, auf der Tour von Berlin nach Dresden! —> Da kamen die Behörden des Ortes und brachten mir einen Ehrentrunk. Als mir der ziemlich große, zweihenklige Humpen durch das Wagenfenster gereicht wurde und ich auf die Ansprache des Bürgermeisters einige Dankesworte erwidert hatte und den Humpen an die Lippen setzte, fuhr plötzlich der Zug weiter und ich mit dem Trinkgefäß in den Händen davon, während mir die verblüfften Herzberger nachschauten. Ich mußte den Humpen von der nächsten Station zurückschicken." Die Wogen der Unterhaltung begannen sehr lebhaft zu gehen. Die Leipziger schilderten die Verehrung und Liebe, welche der Fürst in ihrem engeren Vaterlande Sachsen besonders genieße. Dem konnte ich als Berliner nur beipflichten; und ich erzählte ein humoristisches Erlebniß, das ich mit einem Bürger Schandaus in der sächsischen Schweiz gehabt. Derselbe schilderte mir 1892 bald nach der Durchreise des Fürsten nach Wien, wie er mit einer Abordnung der Schandauer Bürgerschaft die Ehre gehabt, den Altreichskanzler zu begrüßen und welchen Eindruck derselbe auf ihn gemacht, um schließlich dann in die enthusiastischen, im säch sischen Dialect gesprochenen Worte auszubrechen: „Nä, härn Se, der Fälscht Bismarck is Sie doch ä zu lieber, einziger Herre, glei frässen kunnt mern!" Alles lachte, und der Fürst aus Herzensgründe mit: „Der Mann hat ja kannibalische Gelüste!" rief er. „Auch ein Bismarckfresser!" fügte ich hinzu. Zwei Stunden waren wie Augenblicke verrauscht. vr. Chrysander, der treue Hüter des Fürsten, war unbemerkt aufge standen und brachte einen Stoß Zeitungen, die er neben ihn auf den Tisch legte, das Zeichen zur Aufhebung der Tafel. „Ach", sagte der Fürst, „lassen Sie heute die Zeitungen, dir habe ich den ganzen Tag, aber nicht lebendige Menschen!" Als bald darauf doch die Tafel aufgehoben wurde, zeigte datz Antlitz des Fürsten, daß seinen vierundzwanzig Glücksstunden eine hinzugefügt worden war. — Der große Erbauer des deutschen Reiches hat unter den groß artigen Huldigungen seines Volkes am Feierabend seines Lebens noch manche solcher Glücksstunden erlebt; das Glöcklein deS Glückes hätte er noch oftmals läuten lassen können. Ein schönes Gefühl liegt für Alle in dem Bewußtsein, die sich sagen können, daß sie ein Tröpflein zu dem spärlichen Glücksbecher des größten Wohlthäters unseres Volkes beigetragen haben. Der Greis Bismarck ist sehr empfänglich dafür gewesen und hat diese köst lichen Tropfen mit hohem Behagen eingesogen, wohl oft m/ innigem Danke gegen die, welche ihm die letzten Tage seines mühe- und arbeitsreichen Lebens durch ihre Liebe und Verehrung haben verschönen helfen. Ein Dank sind die letzten Worte de» großen Helden gewesen; sie waren an seine Tochter gerichtet. Darf sie nicht auch sei E ihm huldigende, geliebte Tochter Germania, die au» seinem Geiste geboren, auf sich beziehen: „Dankt, mein Kindl"
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