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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.02.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990208018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichlee (6 gespalten) 40^. Erößcre Schristen laut unserem Preis- vr^eichoiß. Tabellarischer und Zissernsa, nach höherem Tarif. Extra-vkilagcn (gefalzt), nur mit de, Pivrgen - Ausgabe, ohne Postbefürdcrurg 60.—, mit Postbesorderung 70.—. —» Rnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4lMc. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein, halbe Stunde früher. Anteilen find stets an Expedttias zu richten. Druck und Verlag von E. Polj in Leipzig m. Jahrgang. Oie handelspolitischen Leziehungen zwischen Deutschland und Len Vereinigten Staaten. u. Die im Reichstage «ingebrachte Interpellation über den Stand der Verhandlungen zur Regelung der handelspolitischen Beziehungen zwischen dem Reich und der Union betrifft eine der wichtigsten handelspolitischen Fragen der Gegenwart. Um so nothwendiger ist es, sie ohne doktrinäre Voreingenommenheit und wirthschaftspolitische Einseitigkeit allein vom Standpunkte des deutschen Gesammtinteresses aus ins Auge zu fassen. Die zur Zeit bestehende Trübung des handelspolitischen Ver hältnisses zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ist lediglich auf die amerikanische Auslegung des Rechtes der Meistbegünstigung zurückzuführen, das die Handels beziehungen zwischen beiden Mächten regelt. Jene Auslegung wurde zum ersten Male bei der Einführung des Wilson- Tarifs (27. August 1894) durch die Behandlung des deutschen Zuckers geltend gemacht. Ließ sich gegen die Wiedereinführung der Iö'90 abgeschafften Zuckerzölle rechtlich nichts einwenden, so verstieß die für den deutschen Zucker damals decretirte Aus nahmebehandlung offenbar gegen das Meistbegünstigungsrecht. Es war nämlich für Zucker bis zur holländischen Nummer 16 ein Zoll von 40 Procent' des Werthes und ein Zuschlag von ' s Cent für das Pfund zu zahlen, für Zucker aus Ländern, die ,'lusfuhrprämien gewähren, kam noch ein besonderer Zuschlag von >,io Cent hinzu. Die letztere Bestimmung ist namentlich gegen deutschen Zucker, der eine ganz unverdeckte Ausfuhrprämie er hält, angewandt worden, während der französische Zucker, dessen Ausfuhr durch eine thatsächlich zwar noch höhere, aber verhüllte Ausfuhrprämie begünstigt wird, verschont zu werden schien. Deutschland war um so mehr zu 'Beschwerden hierüber berechtigt, als es 1892 für die Meistbegünstigung der Union bei den Ge- ireidezöllen die Aufhebung der amerikanischen Zuckerzölle gewisser maßen als Gegenwerth erhalten hatte und dieser Vortheil ihm nun durch den neuen Tarif ohne Weiteres wieder entzogen wurde. Die amerikanische Regierung hat den deutschen Protest gegen den Differenzialzollzuschlag im Grunde als berechtigt anerkannt, und im Repräsentantenhause wurde auch ein Antrag auf Aufhebung der betreffenden Tarifbestimmung eingebracht. Aber es blieb bei dem Zuschläge. Der Dingley-Tarif, der am 24. Juni 1897 den Wilson-Tarif ablöste, setzte ebenfalls einen Zuschlag zur Aus gleichung der Prämien fest, obwohl das Reich während der Vor bereitung des neuen Tarifs wiederholt Einspruch erhob. Eine weitere Schädigung des deutschen Handels durch die amerikanische Auslegung des Meistbegünstigungsrechtes trat ein, als im vorigen Jahre dasfranzöfisch-amerikanischeReci- procitä ts - Abkom men (in Kraft seit dem 1. Juni 1898) abgeschlossen wurde. Nach dem Rechte der Meistbegünstigung hätten die darin Frankreich gewährten Zollherabsetzungen für Ge