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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.08.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960826014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896082601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896082601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-26
- Monat1896-08
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Reklamen unter dem RedactionSstrick («ge spalten) 50/H, vor den Familiennachrichten (6gejpalten) 40 »L- Größere Schristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. —— Annahmeschlvß für Anzeigen: Abrud-Au-gabe: Vormittag« 10 Uhrr Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anreisen sind stets an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Bolz in Leipzig SV. Jahrgang. Bestellungen auf Neistlibomements nimmt entgegen und führt für jede beliebige Zeitdauer aus «Uv Lxpeättton Johannisgasse 8. Die Wahrheit über Armenien. i. Unter vorstehendem Titel veröffentlicht der „Reicksbote" eine Reihe von Artikeln aus der Feder von Or. Johannes LepsiuS, Sohn des bekannten Egyptologen. Der Verfasser bat sein Material in erster Linie dem Bericht der Bot schafter entnommen, der am 4. Februar d. I. dem Sultan zur Kenntnißnahme unterbreitet worden ist: dieses Material ist vervollständigt worden durch eine große Zahl dem Ver fasser vorliegender Berichte von europäischen Augenzeugen, Consuln, Reisenden, Kaufleuten rc. Es ist ein ganz ent setzliches Bild, das der Verfasser da entrollt. Dabei geht er ganz systematisch vor, nimmt Vilajet um Vilajet durch und führt überall Ziffern und Daten an. So kommen nach einander Trapezunt, Erzerum, Bitlis, Wan, Mamuret- el-Azis, Diarbekir, Sivas, Aleppo, Adana und Angora an die Reihe: überall ein Hinschlachten der wehrlosen Bevölkerung, zum Theil unter den ausgesuchtesten Grausamkeiten, und Zer störung des Eigentbums. Die muhamedanische Bevölkerung wird bei ihrem Mordwerke unterstützt durch Behörden und Militair; das Schlachten wird häufig mit Trompeten signal begonnen und durch Trompetensignal geendet; von der armenischen Bevölkerung wird einmüthig constatirt, daß keinerlei Provokation von ihrer Seite vorlag. Ueberschaut man alle die Einzelberichte, so wird eS ganz glaubwürdig, daß in Ar menien mindestens 100000 Menschen hingemordet worden sind. Und der Tod war für viele der Unglücklichen nicht einmal das Schlimmste. Den Mördern wurde daS ein fache Hinschlackten zu langweilig, und sie ersannen die grau samsten Martern, mit denen sie ihre Opfer zu Tode quälten. Das Loos der Frauen und Mädchen war noch schrecklicher; sie wurden geschändet, ehe man sie tödtete, und noch schlimmer erging es denen, die am Leben gelassen und fortgeschleppt wurden. Der Verfasser führt eine Reihe verbürgter Beispiele an, die niederzuschreiben die Feder sich sträubt. Kein Wunder, daß an einzelnen Orten Frauen und Mädchen in großer Menge ins Wasser gingen und den einfachen Tod einem weit schrecklicheren Schicksale vorzogen. Die von vr. LepsiuS im Einzelnen angeführten Beispiele wiederzugeben, müssen wir uns ersparen. Nachdem der Verfasser im ersten und zweiten Artikel die Thatsachen festgestellt, führt er im dritten Artikel aus, daß die Metzeleien eine wirklicheChristenverfolgung darstellen. Wobt sei im Pariser und im Wiener Vertrag Religions freiheit für die Türkei proclamirt und von der Psorte an erkannt worden, aber das sei nur ein Princip, dem die Praxis nicht entspreche und auf Grund des