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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990324021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899032402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899032402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-24
- Monat1899-03
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Grotzere Schriften laut unserem Preit- verzeichuiß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesördcrung .-k 60.—, mit Postbeförderung ,/L 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: 'Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 152. Freitag den 24. März 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. März. Eine heftige Fehde, die sich glücklicher Weise bisher nur auf Preußen beschränkt, ist durch eine unverblümte Uainpfes- ankündigung Ser „konservative» Korrespondenz" zwischen Conservativen und Nationalliberalen entbrannt und erweckt natürlich die lebhafteste Befriedigung der radicalen Presse. In diesen Kreisen klingt der Kampfruf von 1890: „Nieder mit dem Cartell" noch heute nach. 'Der deutsche Radikalismus hat ja oft genug seine politische Kurzsichtigkeit dargethan und er beweist sie jetzt wieder, wenn er über den drohenden Bruch zwischen kon servativen und Nationalliberalen erfreut ist. Man übersieht nämlich vollkommen, daß die conservative Attacke nicht nur den Zweck hat, das alte Kartell zu beseitigen, sondern vornehmlich oen Zweck, ein neues Kartell anzubahnen. Die Angriffe gegen die Nationalliberalen sind nämlich so haltlos und so vom Zaune gebrochen, daß sie sich nur aus der Absicht erklären kaffen, der nationalliberalen Freundschaft quitt zu wer den, um frei von allen Rücksichten mit dem Centrum anbandeln zu können. Schon vor Wochen konnte auf eine ganze Reihe von conservativen Freundlichkeiten gegen das 'Centrum hingewiesen werden. Jetzt kommen noch hinzu 1) das rührende Einverständ- niß zwischen Conservativen und Centrum bei der Kunstdebatte im Reichstage und 2) die wiederholte Ablehnung der 6000 für die Allkatholiken. Was insbesondere die Kunstdebatte vom letzten Montag anbetrifft, so ist es vielleicht nicht genug beachtet worden, daß merkwürdiger Weise nur der conservative Redner Graf Kanitz dem Abg. Lieber secundirte, während sogar der freiconsecoative Abg. von Kardorff und der Bundesrathsbevoll- mächtigte Graf Lerchenfeld auf einem ähnlichen Standpuncte standen, wie der Redner der nationalliberalen Partei. Ganz in diesem Sinne giebt auch die „Kreuzztg." ohne jedes Wort der Kritik eine in der überheblichen Art des vr. Lieber abgefaßte längere'Aüslassung'oer klerikalen „Köln.Volksztg." über die Kunst debatte im Reichstage wieder. Die conservative Liebenswürdig keit gegen das Centrum wurde nur für einen Augenblick unter brochen, als man nämlich die Auflösung des Reichstages be fürchten und sich däbei darauf gefaßt machen mußte, m i t den Nationalliberalen und gegen das Centrum zu marschiren. Jetzt ist man dieser Sorge lebig und setzt deshalb die Aufmerk samkeiten gegen das Centrum fort, während man gleichzeitig die den Klerikaler verhaßteste Partei, die Nationalliberalen, at- tackirt. Auch darin liegt wenigstens indirect eine Aufmerksam keit gegen das Centrum. Bis zu den nächsten Reichstagswahlen har man ja mehr als vier Jahre Zeit und innerhalb dieser langen Frist erhofft man sich von der Centrumsfreundschaft mancherlei Vortheile. In den agrarischen Fragen können die Freunde des Antrages Kanitz und ähnlicher Uebertreibungen auf den größten Theil der Nationalliberalen nicht rechnen, und wenn die ge stimmte nationalliberale Partei mit den Conservativen mar schiren wollte, wäre