mälde, Statuen, Cognac u. s. w. ohne Weiteres auch Deutschland ui Gute kommen müssen; die Union verweigert das aber, so lange nicht Deutschland ihr „gleichwerthige Gegenconcessionen" macht! Daß eine solche, der europäischen Praxis vollkommen wider sprechende Auslegung des Meistbegünstigungsrechtes eben diesem Meistbegünstigungsrechte jeden vernünftigen Sinn raubt, hat sogar der „Vorwärts" anerkannt, der Ansprüche des Aus landes gewiß nicht leicht und nicht gern verwirft. Das social demokratische Centralorgan stellte in seiner Nummer vom 19. November 1898 die treffende Frage: „Haben dieAmeri - kane r.1892 (als sie von Deutschland die Meistbegünstigung bei den Getreidezöllen erhielten) ähnlich- Gegenleistungen gemacht, wie Oesterreich oder Italien, deren Verträge gekündigt waren, oder wie man sie von Rußland, das keine Meistbegünstigung be anspruchen tonnte, damals verlangte und später erreichte?" Und „Genosse" Schippel vertrat im „Vorwärts" vom 24. November 1898 gegenüber der „Sächs. Arbeiterztg." diesen Standpunkt, indem er sagte, „daß die deutschen Arbeiter für den deutschen Export alle vereinbarten internationalen Rechte auch geltend zu machen haben, selbst auf das unerhörte Wagniß hin, daß sie einmal an der Seite der deutschen, nicht der amerikanischen Regierung stehen". Lexis, der bekannte Nationalökonom hat schon im Hinblick auf den Zuckerzuschlag Deutschland für be rechtigt erklärt, die auf dem preußisch-amerikanischen Vertrage von 1828 beruhende Meistbegünstigung als ausgehoben zu er klären. Ein derartiger Schritt hätte nur dann «inen Sinn, wenn Deutschland sich entschlösse, amerikanische Produkte mit höheren Zöllen zu belegen. Sicherlich würden amerikanische Vergeltungs maßregeln nicht ausbleiben: der Zollkrieg zwischen beiden Staaten wäre die Folge. Die Frage ist nun, ob Deutschland oder die Union den günstigeren Stand dabei hätte. Unter An lehnung an Lexis ist hierauf Folgendes zu antworten: Die Einfuhr aus der Union nach Deutschland, stellte 1895 einen Werth von 512 Millionen Mark, die deutsche Ausfuhr dorthin einen Werth von nur 369 Millionen Mark dar. Unter den 512 Millionen Mark an Einfuhr aus der Union befanden sich 170 Millionen Mark für Baumwolle, 10,5 Millionen Mark für natürlichen phosphorsauren Kalk, 9,5 Millionen Mark für rohe Häute und Felle, 9 Millionen Mark für Oelkuchen, 29 Millionen Mark für Rohkupfer, 57 Millionen Mark für Petroleum, 5 Millionen Mark für mineralische Schmieröle, 14,5 Millionen Mark für Fleisch und Fleischextract, 49 Millionen Mark für Schmalz. Die im Vorstehenden aufgeführten Maaren würden «ine höhere Verzollung nur zum Schaden der deutschen Volks- wirthschaft erfahren, wenn auch die deutschen Kupferproducenten mit einer Besteuerung des Rohkupfers ebenso einverstanden wären wie die extremen Agrarier mit einer höheren Verzollung des amerikanischen Fleisches und Schmalzes. Was die Einfuhr von Getreide aus der Union anbelangt, so macht die Einfuhr von Gerste, Hafer und Roggen einen so kleinen Bruchtheil der ent sprechenden Gesammteinfuhr aus, daß selbst die vollständig« Aus schließung der amerikanischen Produkte vom deutschen Markte keinen Einfluß auf die Preise ausüben würde, weil der Ausfall leicht von anderer Seit gedeckt werden könnte. Weizen wurde im Jahr: 1896 für 34 Millionen Mark, das sind 17 Procent der Gesammteinfuhr, aus der Union bezogen. Würde der amerika nische Weizen aus Deutlckland ausgeschlossen, so würde eine ent- prechende Menge von russischem, rumänischem oder argentinischem Weizen für den deutschen Markt verfügbar. Eine Erhöhung oes Weizenpreises träte daher in