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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.11.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981129016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898112901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898112901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-29
- Monat1898-11
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Reklamen unter dem Nrdactionsstrich (4ga» spalten) 50^Z, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis» Ve^eichniß. Tabellarischer und Zifsernsatz nach höherem Tarif. Vxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit de« Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderung X 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uha. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an d.-« SrpekUtia» zu richten. — » Druck und Verlag von E. Polz tu LeipziL 92. Jahrgang. Die Heeresverftiirkung nnd das VerhiMniß Deutschlands zu Rußland. 2S Wie uns gestern Abend der Telegraph aus Berlin ge meldet hat, wird dem Reichstage eine besondere Vorlage über die Erhöhung der Friedenspräscnz zugehen; sie wird begründet sein mit dec Erhöhung der Friedenspräsenzstärke in den Nachbarreichen und mit den Erfahrungen des spanisch amerikanischen Krieges, wo die mangelnde Kriegsbereitschaft die schlimmsten Folgen gehabt habe. Wahrscheinlich wird die erste Lesung der Vorlage schon vor Weihnachten stattfinden; jeden falls aber wird die Heeresverstärkung, auch wenn die Vorlage in diesem Jahre noch nicht zur Verhandlung gelangt, bei der ersten Berathung des Etats von den Rednern aller Parteien erwähnt und berücksichtigt werden. Kein Wunder also, daß die Gegner L tont prix schon jetzt, wenn sie auch die Vorlage noch nicht kennen, ihre Gründe gegen die Vermehrung ins Gefecht führen. Nach der Veröffentlichung des Fricdensmanifestes des russischen Kaisers tonnte sich jeder Politiker sagen, daß die radikalen Parteien diese Kundgebung als Argument gegen die Heeresvermehrung verwerthen würden. Dies ist denn auch bereits geschehen und wird natürlich während des Kampfes um die Vor lage in noch viel ausgedehnterem Maße stattfinden. Man stellt die Forderung der Heeresvermehrung als eine Verletzung der Empfindungen des friedliebenden russischen Kaisers dar, weil ja eine Heeresvermehrung die schärfste Ablehnung der Abrüstung bedeute. „Es ist Alles schon einmal dagewesen", dieser Spruch des alten Weisen bestätigt sich auch in der gegenwärtigen Situation. Im Sommer 1886, als Alexander von Bulgarien infolge russischer Machinationen seines Thrones beraubt worden war, drängte die radikale Presse zum Kriege mit Rußland. Als aber wenige Monate später die deutsche Regierung eine Ver stärkung des Heeres verlangte, widersetzten sich dieselben Parteien mit Entschiedenheit der Forderung der Regierung. Fürst Bis marck konnte deshalb mit Recht den Radikalen die bittere Be merkung entgegenschleudern: „Es ist merkwürdig, daß die Presse derselben Partei, die jetzt der Verstärkung unserer Armee wider spricht, vor wenigen Monaten alles Mögliche gethan hat, um uns in einen Krieg mit Rußland zu verwickeln." Derselbe Wider spruch des Verhaltens der Radikalen ist auch jetzt vorhanden. Sie sind die geborenen Gegner des autokratischen russischen Staates, und besonders die socialistische Presse kann nicht genug Verachtung dafür ausdrllcken, daß die Regierung sich vor dem „Knuten-Zaren" beuge. Jetzt aber möchte man eine unbequeme Forderung dadurch zu Falle bringen, daß man Rücksicht auf die Empfindungen des russischen