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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981007016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898100701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898100701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-07
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Reklamen unter dem RedactionSstrich l4ge- spalten) S0/<j, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» vr^eichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an d« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Bolz ia Leipzig 92. Jahrgang. Wohlsahrtseinrichtungen für Arbeiter in Dänemark. tfil. In Dänemark ist in den letzten zehn Jahren außer ordentlich viel gethan worden, um die Lage der arbeitenden klaffen zu heben. Einmal hat der Staat, dann aber haben auch Gesellschaften und Privatleute sich mit der Lösung der Arbeiter- wohnungsfrag« eingehend beschäftigt. Ferner srnd die Arbeit geber eifrig bestrebt gewesen, durch Pensions-, Alters versicherung-- und Krankenkassen und durch die Errichtung von Arbeiterheimen zur Linderung socialer Noth beizutragen. Aber nicht nur in materieller, sondern auch in geistiger Hinsicht wett eifern Staat, Gesellschaft, Wissenschaft, Professoren, Geistliche, Lehrer und Studenten miteinander, den Arbeitrrstand zu unter richten, fortzubilden und ihm sogar Interesse für Kunst und Wissenschaft einzuflößen. Besonders für die fachwiffenschaft- liche Ausbildung von Handwerkern und Arbeitern haben der Staat und industrielle Unternehmer in Dänemark durch Fachschulen, vor Allem aber durch reichlich bemessene Reisestipendien außer ordentlich viel gethan. Besonder» geschickte Arbeiter werden auch in der Heimath durch Stiftungen, Prämien u. s. w. fortgesetzt unterstützt. Die eine der drei großen Kopenhagener Studenten vereinigungen, nStuäontbrsLwtuuäM", hat schon seit dem December 1882 zahlreiche Unterrichtscurse für Arbeiter in Kopenhagen eingeführt. An diesen Kursen, die durch sechs Monate im Jahre stattfinden, nehmen einige Tausend Arbeiter Theil, und die sämmtlichen Lehrer, Kandidaten und Studenten unterrichten in diesen Kursen, die in zwanzig verschiedenen Localen der Stadt (meist in Volksschulen) abgehalten werden, unentgeltlich. Der Unterricht wird im Herbst und Winter Abends von 8 bis 10 Uhr ertheilt. Hauptsächlich ist dann auf dem Gebiete billiger und ge sunder Arbeiterwohnungen in Dänemark Außerordentliches in den letzten Jahren geleistet worden. Vielfach ist dem Arbeiter Gelegenheit geboten, nach einer bestimmten Anzahl von Jahren auf eine leichte Weise Besitzer des Häuschens zu werden, in dem er zur Mtethe gewohnt hat. Die Zahl der Arbeiter-Wohn stätten, welche der Staat, Gesellschaften und Private für Ar beiter unter ganz besonders günstigen Bedingungen eingerichtet haben, beträgt jetzt in Kopenhagen 3806. Diese Wohnungen bestehen im Allgemeinen aus zwei luftigen, Hellen Zinimern mit Küche, bisweilen aus drei Zimmern mit Küche und Alkoven. So z. B. befinden sich diese größeren Wohnungen besonders häufig in den Arbeiterhäusern der Brauerei Oarisdorg' (Neu-Carlsberg). Hin und wieder zahlen die Arbeiter für ihre Wohnungen in diesen Humanitären Anstalten auch nicht eine Krone Miethe. In der Regel wird aber ein kleiner monatlicher Zins von 6 bis 10 Kronen (die Krone — 1,12 o/i) entrichtet. Nach zehnjähriger Miethszeit wohnt der Arbeiter noch billiger, nach 20jähriger meist gänzlich miethsfrei. Eine ganze Reihe Vereinigungen hat sich nun den Bau von Arbeiterwohnungen und Arbeiterhäusern besonders angelegen sein lassen. In erster Linie muß hier erwähnt werden der Verein „Urenivgen kor ^Ickeräom8boliger" (Verein zum Bau von Wohnungen für alte Arbeiter). Dieser Verein hat eine große Anzahl Gebäude mit Arbeiterwohnungen in Kopenhagen, Odense und Aalborg aufgeführt. In dm Häusern dieses Vereins wohnen die Miether nach 20 Jahren vollständig miethsfrei. Weiter sei erwähnt .