02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981022021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102202
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-22
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Mend-Ansgal>e. VtMgcr TagMM Anzeiger. NmLsvM des H'ömgkichen Land- und ÄmLsgerichtes Leipzig, des Rathes und NEzei-Ämtes der Ltadl Leipzig. Nnzeigen-PreiS die 6 gespaltene Peiiizeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strtch spalten) LO-^, vor den Familirnnachrichte» (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zifferasatz nach höherem Taris. Ertra-Beilagen (gesalzt), n»r mN der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderun; 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Aunahmeschiuß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bonnittsgs 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, Sonnabend den 22. October 1898. 92. Jahrgang. DezugS-PrelS N» tzenrptexpchttio» oder de» t» Kaidd» b«irk und den Vororten errichtete» Anr aabestellen abgrholt: vierteljährlich^4.50, v«i zwetmaliaer täglicher Zustellung in» Ha»» Lurch die Post bezogen für Deutschland u»d Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Direete tägliche Kreuzbandsendung tu» AuSlaud: monallich 7.bv. Die Morgen-AuSgabr erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag« um 5 Uhr. Redaktion «nd Expedition: JohanneSgasfe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen «eösfn^ von früh 8 bi« Abeud» 7 Uhr. Filialen: vtt» Klemm'» Sortim. (Alfred Hahak Universitätsstraße 3 (Paulinu»), Loui« L-sche, Katharinenstr. 14, Part. und König-Platz 7. 538. «S——————s—! Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. October. Der ber „Nordd. Allgem. Ztg." von amtlicher Seite zur Veröffentlichung übergebene und in unserem heutigen Morgenblatte mitgetheilte Auszug aus der Berichterstattung de» deutschen Consuls in Alexandria über den anarchistischen Mordanschlag gegen da» deutsche Kaiserpaar löst die Frage noch nicht, woher die nach Alexandria gekommenen und dort durch ihr Treiben verdächtig gewordenen Anarchisten stammen und wo zuerst der teuflische Plan ersonnen worden ist; aber er enthüllt die zur Ausführung dieses Plane» getroffenen Vorbereitungen wenigstens so weit, daß rin Zweifel an der schweren Gefahr, in der das kaiserliche Paar geschwebt hat, nicht mehr möglich ist. Am wenigsten haben Wohl aus mehr als einem Grunde die deutschen Anarchisten einen solchen Zweifel gehegt; sie wissen zu gut, was sie ihren Genossen zutrauen und von ihnen — erwarten dürfen. Das anarchistische Blatt „Neues Leben" tischt zwar in seiner letzten, gestern erschienenen Nummer in einem „WaS die Anarchisten erstreben" überschriebenen pro grammatischen Artikel das Märchen auf, das politische und das sociale Attentat sei nicht ein „besonderes" Merkmal der anarchistischen Bewegung. Aber ganz abgesehen davon, daß die Betonung deS Wortes „besonderes" das Geständniß ein schließt, politische und sociale Attentate seien ein Merkmal der anarchistischen Bewegung, hilft dieser schwache Ableug nungsversuch nicht über die Thatsache hinweg, daß Netscha- jew's Lehre von der Propaganda durch die That, die Em pfehlung des Attentats ausschließlich zur Verbreitung der Zdee deS Anarchismus, fast von der gesammten Anarchisten partei der Welt angenommen und verwirklicht worden ist. Die Hinfälligkeit jenes Ableugnungsversuches wird aber vollends durch die Erklärung dargethan, die das „Neue Leben" ihm zu Theil werden läßt, indem eS schreibt: „Man verstehe meine Ausführungen nun aber nicht dahin, daß ich etwa jede Gemeinschaft mit den anarchistischen Attentätern zurückweise, oder über ihre Handlungen abfällig