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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980903026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-03
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Reckamen unter dem RedactionSstrich (S ge spalten) 50^, vor den Familieunachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. «rtra-veilageir (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung ^l> 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabr: BormiitsgS IS Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreisen sind stet» an die Expe-ttta» zu richten. Druck und Versag vou S. Dolz in Leipzig. 92. Jahrgang. Das deutsche Kaisertum und -er Klerus. (Zur Erinnerung an den 3. September 1873.) Nachtruck verboten. Der deutsche Katholikentag, der in der vergangenen Woche abgehalten wurde und dessen glänzender Verlauf noch immer von der klerikalen Presse mit Genugthuung und Stolz erwähnt wird, hat vergessen, an das Jubiläum eines Tages zu erinnern, der für die Stellung zwischen deutschem Kaiserthum und Papstthum charakteristisch ist. Am 3. September 1873, also gerade vor 25 Jahren, sah sich Kaiser Wilhelm I. genöthigt, dem Papste Pius IX. klar zu machen, daß der Kaiser des neuerstandenen mächtigen deutschen Reiches nicht der Unterthan eines Anderen sein könne. Im August 1873 hatte nämlich Papst Pius in einem Briefe, der gegen den Kaiser die heftigsten Vorwürfe wegen des Cultur- kampfes erhob, sich bemüßigt gefunden, noch Folgendes zu sagen: „Jeder, der die Taufe empfangen hat, ge- hörtinirgendeinerBeziehungundaufirgend eine Weise, welche hier näher darzulegen nicht der Ort ist, gehört, sage ich, dem Papste an." Diese Anmaßung lehnte Kaiser Wilhelm mit den Worten ab: „Der evangelische Glaube, zu dem ich mich, wie Ew. Heilig keit bekannt sein muß, gleich meinen Vorfahren und mit der Mehrheit meiner Unterthanen bekenne, gestattet uns nicht, in dem Verhältnisse zu Gott einen anderen Vermittler als unseren Herrn Jesum Christum anzunehmen." Papst Pius hatte also nichts Geringeres verlangt, als daß der deutsche Kaiser sich als sein Unterthan bekenne; er hatte die Zeiten wieder herbeiführen wollen, in denen der deutsche Kaiser dem Papste den Steigbügel hielt. Will man aber gerecht sein, so muß man bekennen, daß der Papst nichts anderes verlangt hat, als was der Auffassung der katholischen Kirche entspricht. Denn nach dieser Auffassung untersteht die gesammte Christen heit der katholischen Kirche, und wie aufrührerische Unterthanen eines Staates Rebellen sind, aber darum nicht etiva aufhören, Angehörige dieses Staates zu bleiben, so sind für die katholische Kirche die Bekenner anderer christlicher Kirchen Rebellen, die zwar Strafe verdienen, aber darum immer noch der katholischen Kirche zugehörig sind. Zum Zweiten aber steht die Kirche auf der Auffassung, daß dem Priesterthume der Wille Gottes genauer bekannt sei, als den gewöhnlichen Sterblichen, und daß deshalb die Kirche das Recht hätte, über Alles und Alle zu herrschen, auch über den Staat. Diese Auffassung ist uralt, sie hat nie aufgehört und tritt nur zu Zeiten weniger scharf auf als in anderen Zeiten. Darum darf man sich aber nie darüber Hinweg täuschen lassen, daß es zwischen der Kirche und dem Staate, insbesondere aber einem evangelischen Staate, nur einen Waffenstillstand, nie aber einen ewigen Frieden geben kann. Die Möglichkeit eines Waffenstillstandes