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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990322028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899032202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899032202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-22
- Monat1899-03
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WaS Cecil RhodeS in Berlin erreicht hat, darüber cursiren die verschiedensten Gerüchte; uns wird in Uebereinstimmung mit den Aeußerungen des Staatssekretärs vonBülow in der gestrigen Reichstagssitzung von gut unterrichteter Seite mitge- theilt, was daran wahr ist: Obgleich ganz Afrika von unter seeischen Telegraphenleiiungcn ringsum umschlossen ist, macht sich immer mehr unld mehr das gänzliche Fehlen einer telegraphischen „Ueberlandleitung" sowohl der Länge als der Quere nach empfindlichst geltend, so daß der Süden mit dem Norden oder der Osten mit dem Westen, und umgekehrt, sich telegraphisch nur um halb Afrika herum verstän digen können. Die projectirtc Linie „Afrika-Süd-Nord" dient nicht einer Nation nur, sondern allen, die mit Afrika im Verkehr, sei es direct oder indirect, stehen. Aus solchen Rücksichten konnte die deutsche Regierung dem Projecte Cecil Rhodes' keinerlei wesentliche Schwierigkeiten bereiten, zumal jene Leitung auf deutschem Gebiete der deutsche» Co atroleund Nutzung untersteht. Der darauf bezüg liche Vertrag mit der „Transafrikanischen Telegraphen- Gesellschaft" gelangte zum Abschluß. Nach demselben wird die Gesellschaft an ihren Telegraphenstangen einen zweiten Drahtzur alleinigen Benutzung verdeutschen Regierung anbringen. Dieser zweite Draht soll von der i ö d- lichsten Station in Rbodesia unweit Abercorn an der Südspitze des Tanganjika-Sees bis zu dem Punct« gehen, wo die Hauptlinie wieder auf britisches Gebiet in Uganda einläuft. — Etwas Ande res ist es aber mit dem gleichlinigen Eisenbahn- project; obgleich dasselbe augenscheinlich ziemliche Voriheile für Deutsch-Ostafrika bietet, stehen ihm von deutscher Seite auch nicht unwichtige Bedenken gegenüber. Zum Bau jener Strecke durch Deutsch-Afrika ist den Engländern deutsches Capital er wünscht, aber dieses ist, da eine börsenmäßige Verzinsung des aufgewendetrn Capitals innerhalb dieser Generation nicht zu erwarten ist, nur im Falle einer Zinsgarantiederdeut- schen Regierung zu haben, und darauf kann letztere sich naturgemäß nicht einlaffen; wenigstens nicht, so lange als die so genannte Ccntralbahn nach Dar-es-Salaam nicht fertig gestellt ist. Früher wäre überhaupt der Betrieb auf der Süv- Nord-Bah.i unerwünscht, da er den Handelsverkehr zur deutschen Küste beeinträchugen müß'e. Nach Beendigung der Centralbahn steht der Eröffnung der Siid-Nordbahn nichts entgegen, wenn deren Bau keine finanziellen Garantien des Reichs verlangt und die Verwaltung der deutschen Strecke in deutschen Händen ver bleibt. Die Regierung konnte um so mehr auf ausgiebigste Wahrung ihrer Interessen, ohne eia Nichtzustandekommen des Projectes zu befürchten, bedacht sein, als es ihr bekannt wurde, daß an eine Weilers ührungjenerBahnaufcongo- staatlichem Gebiet nicht zu denken ist. Das Ka- tanga-Syndicat sowie anoere vom Congostaaie concessionirte Eisenbahngesellschaften u. s. w. stützten sich bei Bekanntwerden des Rhodes'schen Projectes sofort auf ihre Verträge, laut welchen dec Congostaat jenem überhaupt nicht näher treten darf. Rhodes ist also auf deutsches Gebiet direct angewiesen