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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.11.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981118029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
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Octobcr voll jährig geworden, in ein preußisches Garderegiment eintreten werde, um auf diese Weise seine Thronbesteigung in Braunschweig vorzubereitcn. Hoffentlich ist dieses Ge rücht nur ein Fühler, über dessen Zwecklosigkeit der Herzog und seine Umgebung nicht lange im Zweifel gelassen werde. Wa» den Eintritt in die preußische Armee anlangt, so ist klar, daß mit den Pflichten, die ein Mitglied des preußischen OfficicrcorpS eidlich zu übernehmen hat, die bis herigen Ansprüche des Herzogs von Cumberland und seines Sohne» als „Erbprinzen" absolut unvereinbar sind. So weit bisher unanfechtbare Kundgebungen des Herzogs von Cumberland vorliegen, hat er ausdrücklich „alle Rechte, Prärogative und Titel", die seinem Pater, dem früheren hannoverschen König, in Beziehung ans Hannover zu stande», für sich „voll und ganz aufrecht erhallen". Das war 1878. Zu gleicher Zeit hat er seine „getreuen Hanno veraner" ansgcsordert, den Kampf für dieses Recht „nach allen seinen Richtungen" weiter zu führen. Und als 1884 der Tbron von Braunschweig frei wurde, Hal der Herzog von Cumberland, als er sein Thronfvlgerecht auch für Braunschweig gellend machte, erklärt, er werde zwar alle Verträge halten, die der verstorbene Herzog von Braunschweig abgeschlossen, aber er sei überzeugt, daß die Erfüllung der ihm als Herzog von Braunschweig obliegenden Pflichten nicht beeinlrächligt würde „durch den Vorbehalt der Rechte, welche mir von unseren Vorfahren in Beziehung auf Han nover überkommen sind". Die Verwaltung des Herzogs von Cumberland aber hat erst vor wenigen Tagen, am 8. November v. I, aui besondere Anfrage ausdrücklich er klären lassen, daß eine Aeuderung der in Viesen Erklärungen ausgesprochenen Stellungnahme des Herzogs nicht eingetreten sei. Und so verlangt kenn das hannoversche Welfenorgan in der uns heute vorliegenden Nummer folgerichtig: „Sobald von Seiten Preußens die Hand zur Versöhnung auf Grund des Rechts dem Herzog geboten wird, sei es zunächst nur durch Aufhebung des BundcSrathsbeschlusses in Bezug auf Braun schweig oder gleich in Bezug aus die Wiederherstellung Han novers, so wird Se. königliche Hoheit der Herzog zur Versöhnung jederzeit bereit sein. Eine Versöhnung ohne Sühne giebt e-s nicht. Im dringendsten Interesse deS deutschen Reiches und Preußens (!) liegt die Aushebung der Annexion sowohl, als die Anerkennung des im „Reichsgebiet gütigen Rechts" in Braunschweig". Träger dieser Ansprüche ist aber auch Prinz Georg Wilhelm von Cumberland. Unter solchen Umständen müßte für ihn nicht nur die Thronfolge in einem deutschen Bundes staate, sondern auch der Eintritt in irgend eineu Truppen- theil deS ReichSheereS vollständig unmöglich sein. So lange nicht unumwunden von dem welfischen Hause ein für alle Mal auf Hannover in bestimmter Form rückhaltlos Ver zicht geleistet wird, ist durch den klaren Wortlaut der Reichs verfassung und der Militairgesetze beides ausgeschlossen, und die preußische und die Reichsregierung müßten alle Traditionen deS jungen Reiches gedankenlos in den Wind schlagen, wenn I sie sich diesem Treiben gegenüber mit irgend einer Zwei deutigkeit abspeisen lassen wollten. Die Ausstreuung, daß die conservative Partei in Preußen in der kommenden LanktagSscssion ein allge meines Schulgesetz nach dem Muster des Zcdlitz'schen von der Negierung zu erzwinge» suchen und im Falle deö Miß lingens zur Einbringung einer Initiativvorlage schreiten werde, haben wir schon kürzlich als unwahrscheinlich be zeichnet und zugleich darauf hingewiesen, daß die srei- conservative „Post" wahrscheinlich nur deshalb