hat Fürst Bismarck selbst in den Zeiten des heftigsten Culturkampfes zugegeben, und mit seinem weitschauenden Blicke hat er damals eine Zeit vorausgesehen, die einige Jahre später eintrat. Er hat am 16. April 1875 gesagt: „Wir uns die Geschichte kriegerische Päpste und friedliche, fechtende und geistliche zeigt, so hoffe ich, wird doch auch wieder einmal demnächst die Reihe an einen friedliebenden Papst kommen". Drei Jahre später ging diese Hoffnung in Erfüllung, und seit 20 Jahren befinden sich das deutsche Reich und das deutsche Kaiserthum mit dem Papstthume in dem Zustande des Waffen stillstandes. Aber dieser Waffenstillstand kann mit jedem Tage ein Ende nehmen, umsomehr, als das Alter und das Befinden des gegen wärtigen Papstes die Möglichkeit eines baldigen Wechsels nahe legen; dann aber kann, wie vor 20 Jahren dem kriegerischen Papste ein friedlicher folgte, dem friedlichen Papste wieder ein kriegerischer folgen, der die Forderung des Papstes Pius, daß auch der Kaiser des deutschen Reiches ihm zugehöre, mit aller Schärfe wiederum aufstellt. Schweigen doch die für das Bestehen des Staates unmög lichen Forderungen der Klerikalen selbst während der Herrschaft eines friedliebenden Papstes nicht. Der Katholikentag hat ja eben wieder die Forderung der freien Kirche im Staate auf gestellt. Ist die Kirche mit dem Staate gleich berechtigt, ist sie frei vom Staate, so muß entweder soforr Unordnung einreißen, oder es kommt dazu, daß wieder Einer die Herrschaft über das Volk hat, dann aber würde es nicht mehr der Staat sein, sondern es würde die Kirche sein Das deutsche Volk aber muß immer eingedenk sein des Bismarck'schen Wortes: „In dem Reiche dieser Welt hat der Staat das Regiment und den Vortritt." Soll aber der Grundsatz, daß der Staat das Allumfassende für das Volk eines Landes ist, aufrecht erhalten bleiben, so muß der Staat jeder Zeit die Waffen bereit halten, um Ansprüche, die sein Bestehen gefährden, zurückweisen zu können. Die Er innerung an jenen Brief, zu dem der alte Heldenkaiser genöthigt war, soll nicht zum Kriege gegen den Klerikalismus anspornen, sondern nur eine Mahnung sein, den Frieden dadurch zu er halten, daß man auf der Hut ist. Möge das deutsche Volk immer eingedenk sein des Bismarck'schen Wortes, das er aussprach, als er Schutzmaßregeln errichtete, die jetzt die Klerikalen nieder reißen wollen: „Auf diesem Wege hoffe ich, mit Gottes Hilfe den Frieden zu finden, den selben Frieden, unterdem unsere Väter Jahr hunderte lang in einem starken Staate und gestützt in diesem starken Staate durch unsere Dynastie mit einander in confessioneller Einigkeit gelebt haben." Die Nevisionsfrage. —Wird cS zu einer Revision des DreyfuS - ProcesseS kommen, auf die alle Welt wartet? Die leitenden Männer in Pari» sind sich hierüber noch nicht klar, und es ist immer noch der Kriegsminister Cavaistnac, der sich gegen die Wieder aufnahme des'BerfahrenS sträubt. Einer Note der „Agence HavaS" zufolge hatte der Justizminister Sarrien gestern Abend mit Cavaignac eine Unterredung im Kriegsministerium, die eine kalbe Stunde währte, nachdem die beiden Minister Nachmittags schon N/r Stunde conferirt hatten. Nach der zweiten Unter redung begab sich Sarrien zum Ministerpräsidenten Brisson, um mit diesem zu beratben. Der Unterrichtsminister Bourgeois, welcher auf einer Erholungsreise in der Schweiz weilt, konnte seine Ansicht noch nicht äußern, da