und diesen Umstand konnte man nicht unbenutzt lassen, um größere Lortheile zu erlangen: Führung der Eisenbahn über Tabora-Bukoba, deutsche Verwaltung und Vorbehalt einer gänzlichen Erwerbung und keine Zinsgarantie! Ebenso sind auch die deutsch-südwestafrikanischen Projecte Cecil Rhodes' über eine Vorbesprechung nicht hinaus gediehen. Cecil Rhodes beabsichtigt nunmehr ein neuesAn- gebot (Süd-Nordbahn) ausarbeiten zu lassen, daß den Hauptwünschen Deutschlands gerechter werden soll. Jedenfalls ist die Sache für uns durchaus nicht dringlich, da ja an die Ausführung dann erst zu denken sein wird, wenn entweder durch Vollendung der südlich-nördlichen englischen Strecken, oder durch den Ausbau der deutschen Bahn von der Küste nach den Seen, den man jetzt von allen Seiten als oonckitio sine qua non bezeichnet, die Mittel für die Beförderung des Materials geboten werben. Ter Erbauer des Reichstagsgebäudes, der Geh. Baurath Wallot, hat an den Staatssekretär Graf Posadowsky pnd an den Präsidenten des Reichstages Graf Ballestrem die MitHrilung gelangen lassen, daß er auf die fernere Leitung der Aus schmückungsarbeiten des Reichstages verzichte und das ihm über tragene Amt zum 1. April niederlege. Es ist im höchsten Maße zu bedauern, daß sich dieser Mann, dessen Wirken in seinen Be rufskreisen so große Anerkennung gefunden, zu einem solchen Entschlüsse aus seinem künstlerischen Gewissen genöthigt gesehen hat. Nach dem Verlaufe der vorletzten Reichstagssitzung war aber auch nichts Anderes zu erwarten. Es war nur eine Minderheit, die dem Künstler die einfachste Gerechtigkeit wiverfahren ließ; es waren nur die Abg. Frhr. von Heyl von den Nationalliberalen, Abg. von Kardorff von der Reichspartei und mit ihnen Graf von Lerchenfeld als Mitglied der Ausschmückungscommission, und als „weißer Rabe" im Centrum Frhr. v. Heereman, die der Persönlichkeit und dem Können des genialen Baumeisters das gaben, worauf er Anspruch hat, und die dem Wunsche Aus druck verliehen, daß er weiter an der inneren Ausgestaltung seines Lebenswerkes wirke. Obwohl es, wie selten eines, ein Wort zur rechter Zeit war, wenn Namens der nationalliberalen Fraction der Abg. Frhr. von Heyl forderte, daß auch im deutschen Reichstage den Künstlern das verdiente Vertrauen ausgesprochen und dahin gewirkt werden muß, „daß das ernste Streben der deutschen Künstler sie auch ferner in die Lage setzt, die reichen Schätze des deutschen Volksgeistes zu hoben", Herr vr. Lieber fühlte sich nun einmal, wie er so wohlgesetzt sagte, wie jener allein ehrliche Mohrenknabc, der, während die Höflingsschaar schweigt, den, nackl auf ocu. Zierde sitzenooa König sagi, oatz er kein Zauberkleid trage, sondern „splitternackigt" sei. Und so sagt er der deutschen Kunst, daß er, der beiden Rechte Doctor, dasteht, als Engel mit dem Flammenschwert, um den Reichstagsbau vor „Verschimpfung" und „Verhohnübelung" durch die bösen Künst ler zu schützen, „die da nackigte Männer hinstellen, als ob das deutsche Volk bis auf den letzten Faden ausgezogen sei." Wir hoffen, daß der Tag nicht ausbleibt, an dem der Herr Lieber, der sich in einem Zaubergewand dünkt, seinen „Mohrenknaben" findet, der ihm sagi, wie er „dahergezogen", während sein« Va sallen, bis in die Conservativen hinein, in der Furcht des hohen Herrn, „schweigen über den seltsamen Aufzug" und zu ihrem Verdienste um das Straßburger Goeihedenkmal und dem an den Altkatholiken verübten Schergendienst nun auch den nöthigen Bei