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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960616029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896061602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896061602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-16
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Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familtennachrtchten (6gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernfutz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrung ^4 M.—, mit Postbeförderung 70.—. Innahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets a» die Expedition zu richte». Druck und Verlag von E. Potz kn Leipzig so. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Juni. Der Wunsch, den Moskauer Zwischenfall, wenn auch nicht zu vergessen, so doch zu begraben, erweist sich leider als un erfüllbar; selbst die bayerische Regierung kann nicht schweigen, sondern steht sich zu folgender Erklärung in der Münchener „Allgem. Ztg." genöthigt: „Die Rede des Prinzen Ludwig in Moskau giebt besonders der ultramontanen Presse Veranlassung, den nunmehr längst klargestellten Vorfall in einer Weise aufzubauschen und aus- zunützen, welcher auf das Entschiedenste entgegengetreten werden muß. Unter dem Scheine der Loyalität gegen das erhabene bayerische Königshaus werden lediglich reichsfeindliche Tendenzen verfolgt. Auch das Auftreten des Grafen Konrad Preysing in einem hiesigen katholischen Verein muß, so großen Beifall es auch erregte, als unglücklich bezeichnet werden. An dem Abende, an welchem er seine Rede hielt, hätte ihm die osfieiöse Darstellung des Vorgangs in der „Nordd. Allgemeinen Zeitung" bereits bekannt sein sollen. Wir können versichern, daß Se. kgl. Hoheit der Prinz.Regent durch diese Behänd- lung und Aufbauschung des Vorgangs, sowie durch die hierbei hervorgetretene reichsfeindliche Gesinnung sehr unangenehm berührt ist und daß auch Prinz Ludwig jene ganze Art sehr peinlich empfindet." Man hat aber auch in Berlin allen Anlaß, sich sehr peinlich von der reichsfeindlichen Gesinnung berührt zu fühlen, die in den den Moskauer Borfall ausbeutenden Blättern zu Tage tritt. Denn es ist nicht nur die bayerische ultramontane Presse, die den Groll zwischen Süd und Nord im deutschen Reiche zu schüren sucht, vielmehr stehen die preußischen ultramontanen Blätter ihren bayerischen Eolleginnen in diesem edlen Bestreben redlich bei. Es handelt sich also um den Ausbruch eines reichsfeindlichen Ge fühls, das beim Ultramontanismns gleich stark in Preußen wie in Bayern ist und dem nur der Ort, an dem es zum Ausbruch kommt, eine andere Schattirung giebt. Wie eifrig z. B. die in Bonn erscheinende „Deutsche Reichszeitung" ist, Bayern gegen Preußen und das Reich aufzuhetzen, geht aus der folgenden Zuschrift aus München hervor, der dieses Blatt dieser Tage Aufnahme gewährte: „Wenn heute Gefahren vorliegen, so liegen sie im Neber- maße und Uebermuthe des Preußenthums. Was in Moskau zur Abwehr geschah, war Nothwehr gegen Hebergriffe und Tactlosigkeiten. . . . Wenn man den Protest von Moskau als vollkommen am Platze mitfühlt und sich freut, daß einmal anS hohem Munde ein wahres und klares Wort gefallen ist, dann sollte man freilich auch nicht vergessen, die logischen Folgerungen zu ziehen. Und diese Folgerungen find ein offenes Verdammuiigs- urtheil der Politik der bayerischen