die ihn fast steckbrieflich verfolgenden Depeschen den Erholungsbedürftigen noch nicht erreicht haben. Wie uns telegraphisch aus Paris berichtet wird, er- theilte dem „Matin" zufolge Sarrien mehreren höheren Beamten den Auftrag, Gutachten über die Revision des DreyfuS - ProcesseS auszuarbeiten. Diese Gutachten lauten dahin, daß die Fälschung eine gesetzliche Grundlage für die Wiederaufnahme des Verfahrens bilde. Im Generalstabe scheint man ebenso wie im Ministerium, immer noch an die Schuld DreyfuS' zu glauben, oder giebt sich wenigstens den Anschein. Paul May^r, Director der Lcols ckss ärts, der im Processe gegen Zola als Sachverständiger vernommen worden ist, übersandte dem GeneralstabSofficier Pellieux, der übrigens, wie jetzt vfficiöS bekanntgegeben wird, nicht vemissiouirt hat, seine Visitenkarte mit den Worten: „Aufrichtiges Beileid!" General Pellieux antwortete: „Triumphiren Sie nicht zu früh. Sie waten glücklich in vergossenem Blute, aber Ihr trauriger Client (Dreysus) ist noch lange nicht gerettet." Wie dem auch sei, eine Revision deö ProcesseS Dreysus wird nicht mehr zu umgehen sein. Man erwäge u. A. das Folgende: Außer dem von Henry gefälschten, im Jahre 1896, also zwei Jahre nach dem Proceß DreyfuS, geschriebenen Briese spielen bekanntlich noch zwei andere, von uns im Wortlaut mitgetheilte Schreiben aus dem Jahre 1894 eine Rolle, in deren ersteren von D ... die Rede ist, der sehr interessante Sachen ge bracht haben solle, dessen zweiter vie vielangezogenen Worte es cauaitls äs 0... enthält. Beide Schriftstücke wurden vollinhaltlich zum ersten Male in der bekannten Rede Cavaignac's vom 7. Juli d. I. bekannt gegeben. Am 9. Juli erbot sich Picquart in einem Briese an den Ministerpräsidenten Brisson, außer dem Beweise, daß das Schriftstück von 1896 (das von Henry anaefertigte) gefälscht sei, auch den weiteren Nachweis zu führen, daß jene beiden Schriftstücke des Jahres 1894 keinen Bezug auf DreyfuS hätten. In diesem Puncte stimmte Picquart — und daö ist bis jetzt nicht beachtet worden — vollständig überein mit seinem Nach folger in der Leitung des Kundschaftsdienstes, dem Oberst lieutenant Henry, dessen Aussagen in fast allen anderen Punkten von den seinigen abwichen. Henry betonte, worauf wir sofort nach seiner Verhaftung aufmerksam machten, in der Sitzung des Zvlaproc-sses vom 12. Februar mit der größten Entschiedenheit: „Niemals hat das Stück cauaills äs I)... irgendwelchen Bezug auf das Dossier Dreysus gehabt; ich wiederhole es: niemals, niemals"; und weiterhin: „Das Stück cauaills äs v... bat keinerlei Berührung mit der DreyfuS'scben Angelegenheit." Nun ist der Wortlaut, in dem dieses eanaills ätz v. vorkommt, anfänglich in anderer Form als in dem von Cavaignac mitgetheilten Schreiben in die Oeffentlichkeit gedrungen; er sollte nach der Mittheilung des „Eclair" vom 15. September 1896 heißen: Dsciävmsut, cst animal äs Ors^kus (das Blatt beging die Fälschung, den Buchstaben I) in Drozkus zu ergänzen) äsvisut trop oxigeant. Dieses Citat ist indessen offenbar aus dem Gedächtniß oder absichtlich falsch wiedergegeben, so daß kein Zweifel darüber besteht, daß das von Cavaignac verlesene Schriftstück dasselbe ist, von dem der „Eclair" sprach, und das nicht nur Picquart, der sich ausdrücklich auf Cavaignac's Wortlaut bezieht, sondern auch Henry im Auge batte, als sie — die beiden Männer, die kraft ihres Amtes eingeweiht waren — aufs