02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980908024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-08
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Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg, Reklamen unter dem Redactionsstrich (4u— spalten) 50^, vor den Famitirnnachrichteu (8 gespalten) 40/4- Größere Schriften laut unserrm Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz «ach höherem Tarif. Extra-vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen«Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vonntitsg« 10 Uhr. Morgen «Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet« an die Expeditt«» zu richten. ——6—v—— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 45K Donnerstag den 8. September 1898. 92. Jahrgang. Der Schuh der Arbeitswilligen. L Die Presse, soweit sie nicht von ihren Hintermännern beauf tragt ist, Alles zu preisen, was von der Krone kommt, hat zu der großen Anzahl der kaiserlichen Ansprachen aus der jüngsten Zeit geschwiegen. Nicht etwa weil die nationalen Zeitungen sich dem Jrrthume hingeben, das rednerische Auftreten des Monarchen bleibe ohne Folgen für Reich und Monarchie, sondern weil sie erkennen, daß die Mittel der Presse in diesem Betracht abgenutzt sind. Und am meisten verbraucht ist die Aufforderung an die ordentlichen Rathgeber der Krone, dafür zu sorgen, daß sie die kaiserlichen Kundgebungen mit ihrer Verantwortung decken können. Von den Vertretern der positiven Parteien in den Parlamenten gänzlich im Stiche gelassen, verzichtet die positiv.gerichtete Presse auf eine Kritik, der zu enge Schranken gezogen sind, als daß sie dem Stoffe in ein drucksvoller Weise gerecht werden könnte. Seit gestern wird eine Ausnahme gemacht und dies aus dem Grund, weil der Kaiser in Oeynhausen ein seiner Vollendung entgegengehendes Reicks gesetz angekündigt und über dessen Inhalt Angaben gemacht hat. Der Versuch zur Verhinderung der Arbeitswilligen an der Arbeit und die Anreizung zu einem Streike sollen mit Zuchthaus bestraft werden. Ersteres ist schon in der Bielefelder Rede, auf die sich der Monarch auch bezogen hat, ungefähr in Aussicht gestellt worden; der Gedanke der Bedrohung der Anreizung zum Streik mit entehrender Strafe ist neu. Obwohl der Kaiser die Streik aufforderung, nach der Anwendung der Wörter „oder gar" zu schließen, für noch strafwürdiger zu halten scheint, als die Ver hinderung Arbeitswilliger — durch Gewalthätigkeiten oder Ehrverletzungen —, so muß doch gesagt werden, daß das Recht zur Streikaufforderung den Arbeitern gesetzlich gewährleistet worden ist — wie den Arbeit gebern das Recht zur Sperre — und daß es weder dem allgemeinen Rechtsgefühl noch der Staatsraison entspräche, wenn dem Arbeiter im Streik ein Mittel genommen würde, den Preis seiner Waare, der Arbeit, zu steigern oder sonst die Ar beitsbedingungen günstiger zu gestalten. Das Mittel ist selbst für die, die zu ihm greifen, gefährlich und führt bekanntlich selten zum Zweck. Principiell zu verwerfen ist es nicht, praktisch so wenig wie moralisch, und weder das Publicum, noch der Staat, noch auch der Kaiser selbst haben bisher zu erkennen gegeben, daß sie den Streit unter allen Umständen verurtheilen. Bei dem Aus stande in der Berliner Confections- und Wäschebrancke z. B. waren die Sympathien und guten Wünsche des Publicums .wgetheilt auf der Seite derAusständigen, die