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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189809047
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980904
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980904
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-04
- Monat1898-09
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1898
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. vrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmrtchluß fnr Anzeigen: Abeud-Au-gabe: Vormittags 10 Uhr. Marge n-Au-gabr: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polj in Leipzig. 448. Sonntag den ä. September 1898. 92. Jahrgang. Aus der Woche. Vielleicht, wahrscheinlich verfolgt die Note des Grafen Murawjew indirekt einen oder mehrere Zwecke. Inwieweit diese Aussicht auf Erfüllung haben, ist eine Frage der ge heimen internationalen Politik. Hinsichtlich der als der direkten angegebenen Absicht hingegen, der Abrüstung, wird außerhalb Rußlands nicht mehr erreicht werden, als Rußland selbst zu thun gedenkt, also gar nichts. Sedan siel diesmal besonders gelegen. Selbst Zeitungen, die dieses TageS sonst gar nicht oder nur mit kurzen Worten gedenken, nahmen Veranlassung, zu erklären: Wir wollen unsere Armee behalten und vor allen Dingen in Bezug auf die Begrenzung unserer Wehrkraft autonom bleiben. Die in den Pantoffeltapfen der Frau v. Suttner einhertrippelnden deutschen Blätter bringen keine Sedanartikel, aber sic sind doch alsbald wieder recht kleinlaut geworden. Obwohl Rußland keinerlei Revanche nehmen zu müssen sich auch nur einbilden kann, wird eS doch nicht reif für die Mitgliedschaft eines Friedensvereins erachtet. Das gesicherte Renommse der russischen Politik als einer unbestechlichen Real politik erweckt selbst unter den leicht beieinander wohnenden Gedanken der Phantasten des ewigen Friedens eine Vorstellung von der Eckigkeit der Sachen im Bereiche der Wirklichkeit. Aber das Princip ist da, das „Ideal" ist ge predigt worden, und so muß man sich zu behelfen suchen. Das Beste bietet die „Voss. Ztg." zu Berlin. Sie holt das diplomatische Roß der Metternich, Beust und Consorten aus dem Stalle, wo eS seit Bismarck das Gnadenbrod frißt, und schreibt: ,Die Verhandlungen (über das friedliche Zusammenwohnen von Wolf und Lamm) wird es sehr erleichtern, wenn man sich den Unterschied zweier (!) verwandter Begriffe recht klar macht: Schlagfertigkeit und Wehrkraft. Auf die höchste Ausbildung seiner Wehrkraft wird kein Staat verzichten, der sich die Mög lichkeit vor die Augen hält, daß er einmal in Zukunft einen Krieg wiro führen müssen. Seine Schlagfertigkeit kann jeder Staat einschränken, wenn derjenige Staat, in dem er seinen muthmaßlichen zukünftigen Feind sieht, sich die gleiche Beschränkung ouferlegt." Diese prachtvolle Unterscheidung von Schlagfertigkeit und Wehrkraft rechtfertigt die süße Hoffnung, die „Voss. Zeitung" werde demnächst in einer Polemik gegen Fritz Neuter'S be rühmten Philosophen auSeinandersetzen, daß cs ein arger Irrthum sei, zu wähnen, die Armuth komme von der puuvrets. Wir können unseren Lesern diesen Berliner Leitartikel nicht vorenthalten. Die Version, daß Rußland mit seinem Abrüstungsvor schlage die Absicht verbinde, von Frankreich abzurückcn, bat mit Recht wenig Gläubige gefunden. In den weitauS- schauenden Plänen, mit denen sich das Petersburger Cabinet trägt, dürfte Frankreich vielmehr eine ziemlich unter geordnete Rolle spielen. Aber wenn die anständigen russischen Kreise die heißen Küsse, die sie in den letzten Jahren von Frankreich empfangen haben, wie Schandmäler