ja noch immer eine Mehrheit im Reichstage nicht vorhanden. Die Centrumspartei ist mehr als doppelt, ja mit ihren Annexen (Polen, Welfen, Elsässern und bayerischen -Bauernbündlern) annähernd dreimal so stark, wie die national liberale Partei. Man möchte also mit Hilfe des Centrums durchsetzen, was sonst nicht durchzusetzen ist, und würde dafür gern dieser Partei nicht nur die Altkatholiken, sondern auch die Schulen und die kommunale Herrschaft am Rhein zum Opfer bringen. Die Rechnung wäre 'sehr schön, wenn man nicht das Centrum als einen sehr ungewissen Factor ansehen müßte. 1) nämlich ist immer nur ein Bruchtheil des Centrums für über triebene agrarische Forderungen zu haben, und 2) fehlt es auch, abgesehen von den landwirthschaftlichen Fragen, nicht an sehr starken Gegensätzen zwischen oem Centrum und den Conservati ven. So betont beispielsweise die „Köln. Volksztg." in einer ihrer letzten Nummern die „Mauserung" der Socialdemokratie und warnt vor allen Maßregeln gegen diese Partei, während die Conservativen bekanntlich für gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Socialdemoiratie eintreten. Wenn das sogenannte „Zucht hausgesetz", fei es nach den Osterferien, sei es erst in der nächster Session, vor den Reichstag kommt, dürfte der Gegensatz zwischen Conservativen unv Centrum in der Frage der Socialdemoiratie auch im Parlamente klar zu Tage treten. Es könnte wohl sein, daß die Conservativen, wenn sie mit den Nationalliberalen brechen und mit dem Centrum sich verbünden wollen, sich zwischen zwei Stühle setzen. Am Mittwoch schrieb die „Sachs. Arv.-Ztg.": „Jeder Leser wird mit uns die feste Ueberzeugung gewonnen haben, daß in Deutschland heute in der That zweierlei Recht gilt — eins für die Arbeiter, ein anderes für die Besitzenden. Der Glaube an eine über den Claffenintereffen und Claffenkämpfen stehende Justiz ist gründlich zerstört worden, die letzten Illusionen vom „heiligen Recht" in der bürgerlichen Gesellschaft sind den Arbeitern mit rauher Hand geraubt worden. Und das ist ganz gut so, jetzt wissen wir wenigstens, »voran wir sind." An demselben Mittwoch stand vor der Berliner Strafkammer der Anarchist Landauer, also ein Mann, den die bürgerliche Gesellschaft doch sicher ebenso als ihren Feind ansehen muß, wie sie die Socialdemokraten als Feinde betrachten muß. Dieser Anarchist hatte gegen einen Polizeibeamten die Beschuldigung gemeinster Fälschung erhoben, die Beschuldigung, durch diese Fälschung in böswilliger Absicht die Vcrurtheilung eines Mannes wegen Mordes herbeigeführt zu haben, also wohl die schwerste Beschuldigung, die sich gegen einen Beamten erheben läßt. In dem Termine konnte die Richtigkeit der Beschuldigung so wenig nachgewiesen werden, daß sogar der Vertheidiger des Angeklagten, beiläufig ein socicildcmotratischer Reichstagsabgeordneter, zugeben mußte, daß der Wahrheitsbeweis nicht geglückt sei. Trotzdem verurtheilte der Gerichtshof den Angeklagten zu einer sechsmal so niedrigen Straft, als der Staatsanwalt beantragt hatte, und stellte, was noch wichtiger ist, dem Angeklagten gleichzeitig gewissermaßen eine Ehrenerklärung aus, indem der Vorsitzende bei der Urtheilsverkündung bemerkte, der Gerichtshof habe bei der Strafabmesfung erwogen, daß der Angeklagte Landauer i n gutem Glauben und aus edlen Motiven gehandelt habe. Eine wohlwollendere Auffassung, als sie hier einem Anarchisten gegenüber zur Geltung gebracht wurde, könnte doch wohl auch einem Conservativen gegen über nicht zum Ausdruck gebracht werden. Wo war also hier das „zweierlei Recht"? Wer den Fall Landauer und das Urtheil des Gerichtshofes prüft, wird auch ausrufen können: „Jetzt