preußische Regierung hat wiederholt bei Arbeitseinstellungen vermittelt, und bei dem Streik im Saarrevier ist die Vermittelung der Behörden direct vom Kaiser anbefohlen worden. Vermitteln heißt, beide Par teien hören und beide zu Zugeständnissen bewegen; wer ver mittelt, hat also im Voraus anerkannt, daß das Unrecht nicht nothwendig ausschließlich auf einer Seite liegen müsse. Die Skizzirung des Inhalts des in der Ausarbeitung befindlichen Gesetzentwurfs durch den Kaiser ist wahrscheinlich nicht genau; da der Monarch aber in Oeynhausen ausdrücklich und wiederholt das Gesetz auf seine Initiativ« zurückgeführt hat, so muß man in Anbetracht der Gefügigkeit der preußischen Minister annehmen, daß die preußische Regierung mit etwas Aehnlichem an den Bundesrath kommt. Dort hat die Be drohung der einfachen Aufforderung zum Streik mit Zucht haus keine Aussicht auf Zustimmung und im Reichstag erst recht nicht. Als Wirkung der jüngsten Kaiserrede wird sogar übrig bleiben eine Erschwerung des so sehr nothwendigen besseren Schutzes der Arbeitswilligen gegen Gewalt und Drohung, Ehrverletzungen und Verrufserklärung, sowie des Verbots der Aufforderung zur widerrechtlichen Einstellung der Arbeit des Contractbruches. Die kaiserliche Ankündigung bildet nun einmal jetzt die Grundlage der öffentlichen Discussion und diese wird deshalb eine Stimmung erzeugen, welche auf dem Wünschenswerthen und Nützlichen, ja nach unserer Meinung dringend Nöthigen ungünstig ist. Der Aufruhr in Candia. -p Nach den gestern Abend und heute Morgen eingetrosfenen Telegrammen ist der Zwischenfall in Candia ungleich blutiger verlaufen, als man nach den ersten Meldungen annehmen konnte. Die Muhamedaner waren entschieden in der Uebermacht, sie haben die Stadt an verschiedenen Stellen angezündet, die Häuser der Christen geplündert und niedergeschossen und niedergehauen, was ihnen in den Weg kam. Auch das Haus, welches der deutsche Consul bewohnte, ist, wie gemeldet, vollständig niedergebrannt, und nur mit äußerster Lebensgefahr konnten die Acten des Consulats gerettet werden. Die Consulatsgebäude mehrerer anderer Mächte wurden gleichfallsein Raub der mit Windeseile um sich greifenden Flammen, deren Bernichtungs- werk Niemand Einhalt that. Der englische Consul Kalo- kairinoi, ein geborener Grieche, wurde als verkohlte Leiche unter den Trümmern seines Hauses aufgefunden. Im Ein zelnen liegen noch mehrere Meldungen vor, welche ersehen lassen, daß das Blutvergießen seit Dienstag ununterbrochen fortdauert und daß auch die christlichen Insurgenten sich an den grausigen Kämpfen betheiligen, ohne indessen der Wuth der Muselmanen Einhalt thun zu können. Unsere Nachrichten besagen: * London, 8. September. (Telegramm.) Nach einer Meldung der „Times" aus Candia von gestern befindet sich unter den Ge fallenen Lieutenant Haldane. Ein anderer Lieutenant ist ver« mundet. Für die Mehrheit der Christen wird das Schlimmste befürchtet. Es wird berichtet, daß von 1000 Soldaten nur 250 gerettet seien. Sieben Kriegsschiffe befänden sich auf der Rhede bei Candia, doch sei bei der stürmischen See daS Ausschiffen der Marinetruppen schwierig. Die türkischen Truppen hätten sich geweigert, den britischen Truppen beizustehen, da die Letzteren in geringer Anzahl seien und bald überwältigt sein würden. Die Muhamedaner plündern Candia. Christliche Aufstau di sch e sammeln sich rund um den