Bestimmteste behaupteten, daß es sich nicht auf Dreysus be ziehe. Bezieht sich aber dieses Schriftstück nicht auf DreyfuS, so ist, bemerkt die „Köln. Ztg.", Cavaignac von den Leuten, die ihm das Material zu liefern hatten, getäuscht worden, als sie eS ihm als einen der Beweise für Dreysus' Schuld unterbreiteten und ibn veranlaßten, eS als solchen der Kammer vorzutragen. Die Leichtgläubigkeit und Vergeßlichkeit Cavaignac's ist geradezu consternirend. Am 7. Juli war ihm entfallen, was Henry am 12. Februar gesagt batte! Beachtenswerth für die Bedeutung dieses Beweis stückes ist ferner, daß der italienische Militairattachs Paniz- zardi dem Grafen Casella versicherte, der Brief mit dem cs oanaillo äs v... sei weder von ihm geschrieben, noch sei er ihm zugekommen. Laut jener Mittheilung dcS„Eclair" vom 15. September 1896, die nur vom Generalstabe stammen kann, ist aber ferner das Schriftstück cs canaills äs v... dasselbe, daS den Richter» Dreysus' ohne dessen Wissen im BerathungSzimmer vorgelegt wurde und das, wie das Blatt sich ausdrückt, „mit Einstimmigkeit die unversöhnliche Entscheidung der Richter bewirkte". Da aber dieses Schriftstück keinen Bezug auf Dreysus hatte, so sind mit ihm dessen Richter durch die Vorspiegelung, daß es sich auf DreyfuS beziehe, getäuscht worden. Für diese Täuschung ist der damalige Kriegsminister General Mercier oder sind die Leute des Generalstabs, die ihm das Material für den Proceß lieferten, verantwortlich. Sie ist um so straf barer, als während des DreyfuS-ProcesseS von dem Schriftstück cs canaills äs v... nie die Rede war/als eS in der Anklageschrift deS Commandanten d'Ormescheville nicht erwähnt ist und als General Mercier, wie eine Erklärung des damaligen Justizministers Guörin gegenüber dem Re dakteur Marcel Hutin vom „Gauloiö" auSweist, seine» College», den Ministern, nie von dem Vorhandensein eines solchen geheimen Beweisstückes und davon, daß es den Richtern Dreysus' vorgelezt worden sei, Mittheilung machte. Daß aber dem DreyfuS-Kriegsgericht ein solches geheimes Beweisstück vorgelegt worden ist, darf heute als Thatsache gelten, zumal da der Behauptung nie widersprochen worden ist. Weiter war, wie in dem Bericht deS Anklägers im Esterbazyprocesse, des Commandanten Ravary, zu lesen ist, daS Schriftstück cs canaills äs 0... daS „befreiende Schrift stück", das Esterhazy angeblich von der verschleierten Dame übergeben wurde und das seine Richter von seiner Unschuld überzeugte. Da nun aber dieses Schriftstück keine Beziehung auf Dreysus hat, so konnte es füglich so wenig wie die Schuld Dreysus' die Unschuld Esterhazy'S beweisen. Mit ihm sind also auch die Richter Esterhazy'S unter der Vorspiegelung, baß es sich auf Dreysus beziehe, getäuscht worden. Da für diese Täuschung wohl kaum die verschleierte Dame zur Rechenschaft ge zogen werden kann, so wird man sich bemühen müssen, deren Hintermänner, die das Schriftstück aus dem Archive entnahmen, um es Esterhazy zuzustellen, ausfindig zu machen. Schließlich sei der Vollständigkeit halber noch er wähnt, daß wegen dieses vielberufenen Schriftstückes cs cauaill« äs v ... sich Picquart demnächst auf Grund deS Spionage gesetzes vor der Strafkammer zu verantworten haben wirb, weil er es nach Henry's und Gribelin'S Aussage dem Rechts anwalt Leblois gezeigt haben soll. Ist eS also richtig, daß das Schriftstück cs eanaills äs I) . . . keinen Bezug auf Dreysus hat — und da Oberstlieutenant Henry tobt ist, wird man nun wohl Picquart zum Beweise dieser Behauptung zu lassen müssen —, so fällt der Grundpfeiler der künstlichen Construction, die in der Schuld Dreysus' gipfelte, zusammen, und es bleibt dann nur noch der Nachweis übrig, daß das Bordereau nicht von DreyfuS herrührt. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. September. Auf dem bevorstehenden socialSemokratische» Parteitage in Stuttgart soll, wie mitgetheilk, der socialdemokratischeReichs- tagsabgeordnete Schippe! über die Zoll- und Handelspolttik referiren. Herr Schippel hat schon auf dem letzten Ham burger Parteitag ausgeführt, daß bei der Zoll- und Handels politik auch das Berufsinteresse der Arbeiter in Faurllaton. Henny Hurrah! sj Roman von Ernst Clausen. Nachdruck verboten. Sie konnte ein unbehagliches Gefühl nicht ganz unterdrücken, obgleich der Amerikaner tadellos angezogen war und eine Ver beugung machte, welche bewies, daß er in Deutschland erzogen war. — Sie ertappte sogar ihre Augen auf einer Prüfung, ob Mr. Brown etwa auch schon einen kahlen Scheitel besäße. — Dem war aber nicht so. — Er erfreute sich noch eines ungestörten Haarwuchses und sein Gesicht sah so jung aus, wie man dies von einem Amerikaner und einem Mann erwarten durfte, der seit seinem sechzehnten Jahre an nichts Anderes gedacht, nichts Anderes geträumt und gewünscht hatte, als viel Geld zu ver dienen in möglichst kurzer Zeit. Sein Gesicht besaß die un gesunde Magerkeit, welche meist im Verein mit fehlenden Wade» und nicht vorhandenen Armmuskeln auftritt, wenigstens be hauptete dies Henny's Vetter, Premierlieutenant Graf Uexhus, der ein guter Pferdekenner sein sollte. — „Feine Arbeit!" meinte Mr. Brown, auf das Bild deutend, und sah dabei nicht das Gemälde an, sondern bewunderte Henny's natürliche Anlage, das ziemlich unsolide Winterjacket mit solcher Vornehmheit zu tragen. Sie hätte ihn beinahe ge fragt, ob er Axel'S Bild nicht kaufen wollte, aber sie unterließ eS doch und schritt an seiner Seite weiter durch die Zimmer. Bei einer kleinen Haidelandschaft, die eine Schulfreundin von ihr ausgestellt hatte, welche sich unsäglich quälte, mit ihrem Talente Geld zu verdienen, sagte sie so nebenher: „Ich kenne die Malerin; Sie könnten ein gutes Werk thun, Mr. Brown, wenn Sie das kleine Bild kauften." „Gewiß, Fräulein von Treffing, wenn ich Ihnen dadurch eine Freude mache." Er sah gar nicht hin, sondern hielt seine hellblauen Augen auf ihr Gesicht geheftet. Er konnte es nicht verstehen, daß sie ihm ohne Antwort rasch den Rücken zukehrte, und noch weniger wissen, was sie dachte. Aber wer Henny genau kannte, würde auf ihrem Gesichte ganz leicht die Worte: Taktloser Flegel! haben lesen können. Ihre Laune wurde nicht besser, als er ihr auf der Treppe heim Verlassen de« Rathhaus«« versicherte: ^Diese vielen Feiertage sind recht langweilig und ich war so froh, ein bekanntes Gesicht zu treffen. Darf ich Sie bis zu Ihrer Wohnung begleiten?" Da sie zum Ueberfluß in diesem Augenblick an den Fenstern des töchterreichrn Bürgermeisterhauses drei oder vier mit weißen Nasenspitzen an den Scheiben liegende weibliche Gesichter be merkte, sagte sie: „Ich danke, Mr. Brown, ich will noch zu meiner Schwester gehen." Sie beugte nur leicht den Kopf und schritt, scharf rechts ab biegend, von ihm fort. — Mr. Brown stand einen Augenblick vor dem Rathhaus und wurde sich klar, daß ihm selten