wissen wir, woran wir s i n d", in dem Sinne nämlich: „Jetzt wissen wir, woran wir mit den verleumderischen Beleidigungen der deutschen Justiz durch die socialdcmokratische Presse sind." Daö englisch - französische Abkommen über die Ab grenzung der beiderseitigen Besitzungen im Sudan, nach welchem England Bahr-el-Ghasal und Darfur, Frankreich Wadai, Baghirmi und das Gebiet im Norden und Osten des Tschadsees behält, bedeutet unzweifelhaft einen neuen großen Triumph Englands über Frankreich. Nach dem Rückzüge der Franzosen aus Faschvda handelte es sich für sie bekanntlich darum, wenigstens einen Theil des Bahr-el-Ghasal, wo sie bereits eine Anzahl von Stationen angelegt hatten, und damA^inen Zugang zum Nil zu behalten. Jetzt haben sie aber auf die Provinzen Bahr-el-Ghasal und Darfur vollständig verzichtet und lediglich Baghirmi und Wadai, sowie die Gegenden östlich und nördlich vom Tschadsee behalten, Gebiete, die ohnehin längst zur fran zösischen Interessensphäre gerechnet wurden und wo ihnen der Eroberer Rabah außerdem noch manche Nuß zu knacken auf geben wird. Wenn in dem Abkommen gesagt wird, Frankreich habe infolge der Festsetzung commerzieller Gleichberechtigung in den aufgerheilten Gebieten einen Zugang zum Nil erhalten, so ist das eine sehr fadenscheinige Bemäntelung der französischen Niederlage. Jener Zugang ist natürlich nicht politischer, sondern lediglich commerzieller Natur, und die Engländer haben ebenso gut das Recht, vom Osten her nach dem Tschadsee Handel zu treiben, wie die Franzosen vom Westen her nach dem Nil. Thatsächlich wird übrigens der französische Handel in den Nilgebieten schwerlich jemals gegen den britischen aufkommeu können, und die Engländer werden am Tschadsee aus der ihnen eingeräumten Handelsfreiheit jedenfalls größeren Nutzen ziehen, als umgekehrt die Franzosen, die bis jetzt wenig Fähigkeit an den Tag gelegt haben, aus ihren colonialen Erwerbungen wirthschaftlichen Nutzen zu ziehen. Der empfangende Theil ist ausschließlich England, der gebende nur Frankreich, das, während cs auf der einen Seite England seinem Ziele, ein Afrika von Norden nach Süden durchquerendes Colonialreich zu gründen, wesentlich näher gebracht hat, endgiltig auf den alten kühnen Traum eines französischen Afrikareiches vom Senegal bis zum Jndermccre hat verzichten müssen. Ganz richtig ist, was das französische Fachblatt „Tribüne des Colonies" sagt: der Verzicht auf Faschoda habe aus Egypten ein britisches Lehen gemacht und den Einfluß Frankreichs in Egypten für immer vernichtet. Wenn Farnkreich auf Bahr-el-Ghasal verzichte, so werde der Einfluß und die Sicherheit der Franzosen in Westafrika aufs Spiel gesetzt. Wenn Frankreich nachgebe, so sei es mit seinem Ansehen vorüber. Die eingeborene Bevölkerung würde wissen, daß ein Wink Englands genügt habe, um die Franzosen zu vertreiben; das Sinken des Ansehens Frankreichs würde bei den Schwarzen aufrührerische Gelüste wachrufen. Und in den den Franzosen zugesprochenen Ländern stehen diesen nicht uncultivirte und undisciplinirte Negerstäm-" sondern alte gefestigte Dynastien eines reinen Mohameoanisiius gc^uuver, die nicht mit vereinzelten Ex peditionen in Schach zu halten sind. In Frankreich fügt man sich in das Unvermeidliche, da man es doch nicht auf einen Krieg mit England ankommen lassen kann. Nachdem man einmal den Faschoda-Fußtritt hingenommen hat, scheint das nationale Schamgefühl überwunden: man läßt sich jetzt Alles bieten und ist froh, daß man nicht noch mehr gerupft worden ist. Der einzige Trost, der Frankreich geblieben, ist der, daß England eine geschlossene französische Einflußsphäre, den gesammten Nordwesten des schwarzen