auf den Wangen brennen fühlen würden, wäre dies nack der neuesten Wendung in der militairischen Panama-Angelegenheit der sogenannten großen Nation sehr begreiflich. Jedenfalls wird man an der Newa und Moskawa sagen, die Franzosen könnten dem „Recht" und der „Billigkeit", die sie in dem gegenwärtigen politischen Zustande Europas des halb vermissen, weil sie 1870 in ihrem Spaziergang nach Berlin aufgehalten worden sind, einmal, des Beispiels halber, im eigenen Lande zur Herrschaft verhelfen. Für die beiden genannten Artikel zeigen sie jedoch gar keine Vorliebe. Man soll gerecht sein: das Rasirmesser, mit dem sich der Oberstlieutenant H enry der Zeugnißfähigkeit entschlug, ist vielleicht von dem in solchen Machenschaften von Alters ber geübten guten Genius Frankreichs in die Zelle des Fälschers geschmuggelt worden und besagter Genius lst nicht zu fassen. Daß aber, von anderer, oft erwähnter „Le-chtgläubigkeit" ab gesehen, französische Minister und Generäle das miserable Fran zösisch des jetzt als Fälschung anerkannten angeblichen BilletS des deutschen Militairattachss als Betvcis für dessen Autorschaft ansahen, obwohl Diplomaten, Generalität und Gesellschaft in Paris wußten, daß Herr v. Schwartzkoppen die Sprache der Franzosen recht gut zu sprechen und zu schreiben weiß, das ist eine so ungeheure Leichtfertigkeit, daß man sie — für etwas Anderes ansehen muß. Und die französischen Minister und Generale waren zum Unterschiede von dem erwähnten Genius zu fassen. Die angenehme Neutralität, mit der wir in Deutschland dem, was man die Dreyfus-Sache nennt, immer gegenüber stehen durften, ist nach den neuesten Enthüllungen erst reckt verstattet. Auf der andern Seite bleibt das menschliche Jutereffe an den düsteren Vorgängen so lebhaft wie vorher. Darüber hinaus geht noch die Genugthuung, daß eS Neformirte gewesen, die die Stimme des Ge wissens ertönen ließen, wo die französische Demokratie ihre sittlichen Bedenken im Chauvinismus ersäufte und die römische Kirche ihr dazu den Weg zeigte. Einige klerikale Blätter Deutschlands haben es bedauert, daß die katholische Geistlich keit Frankreichs ohne Scheu die unbedingte Vertheidigerin des Generalstabes bildete. In Rom wird man darüber anders denken und in Anbetracht des Umstandes, daß der „Generalstab" die auf Zertrümmerung des deutschen Reiches sinnende Revanche ist, in der Dreyfus - Esterhazy - Henry - Billot- Affaire mit Wohlgefallen einen Zug der „ältesten Tochter der Kirche" erkennen und dieser ob ihrer Brauchbarkeit für den politischen Zweck des Vaticans selbst das Ausbleiben des PeterSpfennigs gern verzeihen. Wie der „Tägl. Rundschau" von einem hervorragenden Schulmann, der zugleich Mitglied deS KirchenregimentS ist, geschrieben wird, ist nicht nur in Bromberg, woher eine Klage ertönte, sondern in ganz Preußen, von oben herab versäumt worden, eine Erinnerung an Bismarck aus Anlaß seines Ablebens in den Schulen und Kirchen zu veranlassen. Das ist der neue Curs. Zuerst geschriebene Ueberschwänglichkeiten und dann Unterlassung des Selbstverständlichen. Deutsches Reich. * Berlin, 3. September. Die Ultra montanen haben es augenscheinlich eilig, den Beweis für die Inferiorität ihrer Anhänger zu erbringen. Sie haben jetzt ein wirksames Mittel gegen Eisenbahnunfälle entdeckt. Die Wiener „Ostdeutsche Rundschau" schreibt: Eisenbahnminister, Be triebsdirektoren, Leute, die etwas, und solche, die nichts davon verstehen, zerbrechen sich die Köpfe darüber, wie man nur gegen die immer in Zunahme begriffenen Eisenbahn unfälle Abhilfe schaffen könnte. Aber Alles ist eitel Müh' und Plage. Und