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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990203026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-03
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BszusOHKerA -rg«»«lt: vi-Heljihrlich^l-^a tu» I für >rlich dun» Mßß -'fch-i» UM ZZHx, «ß--h—MM tz UHtkNoU MU TrPkom-i: M>»MpIßW>»istM>ch««t>»D»»«1«dr«ch«» U» fti» S bi» »«d, 7 Uhr. /Ulaleu: Lot» WsO», AoAapdunstr. 14, V«t. »d K-nig-platz 7. Abend-Ausgabe. MiWgcrTügMM Anzeiger. Amlsktatt -es Ä'önigkichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Molizei-Ämtes -er Stadt Leipzig. «L Freitag den 3. Februar 1899. Nnzetgen'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile SO Pf^ Reklamen unter dem Redactionsstrich (4a»> spalten) SO^z, vor den Familiennachrichrea (6gespalten) 40 H. Größere Schriften laut unserem Preis« »erzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nar mit der Morgen«Ausgabe, ohne Postbeförderunz 60 —, mit Postbeförderung 70.—. Zinnahmeschluß für Anzeigen; Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabr: Nachmittags 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestelle« je «st» halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Eppepttts» zu richten. Bruck and Verlag von L. Pol), in Leipzig 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Februar. E» ist keine üble Einrichtung der katholischen Kirche, daß sie in die Mitte zwischen der Wintersonnenwende und der Tag« und Nachtgleiche de» Frühjahr» einen Feiertag fallen laßt. Im verdanken e» die Zeitung-leser, daß sie beute mit Berichten au» den ihren katholischen Mitgliedern Rechnung tragenden Berliner Parlamenten verschont bleiben, und der Politiker hat die Unterbrechung auch nicht zu bedauern, denn die beiden Häuser werden wegen des ausfallenden Tages und würden wegen zehn ausfallender Tage nicht vierund zwanzig Stunden spater mit ihren Geschäften fertig werden, al» e» ohne die Pause geschehen würde. Es würde nur etwa» weniger geredet, und daß da» im Reichstage kein Fehler .wäre, giebt sogar Herr Richter zu, der da» Vorhandensein einer „Reichstagsverdrossenheit" feststellt, weil die Abgeord neten zu viele uninterHante Reden anzubören hätten und deshalb wegblieben. Einer ofsiciösen Mahnung freilich, di« auch fürdaSpreußischeAbgeordnetenhauSMaßhalten empfiehlt, setzt Herr Richter die Bemerkung entgegen, die Abgeordneten „müßten die größten Esel sein", wenn sie sich danach richten würden. Worin die Unterscheidung begründet ist, ob in der immerhin gediegeneren Zusammensetzung der preußischen Volksvertretung, ob in dem Diätenbezug, ob in etwa» Anderem, steht dahin. Jedenfalls hat man in Preußen noch dringlicheren Anlaß zur Vermeidung von Zeitvergeudung; denn während der Reichstag doch noch immer den Etat rechtzeitig feststem, unterläßt die» der Landtag regelmäßig, so daß ein „Nothgesetz" eine alljährlich wiederkehrenoe Erscheinung ist. Bi» jetzt hat man allerdings noch keine Ursache, zu klagen; denn wenn sich die Berathung de» landwirthschastlichen Etats auch sehr langsam abwickelt, so bringt sie doch die erfreu liche Gewißheit zum Vorschein, daß die agrarische Hetze und die Agrarierbeüe gleichmäßig > im Abwirthschaften begriffen sind. Ein Theil, aber auch nur ein Theil der Frei- sinnigen ist freilich noch »»bekehrt und leiert sein Sprüchlein über die Ausbeutung der „Consumenten" weiter herunter, aber auf landwirthschaftlicher Seite kommt die Vernunft zum Durchbruch; der Betrieb der Landwirthschaft wird wieder al» ein Gewerbe hehandelt und nicht al» ein rein poli tischer, lediglich auf Staatshilfe