Muhamedanismus auch nicht entsprechen könne. Die armenischen Greuel waren in ihrem Ursprung etwas Politisches oder Administratives, aber dem Charakter des muhamedanischen Volkes entsprechend, hätten sie sofort sich als Religionsverfolgung enthüllt. Dafür spreche schon der Umstand, daß die Greuel überall mit Zwangs- und Massenbekehrungen zum Islam, sowie mit Verwüstung der Kirchen und besonderer Mißhandlung der Geistlichen verbunden waren. Schon der Botschafterdericht konnte constatiren, daß in etwa zwanzig Städten und Dörfern Massenübertritte zum Islam stattsanven und daß überall die Androhung neuer Metzeleien der Beweggrund für die Be kehrung war. Der ungeheuere Umfang der Zwangs bekehrungen, denen auf dem ganzen Gebiete die Ueberlebenden in Hunderten von Städten und Dörfern unterlegen sind, und noch täglich unterliegen, könne erst jetzt, nachdem aus allen Gebieten Berichte vorliegen, annähernd sestgestellt werden. Die Zahl Derer, die in den letzten zehn Monaten unter dem Terrorismus deS muhamedanischen Pöbels, unter den Aufreizungen des moSlemitischen KleruS, unter der offenen oder versteckten Beihilfe der Regierung und der Behörden zwangsweise zum Islam bekehrt worden sind, werde daü erste Hunderttausend schon überschritten haben und werde das zweite Hunderttausend erreichen, wenn der muhame danische Fanatismus noch weiter freie Hand behalte, wie bisher. Dem Verfasser liegen Listen vor mit 559 Dörfern, in denen die überlebenden Einwohner mit Feuer und Schwert zum Islam bekehrt wurden, mit 282 christlichen Kirchen, die völlig ausgeplündert, demolirt oder dem Erdboden gleich gemacht wurden, mit 21 protestantischen Predigern und 170 gregorianischen Priestern, die um ihrer Weigerung willen, den Islam anzunehmen, oft nach den unerhörtesten Torturen er mordet wurden. Der Verfasser führt eine Reihe von einzelnen Beispielen vor, aus denen der religiöse Fanatismus der Muhamedaner klar zu ersehen ist, und ebenso erzählt er Fälle von christlichem GlaubenSmulh und Standhaftigkeit, die der Zeiten der ersten Märtyrer würdig sind. Um aber die Zwangsbekehrten bei ihrem neuen Glauben zu behalten, wirb ein einfaches Mittel angewendct: man bringt sie um, wenn sie nur entfernt zu dem Verdacht Anlaß geben, daß es ihnen mit ihrer Bekehrung nicht Ernst sei; auf Abfall vom Muhamedanismus steht ohnehin Todesstrafe. Oft wartet man nicht einmal, bis sie verdächtig werden; man bringt sie sofort nach der Bekehrung um, dann kommen sie um so sicherer in MahommedS Himmel und man braucht sie nicht mehr zu überwachen. Auch für diese Methode bringt der Verfasser Beispiele. Ob dies nun, fragt er, keine Christenverfolgung sei, und ob im türkischen Reiche wirklich Religionsfreiheit herrsche, wie die Verträge vorschreiben? Im vierten Artikel erörtert vr. LepsiuS das Verhältniß der türkischen Civil- unv Militärbehörden zu den Metzeleien. Der Verfasser führt aus, daß die Frage, wer die Inspira toren waren, noch nicht spruchfrei sei; jedenfalls aber sei der Massen-Naubmord in einer Weise organisirt gewesen, die einen seltenen Grad von Berechnung und Umsicht bekunde. Die Frage, wer die Regisseure des Trauerspiels waren, sei durch die Tbatsachen bereits beantwortet; die Behörden hätten alle Fäden in der Hand gehabt und nichts sei ohne ihre Connivenz, Ordre, Mitwissenschaft oder nachträgliche Sanktion geschehen; diese Ueberzeuaung müsse man schon durch die Lectüre de- englischen Blaubuches vom Februar dieses Jahres gewinnen. Der Verfasser erörtert die ver schiedenen