02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960923029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-23
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Annahmpschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr, Marge«. Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Set den Filiale» und Annahmestellen je e^e halb« Stund, friihcht. Anzeige» sind stet« au die Srp-pttto» gg richten. Anzeigrn-Preis die S gespaltene Petitzeile -o Pfg. »eelamen »pter dem K«d«tioa»s»rtch (4gs- lpolte») LO^, »or den Famillennachrlchtra (6 gespalten) 40^. Gkphor« Uchriftea laut unserem Preis- verzeichuib. Tabellarischer und Lisierasa» »ach hshrrem Tarif. Druck und Verlag von T. Bal» l» LetShtg SO. Jahrgang. politische Sagesschau. * Leipzig, 23. September. Während die iiiiiungSmäßig organisirtcn Handwerker sich mit wenigen Ausnahmen entschieden für die geplante Zwaugs- organisatioil des Handwerks erklären und um ihretwillen auf die Verfolgung anderer Forderungen, namentlich des Befähigungsnachweises verzichten, und während dementsprechend in den von Vertretern dieser organisirten Handwerker in Berlin abgehaltenen Conferenzen eine verstärkte und consegucntere Durchbildung des Zwangssystems unter Beseitigung der jenigen Sicherheitsventile, welche die Borlage gegen etwaige nacklheilige Wirkungen derselben vorgesehen hatte, vor geschlagen wurde, mehren sich neuerdings die Wider spräche gegen das Princip der Vorlage. Vornehmlich aus Süd- und Sükwestdeutschland kommen tagtäglich Nachrichten über ablehnende Voten gewerblicher Körper schaften. So hat der Verbandstag deutscher Gewerbe vereine, welcher in Stuttgart zugleich mit dem 38. Verbandstage württembergischcr Gewerbevereiue abge halten worden ist, mit 61 gegen 7 Stimmen eine Resolution angenommen, welche die Einführung von Zwangsinnuiigen als einen Rückschritt bezeichnet. Ebenso hat die reichs ländische Eommission für das Handwerk, welche in Straßburg zur Begutachtung der GewcrbcordiiuiigS- uovelle zusammenberufen worden war, sich mit 15 gegen 5 Stimmen bei einer Stimmenthaltung gegen die Zwangsinnung erklärt. Die innungsmäßig organi- firten Handwerker erkennen allerdings die Gewerbevereine, wie dies auf dem Heidelberger Handwerkertage ausdrücklich ausgesprochen worden ist, nicht als zur Vertretung der Hand werker berechtigt an, weil sie neben den Handwerkern noch andere Gewerbetreibende zu Mitgliedern zählen. Dieser Einwand ist auch wohl bis zu einem gewissen Grade als berechtigt anzuerkennen. Allein er darf nicht dazu führen, das ablehnende Votum der Gewerbevereine einfach zu ignoriren. Tenn es ist nicht anzunehmen, daß das Votum der Gewerbevereine ein so entschieden ab lehnendes sein würde, wenn die diesen Vereinen angehörigen Handwerker in ihrer überwiegenden Mehrzahl entschieden für die Zwangöorganisation wären. Gegen die elsässisch lothringische Handwerkscommission wird überdies der gleiche Einwand nicht zu erheben sein. Man wird sich daher darüber nicht täuschen dürfen, daß neben der starken Strömung zu Gunsten der Zwangsinnung in den zunächst betheiligten Kreisen auch starke Gegenströmungen bestehen. Ebenso wenig, daß diese Gegenströmungen sich auch schon im Bundesrathe geltend zu machen wissen und daß sonach im weiteren Verlause der Angelegenheit noch manche Schwierigkeiten zu überwinden sein werden. Selbst ein den Freunden der Zwangsorganisation so geneigtes Blatt wie die „Post" empfiehlt daher diesen Freunden vorsichtiges Maßhallen als erste Voraussetzung des Erfolges und schließt sich besonders der schon kürzlich von uns