gestellter Beruf. Der Lu-gezeichneti Landwirth vr. Schultz-Lupitz, der vor wenigen Jahren noch als „Techniker", d. h. al» ein Mann, der Fleiß und Intelligenz al- die Grundlage de» landwirthschastlichen Gedeihen» bezeichnete, aufs Bitterste befehdet wurde, hat es leider nicht erlebt, wie der national liberale Abgeordnete Hoyermann nicht einmal von Herrn vr. Hahn unterbrochen werden durfte, als er, die vielfach herrschende Unverständigkeit und Bequemlichkeit tadelnd, dem Ackerbau und der Viehzucht die wissenschaftliche Methode der Industrie al» Muster hinstellte. Auf der andern Seiten wurde aber gerade von den Nationalliberalen der Unterschied zwischen der Lage der Industrie und der der Landwirthschaft hervorgehoben. Schon bei einer früheren Gelegenheit hatte Herr v. Eynern im Abgeordnetenhause bemerkt: „Der Borwurf, der uns jetzt von all«» Seiten gemacht wird, di« nationalliberale Partei sei agrarisch geworden, ist insofern be« rechtigt, als man unter Agrarierthmn dirjeuigen Bestrebungen ver steht, welcht sich die Hebung der Landwirthschaft in ihrem augen blicklichen Nothzustande genau ebenso zur Aufgabe stellen, wie wir es nach unseren Staatseinrichtungen verlange» und erwarten, daß die industrielle und Handelsentwicklung des Vaterlandes weiter ge fördert wird. In diesem Sinne sind wir vollständig Agrarier und werden es immer bleiben." Der hier eingenommene Standpunct ist bei der Berathung des landwirthschastlichen Etats von dem Nationalliberalen Wailb recht gleichfalls frstgehalten worden. Dieser Ver treter der Stadt Hannover erkannte unumwunden an, daß die landwirtbschaftliche Noth „noch immer da ist" und daß — soweit es sich um staatliche Maßnahmen handelt — der Ablauf der Handelsverträge abgewartet werden müsse, um gründlich zu bessern. Das hörten die Freisinnigen nicht gern, aber auch einer der Ihrigen, Herr Ehlers von der freisinnigen Vereinigung, gab über die Schutzbedürftigkeit der Viehzucht Ansichten zum Besten, die ibn vor drei Jahren der Gefahr des ÄesteiniztwerdenS ausgesetzt hätten. Auch jetzt noch ging es ibm schlecht i» der Richter'schen Presse und er wich späterhin, Mißverständnisse, be hauptend, einen Schritt zurück, aber auch waS er gesagt haben will, ist eine Ketzerei nach freisinniger Lehre, und Herr Eblers ist unversehrt geblieben. Beachtenswerth ist, daß die Angriffe auf die Zuckerprämie glatt zu Boden sielen. Herr Wallbrecht erklärte, die Beseitigung durch Deutschland allein wäre der „reine Mord", da die Lage der Znckerindustrie bedenklich sei und durch die in Aussicht stehende Beruhigung CubaS bedrohlich zu werden drohe. Abg. Wallbrecht empfahl die Bildung von Syndikaten, die den Preis um. etwa zwei Mark beben könnten, und der LandwirtbschaflSminister zeigte sich für seine Person geneigt, zur Erzielung eines ähnlichen Resultats der Herabsetzung der Verbrauchsabgabe das Wort zu reden — ein Schritt, der unseres Erachtens früher oder später auch gethan werden muß. Daß der kürzlich in Köln gegründete Verein der »alional- liberalcn Jugend, soweit er überbaupt neben seiner Haupt aufgabe, der Jugend die für jeden Theilnehmer am politischen Leben unentbehrlichen positiven Grundlagen (Keninniß der neueren Geschichte, der Gesetze und ter thatsächlichen Ver hältnisse) zu vermitteln, auch die Bekämpfung anderer Parteien sich angelegen lasten sein kann, vor Allem die Be strebungen der Soeialdemokratie und deS Centrum» zu bekämpfen haben wird, versteht sich angesichts der Parteiverhältnifse in Köln und in der ganzen Rkeinprovinz überbaupt. Auch anderwärts, wo solche Vereine sich bilden, werden sie durch