Deutschland nicht ein. Eine Zollerhöhung wäre also für alle diese Ge treidearten möglich, ohne Nachtheil für die Cons umenten, aber auchohne Vortheil für die Landwirthschaft. Nur für Mais ist die Union das Hauptausfuhrland für Deutschland, da sie 1896 von 58 Millionen Mark 39 Millionen Mark lieferte. Eine bedeutende Zollerhöhung für den amerikanischen Mais würde daher wahrscheinlich eine Steigerung der Maispreise in Deutschland bewirken.' Die Union aber würde auf etwaige disiferenzielle Erhöhungen der. deutschen Zölle auf Getreide oder Petroleum mit der Einführung prohibitiver Zölle auf die wichtig st enAus- fuhrwaaren der deutschen Industrie ant worten. Die Union bezog z. B. 1895 aus Deutschland für 25 Millionen Mark Wollenwaaren, für 44 Millionen Mark halb- und ganzseidene Maaren, für 47 Millionen Mark Baumwoll- waaren, für 16 Millionen Mark Zucker. Nun hat der Dingley- Tarif die deutsche Ausfuhr nach der Union ohne Zweifel ge schädigt und die Erwerbung Cubas wird der deutschen Zucker ausfuhr binnen Kurzem noch größere Schwierigkeiten bereiten. Lexis ist aber der Meinung, die Waarenpreise in der Union werden, besonders soweit sie unter dem Einfluß der Trusts stehen, bei den «rhöhten Zollsätzen steigen und dadurch der Ein fuhr wieder di« Ueberschreitung der Zollschranken ermöglichen. Lexis sieht in diesem Umstande die Bedenken gegen einen Zoll krieg mit der Union begründet, da mit Nichten die Ausfuhr nach der Union durch den Dingley-Tarif zerstört werde; Lexis sieht vielmehr die Lage Deutschlands in einem Zollkriege für un günstiger an als die der Union. Gleichzeitig betont er aber, daß ein Zollkrieg aufbeiden Seiten große und schwere Opfer ver langen würde. Vom deutschen Standpunkte aus erscheint uns diese Hervor hebung der Schädigung beider Staaten, wie sie thatsächlich vorhanden ist, das politisch Zweckmäßige zu sein. Mit der ein seitigen Klage über die alleinige Schädigung der deutschen Aus fuhr-Interessen wird man der Union gegenüber schwerlich etwas erreichen. Noch weniger aber wird man erreichen, wenn man, wie dies in einem Berliner Blatte geschieht, die Inter pellation deshalb erstaunlich findet, weil sie Auskunft über „schwebende" internationale Verhandlungen verlange. In einem Falle, wo cs sich um einen seit fünf Jahren erhobenen deutschen Protest handelt, kann von einem Eingriff in schwebende Ver handlungen doch nicht gut gesprochen werden, und der Hinweis auf den Fürsten Bismarck, der ja des Oefteren gewarnt hat, Auskunft über schwebende internationale Verhandlungen zu ford«rn, ist wohl sehr wenig am Platze. Wenn aber, wie das betreffendeBcrlincr Blatt vermuthet, auf amerikanischer Seite jetzt eine dem Ausgleich der vorhandenen Differenzen förderliche Stimmung wirklich vorhanden ist, so braucht letztere durch die Interpellation an sich keineswegs gestört zu werden. Di« Rechts lage ist so unzweifelhaft günstig für Deutschland, daß es dec deutschen Regierung nur erwünscht sein kann, öffentlich festgestellt zu sehen, daß sie die überwältigende Mehrheit des Reichstages — selbst die Socialdemokratie steht diesmal nicht auf Seiten der ausländischen Regierung — hinter sich hat. Nachdem vollends die Schweiz Ende vorigen Jahres durch unablässige diplo matische Vorstellungen erreicht hat, daß ihr auf Grund des Meist begünstigungsverhältnisses dieselben Zollvergünstigungen gu- gebilligt wurden, die Frankreich durch das oben erwähnte Reci- procitätsabkommen zugefallen sind, so dürfte für Deutschland die Zeit gekommen sein, sein gutes Recht gegenüber der Union nach drücklich geltend zu machen. Deutsches Reich. Berlin, 