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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980913018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898091301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898091301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-13
- Monat1898-09
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BezugS-PiE )n ber Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus- oabestellen abgeholt: vierteljährlich ^l4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- lhouS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche ttreuzbandiendung in- Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/»? Uhr. di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaction «nd Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- uuunterbroche» geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr» Filialen: Dtto Klemm s Tortim. (Alfred Hahn), Umversitätssrraße 3 (Paulinuß-j, LoutS Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. WpMer JaMalt Anzeiger. Ilmlsökatt des Königliche« Land- imb Ämtsgerichtes Leipzig, des Nathes ««d Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. -lnzeigeuPrei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dein Redactionsslrich ^ge spalten) 50^, vor den Familienuachrichtea (6gejpalten) 40 Gropere Schriften laut unserem Preis- vexznchniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderun.z SO.—, mit Postbeförderung ^ll 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeige» sind stets an Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig DieuStag dm 13. September 1898. 92. Jahrgang. Die Ermordung der Kaiserin von Gellerreich. Die anarchistisch-socialistische Bewegung in der Schweiz und in Italien. Die entsetzliche That deS Anarchisten Luccheni lenkt natur gemäß die Aufmerksamkeit in hohem Maße auf die anarchistische Bewegung in der Schweiz und in Italien. Zunächst muß daran erinnert werden, daß am 28. Juli v. I. in London eine Con- ferenz der Anarchisten aller Länder abgehalten wurde, in der unter dem Beifall italienischer Genossen die Beseitigung aller Throne als das wünschenSwertheste Ziel bezeichnet wurde. Als die Revolte im Frühjahr dieses Jahres in Mailand ausbrach, war der in Berlin erscheinende „Arme Conrad", das Blatt für die Aermsten der Anarchisten, Feuer und Flamme dafür. Große Dinge schienen sich in nicht allzuferner Zeit in Italien anzuknndigen, der freie SocialismuS sorge dafür, daß sie große Menschen finde, schrieb in Begeisterung daS Blatt. Daß die italienischen Anarchisten massenhaft ihr Domicil nach der Schweiz verlegt haben, ist be kannt; und es ist vielleicht immerhin erwähnenswerth, daß für anarchistische Zwecke in Deutschland nennenSwerthe Summen aus der Schweiz gekommen sind. Wie stark sich aber die italienischen Anarchisten in der Schweiz fühlen, dafür ist gewiß die Thatsache hoch interessant, daß sie seit wenigen Wochen in Neuenburg ein Agitationsblatt „L'Agitatore" herausgeben, in diesem Blatte ist die Propaganda der That in un geschminktesten Worten gepredigt worden, es ist wiederholt darin gesagt, daß man zum Siege nur durch Gewalttätigkeit kommen könnte. DieSprache dieses Blattes war dem in Zürich erscheinenden socialdemo- kratischcn Organ „Volksrecht" (Herausgeber Robert Seidel) so stark, daß es die Vermuthung aussprach, man habe es mit einem italienischen Lockspitzelblatt in der Schweiz zu thun. Daran ist natürlich zu denken; der „Sozialist", das Berliner Hauptanarckisten-Organ, kannte das Blatt in Neuenburg anfangs nicht, erklärte aber sofort, daß es sich um eine nieder trächtige