Erdtheiles, ein riesiges Gebiet,, ver tragsmäßig anerkannt hat. Das ist aber kein Zugeständniß Englands, oder nur insofern, als der Dünkel der Söhne Albions jedes von England noch nicht beschlagnahmte Gebiet von vorn herein als englische Einflußsphäre ansieht. Sollte es sich Heraus stellen, daß durch den Vertrag Rechte Deutschlands ge fährdet werden, so wird unser auswärtiges Amt zweifellos noch vor Unterzeichnung des Vertrages die unerläßlichen Schritte thun. Zu den dänische» LandcrwerbSvläne» in khina wird uns aus Kopenhagen geschrieben: Die Mitteilung, daß die dänische Regierung die Erwerbung eines Hafenplatzes in China anstrebe, ist jedenfalls unrichtig; trotzdem aber bestehen ge wisse Absichten, welche das Auftauchen der Meldung wenigstens begreiflich machen. Einzelne an der „Vereinigten Dänischen Dampfergesellschaft" be.heiligien Kreise haben schon seit Länge rem die Frage erörtert, in welcher Weise die dänische Rhederei in Ostasien einen festen Stützpunkt erlangen könne, und man möchte jetzt den Versuch machen, von der chincsischeit Regierung die Concefsion zur Errichtung einer Handelsnieder lassung an einem noch nichl von Europäern besetzten Hafen platze zu erhalten. Hiermit hängt die Reise eines Vertrauens mannes der bezeichneten Gesellschaft nach China zusammen; man ist jedoch an dieser Stelle sehr peinlich davon berührt, daß die Sache sofort in der europäischen Presse als ein politisches Unternehmen auspcsaunt wurde, wodurch naturgemäß sofort das allgemeine Mißtrauen gegen dasselbe wachgerufen ist. Am meisten fürchtet man dabei, daß die russische Regierung einen derartigen Plan verhindern wird, einerseits, da gegenwärtig in Petersburg eine wenig freundliche Stimmung gegen Däne mark vorherrscht, und andererseits, da die dänische Dampfer verbindung mit Ostasien für die russische Handelsmarine einen gefährlichen Wettbewerb bedeutet. Denn die Vorbedingung für die Einträglichkeit dieser Linie liegt darin, daß es den dänischen 'Schiffen gelingt, einen entsprechenden Theil des Güterverkehrs zwischen ven russischen Ostseehäfen und Ostasien für sich zu ge winnen. Natürlich steht diesen Plänen die dänische Regierung nicht völlig theilnahmslos gegenüber, da ja die „Bereinigte Dampfergesellschaft" eine bedeutende Geldunterstühung aus öffentlichen Mitteln bezieht und sie auf die maßgebenden politi schen Kreise einen starken Einfluß ausübt. Der „Vorwärts" veröffentlicht den Bericht, welchen Finanz minister von Witte über die Prtersburqcr Ltiivcntcnexccssc im Ministerrathe erstatte: hat. Er sagt, von einer politi schen Färbung der Bewegung könne nicht die Rede sein. Als nächste Ursache des Scandals sei die Kundmachung des Uni versitäts-Rectors über Vie Aufrechterhaltung von Ruhe und Ord nung auf den Straßen anzusehen, durch welche vie Studenten sich beleidigt fühlten. Die Feier verlief ruhig, bis der Rector Sergewitsch erschien. Da erhob sich der Spectakel, der sofort aufhörte, sobald der Rector die Bühne verließ. Mit großer Begeisterung wurde dann die Kaiserhymne angehört, einstimmig wurde Beifall geklatscht und ihre Wiederholung verlangt. Die Studenten gingen dann friedlich auseinander und erst auf den Straßen wiederholten sich die Unordnungen, weil eine unnöthige Absperrung der Palaisbriicke vorzenommen war. Dann heißt es in dem Berichte wörtlich weiter: „Die Schuld derStu- denten ist augenscheinlich. Wenn man aber bedenkt, daß das Gesetz selbst für den abgehärtetsten Criminalverbrechcr einen Vertheidiger bestimmt, so erscheint es am Platze, nach M i l d e r u n g s g r ü n v e n zu suchen, die vie Schuld der Stu denten kleiner erscheinen lassen. Vor Allem muß hinwiederum betont