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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990217024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899021702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899021702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-17
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1310 bahnen. Allein Felix Faure'» RepublikaniSmuS ist, obwohl der Herrscher aller Reußen dem „Gerber" die Hand gedrückt, ja ihn geküßt hatte, stet- ein durchaus correcter geblieben und alle gegentbeiligen Unterstellungen haben auch nicht durch eine einzige Thatsache bewiesen werden können. Gerade in den letzten beiden Jahren, als die ätzenden Wogen der DrehsuSaffäre immer bedrohlicher an den Grundvesten der Republik nagten, mögen wiederholt von gewisser Seite Ver suchungen an ihn herangetreten sein. Er ist ihnen nicht erlegen. Eine andere Frage aber ist es, was setzt aus dem morschen' unansehnlich gewordenen Gebäude der Republik werden soll. Un geduldig, heißt es, harrt der Thronfolger Prinz Victor — dem Herzog von Orleans traut Niemand zu, daß er sich zu einer Tbat ausraffen werde — an der Grenze und schon längst hätte er den entscheidenden Eonp gewagt, wäre seine Easse nicht immer leer gewesen. Jetzt ist sie, da seine Anhänger seine und ihre Zeit gekommen glauben, gefüllt bis zum Rande, das Heer ist reis für einen Cäsar, weite Kreise der Republik sind dieser fast nur noch dein Namen nach bestehenden Ver- fasfungsform längst müde, Paris, ja ganz Frankreich und Algerien sind seit Jahresfrist in steigender Erregung, der Moment, der Republik den Todesstoß zu geben, scheint ge kommen. Sollte den Ungeduldigen Felix Faure's unantastbare republikanisch Eorrcrthcit nicht ein Hinderniß gewesen sein? Als die Kunde von seinem plötzlichen Ableben bekannt wurde, war überall der erste Gedanke: Ist er eines natürlichen Todes gestorben? Sadi Earnot endete unter dem Dolch stoß eines Anarchisten, weshalb sollte nicht ein Handlanger des Monarchismus einen tödtlichen Trank für Felix Faure gebraut haben können! Sein Hinscheiden macht allerdings nicht den Eindruck eines Sterbens an Gift, aber da es so unerwartet, so überraschend kam, und da in Frankreich, wo alle Leidenschaften loögelasfen scheinen, heute nichts mehr unmöglich ist, kann man auch die Möglichkeit eines ge waltsamen Todes-» für den Augenblick wenigstens, nicht auS der Berechnung lassen. Für den Fall des Ablebens deS Präsidenten der Republik sieht die Verfassung vor, daß sofort beide Kammern sich zum Eongreß vereinigen und zur Wabl eines Nachfolgers schreiten. Er wird auf sieben Jahre gewählt. Die nöthigen Schritte sind bereits geschehen. Man meldet uns: * Paris, 17. Februar. (Telegramm.) Der Ministerrath wird heut« Bormittag 9 Uhr zusammentreten, um den Tag der Einberufung des Congresses zur verfassungsmäßigen Wahl LcS neuen Präsidenten zu bestimmen. Bis dahin ist die Exekutiv gewalt aus den Ministerrath übergegangen. Wahrscheinlich wird der Eongreß morgen in Versailles zusammentreten. * Paris, 17. Februar. (Telegramm.) Alle Blätter widmen dem verstorbenen Präsidenten Faure eingehende biographische und politische Artikel und besprechen ausführlich die etwaigen Con sequenzen des Todes des Präsidenten. Tie meisten Blätter heben das liebenswürdige, menschenfreundliche Wesen und die Würde hervor, mit der er Frankreich nach außen vertreten habe. Sein plötzlicher Tod gestalte die Lage doppelt schwierig. Die republikanischen Zeitungen appelliren an dir Ein- müthigkeit der republikanischen Mitglieder des CongrrsseS, damit sie Faure einen Nachfolger gäben, der die Republik gegen diktato rische Gelüste zu vertheidigen versuche. Außer anderen Candi- daten werden noch Frrycinet,Bourgeois,Brisson,Cambon und Constans von den