ihren nationalen Charakter darauf hin gewiesen, jenen beiden Parteien thunlichst Abbruch zu thun, die überdies am meisten beflissen sind, die Jugend für ihre Zwecke einzufangen und zu orgauisiren. So hat auch der Abg. Basser manu jüngst in Chemnitz, als er zur Heran- ziebung der Jugend mahnte, lediglich auf die gleichen Be strebungen der Socialdemokratie und der Ultramontanen hin gewiesen und besonders die Gefahren betont, die dem Reiche aus den vom Centrum mit unermüdlichem Eifer begründeten und gepflegten katholischen Gesellen-, Gewerbe«, kaufmännischen und studentischen Vereinen erwachsen. Obwohl aber ganz speciell die Initiative der Kölner Nationalliberalen ausschließlich die Erfolge der Werbeagenten der rothen nnd der schwarzen Internationale bedroht, so regt sich darüber doch Niemand mehr auf als die — „Kreuzzeitung". Ihr scheint, „man irre sich", „wenn man glaubt, auf solche Weise neues Leben in die nationalliberale OrganisationSthätigkeit zu bringen." Auf der anderen Seite sieht sie darin „eine Ironie de» Schicksals, daß gerade von liberaler Seite, die daS Wirken deS Vereins deutscher Studenten gar nicht scharf genug verurtheilen und vor dem Hineinziehen der Jugend in daS politische Treiben nicht eindringlich genug warnen konnte, jetzt Iugendvereine rein partei-poli tischen Charakters gebildet werden." Womöglich werde den jungen Leuten ein unbesehener und unbegründeter Haß gegen die „ostelbischen Junker" eingeimpft und ihnen we«Sgemacht, cS sei verdienstlicher, die Rechtsparteien zu bekämpfen, als die Socialdemokratie. Die „Kreuzztg." mag sich beruhigen. Weder in Köln, noch anderwärts werden nationalliberale Jugendvereine sich darauf verlegen, politische Wunderkinder zu züchten, die den Mangel an geistiger Reife durch Vir tuosität im Nachspielen fremder GeisteSproduct« ersetzen zu können meinen; man wird auch nicht so antinational sein, der Jugend weiszumachen, es sei verdienstlicher, die Rechts parteien zu bekämpfen, al» die Socialdemokratie. Und wenn man einen sogenannten RechtSparteiler bekämpft, so wird es nur dann geschehen, wenn er, nach dem Bei spiel einer der „Kreuzztg." gewiß nicht unbekannten Größe, für den Fall der Nichterfüllung seiner extremen Wünsche mit Uebersühruog seiner Gesinnungsgenossen in daS socialdemo- kratische Lager droht. Am allerwenigsten hat die „Kreuzztg." zu fürchten, daß ihr durch nationalliberale Iugendvereme Abonnenten und Nachwuchs der specifischen KreuzzeitungS- ritter abspenstig gemacht werden würden. Auf Jünglinge, die mit Vorliebe die „Kreuzzeitung" lesen und auS ihr poli tische Bildung schöpfen, reflectirt überhaupt kein national liberaler Verein. Die Vertagung »e» österreichischen Reichsraths ist nicht bloS wegen der wiedererwachteu Obstruction erfolgt, sondern Graf Thun verfolgt mit derselben sehr ernste und wichtige Zwecke. Während der Vertagung wird der Au-zleich mit Ungarn auf Grund deS tz 14 (Selbstständiges Verfügungs recht der Regierung ohne Befragung des Parlaments) ab geschlossen und erlassen werden, und ehe der Ausgleich nicht aus solche Weise in Sicherheit gebracht ist, will Graf Thun keinenBersuch unternehmen,um die angekündigteBerständigungs- Action einzuleiten. Graf Tbun geht nämlich von der Ansicht aus, daß der nicht erledigte Ausgleich das größteHemmniß für die Verständigung der Parteien sei. Der Minister-Präsident glaubt, daß der nicht erledigte Ausgleich für die deutsche Opposition den Hauptreiz zur Obstruction bilde, während er die Parteien der Majorität dazu verleitet, den Werth ihrer Stimmen für den Ausgleich übermäßig hoch za tariren. Darum will