^rdsiäorne8 L.vggeseromng" (Arbeiter- Bauverein), der 1866 von den Arbeitern Burmester und Mains begründet worden ist. Diese Gesellschaft baut Ein- und Zwci- Familtenhäuser. Jedes Mitglied zahlt einen Eintrittsbetrag von 2 Kronen und ^inen Wochrnbeitrag von 35 Deren. Hat der Verein einige Häuser — ein solches Arbeiterhaus stellt sich im Durchschnitt auf 7000 Kronen — aufgeführt, so verloost er die Häuser an die Mitglieder. An dieser Verloosung kann jedes Mitglied, das mindestens ein halbes Jahr seine Beiträge pünkt lich bezahlt hat, theilnehmen. Dasjenige Mitglied, das ein Haus gewonnen hat, zahlt noch 6 Jahre seine Wochenbeiträge an den Verein weiter und dann erhält es das Haus zum unbe schränkten Eigrnthum. Von sonstigen Humanitären Arbeiter- Wohnungen verdienen weiter Erwähnung die Frriwohnungen für die Schiffsarbeiter der königlichen Wersten (sogmannte Marinearbeiter-Wohnungen) und die große Arbeiterhäuser-An- lage „6Ia886U8ks Lolixer" (die Wohnungm Clafsen's.) Diese Classen'schen Arbeiterhäuser wurden auf Kosten des Classen'schen Fidei-Eommiß errichtet, dessen Grundkapital über 3 Millionen Kronen ^beträgt. „0Iu888N8lcv Lotiger" ist ausschließlich für Arbeiterfamil'im bestimmt; diese Anlage besteht aus einem Hauptgebäude mit Waschhaus, einer Wohnung für den In spektor, Kinderasyl, Kirche und 24 zweistöckigen Gebäudereihen, letztere auf beiden Seiten von kleinen Gärten umgeben. Die „0lu38eo8ik6 - üolixor"-Anlage, die in Frederiksberg, einem 65 000 Einwohner zählenden Vororte Kopenhagens , sich be findet, bildet eine vollständig kleine Stadt für sich, in welcher etwa 1600 Menschen sehr billig wohnen. Auch die sogenannten „Heimstätten deS Aerztevereins" verdienen hier Erwähnung. Dieses sind keine Wohnungen für Aerzte, sondern von Aerzten für arme Arbeiter gestiftet. Diese Anlage wurde im Jahre 1853, als in Kopenhagen eine heftige Choleraepidemie herrschte, vom Aerzteverein außerhalb der Stadt aufgeführt. Die Aerzte betrachteten es nämlich für nothwendig, der Menschen-An- häufung, die damals in den Arbeitervierteln Kopenhagens herrschte, entgegen zu treten und auch den Unbemittelten gesunde Wohnungen zu verschaffen. Von anderm Arbeiterwohnungen, di« durch Fabrikanten u. s. w. ins Leben gerufen worden sind, verdienen vor Allem noch die Arbeiterwohnungen der Tuch fabriken in Brede und Hörsholm Erwähnung. Die Arbeiter wohnungen der Tuchfabrik Hörsholm, die etwa 250 bis 280 Leute beschäftigt, bestehen aus Wohnungen, welche theils zwei, theils drei Zimmer hab«n. Für die ersteren wird eine JahrcS- miethe von 91, für di« letzteren eine solche von 98 Kronen bezahlt. Ebenso wie auf dem Gebiete billiger und gesunder Arbeiter wohnungen in Dänemark und speciell in Kopenhagen viel zur Linderung socialer Noth geschehen ist, hat man auch durch Stif tungen für arme und invalide Arbeiter und Arbeiterwittwen Tüchtiges geleistet. Hervorzuheben ist die Stiftung .^iäsrs- tro8t" (Trost des Alters), dj« für alte, würdige Arbeiter oder ,Wittwen mit unverheirutheten Töchtern eingriichtec ist. ,-Hcksr8tro8t," besteht aus zwei je fünfstöckigen Gebäuden in Kopenhagen auf einem Grundareal von 310 000 Quadratellen. 