einzelnen Blättern für Bewerber um die Präsi dentschaft gehalten. — Zn dem „Journal Ossiciel", das mit Trauerrand erscheint, wird der Tod des Präsidenten Faure mit folgenden Worten gemeldet: „Präsident Faure hat einen Schlaganfall erlitten und ist um 10 Uhr Abends gestorben." — Die Morgenblätter bestätigen, Laß der Eongreß morgen zusammentreten wird. Jetzt Wird es sich zeigen müssen, ob die Republik mit Felix Faure auf dem Sterbebette liegt und ein Prätendent den Muth hat, sie mit ihm zu begraben, um auf den Schultern deS Heeres sich auf den Thron heben zu lassen, oder ob VaS Elysöe auch diesen Sturm zu überdauern im Stande ist. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Februar. Der Reichstag hat leider nicht die nationale Kraft gehabt, das Beispiel der Regierungen zu befolgen und wie diese die Beantwortung, seinerseits die Besprechung der Tiincn-Znterpellation des Herrn Johannsen abzulehnen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß die richtige Welfenmajorität, die die Erörterung gestern beschloß, heute hübsch unter sich bleibt, daß also die nationalen Parteien der Erörterung fern bleiben. Wir würden diese Haltung angemessen finden, nicht nur aus dem formellen Grunde, weil die Angelegenheit der Ausweisung preußische Landessache ist, sondern auch weil keine Nothwendigkeit besteht, mit Elsässern, Socialdemokraten, schwäbischen Demokraten n. s. w. die Unzulässigkeit deS Landesverrathes zu discutiren. Daß die dänische Partei in Nordschleswig solchen übt, steht nach der gegentheiligen Versicherung, die Herr Johannsen gestern im Reichstage abgab, noch ebenso fest wie vorher. Selbst luftige Sommerhaus im Posillipo gedrungen wären. Besonders Gräfin Marie selbst hatte unter diesem durchaus ungemüthlichen, unheimlichen Eindruck zu leiden. Wenn sic am Sekretär, an dem chr erster Mann zu arbeiten pflegte, vorbeiging, war es ihr immer, als ob derJustizrath noch da säße und schriebe, oder wenn sie Abends auf dem großen Lehnsessel saß, auf dem er immer seinen Thee einzunehmen pflegte, und auf dem sie — wie oft — mit ihm zusammen gesessen hatte, wie Vater und Tochter, so fuhr sie plötzlich zusammen und erschrak bei der geringsten, un schuldigsten Berührung mit dem Grafen Starace auf den Tod. Hundert Kleinigkeiten erinnerten sie an den Justizrath, ols ob ihre Möbel sich zu stummen Mahnern, zu geisterhaften Ge spenstern verdichteten. „Du bist nervös", sagte Starace und kümmerte sich nicht weiter darum. Er hatte gerade in der ersten Zeit ihrer Ehe ganz andere Geschichten im Kopfe. Freilich, sie war nervös. Ihr Herzklopfen, das sie schon früher so geängstigt hatte, trat jetzt viel häufiger und kräftiger auf. Die Ursache war ihr nicht ganz klar. Nur manchmal siel ihr der Refrain eines uralten deutschen Volksliedes ein, — sie hatte manchmal solche drastische, tolle Einfälle. „Lass' ab von der Liebe, Sie ist Dir nicht gesund", » brömelte sie vor sich hin und mußte lachen. Trotzdem war die Sache ernst. Sie hätte gewünscht, den alten Doctor Zander — oder den jungen — sie war darüber nicht recht klar, einmal in ihrem Paradies am Posillipo zu consultiren. Zu den neapolitanischen Aerzten hatte sie in solchen Intimitäten kein Vertrauen. Was mochte überhaupt aus dem jungen Doctor Zander geworden se>n? Er war so nett, so fest und gediegen, so ganz anders wie Starace, so zuverlässig, so beruhigend. Und sie hatte nichts wieder von ihm gehört und gesehen. Wie schade! Sie hatte, weil der Winter bevorstand, die Reife nach Deutsch land aufgeschoben, aber zum Frühjahr wollte sie unbedingt nach Berlin, Starace mochte wollen oder nicht. Sie wollte wissen, wie es in Berlin aussah. Eine gewisse Sehnsucht, ein leises Heimweh überschlich sie manchmal in ihrem Paradies. Eine gute Seite halte die Villa Monrepos indessen auch