Denunciation handeln müsse, deren Folgen leicht Aus weisungen und Auslieferungen italienischer Anarchisten aus der Schweiz sein könnten. In der nächsten Nummer rcclamirt ein Genosse B. den „Agitator" als ein rein anarchistisches Blatt, und das Socialistenorgan wird einer erbärmlichen Lüge geziehen. Also wir haben ein anarchistisches Hetz blatt schlimmster Art, das ungeschminkt für die Propa ganda der That eintritt, in der Schweiz. Das Hauptorgan der italienischen Socialisten, „Avanti", das mit dem citirten schweizerischen socia- listischen Organ bezüglich der Sprache in keiner Weise zu vergleichen ist, hat eine starke Verbreitung in der Schweiz, und cs hat anläßlich der Verurteilung einer Anzahl Socia listen in Italien eine recht aufregende Sprache geführt, also Brandstoff ist massenhaft verbreitet worden; und daß ein anarchistisches Organ in italienischer Sprache, das den Terrorismus der Gewalt feiert, nicht ohne Einfluß bleiben tonnte, war vorauszusehen; hätte es überhaupt eines Beweises bedurft, so hat ihn die entsetzliche That deS Anarchisten Luccheni erbracht. Aus dem Leben der Kaiserin. Kaiserin Elisabeth hatte am 24. December v. I. jihr 60. Lebensjahr vollendet, aber nicht dieses Alter war es, was seine Wirkung in ihrer äußeren Erscheinung ausgeprägt hatte. Im Gegentheil, ihre Gestalt war noch jugendlich schlank, aufrecht und leicht beweglich in Ganz und Geberde geblieben. Aber der tiefe Schmerz um den durch ein böses Geschick dahiugerafften Sohn und daS schwere Nervenleiden, von dem die Kaiserin schon seit Jahren heimgesucht war, daS hatte ihrem Antlitze die Spuren deS Grams und Schmerzes ausgeprägt und ihren Organismus aufs Tiefste erschüttert. Aus ihrer Trauer war daS Bcdürfniß der Einsam keit und der Zurückgezogenheit von der Welt, die krankhafte Scheu vor dem Leben und Treiben der Oeffentlichkeit hervor gegangen; dazu kam dann daS schwere Leiden, daS sich sowohl auf das Nervensystem, wie auf das Herz erstreckte und im heurigen Frühjahre einen so gefährlichen und be drohlichen Charakter annahm, daß in der kaiserlichen Familie und in der nächsten Umgebung der Kaiserin die ernsteste» Besorgnisse für ihr Leben gehegt wurden. Dieser Zustand der Kaiserin ist damals der Oeffentlichkeit bekannt gemacht worden, und die Kaiserin entschloß sich, nicht nur die ihrer Con stitution nicht zusagende Lebensweise zu ändern, sondern auch sich der Cur in Kissingen, dann in Nauheim zu unterziehen. In Nauheim erhielt sie auch kürzlich den Besuch des deutschen Kaiserpaares. Man weiß, welche überraschend günstige Wirkung namentlich die letztere Cur auf die Kaiserin ausübte; mit Befriedigung vernahm man, daß der Zustand der Schwäche und die krankhaften Erscheinungen der Herzthätigkeit glücklich behoben worden seien. Kaiserin Elisabeth begab sich von Nauheim nach dem Genfer See, wo sie zunächst in dem hochgelegenen Hotel von Mont de Caux weitere Erholung und Kräftigung suchte. Man konnte in Oesterreich sich der frohen Zuversicht hin geben, daß die Kaiserin nach den vielen Jahren seelischer und körperlicher Leiden ihre Gesundheit, ihre Ruhe und ihr Wohlbefinden wieder erlangen werde, und diese Hoffnung, welche das ganze Volk mit dem Kaiser und der kaiserlichen Familie theilte, ist nun durch den Mordstahl eines Ver brechers zerstört worden. Vor vierundvierzig Jahren — im April 1854 — hatte Kaiserin Elisabeth (wir folgen einer Biographie in der „N. Fr. Pr.") als jugendliche Braut von siebzehn Jahren, freudig und festlich begrüßt, ihren Einzug in Wien gehalten, in das nun ihre einem furchtbaren Fanatismus zum Opfer gefallene Leiche unter