urtheile. Zu ersterem habe ich keine Veranlassung und zum letzteren kein Recht. Denn wer für seine Ueberzeugung sein Haupt aus den Block legt, oder vor jahrelanger Einkerkerung in Zuchthausmauern nicht zurückschreckt, der kann wohl in einem schweren Jrrthum befangen, niemals aber ein Ungeheuer, ein Scheusal sein. Sich seines Leben- zu entäußern, um seinen Grundsätzen treu bleiben zu können, was kann es Idealeres geben?! Und aus der anderen Sexte: wie sollte ein Mensch sich anmaßen dürfen, über «inen anderen abzuurtheilen, der eine That begeht, mit dem Bewußtsein, sich durch dieselbe aus den Reihen der Lebenden zu löschen? Individuen, die so stark und unerschrocken handeln, sind keinem sremden Urtheile zu unterstellen, sie haben nur einen Richter über sich: sich selbst. ES würde auch sicher anders von den Handlungen dieser Männer gedacht werden, wenn es möglich wäre, in Deutschland die Ausführungen zu veröffentlichen, welche sie vor den Gerichtshöfen gemacht haben. Alle ihre Reden zeigen es klärlich, daß die Empörung über unerhörte Ungerechtig keiten und Greuclthaten es war, die ihnen das leidenschaftliche, un bezwingliche Gefühl nach Rache erwachen ließ und sie zur Bethätigung dieses Gefühles führte. Nirgends ist der Spruch: „Alles verstehen, heißt alles verzeihen" mit mehr Recht anzu wenden, als hier, wenn überhaupt der Ausdruck „verzeihen" in diesem Falle am Platze ist." Unverfrorener kann das anarchistische Verbrechen nicht entschuldigt und verherrlicht werden. Der gestern mitgetbeilten, zweifellos aus industriellen Kreisen stammenden Kundgebung der „Berk. Polit. Nachr.", in der nicht nur die socialdemokratische Ausstreuung, die Industriellen seien Gegner des CoalitionSrcchtS der Arbeiter und würden jeden Gesetzentwurf begrüßen, der eine Beschränkung oder gar Beseitigung dieses Gesetzes bezwecke, auf das Entschiedenste bestritten, sondern auch dargelegt wird, daß die Industriellen nichts verlangen, als die Wahrung des Vertragsrechtes und den vollen Schutz der Arbeitö- freiheit, folgt heut« eine Kundgebung auSArbeiterkreisen, die den erfreulichen Beweis liefert, daß es in diesen Kreisen Männer giebt, die ganz dasselbe, was von industrieller Seite ver langt wird, wünschen, von den socialdemokratischen Hetzern sich nicht aufstacheln lassen und von der Negierung nichts Anderes erwarten, als was im wohlverstandenen Interesse der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer liegt. Diese Kund gebung, die sich im „Evangelischen Arbeiterboten " vom 2l. d. M. findet, lautet wörtlich: „Wenn das deutsche Volk den socialdemokratischen Führern, wie sie auf dem Stuttgarter Parteitag versammelt waren, Glauben schenken wollte, so müßte es annehmen, es sei von den maßgebenden Kreisen die Aufhebung der Coalitionsfreiheit der Arbeiter beabsichtigt. In solcher Weise haben sich die Herren Bebel und Genossen in Stuttgart vernehmen lassen und dazu noch die ihrerEigenthümlichkeit entsprechenden Zuthaten hinzugefügt, um so recht den breiten Massen das Gruseln vor den bevorstehenden Schritten der Negierung auf dem Gebiete des Coalitionsrechtes beizubringen. Glücklicherweise glaubt die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes jenen Herren kein Worts!!), und sie hat Recht damit. Alle Ausstreuungen über die bevorstehende Be drohung oder gar Aufhebung des Coalitionsrechts sind, wie die meisten socialdemokratischen Aeußerungen, Schwindel. Dem Coalitionsrecht droht nicht die mindeste Gefahr, es wird voll aufrecht erhalten bleiben. Was jedoch beabsichtigt wird, ist, das Correlat zum Coalitionsrecht, die Arbeitsfreiheit, mehr als bisher zu sichern. Unter vernünftigen Menschen kann doch keine Meinungsverschiedenheit darüber