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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990109019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899010901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899010901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-09
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Reclamen unter dem NedactionSsirich i4g» spalten) öO/ij, vor den Familiennachrichl«» (6 gespalten) 40/4- Größere Schriften laut unserem Preis- ve^eichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit bl Mvrgcn-AuSgabe, ohne Postbesürderung 60.—, mit Postbeforderung 70.—. Innahmeschluß für Anzeigen: ?lbrnd-Au»gabe: Vormittags 10 Uhr. Morgrn-Au-gabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an d-e Expedition zu richte«. Druck und Verlag von E. Pol» tu LeipsiL 93. Jahrgang. Aberglauben und Gebrauche in den Zwölf Nachten. Mne hokkskundlichr Skizze von Or. Arthur Brabant. Die Zeit der Zwökf Mchte ist von Urzeiten her im Volks- glaotea eine besonders „ahnungsreiche"; durch allerlei Gebräuche sucht man während der Zeit vom Heiligen Abend bis zum Hohen Neujahr einen Blick in die Zukunft HU erhaschen, und wenn man'S nur richtig macht, meint daS Volk, dann geht's auch. Me ge«Se diese Zeit dazu kommt, für besonders zauberreich und zukunftzeigend zu gellen, ist leicht zu erklären. Schon in vor christlicher Zeit feierten die alten Germanen ihr Julfesi, ihre Gonnemvendfeier, das Neutvachsen deS Lichtes in diesen Tagen, spätere Zeiten brachten die Feier der Geburt des Heilandes damit in Zusammenhang, die Zeit war heilig; dazu kommt das Sinken deS alten Jahres und daS Herannahen des neuen, das von selbst -u der Frag«: „WaS wird es mir bringen?" veranlaßt. Für katholische Länder kommen außerdem noch die gerade in die Zeit fallenden Feste deS heiligen Stephan, des Evangelisten Johannes, Sylvesters u. s. w. in Frag«. Durch alle Zwölf Mchte geht ein Glaube; man soll sich merken, waS man in jeder Nacht geträumt hat; das soll dann für je einen Monat eine Vorbedeutung haben. Da nun in der Deutung der Träume nicht vollkommene Uebereinstimmung herrscht, — z. B. meinen traumkundige Leute, Das, was man träumt, geht „in Erfüllung", andere, ebenso große Capacitäten dagegen sind der Ansicht, daS Gegentheil davon „trifft ein", — so kann man sich mit einiger Weitherzigkeit immer Las Angenehmste heraus deuten. Auch im Träumen von Lotterienummcm kann man sich jetzt für die nächsten Clafsen der königlichen Landeslotterie sein Glück vorbereiten, leider kommt es dabei immer darauf an, die geträumten Nummern richtig zusammenzustellen, und das ver stehen eben sehr Wenige. So viel Glück, wie die Tirolerin, die vier und sieben „träumte" und dann diese beiden Zahlen und als dritte deren Summe, dieihrer Berechnung nach zwölf gab, mit Erfolg im Lotto setzte, hat nun einmal nicht Jedes. Auch daS Wetter der zwölf Tage soll für die Witterung des kommenden Jahres Bedeutung haben, man kann es aber auch aus dem Verhalten von zwölf mit Salz bestreuten Zwicbelschaleu herauSbekommen. Aber, wie gesagt, so leicht, wie das aussieht, ist es nicht, man muß sich darauf verstehen. Daß man in der Zeit „Zwischen den Jahren" nicht vorsichtig genug sein kann mit dem Esten, ist allbekannt. Wer es liebt', daS ganze Jahr über, und nicht blos am ersten des Monats, mit reichlich Geld versehen zu sein, der muß altem Volksbrauche nach i-n den Zwölf Nächten, besonders aber am Neujahrstage, etwas „Quellendes" essen. Reis, Hirse und Gries, reichlich genossen, sichern einen steten Dorrath von dem nöthigen „Klein