von der „Thatsache" der Einbringung einer solchen Vorlage rede, um sick an den Nationalliberalen wegen deren gelegent licher Wahlverbrüderung mit dem Freisinn zu reiben. Heute crseben wir auS einem Artikel deS sreiconservativen Parteiorgans, daß seine jüngste Auslassung in der That nur den Zweck der Verärgerung der preußischen Nationalliberalen, nicht aber den der Aufmunterung der Conscrvativen zu einem Vorstoße in der Richtung eines reactionären Schulgesetzes batte. Vor einem solchen warnt die „Post" eindringlich. Die Wiederaufnahme des Gedankens, das gesammte Volksschul wesen Preußens gesetzlich zu regeln, sei zur Zeit weder notb- wcndig noch politisch wünschenswerth; und waS Vie frei- eonscrvative Partei betrifft, so schreibt daS Blatt: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese jeden Versuch, den Charakter der preußischen Volksschule ol» einer Veranstaltung des Staates planmäßig in dem Sinne zu ändern, wie dies der Entwurf eines Bolksschulgesetzes von 1892 bezweckte, mit derselben Ent schiedenheit bekämpfen würde, wie damals. . . . Wenn auch die „Kreuzztg." von einer Rechtsentwickelung der Frciconservativen spricht, so mag sie daran erinnert sein, Laß das bessere Bcrhältniß unserer Partei zu den Conscrvativen wesentlich dadnrch er möglicht worden ist, daß der unheilvolle Einfluß ihres früheren Chesredacteurs und des Herrn Stöcker aus die conservative Fraktion aufgehört hat, und daß die Fortdauer dieser 'besseren Beziehungen davon abhängt, daß die extreme Richtung, deren Wortführer jene beiden Männer waren, nicht wieder Oberwasser gewinnt. Die Wiederauf nahme der gesetzgeberischen Pläne von 1892 seitens der konser vativen Partei würde die vollständige Störung dieser guten Beziehungen zur nothwendigen Folge haben. Darüber muß man sich innerhalb der konservativen Partei keinen Illusionen hingeben. Die Frage der Erhaltung der Volksschule in ihren guten preußischen Traditionen ist von so fundamentaler Bedeutung, daß die Wiederaufnahme der gesetzgeberischen Pläne von 1892 mitNothwendigkeit zu einer ebenso scharfen Gegner schaft zwischen den beiden konservativen Richtungen führen müßte, wie damals." Wenn die Conservativen sich wirklich mit dem Gedanken getragen hätten, die Hedlitz'sche Schulgesetzvorlage wieder auf leben zu lassen, so würde diese unzweideutige Erklärung Wohl hinreichen, den Weg vom Gedanken zur That zu verrammeln. Seit einigen Wochen wird in niederländischen Blättern über zahlreiche Ausweisungen holländischer Unter- thanen aus den deutschen Grcnzplätzen in West falen, wo sie in der Textilindustrie als Arbeiter reichlichen Verdienst haben, geklagt, und da diese Ausweisungen zeitlich mit ähnlichen Maßregeln der preußischen Regierung im nördliche» Schleswig und gegen polnische und tschechiscke Arbeiter zusammenfallen, so könnte man ans den ersten Anblick an einen politischen Hintergrund denken. Dies ist aber keines wegs der Fall, sondern es handelt sich hier ausschließlich um die Frage, ob der in Deutschland wohnende Fremde seiner Militairpflicht in seinem Vaterlande genügt hat oder nicht. Kann er dies nachweisen, so wird seinem weiteren Aufenthalt nichts weiter in den Weg gelegt, da ein Abkommen zwischen Preußen und dem Königreich der Niederlande besteht, welchem den beiderseitigen Unterlbanen, sobald sie die Ableistung der Militairpflicht in ihrem Vaterlande nachweisen tonnen, nicht» weiter in den Weg gelegt werden soll. Es ist aber Thatsache, daß manche Holländer sich auf deutschem Gebiet niederlassen, um zu Hause der Dienstpflicht zu entgehe», in diesem Falle werden sie von der preußischen Negierung anszeforvert, sich als Deutsche natnralisircn zu lassen oder, wenn sie dies ver weigern, das preußische Grundgebiel zu verlassen, während in Holland auch jeder Fremde, der nicht im Militairverband seine» Vaterlandes steht, unnacksichtlich