werden, daß diese Bewegung keinen politischen Charakter getragen hat, wie ihre Vorgängerinnen. Es war blos eine Schuldemonstration, verursacht durch die Kundgebung, in welcher die hitzigen Köpfe eine bittere Beleidigung sahen. Wenn auch jede Strenge Studenten gegenüber, die regierungs feindliche Politik treiben, am Platze sei, so muß doch ein anderes Verfahren angewentzet werden gegenüber diesen Hitzköpfen, die dreist, aber auch mit Selbstverleugnung aufgetreten 'sind zur Ler theidigung ihrer angeblich beschimpften Ehre. Eine übermäßige Strenge kann hier leicht zum Verderben von vielen jungen Leuten führen und zur Erbitterung derjenigen, die von der Recht Mäßigkeit ihres Handelns überzeugt sind, oder sogar sie in die Reihen der Staatsfeinde drängen. Man bedenke, daß die große Majorität unserer Jugend sich in jenem Uebergangsstadium be findet, das so empfänglich ist für äußere Eindrücke, in jenem Feuillstsir. 7, Len;i. Roman von M. Iminis ch. OiaLdruck rerSon». vr. Rainer antwortete nicht gleich darauf. Nervös und ge dankenvoll stocherte er mit seinem Stock auf dem Teppich des Fußbodens herum, bemüht, ein Mittel zu finden, um diese un bequeme Liebe so schnell als möglich aus der Welt zu schaffen. „Ich glaube nicht, daß Senzi irgend etwas thun würde, was Bernhard Schaden bringt, dazu hat sie ihn viel zu lieb", sagte Liese endlich nach einer Weile. „Wenn es gelänge, sie davon zu überzeugen, daß eine Verbindung mit ihr zu seinem Unglück wäre, daß seine Laufbahn dadurch gestört, seine Aussicht für die Zukunft vernichtet würden, vielleicht ließe sie sich dann bestimmen, freiwillig zurückzutreten. Diese Ueberzeugung müßte ihr aber von anderer Seite, zum Beispiel von Ihnen beigebracht werden. Natürlich müßte Ihr Sohn zum Mindesten für einige Tage von hier fort; denn wenn er Kcnntniß von solchen Versuchen hätte, so wären sie von vorn herein zwecklos." „Sieh da, nicht übel ausgedacht; an Schlauheit seid Ihr Weiber uns doch überlegen," sagte vr. Rainer mit boshaftem Lächeln. ./Vorläufig Halle ich eine solche Selbstlosigkeit zwar für sehr unwahrscheinlich, indessen, es kommt auf einen Versuch an, und daß sich die Gelegenheit dazu bietet, dafür werde ich sorgen." Ein wenig erleichterten Herzens kehrte Liese wieder in ihre Wohnung zurück. Es galt jetzt nur noch, Martin Auer eine Weile hinzuhalten, vielleicht kam dann noch Alles zu einem guten Ende . . . Die Verlobungsfeier verlief so heiter, als die Umstände es erlaubten. Die Braut war anfänglich noch etwas unwohl — von der betäubenden Kirchenluft —, und erst als sie dem feurigen Wein, den der Medicinalrakh Tags zuvor geschickt halte, fleißig zusprach, erblühten wieder Rosen auf ihren blassen Wangen. Sie war dann von einer außerordentlichen, etwas hysterischen Lustig keit, die an dem sonst so stillen Mädchen seltsam befremdete. Noch vor dem Diner machte sie am Arme des Medicinalraths mehrere Visiten, und es gab Leute genug, die nicht nur heimlich ihre Glossen darüber machten, sondern sie auch um ihr Glück tief beneideten. Die Hochzeit sollte schon in drei Wochen sein. Im Alter ves Medicinalraths ist die Zeit kostbar, und er war nicht gesonnen, sich sein Glück durch unnöthiges Verzögern kürzen zu lassen. Gegen Abend nahm vr. Rainer Gelegenheit, seinen zu künftigen Schwiegersohn in einen Plan einzuweihen, den er in zwischen in Bezug auf Bernhard entworfen hatte. „Das paßt sich herrlich", sagte der Medicinalrath, bereitwillig die erbetene Unterstützung zusagend. „Ich wollte so wie so dieser Tage verreisen und brauche dies nur ein wenig zu beschleunigen." „Ich fahre morgen nach Zürich", sagte der gefällige Me dicinalrath eine halbe Stunde später