allgemeiner Trauer und Klage zurück gebracht werden wird, um in der Kaisergruft bei ihrem Sohne ihre letzte Ruhestätte zu finden. Wie eine Licht gestalt, wie ein Vorbote freundlicherer und glücklicherer Tage war damals die junge Kaiserin in Wien erschienen, wo über dem öffentlichen und geselligen Leben die Schatten der unerfreulichen politischen Verhältnisse lagen. Ihre Schönheit, die Freundlichkeit und Lieblichkeit ihre- Wesens wirkten wie ein Zauber auf alle Herzen. Man empfand es mit Befriedigung, daß der Bund, den Kaiser Franz Josef geschloffen, kein Werk der Politik sei, sondern aus inniger gegenseitiger Neigung geschloffen wurde. Man sprach damals in Wien und ganz Oesterreich nur von der jungen Kaiserin, Alles war entzückt über den Liebreiz ihrer Er scheinung, und zahlreiche Erzählungen über die Einfachheit ihrer Erziehung im väterlichen Hause, über die Anspruchs losigkeit ihres Wesens und über die ausgezeichneten Eigen schaften ihres Charakters und Herzens waren im Umlaufe. Prinzessin Elisabeth war am 24. December 1837 als die zweite Tochter des Herzogs Maximilian und der Herzogin Ludovica in Bayern im Schlöffe Poffenhofen am Starnberger See geboren worden, und dort hatte sie auch ihre Mädchenjahre in einem glücklichen Familienkreise zugebracht. Eines der schönsten und populärsten Bilder aus der Jugend der Kaiserin zeigte sie, die schon vor ihrer Ver mählung eine treffliche und passiouirte Reiterin war, zu Pferde im Parke von Poffenhofen. Ihre Verlobung mit Kaiser Franz Josef fand schon am 16. August 1853 in Ischl statt, wo damals Herzogin Ludovica mit ihren beiden ältesten Töchtern weilte und die Wahl des jugendlichen Kaisers auf Prinzessin Elisabeth fiel. Es war noch daS alte von Mauern und Gräben um gebene Wien, in welches am 23. April 1854 die Kaiserbraut ihren Einzug hielt, und die nach ihr genannte Elisabethbrücke, welche vor einigen Monaten der Demolirung verfiel, ist da mals eröffnet und eingeweiht worden. Am folgenden Tage sand in der Augustinerkirche die Trauung durch den Fürst- Erzbischof Rauscher statt, und fast eine Woche laug dauerten die rauschenden Festlichkeiten zur Feier der Ver mählung deS Kaiserpaares. Mit besonderer Genugthuung erfüllte eS die Wiener, daß die junge Kaiserin an der Seite des Kaisers so häufig mitten unter der Bevölkerung erschien, namentlich bei den Praterfahrten, und mit sichtlicher Freude die ihr dargebrachten Huldigungen entgegennahm. Bald nach der Vermählung unternahm auch das Kaiserpaar Reisen in alle Kronländer und Landeshauptstädte, und nicht blos in den deutschen und slawischen Ländern, sondern auch in Ungarn, in der Lombardei und in Venetien machte die Persönlichkeit der Kaiserin den gewinnendsten Eindruck, und cs wurde ihr, im Gegensätze zu der politischen Unzufriedenheit und Miß stimmung, die freudigste und herzlichste Begeisterung zu Theil. Man wußte Manches von den segensreichen Wirkungen ihres Einflusses zu erzählen und allgemein hieß eS, daß auf die Fürbitte der Kaiserin die Strafe des GassenlausenS beim Militair aufgehoben worden sei. Aber schon damals erlebte die Kaiserin den ersten Schmerz durch deu Tod ihres Kindes, der kleinen Erzherzogin Sophie, die — während der Reise des Kaiserpaares durch Ungarn — am 29. Mai 1857 in Ofen gestorben ist. Im folgenden Jahre wurde die Geburt eines Thronerben, des Kron prinzen Rudolf, mit Jubel begrüßt. Leider gab die Gesundheit der Kaiserin schon früh Ursache zu Besorgnissen, doch ist gerade dem damals befürchteten Uebel mit Erfolg vorgebeugt worden. Aber im Jahre 1860 fühlte sich die Kaiserin so angegriffen, daß sie sich nach