Militaircordon. — Eine spätere Depesche der „Times" besagt: Flüchtlinge, von denen viele verwundet sind, sind an Bord des britischen Kriegsschiffes „Camperdowu" ge kommen. Sie haben das Gerücht von einem von den Muhame- danern verursachten Maisacre wiedererzählt. — Wie der „Standard" von gestern aus Candia meldet, ist eine Abtheilung von 350 Mann italienischer und französischer Truppen an einem Platze außerhalb des Bereiches der türkischen Außenposten gelandet und beabsichtigt, nach Candia zn marschiren. „Camperdown" landet ebenfalls Marinesoldaten. * Canea, 8. September. (Nachts.) Der englische Commandant in Candia zeigte an, er werde im Falle eines neuen Angriffs das Bombardement eröffnen und den Cordon der Aufständischen durchbrechen. Zahlreiche Aufständische griffen die ottomanischen Truppen und den Militaircordon in Candia an. Der Gouverneur dringt in die Admirale, die nothwendig erforderlichen Anordnungen zu treffen. Der Kampf dauert fort. In der Stadt Canea herrscht Ruhe. * Athen, 8. September. (Telegramm.) Mehrere christliche Familien in Candia verließen zu Schisse die Stadt. Kriegs« schisse landen Verstärkungen und Feuerspritzen. Ein Fort ist durch das Bombardement beschädigt. Das italienische Consulat soll ebenfalls niedergebrannt sein. Die Feuersbrunst dauert fort. Das russische Panzerschiff „Erotgenski" ist vom Piräus nach Kreta abgegangen. * Wien, 8. September. (Telegramm.) Das „Wiener k. k. Corresp.-Bureau" meldet bestätigend aus Canea, christliche Aufständische hätten die türkischen Vorposten bei Candia an« gegriffen. So Weitet sich der Zwischenfall zu einer furchtbaren Katastrophe auS, deren Umfang jetzt noch gar nicht zu über sehen ist. In verschiedenen Blättern wird die Frage erörtert, wer die Schuld an der plötzlichen Explosion muselmanischen Fanatismus' trage. Nach Berichten aus englischer Quelle haben die Muhamedaner zuerst geschossen und gestochen, nach französischen Telegrammen sind eö die Engländer gewesen, welche durch brutales Borgehen die Türken gereizt und zu einem Auslauf am Hafen veranlaßt haben, auch sollen sie zuerst unter die Menge geschossen haben. Wie bei allen derartigen Zusammenstößen — man denke nur an daS unerhörte Massacre der Armenier in Konstantinopel — wird sich auch hier niemals nachweisen lassen, wer „angefangen" hat. Nach den riesigen Dimensionen, welche die Schlachtarbeit der Muslim genommen, scheint es, daß der Aufruhr von ihnen beabsichtigt und vorbereitet, vielleicht auch provocirt worden ist, doch kann man dies nicht mit voller Bestimmtheit behaupten. Jedenfalls läßt das über alle Maßen Furchtbare des Ausbruchs orientalischer Leidenschaftlichkeit darauf schließen, daß, was wir bereits gestern andeuteten, schon lange ein seinen Inhalt nicht mehr fassendes Maß von Haß und Er bitterung gegen die Christen und speciell gegen die Vertreter der fremden Mächte angesammelt war, und daß es nur eines geringen Anlasses bedurfte, das Gefäß zu verheerender Explosion zu bringen. Während des kretischen Aufstandes hatten die christ lichen Insurgenten das flache Land in Besitz genommen und die Muhamedaner gezwungen, all ihrer Habe beraubt, in die Hafenstädte zu flüchten. Namentlich in Candia, der Hauptstadt der Insel, hatte sich die türkische Bevölkerung zusammengedrängt und dort nun ihrerseits durch Plünderung und Besitznahme der christ lichen Häuser sich schadlos gehalten. Zu