zu Bernhard, „und Du würdest mir eine große Freude machen, wenn Du mich begleitetest. Ich kenne dort eine herrliche Villa, derentwegen ich seit einigen Tagen in Unterhandlung stehe. Ich möchte sie für Bertha als Hochzeitsgeschenk kaufen, und es wäre mir sehr lieb, wenn ich an Ort und Stelle Deine Ansicht darüber hören könnte. Außer dem kenne ich dort einen jungen Arzt, den ich als zweiten Assistenten gewinnen möchte, da meine Hochzeitsreise mich vor aussichtlich für längere Zeit fernhält. Da Du die Schweiz noch nicht kennst, machen wir vielleicht einen Abstecher nach Luzern, befahren den Vierwaldstätter See und sind in circa acht Tagen wieder zurück." Bernhard war sehr überrascht von der liebenswürdigen Zu vorkommenheit seines Schwagers. Ein Ausflug nach der Schweiz war schon lange sein Wunsch gewesen, dessen Erfüllung er sich aus leicht erklärlichen Gründen bis jetzt jedoch nicht gestatten konnte. Sein Vater, der den Vorschlag des Medicinalraths mit anhörte, stimmte natürlich für dessen Annahme, und so wurde be schlossen, daß sie am anderen Morgen abreisen sollten. Bernhard war sehr vergnügt darüber, nur hätte er gerne zu vor Senzi davon verständigt. Aber umsonst durchstreifte er Abends den Garten nach allen Richtungen. Von Senzi war nichts zu sehen. Liese war auf ihrer Hut und hielt sie uner bittlich an ihrer Seite fest. Während Bernhard ungeduldig nach ihr spähte, saß Senzi in dem tiefen Lehnstuhl der Fensternische. Ihr Köpfchen in die Polster geschmiegt, schwelgte sie in sehn süchtigen Gedanken. Tausend füße Träume umgaukelten sie. Die junge Brust war ganz erfüllt von Hoffnung, und die Zukunft er schien ihr so schön und sonnig, daß sie nur mit frommer, süßer Scheu daran zu denken vermochte. Auf ihrem Antlitz lag der Widerschein tiefster, innerer Glückseligkeit, und vie schönen Augen erstrahlten — zum letzten Mal für lange Zeit — in dem ganzen Zauber frohen, harmlosen Jugendglückes. Liese hatte ein Gebetbuch genommen und las andächtig «in paar Evangelien. Sie vermochte daS Mädchen nicht anzusehen, ohne daß peinvolle Zweifel sie iiberschlichen, und dies wollte sie vermeiden. Mit dem Eigensinn des einsamen und verbitterten Weibes hielt sie an ihrer Anschauung fest, daß Alles nur zu Senzi's Heil geschehe. Ihren Verrath von heute Morgen und dessen wahrscheinliche Folgen betrachtete sie ganz mit dem Auge eines Arztes, der über dem Ziele der Heilung die grausamste Operation mit kaltem Blute vornimmt, unberührt von den schmerzhaften Zuckungen des armen Patienten. Sie war nicht gerade rachsüchtig, aber doch konnte sie sich eines Gefühls der Genugthuung nicht erwehren, wenn sie daran dachte, daß der Sohn des Mannes, der einst ihre eigene Jugend zerstört, vielleicht ähnliche Pein erdulden mußte, wie einst sie selbst, und daß es in ihrer Macht lag, wenigstens einen Theil des erlittenen Unrechts wieder heimzuzahlen. Siebentes Capitel. vr. Rainer war heute in sehr verdrießlicher Stimmung. Allerlei Ursachen hatten sich dazu vereinigt. Erstens hatte er eine sehr unruhige und schlaflose Nacht gehabt; dann war Bertha blaß und mit veriveinten Augen zum Frühstück gekommen, gar nicht, wie es einer jungen Braut eigentlich zukam und wie es ihrer gestrigen Lustigkeit nach erwartete werden konnte — sie habe furchtbaren Kopfschmerz, entschuldigte sie sich —, und zuletzt hatte Clärchen ihn kurz und bündig davon unterrichtet, daß Moritz Guckenheim heute bei ihm um ihre Hand anhalten werde, und daß sie ihm dieselbe bereits zugesagt habe. vr. Rainer war so ziemlich frei von Borurtheilen; aber der Sohn des bekannten und berüchtigten Geldverleihers war denn doch der Letzte, den er sich zum Schwiegersohn