Madeira be geben mußte, um dort in dem warmen südlichen Secklima sich wieder zu kräftigen. Auch im Jahre 1861 mußte die Kaiserin nack dem Süden gehen und nahm ihren ersten Aufenthalt in Corfu, von wo sie im Mai 1862 vollständig genesen zurück kehrte. Seit jener Zeit hegte die Kaiserin eine große Vor liebe für Corfu, wo sie sich bekanntlich das mit Werken der Kunst geschmückte Achilleion erbauen ließ, das erst in diesem Jahre in fremden Besitz übergegangen ist. Die Rück kehr der genesenen Kaiserin nach Schönbrunn ist von deu Wienern als ein Freudenfest gefeiert worden. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wendete die Kaiserin iyk^ttbhafteS^Interesse dem ungarischen Volke, seiner Sprache und LMratur und den übrigen Erscheinungen der nationalen Culttrk Ungarns zu. Sie lernte Ungarisch und eignete sich diese-Sprache mit einer Bollkommenbeit an, als ob sie eine geborene Ungarin wäre. ES war in Ungarn bekannt, welche Verehrung und Hochachtung die Kaiserin für Franz Deak hegte, mit welcher Auszeichnung sie ungarische Künstler und Schriftsteller behandelte, und als sich im Jahre 1867 der Ausgleich mit Ungarn vollzog, war eS zu nicht geringem Theile daS Verdienst der Kaiserin, die Herzen des ungarischen Volkes gewonnen zu haben. DaS bewies der Jubel, mit dem sie begrüßt wurde, als sie bei der ungarischen Krönung am 8. Juni 1867 in der nationalen Tracht der ungarischen Königin erschien. Die Kaiserin stand damals als Frau in de.r Blüthe ihrer Jahre, ihre hoheitsvolle Schönheit war zur vollen Entfaltung gelangt. Ihre aus gezeichnete Gesundheit gestattete es der Kaiserin, den Reit sport mit Vorliebe, zu pflegen und an den ungarischen Par forcejagden an der Spitze der Reiterschaar theilzunebmen. Schloß Gödöllö. mit seinem herrlichen Park war lange Jahre ein LieblingSausenthalt der Kaiserin, namentlich im Herbst, wenn sie von Ischl nach Ungarn kam. Besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt wendete Kaiserin Elisabeth der Erziebimg iUch^Kinder zu; der Unterricht und die Ausbildung des KronprjnDck Rudolf wurde zwar ihrer unmittelbaren Thcilnahme entrückt, als der Kronprinz unter die Leitung militairischer Erzieher kam. Dafür widmete sie sich umsomehr der Ausbildung ihrer Töchter, der Erz herzoginnen Gisela und Marie Valerie. Mit Freude begünstigte und förderte sie besonders die poetischen Neigungen der Letzteren, ihrer Lieblingstochter, und eS wurde ein Wunsch ihres Herzens erfüllt, als Erzherzogin Marie Valerie durch ihre Vermählung mit Erzherzog Franz Salvator der Mutter nicht entrückt wurde. Aber bereits zu Anfang der siebziger Jahre machte es sich bemerkbar, daß der Kaiserin die Thcilnahme bei öffentlichen Feierlichkeiten und bei den Hoffesten zur Last fiel, daß sie sich dem Zwang der Repräsentation möglichst zu entziehe» suchte und Aufenthaltsorte wählte, wo sie dem geräuschvollen Leben entrückt war und nicht mit vielen Personen zu verkehren brauchte. Der Kreis ihrerUmgebung wurde immer enger und beschränkte sich immer mehr auf Personen, die sich deS besonderen Vertrauens der Kaiserin erfreuten. Der große historische Festzug zur Feier der silbernen Hochzeit deS Kaiserpaares im April 1879 war eigentlich die letzte Ge legenheit, wobei die Kaiserin in Wien in der Oeffentlichkeit und vor den Augen der gesammtcn Bevölkerung erschien. Schon bei der Vermählung des Kronprinzen Rudolf mit der Kronprinzessin Stephanie nahm sie nur an den Hoffesteu Theil. Doch übte die Kaiserin noch lange Jahre eine Pflicht der Humanität, die sie sich selbst auserlcgt hatte, indem sie während ihres Aufenthaltes in Wien regelmäßig die