für sie. Sie führte natürlich hier ihre eigene Wirtschaft, hatte einen Diener und ein Kammermädchen und hielt also auch ihren Wein, den sie in größeren Quantitäten vom Weinhändler erhielt, im Hachse. Dos war'S, was ihr sehr zu Statten kam. In der Pension auf dem Corso Vittorio Emanuele hatte sie sich mit dem Zimmermädchen gut gestellt, dem sie manchmal kleine Geschenke qemacht, und dar ihr dann als Gegenleistung hin und wieder die Freisinnigen könnten, wenn sie wollten, davon erzählen, wie aus Mittheilungen der „Tägl. Rundschau" hervorgeht. E» heißt in diesem Blatte von Johannsen und seinem Mitverschworenen Hanssen: „Seine Unehrlichkeit ging so weit, daß er bei der Wahlbewegung deS kriegSschwangeren Jahres 1887 in Apenrade den Krieg für nahe bevorstehend erklärte, in FlenSburg dagegen die „fabelhaften KriegSgerüchte" verspottete. Auch nach seinem Eintritt in daS preußische Abgeordnetenhaus 1889 setzte er dies Treiben trotz Ablegung seines Treu-Eideö sü: den König von Preuße» in unbefangenster Weise fort. Stellte man ihn von deutscher Seite deswegen, so kam er ihm nicht darauf au, seine aus LoStrennung NordschleswigS gerichtete deutschfeindliche Wühlarbeit schlichtweg abzuleugnen. Wie er hier in Berlin seine Rolle spielte, hat rin Kopenhagener Freund unlängst in der „Natioualtidende" verratheu. Seine College» amüsirten sich damit, ihn „den dicken Dänen" zu nennen — wobei er mit den deutschen Parlamentariern auf wohlwollendem, halb scherzendem, halb aufzirhendem Fuße stand: „Freundlich, entgegenkommend, all- zeit bei gutem Humor nnd keineswegs abgeneigt, bei einem Glase Bier eine lustige Geschichte zu erzählen oder anzuhöre», hat Johannsen viele Vertraulichkeiten cntgegengenommen und ist in manche Verhältnisse eingewriht gewesen. Er ist unter solchem angenehmen, kollegialen und vergnügte» Zusammensein unzweifelhaft einer von Denen gewesen, die am meisten gesprochen und am herz lichsten gelacht haben. Aber er war gleichwohl Derjenige, der am wenigsten gesagt und am meisten zu wissen be kommen hat — von den Andern." — DaS heißt mit andern Worten, der Agent Dänemarks, der nur mit einem Fuße in Berlin, mit dem andern aber in Kopenhagen steht, hat mit harmloser Spaß- machermieue seine parlamentarischen College» ausgchorcht über Dinge, die im deutschen Interesse vor ihm besser ein Geheimniß geblieben wäre». Sei» Landtagscollege H. P. Haussen hat dann eine ähnliche Taktik nicht ohne Erfolg sich angrrignet. Auch er verstand es, hier im Parlamente über sein Treiben in Nordschleswig und Dänemark einen Schleier zu breiten, so Laß er freundschaft liches Entgegenkommen bei deutschen Parlamentariern sand. Erst der 25. Januar 1898 mit seiner Erörterung über die Ausweisungs frage gab diesem Verhältniß einen vorläufigen Stoß. Das Material, das von der Regierung wie von Mitgliedern der nationalen Parteien gegen die dreiste Lostrennungsagitation der dänischen Partei und gegen ihn selber vorgebracht wurde, machte einen sichtlich starken Eindruck auf daS Haus. Und da geschah es, so berichtete wieder der ihm sehr nahe stehende Gewährsmann der „Natioualtidende", „daß zwischen zwei der hervorragendsten Führern der freisinnigen Par teien einige heftige Repliken gewechselt wurden: sie mußten ihn fallen lassen." Und unter diesen Umständen, um nicht, wie sei» „Heimdai" ausdrücklich zugesteht, die ihm wohl wollend gesinnten Parteien und einzelnen Parlamentarier zu nöthigen, sich von den beiden Abgeordneten als Landesverräthern zurückzu- zieheii, ergriff nun Haussen das Wort. Wie er schon früher seinem Treue-Eide durch sein ganzes Treiben zuwider gehandelt hatte, so leugnete er wider besseres Wissen im Einzelnen und imGanzen seinelandesverrätherischenBestrebungen ab." Die Freisinnigen befinden sich also nicht mehr in Un- kenntniß