fall über so öde Mißachtung künstlerischen Bestrebens fügten. Als die Maßregelung des Professors Schell durch die Congregation des Index bekannt geworden war, haben wir sogleich (am 25. Februar d. I.) darauf hingewiesen, daß jene Maßregelung einen Sieg des Jcsnitismns bedeute. Später hat ein katholischer Gelehrter, Prof. Knöpfler, in der „Deutschen Literatur-Zeitung" dieselbe Auffassung vertreten. Jetzt liegt ein indirecter Beweis für ihre Richtigkeit von jesuitischer Seite selbst vor, nämlich in Gestalt eines Aufsatzes, den der Jesuit JosephHilgersim neuesten Hefte der „S t i m m e n a u s Maria Laa ch" veröffentlicht. Es ist sicher kein Zufall, daß die genannte Zeitschrift, deren Beiträge bekanntlich insgesamml von Mitgliedern des Ordens der Gesellschaft Jesu geliefert werden, in ihrem ersten nach der Maßregelung Schell's aus gegebenen Heft eine begeisterte und unbedingte Recht fertigung der allgemeinen und besonderen Decrete über verbotene Bücher enthält. Die Begründung, mit der Hilgers das kirchliche Recht zum Verbot von Büchern vertheidigt, ist für den Jesuitismus so charakteristisch, daß es unrecht wäre, sie mit Stillschweigen zu übergehen. Wenn Hilgers die Bekämpfung schlechter Bücher auf dem Wege des „Verbotes" als „eben zum Hirtenamte der Kirche gehörig" ansieht und wenn er die that- sächlich ergangenen Verbote als „Zcugniß der Kirchengeschichte, auf das er sich getrost berufen könne", anführt, so erscheinen uns diese rein kirchlichen „Argumente" allerdings nicht aus gesprochen jesuitisch. Aber Hilgers macht auch Streifzüge in das Gebiet des allgemeinen Staatsrechts und der geschichtlichen Analogie. Um bei letzterer zuerst stehen zu bleiben: Hilgers weist mit sichtbarem Vergnügen darauf hin, daß Bücherverbote nicht blos bei der römischen Kirche Vorkommen, daß in pro testantischen Ländern, wie Deutschland, England, Holland rc., es zur Reformationszeit ebenfalls Bücherverbote und -Verbrennungen gegeben habe!! Da in den genannten Ländern dieser Brauch seit Jahrhunderten nicht mehr geübt wird, hat Hilgers geschichtliches Analogon nur die Bedeutung, an die Thatsache zu erinnern, daß der Protestantismus das Princip des Fortschrittes ist. — Nicht glücklicher ist Hilgers bei dem staatsrechtlich«» Analogon, das er heranzieht. Wie der Staat den Vertrieb „schmutziger" Bücher untersagen dürfe, so müsse die Kirche in diesem Puncte mit ihm gleichberechtigt sein. Aber spricht denn Jemand der Kirche das Recht ab, „schmutzige" Bücher auf den Index zu setzen?! Das fällt Niemand ein. Da gegen richtet sich der Widerspruch, daß streng wissenschaft liche Bücher, wie die eines Schell, Döllinger u. s. f., verpönt werden. Hierauf aber hat Hilgers, höchlichst verwundert über „unsere politische wie gelehrte Welt", welche „die freie tr^schuna Nncbe aeaen die Knechtschaft römischer Bücher- i^tvo.e antwort bei der Hand: „Gerade als wenn Zügellosigkeit überhaupt Freiheit genannt werden dürfe!" — Schell und Döllinger — zügellos? So wenig solche Männer zügellos genannt werden dürfen, so wenig stichhaltig ist Hilgers' hieran geknüpfte Frage: „Was ist denn Autorität, alle Autorität auf Erden, was ist jede Gesetzgebung anders als eine Einschränkung, eine Zügelung des vernünftigen, freien Menschen?" Selbst wenn diese Definition von Autorität und Gesetzgebung vollkommen richtig wäre, was sie nicht ist, wäre damit für deutsche Begriffe gegen die Freiheit der Wissenschaft gar nichts bewiesen; denn in Deutschland ist eben