geld", Klöße find mehr für Liebhaber von großen Geldstücken, freilich kann man auch davon weniger essen. Auch Kartoffelsalat mit rvgenem Hering, am Heiligen Abend genossen, soll die Wirkung haben. Ich kenn« aber Viele, die mit Beachtung aller Ceremonien regelmäßig sich diesen aussichtsreichen Genüssen völlig erfolglos hingegeben haben. Sie werden es jedenfalls doch nicht ganz richtig gemacht haben. Ich selbst probire, aus rein wissenschaftlichen Gründen natürlich, schon jahrelang daran, die richtige Methode zu treffen, leider ohne den gehofften Erfolg. Vielleicht ist es mir diesmal geglückt, dann werde ich im nächsten Jahre genau beschreiben, wie ich's gemacht habe. In Nieder deutschland muß man sogar am Christabend siebenerlei, ja auch neunerlei Speisen essen, um das ganze Jahr Geld zu haben. Aber auch für Schönheit und Stärke kann man etwas thun. So trinkt im Dogtlande wohl heute noch der Bauer am Sylvester „die Schöne" und am Hohen Neujahr „die Stärke", in anderen Gegenden wird dem Chripnachtsthau besondere Stärke ver schaffende Kraft zugemessen. In einer Menge von Gebräuchen liegt das Streben, den (oder die, meist allerdings „den") „Zukünftigen" zu erfahren, ihn zu „bannen" oder wenigstens seine Gestalt oder seinen Bor namen zu erkunden. So sucht man in einigen Gegenden aus dem Rauche der verlöschenden Christbaumkerzen den Namenszug oder den Anfangsbuchstaben des Namens herauszudeuten, durch Blei gießen zur Zeit der Zwölf Nächte erfährt man auch Allerlei über den kommenden Geliebten. Ein: eigenthümliche Sitte herrscht noch heute vielfach im Süden. Die Liebessehnsüchtige muß da am Andreas- oder Thomastage (30. September oder 21. December), meist aber am Sylvester um Mitternacht in mög lichst geringem Anzug« irgend eine Hausarbeit verrichten, z. B. Stubenkehren oder Feueranzünden. Beim zwölften Glockcnschlage soll dann der Geliebte durchs Zimmer gehen. Besonders reich an allerlei alten Gebräuchen ist von jeher der Bauernstand gewesen. Auch heute noch hat er Sitten bewahrt, die dem Städter längst fremd geworden sind. Im Vogtlande, in Bayern, in Westfalen und am Rhein finden sich noch die meisten Spuren vergangenen Volksglaubens. So geht man wohl hier und da noch im Dogtlande in den Zwölf Nächten an Kreuz wege, um die Zukunft zu erfahren oder man „horcht" zum Fenster hinaus, wobei man beachten muß, daß über dem Fenster »in Balken ist, der durch die ganze Decke läuft. Das Heulen und ,/Wehklagen" der Hunde und Katzen, das Erscheinen eines vom Lichte angelocktcn Kätzchens am Fenster, Alles hat seine Be deutung. In Westfalen beobachtet man das Vieh beim Fressen, lange Eiszapfen zu Weihnachten bedeuten langen Flachs im nächsten Jahre. Im Rheinland« schauen die Winzer am Drei- königsabend nach den Sternen, viel Stern« verkünden ein gutes Weinjahr. In der Wetterau, in Hannover und in Brandenburg muß der Bauer, will er ein gutes Obstjahr haben, den Bäumen ein'gutes Neujahr wünschen, in vielen anderen Gegenden müssen die Obstbäume um Weihnachten herum mit Strohseilen um wickelt werden. Gegen schädliches Ungeziefer schützt der „Christ brand" der Westfalen, die Asche und Ueberreste eines mächtigen Blockes; als ein unfehlbares Mittel gegen Flöhe kehrt in Alt bayern die Hausfrau das ganze Haus von oben bis unten aus und wirst den Kehricht über den Zaun. In Süddeutschland haben sich überhaupt, wohl mit Unterstützung der Kirche, viele Bräuche erhalten. Am 26. December, am Stephanstage-, reitet man die Pferde zur Tränke oder läßt sie zur Ader, oder umreitet die Kirche. Am 27. December, der dem Evangelisten Johannes