Rollen der Civil- und der Militärbehörden auf Grund des vorhandenen Materials und faßt dann die Anklage gegen die türkischen Behörden in folgende Puncte zusammen: I. Die Civil- und Militairbehörden sind der Vorbereitung der Massacres von Seiten der muhamedanischen Bevölkerung in keiner Weise weder von selbst noch auf Ansuchen der Häupter der armenischen Gemeinden, noch auf Ansuchen der Consuln entgegengetreten. II. Die Civil- und Militairbehörden haben die Vorbe reitung der MassacrcS selbst in die Hand genommen, indem sie vor Ausbruch derselben folgende Maßregeln trafen: 1) Sie erzwangen in einer gründlichen und systematischen Weise die Entwaffnung der armenischen Bevölkerung. 2) Die muha medanische Bevölkerung ließen sie im Besitz ihrer Waffen. 3) Sie versorgten noch überdies die türkische und kurdische Bevölkerung in reichlicher Weise mit Waffen, zum Theil aus den MilitairdepotS. 4) Einige Valis und Militaircomman- danten machten Rundreisen in den VilajetS, um die Be völkerung zur Plünderung auszureizen, Waffen zu vertheilen und die Kurden- und Tsckerkessrn-Stämme zum Üeberfall der armenischen Dörfer und Stadtquartiere einzuladen und zu instruiren. 5) Sie täuschten die christliche Bevölkerung durch die Versicherung ihres Schutzes, durch Einquartierung von Militair und Aushebung von Redifs, welche scheinbar zur Ausrechterhaltung der Ordnung bestellt wurden, in Wahrheit angewiesen wurden, an den Massacre« und der Plünderung tbeilzunehmen. 6) Sie ermöglichten den Üeberfall und die Ausplünderung der Bazars, indem sie die armenische Stadt bevölkerung, wenn sie aus Furcht vor den drohenden MassacreS ihre Läden geschlossen und sich in ihre Häuser zurückgezogen hatten, entweder durch falsche Vorspiegelungen der wieder- hergestellten Ruhe oder durch kategorische Befehle und Zwangs maßregeln zwangen, ihre Läden unv Magazine wieder zu öffnen und da« Geschäft wieder aufzunehmen. III. Die Civil- und Militairbehörden betheiligten sich zum Theil unter persönlicher Mitwirkung der höchsten Beamten an den MafsacreS, der Plünderung und der Zwangsconverti- rung, indem sie 1) den Ausbruch des MassacreS auf einen bestimmten Tag und eine bestimmte Stunde sixirten, 2) eine bestimmte Zeit von Stunden oder Tagen festsetzten, während welcher dem Pöbel, den Kurven und dem Militair straflose Freiheit zum Morden und Plündern gewährt wurde, 3) die Massacres durch Trompetensignale oder andere Zeichen ein leiteten und beschlossen, 4) Hilfegesuche von Seiten der christ lichen Bevölkerung abwiesen oder die Suplicanten arretirten, 5) Hilsegesuche und telegraphische Petitionen an höhere Be hörden, insbesondere an den Sultan, verhinderten, 6) vor, während und nack den Massacres zahllose Arretirungen von Armeniern Vornahmen, die ohne Einleitung eines Rechls- verfabrens zum größten Theil jetzt noch in den Gefängnissen schmachten und meist den entsetzlichsten Torturen ausgesetzt wurden, 7) das Militair, die RedifS, Kurden und Tscherkefsen zur Tbeilnahme an den MassacreS commandirten, 8) sich durch die ihnen unterstellten Truppen oder Gendarmen einen An- theil an der Beute sicherten. IV. Die Civilbebörden versuchten nach den Ereignissen die Tbatsache der Massacres und der Plünderung zu ver schleiern oder zu entschuldigen, indem sie 1) die Armenier fälschlicherweise der Anstiftung beschuldigten, 2) von arme nischen Notablen durch Gefangnißstrafen, Androhung deS Todes oder neuer Massacres Erklärungen erpreßten des In halts, daß die Armenier an dem Ausbruch