die Wissen- scbaft und ihre Lehre von Staatswegen, verfassungs- oder gesetzmäßig, frei. Doch eine solche durch Verfassung oder Gesetz gewährleistete Freiheit schätzt der Jesuit Hilgers ungemein niedrig ein. Wie ein von ihm angestellter Vergleich ergiebt, sieht er auch in den Gelehrten unmündige Kinder, für welche die Kirche in der Rolle des fürsorglichen Vaters Bücherverbote erlassen darf, ja, gegebenen Falles erlassen muß. Und nicht genug damit! Von den Höhen der kirchlichen Theorie in das Blachfeld der irdischen Politik niedersteigend, ruft Hilgers emphatisch aus: „Will und kann man die Kirche nicht aus dem Wege räumen, so muß Freund und Feind wohl oder übel ihr wie ein Grundrecht die Befugniß einräumen, durch gesetzliche Maßregeln die schlechten Bücher unschädlich zu machen, Bücher verbote zu erlassen. Sollte dabei der Grundsatz von der Freiheit der Presse in Mitleiden schaft gezogen werden, so könnte dies nur ein Fingerzeig sein, daß die liberalen Principien überhaupt der Reform bedürftig sind, wie grundlegend sie auch scheinen mögen.? — So ist es mit der Freiheit-liebe eines Ordens bestellt, dessen Rückkehr ins deutsche Reich von der u. A. für „Freiheit und Recht" kämpfenden Centrumspartei im Namen der Freiheit stürmischer denn je gefordert wird. Der frühere russische Botschafter in Paris, Herr v. Mohrenhcii», der seit der Abberufung von seinem Posten in Rom Aufenthalt genommen, ist früher bereits in die Drcyfus-Asfaire hineingezogen worden. In diesen Tagen nun hat der „Petit Bleu" den Angriff wieder ausgenommen, den Herr von Mohrenheim sich beeilt, in einer Unterredung zurückzuweisen. Anstatt sich aber auf ein einfaches Dementi zu beschränken, unterläßt der frühere russisch« Botschafter nicht, alle die angeblichen Verdienste aufzuzählen, die er sich um die französische Republik erworben haben will. Ihm ist es nach seinen Versicherungen Dank der Unterstützung, die er von Seiten des verstorbenen Zaren erfuhr, gelungen, sein großes Werk der Entente zwischen Rußland und Frankreich zu vollbringen. Nicht ohne Ironie fügt .Herr v. Mohrenheim hinzu, daß er innerhalb der vierzehn Jahre seiner Wirksamkeit mit nicht weniger als dreizehn Regierungen der französischen Republik habe verhandeln müssen. Rührselig versichert er dann, daß der Undank gewisser französischer Kreise ihn um so schwerer treffe. Was nun die erhobenen Anschuldigungen selbst betrifft, so behauptete der „Petit Bleu", Herr v. Mohrenheim sei an der ganzen Drcyfus- Affaire schuld. Damit soll es sich so verhalten: Im Jahre 1893, ein Jahr vor der Verhaftung des Hauptmanns Dreyfus, brachte die russische Regierung angeblich in Erfahrung, daß man in Berlin alle Einzelheiten des französisch-russischen lieber einkommens genau kenne. Sie beschwerte sich darüber und ver langte von dem französischen Generalstabc die Ermittelung des Urhebers der bedauerlichen Jndiscretion. Während der Unter suchung, die nun eingeleitet wurde, wies eine „hohe fremoe Persönlichkeit" dem Generalstabschef de Boisdeffre Briefe vor, welche die angebliche Unter schrift Kaiser Wilhelm's trugen und den Hauptmann Dreyfus als Spion bezeichneten. Da man diesen auf Grund der Briefe des deutschen Kaisers nicht ver urtheilen lassen konnte, wurde das Bordereau fabricirt und Dreyfus auf Grund desselben angeklagt. Der Gewährsmann des „Petit Bleu" fügt hinzu, die Briefe des deutschen Kaisers seien das Werk der „hohen fremden Persönlichkeit" gewesen, die in einer großen Geldnvth