ausgesprochenen Mahnung an, nicht durch Versuche gewaltsamer Einbeziehung der Großbetriebe diese zu gefährlichen Gegnern zu machen. Trotz des Spottes, mit dem die englische Presse die französische wegen ihrer demütbigen Umschmeichelung des sehn süchtig erwarteten Zaren überhäuft hat, hat fast die ge summte Presse des „stolzen Albion" die französische in Kundgebungen wahrhaft unterwürfiger Art für den gestern auf englischem Boden eingetroffencn russischen Herrscher noch überboten. Er wurde förmlich gebeten,Konstantinopel zu besetzen oder russische Truppen in Armenien einrücken zu lassen, um den türkischen Gräueln ein Ende zu machen, ja, die „Times" thaten noch ein klebriges, indem sic den Zaren wegen eines angeblich mit Japan getroffenen Uebereinkommens wegen Koreas be glückwünschten und sich den Anschein gaben als ob sie für Eng land niemals ein höheres Glück ersehnt hätten, als den aus schließlichen Einfluß Rußlands ans die koreanischen Angelegen heiten. Allerdings hatten diese Deinüthigungen noch den Nebenzweck, den Sultan gegen Rußland mißtrauisch zu machen, aber ter Hauptzweck blieb doch, de» Zaren für England günstig zu stimmen und ihn zu bewegen, bei seinem Privatbesuche in Balmoral auf politische Besprechungen sich einzulassen und dem isolirten England wieder eine Stimme im europäischen Concert zu verschaffen. Diese Versuche waren in den letzten Tagen vor der Ankunft des Zaren so bettelhaft geworden, daß die englische Regierung befürchten mußte, sie würden statt des beabsichtigten Zweckes das Gegentheil erreichen. Das Eilyblatt hat daher den Wink erhalten, an den privaten Charakter des Zarenbesuches zu erinnern und seinen Lesern bemerklich zu machen, daß cs von dem kaiserlichen Gaste abhängen müsse, inwieweit bei seinem Besuche politische Erörterungen gepflogen würden. Ja, das Auswärtige Amt in London ist noch Weiler gegangen und bat das Unterhausmitglied Lowles er mächtigt, bei einer Protestkundgebung im Londoner Stadtbezirk Shoreditch mitzulheilen, England stände der Vereinbarung dreier Großmächte gegenüber; wenn England die Türkei allein angriffe, müßte es Lieser Coalition Trotz bieten; wenn England einen einzigen Schuß allein abfeuerte, so würde dies een sofortigen europäischen Krieg bedeuten. Der Zar, dem diese Erklärung zu Ohren kommen soll, soll durch sie erfahren, Laß die englische Regierung nicht nur ihrer Isolirnng, sondern auch der Folgen sich vollkommen bewußt sei, die sie durch eigenmächtiges Vorgehen herauf- besckwören würde. Ob der Zar durch dieses Ein- geständniß, das freilich einer Demüthigung aufs Haar gleicht, sich eher als durch die Deinüthigungen der englischen Presse bewegen läßt, auf politische Erörterungen während feines Privatbesuches einzugehcn, muß dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall aber wird er sich bewußt sein, baß England drei Großmächten und nicht nur Rußland gegcnübersteht. Man kann daher, wie heute die „Perl. Polit. Nachr." mit Reckt betonen, mit der größte» Gemüthsruhe dem Verlaufe des Zarenbesuchs auf englischem Boden entgegensehen und es voll ständig in das Gutdünken der politischen Speculation jenseits dcS Canals stellen, wie viele und welche Bortheile sie für Eng lands Orientinteressen und -Bestrebungen aus dem Verkehr Lord Salisbury'- mit den leitenden Persönlichkeiten der russischen Politik herauSschlagen zu können stck einbildet. Zuzugeben ist, daß England seine Isolirtheit im Ralhc der Mächte lästig empfindet und daß ihm ein Ausweg aus der Sack gasse, in die es durch seine armenische Sympathiecampazne gerathen ist, willkommen