wünschte, ganz abgesehen von den Bedenken, die ihm hinsichtlich des Medicinal raths als neuem, stimmberechtigtem Verwandten vorschwebten. Dessenungeachtet leuchteten Clärchen's Gründe und Erklärungen ihm vollkommen ein, und er mußte zugeben, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als gute Miene dazu zu machen. Aber nun der Kamps mit seiner Frau! Schon nach den ersten zehn Minuten war seine Geduld zu Ende, und es ent spann sich eine Scene, wie sie sich vor seiner Krankheit- manch mal abgespielt, nur daß er jetzt an seinen Stuhl gefesselt war und er daher der Redegewandtheit der Dame, selbst da sie ihn aufs Aeußerste reizte, nicht entrinnen konnte. Ihr Widerstand, der hauptsächlich ihrem Hochmuth entsprang, hatte für Moritz Guckenheim daS Gute, daß er Clärchen's Vater schon aus Oppo sition zu seinen Gunsten stimmte, so daß dieser entschlossen war, ihn so freundlich zu empfangen, als es seine unerquickliche Stim mung nur irgend erlaubte. lke-rigens war es gut, daß er darauf vorbereitet war. Moritz Guckenheim hatte trotz aller verbindlichen Freundlichkeit ein ge wisses Etwas an sich, mit dem sich nicht spaßen ließ. Er sah heute vorzüglich aus. Man fühlte, er war sich voll bewußt, daß er nicht blos Ehre verlangte, sondern auch solche erwies. Nur das Uebermaß der Leidenschaft, die durch Clärchen's zielvewußte Koketterie stets aufgewühlt wurde, war schuld, daß er sich ihr gegenüber so lange nicht auf sich selbst und seinen Werth bc sinnen konnte. vr. Rainer ließ demnach kluger Weise alle Wichtigthuerei und alle die geschmackvollen Redensarten, die er sich anfänglich vor genommen hatte zu sagen, und die geeignet waren, seine und seiner Tochter Herablassung ins richtige Licht zu stellen, bei Seite und gab mit süßsaurer Miene seinen Segen, nachdem eine An zahl materieller Fragen erledigt waren, deren Lösung aller dings außerordentlich befriedigte. Auch die Religionsfrage war besprochen worden. Moritz Guckenheim war so tolerant, Clär chen in dieser Beziehung völlige Freiheit zu gewähren, und so war denn Alles erledigt bis auf die Einwilligung der Mutter, die vorläufig unentschieden blieb, da Frau Rainer sich schmollend zurückgezogen hatte. „Sie muß sich erst an den Geoanken gewöhnen", entschuldigte vr. Rainer. „Meine Frau ist außerordentlich fromm, und von diesem Standpuncte aus fällt es ihr natürlich schwer, ihr Kind einem Manne zu übergeben, dessen Glauben von dem ihrigen so ganz verschieden ist." . Trotzdem aber besprachen sic schon die Hochzeit in allen Einzelheiten, denn auch Moritz hatte es sehr eilig daniit, und Clärchen, die heute ihre ganze Liebenswürdigkeit herauskehrte, war ganz damit einverstanden. Die Aussicht, nach Bertba's Ver- heirathung allein den Nörgeleien ihrer Mutter, die sie voraussebcn konnte, Stand zu halten, hatte nichts Verlockendes für sie. Es drängte sie, der Misere des Elternhauses so bald als möglich den Rücken zu kehren und draußen in der Welt ein neues Leben zu beginnen, wie es ihrer Schönheit und ihrer Jugend zukam . . . . „Höre, Cläre, Tu bist doch sonst ein so gescheidtes Mädchen, wie kommt eS denn, daß Du in Bezug auf eine Schwägerin so bescheiden bist?" sagte Vr. Rainer am Nachmittag, als er allein mit Clärchen im Wohnzimmer saß. ,Mie meinst Du das, Papa?" sagte Clärchen erstaunt. „Nun, Bernhard will ja die Senzi heirathen, und Dir kann dies doch schwerlich entgangen sein." „Heirathen? Die Senzi? Wer sagt vas?" fragte Clärchen, so aufrichtig erschreckt, daß vr. Rainer an ibrcr Unwissenheit in diesem Puncte nicht zweifeln konnte. „Die Liese hat es mir mitgctbeilt, und ich habe Grund, zu
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