zum Dienst herbei gezogen wird. Dies ist der thatsächliche Sachverhalt. Die ossiciöse „Italic" erweitert und präcisirt jetzt ihre Mittheilung über den bemerkenSwertben Versuch deS Papste«, durch die Vermittelung der dem Vatikan näherstehenden Mächte von ver italienischen Regierung daS Versprechen zu erlangen, daß die internationale vonfcrenz ;nr Bekämpfung de« Anarchismus nicht in Nom, sondern in Florenz oder einer anderen Stadt VeS KöniareickS zusammentreten solle. Wir erfahren jetzt, daß die beiden der römischen Curie speciell befreundeten Mächte daö unkirchlickc, wenn nicht gar kirchen feindliche Frankreich und das schiSmatische Rußland waren. Befremden kann daS gerade nicht, denn Leo XIII. bat, dem Einflüsse Nampolla'S nackgebend, seit Iabren schon, je länger desto mehr, seine Sache auf den Zwei bund gestellt und trotz des universellen Charakter« seiner geistlichen Würde nie Bedenken getragen, diese Vorliebe sür das West-Oestliche deutlich zu markiren. Daß er dabei nicht in Ausübung seiner oberhirtlickwn Functionen handelt, sondern lediglich in der Eigenschaft eines welt lichen Prätendenten, kann keinem Zweitel unterliegen; ebenso zweifellos aber ist eS auch, wie die „M. A. Ztg." ausführt, daß eS ihm trotz allen LiekcSwerbenS in Paris und Peters burg nicht gelingen wird, Nom, die Hauptstadt der Italia libera e uuita, wiederum ausschließlich zur Stadt der Päpste zu machen. Es würde da» selbst dann nicht geschehen, wenn — WaS der Himmel verhüten möge — der Thron de« Hauses Savoyen einmal zusammenfallen und Rom aufhören sollte, daS königliche Rom zu sein; die Roma capitalo würde selbst eine solche beklagenSwertbe Wendung der Dinge überdauern. Rußland und Frankreich sind übrigens auch in dem vorliegenden Fall über die bloße Bekanntgabe deS päpstlichen Wunsches auf der Consulta nickt binauSgega«gen. Als der zum Wortführer auSersehene Botschafter — man weiß nickt, ob eS der russische oder der französische war — daS selbstverständliche entschiedene Nein des Admiral« Cane- varo vernommen hatte, beeilte er sich, das heikle Thema fallen zu lassen. Man wird sich also im Vatikan damit absinden müssen, daß die europäischen Mächte durch Beschickung der von der italienischen Regierung nach Rom berufenen Con- fercnz den Charakter RomS als Hauptstadt Italiens noch mals implicite anerkennen. Während Pari«, wie sich Cornely im „Figaro" auSdrück.', einem Menageriezwinger gleicht, in dem sich die Thiere giftig anfauchen, sieht eS in Frankreichs vornehmster Colonie, Algerien, kaum besser auS. Dort haben, wie gemeldet, di: Antisemiten wiederum einen großen Sieg erfochten; di: Wahl ver Stadträthe fiel zu ihren Gunsten aus, und da diese mit der Ernennung des Bürgermeisters betraut sind, so ist die Erhebung ihres Candidaten Max Regis zum Haupte von Algier über allen Zweifel erhaben. Max Regis ist daS Schoßkind deS Antisemitenhäuptlings Edouard Drumoul, ein talentvoller, aber bis zur Glühhitze fanatisirter junger Mann, dessen Haß gegen die Juden keine Grenze kennt. Seine Lösung der jüdischen Frage besteht in ihrer einfachen Aus treibung mit Sack und Pack; trübe Zeiten stehen ihnen daher bevor. Die Stellung des neuen Statthalters Laferriere zu diesen Wirren ist nicht ganz klar; wahrscheinlich wird er sich seiner Ohnmacht, der antisemitischen Sturmfluth entgegen- zutreten, bewußt sein. Die Reihe der Triumphe Drumont'» wäre also um einen neuen vermehrt. Er hat zunächst im Mai die eigene Parlamentswahl sür Algier erfochten, hat dr: Freilassung Max R6giS', der damals u» Barbarossa-Kerkcr schmachtete, erreicht, hat den ihm unangenehmen Statthalter Lepine verdrängt, hat soeben in Paris durch seine persönlich: Dazwischenkunft bei Gericht die Freisprechung seines Anhängers IuleS Gusrin durchgesetzt und bat augenblicklich die groß: Befriedigung, seinen Schützling Max Rägis auf dem ersten Bürgerposten