herrschen, daß, wenn die Gesetzgebung dafür sorgt, daß Arbeiter, die zur Erreichung besserer Lohnbedingungen u. s.w. streiken wollen, dies können, sie nun auch den Arbeitern, welche die Arbeit unter den bisherigen Be dingungen fortsetzea wollen, die Ausführung dieses ihres Willens ermöglichen muß. Würde die Gesetzgebung anders Verfahren, so würde sie einen Theil der Bevölkerung ausgesprochener Maßen schädigen wollen; sie würde ihm verbieten, seine Arbeitskraft so aus- zunutzen, wie er cs für angebracht hält. Selbstverständlich darf das die Gesetzgebung nicht, sie würde sich einfach mit der Arbeits- freiheit des Individuums in diametralen Gegensatz stellen. Als die Gesetzgeber Ende der sechziger Jahre in der Gewerbeordnung die Coalitionsfreiheit aussprachen, haben sie ihr auch sofort die Ar- beitssreiheit als Correlat zugefügt und gewisse Cautelen zur Wahrung der lctzterrn geschaffen. Diese genügen aber nun- mehr nicht. Ende der sechziger Jahre war an eine Social- demokratie im heutigen Sinne des Wortes nicht zu denken; damals war auch das gewerbliche Leben in Deutschland lange nicht so entwickelt, wie heute. Die ganze Frage konnte also auch für die Bolkswirthschaft damals nicht annähernd die Bedeutung haben, wie heute. Jetzt aber hat die Socialdemokratie bei den verschiedensten Gelegenheiten gezeigt, daß sie die Coalitionsfreiheit zur Terrorisirung der Arbeits willigen, zur Vernichtung der Arbeitsfreiheit ge- brauchen will, und einem solchen Treiben muß allerdings mit aller Schärfe rntgegengetreten werden. Die Social- demokratie ist es, welche durch ihr Verhalten die neue gesetz geberische Action veranlaßt hat, und sie hat am allerwenigsten Ursache, über die beabsichtigten Gesetzesneuerungei! ein Geschrei zu erheben. Wenn sie es dennoch thut, so will sie Stimmung gegen rin an sich nichts weiter als die Bestrafung von widerrecht liche» Handlungen bezweckendes Vorgehen machen. Das wird ihr aber nicht gelingen, wenn überall Klarheit darüber ver breitet wird, daß die Regierung das Coalitionsrecht der Arbeiter unangetastet lassen, die Arbeitsfreiheit der Arbeiter mehr und besser als bisher schützen will. Möchten doch die Arbeiter ihren eigenen Kameraden, die gewiß die Interessen der Arbeiter, also auck ihre eigenen, sorgfältig in Acht nehmen, mehr glauben als den focial- demokratischen Hetzern, von denen sie schon so ost getäuscht worden sind. Am Dienstag tritt die französische Teputirtenkammer wieder zusammen. Es wird stürmische Scenen geben, denn zweifellos wird gleich in einer der ersten Sitzungen über die Dreyfusfrage, deren explosive Kraft man ja kennt, interpellier werden. Und nicht blos im Parlament wird es toll durch einander toben, auch für die Straße sind schon Manifestationen der feindlichen Parteien, der Antisemiten nebst Anhang auf der einen und der Socialdemokralen auf der anderen Seite, geplant und angekündigt. Sehr fraglich erscheint es, ob das Ministerium Brisson dem im Anzüge befindlichen Sturm Stand ballen wird. Die Monarchisten, Klerikalen, Antisemiten und Nationalisten sind unter allen Umständen gegen Drcyfus, die große Masse der Socialdemokraten und Nadicalen ist für die Revision. Von der Zahl der gemäßigten Republikaner, die sich in diesem Falle dem linken Flügel der Kammer »»schließen werden, wird es abhängen, ob es dem Ministerium Brisson gelingen wird, sich zu behaupten. Brisson ist derart für die Revision enzagirt, daß er unmöglich mehr zurück kann; nimmt also die Kammer eine die auf Herbeiführung der Revision gerich teten Schritte der Regierung tadelnde Resolution an, so muß Brisson sofort zurücktreten. Die gemäßigten Republikaner werden, wie das so üblich ist, sich nach der Stimmung in ihren