doch ist die Sache so unendlich einfach. Der Fehler ist nur der, daß man eben nicht den richtigen Helfer in der Notb zu finden weiß. Wer's nicht glaubt, der lese doch einmal den — „Pelikan". Das ist eine „Monatsschrift für daS Volk zum Preise deS allerheiligsten Altarsacra- ments. Organ der Erzbruderschaft der Ewigen Anbetung, der Ehrenwache des heiligsten Herzens Jesu, der nächtlichen Anbetung rc. HerauSgegeben mit Genehmigung Sr. Gnaden des Bischofs von St. Gallen von F. L Wetzel, Domcapitular." In der soeben erschienenen Nr. 9 (September 1898) heißt eS: „Maria hält zwei auf einanderbrausende Eisenbahnzüge. Eines Tages war der New Aorker Schnellzug um einige Stunden zu spät; durch einen Fehler wurde aber der Zug nicht signalisirt. Auf derselben Linie befand sich auch ein Frachtzuz und hielt die richtige Zeit ein, wie es der Fahrplan erforderte. Auf letzterem Zuge waren 12 oder 14 Personen. Sie wußten, daß der Schnellzug zu spät war, uud waren sehr besorgt, es möchte ein Zusammenstoß beider Züge stattfinden. Da stand ein alter, wettergebräunter Bremser auf und sagte: So lange Dominik (der Maschinist) mit einer Hand den Hebel und mit der anderen den Rosen kranz führt, wird uns sicherlich kein Unglück treffen. Kaum hatte der Mann seine Rede beendet, als plötzlich der Schnellzug, welcher mehr als 100 Passagiere batte, um eine Krümmung der Linie dahersauste. Auch der Frachlzug ging schnell. Was für ein schreckliches Unglück mußte unverzüglich im nächsten Augenblick folgen! Während die beiden Züge jede Secunde einander näher kamen, herrschte unter den Paffagieren die größte Verwirrung. Nur unser Dominik (der offenbar den rechten Namen hatte) betete in aller Ruhe ein Llaria an seinem Rosenkranz mit heißester Inbrunst zur Helferin der Christen. Auf einmal, wie durch Zauberkraft, standen beide Züge still, nur einige Schritte von einander entfernt. Um sich dieser augenscheinlichen Hilfe der gebenedeiten Gottes mutter auch dankbar zu erweisen, trat Dominik bald nach dem erwähnten Vorfall in den Orden des heiligen Dominikus. Einige Zeit danach wurde der einstige Maschinist zum Priester geweiht, als welcher er vor ein paar Jahren in seinem Kloster Somerset im Staate Ohio im Rufe der Heiligkeit starb." U Berlin, 3. September. Die Socialdemokratie hat eS stets und namentlich als der Erlaß des Staatssecretairs des Innern betreffs der Erhebung über die Ausschreitungen bei Arbeitseinstellungen bekannt wurde, geleugnet, daß von den Streikenden die arbeitswilligen Elemente bedroht und vergewaltigt würden. Der Torgelower Proceß, wobei sich herausstellte, daß ein Arbeitswilliger von den Ausständigen todtgeschlagen wurde, hat auf diese Behauptung ein eigenthüm- liches Licht geworfen, obwohl ein socialdemokratischer Reichstags abgeordneter noch die Kühnheit hatte, zu behaupten, der Todt- geschlagene wäre am Schlaganfall gestorben. Jetzt kommt eine ähnliche Nachricht aus Elmshorn. Als der Sohn des Besitzers einer Lederfabrik, in welcher ein Streik ausgebrochen war, mit einer Reihe von neuen Arbeitern von Hamburg in Elmshorn ankam, wurden sie von streikenden Arbeitern empfangen und verfolgt und mit Steinwürfen bedacht. 