über die Natur der Bestrebungen deS Herrn Johannsen. Trotzdem haben sie die Besprechung seiner Interpellation er möglichen helfen. In einem „Die Wiedereinführung der Berufung in Straffachen" überschriebenen Artikel der „Deutschen Juristenzeitung", welcher der Beachtung des Reichstages und deS ÄundeSrathes dringlichst zu empfehlen ist, äußert sich einer der höchstgestellten Richter deS Reiches, ReichSgerichtS- SenatSpräsident Freiherr v. Bülow, nicht nur über die Gründe, die gegen jene Wiedereinführung sprechen, sondern auch über die Reform deS StrafproeeffeS überhaupt. Was die Berufung in Strafsachen betrifft, so weist er auf die be sondere Wichtigkeit der von den Laien fast durchweg über sehenen Frage hin, ob das Berufungsgericht entscheiden muß auf Grund einer wiederholten eigenen Beweisaufnahme, oder ob eS entscheiden darf auf Grund der Verlesung von Proto kollen, die über die Hauptverhandlung erster Instanz aus genommen sind. Zu dem letzteren Falle, der jedenfalls schon wegen deS KostenpuncteS die Regel bilden wird, bemerkt von Bülow: „Für Jeden, der die realen Verhältnisse kennt, ist der Ge- danke geradezu entsetzlich, daß in schweren Strafsachen der Be- rufungSrichter auf Grund des Protokolls über die Verhandlung erster Instanz soll erkennen dürfen. Wenn doch Diejenigen, die so etwas zulassen zu können glauben, sich einmal die Mühe nehmen wollten, ein paar Tausend oder auch nur ein paar Hundert solcher Protokolle anzusehen. DaS sind ja nicht ruhig, bedächtig, sorgfältig hergestellte Protokolle, wie man sie früher im schriftlichen Processe hatte. Nein, in der schnell dahinraoschenden münd einen derben Fiasco auf ihr Zimmer schmuggelte. Den „nippte" sie so nach und nach aus. Aber sie war doch immer genirt ge wesen. Das war in der Villa Monrepos anders. Wenn das Faß leer war, wurde ein anderes gebracht. Sie hatte ein un bändiges Bedürfniß nach Rothwein, und befriedigte das bald unter dem, bald unter jenem Vorwand, denn ihre Widerstands- Energie war in dieser Beziehung schon längst dahin. Starace sah vielleicht schon um diese Zeit sehr wohl, um was es sich hänselte, ließ sie aber gewähren, munterte sie wohl auch hin und wieder noch auf. Gräfin Marie war eben im Begriff auszugehen, sie stand fix und fertig angekleidet in ihrem Schlafzimmer und griff nach ihrer Geldtasche, die sie gewohnt war, auf das Nachttffchchen zu legen. Die Geldtasche war fort. Erstaunt suchte sie, ob die Tasche vielleicht heruntergefallrn sei. Sie konnte sich das Verschwinden der Tasche nicht erklären. Es kam außer ihrem Manne und dem Kammermädchen keine Seele in das Zimmer. „Sollte Concetta ?" Sie rief das Mädchen herbei. „Concetta, wohin hast Du meine Geldtasche gethan?" fragte sie. DasMädchen, eine harmlose Jnselunschuld aus Capri, wurde hochroth und stammelte: „Ich habe es nirgends wohin gethan, Frau Gräfin. Ich habe es überhaupt nicht angerührt." „Nun, wo ist es dann? Ich habe es hierher gelegt. Ich weiß es bestimmt. Und jetzt ist es fort." „Bei der Madonna, die im Himmel ist, Frau 'Gräfin, ich weiß nichts davon." Gräfin Marie wußte nicht, woran sie war. Das Geld war fort. Das allein war klar. Es waren etwa dreihundert Lire in der Tasche gewesen. Nach ihrer Meinung mußte Concetta um die Sache wissen. „Du hast Niemand hier eintreten sehen?" fragte sie weiter. „Nein, Frau Gräfin. Niemand ols den Grafen." „Was willst Du damit sagen?" fragte sie schroff und drohend. „Nichts, Frau Gräfin, als daß ich hier Niemand' habe aus- und eingehen sehen als Ihren Herrn Gemahl." „Geh!" sagte sie kurz und abweisend. Das Mädchen ging fort. Frau Gräfin Marie mußte sie natürlich fortschicken. Es that ihr leid. ES war ein junges Kind, was ihr sehr warm empfohlen war. Aber eS war un möglich, Leute in ihrem Hause zu haben, auf die sie sich nicht