448 Bewohner dieses Instituts haben nicht nur freie Wohnung, Heizung, Licht, freien Arzt, freie Apotheke u. s. w., sondern er halten noch jedes Jahr 50 Kronen baar. Auch die Corporation „llnllä^erker-b'eronillgoll" hat eine Stiftung mit 64 Frei wohnungen für alte Kleinhandwerker und 'deren Wittwen ge schaffen. Was die Armenhilfe anbelangt, so hat Kopenhagen in dem „^Iminlioligt öo8pital'l (Allgemeines Hospital) ein von der Commune nach allen hygieinischen Anforderungen aufgeführtcs Institut, das etwa 1600 Männern und Frauen, die weder ar beiten können, noch das Nothdürftige besitzen, Unterkommen ge währt. Endlich sei noch erwähnt, daß mehrere große gewerbliche Anlagen, wie die alt« Carlsbergsche Brauerei und die neue Carls- bergsche Brauerei, Pensionscassen, Sparkassen u. s. w. für ihre Arbeiter geschaffen haben. In der alten Carlsbergschen Brauerei (270 Arbeiter) sind alle Arbeiter nach lOjähriger Dienstzeit pensionsberechtigt. Die Pensionscaffe der Brauerei besitzt zur Zeit etwa 2H Millionen Kronen. Die Einzahlungen der Arbeiter werden mit 5 Procent verzinst. In der Brauerei Neu-Carlsberg (230 Angestellte und Arbeiter) beträgt der durchschnittliche Jahreslohn eines Arbeiters 1600 Kronen. Aus dem 1881 begründeten sogenannten Carlsbergschen Familien legat werden Arbeitern, die infolge von Krankheit und Schwäche ihre Familie nicht ernähren können, ansehnliche Unterstützungen gezahlt. Hat in der Neu-Carlsbergschen Brauerei rin Arbeiter zehn Jahre gedient, so legt di« Brauerei vom elften Jahre ab für den Arbeiter jährlich IM Kronen in die Pensionscaffe, welche Summe sich so verzinst, daß sie nach zehn Jahren 1214, nach 30 Jahren 57M Kronen beträgt, die dann der Arbeiter aus gezahlt erhält. Alle Arbeiter der Neu-Carlsbergschen Brauerei haben Arzt, Apotheke, Hospital frei und der kranke verheirathete Arbeiter bekommt den ganzen Lohn während seiner Krankheit voll ausgezahlt. Die Brauerei hat außerdem ihre sämmtlichen Arbeiter gegen Unfall, und zwar bei Unfall, von tödtlichem Ausgange begleitet, mit 2000 Kronen, bei Verletzung, wodurch Arbeitsunfähigkeit hervorgerufen wird, mit 1M0 Kronen ver sichert. Infolge dieser für di« Arbeiter so außerordentlich günstigen Verhältnisse herrscht auch zwischen der Brauerei als Arbeitgeberin und den Arbeitnehmern das denkbar beste Ein vernehmen. Ein von der Brauerei in den Dienst genommener Arbeiter sucht daher auch di« Einmal erlangte Stellung für immer zu behalten. Deutsches Reich. Berlin, 6. Oktober. Verdienste deS socialdemo kratischen Parteitags. Wenn der socialdemokratische Parteitag die Aufgabe hätte, wichtigste Puncte der socialdemokratifchen Theorie und der socialdemo kratischen Praxis an den Pranger zu stellen, so hätte dieses Geschäft nicht besser besorgt werden können, als es durch zahlreiche Redner am zweiten Verhandlungstage ge schehen ist. Solche Puncte sind u. A. — auf alle können wir im Augenblicke nicht eingeben — folgende: die „fried liche" Eroberung der politischen Macht, dieFrauen- Emancipation, die Freiheit in Rede und Schrift, die Agitation des „Vorwärts". Den ersten Punct bat unter stürmischem Beifall und Händeklatschen eine Autorität der Socialdemokratie, der „Partei-Theoretiker" KautSky, für falsch erklärt. Er bekämpfte den Widerspruch deS be kannten socialistischen Schriftstellers Bernstein gegen die „Katastrophen-Theorie", indem er nach dem Bericht deS „Vorwärts" sagte: „DaS Proletariat