Kaisers verlangt. Vor einem Jahrzehnt erfand die radikale Presse den vom Fürsten Bismarck mit Recht als roh bezeichneten Ausdruck vom „Bauchwettrutschen" vor Rußland. Nun, wer rutscht vor Rußland auf dem Bauche? Diejenigen, die eine innere deutsche Angelegenheit mit den Neigungen und Wünschen des russischen Kaisers verquicken möchten, „rutschen" doch wohl eher, als eine Regierung, die die Bedürfnisse ihres Staates aus sich selbst heraus und nicht nach Rücksichten auf die Auffassungen eines fremden Monarchen prüft. Gewiß ist die Heeresvermehrung nicht als eine Bestätigung der Auffassung des russischen Kaisers anzusehen, aber sie ist andererseits alles eher, als eine Verletzung der Gefühle dieses Monarchen. Läge in ihr eine Beleidigung, so hätte der russische Kaiser vor allen Dingen Anlaß, die mit ihm verbündeten Fran zosen als Beleidiger anzusehen. Denn Frankreich verstärkt soeben seine Wehrkraft zu Lande sowohl wie zu Wasser. Die Bildung neuer Bataillone schreitet unausgesetzt fort und deshalb ist die Heerespräsenz für das nächste Etatsjahr wieder eine höhere, als für das laufende Jahr. Und wenn soeben der Antrag ein gebracht worden ist, die zweijährige Dienstzeit einzuführen, so ist auch dies nur geschehen, um über eine noch größere Anzahl aus gebildeter Soldaten verfügen zu können. Was die Marine an langt, so ist der für Frankreich beschämende Ausgang des Faschodastreites ein starker Ansporn zu ihrer Vermehrung. Tat sächlich verlangt auch bereits ein französischer Admiral, daß die französische Flotte der englischen an schnellen Kreuzern, Avisos und Torpedojägern überlegen gemacht werden solle, was gegen über dem derzeitigen Bestände der französischen Flotte an diesen Schiffsgattungen eine Verdreifachung bedeuten würde. Der russische Kaiser ist gerecht genug, um anzuerkennen, daß Deutsch land nur dann auf die größtmögliche Entwickelung seiner Heereskraft verzichten dürfte, wenn er, der Zar, dafür garantiren könnte, daß die Franzosen endlich den Frankfurter Frieden ehrlich anerkennen. Diese Garantie zu geben, ist der russische Kaiser außer Stande und deshalb kann er sich nicht dadurch verletzt fühlen, daß Deutschland die Bemühungen Frankreichs, seine Wehrkraft zu vervollkommnen, mit gleichen Maßregeln erwidert. Die deutsche Regierung kann also darüber beruhigt sein, daß durch die Einbringung der Hceresvorlage das Verhältniß Deutsch lands zu Rußland nicht verschlechtert wird. Darum ist aber der Versuch, die angebliche russische Empfindlichkeit gegen die Heeres- vorlage auszuspielen, nicht weniger verwerflich. Denn es ist ja nicht das Verdienst der Opposition, daß der russische Kaiser und die russische Regierung ein höheres Maß von Einsicht besitzen, als es der deutschen Opposition erwünscht scheint. Spuren einer katholischen Gegenreformation in Sachsen. Auf der Hauptversammlung des Sächsischen Landesvereins des Evangelischen Bundes für das Königreich Sachsen, welche am 7. November in Dresden stattfand, hat Superintendent Meyer-Zwickau eine Ansprache gehalten, der wir nach dem „Neuen Sächsischen Kirchenblatt" folgende beachtenswerte Stellen entnehmen: Man kann nicht leugnen, daß die geschäftige Rührigkeit der Römlinge viel, sehr viel erreicht hat; wir Protestanten sind ihnen gegenüber zu lau für unsere Sache, ja träge in der Arbeit für sie gewesen. Ich nenne einen der schmerzlichsten und schmäh lichsten Punkte in der deutschen Geschichte, wenn ich von der politischen Hegemonie des Centrums rede. Und noch immer sind den Staatsmännern und den Führern mancher Parteien die Augen gehalten, daß sie