Spitäler und andere Wohlthätigkeits-Institute be suchte und persönlich mit Kranken, Krüppeln und Noth- lcidenden sprach und sich nach ihren Leiden erkundigte. Auch in Ischl verkehrte die Kaiserin mit Vorliebe mit Landleuten, von denen sie nicht gekannt wurde. Das tragische Ereignis), des Jahres 1889, der Tod deS Kronprinzen Rudolf, war ein nieder schmettern der Schlag für die Kaiserin, von dem sie sich nicht mehr ganz zu erheben vermochte und ver gleichsam ihr ganzes Lebe» zerstört batte. Der Schmerz um den einzigen Sohn, den reichbcgabten, hoffnungsvollen Erben des Thrones, spricht sich in dem ganzen späteren Tbnn und Lassen der Kaiserin aus und trug auch viel zur Erschütterung ihrer Gesundheit und zur Erschöpfung ihrer seelischen und körperlichen Kraft bei. Das Schloß Achilleion in Corfu bat sie zu einer Stätte der Erinnerung an den Tobten gemacht. Trost für ihren Schmerz hat sie durch Versenken in die Dichtung gesucht, und daraus ist auch ihre Sympathie und Pietät für Heinrich Heine zu erklären. Sie führte ein Leben ganz allein mitsich selbst und schien der Erinnerung an das traurige Ereigniß entfliehen zu wollen. Obwohl schon leidend, unternahm sie die weiten Reisen, die sie in den letzten Jahren fast an alle Küsten des Mittelmeeres führten, zumal da sie auch glaubte, daß der Aufenthalt zur See ihrer Gesundheit besonders zuträglich sei. Mit dieser Lebens weise verband die Kaiserin eine Einfachheit und An spruchslosigkeit in Bezug auf Speise und Trank, die fast den Eindruck der Kasteiung machte und nicht ohne Nachtheil für die Gesundheit der Kaiserin geblieben ist. Erst zu Beginn dieses Jahres sah sich die Kaiserin durch ihren immer ungünstiger werdenden Gesundheitszustand zu einer anderen Lebensweise ver anlaßt, und es war, wie schon Eingangs erwähnt, alle Hoffnung aufihreWiederhcrstellnngvorhanden. MitncuerwachtemLebenö- muthe, mit gestärkten Kräften kam sie von Nauheim nach Mont de Caux am Genfer See und soll nach ihrer Ankunft in einem Briefe an den Kaiser ihr Bedauern ausgesprochen haben, daß er nicht mit ihr den Genuß der herrlichen Alpennatur theilen könne. Als sie hoffnungssreudig in ein neues, wiedergewonncnes Leben einzutreten schien, Hal sie au der Schwelle desselben der Tod von Mörderhand getroffen. Kaiserin Elisabeth ist einem verbrecherischen Fanatismus zum Opfer gefallen, vor dem sie schon vor vier Jahren mit Enlsetzen, Abscheu und Grauen erfüllt worden war. Die Kaiserin befand sich im Juni 1894 in Madonna di Campiglio und erwartete dort die Ankunft des Kaisers, der damals nach langer Zekt wieder einmal die Stadt Trient besuchte. Da erhielt die Kaiserin in der Einsamkeit von Campiglio die Nachricht von der Ermordung des Präsidenten Carnot. Sie wurde dadurch in die höchste Aufregung versetzt und sprach ihrer Umgebuug gegenüber die Be- sorgniß auS, daß dieses Verbrechen nicht vereinzelt bleiben werde: „Kein SaatSoberbaupt in Europa ist nun vor dieser Seele sicher." Namentlich fürchtete sic für die Sicherheit des Kaisers, wobei sie geradezu an die Frnilletoir. Eilyehiige aus dem Leben der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich-Ungarn. AuS dem Jubiläumswerke „Der Kaiser und seine Zeit", welches demnächst erscheinen wird, entnehmen wir Erinne rungen, welche Max Falk aus den sechziger Jahren mittheilt. Falk war zum Unterrichte der ungarischen Sprache und Literatur zur Kaiserin berufen worden. Es heißt in diesen Erinnerungen unter Andern:: Wenn Wissensdurst das Kennzeichen deS guten Schülers ist, so war Ibre Majestät das ideale Muster einer Schülerin. Ihr Geist war unablässig lbätig und sie dachte