7. Februar. (DaS öffentliche Aergerniß in der lex Heinze.) Nach der von dem BundeSratbe angenommenen Fassung der lex Heinze soll mit Gefängniß bestraft werden, wer Schriften u. si w., die geeignet sind, das Schamgefühl gröblich zu verletzen, in einer öffentliches Aergerniß erregenden Weise ausstellen oder anschlageu läßt. ES ist nicht zu bestreiten, daß insbesondere in den großen Städten in der Ausstellung von Darstellungen, die das Sittlickikeitsgefühl zu verletzen geeignet sind, recht viel geleistet wird, ohne daß diese Darstellungen etwa die Entschuldigung für sich hätten, daß sie künst lerischen Zwecken dienen sollten. Daß Gelegenheit gegeben wird, diesen Ausstellungen auf dem Wege der Strafgesetzgebung entgegenzuwirken, ist nur zu billigen. Gerade deSbalb aber würde eS sich empfehlen, wenn man anS der Strafbestimmung daS Thatbestandsmerkmal des „öffentlichen AergernisseS" fortließe. DaS Strafgesetzbuch kennt ja bereits den Begriff des öffentlichen AergernisseS — nach H 183 wird bestraft, wer durch eine unzüchtige Hand lung öffentlich ein Aergerniß giebt —, aber die Erfahrungen, die damit gemacht werden, sind nicht verlockend. Um den Begriff feststellen zu können, müssen Zeugen bekunden, daß sie an der betreffenden Handlung Aergerniß genommen haben. Dabei fehlt eS nicht an tbeilS verdrießlichen, theilS komischen, jedenfalls aber der Würde der Verhandlung nicht immer entsprechenden Zwischenfällen. Wir haben es mehr als ein mal erlebt, daß Leute, die einer zweifellos unzüchtigen Hand lung beigewohnt hatten, als Zeugen erklärten, sie hätten kein Aergerniß daran genommen; sie hätten sich entweder gar nichts dabei gedacht oder sogar darüber gelacht. Dann kommt eS wohl vor, daß ein eifriger Richter den Leuten inS Gewissen ruft, sie hätten als anständige Menschen doch eigentlich an der den Straffall bildenden Handlung Anstoß nehmen müssen, worauf sie denn schließlich, gewissermaßen um dem Richter einen persönlichen Gefallen zu thun, ihre Aussage dahin ab ändern, daß sie an der Handlung Aergerniß genommen hätten Umgekehrt kommt es auch nickt selten vor, daß Schutzleute, die sonst ziemlich „wetterhart" sind, gewissermaßen „dienstlich" Aergerniß nehmen. Wenn jetzt Schriften rc., die, ohne gerade unsittlich zu sein, geeignet sind, daS Schamgefühl gröblich zu verletzen, zur Bestrafung ausreichen sollen, so werden die Auffassungen über das öffentliche Aergerniß noch weiter auS- einandergehen und die Bestrafung oder Nichtbestrasunz wird noch mehr von Zufälligkeiten abhängen. Deshalb würde eS sich empfehlen, wenn man sich damit begnügte, den Gerichtshof prüfen zu lassen, ob er die incriminirten Schristen u. s. W. für das Schamgefühl gröblich verletzend hält, und wenn man als Thatbestandsmerkmal nur die öffent liche Ausstellung der Schriften verlangt, ohne daß der Nach weis erforderlich ist, daß einzelne Personen Aergerniß daran genommen haben. Die nach der neuen Bestimmung der Bestrafung unterstehenden Fälle sind ja dem vorgesehenen Strafmaße nach sogenannte „Ueberweisungssachen", d. h. Sachen, die von der Strafkammer dem Schöffengerichte der Regel nach zur Aburtheilung überwiesen werden. Bei dem Schöffengerichte aber sind neben dem Berufsrichter zwei Laienrichter thätig, die außerdem immer wieder wechseln, so daß man im Publicum sich nicht etwa der Besorgniß hinzu geben braucht, daß der Gerichtshof sich sein Urtheil in einer bureaukratischen und schablonenmäßigen Weise bilden werde. Die Verfolgung der das SittlichkeilSgefühl verletzenden Dar stellungen wird jedenfalls erleichtert, wenn daS „öffentliche Aergerniß", daS selbst ein