nicht erkennen, wie sie mit jedem Dienst, den sie dem Centrum erweisen, nur den großen Gesammtplan des Vatikans zur Vernichtung des deutschen Reiches und der evangelischen Kirche unterstützen. Wie verblendet sind unsere Politiker! So hat in diesem Jahre ein ehemaliger Parlamen tarier konservativer Art die „K. S. Leipziger Zeitung" mit Artikeln über das allgemeine Wahlrecht versehen und die Be seitigung desselben erhofft, wenn man die aufgeregten Katholiken durch Aufhebung des Jesuitengesetzes besänftigt habe. Er schreibt: „Wirksamer als der Aufruf des Evangelischen Bundes würde die Aufhebung des Jesuitengesetzes zur Beseitigung der jetzigen aus dem Kulturkampf hervorgegangenen anormalen Zu stände beitragen. Es ist der katholischen Bevölkerung nicht zu verdenken, wenn sie diese Aufhebung als den ersten Schritt für den definitiven Schluß des Kulturkampfes, für die Wiederher stellung des Vertrauens zur Reichsregierung bezeichnet. Und ist der hierfür gezahlte Preis der Reichsregierung ein zu hoher? So lange aber dieses Gesetz besteht, wird man darauf verzichten müssen, die Zustimmung der katholischen Bevölkerung zu einer Aenderung des jetzigen Reichstagswahlrechtes zu erlangen." Daß ein Sachse so schreiben tonnte, dessen Vaterland in Er innerung an das schwere, durch die Jesuiten ihm widerfahrene Unheil diese durch die Verfassungsurkunde aus seinem Gebiete ausschloß, daß die „K. S. Leipziger Zeitung" diesen Artikel ohne jegliche Gegenbemerkung aufzunehmen vermochte, ist ein be denkliches Zeichen für die Erschlaffung des protestantischen Be wußtseins und für die politische Kurzsichtigkeit in manchen Kreisen. Der Einfluß des Ultramontanismus verwirrt die Gemllther; vor dem Erfolge krümmen sich die Rücken. Und auch in Sachsen hat in den letzten 25 Jahren der Romanismus immer stärker sich vorgeschoben. Zum Zeugniß dessen führe ich Ihnen eine Anzahl bekannter Thatsachen vor, auf di« schon früher^von uns hingewiesen ward; aber es ist gut, sie im Zusammenhang unserem Volke vorzuhalten, damit sie nicht dem flüchtigen Ge- dächtniß unserer Tage entschwinden. Wir wollen nicht vergessen, wie manchen glücklichen Zug die römische Propaganda im säch sischen Adel gemacht hat; das Papstthum greift vor Allem in die vornehmen und reichen Schichten, um durch diese seinen Glanz und seinen Einfluß zu erhöhen. Wir wollen nicht vergessen, welcher Unwille die protestantischen Sachsen ergriff, als der Priester Prinz Max in der katholischen Hofkirche die Protestanten aufforderte, dem römischen Katholicismus sich anzuschließen, als die Absicht laut wurde, ihn im Dienste der römischen Kirche in unserem Lande zu beschäftigen; die Vergangenheit redet davon, wie unheilvoll der Cardinal von Sachsen, auch ein Prinz aus dem Hause Wettin, in die Geschichte unseres Volkes eingriff; dieses Vorgehen von damals darf nicht erneuert werden. Wir wollen die Erscheinungen im Auge behalten, die auf eine be sondere Rücksichtnahme gegen die katholische Kirche deuten. Im Landtage 1873 hatte der Kultusminister v. Gerber betont, daß keine Publikation des Unfehlbarkeitsdogmas erfolgt sei, die dem Staat, seinen Behörden und seinen Institutionen gegenüber als existent betrachtet werden müsse. Dennoch wurde durch Ver ordnung vom 27. November 1876 der Gebrauch des katholischen Katechismus für das Königreich Sachsen gestattet, in dem schlankweg das Dogma von dem unfehlbaren Papste gelehrt wird, ein Katechismus, der in seinem religions-geschichtlichen Anhang die schmählichsten Auslassungen wider die Reformation und die Reformatoren enthält. Und dieser