wäre. Nur wird eS nicht erwarten dürfen, daß Europa zu ihm kommt, sondern es wird sich, wenn ihn, an einer Verbesserung seiner internationalen Stellung im Ernste gelegen ist, entschließen müssen, zu Europa zu kommen. Aus Konstantinopel liegt beute nur eine Meldung von Bedeutung vor, die Meldung nämlich, daß nach einer von den türkischen Blättern veröffentlichten Liste bisher in armenischen Kirchen und Häusern nicht weniger als 183 geladene und ungeladene Bomben, ferner Materialien zur Herstellung von Bomben, besonders Nitroglycerin sowie ver schiedene andere Munition gefunden worden sind. Mag auch diese Liste in tendenziöser Weise ausgestellt sein, so macht sie doch die Stimmung begreiflich, die nach einem Brief des „Hamb. Corr." aus Konstantinopel vom 17. d. in den Kreisen der dortigen Botschafter gegen die Armenier herrscht. Es heißt in diesem Briefe: „Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los'', mag in den letzten Wochen in so manchem Botschastspalais in Konstantinopel geseufzt worden sein. Tie Armenier haben angefangen, den Bot schaftern empfindlich lästig zu werden. Ter Versuch der drei Protestbotschaster — dieser Name ist England, Rußland und Frank reich feit der vorjährigen Action geblieben —, sich das ausdringliche armenische Volk abzuschülteln, begann mit der Verweigerung der Auf- nähme Schutzsuchender in die Botjchastsräunie; statt dessen brachte man sie auf Schisse. Aber auch die Spediruug hiesiger Armenier noch aus ländischen Plätzen wird jetzt zum Theil ungemein erschwert, zum Theil direct verweigert. Täglich kann man sehen, wie ganze Schaaren weinender armenischer Frauen und Kinder vor den Bot schaften und Consulaten genannter Großmächte stehen, vergebens Eingang und Hilfe heischend. Denn die Drohbriefe der armenischen Comitös, die Botschaften in die Luft sprengen zu wollen, wenn man sie jetzt in der Stunde der Noth ver- lasse, haben den Vertretern jener Großmächte gewaltigen Schrecken verursacht. Es wird erzählt, der englische Bot schafter habe auf empfangene Drohbneie hin erklärt, was die eng lische Negierung anlange, jo sei der türkischen Regierung volle Frei heit gegeben, auch den letzten Armenier einzusperren und zu tödten. Die französische Botschaft verstärkt fast täglich die ihr zugetheilten Matrosenabtheilungen und hat über die Dächer aller ihrer Gebäude die Wasserleitung geführt, um gegen sie eventuell ge schleuderten Feuerbränden begegnen zu können. Der russische Vertreter läßt täglich das ganze Terrain aus Unterminirung durch suchen und Niemand darf den Rayon ohne vorausgegangene Visitation betreten." Selbstverständlich wird bei solcher Lage der Dinge die Behandlung der armenischen Frage durch die Großniäckte initiier schwieriger. Gleichwohl glauben beute die bekanntlich znm Fürsten Bismarck in Beziehung stehenden „Hamb. Nachr." einen Vorschlag machen zu sollen, der schon seines vermuthlichen Ursprungs halber Erwägung verdient. Das Blatt schreibt nämlich: „Was die Behandlung der armenischen Frage durch die Groß mächte betrifft, so würden wir es für richtig halten, wenn eine internationale Untersuchungscommission zu dem Zwecke eingesetzt würde, die eigentlichen Urheber der Greuel zu er mitteln und zur Verantwortung zu ziehen. Der weitere Verlauf der Dinge hat nur in der Annahme bestärken können, daß die Schuld sehr viel weniger auf türkischer als auf armenisch-eng- lischer Seite liegt und daß die von London an? dirigirten Umtriebe eine erheblich größere Gefahr für die aesaininte christliche Bevölkerung des osmanischen Reiches und für die Erhaltung des Friedens