ver Unruhen schuld seien und Dank der Maßregeln der Behörden die Ordnung wieder hergestellt sei, 3) die Bestattung der Leichen anordneten und die Spuren der Verwüstung soweit thunlich, hinwegzuräumeu suchten, 4) eine Berichterstattung über die Lage der Dinge zu verhindern wußten, indem sie die Briefe der Betroffenen abfingen, die Auswanderung von Armeniern verhinderten und das Eindringen fremder Be richterstatter nicht zuließen, 5) hier und da eine scheinbare Zurückerstattung des geraubten Eigenthums anordneten, bei der nur das werthloseste Zeug, kaum ein Hundertstel der Verluste, abgeliefert wurde, 6) Befehle, welche die Sistirung von Massacres, Plünderungen und Zwangsconvertirungen anordneten, ohne die Ausführung derselben zu überwachen oder durchzusetzen. V. Die Behörden thaten nichts, um die für die völlig ausgeplünderte Bevölkerung verhängnißvollen Folgen der Massacres abzuwenden: 1) Die Unterstützungen der Noth- leidenden von Seiten der Regierung waren nicht allein lächer lich unzureichend, sonvern hörten auch in der Regel nach wenigen Tagen oder Wochen wieder auf. 2) Die Bemühungen der europäischen HilfS-ComitSS, den Nothstand zu lindern, wurden auf alle nur erdenkliche Weise gehindert oder er schwert und nur dem energischen Vorgehen des englischen Botschafters, als des Vorsitzenden des Internationalen Hilfs- comitss, gelang es, in Vieser Beziehung Wandel zu schaffen. 3) Für ven Wiederaufbau ver Häuser, für die Bestellung der Saaten, für den Schutz der Nothleidenden gegen den hereinbrechenden Winter geschah nichts. 4) Die Auswande rung der Nothleidenden wurde gehindert. 5) Für die Hundert tausende von Wittwen, Waisen, Kranken und Hilflosen wurde in keiner Weise gesorgt. 6) Den Nothleidenden wurde häufig der letzte Rest ihrer Habe durch rigorose Steuereintreibungen genommen, ja sogar auf dieselbe Weise die erhaltenen Unter- stützungSgelder wieder abgejagt. VI. Einer Wiederholung der MassacreS oder einem Aus bruch derselben in den noch nicht betroffenen Districten wird auch jetzt noch nicht von Seiten der Behörden vorgebeugt. VII. Die Urheber unv Mitschuldigen der Massenmorde, Plünderungen und Zwangsconvertirungen blieben straflos. Deutsches Reich. * verkitt, 25. August. An die bekannte Rede des Reichskanzlers vom 18. Mai d. I. anknüpfend, schreibt der „Hambg. Corr.": „Wenn auch damit über die Puncte der Oeffentlichkeit des Verfahrens und des Bestätigung «rechtes von Urtheil oder Strafvollzug durch den obersten Kriegsherrn nichts entschieden ist — und hier liegen bekanntlich die Schwierigkeiten —, so ist doch die Thatsache nun auch von höchster Stelle erhärtet, daß die Reform auf den Prtncipien der modernen Recht-anschauungen beruhen solle. Der Weg mag deshalb in Einzelheiten noch nicht genau abgesteckt sein, Richtung und Ziel aber sind klar." Da« Hamburger Blatt fahrt dann fort: „So wichtig aber auch die Militairstrafreform an sich gewiß ist, so wird sie doch weit an Bedeutung von der Thatsache überragt, daß in einer grundlegenden Frage unseres ganzen Verfassungs und Staatslebens die sämmtlichen konstitutionellen Faktoren in grundsätzlichem Einverstä ndniß han deln. Damit ist natürlich die Wirkung des Falles Bronsart nicht mit einem Schlage aus der Welt geschafft, aber es ist doch mancher ernsten Besorgniß für die Zukunft der Boden entzogen. Und darum begrüßen wir diese Erklärung des „Rcichsanz." mit Gcnugthuung!" — Der „Nat.