10 Personen sind wegen Landfriedensbruchs verhaftet. Selbstverständlich wird auch diesem Vorgänge gegenüber die Socialdemokratie eine Aus rede haben. Wir schlagen ihr vor, zu behaupten, die streikenden Arbeiter hätten sich zu ihrem Vergnügen im Steinwerfen geübt. Aber die Tragweite, die solche Vorkommnisse haben, kann doch von allen ernsthaften Politikern nicht verkannt werden. Es zeigt sich, daß die Strafen und das Strafmaß hier nicht genügen. FsiisHetsn» kriegserinnernngen eines Kleinstädters. Daß es im Jahre 1870 zum Kriege kommen würde, das wußte 'der Aberglaube schon zum Beginne des damaligen Früh lings, denn in den kalten Nächten des letzten Winters hatte der Nordhimmel oft glühend röche Wolken gezeigt, und kaum waren Straßen und Plätze vom spätesten Schnee trocken gewesen, da hatten die Gassenjungen so fleißig Soldaten gespielt, daß oft erst die beginnende Nacht dem munteren Treiben ein Ende be reitete.*) Beide Auffälligkeiten waren dem Aberglauben Vor kommnisse von so großer Deutlichkeit, daß kein Mensch in der ganzen weiten Welt im Stande gewesen wäre, ihn in seiner felsenfesten Gewißheit wankend zu machen. Als die Kriegsnach richt an einem lichten sonnigen Sommertage eintras, berührte sie trotzdem wie ein Blitz aus dem heiteren Himel. Kurz vor 12 Uhr Mittags, als mir die Frau eines Bäckermeisters in ihrem Garten Petersilie abschnitt, da hörte ich das erste Wort vom Kriege; in seiner sommerlich luftigen Backstubentracht kam nämlich der nicht wenig krummbeinige wohlgenährte Meister aufgeregt herbei gerannt und rief: „Mutter, Vie Franzosen kommen!" Schneller als sonst führten mich die mir augenblicklich räthselhaft geblie benen Worte nach Hause, wo Mütterchen, wenn auch in ernster Stimmung, so doch tröstend, den dunklen Sinn der gehörten Aeußerung lichtete. Was wars nur an der Kriegsnachricht, was die Herzen so beklommen, den Sinn so wirr, die Hoffnung so gering, die Glie der so bleischwer machte? Wohl äußerten sich die noch unverges senen Drangsale der Freiheitskriege als neu erwachtes schrecken des Gespenst, oder noch viel näher liegende Erfahrungen wirkten geradezu lähmend. Vor kaum vier Jahren waren ja droben an unserem Amtsgerichtsgebäude die Mecklenburger mit ihren großen Kanonen vorüber gezogen, die preußischen Fußleute mit ihren Querpfeifen als Sieger heimwärts marschirt und das Reiterregiment unseres Städtchens rühmlos zurückgekommen aus verlorener Schlacht. Unsere nächsten politischen Gegner, die Altenburger, hatten in diesem Kriege auf Seite der Sieger gestanden und darum nach dem Friedensschlüsse die Brust voll größter Hoffnungen ge habt, ja zu ihrem bekannten gesunden Appetite zur Abwechselung einmal sogar Länderhunger bekommen. „Sophie,-den ganzen Flettg (Flügel, Streifen Londes) nunger (hinunter) na Leibzg, den kein (kriegen, bekommen) wir!" hatte einer jener Bauern zu unserer Butterhändlerin gesagt und damit in unser Städtchen nicht geringe Besorgniß geschleudert. Wir sollten von Sachsen getrennt und altendurgisch werden? Wahrhaftig, der letzte Winkel der Höll« wäre uns lieber gewesen als dieser Wechsel! Der hohe Ernst der neuen Kriegsnachricht endete schnell die augenblickliche Betäubung und öffnete die Augen für das Noth- wendige, regte die Hand an zur Verrichtung des Erforderlichen, kurz, er brachte ein mir bis dahin unbekanntes Thun und Trei ben in unseren Ort. Die Schleifer schärften vom frühesten Morgen an bi» in die späteste Nacht Säbel, die Schmiede besich tigten die Hufeisen, die Büchsenmacher vervollkommneten die Ge- *) Auch ein Spiel .Knöcheln-, bei dem man mit einer Hand Steine vom Boden aufhrH« und in die Höhe wirst und dabei andere Steine ergreift und die ersten wieder auffängt, und da» «hatiächlich vor 1864, 1866 und 1870 lehr viel von Kindern gespielt wurde, kann «in Krieg«on,eichen gewesen sein. Thatsächlich ist da» Spiel jetzt nicht mehr üblich. D. Red. trxhre und die Soldaten packten die ganzen Tage lang; vom I Hämmern ging's zum Flicken, vom Füllen zum Leeren, vom I Oelen zum Schwärzen. Mochte diese ungewohnte Thätigkeit auch die Sorgen mindern, die trüben Gedanken nicht wenig zer streuen, ja sogar dem Scherz und der Kurzweil vorübergehend Raum geben, so bewirkten doch zahlreiche Abschiedsbesuche auch immer wieder das Gegentheil. Ich sehe noch heute im Geiste die vier Reiter unseres Hauswirths auf übereinander liegenden Baumstämmen im Hofe sitzen: Ein Leipziger spielte mit seiner Ziehharmonika das wehmüthige Lied: „Morgen muh ich fort von hier Und muh Abschied nehmen!