Staatsregierung namentlich seit dem Tode des unglücklichen Königs Ludwig II. Was Prinz Ludwig in Moskau sprach, ist das schwerste Verdammungsurtheil gegen das seit bald 20 Jahren so unglücklich in Bayern wirthschastende Ministerium v. Crailsheim." Als Eideshelser wird dann Memminger's „Bayer. Landesztg." angerufen, welche die angebliche bayerische Schwächlichkeit gegenüber Preußen schildert und in dem Schluß gipfelt: „Man hat wirklich sehr viel gcthan, um in Berlin die Meinung zu befestigen, daß Bayern blos ein unterthä Niger, treu gehorsamer Vasall sei." Daran knüpft der Münchner Gewährsmann des rheinischen Centrumsorgans folgende durch Sperrdruck groß hervorgehobenen Worte: „Erst wenn die bayerische Staatsregierung sich wieder an die Pflichten erinnert, welche ihr die Stellung innerhalb des Rahmens des Reiches anweist, wird auch die äußere Achtung vor der bayerischen Dynastie sich wieder einstellen und werden Proteste, wie der in Moskau, überflüssig!" In den maßgebenden Kreisen Münchens hat man ja, wie ersichtlich, die rechte Lehre aus solchen Auslassungen gezogen. Der kalte Wasserstrahl, der aus den Spalten der „Allgem. Ztg." über die Häupter der reichsfeindlichen bayerischen ultramontanen Hetzer sich ergießt, wird schwerlich ohne Wirkung bleiben. Man kann nur wünschen, daß man in den maßgebenden Berliner Kreisen, in denen die Hätschelung des Illtraniontanismus seit Jahren ebenso zur Gewohnheit geworden ist, wie in Bayern, den rechten Schluß ebenso wie in München zieht und zu einer ähnlichen kräftigen Sprache sich entschließt. Man schien cs in der Reichs hauptstadt ganz vergessen zu haben, daß das Eentrum überall im Reiche der eifrigste Pfleger des Particnlarismus in seiner häßlichsten Gestalt ist und daß die Hätschelung des Ultramvntanismus in Preußen eine Hätschelung des Particularismus im ganzen Reiche, eine Förderung der reichsfeindlichen particularistischen Strömungen in allen Einzelstaaten bedeutet. Jetzt ist man in einer Weise daran erinnert, welche die preußische Ehre berührt. Es hieße hinter der bayerischen Regierung zurückstehen, wenn man in Berlin nicht die erste beste Gelegenheit ergriffe, den reichs feindlichen Hetzereien der ultramontanen Presse ebenso energisch entgegenzutreten, wie die bayerische Negierung es thut. Die Interpellation des Eentrums bezüglich des Jesuitengesetzes liefert eine solche Gelegenheit. Man wird ja sehen, ob und wie sie ausgenutzt wird. WaS man sonst noch aus dem Moskauer Vorgänge sirnd seinen Folgen in den maßgebenden Kreisen Berlins zu lernen hat, haben wir bereits im Leitartikel unserer letzten Sonn- tagsausgabe angedentet. Wir haben aber noch hinzu zufügen, daß die preußischen Conservativen, als sie kürzlich im Abgeordnetenhause den von dem Abg. Grafen Limburg-Stirum gegen den Fürsten Hohenlohe er hobenen Borwurf beklatschten, Preußen habe in Reichösachcn nicht mehr den genügenden Einfluß, die Geschäfte der nicht preußischen Particularisten führten. Schon jetzt klagen die süddeutschen Particularisten über zu großen Einfluß Preußens in Neichssachen; der von den preußischen Conservativen be klatschte Borwurf des Grafen Limburg-Stirum wird von süddeutschen Blättern als Ausfluß „preußisch particularistisch- agrarischer Beklemmungen wegen der bayerischen Spitze im preußischen Ministerium" ausgclegt uud auSgedeutet. Glauben die conservativen Gesinnungsgenossen des Herrn Grafen wirklich, daß in irgend