unbedingt verlassen konnte. Wenn sie nickt annehmen wollte, lichen Verhandlung vor der Strafkammer wirst der Gericht-- schreibe»:, meistens «in Referendar, in fliegender Eile ein paar abgerissene, oberflächliche Bemerkungen über die Aussagen der Zeuge» hin. Die SitzungSprotokolle sind aber vor Allem deshalb so unzuverlässig und werthloS, »veil der Angeklagte und die Zeugen gar nicht einmal erfahren, waS über ihre Aussagen zu Protokoll genommen wird; eS ist ihnen jede Gelegenheit versagt, Ergänzungen oder Berichtigungen zu veranlassen, während selbst im Ermittelung-, verfahren und in der Voruntersuchung jedes Protokoll den Ver- nommenen vorgelejen wird und mit einer Erklärung deS Angeklagten, Zeugen rc. schließt, ob er die Niederschrift genehmige. Diese ganz uncontrolirten und uncontrolirbaren Sitzungsprotokolle, denen auch das Reichsgericht in constanter Rechtsprechung jede Beweiskraft für das, was die Zeugen und Sachverständigen ausgesagt haben, ab spricht, sollen nun die Grundlage bilden dürfen für die Entscheidung großer Strassälle, bei denen es sich oft um die ganze Existenz eines Menschen handelt!" Noch wichtiger aber, als diese Ausführung erscheint uns der auf die gesammte Reform des StrafprocesseS bezügliche Schlußsatz der Abhandlung, der die folgende, auch von unS wiederholt verfochtene These aufstellt: „Eine gründliche, ernsthafte Reform des StrafprocesseS ist so lange unmöglich, als man nicht grundsätzlich, fest und klar Stellung genommen hat gegenüber dem Problem, ob und in welcher Weise zu den mit der Schuldsrage befaßten Strafgerichten aller Ordnungen das Laien-Element zuzuziehen ist; der jetzige Zustand mit feinem principlosen Durcheinander von Schöffengericht, reinem Beamtengericht (Straf kammer) und Schwurgericht ist auf die Dauer unhaltbar." Die scharfe, aber höchst zutreffende Charakterisirunz deS gegenwärtigen Zustandes kommt gerade zur rechten Zeit, man kann sogar sagen, in der zwölften Stunde. Denn wenn daS Flickwerk, daS der Antrag Nintelen schaffen will, von Reichstag und BundeSrath acceptirt würde, so wäre die von Bülow mit Recht verlangte baldige durch greifende Reform deS StrafprocesseS all calenckas 8raecL8 verschoben. Denn wenn durch eine Veränderung der Besetzung der Strafkammern und durch die Einrichtung von Berufungskammern, sei eS bei den OberlandeSgerichten, sei eS bei den Landgerichten, eine Aenderung der Organi sation stattgefunden hätte, so könnte natürlich nicht sofort wieder eine weitere, die eben erfolgte Aenderung wieder um werfende Abänderung stattfinden. Vom Standpunkte dieser höchst wünschenSwerlhen Vereinheitlichung der Organisation der Strafgerichte in Bezug auf die gemischte Besetzung aller Strafgerichte war es ein Glück, daß die Justiznovelle im December 189V zu Falle kam. Möchten doch noch andere Männer von der hohen Stellung des Freiherrn von Bülow ein gewichtiges Wort sprechen, damit wir nicht mit einer verschlechterten Auslage der Novelle von 1886 bedacht werden, sondern mit einer durchgreifenden Reform. „Die Verhältnisse der Deutschen in Marokko ver schlechtern sich von Tag zu Tag", so beginnt ein Privatbrief auS Tanger, 3. Februar, dem wir Folgendes entnehmen: „In ganz Marokko giebt es nicht einen einzigen Deutschen, der sich nicht über den gegenwärtigen Zustand der Dinge aufs Bitterste beklagen müßte. Und Allen bleibt eS unerfindlich, welche politischen Rücksichten die deutsche Ne gierung auf Marokko nehmen mußte, bevor sie die Interessen ihrer Landeskinder energisch wahrte. Zwei deutsche Schul schiffe werden in nächster Zeit daS Mittelmeer verlassen, ob sie wohl die marokkanische Küste besuchen werden, uin den gerechten deutschen Forderungen Nachdruck zu verleihen und dadurch weiteres Chicaniren der Deutschen und deren Schützlinge durch die KaidS (Provinzial gouverneure) zu verhindern? Der Consul glaubt daran, wir Anderen aber nicht mehr. Bei der nun voll ständig unterdrückten Emeute in Eem-sab ging viel deutsches Capital zu Grunde. Für diesen Verlust und den anderer Europäer hat der Sultan mindestens zwanzigfache Contribution eingetrieben, aber die Geschädigten erhielten trotz der Vorstellung der Gesandten und Consuln bisher nicht einen Pfennig zurückgezablt. Fast Alles ist in die nimmer zu füllende Tasche Bu Ahneds geflossen. Die geschädigten Europäer waren theilweise Schutzbefohlene europäischer Staaten, auch Deutschlands, sie sind bettelarm geworden, der Noth und dem Elend ausgesetzt. — Und der meutrische Kaid von Eem-sab ? Er ist wieder auf seinen altenPosten gesetzt worden unter der Scheinbedingung, den reclainirten Schaden zu decken, dazu aber verspürt er nicht die mindeste Lust, er kennt seinen Herrn und auch die Nasen, die Jener den europäischen Gesandten zu drehen versteht. Bisher traten wir Deutsche mit unseren berechtigten Klagen wenig an die Öffentlichkeit, jetzt soll aber einheitlich vorgegangen werden. Es soll eine Denkschrift ausgearbeitet werden, auS der die Reichsregierung ersehen soll, daß die Nachtheile und Recla- mationen der gesummten Deutschen Marokkos wohl einer ernsten Würdigung Werth sind. Denn wir fußen auch auf die Worte der Thronrede: „Die Interessen der Landsleute im Auslande sollen geschützt werden!" Nicht nur wir daß die Geldtasche zum Fenster hinausgeflogen war, so mußte sie eben Concetta des Diebstahls verdächtigen. Momentan hatte die Sache natürlich weiter keine Bedeutung, höchstens die, daß sie in ihrem eigenen Hause ihres Eigenthums nicht sicher war. Sie nahm sich aber vor, mit Starace von der Sache zu sprechen. Or war doch schließlich der Mann im Hause und mußte als solcher entscheiden. Sie ging aus. Sie wußte eigentlich nicht weshalb. Eine Langeweile, die sie in letzter Zeit immer mehr und mehr in ihre grauen Fittich« hüllte, trieb sie fort. Immer mehr wurde ihr Leben ein Kampf gegen das furchtbare Ungeheuer des mensch lichen Daseins, für das die Leute den Ausdruck Langeweile er funden haben und das eigentlich in Anwendung auf ihre Person aus einem Unbeschäftigtsein ihres Gemüths, ihres Herzens und ihres Geistes bestand. Alles, was sie umgab, entsprach nicht ihrem Wesen, ihrem innersten Dasein. Die allbekannte Leere, die sie selbst nicht definiren konnte, entstand, und wenn sie auch dieses öde, gelangweilte, zwecklose Dasein hin und wieder mit einem derben Schluck Rothwein auSzusüllen suchte, so gähnte doch gleich darauf das Ungeheuer um so bedrohlicher und scheuß licher seinen Rachen gegen sie. Da plötzlich, über Nacht, hatte sie das Mittel gefunden, diese Schrecken der Langeweile zu beschwören. Sie wollte Schrift stellerin werden, aus dem Nichts ihres Herzens schöpfen, um es dem Publicum für gutes Gold, für echte Poesie aufzuhalsen. Sie sah so viel Stümper um sich her. Um wie viel besser konnte sie das machen. Dieser Bertelli, von der „Farfalla Napoletana", was war er für ein Schuster gegen sie? Gegen die Frau Gräfin Maria di Montesanto und Boscoreale? Und wie Viele scribelten und dichteten in den deutschen Familien-Journalen herum, die nicht den Schatten des wirklichen Lebens sahen, um viel weniger es schildern konnten? Dagegen sie, die Gräfin Maria di Monte santo und Boscoreale, die geborene Breitenbach, die alle Höhen und Tiefen deS Lebens aus eigener Erfahrung kannte, die einen Bruder Tischler und einen Schwager Kohlenhändler, gräfliche Verwandte hatte und selbst eine Gräfin war, wie viel mehr mußte sie nicht packend und ergreifend zu schildern verstehen. Nur ein kleiner Haken war noch bis zu ihrer dem- nächstigen Berühmtheit zu überwinden — ihr fehlte ein Stoff, ein hübscher dralles Thema, an dein