geweiht ist, wird in der Kirche der Wein geweiht. Dann geht der Hausvater heim und begrüßt seine Hausfrau mit den Worten: „Ich bring' Dir den St. Johannissegen", worauf sie antwortet: „g'segen's Gott". Hierauf trinkt er und giebt ihr den Becher, mit dem sich in gleicher Weise die Frau an die rangnächste Person wendet, und so geht es fort bis zum letzten Hüterbuben. Das schützt vor Krankheit und giebt Kraft. Was übrig bleibt, wird zum Festtrunk bei Familienfesten aufbewahrt. Besonders feier lich wird der 5. und 6. Januar begangen. Am 5. Januar findet die sogenannte „Dreikönigsweihe", d. h. die Weihe der Räucher materialien, der Kreide, des Wassers für den folgenden Drei königstag statt. Am 6. räuchert dann die Hausfrau das ganze Haus von unten bis oben, die Ställe und die Scheuern. Nach dem Mittagsmahle erhebt sich der Hausherr und geht mit der Kreide von Thür zu Thür, erst in der Wohnung, dann im Stall und Nebengebäude und schreibt die drei Könige und Jahreszahl an, meist m folgender Form: 18 6 -s- Ll -s- 8 -s- 99. Auch an alle Kästen werden di« drei Kreuze geschrieben. Am Abend ziehen dann die Buben singend mit dem Stern durchs Dorf. In allen diesen Volksglauben und Gebräuchen lebt noch ciwas germanisches Heidenthum, das theilweise mit christlichen Ge bräuchen untermischt ist. Erst in neuerer Zeit beschäftigt sich nach längerer Unterbrechung die Wissenschaft wieder mit der Ergründung des Sinnes und mit dem Herkommen des Volks glaubens, auS dessen eigenartigem Wesen die tiefe poetisch« Natur anschauung unserer Voreltern hervorleuchtet. Die Dichter -es „Don Juan";, Von Hermann Pilz. Der italienische Schriftsteller Giurati hat kürzlich neue Unter suchungen über Lorenzo da Ponte, den Dichter des Textbuches zu Mozart's „Don Juan" veröffentlicht. Nach Giurati soll da Ponte, dessen Verhältniß zu Mozart Julius Grosse in einem größeren Roman in fesselnder Weise geschildert hat, ursprünglich Emanuele Conegliano geheißen haben. Die Eltern waren Juden. Aber der im Jahre 1749 in Ceneda geborene Dichter ließ sich 1765 laufen und erhielt bei dieser Gelegenheit vom Bischof von Treviso dessen eigenen Namen: Lorenzo da Ponte! Lorenzo widmete sich dem Priestecstande und war später selbst ein orthodoxer Professor am Priesterseminare zu Treviso. Da kam er nach Venedig und hier in der üppigen Lagunenstadt ging eine Wandlung mit ihm vor. Die Strenggläubigkeit seine. Jugend schmolz in dem Feuer des venezianischen Lebens. Er lernte endlich die Lust des Lebens kennen! Die Extreme be rühren sich. Wir haben es in der deutschen Literatur wiederhol: gesehen, am markantesten bei Wieland, wie sich Orthodoxie und religiöse Schwärmerei in Frivolität verwandeln. Auch da Ponte wurde in Venedig zum frivolen Abenteurer, die damals auf dem Markuüplatze ihre Börse hatten, und zu den Fahnen Cagliostro'S und Casanova's schworen. Es war das untergehende Venedig, in dem da Ponte die umgekehrte Metamorphose vom Paulus zum Saulus durchmachte. Er entledigte sich seines PriestergewandeS und wurde bald im Kreise der Abenteurer, dem auch Goldoni angehörte, einer der talentvollsten Hochstapler. Den französischen Encyclopädisten und den Frauen Venedigs galten seine haupt sächlichsten Studien. In der Ergründung der Geheimnisse der Liebe that er es Casanova gleich. Ein toller Liebeshandel war es auch, der ihm den Boden zu heiß unter den Füßen machte. Es blieb ihm nichts weiter übrig als die Bleidächer Venedigs oder die Flucht aus dem Weichbilde von San Marco. Er floh und kam 1775 nach Dresden. Das Glück war ihm hold. Er verließ sich im galanten