bilden, als die Säuinigkeit der Pforte bezüglich der Reformen und die türkische Bedrückung der Armenier. Es bandelt sich hier um eine europäische Lalamität. an deren Abstellung die Mächte, mit Ausnahme von England, alle interefsirt sind. Blutbäder, wie das in Konstantinopel befürchtete, können nur vorkommen, wenn von außen her gehetzt und dadurch der mohamedanijche Fanatismus entfacht wird. Es muß zur Beseitigung der Gefahr den Hetzern das Handwerk gelegt werden, sonst bleiben alle Besprechungen und Vorstellungen der Mächte erfolglos. Sehr bezeichnend für die wahre Sachlage in Bezug auf die Armenier ist die Meldung der türkischen Bläiter, wonach 130 000 Armenier der 32 Kirchenbezirke Konstantinopels dem Großvezier eine Adresse überreicht hätten, in welcher sie ihrer treuen Ergebenheit jür die Regierung und den Dank für die unzähligen Gnaüenbeweise sowie für die Gerechtigkeit Les Sultans Ausdruck geben. Wenn das Gros der Armenier mit seinem Loose zufrieden ist, erscheinen die Zettelnngen der englisch, armenischen Revolutions-Lomitss um so verwerflicher und die Parteinahme deutscher Idealisten für diese Bestrebungen ist um so verblendeter. Wenn nichts Anderes, so sollte die Haltung der Anarchisten die deutschen Doctrinaire und Philanthropen belehren, auf welchem bedenklichen Wege sie sich befinden." Der Patzft Hst der tomanisirende» Richtung der englischen Staat-kirche eine recht unangenehme U«b«r- raschung bereitet, indem er, wie wir schon kurz meldeten, auf Grund der von einem besonderen CardinalSauSschiß vorgenominrnen Nachforschungen die Ordinationen der anglikanischen Kirche für null und nichtig erklärt hat. Lord Halifas und Gladstone haben sich also ver gebens bemüht, und eine langwierige, von Haust aus zur Ergebnißlosigkeit verdammte Erörterung verschwindet wenigstens für einige Zeit von der Tagesordnung. Die Geistlichen der Staatskirche haben von Neuem die Be stätigung erhalten, daß sie in den Augen der römisch- katholiscken Kirche keine Priester sind und nicht die Macht haben, die Sacrameute auszutheilen. Der großen Mehrheit LeS englischen Volkes wird der Wahrspruch te» Papste- sehr gleichgiltia sein, die hochkirchliche Richtung muß ihn al- eine schwere Niederlage betrachten. Ihren Wortführern wird ver- inulbkich jetzt endlich auch klar werden, daß sie einen schweren taktische», Fehler begingen, als sie sich vom Papste die Rechts giltigkeit der Grundlagen ihrer Kirche bestätigen lassen wollten. Wenn sie nun mit Folgerichtigkeit bandeln wollten, müßten sie der Aufforderung des Papste- Folge leisten und sich der römischen Kirche anschließen, wo sie ordentlich ordinirte Priester und gütige Sakramente finden. Der Eine oder Andere wird dies wohl auch thun, die Uebrigen werden sich aber endlich davon überzeugen, daß die Hoffnungen auf Ver einigung mit Rom ein für alle Mal auszugeb«? sind, es sei denn, daß die danach Verlangenden sich dazu entschließen, endgiltig in den Schooß der römisch - katholischen Kirche „zurückznkehren". Gladstone war von Anfang an davon über zeugt, baß der Spruch LeS Papstes gegen die Giltigkeit der anglikanischen Ordination ausfallen werde, er hoffte aber von Ler Güte des Papstes, Laß er von einer rückhaltlosen Aussprache im Interesse de- Friedens Abstand nehmen werde. Auch diese Hoffnung war nach der Sachlage unbegründet. Die englischen Anhänger der römischen Kirche hatten sich von Anfang an gegenüber dem Treiben der nach Vereinigung dürstenden Anglikaner entschieden ablehnend verhallen und sie belehrt, daß eS nur eine einzige Art der Vereinigung mit Roni gebe, nämlich den Anschluß an Nom. Hoffentlich be sinnen sich die Hochkirch!