-Ztg." erscheint mit Recht ein Bedenken grundlos, welches sich daran knüpft, daß im „Reichsanz." nur eine Vorlage an den BundeSrathin Aussicht gestellt wird, nicht auch an denReichstag. Dies entspricht eben dem verfassungsmäßigen Rechtszustande, nach welchem die „Willensmeinung des Kaisers" zwar für die Einbringung eines Entwurfs im Bundesrath maßgebend ist, nicht aber für eine solche im Reichstag; an diesen kann der Entwurf nur auf Beschluß des Bundesraths gelangen. Aber nach der hinreichend bekannten Stellung der nicht-preußischen Negierungen zu der Frage darf man annehmen, es werde, wenn die Vorlage erst mit Zustimmung Preußens an den Bundesrath gelangt ist, sich die Erwartung des Fürsten Hohenlohe erfüllen, daß er sie auch in der anderen gesetz gebenden Körperschaft, vem Reichstag, werde einbringcn können. Berlin, 25. August. Die „Kreurzeitung" zeigt sich ungehalten über einen Berliner Bäckermeister, der auf vem Breslauer Innungstage sich folgendermaßen über die Sonntagsruhe ausgelasten hat: „Auch wir sind religiöse Christen. Wir tragen aber das Christenthum in unseren Herzen und sind der Meinung, daß wir auch in GotteS freier Natur Gott verehren können. Es entspricht nicht dem Geiste der christlichen Religion, den Sonntag da durch zu heiligen, daß man Hunderte von ehrlichen unv arbeitsamen Existenzen ruinirt und die Schutzleute anweist, dahin zu wirken, daß die Meister von ihren Leuten denuncirt werden." Die „Kreuzzeitung" bemerkt dazu u. A.: „Will der Redner vielleicht im Winter bei Schnee und zu anderer Zeit bei Regen mit den Seinen in den Grünewald gehen, um dort, wie er sagt, „Gott zu verehren?" Wir haben schon viele Berliner Landausslügler beobachtet, vaß sie aber irgendwo „Gott verehrten", ist uns noch nicht aufgefallen. ... Wir glauben, daß «S den Handwerkern bei vielen ernsten Leuten sehr schadet, wenn sie sich auf solchen fahlen Pferden ertappen lassen. Die Meister sollen ja auch Lehrlinge ausbilden, und der Breslauer Bäcker tag hat noch soeben beschlossen, daß das Recht, Lehrlinge zu halten, nur den Meistern zuerkannt werden solle, welche eine Gesellen- und Meisterprüfung abgelegt hätten. Da wird man sich doch fragen müssen, ob ein Lehrling bei Meistern gut aufgehoben ist, die so über Religion denken, selbst wenn sie eine Gesellen- und Meisterprüfung abgelegt haben." — Uns scheint auch nicht, als ob mit den angeführten Worten des Bäckermeisters die Bedeutung der Sonntagsruhe ausreichend gewürdigt würde. Aber die „Kreuzzeitung" als Organ der conservativen Partei, deren Wortführer in Handwerkerfragen und Vertreter in ver Commission für Arbeiterstatistik Herr Jakobskötter ist, handelt nicht vorsichtig, wenn sie Hand werkern die Leviten liest, weil diese nach der Ansicht des Blattes die FesttagSrube überhaupt und ihren religiösen Inhalt nicht genügend schätzen. Herr Jakobskötter hat sich im Mai vergangenen Jahres, nicht mündlich und also auch nicht einer plötzlichen Eingebung folgend, sondern schriftlich, in einem Zeitungsartikel dahin ausgelassen, die kirchliche Feier hänge ja doch immer von der persönlichen Stellung eines jeden Einzelnen ab. „Man kann", so bemerkte Herr Jakobs kötter, „ja von streng kirchlicher Auffassung aus die ersten Feiertage als die höchsten, unbedingt heilig zu ballenden Fest tage ansehen, gewiß — auch ich habe dies bis jetzt immer so gehalten. Indessen hat mich VieS nie gehindert, an diesen Tagen in meinem Beruf meinem Nächsten zu dienen." Herr Jakobskötter ist Schneidermeister. Ohne in der zwischen ihm und der „Kreuzzeitung" bestehenden Meinungsverschiedenheit Partei