Katechismus fand zu seiner Einführung die Genehmigung angesichts der-.Ver- ordnung desselben Kultusministeriums, die verlangt, daß im Religionsunterricht Alles vermieden werden solle, was geeignet sei, den Glauben einer anderen Konfession zu verletzen. Nom hatte es erreicht, seine Kinder in ultramontanen Anschauungen durch die Schule großzuziehen. Wir wollen nicht, vergessen, daß der jetzige Bischof öffentlich das Loblied der Jesuiten ge sungen hat, denen doch die sächsischen Grenzen verschlossen sind, ja, daß er die Frömmigkeit der Wettiner ihrer einstigen Thäiig- keit zuschrieb. Wir wollen nicht vergessen, daß manche junge Priester, die jetzt in Sachsen Anstellung finden, ihre Ausbildung im Mainzer Seminar erlangten, das unter der Aegide des ultcamontansten Bischofs, des Bischofs Haffner, steht. Und darüber wollen wir nicht übersehen, daß die Zahl der barmherzigen Schwestern von Jahr zu Jahr, bereits über 100, gestiegen ist, und daß sie mit Vorliebe ihre Thätigkeit auf vornehme protestantische Kreise aus dehnen, sicherlich nicht aus Barmherzigkeit gegen diese, sondern in mnjorom zzloiiam eocli^me. Zu dem Allen ist in Dresden ein katholisches Krankenhaus errichtet, in dem zur Pflege der Kranken acht graue Schwestern unter einer Oberin stationirt sind; da auch die Verwaltung desselben in vielen Punkten den Nonnen überlassen ist, sprach ein Professor des Kirchenrcchts, Professor Loening in Halle, in einem von uns erbetenen Gut achten es aus, daß das Krankenhaus als eine Ordensniederlassung angesehen werden müsse. Das Kultusministerium wies diese Auffassung ab; das Krankenhaus bleibt. Die Sachsen sollen au die freundlichen Dienste des Ultramomanismus sich gewöhnen, damit sie ihr Mißtrauen gegen ihn verlieren und so seinem weiteren Vordringen kein Hinderniß bereiten. Man wird all gemach kühner. Schon hat man in einzelnen Bezirken bei Reichs tagswahlen Kandidaten des Centrums aufgestellt — und wenn auch diesem Wagemuth kein Erfolg blühen tonnte, so bewirkte man doch die Zersplitterung der Stimmen und erschwerte die Wahl von reichstreuen Männern. Und neuerdings hat man sogar „«in katholisches Volksblatt, Organ für die Katholiken des Königreichs Sachsen, des Herzogthums Altenburg und der Fürstenthiimer Neuß beider Linien", gegründet, das natürlich bereits seinen Haß gegen den Evangelischen Bund ausgoß und seine Feindschaft gegen Bismarck bemerklich machte. Es ver spricht ein würdiger Bruder des „katholischen Kirchcnblattes" zu werden, das voll hämischen Bemerkungen über die Aeußerungen Ides protestantischen Bewußtseins mit der Hoffnung nicht zurück- Feuilleton. Ein üm pro (Ivo. Aus dem Italienischen von Filippo de Ferrari. NalvtruS »erboten. Es sind schon einige Jahre her, da reisten an einem schönen Sommertage zwei junge Leute von Verona nach Mailand. Ob wohl Landsleute, kannten sie einander nicht; nur der Zufall, dieser große Hexenmeister, hatte sie in demselben Bahnwagen einander gegenüber Platz nehmen lassen. Kaum eine Viertelstunde war vergangen, als sich unsere beiden Reisenden schon in lebhafter Unterhaltung befanden, die sich zuerst natürlich um das Wetter, um Eisenbahnen, Dampfschiffe, Telegraphie und ähnliche schöne Dinge drehte. Nach Verlauf einer Stunde boten sie sich gegenseitig Cigarren an, und ehe sie noch Brescia erreicht hatten, war das wechselseitige Vertrauen so weit gediehen, daß Keiner vor dem Anderen mehr ein Ge- ycimniß aus seinen innersten Herzensangelegenheiten machte. „Ich", sagte Alexander Daldelli, „reise nach Mailand, um dort eine glänzende Partie zu machen, d. h. die