denFlüchtlingen gesellten sich zahlreiche türkische Irreguläre, jene verrufenen, nur von Mord und Plünderung lebenden Baschibozuks. Man schätzt die Zahl der Flüchtigen auf 50 000. Selbstverständlich stieß nach und nach die Verpflegung der Masse auf Schwierigkeiten. Die Noth konnte zwar durch Mehlspenden des Sultans und größere Proviantvertheilungen der Engländer zeitweise gemildert, aber nicht beseitigt werden. Um die Möglichkeit des Kaufens von Lebensmitteln zu bieten, wurde außerhalb der Stadt eine sogenannte neutrale Zone abgesteckl und ein Markt eröffnet, auf den die christlichen Bauern Vorräthe brachten. Schließlich fehlten den Muhamedanern aber Geld und Tauschwaare, und es entwickelte sich nach und nach eine förmliche Hungersnoth, die ihrerseits wieder Ver zweiflung und Erbitterung erzeugen mußte. Der Un wille wurde noch erheblich gesteigert, als die vier Schutzmächte, Rußland, Italien, Frankreich und England, den genialen Streich machten, bei der Wahl der provisorischen Regierung die Muhamedaner gänzlich auSzuschließcn. Sie wurde nicht durch das aus allen Confessionen zusammengesetzte kretische Parlament, sondern durch die aufständische christliche Nationalversammlung von Akrotiri vollzogen. Das Faß kam zum Ueberlaufen, als das Zehntenbureau (die Zehnten, zu Gunsten der Landesverwaltung erhoben, werden bei der Aus fuhr der betreffenden Landesproducte fällig und sind mithin in den gegenwärtig occupirten Küstenorten zu entrichten) von christlichen Beamten besetzt wurde, während in der Türkei dieses Zehntenbureau eine streng muhamedanische Abthei lung ist. So weit also hat es das vielgerühmte Concert der Mächte dadurch, daß es die Kretafrage nicht vorwärts kommen, daß eS sie förmlich versumpfen ließ, gebracht, und wir können nur mit Dank und Genugthuung daran erinnern, wie Reckt unsere deutsche Regierung that, als sie — die österreichische folgte ihr — vor etwa Jahresfrist die deutschen Kriegs schiffe von Kreta zurückberief, aus dem Concert aus- sckieb und die Verantwortung für die verfahrenen Verhältnisse den übrigen dort näher interessirten Mächten überließ. Wenn, wie sehr wahrscheinlich ist, Hab und Gut von Deutschen bei dem jetzigen Aufruhr vernichtet worden ist, wird Deutschland von der Pforte jedenfalls Schadenersatz fordern, ein Grund aber, die deutsche Flagge von Neuem vor Kreta zu zeigen, liegt durchaus nicht vor. Für uns ent behrt das an sich in hohem Maße betrübende Vorkommniß jedes näheren politischen Interesses. Die Mächte, welche seiner Zeit ans Deutschlands gute Rathschlage nicht achteten, mögen nun sehen, wie sie endgiltig Ordnung schaffen, sei es nun mit Blut und Eisen, oder durch das modernere ge meinsame Läuten der großen WeltfriedenS-Glocke. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. September. In den zahlreichen Ansprachen, die der Kaiser jetzt zu halten genöthigt ist» finden sich viele Stellen, die zu actuellen politischen Fragen in Beziehung gebracht werden könnten. So erwiderte der Kaiser gestern bei dem Festmahle der Provinz Westfalen in Porta auf die Begrüßungsrede des Vorsitzenden des Provinziallandtages, er hoffe, daß der Aus blick für die Provinz, namentlich für die Landwirthschaft, sich zum Besten gestalte, daß alle Gebiete des Gewerbslebens sich mit einander verbinden und so die Größe und Entwickelung des Vaterlandes gewährleisten, und fuhr dann fort: „Dies ist nur