muß bei unS die poli tische Macht erobern. Wird das gehen ohne Katastrophe? Ich wünsche (!) es, aber ich glaube eS nicht.. . Wu werden siegen, aber nicht auf dem Wege, den er (Bernstein) vorschlägt." Wie KautSky hat auch Bebel in einer kurzen Erklärung, deren Wortlaut der „Vorwärts" noch nicht mittheilt, sich ausgesprochen. Werden die frei sinnigen und nationalsocialen Herolde der „Mauserung" der Socialdemokratie auch angesichts dieser neuesten Zeugnisse wagen, das Märchen von der Umwandlung der Social demokratie in eine „radikale Reformpartei" weiter zu er zählen? Ganz so offen wie gegen die Legende deS friedlichen Hineinwachsens in den Zpkunstsstaat haben die „Genoffen" Auer und Fendlich über das socialdemokratische Verlangen nach vollständiger Frauen-Emancipation sich nicht aus gesprochen. Aber das Vorgehen der „beiden Parzen" gegen den „Genossen" Heine, der rothen Rosa (Luxemburg) und der rotben Clara (Zettkin) hat ihnen doch artige Bekenntnisse entlockt, die zeigen, daß selbst den unerschrockensten Partei größen vor der Frauen-Emancipation zu grauen anfängt. „Als ich die Genossin Zettkin", so sagte Auer laut dem „Vorwärts", „gestern so herunterschmettern hörte, da habe ich mir doch gesagt:»und das ist das unterdrückte Ge schlecht! Was soll da erst einmal werden, wenn daS frei und gleichberechtigt ist!" Und „Genosse" Fendrich, dem einige Delegirte zu seiner Rede „gegen die Weibsleute" gratulirten (!), verlangte von letzteren klipp und klar als Preis für die Emancipation den Verzicht auf daS Vorrecht, höflich behandelt zu werden. Wie schmeckt das unseren bürgerlichen radikalen Frauen rechtlerinnen? Die „beiden Parzen" Rosa L. und Clara Z. haben aber nicht nur das wenig verschleierte Verdick über die Frauen-Emancipation herauSgefordert, sondern sic vor nehmlich sind cs auch, deren Angriffe auf den „possibilistischeu" Heine die Bedrohung der Freiheit in Rede und Schrift durch fanatisch radikales Gebühren aller Welt vor Augen führen und dementsprechend sogar von den eigenen „Genossen" bewerthet wurden. Dem tbatsäcklichen Schweigen des angegriffenen Heine auf die Polemik der „Sachs. Arbeiterztg." gab Auer die theoretische Grundlage, indem er, immer nach dem Bericht des „Vorwärts", aus rief: „Preß- und Redefreiheit wird unmöglich, wenn man einen Ton anschlägt, der es einem Anderen unmöglich macht, darauf noch zu antworten." Sonst pflegt die „kernige" Aussprache der „Genossen" untereinander als löblicher und unentbehrlicher Bestandtheil der wahren Demokratie gepriesen zu werden, hier haben wir einmal ein Eingestänvniß des wahren Sachverhaltes. Ein weiteres aus dem Munde deS „Genossen" Stadthagen ist besonders für den „Vorwärts" beschämend. Wie wir seiner Zeit nicht unerwähnt ließen, hatte der „Vorwärts" nach dem Vorgang der „Sächsischen Arbeiterzeitung" dadurch politische Brunnenvergiftung getrieben, daß er versickerte, die „Zuchthausvorlage" könne auch vom preußischen Landtage angenommen werden. Stadthagen nannte dieses Verfahren, zur Betheiligung an den Landtagswahlen anzureizen, „ent weder Unwissenheit oder Demagogie". Komischer Weise legte Herr Singer als Vorsitzender Verwahrung da gegen ein, daß der Vorwurf der Demagogie gegen „Genossen" erhoben würde, die abwesend seien. AlS ob der Chefredacleur des CentralorganS, Liebknecht, nicht zur Stelle gewesen wäre! Noch komischer aber wirkt eS, den Vorwurf der Demagogie auS dem Munde des Herrn Stavtbagen, überhaupt aus dem Munde eines socialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, zu