Graf Thun fo bald als möglich den Ausgleich aus dem Wege raumen. Gelingt eS, da» ungarische Abgeordnetenhaus wieder arbeitsfähig zu machen, dann wird der ungarische Reichstag im Lause deS Frühjahres aus der Basis des selbstständigen BerfügungSrechteS die Ausgleichsgesetze beschließen. Sobald diese ungarischen Gesetze die Sanction erlangt haben und zur Promulgirung reif sind, wird die österreichische Regierung die gleichen Gesetze auf Grund deS tz 11 erlassen und nn Reichsgesetzblatte kundmachen. Die Durchführung deS Ausgleiches mit Hilfe des tz 14 ist aber der Hauptzweck der Ver tagung, der erste und wichtigste Proarammpunct deS Grafe» Tbun, auf dessen Erledigung der Kaiser mit allem Nachdrucke dringt. Der Ausgleich, der auf solche Weise zu Stande kommt, soll bis zum Jahre >903 dauern und allenfalls nach der Formel Koloman Szell's bis 1904 in Kraft bleiben. Erst wenn der Ausgleich erledigt ist, will Graf Thun an die Einleitung der neuen Verständigungs-Action denken. Man hofft in Regierungskreisen, daß die Eliminirung deS Ausgleiches aus dem parlamentarischen Programm und der Verlauf der parlamentSlosen Zeit die Parteien.in beiden Lagern entgegenkommender und gefügiger machen werde Man glaubt in diesen Kreisen auch, daß bis zur Erledigung des Ausgleiches die deutschen Oppositions-Parteien ihr national-politisches Programm formulirt haben werden, welches sür die Regierung eine Orientirung für ihre Actio» bieten würde. Im Sommer, eventuell im Frühherbst würden also die neuen Verhandlungen der Regierung mit den Parteien und, wie Gras Thun hofft und wünscht, auch Ver handlungen der Parteien unter einander stattfinden. Ob die Voraussetzungen und Hoffnungen deS Grafen Thun sich erfüllen, wird die Folge lehren. Die Lerathungen der Club obmänner der Linken über die Stellungnahme der Partei zu der neugeschaffenen Lage sind gestern noch nicht zu Ende geführt worden, aber nach der Stimmung in deutschen Kreisen :u urtheilen, scheinen die deutschen Parteien überhaupt nicht mehr gewillt, mit dem Grafen Thun in Verhandlungen zu treten lieber die Entschließung der Rechten erfahren wir Folgendes: * Wit», 2. Februar. Ein über die heutige Sitzung der par« lamentarischen Commission der Rechten veröffentlichte-: Coinmuniqnü besagt: Die Commission nahm einstimmig eine Resolution au, in welcher das lebhafte Bedauern über die uner sprießliche Thätigkeit deS Parlaments, sowie die Zuversicht aus« gesprochen wird, daß die Regierung gemäß den Principien des Adreßentwurfs der Majorität Vorgehen werde. Die Commission habe den dringendsten Wunsch, alle dazu berufenen Factoren mögen aufs Ernstlichst« dahin streben, in den schwebenden Streitfragen aus der Grundlage der Gerechtigkeit eine baldige Verständigung herbeizuführen. Die Rechte ist demnach zu einer Verständigung bereit, aber sie versteht unter Verständigung mit den Deutschen nach wie vor die Untcrwersnng der Deutschen. Von Versöhnlichkeit ist also auf beiten Seiten neck keine Rede. Aus alle Fälle sucht Gras Thun sich die Recht- geneigt zu erhalten. Sie soll ihm bei seinem ungesetzliche» Regiment den Rücken decken. Hierüber berichtet man uns: " Wien, i>. Februar. (Telegramm.) Dem Executiv- Comit» der Rechten bat, wie die „Neue Freie Presse" meldet, Graf Tbun erklärt, er lege den größten Werth aus das un« erschütterlrche Zusammenhalten der Parteien der Rechten. Tic Regierung gebe die bestimmte Zusage, daß sie auch während der parlamentslosen Zeit keinen wichtigeren Schritt ohne die Zustimmung des Executiv-Cou^tvS vornehmen, insbesondere keine kaiserliche Verordnung aus Mund des 8 14 erlassen