einem bestimmten Falle der Einfluß Preußens im Reiche, nicht genügend zur Geltung gekommen sei, so mögen sie diesen Fall erörtern; aber mit so allgemein gehaltenen und vieldeutigen Vorwürfen nützen sie weder dem Reiche noch Preußen, sondern nur jenen Elementen, denen die Rede des Prinzen Ludwig in Moskau einen willkommenen Vorwand zu Preußen- und reichsfeind lichen Hetzereien bot. Die französischen Tocialisten haben es leicht, „inter national" zu sein. Sie brauchen mir, was sie sich auch auf keinen Fall nehmen lassen werden, Franzosen zu bleiben. Die d eutsch en Führer ehren ihre — der französischen „Genossen" — patriotischen Empfindungen und machen sich das ihrerseits auch leicht, indem sic den französischen Vaterlandsgedanken adoptiren. Herr Liebknecht bat sich in Paris als Franzosen vor geführt und durchblicken lassen, daß er in dieser seiner Eigenschaft den andern socialdemokratischen Führern in Deutschland imponire. Wir waren von jeher über zeugt, daß Liebknecht mehr Deutschenhasser als Kos mopolit ist, jetzt bestätigt er diese Auffassung nack der positiven Seite hin. Kein Wunder, daß die französischen Sccialdeniokraten Elsaß-Lotbringen reclamiren dürfen, ohne gegen die „heiligen" Grundsätze des SocialismuS zu verstoßen, und daß die deutschen Socialdemokraten nack der Auslieferung der Neichslande an Frankreich rufen. Beide sind eins in Liebe und Haß gegen die zwei in Betracht kommenden Länder. Nur daß die Gefühle der französischen Socia- listen achtenswerthe sind. Mit fürstlichen Ehren ist Li-Hnng Tschang in Berlin empfangen worden und ohne Zweifel ist es gerechtfertigt, daß man seinem auf mehrere Tage berechneten Besuch in der deutschen Reichshauptstadt, wo er sowohl mit dem Kaiser wie mit den maßgebenden Personen, die für unsere Be ziehungen zum Auslande in Betracht kommen, in per sönliche Berührungen getreten ist und noch weiter treten wird, eine weitgehende Bedeutung beilegt. Li-Hung-Tschang hat seine Bewunderung für das große deutsche Reich un verhohlen ausgesprochen und eS ist, wie schon aus dem Besuch, welchen der außerordentliche Botschafter des Kaisers von China unseren hervorragenden Werften, Geschütz- und Gewehr fabriken zugedacht hat, bervorgehen dürfte, so gut wie sicher, daß der Vicekönig Deutschland nicht verlassen wird, ohne unsere Industrie mit bedeutenden Aufträgen versehen zu haben. Li-Hung-Tschang ist entschlossen, auch in anderer Beziehung China für die Fortschritte des civilisirten Westens zugänglich zu machen und aus seinen Andeutungen läßt sich entnehmen, daß er diesen Umwälzungsproceß am liebsten an der Hand enger Beziehungen gerade zu Deutschland sich vollziehen lassen möchte. Auch das kann für die heimische Industrie und den heimischen Handel nur von größtem, mit Freuden zu begrüßendem Bortheil sein. Nur vor allzu optimistischen Anschauungen möchten wir warnen. Einmal wird jener Umwandelungsproceß, wenn er nicht wie frühere Versuche, in den ersten Anfängen stecken bleibt, nur sehr allmählick vor sich gehen, denn wie im chinesischen Volksgeist, so findet der große Reformator, der Li-Hung-Tschang ja unbestritten ist — in der ausgesprochen conservativen Gesinnung seines Kaisers ein Gegengewicht, dessen Bedeutung er vielleicht unterschätzt, weil er seinen Einfluß auf len Kaiser zu überschätzen scheint. Mächtiger als der zeitweise allerdings allmächtige Li ist die Hoscamarilla in Peking, die mehr als einmal den