das französisch-russische Ueber- einkommen an die deutsche Regierung verschachert hatte, deshalb in Ungnade gefallen war, und in der Verbannung leben muß Die „Fronde" ging dann weiter und nannte den Namen des Herrn v. Mohrenheim. Obgleich diese Mittheilungen den deutlichen Stempel der Erfindung tragen, verlangt die „Aurore" doch, daß Herr v. Mohrenheim die Beweise für seine Schuld losigkeit erbringe, und der nationalistische Abgeordnete Lasst»- hat sie zum Gegenstände einer Anfrage an den Minister - Präsidenten Dupuy gemacht. Von diesem ablehnend beschicken, wird er, wie gemeldet, seine Anfrage in eine Interpellation umwandet». Der Grund, weshalb die finländischc Abardnuna vom Zaren nicht empfangen wurde, ist die Nichtbefolgung der Bestim mungen eines Gesetzes vom Jahr: 1826, das unter Nicolaus I. Fanilleton. § Zeiyi. Roman von M. Immisch. Natdruil verbot«». Es that ihr jetzt beinah' leid, daß sie den Beiden die Stim mung so gründlich verdorben hatte, sie bemühte sich, wieder ein zulenken. Schmeichelnd haschte sie nach Senzi's Hand, und ihr geneigtes Köpfchen zu sich herüber ziehend, trieb sie mit den krausen Härchen, die das blasse Mädchengesicht umgaben, allerlei neckische Possen. „Also, Kindchen, Du willst den Herrn Martin Auer durch aus nicht haben?" sagte sie, amüsirt über den zornigen Blick, den Bernhard ihr zuwarf. „Nun dann giebst Du ihm eben einen Korb, das muß erst recht ein großartiges Gefühl sein. Aber ich denke, Du überlegst es Dir noch; es wäre doch gar nicht so übel. Was, Thränen? Kleine, eigensinnige Thörin, Du wirst es doch nicht tragisch nehmen! Komm, lache wieder, ja? Im Uebrigen schlage ich vor, daß wir uns von hier entfernen. Ich müßte mich sehr irren, wenn Du nicht in Kürze gesucht würdest, und für Deine Muhme kann cs nur angenehm sein, wenn sie sich noch ein wenig länger in Illusionen wiegen kann." Sie zog Senzi nach dem Eingang des Häuschens. Wie in einem Rahmen standen die beiden schlanken Mädchengestalten in mitten der blüthenweißen Ranken der Kletterrosen. Goldene Sonnenstreifen huschten durch das dichte Blättergewirr. Clär- chen's lichtbraune Locken, ihr blendender, rosiger Teint hoben sich scharf von dem dunklen Köpfchen der Gefährtin ab, wie auch ihre hellgrauen Augen in Farbe und Ausdruck ganz verschieden waren von den dunklen sanften Sternen der jüngeren Senzi. Sie waren Beide gleich schön und reizvoll in ihrer Art, trotz ihrer großen innerlichen und äußerlichen Verschiedenheit, und die arme Senzi trug nicht weniger alle Merkmale einer bevorzugten Rasse als die dazu berechtigte Cläre. Bernhard empfand dieses gerade in diesem Augenblicke mehr als je, und sein Aerger verflüchtigte sich dabei. Er spielte momentan eine ziemlich traurige Rolle, da er es nicht wagte, offen zu erklären, daß Senzi ihm gehöre und ihre Zukunft daher mit der seinigen verwachsen sei. Und doch peinigte ihn schon der Gedanke, daß ein Anderer es wage, die verlangenden Blicke zu seinem Mädchen zu erheben, und ein eifersüchtiger Groll, gemischt mit heißem Begehren, schlich sich tückisch in seine Seele. Vom Schloßhof her erklang Hundegekläff und dazwischen eine scheltende Mädchcnstimme. Die auf der Mauerbrüstung schlum mernde Katze war jäh geweckt worden und schoß nun pfeilschnell durch die halbgeöffnete Gartenthür, um in wilder Flucht an dem Stamme einer Linde emporzuklettern. Ein paar schlanke, seiden glänzende Windspiele folgten ihr. Mit wüthendem Gebell um sprangen sie den Baum und