Wählerkreisen richten. Diese ist getheilt, da neben der entschiedenen Verurtheilung der Rechtsbeugung durch die Militairgewalt doch auch zabl- reiche Stimmen sich gegen die, namentlich von socialistischer Seite versuchte Aufhetzung der Bevölkerung gegen die Armee wenden. Es wird sich also fragen, welche Stimmung unter der ausschlaggebenden Partei die mächtigere ist, die für Wahrheit, Recht und Gesetz, oder die für die Unantastbarkeit der Armee, den Hort und die „Hoffnung" Frankreichs. Als weitere Klipp: droht der Regierung die Faschodasrage, über die sie stürzen muß, wenn sie nickt eine daS Selbstgefühl Frankreichs befriedigende Lösung findet. Die Aascho-afragr, d. h. die Frage, wer im südlichen Sudan Herr sein soll, die Engländer oder die Franzosen, muß nun wohl in etwas rascheren Fluß kommen, da der Rapport March and'S bereits in den Händen der französischen Negierung ist. Derselbe ist zwar nicht vollständig — eS fehlt, wie eine Note der „Agence HavaS" bestätigt, der Bericht über Marchand's Begegnung mit Kitchener, da der Rapport zur Zeit der Abreise des Hauptmanns Baratier noch nicht fertig war —, aber Baratier wird nack Paris kommen, um dem Minister deS Aenßeren Delcassö alle nothwendigcn genauen Erklärungen zu geben. Wie uns aus Alexandria telegraphirt wird, ist Baratier auf einem Dampfer der „MessagerieS Maritimes" von dort abgereist und wird am Donnerstag in Paris eintreffen. Sirdar Kstchener, der Sieger von Cbartum, der in Foschoda mit Marchand zusammengetroffen war, fährt auf demselben Schiff, um sick nach London zu begeben. AuS Marchand's eigenen Mittheilungen ist nichts für den Streitfall zu entnehmen, la sein nach Paris gesandtes Tagebuch nur Bericht über seine Forschungsreise erstattet. Wir begegnen heute der Auffassung, die Faschodasrage neige einer friedlicheren Lösung zu, da Delcassö die englische Regierung davon verständigt habe, Frankreich werde auf Faschoda nicht bestehen, wenn ihm rin Absatzgebiet am Nil unter Vorbehalt der Be stimmung der geographischen Lage zugestanden werde. Hat Delcassv diesen Vorschlag wirklich gemacht, so glauben wir nicht, daß er in London acceptirt wird. DaS Einzige, was man dort etwa zugestehen wirb, ist die schon für den Eongo geltende Handelsfreiheit für die umstrittenen Nilgebiete, die aber unter englischer Oberhoheit stehen müssen. Sehr deutlich äußert sich darüber der „Globc". Ec schreibt: „Der französische Rückzug von Faschoda muß einen Rückzug aus dem ganzen Nilthal bedeuten. Wir haben unsere Stellung nicht eingenommen, ohne die möglichen Kosten zu berechnen; ,,z'^ suis et loste" (ich bin da und ich bleibe da) ist die Formel, die den unerschütterlichen Entschluß der britischen Nation und der Nathgeber der Königin ausdrückt." Die eng lische Regierung läßt zwar verlautbaren, eS „scheine" wenig oder gar keine Besorgmß zu bestehen, daß die Faschodasrage, wie die Presse eS darstelle, eine „übermäßig ernste" Wendung nehmen würde, und amtlich wird wiederholt bekundet, daß in den Marinedepots keine außergewöhnliche Thätigkeit herrsche, gleickwobl wird, wie uns ein Telegramm au« London meldet, ßinzugesügt, die Negierung werde k einen un billigen Auf schub zulassen, sondern werde, falls die französische Regierung es ablehncn sollte, ihre offenbare Pflicht zu thun, zur Ent fernung Marchand's auS Faschoda schreiten. Wenn sich die Meldung deS „Bureaus Dalziel" bestätigt, daß die Russen nunmehr auch von Niutschwang Besitz ergriffen haben, so hat Rußland mit dieser Besitzergreifung aufs Neue den Chinesen wie der Welt gegenüber die klare Absicht zum Ausdruck gebracht, seine „Interessensphäre", die Mandschurei, in kürzester Frist in eine russische Provinz um zuwandeln. Diese