werde, ohne sich vorher der Zustimmung dieses Comites zu versichern. Deshalb wünsche die Regierung, daß sich das Executis-Comitö der Rechten in Permanenz erkläre. Die Rechte ist also jetzt der Reichsratb. Sie soll die Sünde Thuns mit dem Mantel der Majorität decken. Fragt sich nur, ob sie in allen ihren Tbeilen dazu bereit ist und beisammen bleibt. Schon werden die Polen ungeduldig und verlangen mehr Entgegenkommen den Deutschen gegenüber und die Tschechen sagen sich bereits, daß sie, wenn einmal der Ausgleich unter Dach ist, ihre Forderungen an die Re gierung bedeutend werden ermäßigen müssen. Schon der der vorgestrigen Abstimmung über daS Dienergesetz sah die Regierung sich von der Rechten im Stich gelassen: kein guter I Anfang für ein „unerschütterliches Zusammenhalten"! Die Wirksamkeit der gemischte» Gerichte in Egypten I (zusammengesetzt aus Europäern und Mohamedanern) ist FeirrHrtsir. § Sterbendes Licht. Novelle von Robert Kohl rausch. ViaLdruck »erboten. Frau von Jttinghofen sah gerade vor sich hin, sie blickte nicht zu dem grauweißen Gemäuer hinauf. „Um dieser Aussicht willen habe ich mir die Wohnung gewählt." Durch ihre schein- var gleichgiltige Rede hindurch klang etwas, das ich mir nicht zu deuten wußte. „So lieben Sie die alte Trausnitz auch?" fragte ich, in der Hoffnung, vielleicht eine Deutung jenes seltsamen Tones in ihren Worten zu vernehmen. Sie schüttelte den Kopf, und ihr in die Ferne gerichteter Blick verschärfte sich noch. „Nein, ich liebe sie nicht, aber halten thut sie mich hier auch", gab sie zur Antwort, wandte sich um und schritt in das vordere Gemach zurück. E» war für mich Zeit geworden, mich zu empfehlen, und ick ging, nachdem ich noch einmal Worte des DankeS vernommen hatte. Von dieser Stunde an war das kleine Hau» an dem öden Kirchenplatz und die Frau, die darin ihr einsames Leben führte, der Mittelpunkt meine» Dasein» und Denken». Wir hatten kaum etwa» miteinander gesprochen, was über den konventionellen Ver kehr gebildeter Menschen hinauSging, aber ein Zauber war von jener Frau über mich au»gegoffen, dem ich mich rückhaltlos ergab. Ich wußte von diesem Tage an, daß ich sie liebte, und obwohl ich reinen leisesten Grund zu der Hoffnung besaß, von ihr wieder- aekiebt zu werden, gab mir die» mächtige, neu auferstandene Ge fühl «ine SliickSempfindung ohne Gleichen, eine Ahnung wieder kehrender Jugend und noch ungekannier Seligkeit. Mit ver jüngten Augen betrachtete ich die Welt um mich her. Der Natur- sinn hatte sich bei mir ohnedie» mit den Jahren verstärkt, aber so tief hatte ich den Frühling und seine Herrlichkeit noch niemals empfunden. Die sanften, grünen Linien, die an Stelle winter licher kahler Starrheit getreten waren, da» junge Laub, da», noch sich selbst zu schwer, so voll undüvpig niederhing, die zarten Farben de» fernen Horizont», — da» Alle» entzückte mich und brrauschte mich. Schon da» Gefühl, noch da zu sein, all' diese Schönheit mit offenen Sinnen ergreifen, trinken und schauen zu dürfen, wog de» vergangenen Dasein» Noth und Schmerzen auf. E» war mir, al» ginge der stille, ge valtige Strom, den wir da» neue Leben der Natur zu nennen p legen, auch durch meinen wieder jung gewordenen Körper hindurch und wecke wunderbare Hoffnungen und Ahnungen. Gerade in jener Zeit, während ich ein Land der Verheißung vor mir aufgethan sah, muß mein Augenleiden im Stillen be gonnen haben. Ich bemerkte es wohl, daß mir beim Arbeiten zuweilen Dinge schwer erkennbar waren, die ich ehemals mühelos unterschieden hatte, und daß ein Schleier sich über die Gegend zu legen anfing, wenn ich einen fernen