hören. WaS würde aus den Reden aller dieser Herren, wenn die demagogische Würze sortbliebe?! Und nun gar die Reden des „Genossen" Stadthagen! Klagen diese Herren über Demagogie, so ist daS nichts weiter als politische Heuchelei. * Berlin, 5. October. Ueber die heutige Audienz des Gesandten der Burenrepubli! vr. Leyds beim Kaiser er hält .die „Frankfurter Zeitung" von hier ein Telegramm, welches besagt: „vr. LeydS soll von seiner Antritts audienz beim Kaiser und dem Empfang, den er diesmal hier gefunden hat, durchaus befriedigt sein. Der Her gang beweist jedenfalls, daß auf beiden Seilen Werth auf die Fortdauer der guten Beziehungen zwischen dem Reiche und der kleinen Republik gelegt wird, und daß solche gute Beziehungen auch möglich sein werden, nachdem die im englisch-deutschen Ab kommen vorausgesehenen Eventualitäten eingetreten sein werden. ... Auch die Erwägung liegt nahe, daß man sich in Prätoria sagt, daß in Berlin Stimmungen schnell wechseln und daß man ruhig abwarten muß, welche Stimmung die spätere Erfüllung des englisch-deutschen Abkommens erzeugen wird." Wir wissen nicht, wie weit die Information des Correspon- denten der „Frkf. Ztg." über den Verlauf der Audienz zu treffend ist; wahrscheinlich ist jedenfalls, daß in der Audienz der Rahmen des höfischen Ceremoniells nicht überschritten worden ist, so daß allerdings vr. Leyds „durchaus befriedigt" sein kann. Die weitere Prophezeiung, daß gute Beziehungen zwischen Deutschland und Transvaal auch nach Eintritt von Eventualitäten möglich sein werden, hat wohl mit allen anderen Prophezeiungen gemein, daß sie eintreffen können — oder auch nicht. * Berlin, 6. October. Das Gesetz gegen den un lauteren Wettbewerb hat schon manche segensreichen Folgen gehabt. Von der ganzen einsichtigen Geschäftswelt aber würde es mit größter Freude begrüßt werden, wenn die Gerichte sich allgemein auch einer Auslegung dieses Ge- Onkel Äloys. Eine Münchener Octobcrfcst-Novellcttc. Bon A. von Klinckowstroem. Nachtruck verbot««. Onkel Aloys war nämlich ein Erbonkel. Nicht etwa, daß die Erbschaft in Bälde zu erwarten gewesen wäre, denn er stand noch in den Vierzigern und erfreute sich einer guten Gesundheit; doch war er bisher trotz seines stattlichen Aeußeren dem weiblichen Geschlechte gegenüber standhaft ge blieben. Dies lag nun freilich an dem Umstand, daß der Be trieb der großen Dampfsägemühle, durch den er sein bedeutendes Vermögen erworben, ihn in dem weltentlegenen kleinen Ort am Ufer deS Lech sesthielt und ihm keine Gelegenheit gab, eine Wahl zu treffen. Immerhin durfte sich die Familie Neuhuber in dem Gedanken sonney, daß dieses Vermögen die Bestimmung haben werde, die Zukunft der zahlreichen kleinen Neuhuber» zu sichern. Bei jeder Gelegenheit wurden ihm die zartesten Aufmerk samkeiten in Gestalt von Sophakissrn und gestickken Pantoffeln zu Theil, und kam er, was selten genug geschah, in Geschäften nach München, so erfaßt« di« Kinder ein Schrecken, denn eS wurde dann eine Musterausführung von ihnen verlangt, wie man sie höchstens von jungen Engeln erwarten durfte. ES muß leider gesagt werden, daß er nicht „kinderlieb" war, und ein so saur«S Gesicht machte, wenn seine Schwägerin ihm mit süßem Lächeln eine» ihrer Kleinen auf den Schooß setzte, daß da» betreffende Kleine regelmäßig in ein Geheul auSbrach, ob gleich eine Züchtigung ihm hierfür sicher war. Die jüngeren Glieder der Familie gaben sich daher einer lauten Entrüstung hin, al» der Onkel sich gerade zur Zeit deS