« endlich auf den protestantischen Ursprung der anglikanischen Kirche. Die Absichten und Pläne der Carlisien beschäftigen in Spanien augenblicklich lebhaft die politischen Zeichententer. Die plötzliche Abreise Olazabal'S, deS bekannten Caviisten- führerS, von Guipuzcoa nach Venedig soll, wie der Bericht erstatter der „Correspondencia" in San Sebastian gehört hat, den Zweck verfolgen, dem Prätendenten den Wunsch vieler Parteigänger zum LoSschlagen zu überbringen. Indessen scheint dieser, bevor er zu irgend einem Entschluß kommt, auch die mündlichen Mittheilungen seines ersten RathgeberS, des Marques de Cerralbo, entgegenuehmen zu wollen, denn es heißt, daß er ihn „mit Ungeduld" erwarte. Für alle Fälle läßt er indeß schon durch sein Leibblatt ver kündigen, daß er eine Verpflichtung, die Regentschaft nicht zu bekämpfen, weder dem Papst noch dem Kaiser von Oesterreich gegenüber eingegangen sei, und daß derselbe Patriotismus, der ihn beute zu einer friedlichen Stellungnahme veranlasse, ibn morgen vielleicht zu einer veränderten Haltung nölhigen könne. Diese Drobung wird dann allerdings durch den „CorreoESpanol" wiederein klein wenig abgeschwächt, indem er sagt: „Die jetzt Regierenden machen sich keinen richtigen Begriff von der ungeheuren Kraft deS Earlismus und von den Hilfsmitteln, die ihm auf allen Gebieten zur Verfügung Die Tochter Les Geigers. 13j Roman von A. Brüning. Nachdruck dcrioten. „Und Du, Lia?" fragte er mit verschleierter Stimme. „O, ich Unglücklicher!" ries er plötzlich leidenschaftlich, „warum mußte ich in Deinen Kreis treten, um Dein junges, reiches Leben mit dem Fluche meiner Liebe zu belasten?" Aus des MädckenS Augen brach leuchtend ein sonniger Strahl, der schnell jede Spur von Schmerz aus ihrem Antlitze verwischte. „Nein, Edgar, mich darfst Du nicht beklagen", rief sie, „ich bin im Paradiese gewesen—, ich habe der Erde reichstes, edelstes Glück genossen in Deiner Liebe, und die Erinnerung daran bleibt als unvertilgbarer Schatz in meinem Herzen. Mein Dasein ist ja auch nicht zwecklos; ich darf es meinen Lieben weihen, und Vas Glück, das ich ihnen bereiten kann, wird auch mich zufrieden machen." Sie zog die weiße Rose aus ihrem Gürtel und reichte sie ihm dar. „Die Purpurrose meiner Liebe durfte ich Dir nicht schenken; so nimm denn statt dessen die Weiße al- Symbol der reinen, schwesterlichen Freundschaft! Sie sei daS Band, das unS in Zukunft verbindet, und in diesem Sinne darf ich auch ferner mit Antheil Deinem Lebenswege folgen. Bedenke, daß der Nubm, der sich an Deinen Namen knüpft, daß der Dank, den Du Dir erwirbst in Deines Volke» Herzen, die Sonnenstrahlen sind, aus denen Deine arme Waldblume Lebenskraft saugt!" Die Augen des Fürsten loderten auf in Begeisterung, während sie sprach. Hoch richtete er sich empor —, auf seiner Stirn thronte die Würde eines festen Entschlusses. „Diese Stunde hat mich zum Fürsten geweiht", sprach er, „mein Volk mag sie Dir danken; von heute an werde ich e» lieben um Deinetwillen. Jener Traum erfüllt sich, der mir prophetisch mein Schicksal verkündete. Die Waldblume, die an mein Herz zu nehmen ein feindliches Geschick mir ver weigert, verwandelt sich in den Stern, der fortan über meinem Leben schweben und mit reinem Lichte mir leuchten soll zu allem Edlen und Schönen. Drr Stern, aus dessen heiligem Strahl ich die Kraft schöpfen werde, ein echter Fürst zu werden! Lege Deine reinen Hände auf meine Stirn und segne Du mich zu meinem Berufe." Er senkte sein Haupt vor ibr. Durch das rotbe