Sturz des Vicekönigs herbeigeführt hat, noch mächtiger der Widerwille und die Uubolmäßigkeit der Gouverneure und der Mandarinen, welche dem auch gegen die Deutschen sich richtenden Fremdcnhaß Vor schub leisten, ohne daß die Regierung in Peking im Stande wäre, ihnen ihre Macht spüren zu lassen. Man darf sich also nicht zu großen Erwartungen hingeben. Andererseits erscheint sogar den Freundschaftsbetheuerungen Li's gegenüber eine gewisse Zurückhaltung geboten. Wenn der Botschafter in seiner Ansprache an unseren Kaiser sagte, die freundschaftlichen Beziehungen Chinas zu Deutschland seien „so ausgezeich net, wie mit keiner anderen V ert ragSma cht", so ist das im Hinblick auf das intime Verhältniß Chinas zu Rußland nicht wörtlich zu nehmen. Man geht wohl nicht fehl, wenn man darin eine gewisse eaptatio keuevoleutiac! erblickt, der Li-Hung-Tschang sich glaubt bedienen zu müssen, um Deutschlgnd geneigter für die große Anleihe zu machen, die uns bekanntlich zngedacht ist, sowie für die beabsichtigte Er höhung der chinesischen Einfuhrzölle, mit deren Hilfe die enormen Kosten des letzten Krieges gedeckt werden sollen. In einer interessanten Unterredung eines Vertreters der Berliner „Post" mit Li-Hung-Tschang, welche wir in der Hauptsache an anderer Stelle wiedergeben, bat dieser darauf hingewiesen, daß China nur deshalb von Japan zu Boden geschlagen worden sei, weil es von diesem jählings, allen Freundschafts Versicherungen zum Trotz, überfallen worden sei und daß, wenn China und Japan zum zweiten Male die Waffen kreuzen sollten, ersteres ohne Zweifel den Sieg an seine Fahnen heften werde. Daß mag richtig sein. Vorerst haben wir cs aber mit einem, durch den unglücklichen Krieg erschöpften, finanziell auf sehr schwachen Füßen stehenden China zu tbun, daß für die schon ausgenommenen bedeutenden Anleihen seine Haupteinnahmequelle, die Einfuhrzölle, bereits an Rußland und Frankreich verpfändet bat. Das weiß man in Berlin sehr genau, und deshalb geben wir uns der Zuversicht bin, daß man in den Verhandlungen mit dem vielgewandten Chinesen die ge botene Vorsicht walten lassen wird. Jedenfalls aber erwarten wir, daß jetzt, wo sich eine kaum sich wiederholende Gelegen heit, Concessionen von China zu erlangen, darbietet, der günstige Augenblick in jeder Beziehung ausgenutzt wird und daß die maßgebenden Stellen in ihren Gegenforderungen nicht allzu bescheiden sind. Vorläufig haben wir von dem Besuche des Vertreters des Kaisers von China nichts als die in Aussicht gestellten größeren Bestellungen uud die Ankün digung, daß China beabsichtige, eine eigene stehende Gesandt schaft in Deutschland zu errichten. Wie voraußznseben war, ist General Baratieri, bis zur Schlacht von Adua Oberstcommandirender der italienischen Truppen in Abessinien, nach siebentägiger Verhandlung vor dem Kriegsgericht in Massaua sreigesprochen worden. Tie Anklage auf Feigheit und Verlassen der Truppen mußte fallen gelassen werden, da einwandfrei nachzewiesen werden konnte, daß Baratieri im dichtesten Kugelregen sein Leben muthvoll in die Schanze geschlagen, daß nach dem Hereinbrnck der Katastrophe, als Alles in wildester Auflösung begriffen war, eine Befehlsertbeilung sich als unmöglich erwies und daß der eilige Rückzug des Hauptquartiers sich als eine Notwendigkeit erwies, da dasselbe selbst in höchste Gesabr geraten war. Nur bleibt, was auch die an anderer Stelle wiedergegebene Urteilsbegründung