Absicht trat schon deutlich genug in dem erbittert geführten Streite um die Concession für die Eisenbahn von Schanhaikwan nach Niutschwang zu Tage. Gegen den Bau der Bahn hatte Rußland nichts einzu wenden, im Gegentheil, eS ermuthigte die chinesische Regierung dazu, sein Einspruch setzte erst ein, als der Director der Bahn, Hu, behufs Finanzirung deS Unternehmens Verhandlungen mit der Hongkong- and Shanghai-Bank anknüpfte. In schärfster Form erhob der russische Geschäftsträger Paulow dagegen Einspruch, daß diese Bahn einem nicht-russischen Unternehmer als Sicherheit verpfändet und von einem solchen betrieben werde. Dieses Eingreifen Rußlands veranlaßte bekanntlich damals Lord Salisbury unter dem Druck der öffentlichen Meinung in England, die heftig aufbegehrte, China den englischen Schutz gegen jedwede fremde Vergewaltigung anzubieten, die Antwort der chinesischen Regierung war aber die Annahme der russischen Forderungen. So war Niutschwang dem Einfluß Rußlands erhalten und die Russisch-Chinesische Bank wird vermuthlich daS Geld zu dem Bau der Bahn vorstrecken. Damit gelangt Rußland io den Besitz der als ZngangSstraße zu Tientsin und Peking strategisch so ungemein wichtigen Linie Niutschwang-Schanhaikwan, an welche die bereits bestehende Bahnlinie nach Tientsin und der Neichshauptstadt anschließt. Niutschwang ist chinesischer Ver- Feuilleton. Die kleine Lnlu. 18> Serroman von Clark Russell. Nachdruck vrrbotrn. Mir gefiel diese überstürzte, das Gefühl empörende Ver fügung über die noch warme Leiche durchaus nicht; aber es war meine Pflicht, dem Befehl zu gehorchen. Ich rief also Banyard; wir trugen die Hängematte, welche den Todten barg, leise auf das Deck und ließen sie über Bord gleiten, ohne daß irgend Je mand etwas davon merkte. Die ganze übrige Zeit meiner Wache lungerte der Schiffer auf Deck umher; ein paar Mal ging er nach unten, kehrte aber bald zurück, um sein Hin- und Herwandern fortzusetzen. Kurz vor acht Glasen sagte er zu mir: „Wenn eine Meuterei ausbrechen sollte, hoffe ich auf Ihre Dienste zählen zu können." „Ich will Ihnen bis zum Aeußersten helfen, die Disciplin aufrecht zu erhalten; aber die Leute sollen erfahren, daß ich Mr. Sloe's Brutalität nicht gut heiße." „Wenn Ihnen Ihr Vortheil etwas Werth ist, werden Sie gut thun, Ihre Ansichten für sich zu behalten. Ihre Pflicht liegt klar vor Ihnen und ich sehe voraus, daß Sie als Gentleman nicht die Miffethaten einer Rotte Menschen unterstützen werden, welche im Grunde genommen doch Verbrecher sind." Hiermit ging er fort, ohne mir Gelegenheit zu weiteren Er örterungen zu geben. Elftes Eapitel. Es hatte schon einige Zeit acht Glasen geschlagen, als der alte Windwärts kam, mich abzulösen. Jedenfalls hatte der Capitain mit ihm von dem Tode deS Jungen gesprochen. Er kam sehr großthuerisch auf mich zu und rief, indem er an seine Brusttasche schlug: „Hier unter diesem Rock habe ich die Gehirne von sechs Lumpenhunden." Ich that, als verstände ich ihn nicht, und fragte, was er damit meine. Als Antwort zeigte er mir den Kolben eines Re volvers. „In deS Capitains Cajüte ist noch einer, der Ihnen zur Ver fügung steht, wenn Sie einen haben wollen", sagte er. „Falls S t» mich angreifrn, werden Tie auch nicht geschont werden." „Das werde ich darauf ankommen lassen", entgegnete ich kühl und ging nach unten. Ich muß gestehen, angstvollen Herzens legte ich mich auf meine Pritsche. Da ich den Geist kannte, der die Leute beseelte, so erwartete ich, jeden Augenblick ein Getümmel zu hören und plötzlich die Brigg in den Händen der Mannschaft zu finden. Dazu kam, daß mich der Tod des armen Jungen sehr ergriffen und die Art, wie seine Leiche in die Tiefe spedirt worden war, mein