Laub deS mächtigen Baume-, der sie beschattete, brach ein Sonnen strahl und streute Lichtfunken auf sein Haupt, als ob er eS mit einer Krone schmücken wollte. Lia's Weiße Hände senkten sich auf seinen Scheitel. „Geh zu Deinem Volke, Fürst", sprach sie mit bewegter, feierlich hallender Stimme, „mein Segen begleite Dich!" Er sprang auf, noch einmal zog er die Heißgeliebte an sein starkes Herz, noch einmal, zum letzten Mal, hielten seine Arme ihre Gestalt umfangen, sie sprachen Beide nicht, unser tiefstes Empfinden hat keine Worte! Dann gab er sie frei und ging festen Schritte- den Weg zurück, den er ge kommen war. Drüben am andern Ufer wandte er den Blick noch einmal nach der Stelle, wo er sein Alle» zurück gelassen. Lia Rose stand noch aufrecht, umflossen vom Sonnen licht, da- rosig gefärbt durch die dunklen Zweige der Blut buche fiel. Weiß und licht wie ein Seraph hob sich die zarte Erschemung von dem dunklen Laubbintergrunde, die Arme streckte sie wie grüßend zu ihm hinüber. Er hob die Rose, die sie ihm gegeben hatte, empor und drückte sie an seine Lippen. Gleich darauf war er verschwunden. Das Dickicht hatte ihn ausgenommen. E- war vorbei, Alle- vorbei, — ein Zittern durchlief Lia'S Gestalt, langsam glitt sie neben dem Schlummernden in die Knie, ein leiser Wehelaut entrang sich ihrer Brust. „Leeila wia", flüstert« der Blinde im Traume und haschte tastend nach ihrer Hand. Sie überließ sie ihm. „Ich bleibe bei Dir, mein Vater", bauchte sie über ihn hin. Ein« tiefe körperliche und geistige Erschöpfung kam über si«. Tief« und tiefer neigte sie sich vornüber, bi« zuletzt ihr« Stirn auf dir Brust de- Vaters sank; rin Zustand halber Bewußtlosigkeit umfing ihre Sinne und linderte wohlthätig den rrstin herben Schmerz, mit dem di« frisch blutend« Wunde ihre Seel« martrrte. Sie litt nicht allein: nicht w«it von ihr rang rin andere« jungrS Herz in bitterem Weh um fein vrrlorene« Hoffen. Prinzessin Therese hatte sich bei einem Abschiedsspaziergang, den sie vor ihrer morgen bevorstebenden Abreise im Walde machte, dem Weih« grnäbert und war ungesehen Zeuge be setzten Abschied« dir Lievenden geworden. Sie hatte den Fürsten erkannt, Katt« Lia Rosa in seinen Armen geseben, und sie begriff sofort den Zusammenhang der Ereignisse. Sie weinte heiße, bittere Thränen, aber diese Thränen galten weniger dem eigenen Leid, al- dem Unglück Desjenigen, dem jeder Schlag ihres jungen Herzens gehörte. Wie im Traume schritt Fürst Edgar durch den Wald. An seinem inneren Auge zogen noch einmal die letzten Wochen vorüber von dem ersten Tage an, wo er an des Freunde« Seite da« HauS betreten hatte, da« ihm so tbeuer geworden war. So Manche«, worauf er in der frohen Hoff nung, die ihn ganz erfüllte, nicht geachtet, trat jetzt klar vor seine Seele; der Schmerz machte ihn hellsehend, aus Ekgar's Herzen verwischte er mit der ihm eigenen klärenden Gewalt den Egoismus des Glückes, der ihn bisher blind gegen deS Freundes Empfinden gemacht hatte. Er errieth die Liebe, die Walter ihm bisher verborgen, und die Wünsche, welche die alten Leute an diese Liebe geknüpft hatten, und mit dieser Erkenntniß erwachte auch drr ganze Edelmuth seiner Natur. Er mußte den Raub, wie er es jetzt nannte, wieder gut machen, den er ahnung-lo« an den Bewohnern de- Forst dauses begangen hatte, so viel e« in seinen Kräften stand. Er beschleunigte seine Schritte, es zog ihn übermächtig zu Walter hin. Im Forsthaus« angekommen, beaab er sich ungesäumt in Walter'» Zimm«, aber in jäbem Schrecken blieb er auf der Schwelle stehen. Walter lag auf seinem Lager, Fiebergluth