anzudeuten scheint, in dieser Hinsicht der Makel auf Baratieri basten, daß er zwei Tage ununterbrochen Hals über Kopf davon jagend, erst in Adicaja Halt machte, statt irgendwo nördlich von Adua die fliehenden Truppen, so gut es irgend ging, zu sammeln und den Rückzug zu leiten. Auch kann es keine Sympathie für ihn erwecken, daß er, in Adicaja angclommen, ein Telegramm an die Regierung in Nom richtete, welches sich in den ärgsten Schmähungen gegen seine eigenen Truppen, deren Bravour außer Frage steht, erging. Das wichtigste Er- gebniß derVcrbandlungen besteht indessen darin,daß der eigentliche Zweck des ProcesseS, die Verantwortlichkeit für die Katastrophe vom I. März dem früheren Cabiuet Crispi zuzusckieben, voll ständig vereitelt worden ist. Criöpi wurde beschuldigt, den General zu einem „authentischen" Siege angespornt zu haben. Diese Unterstellung hat Baratieri gründlichst widerlegt, denn er hat mit aller Entschiedenheit erklärt, daß die Regierung keinerlei Einfluß auf ihn geübt, daß er kein Telegramm, das einen „authentischen" Sieg von ihm verlangt, erhalten habe, daß er vielmehr seinen Entschluß, anzugreifen, ohne Vorwissen der Regierung aus der ganzen Lage heraus und in lieberem stimmuug mit allen ihm untergebenen Generalen gesaßt habe. Hätte Baratieri nur den leisesten Anlaß gehabt, die Verant wortung von sich abzuwälzen, so hätte er denselben sicherlich ergriffen. Den Vorwurf, er habe aus gekränkter Eitelkeit den Angriff unternommen, vermochte Baratieri dadurch zu entkräften, daß er nachwies, seine Ersetzung im Oberbefehl durch General FeiriHetsn. Judas. 6j Roman von Claus Zehren. Nachdruck verboten. Lala Mohlen hat ihm etwas erstaunt zugehört. Die ein fache, schlichte Schwärmerei ist ihr so fremd, daß sie absolut nichts damit anzufangen weiß. Ein Mittagsspaziergang unter den Linden hat für sie viel mehr Zauber wie die Haideberge, und gestern Abend erst hat sie einer Gräfin X. erklärt, daß nichts so schon sei wie Innsbruck, und einer Pariserin, daß das höchste Entzücken auf dem Boulevard des Italiens zu finden sei. Und nun —? „Wie mich daS freut, daß Sie auch die Heimath so über Alle- lieben. Ich gab Ihnen noch nicht die Hand, nun wollen wir eS als Landsleute im engeren Sinne nachholen!" „Guten Abend, Herr Doctor!" tönte Eva's Stimme dicht neben ihm. Wie elektrisirt wendete er, die Hand der Wittwe vergessend sich üm. „Ich nahm noch nicht Gelegenheit, Ihnen heute Abend die Hand zu reichen", sagte die Tochter des Präsidenten er- röthend, „jetzt bringe ich einen Gruß von meiner Mutter." Er schüttelte kräftig ihre Rechte. „Wie geht es Ihrer Frau Mutter?" „Leidlich gut!" Die Worte sind nur kurz, aber er behälk etwas lange die schlanke Hand in der seinen und blickt sie mit glänzenden Augen an. Das ist die Eva, wie er sie liebte, wie ihr Antlitz ihm oft im Traume vorschwebte. Bald darauf geht man zum Souper. Harald war schweigsam, aß aber mit riesigem Appetit, wie Frau Mohlen bemerkte. Der Assessor sprüht von guter Laune und der Rittmeister läßt sein Lämmchen sitzen und macht der Wittwe die Cour ohne nennenSmerthe Erfolge, da sie sich mit Eifer bemüht, den Doctor in ein Gespräch zu ziehen. Nachher klopft der Hosrath Koschrodt dem Doctor Raß- mu« auf die Schulter. „Gut amüsirt? b'iu äo 8iöcle-Weib diese Mohlen, die nach einer achtjährigen ehelichen Enttäuschung Alles miß- vchtet und doch krampfhaft nach Jemandem sucht, den sie