möglich unter dem Schutze des Frieden-, der nie besser gewährleistet wird, als durch ein schlag fertiges, kampfbereites Heer, wie es jetzt im Manöver zu bewundern gewesen ist. Gebe Gott, daß es uns immer möglich sei, mit Lieser stets schneidigen, gut erhaltenen Masse für den Frieden der Welt zu sorgen." Wer geneigt ist, in jedem Worte deS Kaisers eine prin- cipielle Kundgebung zu sehen, der wird in dieser Hindeutung auf ein kampfbereites, schlagfertiges Heer eine Abwebr gegen den russischen Oelzweig erblicken. Mit der Waffe, nicht mit dem Cougreß will der Kaiser für den Frieden der Welt sorgen. Aehnliches hat der Kaiser ja oft genug ausgesprochen und zwar unter dem Beifall der Mehrheit deS deutschen Volkes. Gegenüber der Petersburger Kundgebung könnte man, wie gesagt, dieses Mal den Worten des Kaisers eine ganz be stimmte Absicht beimessen. Wie wir bereits mitaetheilt haben, hat sich der Sultan Quawa von Uhehc das Leben genommen, als er in seinem Feuilleton. Henny Hurrah! 7j Roman von Ernst Clausen. Nachdruck verbot«!. „Soll das einen Vorwurf wegen Tenvenzmalerei enthalten?" Nun, frei ist das Bild sicher nicht davon! Wissen Sie, daß ich Lust hätte, es zu kaufen?" Er blickte sie überrascht an. „Sie sollten es nicht thun, gnädige Frau! Es klingt vielleicht wie «itle Bescheidenheit, aber ich wollte, ich hätte das Bild nicht gemalt! Es ist eine Verirrung." „Gerade deshalb! Vielleicht hat es kulturhistorischen Werth! Man kann seinem eigenen Galgenhumor doch 'mal eine kleine Opfergabe bringen! Aber Sie trinken ja gar nickt, es lebe die Erinnerung an München!" Sie leerte ihr Glas und er that dasselbe. Ihm mißfiel ihre Art zu sprechen und noch mehr die in Spott zuckenden Mund winkel. Wi« häßlich war das Alles voa ihr und doch — nun, sie log wenigstens nicht. Aber trinke-! oh ja! den Gefallen lhat er ihr gern. — So thaure ce allmählich auf, und Ella hatte sich seit ihrer Münchener Zeit noch nicht so gut amüsirt wie beute. — DaS war der alt«, frohe, ungezwungen-, süddeutsche Ton, die frische akademische Worifreiheit, daS Unbekümmertsein um Absurdität und Kalauer, das Hinwerfen von Zukunftsideen und kühnen Worten, vor welchen erfahrene Wcltleute solche Angst haben. Er war jung und Ella Seefried war nicht viel älter und eine schöne Frau. DaS Diner verlief vornehm und gut arrangirt, ohne protzenhaft zu sein, so daß Frau von Tressing sich gestand, es sei nicht diel daran auszusetzen, und selbst ihr seliger Bater würde zufrieden gewesen sein. — Freilich solch' schöne, alte, silberne Leuchter wie die aus dem gräflich Uexhusen'schen Haus- schatz standen nicht auf der Tafel — die prachtvollen Stücke waren nach dem Tode deS alten Grafen zwangsweise versteigert worden, und hier brannte elektrisches Licht. Was es doch für einen Unterschied macht, wenn diese reichen Geschästsleute sich eine Frau auS guter Familie nehmen! Di« ganze Geschichte bekommt Chic! Wenn Unsereins die Mittel besäße, was würde man daraus machen, dachte sie. — Das war kein sehr behaglicher Gedanke. Wider ihren Willen konnte sie Alle« nicht so recht genießen. Ihr« Nachbarn gaben sich redlich Mühe, sie zu unterhalten, aber was konnte das Alles helfen! Keiner der Beiden hatte ja eine Ahnung, daß sie eine geborene Gräfin Uexhus war! „Herr Sternfeld! Sie müssen wirklich eine Rede auf die Dame des Hauses halten, nachdem Herr Seefried den Toast aus Sie ausgebracht