tief und energisch über die ernstesten Probleme deS Lebens und der Wissenschaft nach. Mit ihren scharfen Fragen brachte sie mich mehr als einmal in Verlegenheit; ich zog mich dann reckt und schlecht, oft nur mit Müh' und Noth auS der Affaire. So lasen wir gelegentlich — ich weiß nicht mehr, in welchem Buche — den Satz: „Alle Mächte der Hölle hatten sich gegen mich verschworen!" Ihre Majestät hielt inne, sah mir fest ins Auge und fragte: „Glauben Sie an die Hölle?" Es war keine leichte Sache, zu antworten; ich umging das Meritoriscke, indem ich erwiderte: „Majestät, ich habe darüber noch nie nachgedacht. Ich habe mein Leben seil jeher so eingerichtet, daß ich nichts BöseS mit Wissen und Wollen thue. Und nun ist meine Meinung: „Giebt eS keine Hölle, so kommt gar Niemand dahin; giebt eS eine, so komme wenigsten- ich nicht dahin." Tie Kaiserin lachte und wir fuhren fort in der Lectüre. Einmal kam die Rede auf daS Beten. Ibre Majestät bemerkte, sie gebe zwar viel in die Kirche, aber sie frage sich ost, ob sie die Kirche nicht noch öfter besuchen solle. Ich möge ihr meine Ansicht über diesen Punct mittheilen. „DaS Beten", erwiderte ich, „ist nicht wie eine Arznei, von der der Arzt vorschreibt, wie viel Löffel innerhalb so und soviel Stunden zu nehmen seien. Wenn wir beten, so geschieht da- nicht, um dem lieben Gott eine Gefälligkeit zu erweisen; er wisse ja ohnehin, lwaS er von uns zu halten habe. Da» Beste ist, wir beten so oft, al- unser Herz den Drang hat, sich vor dem Allmächtigen zu erschließen, und wir richten unser Thun und Lassen so rin, daß Gott mit uns jederzeit zu frieden ist, nicht bloS wenn wir betend auf den Knien liegen." Ein andere- Mal sprachen wir von Politik, al- Ihre Majestät mich mit der Bemerkung überraschte: „Man hat mir gesagt, daß die republikanische Regierungsform die zweckmäßigste sei." Ich blickte wie träumend um mich, ob die Mauern de» alten HabSburg'schen KaisrrschlosseS nicht über meinem Haupte Zusammenstürzen; solche Worte batten sie auS dem Munde einer Kaiserin und Königin gewiß noch nicht gehört. Auf meine Frage, wer Ihrer Majestät diesen Standpunkt dargeleat hahe, erwiderte die Kaiserin: „Ihr Iugendlehrer Graf Johann Majlatb." Der bekannte Ge schichtsschreiber, den wir Alle für einen Erz-Reactionair ge halten hatten, hat zu den ersten Erziehern der jungen bayerischen Prinzessin gehört. Ich sagte Ihrer Majestät, welche Meinung wir von ibm gehabt; die Hobe Frau vertheidigte ihn mit herzlicher Wärme, und als sie sich seine tragischen Lebensabschlusses erinnerte —GrafMajlath und seine Tochter stürzten sich gemeinsam in den Starnberger See — da traten Thränen in die Augen der Souvrränin.... Im klebrigen ließ die Kaiserin Jemanden, den sie um etwa« befragt batte, nicht ohne Antwort entschlüpfen. Sie kam also damals auf da- Thema der Republik zurück und wollte wissen, wie ich darüber dächte. „In der Theorie", sagte ich, „ist die Republik ohne Zweifel di« vernünftigst« Regierungsform (?); aber in unserem Baterlande, wo so verschiedene VolkSflämme zusammenwohnen, die in ihrer Cultur so wesentlich von ein ander abweichrn, kann nur di« Dynastie da« Band bilden, um die auscinanderstrebenden Elemente zusammenzuhalten. Darum wird bei uns noch lange die Monarchie die einzig geeignete Regierungsform bilden." Bei einer anderen Gelegenheit kam die Vorurtbeilslosig- keit Ihrer Majestät wieder einmal zu Tage. Die Rede kam auf die Werke Szechenyi'S; ich zählte vie wichtigsten auf. Als ich zu Ende war, meinte Ihre Majestät: „Aber ich habe noch von einer Schrift gehört, von irgend einem Blick. Was ist daS?" Es handelte