von Algier zu sehen. Fall« Drumont wieder den Fuß auf algerischen Boden setzt, wird ihn Max, umgürtet mit ter dreifachen Schärpe, im Namen der Colonie begrüßen. WaS Drumont an seinem Programm noch fehlt, ist dir Ab schaffung des Cremieux'schen DecretS, welches 1870 den Juden das Wahlrecht verlieb. Der neue Statthalter hat ihm bekannr- lich seine Unterstützung versprochen, falls Drumont den An trag im Palais Bourbon einbrächle; sein vollständiger Sieg scheint allo nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Der neue Maire, Max ReziS, stammt auS einer italienischen Familie, er selbst genoß eine französische Erziehung und diente im französischen Heere. Ak« Redakteur ds» „Antijüis" war er die Seele der Iudenhetze; sein Name ist für alle algerischen Antisemiten da« große Losung-wort geworden. „Regysterie" — so heißt in Algier der Au-druck sür die hysterische Verehrung, deren er sich bei der männlichen und weiblichen Bevölkerung erfreut. Auf alle Fälle hat er eS weit gebracht; der gut be zahlte Bürgcrmeisterposten von Algier ist für einen jungen, sonst mittellosen Mann nicht zu verachten. Deutsches Reich. -2- Leipzig, 18. November. Durch den Tod de« Land- tagSabgeordneten Commerzienrath G. RostoSky in Nieder- schlema ist daS Mandat de« 42. ländlichen Wahl kreise« vor der Zeit frei geworden. Der Wahlkreis, der sonst erst 1901 eine Neuwahl zu vollziehen gehabt dälte, wird nunmehr schon 1899 mit zu wählen haben. Der Kreis umfaßt Ortschaften der Amtsgerichtsbezirke Schwarzenberg, Johanngeorgenstadt und Eibenstock. Berlin» 17. November. Ueber die Einbringung der Militairvorlage ist berichtet worden, daß der Militairetat in üblicher Form dem Reichstag zugeben werde, während die Neusordcrungen in einen besonderen Nachtrags etat eingestellt und möglicherweise gleichzeitig mit dem Etat Ferrrlleton. Die Lettelmaid. Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. „Das Bild ist ganz feucht — ich habe bis vor einer Stunde daran gearbeitet, und es ist noch nicht einmal vollständig fertig", stotterte Marcus, während er für Mrs. Stonex einen Stuhl davor setzte, jedoch so, daß das volle Licht darauf fiel. Der Poet trat ein wenig zur Seite, während der Graf sich hinter Frau Stonex stellte und sein goloeingefatztes Augenglas bedächtig auf setzte. Mr. Freake prüfte es von einer anderen Seite des Ateliers. Niemand sprach ein Wort und es war ein kritischer Augenblick für den jungen Künstler. Er glaubte, das Stillschweigen werde nie enden, und doch wagte er nicht, es zu unterbrechen, sondern zählte die Sekunden, und beobachtete ängstlich die Gesichter. Sein Blick blieb auf Mrs. Stonex haften. Ein ruhiger, gedankenvoller Ausdruck spiegelte sich in.ihren Augen, als sie jedoch plötzlich den seinigen begegneten, veränderte sich derselbe merkwürdig, — ein eignthümlichs Licht erglänzte in ihnen, das sich Marc nicht zu deuten wußte. Sie senkte die Lider und ihre Gedanken, die einen Moment abgeschweift waren, kehrten zu dem Bilde zurück. „Das ist ein vollendetes Gemälde", wandte sie sich in ent schiedenem Tone an Mr. Marrix, wie Jemand, der sich seine Meinung gebildet hat und davon nicht mehr abgeht. „Das Ant litz ist lebenswahr und di« Farben wunderschön." Kaum halt« sie den Bann gebrochen, als Alle zu sprechen be gannen. — „Es erfreut das Auge", sagte der Poet, und ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen. Seine Freunde ersahen aus dieser Bemerkung, daß auch ihm das Bild gefiel. — „Der Faltenwurf erinnert an Giovanni di Masaccio", be merkte Mr. Freake wohlgefällig. — „Das ist kein Phantafiegemälve, das ist ein Portrait. Das Original mutz entzückend sein! Wo ist es?" rief Graf Basano begeistert und blickte spähend im Zimmer umher, als ob er er wartete, es irgendwo versteckt zu finden. „Sehen Sie sich die Augen an", warf jetzt Newton ein, um seinem Freunde die Antwort