Gegenstand beobachtete. Aber ich hatte kein Arg daraus und fragte nicht danach; meine Seele war so voll von glückseligem Gefühl, daß ich mich rückhalt los hineinversenkte, und daß mir der milde Ton weither klingender Musik oder das durch die Ferne gedämpfte Jauchzen fröhlicher Menschen, das gleich einer Welle den grünen Bergeshang um spielte, wie ein Echo dieser stille», warmen Empfindung erschien. Da die Bekanntschaft mit Frau von Jttinghofen einmal ge macht war, so begegnete ich ihr häufiger in der "Stadt und noch öfter inmitten de» alten Mauerringes der TrauSnitz. Während ich in den letzten Wochen viel zu Hause gearbeitet und die Burg nur wenig betreten hätte — sonst wäre ich der neuen Erscheinung wohl schon eher begegnet — nahm ich die Localstudien jetzt wieder mit verstärktem, wenn auch nicht ganz lauterem Eifer auf. Die Gestalten der verstorbenen Herzoge und Herzoginnen verblaßten mir zu wesenlosen Schatten, und stundenlang saß ich oft, an eine der zerbröckelnden Mauern gelehnt, und wartete, ob nicht in dem Thorbogrn, den ich im Auge hielt, die schwarze, ersehnte Frauengrfialt erschiene. Wenn sie dann endlich au» der Wölbung hervortrat, ging ich ihr eilig entgegen, und nach einiger Zeit meinte ich zu erkennen, daß auch in ihren Blicken ein suchender Ausdruck war, wenn sie die Burg betrat, und daß ein Leuchten der Freude, noch verschleiert und versteckt, aber doch schon er kennbar, über ihre Züge glitt, sobald sie mich entdeckte. Dann streiften wir zusammen durch Höfe und Sänge, durch Gemächer und Säle, über Treppen und Korridore. Die bunten Gestalten der Narrentreppe schienen un» anzulachrn, und mytho logische Sötteraestalten schwebten segnend über un». ES war ein seltsamer Gefühl, so zusammen durch die große Einsamkeit der verlaffrnen Räume dahinzugehen, durch diese Einsamkeit, die vom Lode erzählte und die Lebendigen näher zu einander triep. Ich hatte die Erlaubniß erhalten, die Burg ohne Geleittmann zu besuchen, Und verschaffte sie auch meiner neuen Freundin. Sie war sehr dankbar dafür und besuchte da» Schloß nun noch doppelt so oft. Auch draußen schweiften wir vielfach umher, machten weite Gpcqiergänae und fänden immer mehr Berührungspunkte für unsere Interessen und unseren Geist. Frau von Jttinghofen hatte viel gelesen, aber nur gute, ernst hafte Bücher, und sprach mit Klugheit ihr Urtheil aus. Luch ein wenig Kunstgeschichte hatte sie getrieben und war froh, darin von mir weiter belehrt zu werden. Auf persönliches Gebiet kamen unsere Gespräche sehr selten; von ihrer Vergangenheit erfuhr ich nur, daß ihr Mann vor etwas mehr als einem Jahre gestorben sei. Sie sprach von ihm in einem kühlen und stolzen Ton, aus dem ich entnahm, daß sie ihn wenig geliebt habe. Das Kind erwähnte sie niemals wieder, aber ich bemerkte oft, daß sie ver stümmle und den Kopf zur Seite wandte, wenn eins der kleinen, fröhlichen Geschöpfe unseren Weg kreuzte. Ich verstand sie um so besser, als in mir dieser Anblick verwandte Gefühle weckte. Auch ich bewahrte Schweigen über mein früheres Leben; die Gegenwart erschien mir so wunderbar schön, daß ich die bösen Geister der Vergangenheit fürchtete, die sie mir zerstören könnten. Meine Liebe wurde mächtiger von Tag zu Tag, und zuweilen erfüllte mich eine verwegene Hoffnung, daß auch ich geliebt werden könne. Die jubelnde Freude an der Natur, die mich bewegte, erfaßte allmählich meine Genossin gleich mir; der Ausdruck der Trauer verschwand für Stunden aus ihren Zügen, und auch ihr Lachen lernte ich nun kennen. Sie zeigte mir seltene Blumen, die sich der Sonne entgegen drängten, — „Wie der Mensch