vertrauungsvoll lieben könnte. Sie ist eine geborene von Sickern und heirathete einen Finanzmann, dem sie nicht ein mal verzeihen konnte, daß er für sie Geld zusammenkratzte. Jetzt plätschert seine Wittwe mit zehntausend Thalern Nevenüen vergnüglich im Karpfenteich der Heiratbslustigen, mit einem immensen Respect vor den Hechten. Da, jetzt schaut sie zu uns herüber! Ich werde mir doch eine Quadrille auSbitten." Fort ist der kleine Mann, um gleich darauf mit rascher Verbeugung an Frau Mohlen die Worte zu richten: „Nun, gut amüsirt mit ihrem Tischherrn?" „Passable, Hofräthchen! Dieser Doctor sollte von der Sittenpolizei arretirt und zur Bewahrung seiner Unschuld bis Morgens früh vier Uhr Einzelhaft erhalten." „Nicht übel, gnädige Frau. Halten Sie ihn für solchen Tugendspiegel?" „Entweder ein Engel oder ein Teufel! Auf jeden Fall habe ich constatirt, daß er absolut keinen Sinn für uns Unterdrückte der Schöpfung hat. Nicht einmal Auffassung für ein schönes Fell, wie Sie alter Sünder es zu nennen belieben." „Oho, Sie mögen Recht haben und sollten einmal sein Sprechzimmer sehen. Na, ich sage Ihnen, — übrigens'lebt er nicht so einsam, denn eine Wittwe führt ihm den Haushalt." „Ah!"— Lala's Augen nehmen einen merkwürdigen Aus druck an. „Unter oder über dreißig?" „Holde Mittelstraße, aber sehr gut conservirt." „Also auch der", seufzt Lala Mohlen, spöttisch die schönen Schultern bewegend. „Sehen Sie, Ihr alter Fehler, gnädige Frau, überall unS Männern Schlechtes zuzutrauen. Was hat jene Haus hälterin mit seiner Tugend zu thun?" „Nein, eben, — leider nichts mehr!" „Pessimistin!" droht der Hofrath. „Doch da kommt Ihr Paladin mit einem Fruchteis-Teller; er sollte den Inhalt lieber selbst verzehren." Lala schlägt den Hosrath mit dem Fächer auf die Hand. „Herr Hosrath, der Geläufigkeit Ihrer Zunge würde etwas EiseSstarre sehr zur Mäßigung dienen!" ruft sie dem Enteilenden noch nach. Doctor RaßmuS hatte den Tanzenden noch eine Weile zu geschaut. Eva, ganz außer Athen», kommt auf ihn zu. „Bitte, eugagiren Sie mich für diesen Tanz und führen Sie mich in ein ruhiges Zimmer! Eine barocke Idee, daß jeder geladene Herr zwischen zwanzig und vierzig Jahren sich verpflichtet hält» mit der Tochter des Hauses mindestens einmal im Saal herum zu Hetzen!" Leicht die Hand auf seinen Arm legend, schreitet sie neben ihn zur Thür hinaus. „Haben Sie meinen Onkel gesehen?" „Nein, seit dem Souper nicht wieder. Er ging mit Kurt Hansen in jenes Zimmer." „O, — hier ist es herrlich!" sagt sie tief athemholend, sich in einem kleinen Cabinet auf einen Stuhl niederlassend. „Man hört kaum die Musik und die Luft ist wonnig kühl. Bitte, setzen Sie sich doch auch, Herr Doctor. Sie waren als Arzt bei demselben Regiment wie mein Onkel Karl?" „Ja, — und das war die schönste Zeit meines Lebens, wenigstens bildet dieselbe die schönste Erinnerung. Doch keiner von allen Kameraden war mir so lieb wie Ihr Onkel! Solch eine Grundnatur. Wo man hinblickt oder hingreift. Alles thatkräftig, vornehm von Gesinnung und ein Soldat, wie er sein muß. — WaS treibt er jetzt?" „Er reist umher in allen Welttheilen und macht ethno logische Studien, auf welche Wissenschaft er sich seit seiner Pensionirung geworfen hat. Von meiner Mutter wird er fast vergöttert, und er erwidert diese Zuneigung, das weiß ich. Sein Aufenthalt wird mehr nützen als alle Medicamente, denn sein lebensfrisches Wesen ist ja geradezu