Dresden wieder auf die Frauen, und da ihm die Prima Ballerina des Hoftheaters ihre Gunst schenkte, war er sehr bald in Theaterkreisen bekannt und wußte sich auch bei Hofe beliebt zu machen. Aber ein Liebeshandel mit einer vornehmen Dame trieb ihn auch vom Elbstrande hinweg. Er floh an die schöne blaue Donau, wo er 1785 in Wien mit Mozart zusammenkam. Für Letzteren schrieb er die Libretti zu „Figaro's Hochzeit" und „Don Juan", die besten, die er geschaffen hat, Sie trugen ihm den Titel „Kaiserlicher Theaterdichter" ein und beinahe wäre er auch zum Hofpocten ernannt worden, eine Stellung, die man weniger durch Verdienst als durch Jntriguen erlangte. Aberauch inWienhatw sich da Ponte durch Liebesaffairen unmöglich gemacht, und wir finden ihn später in London und New Dort als Theaterdirector wieder. Daneben verkaufte er auch „italienische Maaren", selbst sabricirten italienischen Wem und selbftgrbackene echte Maccaroni. DaS Maccaronigeschäft florirte mehr als die Theaterunternehmungen, und so finden wir denn den flotten da Ponte, nachdem er sich die Hörner abgestoßen, zuletzt in New Dork als ehrsamen Kaufmann in seinem italienischen Spccialitätenladen stehen und Maccaroni und Salami verkaufen. Er hat eine hausbackene, aber im Ge schäft tüchtige Frau heimgeführt, die mit ihm um die Wett: echt italiensche Maccaroni bäckt und ihm bis an sein Lebens ende das Dasein behaglich macht. Er stirbt als wohlhabender Handelsmann im Jahre 1838. . . . Sein wAdes abenteuerliches Leben krönte ein spießbürgerliches, philiströses Ende. Da Ponte Feuilleton. Das Glasauge. Novellen« von Andrb d« Beaumont. Deutsch von Gustav Leo« Welbrri. Nachdruck verboten. Er war groß, brllnrtt, nach meinem Geschmack, reizend in jeder Brzirhung. Am Abende vorher waren wir zum ersten Male in den dunklen Laubengängen d«s Parks spazieren gegangen; die gerade All«, die sich vor dem Hause erstreckte, war bisher allein Zeuge unserer Vertraulichkeiten gewesen; ich liebte sie sehr, diese Allee, mit ihren mächtigen Eichen, den Bänken, um angenehm zu plaudern, den grünen Rasenflächen auf beiden Seiten und den blitzenden Scheiben der Fenster im Hintergründe, die, wenn die Sonne unterging, guten großen offenen Augen glichen, die unser Glück zu belächeln schienen. „Bleibe in der Allee, wenn Du mit Herrn von Valente spazieren gehst, Angöle", hotte mir meine Mutter zu Beginn unseres Brautstandes gesagt: „Die Gänge des Parkes sind im höchsten Grad« feucht und ungesund." Und ich blieb in der Allee, indem ich Raoul (er hieß Raoul) einen sanften Widerstand entg«g«nsetzte, der seinerseits, ich weiß nicht warum, eine besondere Vorliebe für gedeckte Wege zu haben schien. „Mama sagt, daß diese Gänge feucht sind, bleiben wir hier, nicht wahr?" Ich hatte eine reizende Stimme, einen Blick und ein Lächeln, die eS nicht weniger waren, und er dachte nicht weiter daran, in mich zu dringen. An diesem Abende indessen war mein Kopf völlig verkehrt, mein Herz schrecklich zusanrmengepreßt; er sollte abrersen am Morgen, um, ich weiß nicht, welches Papier zu holen, das zu unserer Vermählung nothwendig war. Acht Tage, ohne ihn zu sehen!! Wie würde ich leben können? Und er, er hatte meine Aufregung benützt und mich in den feuchten Park geführt, der übrigen- trotz seines schlechten Rufes so trocken al» nur möglich schien. „Mine thrure AngSle, Sie werden mich doch nicht vergessen während dieser acht Tage?" „Sie vergessen!! oh!! " Ich würde die Hände zum Himmel erhoben haben, um ihn al» Zeugen anzurufen, daß etwa« Derartiges nicht geschehen konnte, wenn er sie nicht so fest in den