hat. Alles wartet darauf!" flüsterte, ein Nach bar Axel zu. — Er bekam einen Schreck, aber er fühlte doch Muth genug, trank noch zweimal sein Sectglas aus und klopfte dann ans Glas. — Es war nicht viel und nichts Geistreiches, was er sagte, aber cs wurde keck und ohne Zögern vorgeüracht, es paßte zur Desertstimmung und enthielt ein kleines Wortspiel, worüber man lachen konnte. Ella Seefried dankte ihm mit leuchtenden Augen, aber daß Henny aus Angst, er möchte stecken bleiben, ihr Batisttuch zu einem unförmigen Knäuel und eine halbe Semmel zu Brodkugeln verarbeitet hatte, konnte er nicht wissen. — Sie war so froh, „Hoch" rufen zu können, daß sie Mr. Brown mit einem Blick ansah, wie er einen solchen noch nie bekommen hatte und der eigentlich für Axel bestimmt war. — Sie war in eine ver söhnliche Stimmung hineingerathen. Der verschwenderisch« Reichthum der Tafel, die wundervoll ausgestatteten Zimmer, durch deren Flucht sie gerade den Blick schweifen lassen konnte, als die Flügelthüren des Eßsaales geöffnet wurden und die Dame des Hauses die Handschuh anzog, alles Das hatte etwas Be rauschendes für sie. — Das war Wohlleben, Glück, Sorglosigkeit, Frohsinn! und sie war so gern fidel. Ella Seefried gewann mit einem Schlage das Herz der Frau von Tressing, weil sie zu ihr schickte mit der Frage, ob eS der gnädigen Frau recht sei, wenn jetzt die Tafel aufgehoben würde. — Nachher wurde getanzt. — Das wenigstens konnte Mr. Brown sehr gut, besser al- Axel, der dabei noch zu viel deutsche Tanzstundenenergie losließ. Sie sah ihn immer wieder mit seiner Tischdame durch den Saal Wirbeln und dann Beide in einem Nebenzimmer verschwinden. Er hatte mit ihr noch kein Wort gesprochen nach dem Essen. — Sie biß sich auf die Lippen. Die uneingestanvene Eifersucht that doch weh und verwandelte sich bei ihrem Charakter in Trotz, von dem Mr. Brown die Annehmlichkeit hatte. „Bitte, führen Sie mich in mein Zimmer!" sagte Ella See- fried, tief Äthern holend. „Wollen's a bissel verschnaufen?" fragte er im bayrischen Dialect scherzend. — Sie stand am Kamin und lachte. Auf einem Lehnstuhl nicht weit von ihr saß der Oberst Tressing und hielt, die Hände im Schooße gefaltet, ganz ruhig sein Souperschläfchen und in der Ecke des Zimmers, wo der herausgebaute Erker einen kleinen Wintergarten umschloß, saß der schöne Trompeter mit einer Dame und bewunderte mit ihr die Mondscheinlandschaft im Garten. „Wenn Sie wüßten, wie mir das wohl thut, heute mit einem alten Bekannten zusammen zu sein! Leben! genießen! nichts denken! Auf diese Weise hat man doch etwas davon! Wenn es nur jeden Tag so sein könnte! Man ist doch noch jung! Man merkt es erst, wenn man so durch den Saal fliegt!" „Ja", meinte Axel — „und weshalb wollten Sie nicht ge nießen?" „Man erkauft es theuer, Herr Sternfeld." „Na, das bischen Kater!" sagte er in aller Unschuld. — Da lachte sie laut auf. „Sie haben Recht, das bischen Kater! Herr Stexnfeld, Sie sind zum Todtlachen! Kommen Sie, wir wollen tanzen! Wir bleiben gute Freunde, nicht wahr?" Sie hielt ihm die Hand hin und er beugte sich darüber und küßte das weiche, hübsche Handgelenk dicht über dem prachtvollen Armband. — Sie zog rasch den Arm zurück. „So war es nicht gemeint! Ein einfacher, ehrlicher Hände druck! Weiter nichts!" Fröstelnd zog sie die Schultern zusammen. In der Thür kam ihnen ein Diener entgegen. „Herr Steenfeld, cs ist Jemand