Gefühl verletzt hatte. Wenn ich an die Zartheit des Knaben dachte und an seine Unschuld an jeder That, die eine große Strafe verdient hätte, so drängte sich mir die Bestialität, deren sich der Maat schuldig gemacht hatte, immer von Neuem mit Empörung auf. Ich malte mir aus, wie die Leute in dem dunklen Vordercastell über die Sache sprechen, in welchen Flüchen sie ihrer Erbitterung Luft machen und in wie düsteren Drohungen sie sich ergehen würden, den Burschen zu rächen. Das, was man unter tieferem Gefühl versteht, scheint im Allgemeinen unter den Seeleuten nicht zu Hause zu sein, bricht ein solches aber einmal hervor, dann äußert es sich in einer ge wissen rauhen Art, die oft auch etwas sehr Rührendes an sich hat. Wenn z. B. ein beliebter Schiffsmaat über Bord gefallen war und sein Leben verloren hatte, so habe ich es erlebt, daß die Leute einen ganzen Tag über so niedergeschlagen waren, daß sie ihren üblichen Gesang beim Aufwinden des Ankers und Aufholen der Segel unterließen, wie von einer heiligen Scheu umfangen, nur in leisen Tönen sprachen und nur flüsternd sich abergläubische Geschichten im Vordercastell erzählten. Sie legen dieses ernste Wesen allerdings bald wieder ab, aus einer Art Furcht, weich zu erscheinen, und stürzen sich in das entgegengesetzte Extrem roher Neckereien, wilder Flüche und lauten Gelächters, aber all' dies ist erzwungener, al» man denken würde. Wenn «in Knabe zum ersten Male au» dem elterlichen Hause in eine Pension oder eine Schule kommt, so verbeißt er seine Thränen und spricht, um sich nicht von seinen Kameraden ein Mädchen schelten zu lassen, mit männlicher Verachtung von der Mutter, der Schwester und der guten, alten Wärterin, nach deren Zärtlichkeit seine Sehnsucht doch so groß ist, daß er sich heimlich in Schlaf weint, wenn die Einsamkeit der Nacht ihn umhüllt. Aehnlich ist eS bei den See leuten; sie sind gewissermaßen wie Schuljungen, und um sie zu verstehen, müssen wir uns die Zeit zurückrufen, wo wir als Kna ben bei unseren Kameraden nach dem Ruf der Männlichkeit strebten, indem wir vorgaben, Dinge zu verachten, welche heute unsere schönsten Erinnerungen ausmachen. Als der nächste Tag kam und die Leute ihre Arbeit ver richteten, ohne den Schiffer weiter wegen seiner Absichten gegen den Maat zur Rede zu stellen, hoffte ich, die Sache würde ohne weitere Folgen vorüberziehen. Es schien mir, daß sich hier wieder der natürliche Charakter des Seemanns bestätigte, d. h. daß er in seinen Empfindungen ein Kind des Augenblicks ist. Ich be obachtete die Leute sehr genau, entdeckte aber keine Zeichen, denen ich hätte Bedeutung beimessen können. Wenn ich in das Vorder castell hätte gehen dürfen, um mich dort mit ihnen zu unter halten, so wäre es mir wahrscheinlich gelungen, ihr Trachten zu ergründen. Das war für mich aber jetzt verbotener Grund und Boden; verboten, meine ich, in dem Sinne des auf Kauffahrtei schiffen herrschenden, eigenthümlichen Verhältnisses zwischen Vor gesetzten urnd Mannschaft in Bezug auf einen Besuch in der Vorderluke. Da heißt es: wag' Dich einmal in unser Reich, Du erster oder zweiter Maat, wundere Dich aber nicht, wenn wir Dich alsdann aus reinem Vergnügen über Deine Herab lassung zärtlich umarmen, vor Liebe fast erdrücken, Dich aus ziehen und nackt durch die Luke hissen, oder Dich mit einem Nagel durch das Gesäß Deiner Hosen an eine Kiste spließen. Du wirst mich verstehen, daß das so unsere Art ist, ein Privi legium, so alt wie die erste englische Schiffsmannschaft, die je mals auf See ging. Obgleich die Leute mich gern mochten, hatte ich doch nicht Lust, mich solchen zarten Scherzen auszusetzen. Es »st ein ander Ding, sie von oben her durch die Luke anzu rufen, und