ansteckend. Und ich?" — Sie spielt zerstreut mit dem Deckel eines Buckes, welchen sie langsam auf und nieder klappt. „Nun, — ich habe ihn als Kind vielleicht lieber gehabt als Vater und Mutter. — Doch waS rathen Sie, Herr Doctor, in welches Bad soll ich im Sommer mit Mutter geben?" „Ich rathe zur Insel Wight. Das Klima ist im Mai und Juni dort herrlich." Ihr feines Antlitz ist gesenkt und Harald siebt deut lich im Lampenschein zwei Thränen an den langen Wimpern glänzen. „WaS läßt Sie so traurig empfinden, Fräulein von Äarchbusen?" „Ich dachte an Ihre Worte, welche Sie meiner Mutter bei ter ersten Consultation sagten. Wie kann man tanzen und scherzen mit solch gewisser trauriger Zukunft vor sich! Glauben Sie mir, wenn Vater nicht wäre —. Doch »ein, daS verstehen Sie nicht. Es muß wohl so sein." „Vielleicht", sagt Harald kurz. „Wir Menschen können irren, also auch ich. E« handelt sich für Sie nur darum, die Seelengröße zu haben, auch dem Schwersten offenen AugeS, klaren Sinnes entgegen zu sehen. Wir Männer finden uns mit der Unerbittlichkeit der Naturgesetze eher ab als die Frauen, aber diese sollten es doch versuchen. Mau braucht nicht leichtfertig zu sein, um den Willen zu haben des Glückes noch zn genießen, so lange cs uns erhalten bleibt. Im Zusammenleben mit einer solchen Mutter wie die Ihrige ist jede Stunde des Gedankenaustausches reicher als mit anderen ein jahrelanger Verkehr." Sie senkt die Lider vor dem ruhigen, aber herzlichen Blick seiner Augen. „Ja, Zräulein Eva, Sic sollten sich ganz dem Tbcile Ihrer Doppelnatur zuwenden, welcher Sie zur Mutter zieht." „Meiner Doppelnatur?" sagte sie erstaunt. „Ja. — Vielleicht ist es nicht ganz das richtige Wort, aber ich weiß auch keinen besseren Ausdruck dafür." „Sie meinen —, Herr Doctor?" „Vielleicht finden Sie bei einigem Nachdenken selbst, WaS ich ausdrücken wollte. Doch ich höre Jemanden im Neben - zimmer, soll ich Sie zurückführen?" Rasch steht Eva auf, gerade als zwischen der Portiere Onkel Bostel's grauer Kopf erscheint. „Also hier steckt die Vielgesuchte! Irgend ein Lieutenant rast durch alle Zimmer, nach Dir suchend. Ich habe ihm den Rath gegeben, auch im Keller nachzusehen, weil daS Beste meistens unter der Oberfläche liegt." „Ah gewiß! Ich verplaudere hier die Zeit. Am liebsten säße ich hier in jenem Winkel mit Ihnen Beiden plaudernd noch lange zusammen", meinte Eva lebhaft. „Ich glaube, mich ruft jetzt vce eine Natur", wendet sie sich trotz eines Lächelns auf den Lippen mit ernstem Auge zum Doctor. Dieser nickt nur mit dem Kopse, und das junge Mädchen verschwindet, die Beiden allein lassend. „Heiliger Bimbam, lieber Haraldasmus, ist daS ein Ver gnügen trotz des guten Soupers! Mit fünfzig Menschen habe ich gesprochen, und unter allen sind Sie der einzige, welcher einen leidlich vernünftigen Eindruck macht!" „Nur leidlich, Herr Major?" „Wollen Sie noch mehr? Schon Ihre Anwesenheit hier rechtfertigt das „leidlich". UebrigenS, meine Schwester hat mir von Ihnen erzählt, daS heißt von einem jungen Doctor, ohne mir Ihren Namen zu nennen, sonst hätte ich nicht ein solches Halloh angeschlagen über unser Wiedersehen. Was sagen Sie zu meiner Nichte, welche sie jetzt besser kennen müssen als ich? War ein Prachtkind die« Mädchen, so frisch und natürlich und auch gut —! Ja, ja, merkwürdig datz man für das Beste in der Welt fast da« kürzeste Wor'
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