auf des Grafen Frage zu ersparen. „Sie sind sanft und süß", flüstert« der Port, seufzend und ließ seinen rechten Arm sinken. Darauf entstand wieder eine längere Pause, die Mr. Freake endlich durch ein leichtes Hüsteln unterbrach. — Mit den Fingern durch sein« langen Locken fah rend, begann er in einem Ton, der deutlich erkennnen ließ, welch' hohen Werth er selbst auf sein kritisches Urtheil legte: „Mr. Phillips, dieses Bild ist vielversprechend, und doch deutet Manches darauf hin, daß es von einem jungen Künstler stammt; für ein modernes Gemälde lehnt es sich in der Haltung der Arme und dem ganzen Umritz zu sehr an Annibale Caracci an. Heut zutage suchen wir vergebens die weichen, warmen Linien, die Correggio's Werke so entzückend machen, vergebens die harmoni schen Tinten, die der Leinwand des Veroneser Meisters solche Weihe verleihen." Zum ersten Male seit ihrer Bekanntschaft schenkte Mrs. Stonex den Worten des Kritikers keine Beachtung. — „Das Haar ist prachtvoll gemalt, der Glanz so natürlich", sagte sie, ohne die Augen von der Leinwand abwenden zu können. Trotzdem sie Marcus Phillips nicht sah, fühlte sie seine Augen auf sich gerichtet und wußte, daß ihr Lob ihn erfreute. „Das Bild ist gut, für einen Anfänger sehr gut", bemerkte jetzt der Graf, der es die ganze Zeit über bewundernd anstarrte. „Sie werden Erfolg haben, junger Mann", wandte er sich in gebrochenem Englisch an den Künstler. „Ich vermag das Werk eines Genies zu erkennen, denn ich habe schon viele junge Leute anfangen sehen, und ich weiß immer, ob sie in der Welt durch dringen werden." — „Sie machen mir grotze Hoffnungen, Graf", sagte Marc dank bar lächelnd. — „Vor zehn Jahren lebte in Rom ein Jüngling", fuhr der Italiener fort, „Namens Paolo Contadini, sein Lehrer war un zufrieden mit ihm, weil er wachend träumte und nichts Rechtes zu schaffen vermochte. Aber ich sagte: Lassen Sie ihn träumen, eines Tages wird er erwachen, und wirklich erwachte er und schuf «inen Endymion, aber oh — ich werd« diesen Endymion nicht vergessen, so lange ich lebe. — Dieser Schäfer war göttlich! Der Künstler wäre sicher ein berühmter Mann geworden, aber leider starb er sehr jung", schlotz der Graf seine Erzählung und zerdrückte heimlich ein« Thränr. — „Es ist ein weises Naturgesetz, datz Menschen sterben müssen, um anderen, vielleicht noch bedeutenderen, Platz zu machen", meinte Newton Marrix in seiner trockenen Weise. „Wie gefällt Ihnen diese Landschaft?" ivandte sich Marc, der das Gespräch von dem traurigen Thema ablenken wollte, an Mrs. Stonex und reichte ihr «in Skizze, di« das Dorkshirer Moorland darstellte. „Ein solcher Friede ruht darauf!" antwortete di« Gefragt«, nachdem si« voll Interesse angesehen hatte. „Ueber die uner meßliche, düstere Fläche scheint ein frischer Wind zu wehen, den man zu spüren vermeint." „Man fühlt den göttlichen Odem der Natur", fügte Mr. Freake hinzu. „Und di« Natur ist der Spiegel von Gottes Antlitz", sagte der Poet und faltete seine fast durchsichtigen weißen Hände. „Deshalb ist sie stets so friedlich und glückspendend", ergänzte Mr. Freake. „Sie haben noch niemals etwas ausgestellt, Mr. Phillips?" fragte Mrs. Stonex plötzlich. „Nein, ich hatte noch nicht das Glück, in einrr Ausstellung an genommen zu werden." Die Dame dachte einen Augenblick nach, dann fragte sie weiter: „Würden Sie gern in dieser Saison etwas in der Grosvenor- Galerie ausstellen?" Newton Marrix, der.die letzte Frage gehört, vermochte kaum sein Entzücken zu verbergen; hier bot sich seinem Freunde ein« Aussicht, an die er in seinen kühnsten Träumen nicht zu denken gewagt. „Nichts könnte mir mehr Freude bereiten und mir mehr nützen", antwortete der Künstler aufrichtig, und wechselt« bei dem Gedanken an die Möglichkeit dieses Glückes die Farbe. „Vielleicht gelingt es mir, für Sie eine Einladung zur Ein sendung eines Bildes