der Liebe", mußte ich denken, — und als ich einmal, in Träumerei versunken, nicht gleich eine Antwort gab, hörte ich wieder ihr tiefe» Lachen, das mir in der kurzen Zeit schon so lieb ge worden war. „So sehen Sie doch hin! Warum träumen Sie wieder?" Ich konnte mich nicht bezwingen, sah ihr mit heißem Blick ick die Lugen und sagte: „Weil meine Träume noch tausend Mal schöner sind al» die Wirklichkeit." Sie wurde plötzlich sehr still, beugte sich nieder und begann einen Strauß zu pflücken au» lauter blauen und weißen Blumen. Al» er fertig war, gab sie ihn mir und sagte: „Den schente ich Ihnen. Sehen Sie, e» find die bayerischen Farben. Unser Vaterland ist so schön — wenn man diese Natur sieht, vergißt man zuweilen^ daß man kein Recht hat, glücklich z>u sein." So kam der Tag heran, der eine Entscheidung brachte. Mr hattrn einen weiten Spaziergang Isar aufwärts über Achdor'f gemacht und waren durch schwere» Gewölk, da» am Himmel emporgestiege» .war, sich aber nicht entladen hatte, länger auf gehalten worden alt sonst. E» war schon beinaht dunkel, al» wir von dem klein«» Wirthihau» aufbrachen, wo wir die Ent scheidung de» Witter» abgewartet hatten, bald aber ging der Mond auf und vertrieb schnell die letzten drohenden Reste der Regenwolken: E» wurde ein wunderschöner Abend voller Duft und Licht, und wir gingen, ohne viel zu reden, langsam zur Stadt zurück. Als wir an einer Bank vorüber kamen, bie am Abhang des Klausenberges unter einer großen, schon blühenden Linde stand, wandte Frau von Jttinghofen sich zur Seite und schritt nach einem kleinen Zaudern zu der Bank hinüber. „Sie sind müde geworden", sagte ich und ging an ihrer Seit« dem blühenden Baume zu. „Nein, nicht müde; aber ich kann mich von dem Wend hier draußen nicht trennen", gab sie zur Antwort -und ließ sich auf die Bank niedersinken. Ich setzte mich an ihre Seite; wir schiviegen Beide, mir war, als müßte sie das Klopfen meines Herzens hören. Das Mond- licht kam durch die duftenden Zweige in zarten Pfeilen und Strahlen herab und überschüttete meiner Nachbarin Gesicht und Gewand mit silberweißen Lichtern. Endlich ^begann sie zu sprechen, in die Landschaft hinaus - blickens. „Sehen Sie nur, wie der Mond auf der Isar glänzt." Ich sah hinüber und nickte; zu reden vermochte ich nicht. Ei drängte und wogte in mir, und während ich, nach Worten ringend, aus den silbernen Nebel schaute, der Wasser und Land bedeckte, kam Toethe's Lied an den Mond mir in den Sinn. Ich hatte es kürzlich wieder gelesen und den vollkommensten Ausdruck eigenen Naturgefühls darin gefunden. Leis« begann ich die Verse zu recitiren: Füllest wieder Busch und Thal Still mit Nebelglanz, Lösest endlich auch einmal Meine Seele ganz. Ich hatte <da» Gedicht niemals auswendig gelernt, aber Gefühl und Erinnerung waren in diesem Augenblick so stark, daß die Worte sich mühelos an einander reihten. Dabei überwältigte die Empfindung von der Schönheit der Natur und dem Glück dieser gewaltigen Liebe in meiner Brust mich so sehr, daß ich nur mit bebender Stimme die letzten Verse hervorzubringen vermochte: Selig, wer sich vor der Welt Ohne Haß verschließt. Einen Freund am Busen hält Und mit dem genießt, WaS, von Menschen nicht gewußt Oder nicht bedacht. Durch da» Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht. Ich hatte nicht zur Seite geblickt, währenv ich sprach, aber al» ich e» nun that, sah ick), daß Frau von Jttinghofen den Kops gegen den Stamm des Baumes hatte zurücksinten lassen und mit leicht geöffneten Lippen und halb geschlossenen Augen das
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