« die Anderen begleiteten di« Klänge mit stockender Stimme und thränendem Auge; nur Mucke, der nebenan im Quartier lag, einer der mundfertigsten Flucher, die es wohl je gegeben, der ließ auch jetzt noch nicht von seiner üblen Gewohnheit. Der Tag des Ausmarsches war endlich herangekommen. Auch die Mei Schwadronen unseres Regiments, die in einem benach barten Städtchen lagen, hatten sich auf unserem Markte cinfinden müssen. Alt und Jung, Weiber und Kinder hatten sich gleichfalls zu einem letzten Händedruck eingestellt. Der gemeinsame Ge sang des Liedes: „Befiel du deine Wege!" eröffnete die weh müthige Feier, vom Altane des Rathhauses aus folgte eine er- muthiqende Ansprache unseres allbeliebten Herrn Bürgermeisters, der Aronitische Segen, gespendet von unserem hockwürdigen Herrn Superintendent, schloß den ernsten Act. Unter den Trompetenklängen des lustigen Burschenliedes: „Muß ich denn, muß ich denn Zum Städtelein hinaus!« ging's auf höheren Befehl hin aus dem Orte hinaus. Wenn sonst nie das angeführte Lied unpassend gewesen ist, in diesem Augenblicke hatte es seinen Zweck ganz gründlich verfehlt. Zum Sterben Weh! Das war die Stimmung der Scheidenden und Bleibenden; wenigstens konnten Tausende und Abertausende da mals vergossener Thränen nicht anders verstanden werden. Zu geradezu majestätischem Ausdruck kam die tiefe Ergriffenheit unserer Einwohnerschaft bei dem angeordneten allgemeinen Bitt- und Betgottesdienste: so fleißige Kirchgänger es sonst in unserem Orte gab, zu dieser zeitgemäßen Feier fehlte wohl Niemand; in den Thüren stand man bis auf den Kirchhof heraus, selbst durch ausgehobene Fenster hindurch bctheiligte man sich an dem Gottes dienste. Mit dem Abzüge unserer Truppen war's recht einsam ge worden in dem kleinen Städtchen, allüberall fehlte etwas. Nicht mehr war an der Haupt'wach« die bekannte Gestalt des Wacht habenden zu sehen, nicht mehr auf den Reitbahnen die Hebungen zu beobachten, nicht mehr der muntere Sang der Heimkehrenden zu vernehmen. Bange Stille machte sich allenthalben geltend. Zuerst rissen sich aus d«m Banne des gewaltigsten Ernstes heraus die lieblichen Gassenjungen, die sich noch dem Schlüsse der Nach mittagsschule gewöhnlich zu Dutzenden zusammenfanden und gasscnbreit neben einander gehend „Die Wacht am Rhein" Hun derte von Malen sangen oder schrieen. Daß „Die Wacht am Rhein" damals fest und treu stand, das zeigten uns Kindern die eingehenden Siegesnachrichten und besonders jene bunten Schlachtellbikdchen aus Neuruppin. Je schwärzer die Turkos und Zuaven daraus waren, desto mehr erfreuten uns die Bilder, je mehr Rauch darauf dargestellt und je mehr Verwundete oder Tobte zu sehen, ganz gleich ob Franzosen oder Deutsche, desto mehr entflammten sie unsere Begeisterung. Die Sieqesnachricht von Sedan brachte dem Auge die erste allgemeine Illumination des ganzen Ortes, die Beförderung gefangener Franzosen durch die nächste Eisenbahnstation dem Ohr wildfremde Laute auf dem heimathlichen Grunde und Boden, die schmählich« Niederlage Näpoleon's III. in die poetischen Adern so manches Deutschen Spott und Hohn. War's bekannt