eine Dame in der Konversation so wenig entgeqengekommen war. Dann sah er zwei Officiere gegenüber in Tosti's Weinstube gehen und steuerte zufrieden dort hinüber. Man will doch die Fest tage todtschlagen und wenn es zunächst nur mit einem Glas Sherry und einem Caviarbrödchen wäre! Henny hatte diesen Besuch bei ihrer seit drei Jahren mit dem Hauptmann von Triften verheiratheten Schwester Louise eigentlich gar nicht beabsichtigt, aber da bis zum Mittagessen noch Zeit war, führte sie doch den VerlegenheitScntschluß aus. Es wurde ihr in der letzten Zeit oft schwer, zu diesen Verwandten zu gehen, weil sie in deren Hause nur einen jüngeren Abklatsch ihres Elternhauses fand. Derselbe Mißten zwischen den Pflich ten des Standes und den hierzu kaum reichenden Mitteln, zwischen der äußersten bürgerlichen Anspruchslosigkeit der Men schen an sich und dem doch als Pflicht empfundenen Aufwand nach außen. Ihr Vetter Uexhus, der in seiner elenden Lirutenantsexistenz mit vierzig Mark Monatszuschuß in dem trostlosen, aber von ihm konsequent durchgeführten Kampf zwischen^einen Wünschen und deren Unerfüllbarkeit wenigstens seinen Sarkasmus aus gebildet hatte, nannte diese Officiersfamilien: Asylhäuser für lebensmüde Ideale. — Er behauptete auch, daß Triften bereits anfinge, dem wirklichen Leben Concessionen zu machen und be gänne, seine vornehme Denkungsweise stückweise zu versetzen. — „Sehen Sie, Herr Oberst", hatte er bei einem Besuche zum alten Treffing gesagt: „im Grunde muß ein anständiger Mensch al« Officier das Cölibat beschwören, oder sich einen Schwieger vater suchen, der ideal genug ist, dem Staate unter die Arme zu greifen und dessen Verpflichtungen zu übernehmen." Henny verstand ihn damals nur halb. Dieser Vetter ihrer Mutter wirkte auf sie immer deprimirend. Er war so mager und trocken, wie e« der Zusammenhalt von Knochen und Sehnen nur gestatten konnte, und so bissig und sauertöpfig wie ein alter Kettenhund, trotz seiner dreißig Jahre, und sie wußte genau, daß er damals Trüxen abgerathen hatte, ihre Schwester zu hei- rathen. Hauptmann von Trüxen war eigentlich ein wohlhabender Mann, so lange er als Junggeselle lebte, denn er konnte die Heirathscaution selbst stellen. Aber was für einen Junggesellen viel bedeutet, schrumpft bei einem Familienvater zum „Wenig" zusammen. — Er war ein anständiger unegoistischer Mensch, aber nun war vor vier Monaten der kleine Schreihals angekom men, und Henny konnte dessen Lungenübungen bereits in der unteren Etage vernehmen, als sie die Treppe hinaufstieg. — Sie fand die junge Mutter damit beschäftigt, dem Säugling eines dieser mysteriösen Dreiecke aus weißem Flanell umzulegen. „Du süßer, lieber Bengel!" sagte Henny nur lachend und hielt dem kleinen Schreihals ihren Muff hin, in dessen Pelzwcrk er mit augenscheinlichem Behagen und einigen „da, da, da's" hineingriff. „Wie stehts, wie gehts, Louise?" Diese, eine schlanke Blondine, welche bei Eltern und Ver wandten schon als Mädchen für ein Muster von Gewissenhaftig keit und gutem Benehmen gegolten hatte, lächelte etwas melan cholisch mit einem resignirten Zug um die Mundwinkel, welchen Frauen gern annehmen, die davon überzeugt sind, mehr Pflich ten zu erfüllen, als sie eigentlich nöthig hätten. — Sie war immer etwas sentimental gewesen und durch die Ehe nicht lebensfreudiger geworden. „Wie soll's gehen, Henny! Diel zu thun, Sorgen und kleine Kinder! Wenn man nicht