sie ihre eminente Begabung auSlaffen, mit dem sie die lesende Welt in Erstaunen setzen konnte und gerade dieses Stoffes halber ging sie jetzt aus. Dieser Don Antonio, der hyperschüchterne neapolitanische Liebhaber und seine gluthäugige, lebhafte Anunziata — welch' prachtvoller Novellensioff! Man mußte die Deutschen in Marokko sind auf das Empfindlichste geschädigt, nein daS ganze deutsche Reich verliert hier von Tag zu Tag an Ansehen, daS selbst mit einer glänzenden Special- grsandtschast an den Sultan nicht wieder bergestellt werden kann, sondern nur durch eine Demonstratio»» einiger Kriegs schiffe. WaS nützt eS, wenn wir den Marokkanern gelegent lich solcher Gesandtsckaften eine Musterkarte unserer ^and- aruiee zeigen, einige Schiffskanouen — selbst auf ver alteten Schulschiffen — gelten hier als beredte Zeugen der Macht Deutschland-; diese könne» wenigstens den Necla- mationen Nachdruck verleihen." — Die erwarteten deutschen Schiffe durften inzwischen in Marokko angekommen sein unv ihre Schuldigkeit bereits gethan haben. Neber die HandriSbejiehungen zwischen Deutsch land und Nordamerika gehen unö aus New Jork folgende Mittheilnngen zu: Die Behauptung nordamerikani- scher Blätter, daß der Berliner Botschafter White kurz vor der Rede deS StaatSsecretärS v. Bülow sehr ernste Vorstellungen erhoben habe und daß deshalb die Rede des Letzteren versöhnlich ausgefallen sei, wird von denjenigen Stellen, die mit der Negierung Fühlung haben, als unrichtig erklärt. Die letzten Be sprechungen Wbite'ö mit Herrn v. Bülow betrafen nur die Samao-Angelegenheit, während die Verhandlungen über die wirthschastlichen Fragen schon vorher einen befriedigenden Verlauf genommen hatten. Besonders bat Herr White seit Wochen seine Regierung dessen versichert, daß bezüglich der Einfuhr amerikanischer Fleischwaaren die dortigen Jnteressentenvvllständig beruhigt sein könnten. Mit den» neuen deutschen Fleischbeschaugesetze sei eine Schädigung dieser Einfuhr keineswegs beabsichtigt, sondern es werde über die Einzelbestiminungcn im Reicksgesundheitsamt ausschließ lich vom gesundheitlichen Standpuncte aus entscheiden. DaS Letztere bearbeite gegenwärtig noch die Einzelfragen, besonders die Methode der Fleischbeschau in Amerika, die Art der Salzung und Räucherung, der Wurstbereitung, der Schmalz- berstellung u. s. w. Uebcr diese Puncte seien von deutscher Seite genaue fachmännische Berichte erbeten worden, und der gegenwärtig nach Berlin entsandte Specialcommissär Porter habe besonders die Aufgabe, diese Berichte und Aus stellungen für daS Reichsgesundheitsamt zu geben. Deutsches Reich. L. O. Berlin, 16. Februar. Der BundeSrath ertheilte in seiner heutigen Plenarsitzung außer den schon angeführten Vorlagen noch folgenden seine Zustimmung: der Vorlage vom 16. Januar 1899, betr. die Abänderung deS tz 2 der ans den Befähigungsnachweis der Seeschiffer und Seesteuerleute bezüglichen Bekanntmachung vom 6. August 1887, und den» vom Reichstag angenommenen Gesetzentwurf, betr. die Herabsetzung deS Zolles auf gewisse Seidengewebe. Der ReichStagSbeschluß, betr. die Zollbehandlung im Jn- lande veredelter Seidengewebe, wurde dem Reich kanzler überwiesen; den zuständigen Ausschüssen die Mittbeilungen deS Reichstagspräsidenten über die Reichstag beschlüsse zu der» von den Abgeordneten Grafen v. Hompesch, Grafen zu Limburg - Stirum und Rickert und Genossen ein gebrachten Entwürfen von Gesetzen, betr. die Aushebung des Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesu bezw. die Aufhebung deS H 2 dieses Gesetzes. Vom Geschäftsbericht des ReichSvcrsicherungsamteS für das Jahr 1898 und vcn der Mittheilung, betr. Verhandlungen der Commission für Arbeiterstatistik, wurde Kenntniß genommen und über eine Reihe von Eingaben Beschluß gefaßt. 