sich um den in den fünfziger Jahren in London anonym erschienenen „Blick auf den anonymen Rückblick", ein Buck, das bei unS verboten war und nur bogenweise und unter Couvert ein geschmuggelt werden konnte. Es war etwa- Undenkbares, sich dieses Buch al» Lectüre einer Kaiserin von Oesterreich vor zustellen. So gut eS ging, suchte ich mir mit einigen nichts sagenden Phrasen als Antwort zu helfen. „Besitzen Sir diese» Buch?" fragte mich Ihre Majestät. „Es ist in der ganzen Monarchie verboten", gab ich zur Antwort. „Nicht darum habe ick Sie gefragt, sondern ob Sie eS besitzen." Ick schwieg. „Sie baden eS also. Bitt«, bringen Sie e» mir." — „Aber Majestät ..." — „Sie glauben also, daß ich solche Bücher nicht lesen darf?" Damit nahm die Kaiserin auS ihrer Tasche einen kleinen Schlüssel, öffnete eine Schublade ihre» Schreibtisches, holte ein Büchlein her vor und reichte es mir hin. Ich las den Titel: „Der Zer fall Oesterreich«". Es war eine in heftigstem Tone gehalten, Flugschrift, die unmittelbar nack dem österreichisch-preußischen Kriege erschienen war und große» Aufsehen erregt hatte. Der Verfasser führte rücksichtslos den Gedanken auS, daß der Fortbestand der HabSburg'schen Monarchie unmöglich sei und diese in kürzester Zeit zerfallen müsse. Wie diese« Buck, das ich natürlich längst kannte, in die Hände Ihrer Majestät gelangt war, da» habe ich nie erfahren können. . . . Ich starrte da» Titelblatt an und fand keine Worte. Meine Verlegenheit wuchs aber noch, al» Ihre Majestät fortfubr: Kennen Sie deu Verfasser diese» Buche-?" Nun wußte ich wirklich, wer eS geschrieben, ein gewisser Lang, ein junger Mann, dessen Vater seit Jahrzehnten in Diensten des Kaisers stand — er war, wenn ich nicht irre — Sckloß- hauptmann in Laxenburg. Dieser Umstand, der ein öffent liches Geheimniß bildete, erhöhte die Wirkung des Buckes noch. Natürlich hütete ich mich, der Kaiserin zu verratben, daß ich den Namen kannte. „Na, ich sehe", bemerkte die Kaiserin, „daß Sie den Verfasser nicht kennen; sollten Sie aber mit seinem Vater bekannt sein, so will ick Sie beruhigen, daß er keine Unannehmlichkeiten zu befürchten hat." Das Gespräch endete damit, daß ich versprach, Tags darauf den „Blick" mitzubringen. Wer, dem ein freundliches Geschick jemals Gelegenheit bot, mit der Kaiserin in kürzeren oder dauernden Verkehr zu treten, hat nicht an sich und Anderen rührende Proben dieser Güte und dieses Zartsinnes erhalten?! Tausend fältig haben sich diese HerzenSqnalitäten der hohen Frau bewährt, und die Dankbarkeit der Betroffenen ergießt sich in eine Begeisterung, welcher dereinst die Volksphantasie vielleicht die Züge zum Bilde einer segenspcndenden Märckcnfce entlehnen wird. Muß sie nicht wirklich als solche zum Beispiel der armen BahntrcigerSfrau in Eromer erschienen sein? Im Juli 1887 weilte die Kaiserin in diesem englischen Scebade. Als sie eine« Mittag« am Strande lustwandelte, sah sie plötzlich eine große Menschenansammlung und erfuhr, näher tretend, daß ein bei der Westbabn bediensteter Träger Namens Walter MouleS in derCee verunglückt sei. Die Kaiserin erkundigte sich nach der Wohnung deS Mannes und begab sich sofort dabin, wo sie die Frau ahnungslos mit den Kindern beim MittagStische fand. Sie rief die Frau beiseite und brachte ihr in schonendster Weise, um eine unvorbereitet robe Mittheilung zu Verbindern, die Kunde von dem Unfälle bei. Es war böchste Zeit gewesen, denn schon brachte man die Leicke. Mit dem Versprechen, sie vor Noth zu schützen, und mit den Worten: „Beten Sie für da» Seelenheil Ihre»
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