geworden, daß französische Gefangene die nächste Haltestelle der Eisenbahn passiren würden, so scheute weder Alt noch Jung den zweistündigen Weg dahin, und für Wein, Cigarren, belegtes Brod u. A. erhielt man von den Gefangenen Alles: Soldatenmützen, Hosen, Knöpfe, Cocarden. Wenn meine Schulkameraden solche Seltenheiten in der Schule zeigten, wie reich kamen sie mir doch dann vor! Und wie bös konnte ich in solchen Augenblicken meinen Eltern sein, die ihrem Einzigen wohl erlaubten, Heu zu Harken, Aehren zu lesen, durch Wald und Wiese zu schlendern, aber nun und nimmermehr sich gefangenen Franzosen zu nahen. Und im Spott über das Unglück Näpoleon's strömten unsere losen Schnäbel bald über. Wer der Fabrikant jenes Gassenhauers gewesen, das ist mir un bekannt geblieben, aber gesungen habe ich ihn wacker, nämlich die Strophe: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall: Napoleon steckt im Schweinestall! Ta guckt der kleine Lulu 'nein und denkt: Sein Vater ist ein Stachelschwein!- Ueber den weiteren Verlauf des Krieges erhielten uns Kinder die schon erwähnten Bilderbogen aus dem Laufenden, mit Ein zelnem wurden wir auf andere Weise bekannt. Als ehemaliger Soldat und jetziger RathSbeamtcr hatte mein Vater die Pflicht, den heimgebliebenen Frauen der in die Ferne g«zogenen Krieger die Löhnung auszuzahlen, und bei dieser Gelegenheit wurde mancher Vorgang weiter erzählt, d«r im Briefe an die Heimath geschrieben gestanden hatte. Und wenn Soldatenmütter, -schwestern oder -brüder eine Sendung in die Ferne hatten, da kamen sie wieder zu uns, daß wir die Aufschriften machten. Noch in anderer Weise wurde gerade unser Haus in recht enge Be ziehungen zu dem Kriege gebracht. Als ehemaliger Kämpfer im sogenannten „Grützekriege"*) hatte mein Vater für «das Detail der Kriegsführung ein ungewöhnliches Interesse, und zu dem Studium der neu eingetroffenen Depeschen an der Hand fran zösischer Generalstabskarten fanden sich immer einige wißbegierige ältere Bürger ein. Wem ich im weiteren Verlaufe des Krieges meine ganz« Zu neigung schenkte, das war ein aus Frankreich wegen Erkrankung in die Heimath entlassener älterer Trompeter. Mir sagte er, er sei bei einem Sturze vom Pferde unter dasselbe zu liegen ge kommen und habe davon mehrere innere Schäden erlitten; mochte auch mein Vater verächtlich von ihm als von einem Drückeberger reden, ihm gehörte doch mein kindliches Herz ganz. Das waren Wonnestunden für den Knabengeist, wenn der freundliche Kranke mitgebrachte französische Messer, Waffen, Geld u. s. w. zeigte und in Münchhauscn'scher Weise Uber ihren Erwerb berichtete, wenn er mich von seiner Erbs wurstsuppe speisen ließ, oder von den Thaten der Unseren in be geisternder Weise erzählte. Für die Geschichte, wie Fluch-Mucke seinen Lieutenant aus einer starken Rotte französischer Reiter in heldenhafter Weise befreit, habe ich stets bereitwilliges Ohr ge habt, mochte er sie zu meiner Freude auch an die hundert Male erzählen. Wie gerade dieser Bericht einem braven Tischlergesellen zu unerwartetem Glück half, das bleib« nicht unerwähnt. Kaum ist ihm von Mucke's Heldenthat eine anschauliche Schilderung gegeben worden, da wandert er auch schon mit einem Stück weißer Kreide zu einer großen Holzplanke an einer belebten Gasse und zeichnet Strich um Strich, hierher französische Reiter, die einen Führer der Unseren umzingeln wollen, dorthin feind *) Volksname des Krieges in Schleswig-Holstein 1864; warum, ist leicht zu errathea! liche Reiter, die vor einem herbeikommenden Mann unseres Regiments die Flucht ergreifen, hierher Säbel, zu wuchtigem