nehmen zu wollen, glauben wir doiy sagen zu dürfen, daß die Herstellung des lieben Brodes religiös nicht niedriger bewerthet werden kann, als die Anfertigung von Hosen. V. Berlin, 25. August. (Telegramm.) Der Kaiser wohnte gestern dem Adlerschießen des OfficiercorpS des 1. Garde-Regiments z. F. im Katharinenholz bei Potsdam bis gegen 7'/, Uhr Abends bei. Heute Vormittag arbeitete Auf -em Altäre -es Vaterlandes. Von Otto El«ner. Die französischen Journale wollen dem jungen Zaren auS Freude darüber, daß er Frankreich und Pari- besucht, einen Ehrensäbel spenden, die französischen Frauen der Zarin, dem deutschen Fürstenkinde, eine goldene Wiege für den zu er wartenden „Beherrscher aller Reußen". DaS sind so frei willige Steuern, die man sich selbst auferlegt, um einem ge wissen und hier sehr durchsichtigen politischen Zweck zu genügen. Die Deutschen haben gleichfalls oft genug solche Spenden darbringen müssen. Aber es geschah aus dem Altäre deS eigenen Vaterlandes, als eS sich darum handelte, die schweren, tiefen Wunden zu heilen, welche da- Schwert de« korstschen Eroberer- geschlagen. Man kann nicht ohne Staunen ohne Bewunderung jene zeitgenössischen Berichte lesen, welche aufzäblen, mit welchem Eifer, mit welcher Freudigkeit zumal da- kleine Preußen damals freiwillig eine Steuer nach der anderen auf sich nahm, und die Hobenzollern selber wissen ganz wohl, waS ihre Untertbanen in den Zeiten der Be- drängniß an solchen freiwilligen Steuer aufgebracht haben. Gerührt von dieser Opferwilligkeit, welche eS ihm allein er möglichte, dem Ansturm der Feinde Stand zu halten, be schloß Friedrich Wilhelm III., ein Druckwerk veröffentlichen zu lassen, in welchem sämmtliche in den Kriegsjahren 18l3 bis 15 freiwillig dargebrachten Gaben und Leistungen zusam mengestellt seien. DaS Militairgouvernement zwischen Elbe und Oder, damals dir höchste Provinzialstelle, erließ darüber den 9. September 1813 folgende Bekanntmachung: „Einer ruhigeren Zeit muß und soll eS nach der allerhöchsten An ordnung Vorbehalten bleiben, alle die Opfer, sie bestehen, worin sie wollen, zum unvergänglichen Andenken aufzu zeichnen, welche die Nation ihrem Könige und ihrem heißesten Wunsche, seinem und also auch ihrem Leiden durch Befreiung von dem französischen Einfluss« «in Ende zu machen, darge bracht hat und unverdrossen darbrinat." Dies« Zusammen stellung ist auch erfolgt; zwei starke Foliobände, welche sich unsere« Wissen- augenblicklich im Geheimen Staatsarchive zu Berlin befinden, enthalten dieselbe. Leider ist die Ver öffentlichung selbst bi« zum heutigen Tage unterblieben. Ein vollständiges Bild von jener großen Opserwilligkrit kann man deshalb nicht bieten; man muß sich also darauf be schränken, einige Züge wiederzuaeben, wie sie sich entweder m der Erinnerung der betreffenden Familien fortgeerbt haben oder durch die Tage-blätter jener Zeit zur weiteren Kenntniß gelangten. Die Steuerkraft de- Lande« war erschöpft, Anleihen ließen sich auf keine Weise mehr zu Stande bringen. Den 1. Februar 1813 wurden die Staatsschuldenscheine zu 34 Procent an geboten, die Berliner Stadtobligationen zu 29, di« Kurmär- kischen landschaftlichen Obligationen sogar zu 22 Procent. Man war also, um die Bildung freiwilliger Iagerdetachement« zu ermöglichen, aus die Opserfreudigkrit der Bevölkerung angewiesen. Am 23. März erließen die Prinzessinnen de« königlichen Hause« einen Aufruf zur Bildung eine« Frauen- vrrrmS zum Wohl de- Vaterlande-. Eine Stell« darin lautet: „Nicht blos