öffentliches Aergerniß ist, aus der Strafbestimmung hinauSbugsirt wird. Berlin, 7. Februar. Mit Bezug auf die vfsicivse Aeußerung betreffs des Privatdoceuten vr. Arons schreibt die „Franks. Ztg.": Als das Privatdocentengesetz unter dem 17. Juni vorigen Jahres publicirt war, stand im Cultusministerium die Absicht fest, gegen vr. Arons wegen Zugehörigkeit zur socialdeinokra- tischen Partei das Tisciplinarverfahren zu eröffnen. Nur sollte sllr die Bekundung dieser Zugehörigkeit eine greif« bare Thatsache abgewartet werden. Diese Thatjache war da, als im September im Berlage des „Vorwärts" eine Broschüre von Arons erschien, die aus dem Titelblatt die Worte trug: „Im Auftrage des Vorstandes der socialdemokratischen Partei". In der That wurde damals die Einleitung eines Dis- ciplinarversahrens erwogen. Es wurde aber bedenklich gefunden, die Anklage so ausschließlich und in aller Nacktheit aus die bloße Bekundung der Parteizugehörigkeit zu gründen, während der Inhalt der Broschüre als streng sachlich hätte anerkannt werden müssen: es war nichts als eine Uebersicht über die gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Landtagswahl zu beobachten sind. Auf den Einwand, „diese Broschüre hätte ja Jeder von uns ebenso schreiben können!" entschloß man sich im Cultusministerium, von einer Verfolgung obzusehen, und der aus Palästina heimgekehrte Minister Bosse selbst sprach sich dafür aus, nach geeigneterem Belastungs material zu fahnden. Sollte der hier geschilderte Sachverhalt zutresfeu, so wäre es nur zu bedauern, daß die entscheidenden Persönlichkeiten FrrrrHetoir» Wilhelm Jordan. Heute erreicht der Dichter Wilhelm Jordan in Frank furt sein achtzigste« Lebensjahr; eS werden ihm mancherlei Ehrungen vorbereitet und auch eine ansehnliche Ehrengabe wird ihm zu Theil werden: da« ist eine Pension, welche daS deutsche Volk dem literarischen Veteran zahlt. Doch Jordan ist schon Pensionär und zwar de« deutschen Reich« von 1848, und zwar der Einzige au« jener Zeit, der eine solche Pension bezieht; er war Marineratb nn damaligen Frankfurter Marineministerium und half fleißig mit bei jener ersten Flottengründung, die nackher ein so schmähliches Ende nahm, als Hannibal Fiscker die deutsche Flotte versteigerte. Als das damalige deutsche Reich nach kurzem Bestehen zu Grunde ging, übernahm eS der in seine alten Rechte wieder eingesetzte Bund, die Pension an Jordan fortzuzahlen, und als auck der deutsche Bund schlafen ging, trat die preußische Regierung an seine Stelle — und Jordan erhielt die Pension von Berlin auS. So ist er der Einzige unter den Lebenden, der mit jenem Sturmjahr nock in nachweisbarem Zusammen hang steht und au« der Sündfluth von 1848 und den boch- gehenden Wogen de« damaligen Idealismus rin kleine« materielles Gut geborgen hat. Wilhelm Jordan ist am 8. Februar 1819 zu Inster burg in Ostpreußen geboren, wo sein Vater rin geist- licheS Amt bekleidet«; er stammt au« einer Familie vonPfarr- berren, die sich nicht nur durch tüchtige Wirksamkeit in ihrem Beruf, sondern auch durch ihren hohen Wuchs und ihr« statt liche Erscheinung auSzeichneten. Und hierin ist Jordan, wenn gleich er der theologischen Laufbahn untres geworden, nicht au« der Art gescklagen, und er gleicht seinen Abnherren in Ragnit und Norkitten in Bezug auf die hohe Statur und eine auch jetzt durch da« Alter nicht gebeugte Haltung. Er bezog die Königsberger Universität 1838, um Theologie zu studiren, doch zogen ihn die philosophischen Studien mehr an. Und gerade damals befand sich die Iunghegel'sche Philosophie in offener Auflehnung gegen daS theologische