Hiebe niedersausend, dorthin Säbel, das zugebachte Verderben klug abwehrend. Ehe alle Gedanken Gestalt gewonnen, war freilich manche Stunde vergangen; aber als der Tischlergesell nach großen Vorbildern sein E. L. darunter geschrieben, da war's auch eine Zeichnung von so packender Situationstreue, daß sich keiner der Vorübergehenden eine längere Vertiefung in dasselbe versagen konnte. Nach einigen Tagen war das Kunstwerk der Mittelpunct des Gespräches und hatte unserem Tischlergesellen manche Gönner gewonnen, die sich seiner annahmen. Unser Stadtkommandant veranlaßte den jungen Maler, sich auf seine Kosten bei einem älteren akademisch gebildeten Maler zunächst im Orte fortzubilden, er fand dann auch Mittel, ihn auch in Leipzig vervollkommnen zu lassen, ja, ibn sogar der Akademie in Dresden zuzuführen. Heute zählt unser ehemaliger Tischler gesell zu den gefeiertsten Künstlern unserer Residenz und er rechnet sich nicht mit Unrecht zu Jenen, die im Kriege ihr Glück gemacht haben. Und nun noch ein paar Worte über die Rückkehr unseres Helden-Regim«nts, die ungefähr nach Jahresfrist seit dem Aus zuge stattfand. Wahrhaftig, wenn es möglich wäre, daß sich der Mensch von vielem Laufen die Beine kürzer machen könnte, so hätte es damals an mir zur Wirklichkit werden müssen, denn alle, auch die entlegensten Vorbereitungen vollzogen sich unter meinen neugierigen Augen. Von Säulenpaaren zu Säulen paaren, die bald in den Landesfarben, bald in den Reichsfarben prangten, hatte man über die Straße hinüber Eichenlaubguir- landen, Rosen- und Kornblumengcwinde gezogen, von den Dächern herab flatterten ungewöhnlich zahlreich prächtige neue Fahnen, an den passendsten Plätzen erhoben sich Ehrenpforten mit den freundlichsten Willkommengrüßen. Unter vollem Ge läute sämmtlicher Kirchenglocken kamen unsere Reiter endlich herein in die Stadt, Allen voran die Regimentsmusik. Wohl sahen wir die meisten unserer Bekannten wieder, aber in un gepflegten langen Bärten, mit aufgedunsenen kranken Gesichtern, aus recht dürr gewordenen Füchsen, denn die blendende weiße Farbe der früheren Schimmel hatte sich als zu verlockendes Schubziel des Feindes erwiesen und den nützlichen Wechjel ge fordert. Hinter dem Trompetcrcorps wurde in einem bekränzten Wagen aufs Sorgfältigste gebettet der vielgerühmte Held unseres braven Regiments, Fluch-Mucke, gefahren. Ach, wie bleich sah er noch aus! Und doch, welch' ein fröhlicher Stolz in seinen Heldenaugen! Das Eiserne Kreuz zweiter Class« schmückte die Brust des Unvergessenen. Und nun kamen sie Alle daher, unser grriser Oberst, seine kühnen Rittmeister, die viclcrfahrenen alten Wachtmeister, unsere schnsüchtigst erwarteten Reiter. Am spä teren Nachmittage concertirten die Gesangvereine vor den Woh nungen der Escadron-Ehefs, fanden festliche Speisungen der Heimgekehrten auf sämmtlichen Sälen des Ortes statt, und mit dem Einbrüche der Nacht erfreute die zweite allgemeine Illu mination uns Fröhliche. vr. Krebs. Tchönbeit-feinde. In dem in Nr. 436 veröffentlichten Artikel „SchönbeitSseinde" behauptet ver Verfasser, Herr vr. meck. B. Elchthaler, der Haarbalsam von Schwarzlose enthalte auch daS giftige Bleiacetat. Demgegenüber erklärt die Firma I. F. Schwarzlose Söhne zu Berlin, Markgrafen straße 29, daß tiefe Angabe eine irrige sei. Ihre vegetabi- fischen Haarbalsame enthielten keine Bleiacetate, die Fabrikate würden vielmebr nach den Vorschriften des Gesetze» vom 5. Juli 1887 hergestellt, durch welches die Anwendung von giftigen Stoffen in coSmetischen Mittel« verboten sei.
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