seinigen gehalten hätte; aber ich pflege mich gewöhnlich nicht lany« mit sentimentalen Br- thruerungrn aufzuhalten, meine Lebhaftigkeit erlaubte da» nicht, und auch diese» Mal ging ich rasch darüber hinweg. „Raoul, Sie lieben mich, nicht wahr? Nun denn, ich will Ihnen alle meine Fehler sagen: ich werde viel ruhig« sein, wenn Sie sie im Vorau» kenmn, Sie würden sie ja doch früher oder später entdecken, hören Sie also: Ersten» bin ich sehr eigenwillig, ich werde mich Ihnen nicht unterordnen, Sie müssen sich darin schicken, dann, jäh und aufbrausend wie da» Pulver, ich stampfe mit dem Fuße, ich schrei«, ich weine selbst manchmal, zum Glück geht da» schnell vorüb«, sodann, kokett wie all« Frauen, Str werden nicht eifersüchtig sein, hoffe? Und dann, wa» noch? Ich wüßte nicht gerad« . . . Ein wenig naschhaft vielleicht, nicht böse, nicht heuchlerisch... Ich finde nichts mehr. Was das Physische cmbrtrifft, was könnte ich da wohl haben? Sie müssen das auch wissen ... ah, einer mein« Mgel ist nicht ganz so wie die anderen; sehen Sie, « ist nicht allzu häßlich, denke ich . . ." Und meine Hand loSlösend, zeigte ich ihm einen kleinen rosigen Nagel, ein wenig eckiger wie die anderen, eine sehr un schuldige Wunderlichkeit der Natur. Raoul lachte und wollt« ihn küssen, aber ich entzog ihm meine Hand. „Mir fehlt auch ein B^isheitszahn, und der mir wohl immer fehlen Wird; ich werde niemals vollkommen weise werden. Man mußte ihn ausreißen, diesen Zahn, weil er zu früh wuchs; an Ihnen die Reihe, mein Herr, nun beichten Sie." Raoul schwieg, sichtlich verlegen. „Nun? ... rin wenig Muth, ich werde Sie nicht aus zanken, haben Sir keine Angst; ich kenne Ihre Fehler nicht, aber Sie haben welche, das ist ganz sicher. Erstens sind Sie kurzsichtig, da Sie stets ein Monocle tragen, Mama sagt, daß Sie mit dieser Scheibe im Auge eine drollig« Grimasse schneiden; ich, ich finde es nicht, Sie gefallen mir ganz gut so, indessen, nehmen Sie dieses Glas ab, damit ich weiß, wie Sie aussehen, ohne daß Sie das Gesicht verziehen." Mit einer schüchternen Bewegung hatte ich die Schnur des Monocles erfaßt, aber Raoul hielt meine Hand fest. „Nein, meine süß« Angöle, lassen Sie es; ohne dieses Glas würde ich Sie nicht mehr sehen, denn ich bin kurzsichtig, sehr kurzsichtig, es ist wahr, und ich will Sie sehen, Angöle, denn Sie sind die Freude meiner Augen." Dann, bevor ich noch daran denken konnte, hatte er mich um schlungen, an sich gezogen und bedeckte meine Augen und meine Haare mit Küssen. „Raoul, das ist sehr schlecht, Los, was Sie da thun, ich mag daS nicht!" „Warum schlecht? Sind Sie nicht meine Verlobte, meine herzige kleine Frau?" „Wenn ich Ihre Frau sein werd«, wird daS etwas Anderes sein, lassen Sir mich gehen, ich bleibe nicht hi«, es ist zu finster unter den Bäumen." ES war mir gelungen, mich loszumachen, und meine Haare zusammenhaltrnd, die unt« so süßen Küssen wie elektrisirt nach allen Richtungen davonflogen, entwischte ich laufend nach der Allee: von einer Beicht« war kein« R«de mehr; noch imm« hoch- erröthend, dachte ich an ganz andere Dinge. Am Morgen war « abgereist, welch' ein abscheulich« Augen blick, diese Abreise!... Auf der Terrasse stehend, hatte ich denKopf abgewandt, um nicht zu sehen, wie Johann die Zügel anzog, wie die Pferd« zusammen aufstiegen, wie der Landauer sich in Be wegung setzte, um nicht zu sehen, mit einem Worte, wie man ihn mir entführte! . . . Papa hatte ihn auf den Bahnhof begleitet; Mama und ich, wir frühstückten allein, e» war eisig! Mama aß wie gewöhnlich, wa» mir sonderbar schien; ich, ich nahm nur