Dogma — David Strauß war der Held des Tages. So ging nun Jordan mit klingendem Spiel iu das feindliche! cager über. Hatte dock damals den Lehrstuhl Kanl's in! Königsberg ein Philosoph inne, der zwar nicht den Radikalen der äußersten Linken sich anschloß, aber sie auch keineswegs verurtheilte, sondern mehr eine vermittelnde Stellung ein nahm, vor Allem aber durch seinen geistreichen Vortrag, seine seltene Belesenheit auf allen wissenschaftlichen Gebieten und in der Literatur aller Zeiten und durch sein lebhaftes Interesse für alle Zeitfragen die akademische Jugend in un gewöhnlicher Weise zu fesseln wußte. Carl Rosen kranz hatte auch auf Jordan großen Einfluß ge wonnen; doch war dieser nicht einseitiger Hegelianer, sondern, wie feine Doctordissertation bewies, auch mit Kant und Herbart Wohl vertraut. Die Jung hegelianer waren indeß nicht blos Revolutionäre auf dem Gebiete der philosopischen Weltansckauung; sie waren auch Vorkämpfer der politischen Opposition, die gerade da mals in Königsberg ihr Heerlager aufgeschlagen batte und deren Fanale von der baltiscken Küste in die deutschen Lande hinüberleuchteten. Auch Wilhelm Jordan wurde einer ihrer HeroldSrufer in den Gedichten: „Glocke und Kanone" (1842), während seine „Irdischen Phantasien" (1842) die Iunghegel'scke Weltanschauung in Verse brachten. Nachdem er promovirt batte, verließ er Königsberg und begab sich in die Buck- bändlerstadt Leipzig, wo er sich einer sehr eifrigen literarischen Thätigkrit hingab, allerdings mehr im Dienste des Buch handel« al« im Dienste der Musen; er übersetzte zahl'eiche ausländische Romane, gab eine Monatsschrift „Die begriffene Welt" heraus (1844—46), «inen Vorläufer der späteren naturwissenschaftlichen Blätter, welche die Resultate der neuen Forschung einem größeren Leserkreise zu vermitteln suchen; er selbst bevorzugte die Astronomie und hatte sich auf seinem Häuschen in Lindenau ein« kleine Sternwarte errichtet. Auch die Muse besuchte ibn häufig und einer dieser Besuche wurde für ihn verhängnißvoll. Für eine Auerbackfeier in Leipzig hatte er einen Toast gedichtet, den er selbst bei der Tafel vortrug. In einer Strophe desselben wurde eine Gottes lästerung entdeckt, welche dem Dichter eine sechswöchige Gekängmßstrafe eintrng,und wa» schlimmer war, die Ausweisung auS L"p;,g zur Folge hatte. So wurde er au« Verhältnissen herausgeriffen, die ihm eine leidliche Existenz sicherten. Er begab sich zuerst nach Bremen, wo er sich al« Privatlehrer durchschlug, wurde dann 1848 als Berichterstatter eines Bremer Blattes nach Paris geschickt, wandte sich aber, als die ReickStagS- wahlen in Deutschland stattfanben, nach Berlin, wo er Dank seiner nie versagenden Beredtsamkeit bei den Vorbereitungen zur Wahl eine glänzende Rolle spielte und so von dem Ober- barnimschen Kreise inS Parlament gewählt wurde. Wir finden ihn darauf in Frankfurt, wo er sich anfangs der äußersten Linken anschloß, wo auch andere Poeten wie Moritz Hartmann saßen. Wegen der Polenfrage gerieth er indeß in Zwiespalt mit den Genossen, noch mehr durch die schwunghafte Leichen rede, die er seinem Freunde, dem vom Pöbel ermordeten Fürsten LichnowSki, hielt, der auf der rechten Seite der Ver sammlung gesessen. So schloß er sich der erbkaiserlichen Partei an, daS Credo verleugnend, auf welches hin die Berliner Wähler ihn zu ihrem Vertreter im Reichstage er nannt, und wurde immer mehr nach rechts gedrängt, so daß er zuletzt ins ReickSmarineministerium kam und Marinerath wurde. Ueber seine Tbätigkeit in diesem Amte hat er neuer dings in der „Gartenlaube" genaue Auskunft gegeben. Als Ostpreuße