auf den Wangen, au» seinrn gläsernen Augen ein irrer Blick auf den Eintrrtenden. Er war krank; ein heftige» Nervenfieber, die Folge der letzten Erschütterung»!?, für die seine Wunden ihn doppelt empfänglich gemacht, batte ibn ergriffen. Seine Mutter faß vor ihn? und hielt seine Hände in den ihren, auf ihrem milden Antlitz lagen Angst und Sorge. Uebrkrascht blickte sie bei de» Fürsten hastigem Eintritt in dessen bleiche, entstellte Züge. „Wa» fehlt Ihnen, Edgar?" fragte sie freundlich. Der weiche, liebevoll« Ton drang dem Fürsten in'» Herz wie einer Mutter Stimme, er eilte zu ihr hin und neben ihr auf einen Stuhl sich werfend, brach er plötzlich in Thränen aus. Sie quälte den doch Erregten nicht mit Fragen, sie wartet«, bis der Sturm sich gelrat batte. Rück haltlos vertraute er ihr. Alle-, sein Incognito, seine Liebe und seine Entsagung. „Ich weiß jetzt, welche Hoffnungen ich in Ihnen zerstört habe", schloß er endlich, „ich weiß, daß ich Walters Glück und den Frieden des Hause», daß mir eine theure Heimath geworden, getrübt habe; kann Walter, können Sie mir vergeben?" „Wir haben Ihnen Nicht« zu vergeben, Hoheit", sagt« die Oberförsterin, in deren Augen Thränen der Theilnabme schimmerten, Gott hat Alle« so gefügt, — Sie tragen leine Schuld." Er drückte ihre Künde an seine Lippen. „Ich danke Ibnen, o, ich danke Ihnen", flüsterte er bewegt, „bringen Sie Walter meine Grüße, e» ?st mir unendlich hart, ihn so vttlafsen zu muffen; aber er ist nicht im Stande, meine Worte zu hören, und mich ruft die Sokne-pflicht an den Sarg deS Vater»; vielleicht vermag ich einst zu sühnen, was ich unwissentlich an Ihnen verbrach." „Gehen Sie mit Gott", erwiderte Frau Martha weich, wir werden Ihnen ein treue- Andenken bewahren." Wenige Miauten später sprengten zwei Reiter durch den einsamen Wald. E« waren der Fürst und Herr von Wendelstein, der das finstere Schweigen seines jungen Ge bieter» mit keinem Wort zu unterbrechen wagte. — Weit und immer weiter blieb da« kleine HauS hinter ihnen zurück und mit ihm der Schauplatz de« reinsten Glückes, von dem der „Almansor" seinen Herrn in windesschnellem Lauf hinwegtrug einem neuen, ernster Pflicht geweihten Leben en: gegen. XVIl Ein Jahr war über die letzten Ereignisse dabinccrau'ch:. Mit kräftiger Hand hatte Edgar die ZügSl ter Rc ::«ung ergriffen; man hatte zwar im Lande große He^-nzen an seinen Regierungsantritt geknüpft, aber die Art und Weise, in der dieselben sich erfüllten, re' roch die all- meinste und freudigste Ueberraschung Herr« Wer hätte dem sorglosen, stürmischen, jungen Erbdrüizen diese Festigkeit, diese staatsmännische Utderlezenheit zugctraut! Jene» Talent guter Herrscher, den richtigen Mann stets ans den richtigen Platz zu stellen, « belaß e» in hohem Maße, und bald wehte durch alle Zweige der Verwaltung ein neuer, frischer Geist. Der schwerfällige RegierungSapparat wurde vedeutend vereinfacht' der Staat besoldete ein für seine Größenverhälkniffe viel zu zahlreiche» Heer -on Beamten, von denen gleich ein großer Theil al- übetslüssig entlassen wurde. Der junge Fürst entwickelte selbst eine anhaltende Arbrik-krast; er verlangte ab« auch von seinen Untergebenen eine rastlose Tbätigkeit. Mit dem müßigen, das Land aus saugenden Schmarotzerthum, daS unter der Herrschaft seines Vaters an, Hofe Platz gegriffen hatte, räumte er gründlich aus. Cs bedurfte aber auch in der Thal großer Festigkeit ; denn seine Ausgabe war keineswegs leicht. Er hatte mehr und größere Mißstände vorgrsunden, al« er «wart«t hatte, und
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