wüßte, daß das Leben ein Duldcrweg ist und daß wir uns in dem Bewußtsein, unsere Pflicht zu thun, genügen lassen müssen, so könnte man oft denken, daß es zu viel sei. Sieh doch mal in die Küche, ob Trina auch den Kalbsbraten nicht schwindsüchtig werden läßt, wie Ernst es nennt. Es ist schrecklich, sich mit einem Mädchen zu behelfen, das nichts Ordent liches versteht!" Henny ging in die Küche. Trina war eines der Mädchen, welche ihren Stolz darin setzen, nur bei sogenannten feinen Herrschaften zu dienen. Sie litt start an üblen Stimmungen, war empfindlich, brummte und arbeitete dabei für zwei. Sie war in übelster Laune, weil der Herr Hauptmann am Morgen gewettert hatte, daß sic wieder ein Höllenfeuer ganz nutzlos bren nen ließe. Er that das jedes Mal, wenn die Kohlenrechnung kam. — „Guten Tag, Trine! Sie alte, brav« Seele! Ich wollte mal hereingucken. Wie benimmt sich denn der neue Bursche?" „Na, was den anbetrifft, gnädiges Fräulein, einer ist wie der andere bei diesen Mannsleuten! An jeder Straßenecke einen Schatz und nur um Gotteswillen nicht ordentlich arbeiten. Was nun Der jetzige ist, so will er, wenn er von's Militair kommt, gleich heirathen; ich glaub's aber nicht. Die Mannsleute schwatzen es den dummen Mädchen so oft vor, daß sie es manchmal selbst glauben. Ja, ja, gnädiges Fräulein, denken Sie mal an mich! Ich kenne die Männer!" Schon Henny's lustiges Gesicht hatte auf Trina's Gemüth wie sanftes Oel gewirkt. Die Tochter des Obersten wurde von allen Dienstboten vergöttert, weil sie immer einen Witz oder ein lustiges Wort bereit hatte, unk weil sie auch, wie in diesem Falle, Trina's oft urkomische Lcbensphilosophie mit Vergnügen anzu hören pflegte. „Na, Trina, ich werde mich schon vorsehen, und wenn es mal so weit kommen sollte, dann bringe ich ihn zu Ihnen, was Sie dazu meinen." Trina lachte laut auf. „Nee, so was, gnädiges Fräulein! Aber das sage ich gleich, von's Militair rathe ich ab; die sind von die Damen verwöhnt und denken, sie können sich Alles erlauben, und verstehen Alles besser." Der Hieb ging auf Henny's Schwager, aber sie lachte nur und fragte, was es zu essen gäbe. „Na, Kalbskeule, gnädiges Fräulein. Den einen Sonntag Roastbeef, den anderen Kalbsbraten, das ist nun so sicher bei uns, wie das Vaterunser in der Kirche." „Sie sollen ja so ausgezeichnet Kalbsbraten machen! Kann ich ihn nicht mal sehen ? Wissen Sie, unsere Köchin hat das gar nicht los!" — Trina glänzte wie ein Borsdorfer Apfel auf der Sonnenseite und Henny konnte sich überzeugen, daß der Kalbsbraten die vor schriftsmäßige braune Kruste angesetzt hatte. „Ist der Herr Hauptmann in seinem Zimmer?" „Ja, gnädiges Fräulein! Wenn ich nur einmal Zeit hätte, ich wollte es Ihrer Köchin schon zeigen!" „Schön, Trina; vielleicht schicke ich sie mal zu Ihnen!" sagte Henny im Hinausgehen, innerlich erschrocken, welche Konse quenzen fromme Lügen haben könnten, wenn die Küchendrachen aus diesen beiden Häusern sich über den Kalbsbraten in die Haare fahren würden. Aber schließlich, sie hatte Trina in gute Laune verseht, und das war die Hauptsache. Hauptmann Trüxen saß am Schreibtisch und wandte sein offenes, aber momentan etwas unwirsches Gesicht der Eintreten- den zu, stand aber sichtlich erfreut auf und gab ihr die Hano. „'n Tag, Henny; schön, daß Du kommst!" Er schob ihr «inen Stuhl hin und rückte einen mit braunem
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