Octobrrfeste» anmeldete. Da» ganze Fest, bei dem doch jedem Münchner Kindl da» Herz im Leib« hupst, schien ihnen ver pfuscht, denn da er in den letzten Jahren di« Gewohnheit ange nommen hatte, bei ihnen abzusteigen, um die theure Hotel wohnung zu sparen, war die Mutter während seiner Anwesen heit ungebührlich mit der Herstellung all' der guten Dinge in Anspruch genommen, di« geeignet schienen, seinen Magen zu erfreuen. „Was meinst, Nandl, kunnt mer nit dem Loys a wenig Plaisir machen?" schlug Neuhuber seiner Frau vor, ehe er sich anschickte, den erwarteten Gast von der Bahn abzuholrn. „Aufs Fest wird er nit mögen, er es halt so a Stiller. Vielleicht kunnt mer mrt Nachbar Prantl und sei Laite na'n Augustiner." „Bist verrückt. Bastel! Nit wohr? Damit daß er sich in Prantl sei Rest ihre roth und weiße Visage vergafft? Noachher haben unsere Kinder das Noachsehn. Naa, nix von dem Frauen zimmer! Altes Holz brennt lichterloh, wann's anziindt wird, und die Resi Prantl, die wär mer grad' die Rechte dazu, mit ihr Charmiren und Kok«ttir«n. Er geht halt auf die Wiesen mit, oder mer bleiben allesammt dahaam." Die Kinder machten lange Gesichter, doch zu allseitiger an genehmer Ueberraschung erklärte Onkel Aloys, als man ihm den Fall gleich nach seiner Ankunft unterbreitet«, er habe Lust, sich am Nachmittag das Spectakel auch einmal anzusehen. Nein, keine Umstände seinetwegen, kein Wagen! — (den man ihm anbot, in der Hoffnung, daß er ihn bezahlen werde.) — Er füge sich ganz den herkömmlichen Gewohnheiten! Ganz vergnügt stapfte er in der Mitte der Seinen vom nörd lichsten Stadttheil nach der Theresienwiese hinaus, und spielte sich al» den Großstädter auf, den nichts in Erstaunen zu setzen ver mocht«. Trotzdem stockte ihm ein wenig der Athem, als er der ungeheueren Zelt- und Budenstadt ansichtig wurde, welche auf der Wiese entstanden war, und der vieltausendköpfigen Menge, die dazwischen hinwogte. Ein bedeutender Lärm scholl ihnen schon von Weitem entgegen. CarousselS und russische Schaukeln ließen ihre Orchestrions gegen einander anspielen; laute Glocken töne und noch gellendere Ruf« verkündeten hier,, daß daS welt berühmte Theater von Bachmeier binnen Kurzem seine Vor stellung neu beginnen werde, luden dort zur BesicÄigung deS Wachsfigurencabinets und zu geheimnißvollen Spiritistenöffen barungen rin. Glückshafen und Würfelbuden, Messer und Feuer schluckende Männer, Bratwurst!- und Hähndlröfiereien, Nudelbäckereien wurden kreischend angepriesen und aller Orten dazwischen erhoben sich die weithin leuchtenden Firmenschilder der stolzen Münchener Bierdynastien, der Pschorr- und Spaten«, Löwen- und Augustiner-, Zacherl«, Eberl- und Hackerbrauereien. Onkel Aloy» empfand eine gewisse Beklemmung bei dem Ge danken, sich in diesen Wirrwarr hinein zu stürzen, und klammerte sich an den Arm seines Bruders. Sein großstädtisches Gebühren ließ ihn im Stich. „Stern Sakra! Was stinkt denn hier so?" fragte «r bestürzt und hielt sich das Sacktuch vor die Nase. „Des is die Häringsbraterei. Der Geruch gehört alleweil zum Octoberfest." „Da meint man ja, man müßt umkommen. Glaubt's nit, daß mer besser thun thäten, umzukehren? Stundenlang döse miserablige Luft einathmen zu muffen " Die Schwägerin empfand in ihrem Localpatriotismus die Mißachtung dieses li«bgewohnten Geruches unangenehm, doch lenkte sie freundlich seine Aufmerksamkeit davon ab und auf den Umzug der Schützen, der mit Trompetengeschmetter vor sich ging, nannte auch Diesen und Jenen aus der schmucken