6. U. Berlin, 16. Februar. Die Statthalterfrage in Elsaß-Lotbringen ist bekanntlich in der letzten Zeit vielfach besprochen worden und zwar in dem Sinne, daß der Schwager des Kaiser-, Prinz Adolf zu Schaumburg, für diesen hohen Posten ausersehen sei. Wie wir auS sehr gut unterrichteten Kreisen als verbürgt erfahren, bat Fürst Hohenlohe-Langenburg bis jetzt noch nie einen Rücktritts gedanken geäußert, ebenso wenig sind ihm solche von berufener Seite nahegelegt worden. Aber bei dem Alter des Fürsten — — er stehl im 67. Lebensjahre — erscheint es an maßgebender Stelle wünschenswerth, daß eine jüngere Kraft sich mit dem Gedanken an die spätere Uebernahme des Postens vertraut mache, und diese Kraft glaubt man in dem genannten Prinzen gefunden zu haben. Gelegentlich eines Besuchs des prinzlichen Paares in Straßburg besichtigte dasselbe das Statthaltereigebäude ziemlich eingehend. Sollte also Fürst Hohenlohe-Langenburg dereinst an seinen Rücktritt denken, so wird man den Prinzen Adolf von Schaumburg als Nachfolger betrachten dürfen. Berlin, 16. Februar. (Die Bernsteingewinnung.) Die Einbringung des Gesetzentwurfs wegen Ankaufs der Bernsteinwerke Stantien <L Becker in Königsberg i. Pr. lenkt die Aufmerksamkeit aus die Bernsteingewinnung im Allge meinen. Die Hauptfundstätte deS Bernsteins ist die Provinz Ostpreußen. Dort hatte sich schon früh ein weitgehendes Recht der Landesgewalt auf den Bernstein ausgebildet. In derZeit des deutschenOrdenS waren dieStrandbewohuer an der ostpreußischen Küste gehalten, den Bernstein zu sammeln, zu schöpfen und Geschichte nur von der richtigen Seite anpacken. Es mußte klappen. Das feine südliche Colorit im Hintergrund, den neapolitanischen Zauber, den sie fast so ansah, als ob die Neapolitaner nicht auch Menschen von Fleisch und Blut wären und den natürlich Niemand so gut wie sie schildern konnte, alles Das mußte ihr Erfolg verschaffen. Nur mußte sie eben studiren, einen feinen pikanten Stoff ausfindig machen und deshalb ging sie aus. Die Gelegenheit war ihr günstig. Als sie an der Riviera di Chiaia aus der Pferdebahn stieg, um den Cesarinis einen Besuch zu machen, sah sie soeben Anunziata aus der Wohnung kommen und nach der Stadt gehen. Mit wenigen Schritten war sie bei ihr. „Wie geht's, Signorina? Wohin?" „Ah, Frau Gräfin", erwiderte Anunziata, die in letzter Zeit sehr bleich und fast kränklich aussah, „cs geht gar nicht besonders gut. Meine Schwester ist krank und ich bin soeben nach der Fermacia unterwegs, um ihr zu holen, was der Arzt aus geschrieben hat." „Was fehlt Ihrer Schwester?" „Ich weiß es nicht. Sie hat Fieber." „Warum nicht gar. Liegt sie zu Bett?" „Nicht immer, ober den größten Theil des Tages. Wohin wollten Sie?" „Eigentlich zu Ihnen, aber unter den Umständen fürchte ich zu stören. Und was macht Don Antonio? Kommen Sie nur, Anunziata, wir gehen ein Stück zusammen. Ei was, wozu er- röthen? Wie? Ich glaube gar, Sie weinen! Habe ich Ihnen wehe gethan? Reden Sie nur. Wir sind ja unter uns. Macht er noch immer den Stockfisch? Will er nicht reden? Nur Ge duld. Wir wollen ihm nun schon helfen, wenn er den Mund nicht aufmachen kann. Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?" „Oh, das ist schon lange her. Mehr als vier Monate." „EG ist ein Barbar. Kommt er nicht mehr zu Ihnen?" „Nein. Er ist den ganzen Sommer nicht mehr bei un gewesen." „Weshalb nicht?" Anunziata erwiderte nichts, aber sie schluchzte unwillkürlich auf. Man sah, daß sie die Thränen nur mit Mühe zurückhielt. „Ich will Ihnen etwas sagen, Anunziata", fuhr Gräfin Marie fort. „Ich bin seiner Mutter noch einen Besuch schuldig. Es ist noch nicht ganz sechs Uhr. Jetzt treffen wir ihn also zu Hause. Sie gehen mit mir." „Oh, Frau Gräfin " (Fortsetzung folgt.)
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