baare» Geld wird dieser Verein als Opfer dar- aebracht annehmen, sondern jede entbehrliche werthvollr Kleinig keit, da- Symbol der Treue, den Trauring, die glänzende Verzierung de- Obres, den kostbaren Schmuck de« Halse«." Die Folge, welche dieser Aufruf hatte, überstieg selbst die kühnsten Erwartungen. Da« kleine Swinemünde allein, welches noch dazu besonder« mitgenommen war, übersandte innerhalb weniger Tage 114 Ringe. In Berlin konnte die Vossische Zeitung vom 25. März unter der Ueberschrift „Vaterlands liebe" Folgendes veröffentlichen: „Die Wittwe eine« 40jährigen treuen Diener« de« Vaterlandes, der da« hohe Glück genoß, sich der vorzüglichen Gnade seines König« erfreuen zu dürfen, giebt den Ring der Treue, den sie in der bangen Sterbe stunde ihre« Gatten gegen den ihrigen au-wechselte, um lebens lang seiner seltenen Tugenden dabei eingedenk »u sein, in dieser Hinsicht für sie das Theuerste, was sie zu geben vermag, al« ein kleines Scherflein für ihr geliebtes Vaterland." Der opferfreudige Sinn fand nun «ine immer eifrigere Nachahmung. In dem Bureau, welche« in Berlin zur Entgegennahme der freiwilligen Spenden errichtet worden, fanden bi« zum 20. Mai nicht weniger als 1145 Einlieferungen statt. Sie bestanden meist au« Ringen, aber auch anderen Kleinodien und ebenso befanden sich gemünztes Gold und Silber darunter. Auch in Ostpreußen entfaltete sich eine überau« emsige Ovferfreudigkeit. Die Bevölkerung hing seit jeher innig an Vaterland und Herrscherhaus; durch die Anwesenheit desselben nach dem Zu sammenbruch de« Staate« waren diese Bande noch inniger geworden; die Einfachheit der Königin Luise, ihr milder Sinn, da« duldungsbereite Gcmüth im Unglück hatten die Herzen der Bevölkerung mächtig zu ihr hingezogen. Allein Tilsit spendete in kurzer Zeit 65 goldene Trauringe; dazu kamen 2l Loth Gold und 133 Loth^ Silber, au« den verschiedensten Kostbarkeiten herrührrnd. Da erließ am 31. März Rudolf Werkmeister, Unter nehmer eine« literarischen Museums und Besitzer einer da mals vielbenutzten Leihbibliothek zu Berlin, eine Aufforderung, in Folge welcher diese Opferwilligkeit ein ganz bestimmtes Gepräge erhielt. Der Aufruf lautete: „Während die Blütbe des Volkes, die jüngern Sohne des Vaterlandes, muthig daS Leben selbst einsetzen für die große heilige Sache, die jetzt alle Gemütber bewegt, um die höchsten Güter der Menschen, Freiheit, Ehre, Eigenthum wieder zu gewinnen oder ruhmvoll unterzugehen, regt sich gewiß hin und wieder in so mancher Brust der Gedanke, daß man minder glücklich als jene am väterlicken Herde still verweilen müsse und durch den schweren Druck der Zeit selbst nicht einmal der Mittel genug besitze, um jenen, die handeln, nur einiger maßen durch bloßes Geben nachzueifern und so den Pslichttheil für König und Vaterland abzutragen. Diesen Allen biete ich eine Gelegenheit dar, ihr Herz zu erleichtern und durch eine Gabe, welche sie für solche Zwecke gewiß gern opfern werden, nicht geringe Schätze dem allgemeinen Wohle darzubringen. Fast ;ede Famiti« dürfte einen oder mehrere goldene Trau- oder Verlobung-ringe, zum Theil nock von Eltern und Großeltern herstammend, befiyen. In Hinsicht auf Metallwerth sind sie ihnen ein tobte« Capital; nur di« Veranlassung und da« Andenken geben diesen Ringen Werth. Diese Veranlassung und diese« Andenken sollen nicht untergehen; sie sollen den Besitzern unverletzt bleiben und noch heiliger werden durch die große Anwendung, vir sie
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