graugrünen Schaar, d«r sicher sei, einen Meisterschuß zu thun. Dann nahte der Zug der Winzer und Winzerinnen, die be kränzt mit Weinlaub und Reben in phantastischen Maskenanzügen auf abenteuerlichen Gefährten und schwerfälliden Rossen daher- kamen. Fahnenträger und tanzend« Buben m Narrenkleidung und Schellenkäppchen schritten den einzelnen Abtheilungen voraus. Es war nicht recht ersichtlich, was diese allegorischen Ver treter des Weinbaues auf dem Octoberfeste zu suchen hatten, die weil in Münchens Umgegend wohl noch nie eine Reb« über den Grad der Essigsäure hinausgekommen ist, doch Onkel Aloys fand die ehrsamen Bürgertöchter in ihrer wunderlichen Verkleidung so prachtvoll, daß seine Ausbrüche deS Staunen» bei den Um stehenden Heiterkeit erweckten. Man sah ihm trotz seiner Statt lichkeit den Provinzler auf hundert Schritt an, und die lachenden Bemerkungen, zu denen sein Benehmen Veranlassung gab, wur den der Schwägerin peinlich. „I mein halt, mer trinke jetzt a Maaß", schlug sie vor; doch der Schwager, der allmählich an dem lustigen Getümmel Ge fallen fand, war nicht zum Niedersetzen zu bewegen. Alles wollte er sehen, in jede Bude hinein. „Bleibt'» nur bei mir!" rief er froh gelaunt. DaS war leichter gesagt, als gethan. Frau Neuhuber hatte genug zu schaffen, ihre kleine Schaar zusammenzuhalten, und während ihr Mann einen Bekannten begrüßte, schob sich eine Menschenwoge unwiderstehlich zwischen O Angehörigen. Eben hatte er noch entzückten Blickes die Auslagen eines Verkaufsstandes betrachtet, wie er sich umwandte, waren die Seinen ihm entschwunden. Rathlos lief er hin und her, rief nach ihnen, folgte eilig einem Frauenhut, der dem seiner Schwägerin ähnlich sah, indem er sich mit den Ellenbogen verzweifelt den Weg bahnte, um dann zu finden, daß ihn der Hut getäuscht und er die Richtung total ver loren hatte. „Hoben S' nit mei Bruder gesehn?" fragte er überall. „Lassen S' mi passiren, ich muß zu mei Familie zurück!" Man lachte über seine Verzweiflung, und belustigte sich da mit, ihn die Kreuz und die Quer zu schicken, unter dem Vor geben, die Familie eben noch da oder dort gesehen zu haben. „Wen suchen S' eigentlich?" fragte eine freundliche Stimme, und umschauend sah er in ein rundliches rosiges Gesichtchen, das ihn theilnehmcnd betrachtete. „Ach, Fräulein! Ach, wann S' mi helfen thäten! Den Bastel Neuhuber such i und sei Familie. I kenn mi hier nimmer aus." „Meinen S' den Neuhuber auS Maaßmannstraße mit dene sechs Kinder?" „Freili, eben den." „Da könnt i Ihne schon helfe. Die Neuhuberin kenn i gut. I bin a aus der Maaßmannstraße." „Ach, Fräulein; wann S' so gut sein wollten." Er betrachtet« sie jetzt genauer. Es war wirklich ein bild sauberes Mädel mit herzigen Augen und läßlichen frischen Lippen. Ihm lachte das Herz bei d«m Anblick. „Wer sind S' denn?" fragte sie unbefangen. „Dem Neuhuber sei Bruder." „Nachher sind S' wohl gar Onkel AloyS?" entfuhr eS ihr schelmisch, denn die Hoffnungen der Familie auf die Erbschaft waren in der Nachbarschaft wohlbekannt. „Da hätten S' aber schon älter sein dürfen." Er reckte geschmeichelt die wohlgebaute Gestalt und seine be kümmerten Augen nahmen einen lebensfreudigeren Ausdruck an. „I worum soll i denn gar so arg alt sein?" „Nu, i mein halt nur." Sie wurde verlegen, und das kleidete sie reizend. „Bleiben S' hier stehen, und rühren S' sich nimmer vom „I lauf rasch, mei Eltern Bescheid sagen nkel Aloy» und seine j Fleck", schlug sie vor.
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