zu erwirken", sagt« MrS. Stonex einfach. „Wie soll ich Ihnen danken, wie Ihnen sagen, was da» für einen Anfänger bedeuten kann?" rief Marcus Phillips aus. „Ich weiß es", entgegnete sie, sich an ihren Vater erinnernd, dessen Bilder jedes Jahr zurllckgeschickt wurden und den Fortuna bis zu seinem Sterbetag narrte. „Wie leicht ist es doch manch mal, Gutes zu thun", fuhr sie nachdenklich fort, als sie in dem Antlitz d«S jungen Künstlers den hoffnungsvollen Ausdruck be merkte, der sprechender war als alle Dankesworte. Sie ließ zum «rsten Male ihre Blicke im Atelier umher schweifen, dessen Dürftigkeit ihr bis jetzt nicht ausgefallen; ihre ganze traurige Mädchenzeit tauchte plötzlich vor ihrem geistigen Auge auf: all di« Kämpfe, die ihr Vater durchgemacht, der Kummer, die schlaflosen Nächte! Wenn ihm Jemand angeboten hätte, sein« Bilder zu verkaufen oder auSzustellen, er hätte ihn als einen von Gott ge sandten Engel betrachtet! Hier, in Marcus Phillips' Atelier durchlebte sie all' die Tage der Entbehrungen, der aufreibenden Versucht, die schäbige Vornehmheit wenigstens vor d«n Augen der „Welt" aufrecht zu halten, bis d«r Mann kam, der ihr mit seinem Namen rin Vermögen zu Füßen legte. Sie wurde sei» Weib, aber ihr Herz blieb dabei todt, und ihr Leben floß weiter ohne Liebe, fruchtlos dahin. — Das Schicksal entriß ihr den Gotten, sie war frei, jung, reich, schön, von der Gesellschaft ge sucht und fühlte sich doch nicht befriedigt, denn sie hatte noch nie mals jene Empfindung kennen gelernt, die Herzen zu Herzen zieht. Unter all' ihren zahlreichen Verehrern war Keiner, dessen Anblick ihre Pulse rascher schlagen macht«, Keiner, dem sie ihr Sein mit weiblicher Hingebung hätte widmen und der ihr das Leben zum Paradiese auf Erden hätte gestalten können. Mit all' ihrun Be kanntenkreis, ihren Talenten, ihrem Reichthum fühlte sie sich einsam in der Welt. Nicht Einer von den Dielen, die sie täglich umringten, hatte es vermocht, die Eisrinde, die ihr Herz eingc- schlossen hielt, zu sprengen, das Dornröschen zu neuem, glück nehmendem und -spendendem Leben zu erwecken. — Die Alles überwältigende Macht der Liebe hatte bis jetzt noch nicht ihr: innerste Natur erfaßt. „Wie dank« ich für Ihre Güte, mein Atelier aufgesucht zu haben, gnädig« Frau!" unterbrach der Künstler das Stillschweigen mit seiner leisen, klangvollen Stimme, die Mrs. Stonex plötzlich aus ihren Träumereien erweckte und der sie mit neuartigen Em pfindungen lauschte. Sollte diese Stimme am End« im Stande sein, das Eis zu schmelzen? Was bedeutete das seltsame Gefühl, daS sie in Gegenwart dieses Mannes beschlich? War's ein« Ant wort auf ihre Träumereien von vorhin? Nur mit Mühe ritz sie sich von ihren Gedanken los und antwortete leise: „Ihre Bilder gefallen mir." „Dieses Bewußtsein wird mir Kraft verleihen, immer Besseres zu leisten", sagte er, nicht in dem Tone eines ManneS, der ein Kompliment machen will, sondern mit einer Einfachheit, aus der man die Aufrichtigkeit hrrauSfühlt. Sie sah zu ihm auf, während er sprach, und ein leichtes Roth stieg in ihre Wangen, aber sie blieb die Antwort schuldig. „Ich glaube", fuhr Marcus fort, indem er an ihrer Seit« Platz nahm, „Anfänger zu unterstützen, ist das Edelste, was man thun kann." — „Ein leichter Dienst, den man ihnen erweist, erscheint ihnen oft mals als eine Grotzthat." — „Weil der Anfang eben das Schwerste ist. Wenn man erst festen Boden unter sich hat, schreitet man verhältnißmätzig leicht vorwärts. Der erste Erfolg ist entscheidend. Sie kennen doch das deutsche Sprichwort: „Wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu." Er sprach ernst und seine blauen Augen leuchteten vor Er regung. „Aber ist denn der Erfolg der höchste aller Wünsche? Giebt ei nichts Begehrenswerthercs im Leben?" fragte-sic sanft und leise.—
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