einzige Tochter des besten Freundes meines Vaters heimzuführen." „Und ich", erwiderte Alfons Ramieri, „gönne mir einfach eine Luftveränderung in der Hoffnung, meine Lage dadurch zu verbessern. Da es mir in Verona nicht gelang, mein Fort kommen zu finden, so will ich einmal in Mailand mein Glück versuchen." „Mein zukünftiger Schwiegervater", fiel Alexander ein, „hat jedenfalls einflußreiche Freunde und ausgedehnte Verbindungen, und wenn ich Ihnen irgendwie dienen kann . . „Sie sind äußerst liebenswürdig. — Sagen Sie, heirathen Sie aus Liebe?" „Ich hoffe." „Wie, Sie hoffen?" „Ja, ich hoffe eS." ! „Ich verstehe Sie nicht." „Und doch ist das sehr einfach. Mein Vater hat zu mir gesagt: Fräulein Marie Dalmonte ist 18 Jahre alt, wohl erzogen, liebenswürdig, sanft, schön und das einzige Kind ihrer Eltern. Mit ihrem Vater bin ich von Jugend auf befreundet. Seit zehn Jahren etwa tragen wir uns mit dem Gedanken, die alte Freundschaft durch ein inniges Familienband noch fester zu knüpfen. An Dir ist es nun, diesen unseren Lieblingswunsch zur Wirklichkeit werden zu lassen." „Und Sie sind darauf ohne Weitere? eingegangen?" „Warum sollte ich nicht?" „Das heißt also, Sie wollen sich sozusagen nach Fürsten manier „per proourationom" vermählen?" „DaS ist doch nobel, dächte ich?" „Nobel mag'» ja sein — aber ich für meine Person bekäme e» nicht fertig, blindlings wie Sie einen solchen Entschluß zu fassen, der über meine Freiheit, mein Glück, mit einem Wort über mein ganzes zukünftiges Leben entscheidet." „Hätte ich irgend eine HerzenLneigung, so würde ich Ihnen beipflichten. Aber mein Herz ist frei wie der Vogel in der Luft. — Und sagen Sie selbst: Kann wohl je ein Bräutigam be haupten, er kenne seine Zukünftige? Und umgekehrt, eine Braut, sie kenne ihren Zukünftigen?" „Nun . . . „Erlauben Sie", fuhr Valdelli fort, „wie geht es denn bei diesem Geschäft gewöhnlich zu? Eine Familie zieht Er kundigungen über eine andere Familie ein. Schön. Der Heirathscandidat hat keine sichtbaren Fehler. Er geht chic ge kleidet, hat meinetwegen eine passable Singstimme, tanzt gut, ist geimpft, die beiderseitigen Eltern haben einander nichts vor zuwerfen, und auf Grund dieser Thatsachen wird es dem jungen Manne gestattet, dem bewußten jungen Mädchen den Hof zu machen. Jst's nicht so?" „So ungefähr." „Was thut nun unser junger Mann? Er läßt sich öfter und sorgfältiger als sonst rasiren, knöpft nur noch die feinsten Hemd kragen an und sucht seine unwiderstehlichste Cravatte hervor. Er spielt den Zärtlichen, den Zuvorkommenden, raspelt Süßholz nach Noten und beschneidet sich alle Morgen die Nägel, aus genommen den des kleinen Fingers, da es ja chic ist, diesen einen halben Centimeter lang wachsen zu lassen. Mit einem Worte, er verbirgt seine Fehler und spiegelt Eigenschaften vor, die er nicht besitzt." Alfons Ramieri gab unter feinem Lächeln ein Zeichen der Zustimmung. „Gehen wir nun zu dem jungen Mädchen über", fuhr Valdelli fort. „Die Mutter hat ihr eingeprägt, ihre Zunge wohl zu hüten; sie hat ihr viele weise Lehren gegeben, wie ge fährlich es ist, seinen wahren Charakter gleich anfangs offen zu zeigen; sie hat sie abgerichtet, den Mund ein stereotypes Lächeln umspielen und von dem, wie's ihr um's Herz ist, die Mienen nichts verrathen zu lassen. Vvm frühesten Morgen an muß sie wohlfrisirt, geschniegelt und gebügelt, blank geputzt wie die Knöpfe einer Lieutenantsuniform einherstolziren. Man reicht ihm ein süßes Gebäck. „Von i h r eigenhändig gebacken!" Man macht ihn auf ein paar Kreidezeichnungen unter Glas und Rahmen an der