starrten in machtlosem Zorn nach der überlegenen Feindin, die von hohem Ast pfauchend auf sie herab sah. Ihre Herrin, Pauline Karr, die Tochter des Notars, ein großes, schlankes, rothwangiges Mädchen, bemühte sich vergeb lich, die Hunde zu beschwichtigen, und erst als sie mit dem Sonnenschirm drohend auf sie einstürmte, wurden sie etwas füg samer. In Gesellschaft Pauline's befand sich ihre intime Freundin Emma Mutz, die Tochter des Bürgermeisters, ein Mädchen, strotzend von Gesundheit und Kraft. Ihr frisches Gesicht wäre hübsch gewesen ohne die hochmüthige Ueberhebung, die in jedem Zuge desselben ausgeprägt war; ihr Körper jedoch war von auffallendüppigcn Formen, die das Maß des Schönen bei Weitem überstiegen. Die boshafte Cläre behauptete, daß Pauline sic nur deshalb zur Intima gewählt habe, um ihren schönen Wuchs im Vergleiche noch mehr hervorzuheben, und weil das Roth ihrer Wangen, das zu ihrem Kummer weder durch Trinken von Essig, noch durch andere Gchcimmittrlchen einer interessanten Blässe weichen wollte, in ihrer Gesellschaft weniger aufdringlich hervortrat. „Du bleibst hier", sagte Clärchen zu Senzi, die sich beim Erblicken des unerwarteten Besuches entfernen wollte. „Thue mir den Gefallen und fange wieder an zu häkeln, damit sie sehen, daß Du hier heimisch und vollberechtigt bist. Und Du, Bernhard, zeige Deine Liebenswürdigkeit. Sie kommen ja doch blos Deinetwegen. Es ist zu dumm, regelmäßig, wenn Du hier bist, erinnern sie sich unserer ehemaligen Freundschaft und versuchen sie wieder aufzuwärmen." Sie ging den beiden Damen entgegen, und die Herzlichkeit der Begrüßung ließ auf beiden Seiten nichts zu wünschen übrig. Auch Bernhard begrüßte die Damen zuvorkommend, und, wie Clärchen verlangte, bemühte sich, so liebenswürdig als möglich zu sein. In seinem Alter ist man doch noch sehr empfänglich für solche unverkennbaren Aufmerksamkeiten von Seiten hübscher, junger Damen, und es ist nur natürlich, daß man, wenn auch ganz oberflächlich, mit ähnlicher Münze bezahlt. Noch vor einem Jahre hatte Clärchen in Emma Mutz eine paffende Partie für ihren Bruder gesehen und deshalb die Freundschaft mit ihr ziemlich gepflegt. Sie hatte aber bald herausgefunden, daß die Verhältnisse des Bürgermeisters weniger günstig waren, als sie anfänglich vermuthet, und so hatte sie diese Idee bald wieder fallen lassen. Bernhard hatte überhaupt keine Sympathie dafür gehabt; denn ihm erschien die Nichte der Lumpenliese tausend Mal süßer und holdseliger als die einzige Tochter des Stadtgcwaltigen. Die üblichen Fragen und Antworten flogen herüber und hin über; ein wenig Neugier, ein wenig Koketterie und ein wenig Klatschsucht wurden befriedigt, — wenn man das Interesse für die Verhältnisse der lieben Mitmenschen von Seiten so wohl erzogener junger Damen mit diesem Worte benennen darf. — Sie hatten sich auf der Bank des Häuschens niedergelassen und lachten und scherzten dabei so munter wie die Sperlinge im Frühlingssonnenschein. Senzi existirte für sie nicht. Beide Damen ignorirten sie wie auf Verabredung vollständig. Warum sah sie auch so aufdringlich hübsch aus in ihrer ein fachen weißen Blouse mit dem schmalen schwarzen Sammet bändchen um den zart geformten Hals. Clärchen und Bernhard versuchten zwar, sie manchmal ein wenig ins Gespräch zu ziehen, doch das Hochmüthige und Feindselige in dem Wesen der jungen Damen trat zu scharf hervor, als daß sich Senzi dadurch nicht bedrückt und unbehaglich gefühlt hätte. „Wir