ein anderes, in ihre Höhle selbst einzudringen. Wenn ich jedoch auch auf Frieden hoffte, so kann ich doch nicht behaupten, daß ich ihn mit irgend welcher Sicherheit er wartete. Mir war die scheinbare Gleichgiltigkeit der Leute un heimlich. Bekanntlich sind auf See die harmlosesten Burschen die lautesten Brummbären. Nun aber vollzog heut« di« Mann schaft alle Befehle, ohne zu murren, sie verrichtete still ihre Arbeit, und Keiner stellte irgend welche Frage. Das war mir verdächtig. Ich dachte, Banyard möchte vielleicht im Stande sein, mir zu sagen, worüber sie im Vordercastell sprächen; ich suchte ihn also in dieser Richtung etwas auszuholen. „II glöw, sei Warden »ich grade up de Knei leigen un Segnungen up Oll Windwärts un de Schipper herunnerflehn", erwiderte er. „Mir scheint, sie nehmen Jung-Joey's Tod kühler auf, als man vermuthen sollte nach dem Murren, welches sie gestern Abend dem Capitain zu hören gaben." „Ja, dal iS schon möglich, un, 't wier dat kläukste, wat sei dauhn künnt." „Thun sie es aber auch wirklich?" „Ja, dat is richtig, thun sei es ok würilich?" Ob seine Hartnäckigkeit Schuld trug, oder was sonst, ich ver stand es nicht recht; es war eben immer schwierig, aus Penoel etwas heraus zu bekommen. Ich hielt ihn indessen für einen ehrlichen Mann und den einzigen Zuverlässigen in der Brigg. „Banyard, ich denke an das Mädchen in der Cajüte. Ich möchte nicht, daß ihr Unheil widerführe; um ihretwillen hoffe ich, daß es zu keiner Meuterei kommen wird." „Milderst is ümmer en stimm Ding, 's löpt gegen alle gause Ordnung, un nicks Gaudes kömmt dorbi rute." „Mir will die ungewöhnliche Ruhe der Leute nicht gefallen. Ich wollte lieber, sie kämen nach hinten, machten Lärm uns würden so Gift und Galle los." „Frilich, frilich, denn fach 't oll beter ut." „Ist der Koch oft im Vordercastell?" „Nu ja, dat is hei; hei iS tämlich oft da." „Horchen Sie ihn 'mal aus, wollen Sie?" „Hürn' Sei mien Rath; mischen Sei sik in nicks, wat Sei nicks angeiht. Jk ward« kein Minschen nich uthorken; un mien Rath för Sei is: kümmern Sei sik üm sik sülwst. Wenn 't tau en Milderst kommt, so laten Sei de de Folgen dragen, de de Ver anlassung gewcn hebben. Mi geiht dat nicks an, un laten Sei sik 't ok nicks angeihn. Dat iS mien Meinung." Nachdem er so gesprochen und seine Worte mit einem viel sagenden, Unheil verkündenden Kopfnicken begleitet hatte, ging er langsam weg. Das war Alles, was ich aus Banyard heraus kriegen konnte. Dumm, wie ich glaubte, daß er sei, hatte er mir doch Rath genug gegeben, um mich besorgt für mich selbst zu machen. Miß Franklin blieb den ganzen Tag in ihrer Cajüte. Der Grund für dieses Fernbleiben von Tische mag wohl der gewesen sein, daß sie sich mit ihrem Bruder gezankt hatte oder noch zu erregt war von der traurigen Sstrbescene. Der Capitain war still, aber die finstere Ruhe der Leut« schien ihm keine Sorge zu machen. Dies gab mir eine sehr geringe Meinung von seiner Einsicht. Im Gegensatz zu ihm gefiel sich der Maa: in Prahlereien. Ich hörte ihn, als ich auf Deck war und er mit dem Capitain b«im Mittagessen saß, sich laut seiner Gewalt über Schiffsmannschaften rühmen. „Zuerst denken sie mich einzuschiichtern", schrie er in seiner Weise so laut, daß nicht nur ich, sondern auch der schöne Blunt, welcher am Sstuer stand, jedes Wort verstehen konnte, „aber nur erst einmal meine Faust gekostet, und sie verspüren keine Lust nach einer zweiten Dosis dieser Mediein. Gott schütze Sie, Capitain, aber Furcht dürfen wir nicht zeigen. Jcp habe den Jungen nicht tödten wollen, da «S aber einmal passirt ist, so lassen Sie e» für einen guten Schlag gelten. Ich sage Ihnen,
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