Wand aufmerksam, „ihr Werk!" Die kunst volle Stickerei auf jenem Lehnsessel — „auch ein Werk ihrer nie ruhenden Fingerchen!" Ach, sie ist so geschickt, so fleißig, so haushälterisch. . . ." „Aber Sie scheinen die Frauen aus dem ff zu kennen", unter bricht ihn Ramieri; „sind Sie etwa Wittwer?" „Gott bewahre mich! Ich bin nur ein wenig Advocat." „Ein wenig, sagen Sie?" „Auch im Ernste, wenn Sie wollen. Was nun die Herzens- und Geisteseigenschaften der Zukünftigen betrifft, so sind sie selbstverständlich über jedes Lob erhaben. Kostbare Toiletten sind ihr ein Greuel, indische ShawlS ein Gegenstand der Ver achtung; wie Jemand ein Diamantencollier tragen kann, ist ihr unfaßlich. Rauschende Vergnügungen haßt sie, Bälle lang weilen sie, das Theater macht ihr wenig Vergnügen. „Das Reich der Frau ist das Hau»; da» wahre Glück besteht nur in der Verbindung zweier für einander geschaffenen Seelen". Die ihre ist selbstredend für ihn geschaffen und seine für sie. Sin Herz und ein Hüttchen; Philemon und Baucis, Romeo und Julia, Petrarca und Laura, Hero und Leander u. s. w. u. s. w. Kurz, lieber Freund, s i e ist ein Engel im Fleisch, vom Himmel zur Erde herniedergestiegen — eigens für ihn. Mit einem Worte, es ist ein Gaukelspiel, eine Maskerade, die unter der er munternden Oberaufsicht der gestrengen Frau Mama die be stimmte Anzahl von Monaten nach allen Regeln der Kunst be trieben wird, daß es eine Lust ist; man mustzirt zusammen, be schenkt sich gegenseitig mit Blumen und mit mehr oder minder kostbaren Andenken, bis endlich das verhängnißvolle „Ja" aus gesprochen ist. Im Käfig der Ehe gefangen, werfen nun die Gatten die Maste ab, zeigen sich nun erst ihr wahres, von so manchem Flecken entstelltes Gesicht und rütteln ohnmächtig an ihren Fesseln." „Die auch manchmal zerrissen werden", warf Ramieri ein. „Allerdings. Und doch sagen die Dichter, Ehen werden im Himmel geschlossen. Na, das muß wohl wahr sein, wie könnte sonst Mancher bald nach der Hochzeit aus den Wolken fallen. Das Eheglück, Verehrtester, ist gleichsam eine Glaskugel, mit der die Gatten während der Flitterwochen spielen, bis sie schließlich zu Boden fällt und zerbricht, und nun streiten sie den Rest des Lebens darüber, wer sie zerbrochen habe. Glauben Sie denn, daß ein Ehepaar selbst nach Verlauf einiger Zeit sich gegen seitig besser kennt, als wir uns kennen, Fräulein Dalmonte und ich, die wir uns noch gar nicht gesehen haben?" . . . Der Zug war in Mailand angelangt; dem Redefluß des jungen Bräutigams war ein Ziel gesteckt. „In welchem Gasthof steigen Sie ab?" fragte Valdelli seinen neuen Freund. „Ich weiß noch nicht", erwiderte Ramien. „Kommen Sie mit mir ins Hotel de la Ville?" „Meinetwegen." Und sie machten sich auf den Weg. Diese Gedankenstriche sollen nicht andeuten, daß hier dem Leser etwas verschwiegen wird, sondern sollen ihn nur auf einen plötzlichen Scenenwechsel vorbereiten. Gleich in der ersten Nacht nach seiner Ankunft in Mailand bekam nämlich Alexander Valdelli einen heftigen Choleraanfall, dem er trotz aller Bemühungen des sofort herbeigerufenen Arztes um vier Uhr Morgens erlag. Sein Freund Alfons Ramien unterzog sich gern den durch die Umstände gebotenen Pflichten. Er ordnete zunächst alles Nöthige zur Ausführung eines angemessenen Begräbnisses an. Dann erinnerte er sich, daß der Verstorbene von der Familie seiner Braut ungeduldig erwartet würde, steckte alle Papiere Valdelli's zu sich und begab sich am anderen Morgen nach der Wohnung des Schwiegervaters in der redlichen Absicht, ihm die Papiere zu übergeben und ihn von dem