ein klein wenig, um mich auftecht zu «halten, und das mit vieler Müh«; jeder Bissen blieb mir im Halse stecken. Inmitten de» Frühstücke» öffnete Augustine die Thür. „Gnädige Frau, Herr von Valente hat sein Glasauge auf seinem Zimmer vergessen. Soll man es ihm nachschicken?" Wenn sich der Himmel geöffnet hätte und die Sonne und der Mond auf den Tisch herabgefallen wären, würde ich keinen stärkeren Stoß verspürt haben; da» Ende der Welt wird vielleicht nicht AehnlicheS haben; ich wiederholte mit Entsetzen: „Sein Glasauge, Justine?" „Jawohl, gnädiges Fräulein, es liegt auf seinem Waschtisch." Mama war erblaßt, aber sie war sehr ruhig geblieben. „Es ist gut, Justine, gehen Sie nur; wir werden später sagen, ob man es ihm nachschicken kann." Ich hatte nur zwei Alternativen: in Ohnmacht zu fallen oder in ein krampfhaftes Schluchzen auszubrechen; ich entschied mich für das Letzter«. „Mama, Mama, er hat ein Glasauge; mein Gott, ist es denn möglich? Das ist ja gräßlich! .... Ich werde mich niemals darüber trösten können! . . . Ich werde sterben vor Gram!" „Beruhige Dich, mein Kind, beruhige Dich, es ist lächerlich, sich in einen solchen Zustand zu versetzen; dieser Herr hat uns hintergangen, das ist Alles; sein Blick kam mir in der That manchmal recht sonderbar vor." Mama hatte sich erhoben, ich schluchzte an ihrem Busen. „Warum hat er es mir nicht gesagt, mir, die ich ihm alle meine Fehler eingestanden habe, und den Nagel und den auSgerissenen Zahn und den Jähzorn, Alles, Alles! . . . Mein Gott, wie un glücklich ich doch bin . . . Und gestern Abend hat er aus gerufen: „Sie sind die Freude meiner Augen!" Er hätte sagen müssen: „Sie sind die Freude meines Auges ... „Oh, es ist gräßlich, gräßlich!" „Aber Kind, weine doch nicht so, ich sage Dir, daß das lächerlich ist; denke nicht mehr daran, suche Dich zu beruhigen: wie unangenehm, daß die Dinge schon so weit gewesen sind; acht Tage vor der Hochzeit. . . und jetzt, wo Alles bereit ist. Schließlich, es ist besser, daß wir noch rechtzeitig darauf ge kommen sind." Ich hörte kaum, eine Frage brannte mir auf der Zunge. „Dann hat er also ein Auge zum Wechseln, Mama; man legt wahrscheinlich jenes, das benutzt wurde, ins Wasser, um es zu erfrischen?" Mama war schrecklich aufgebracht. „Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht, ich habe nie Jemand gekannt, der ein Glasauge besaß, und ich verlange auch gar nicht zu wissen, wie das vor sich geht." Und sie fuhr fort, wie zu sich selbst: „Das ist jetzt angenehm, diese ganze Aussteuer mit einem V, wir werden ihn nirmals wiedrrfinden, diesen Buchstaben; er macht ja immer solche Streiche, mein armer Herr Gemahl; er war ganz vernarrt in diesen Herrn von allem Anfang an; das war eine „Perfection", di« ausgezeichnetsten Auskünfte, sein« Lehrer, sein Oberst, was weiß ich? . . So sind sie, diese Männer, man sollte sich eben nie auf sie verlassen . . . Das ist eine schöne Entdeckung jetzt; er kam mir gleich rin wenig merkwürdig vor; er gefiel mir nicht, dieses Individuum; ich hatte nur zu Recht." Ich hatte den Kopf wieder rin wenig erhoben; die Vision des Glasauges, das mir auS der Tiefe des Waschbeckens entgegen blickte, betrübte mich noch immer tief; aber auch eine andere, sehr süße Vision stellte sich ein; ich sah meinen Verlobten wieder, so gut, so zärtlich; ich hörte alle unsere Zukunftsprojecte, all' unsere Pläne zu zweien und plötzlich schien eS mir wieder Abend vorher zu sein; ein Regen von Küssen fiel auf meine Haare nieder, ich hatte es Mama nicht erzählt, von diesen Küssen, aber ich fühlte, daß ich Raoul