da mit einer Botschaft für Sie! Ihr Fräulein Schwester ließe sie bitten, nach Haus zu kommen; der Herr Major sei kränker geworden." Axel erbleichte. „Mein Gott, wie leid mir daS thut!" sagte Ella Seefried — „gehen Sie hier hinaus, dann vermeiden Sie di« Gesellschafts räume! Müller! Führen Sie den Herrn durch jenes Zimmer." Axel eilte dem Diener nach, dukch daS Schlafzimmer See- fried's und war verzweifelt über die Langsamkeit, mit welcher man in der Garderobe nach seinem Hut und Mantel suchte. — Endlich! Er stand schon an der Treppe, da kam eine Helle Ge stalt aus dem Tanzsaal geflattert auf ihn zu, und Henny's banges junges Gesicht erschien. „Lieber Axel! Ich hörte es von Frau Seefried; eS wird doch nicht sehr schlimm sein!" Sie streckte ihm die Hand hin, von welcher der Handschuh abgestreift war, und er fühlte deutlich, daß ihre kalten Finger in seiner Rechten zitterten. — „Armer Kerl! ich wollt«, ich könnt« —" Sie hatte groß« Thränen in den Augen. Er nickte ihr aufmunternd zu. „Geh' nur hinein, Henny, ich danke Dir!" Dann sprang er eilig die Treppe hinunter. Ja, er traf den Vater noch am Leben, derselbe verschied erst gegen Morgen, als der erste Helle Schein durch die Fenster vorhänge hereinlugte auf sein stilles männliches Todtenantlitz. — Die kleine Toni saß zusammengekauert in einer Ecke und Hedwig kniete am Bett des Todten nieder und betete. Axel stand am Fenster, lehnte die Stirn an die naßkalte Scheibe und dachte daran, was er dem Vater vor einigen Tagen versprochen und heute Nacht mit dem letzten Händedruck stumm besiegelt hatte. „Steh auf, Hedwig!" sagte er, sich zu dieser herabbeugend, u)jd nahm sie in beide Arme. „Ich bin ja da, und Ihr sollt nicht allein bleiben." „Wie still und gottergeben er da liegt", schluchzte sie an seinem Halse. „Wenn es nur erst Tag wäre!" „So, Toni, komm!" Er nahm die Kleine bei der Hand und ging mit den Schwestern hinaus. Aber es wurde den ganzen Tag nicht recht hell. Der dicke rußige Nebel ließ kein Sonnenlicht durch. Toni fütterte daS Zeisigpärchen am Fenster, was der alte Vater bis jetzt noch jeden Tag selbst besorgt hatte, und Hedwig ging hinaus, um Frühstück zu besorgen. — Es ist doch gut, daß es für traurige Menschen an solchen Tagen noch etwas zu thun giebt, und Axel wunderte sich über sich selbst, daß er ruhig und gelassen auf dem Standesamt die Todesstunde seines Vaters angeben und mit dem freundlichen Beamten Bemerkungen über das Wetter austauschen konnte. — * * * * „Und was gedenkt Ihr zu thun?" fragte Henny, und richtete Hedwig'S Kopf sanft in di« Höhe, welche an ihrer Schulter sich ausgeweint hatte, während Axel dem Vater das letzte Geleit zum Friedhof gab. — Sie war allein bei den Schwestern geblieben, hatte zunächst mit Hilfe des Dienstmädchens das Zimmer, in dem der Sarg gestanden hatte und wo es nach Kerzen, frischem Holzlack und Blumen roch, aufgeräumt und wieder in seine alte Verfassung gebracht. Sie besaß trotz ihres lebhaften, leichtlebigen Tempe raments die Gabe, zu trösten, sie konnte einen traurigen Menschen so muthvoll teilnehmend anblicken; sie klagte nicht mit, aber sie hörte doch geduldig zu, und lenkte ganz unmerklich die Ge danken Hedwig's auf andere, mehr alltäglich« Dinge. — „Ich weiß eS nicht", antwortet« diese. „Axel sprach noch kein Wort mit mir darüber! Er ist seit Vater« Lod so ver-
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