plötzlichen Trauerfall in Kenntniß zu setzen, der seine Tochter vor der Hochzeit zur Wittwe machte. Herr Dalmonte bewohnte mit seiner Familie eine Villa bei Monza (einem Städtchen unweit Mailand). Dorthin begab sich Alfons. Als die Dienerschaft, schon längst von der erwarteten Ankunft des zukünftigen Schwieger sohnes unterrichtet, ihn durch das Gartenthor kommen sah, eilten einige sogleich in das Haus mit dem Rufe: „Er ist da, er ist da!" Der Schwiegervater schnellte trotz seiner Ischias bei diesem Ruf aus seinem Lehnsessel empor, eilte, so rasch er konnte, dem Eintretenden entgegen, schloß ihn zärtlich in seine Arme, ehe jener Zeit hatte, auch nur ein Wort zu sagen, führte ihn in den Salon und stellte ihn hier der Gattin als Schwiegersohn, der Tochter als Bräutigam vor. Die Villa war weitläufig gebaut, geschmackvoll und reich ausgestattet; die Tochter strahlend schön, der Hausherr freundlich, ja äußerst jovial, die Mutter das biederste Geschöpf von der Welt. Kurzum, es war eine Familie, in deren Schooß sich jeder Fremde augenblicklich wohl und heimisch fühlte. So tonnte denn auch unser Ramieri der Versuchung nicht widerstehen, von dieser schönen Gelegenheit wenn möglich Vortheil zu ziehen. Er spielte seine Rolle vortrefflich und übergab den Eltern die Briefe, die der Tobte ihnen hatte bringen sollen. Das Mittagessen stand schon bereit und man begab sich alsbald zu Tisch. Alfons erhielt seinen Platz neben seiner vermeintlichen Braut, die wenig sprach und nur einsilbige Antworten gab, dafür aber um so öfter und ausgiebiger erröthete — nach verliebter junger Mädchen Art. Marie war ein achtzehnjähriges Persönchen mit einem Engelsgesichtchen, freundlichen Augen und kastanienbrauneni Lockenhaar. Ihre Kleidung war schmuck und einfach wie sie selbst. Zuvorkommend und liebenswürdig in richtigem Maße gegen die Tochter, aufmerksam und diensteifrig gegen die Eltern, ernst gemessen und doch zu rechter Zeit heiter in seinem Benehmen — so hatte Alfons nach Verlauf einer Stunde die Herzen aller Familienmitglieder erobert. Beim Kaffee wurde die Unterhaltung lebhafter. Man sprach von der Ausstattung, von der Art und Weise der Hochzeitsfeier und Aehnlichem. Abends machte man einen Spaziergang durch den Park. Herr Dalmonte reichte seiner Frau den Arm, konnte sich aber, von der Ischias gequält, nur langsam fortbewegen. Alfons und Marie durchmaßen dagegen die Gänge des Parkes mit dem raschen Schritte der Jugend, der die Gegenwart nur im Fluge berührt, um desto rascher zur Zukunft zu gelangen. Aus den dunklen Gebüschen flöteten die Nachtigallen; die Blumen verbreiteten in der erfrischenden Abendkiihle balsamischen Duft. Es war eine Stunde, die alle zärtlichen, schmachtenden Gefühle weckte, eine Stunde, in der die Hände sich suchen und fassen, die Stimmen flüstern, die Seufzer einander ablösen, eine Stunde, in der jenes beredte Schweigen herrscht, das den auf den Lippen zitternden Erklärungen voraufgeht, die schließlich hervorbrechen und Alles mit sich fortreißen wie ein seine Ufer überfluthender Strom. Eine Kokette macht sich solche Stunde gern zu Nutze und spannt da mit Vorliebe ihre Netze aus, wohl wissend, daß solche berückenden Augenblicke den Unbeständigen fesseln und trunkene Begierden wecken. Aber unser Fräulein Marie war in solchen schlimmen Künsten unerfahren; sie war die Offenheit, die Einfachheit selbst. „Herr Valdelli", sagte sie schüchtern, „haben Sie auch noch mein Bild?" „Teufel", dachte Ramieri, „davon Hot mir Alexander ja ga« nichts gesagt."
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