wollten Dich eigentlich zu einem Spaziergang nach S. für heute Abend einladen", sagte Emma zu Clärchen. „Vielleicht schließen Sie sich an, Herr Doctor, der Weg ist reizend und namentlich die Rückkehr bei Mondenschein ist wunderbar schön." Bernhard sagte etwas von einer Verabredung, die ihn leider verhindere, aber Clärchen hatte gerade einen ihrer boshaften Augenblicke, und so sagte sie anscheinend ganz harmlos: „Würdest Du mitgehen, Senzi, Dir könnte es nicht schaden; Du steckst so die ganze Zeit zu Hause." Senzi entschuldigte sich verlegen mit der Arbeit, Vie sie Abends zu besorgen habe. Emma aber wurde dunkelroth. Sie warf Clärchen einen beleidigenden Blick zu und musterte Senzi sehr von oben herab. „Ich glaube auch kaum, daß Sie sich dabei wohlfühlen würden", sagte sie gedehnt und mit einem Hochmuth, der mehr lächerlich als hemüthigend wirkt«. „ES find nur Leute unserer Kreise dort, und das wäre keinesfalls amüsant sür Sie." Clärchen lachte wie ein Kobold. „Das ist zu gut", sagte sie, „für so bescheiden hätte ich Dich wirklich nicht gehalten! Uebrigens war es nur Spaß. Ich kann heute gar nicht fort, da sich Stephan's Mutter, Frau Bruck, angesagt hat. Sie hat für Sonntag noch so Mancherlei zu besprechen und Mama inter- essirt sich lebhaft für die Feierlichkeit." Sie sprachen nun noch ein wenig hin und her, aber Clarchens kleine Bosheit hatte einen Schatten heraufbeschworen und die Damen erhoben sich bald. Clärchen begleitete sie durch den Garten, während Bernhard es riskirte, sich schon nach einigen Schritten zu verabschieden. Die Gelegenheit, mit Senzi die Unterhaltung zu Zweien wieder aufzunehmen, war zu ver lockend . . . „Nun, wie gefällt Dir Emma's Standesbcwutztsein?" sagte Clärchen, als sie zurückkam. „Ist es nicht wahrhaft erhebend? Man kann von ihr lernen. Uebrigens zeugt es von Selbst erkcnntniß, wenn sie annimmt, daß Senzi sich dabei nicht wohl fühlen würde, wenn Viele ihresgleichen dort sind." „Alberne Gänse!" sagte Bernhard, mehr aufrichtig al- höflich. „Ja, cs fällt Einem unwillkürlich die Fabel von Julius Sturm dabei ein", sagte Clärchen, und dann declamirte sie mit komischem Pathos: Zur weißen Gans sprach einst vertraulich eine graue: „Laß uns spazieren gehen nach jener grünen Aue, Dort thun wir Beide uns im jungen Grase gütlich, Denn in Gesellschaft gackt es sich doch gar gemiithlich." „Nein", sprach die weiße Gans, „da muß ich refüsiren, Mit meinesgleichen nur geh' ich am Tag spazieren, Vertraulichkeit mit Dir gereichte nur zu Schande, Zwar bin ich eine Gans, doch eine Gans von Stande." „Ach bitte, hör' auf, Clärchen", sagte Bernhard lachend, während er den Arm um Senzi's Schulter legte und ihr Köpfchen selbstvergessen zu sich herüberzog. — Die kurze Unter Haltung zu Zweien hatte ihm seine gute Laune völlig zurück gegeben. — „Kommt, wir wollen noch ein wenig durch den Garten gehen und überlegen, wie wir die Ferienwochen so an genehm als möglich mit einander verbringen können." Er warf Senzi noch einen zärtlichen, vielsagenden Blick zu und dann gingen sie alle Drei in den tiefer gelegenen, stellen weise einer Wildniß gleichenden Garten. Fünftes Lapitel. Im Erler dec großen Parterrestude des Schlosses saßen in zwischen die Lumpenliese und Martin Auer sich gegenüber, ganz vertieft in wichtige Unterhaltung. Clärchen hatte richtig combinirt; Martin war in der That heute al- Freier gekommen und er war nun bestrebt, Liese so
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