kannte er zwar das Baltische Meer: aber doch nur wie etwa ein Marinemaler, der e« vom Strande aus beobachtet. Doch er verließ sich nicht auf daS Sprichwort: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand, sondern er begann sich mit dem Seewesen durch eifrige Studien vertraut zu machen, wobei ihm ein SckiffScapitain behilflich war. So hatte er manche verdienstliche Vor arbeit zu Stande gebracht und kann unter den ersten deutschen Flottengründrrn eine, wenn auch immerhin bescheidene Stelle rinnehmen. Nachdem daS Frankfurter Parlament sich aufgelöst, blieb Jordan in der Mainstadt, wo er sich ein feste« Heim gründete. Noch heute bewohnt er dort rin ihm gehörige- HauS am Taunusplatz. Der Politiker hatte seine Rolle auSzespielt; in diese Bahnen ist Jordan nicht wieder eingelrnkt; von jetzt ab kam der Poet zu feinem ausschließlichen Rechte. Schon in Leipzig lw"* Jordan Gedichte herauSgegeben „Schaum"; der Woaenschlag der vormärzlichen Bewegung batte diesen lyrischen „Schaum" abgesetzt, dem eS an funkelnden Farben und Lichtern nicht fehlte. Unter der nachmärzlichen Poesie nimmt Jordan'« „DemiurgoS" (3 Bde. 1851—53) einen hervorragenden Rang ein. Die Erinnerungen an daS Frank furter Parlament, die darin meist epigrammatisch verwerthet »nd, nehmen in dieser philosophischen Dichtung gerade keinen »ervorragenden Rang ein; aber der Geist der ganzen wlitischcn und religiösen Bewegung spiegelt sich in ibr. Eigentliche Erfindung und Gestaltungskraft läßt der Dichter zwar in diesem Mysterium, daS sich immer auf den Höhen des Gedankens bewegt, vermissen. Lucifer der Demiurg, das Agens der Dichtung und Agathodämon, der ihm ent- egengestellte Geist des Guten, sind die beiden streitenden Nächte — und daS Ganze ist ein großes Disputatorium zwischen ihnen im Himmel und auf Erden. Agathodämon nimmt als Heinrich Menschengestalt an; doch schlägt er sick meistens mit Allegorien herum und rein menschliche Erlebnisse, wie sie uns Goethe'S Faust näher bringen, ordern nirgends unsere Theilnahme heraus: daS Ganze ist eine Rhapsodie, welche den ewig strebenden Menschengeist feiert: Es muß die Menschheit streben nach dem Ziele, Bet welchem angelangt die Welt zerfiele. Die Idylle „Nirgends««" zeigt uns in ironischer Be leuchtung ein Utopien, in welchem eS die Menschen vor lauter Glück nicht aushalten können. Damit wird die Be rechtigung dessen erwiesen, war die Menschen da« Böse und das Unheil nennen. In diesem „DemiurgoS" zeigt sick Jordan als rin sprachgemaltiger Dichter, welcher daS weite Reich der Naturwissenschaft von dem Orions nebel und der SpaonungSkelte der Pole bis zur Erd rinde und der BildungSgeschichte der Erde für die Dichtung erobert, ohne in lehrhafte Prosa zu verfallen, sondern in anmuthigen und erhabenen Schilderungen, in denen die Sprache mit neuen Wortbildungen bereichert wird. Die Neudichtung des Prometheus und Hiob zeugen von seltener sprachlicher Gewandtheit. So ist daS Ganze Zwar, um mit Goethe zu reden, ein Tragelaph, aber die Dichtung fand keine Commentare und keine begeisterten Apostel und so blieb sie im Dunkeln, und auch viele Literaturhistoriker gleiten über dieselbe hinweg, da sie nur bei alten Dickterwerken, aber nicht bei neuen, auS der Quelle zu schöpfen lieben. Desto volkStbümlicher wurde Wilhelm Jordan durch seine Neudichtung der Nibelungen, die er selbst als wandernder Rhapsode nicht blo« in Deutschland, sondern auch in Rußland und Amerika bi« fern zum Stillen Ocean vortrug und die deshalb auch nachher «inen großen buchhändlerischen Erfolg davontrug.
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