liebte, mit seinem einzigen Auge, und daß ich um Nichts in der Welt von ihm lassen würde; mein ganzer Muth erwachte wieder. „Mama, ich bin sicher, daß er dieses Auge auf «in« ehren volle. auf eine herrlich« Weise verloren hat: es ist eine Wunde, auf die er stolz sein darf, indem er Jemand rettete, vielleicht bei einem Brande, indem er sich aufopferte, ganz gewiß, n ist so gut, er hat so edle Gesinnungen; ich begreife wohl, daß es ihm schwer fällt, es einzugestehen, aber . . . ." „Was sagst Du da? Bist Du toll? Glaubst Du, daß ich Dir erlauben werde, diesen Mann zu heirakhen ... mit einem solchen Gebrechen, einäugig, einen Einäugigen . . . Du, hübsch wie Du bist, mit Deinen siebzehn Jahren, mit Deinem Ver mögen . . . Nein, tausend Mal nein, meine Tochter, schmiede Dir keinen Roman von Edelmuth und Aufopferung, es ist un nütz, ich werde Dir niemals meine Einwilligung geben: einen einäugigen Mann zu heirakhen ... und wenn er das andere Auge verlöre, würde er blind sein! ... das wäre angenehm!" „Nun denn, Mama, so werde ich ihn führen, ich werde ihn bcwachcn, beschützen, ich werde ihn gleichwohl lieben, ich werde ihn imm« lieben, trotz alledem, Allen zum Trotze!" Ich war in einem Zustande ungewöhnlicher Ueberreizung; ein krampfhaftes Schluchzen schüttelte meinen Körper, und als Justine die Thür wieder öffnete, malten sich auf ihrem ehr lichen Gesichte alle Grade der Verblüffung. „Aber um Himmelswillen, ist es denn möglich, gnädiges Fräulein, sich in eine solche Aufregung zu versetzen, weil Herr von Valent« sein Glasauge vergessen hat; er wird sich einfach ein anderes kaufen, wenn er es vor heute Abend nöthig hat, und er wird sich deswegen Wohl nicht gleich ins Wasser stürzen, weil er dies« Maschinerie da nicht im Gesicht haben kann." Und Justine zeigte zartfühlend zwischen den Spitzen ihrer Finger das Monocle Raoul's, das ich so gut kannte mit seinem großen runden Glas, mit seinem Schildkrötrnreif, der mir in diesem Augenblick wie leuchtender Strahlenglanz erschien; in dessen, die Aufregung verhinderte mich am Sprechen; Mama dagegen trat zornig auf Justine zu: „Und das nannten Sie rin Glasauge, Justine?" „Meiner Treu, ja, gnädige Frau, wenn man nicht gerade Scheibenauge sagt, ich weiß das nicht; auf alle Fälle, es steht Herrn Raoul ganz und gar nicht, und das gnädige Fräulein wird gut thun, ihm Brillen zu kaufen, wenn sie einmal ver- heirathet sein werden; es ist doch drollig, daß die Männer das hübsch finden, mit einem Auge zu sehen, und es muß noch dazu nicht leicht sein, das im Gesicht zu halten; ich, ich brächte es nicht zuwege." Und den Mund verziehend, mit einer unendlich komischen Grimasse, suchte Justine das Monocle unter ihre rechte Augen braue zu klemmen. Ich hielt nicht mehr an mich, meine Thränen wurden zu einem närrischen Lachen. Fünfundzwanzig Jahre sind seither verflossen . . . Raoul ist ein vortrefflicher Gatte gewesen, ebenso unausstehlich im Uebrigen wie diese Gattung von Individuen; er trägt seit geraumer Zeit Brillen und blickt mit beiden Augen, wenn er etwas sehen will Das Monocle ruht in der Tiefe einer Schublade, ich bewahre es als eine Reliquie von Thränen und Lachen, und ich gedenke es meinen Enkeln zu hinterlassen, wenn Gott mir welche schenkt: meine Töchter sind verlobt; ich habe mich beeilt, ihnen zu sagen, daß die Gänge des Parkes des Abends feucht und kalt sind . . . . Jeder an seines Reihe in dieser Welt: das Leben geht vorüber und bald wird von dem alten Ehepaare nicht» übrig bleiben al» da» Glasauge meines Verlobten.
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