Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961021020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-21
- Monat1896-10
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Lollr» >1,50 »1- >9,— U. IS,— 6. !O,— U. IO. D 121,2b 142,2S -t. 208,— 157,50 85,90 170,25 217,40 0. X 204,20 154,70 111.80 138 30 310'-. 800,— 158, - 157,— 36,70 164.80 174,— 158 50 166,50 4'!2 a. >n >0 10,— 6. » LtUeli. 15.50 <r. 15,— 8. .3,— 8. >0,— 6. >2,— O. >2,50 6. >5, - U. >2,25 0. 8.50 U. >3,— O. 6,— 0. 0,— 6. .3,75 8. >0,— brtl. 8. c. > 101,80 1>t 204,70 dLnptst. 158,70 l 169,— 164.80 157,50 120.80 ,50, Orsäll it 310,10, 245,— VLI rs ,1 >e1 »n Sll 84.10 152,50 88.10 58,87>!- 118,85 47,57-2 8,53 58,87 >r 1,27^8 111,25 9,53 261, - 152,50 247,75 46,20 ter 8 — re 78^ 60 25-2 96v« 27-8 10"« 2-8 INLS asst«) 87 H I 3'8 I 30-8 .8. .8. irr 153'12 505 700 618 462 487 kk. -8 Ltstie- Lr.I 14 .otj 84>ii 1/18. oU. 107.20 Io. 97.50 ll« 102.80 ll. 8950 89.20 kr 53.40 l.0. — srt. ÜL 53.40 ior. 85,25 kr. 79,— 1.-8 132,50 «cd. 123.40 d. 82,50 »Id 117,25 ldn 83,10 Q 93,50 .8. 145,— 'III 104,50 cd» 15750 »nk 124,75 8L25 4 10ÜW rbr. 20ZIÖ kLN 182,30 srk. 165,50 br) 116,— :w.) 177,— .-V. 119,— -nd 247,— 86,— 232,50 ,Iin. 83,75 166,10 »<!d 121.50 1-rvber 740 iULno 79,50 tr. 216,05 «. 213,30 urr 216,30 88,60 264,40 Ir. 180,75 157,25 l» 112.- -kr. 38,75 158,00 rn 169.25 165.25 174,60 S 109,25 »tk. 131,50 M- 53,2- Lvkeo«! > ,r 132,— X -der 41, »0 X >2). 8tar6»llii>1er »»»LckLwxler i kr«w<'v. 1<«>i>riir. <19,10> von ksä" <18,w> krieärii/I» Di« Morgen-An-gabe erscheint um '/«7 Uhr, die Abeud-Au-gabe Wochentag- um b Uhr, Nedartion und Lrveditio«: Johanne«,afie 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen von früh 8 bi« Abend« 7 Utz. Filialen: Ltt» Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn). UuiversitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lüsche, lkatbanneustr. 14. vart. »nd König-Platz 7. Bezugs-Preis «e der Hauptexpedition oder den im Stadt, oeetrk uud den Bororten errichteten AuS- gaoestellen abgeholt: vierteljährlich^iL.öO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau- b.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandieuduug in« Au-laud: monatlich 7.S0. 538. Abend-Ausgabe. KiWMTtMblM Anzeiger. Amlsvlatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes «nd Votizei-Ämtes der Lindt Leipzig. Mittwoch den 21. October 1896. Anzeigeu'PreiS die 6 gespaltene Peritzeile 20 Psg. Reklamen unter dem RedacrionSstrich (»ge spalten) öO/ij, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40-H. Srötzrre Schristen laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Zissernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de. Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuug oO.—, mit Postbejörderuug 70.—. —— Annahmeschluß für Anzeigen: Abeod-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr, Margen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Sei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets cm die Expedition zu richten. — - - Druck und Berlai von E. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2l. Oktober. Augenscheinlich um zu verhüten, daß die Bedeutung der Begegnungen Kaiser Wilhclm's II. mit dem Zaren in Darmstadt und Wiesbaden über Gebühr von der aus ländischen Presse aufgebauscht werde, ist diesen Begegnungen ein so intimer Charakter gegeben worden, daß selbst der officiöse Draht nur sehr wenig über den Verlauf zu melden wußte, so wenig, daß einige unserer Leser sick bitter darüber beschweren zu müssen glaubten. Vielleicht ist auch die „Nordd. Allgem. Ztg." von Wißbegierigen gedrängt worden, mehr zu berichten, als berichtet werden konnte und sollte. Das officiöse Blatt lM jedoch für etwaige Wißbegierige nur die folgende knappe Notiz über den Gcsammtcharakter der Begegnungen: „Das Zusammentreffen des Befuches Sr. Majestät Les Kaisers von Rußland in Darmstadt und des Aufenthaltes Sr. Majestät des deutschen Kaisers in Wiesbaden hat naturgemäß zu einer Begrüßung der beiden Monarchen geführt, welche frei von allem osficiellen Ceremoniell lediglich den Charakter der Intimität be- wahrte, wie sie der traditionellen Freundschaft und den nahen verwandtschaftlichen Beziehungen der beiden Herrscher entspricht. Der osficielle Gegenbesuch unserer Majestäten bei den kaiserlichen Herrschaften in Ruß land ist, wie wir hören, für den Beginn des nächsten Sommers verabredet." Die „Nordd. Allgem. Ztg." bebt nicht einmal den letzten Satz durch Sperrdruck hervor, obwohl auf ihm das Haupt gewicht liegt. Au ihm kau« man sick vorläufig genügen lassen und es unseren französischen Nachbarn überlassen, sich die Köpfe über die Bedeutung des Gegenbesuches des deutschen Kaiserpaares in Rußland zu zerbrechen. — Die „N. Fr. Pr." hat mittlerweile eingesehen, wie thöricht cs war, die Be gegnungen in Wiesbaden als einen vom Zaren nach Paris gesendeten „kalten Wasserstrahl" zu bezeichnen, und saßt ihr berichtigtes Urtheil jetzt folgendermaßen zusammen: „Die Begegnungen haben dargethan, daß nicht eingetretcn ist, was man sich in Frankreich vorspiegeltc, und nicht befürchtet zu werben braucht, woran außerhalb Frankreichs ohnehin Niemand glaubte. Tie Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland sind durch die französische Zarenreije nicht verändert worden; wäre cL der Fall, jo würden die beiden riaiser zu noch maligem Austausch von Besuchen sich kaum entschlossen habe». Neben der rnjsisch.französischkn Freundschaft ist sür ein gutes nachbarliches Berhältniß zwischen Rußland und Deutschland Rann, geblieben. Tie ruisisch-sranzüsische Freundschaft besieht als ein sehr bedeutsames Clement der europäischen Politik, aber ihre Zwecke sind nicht die jenigen, welche der französische Chauvinismus ihr vorzeichnen möchte, sondern diejenigen, welche Rußland mit ihr verbindet. Ma» wird nichtsdestoweniger die Cxcesse des Revanche-Lärms im Gedächtnisse behalten müssen, zu welchen die Anwesenheit des Zaren in Frankreich den Anlaß geboten hat. Im Uebrigen kann man sich darüber nicht täuschen, daß die russische Politik entschlossen ist, sich das Wasser von beiden Achseln herab laufen zu lassen, das will sagen, daß sie weder den Franzosen zu Liebe die Bortheile der guten Beziehungen zu Deutschland, noch den Deutschen zu Liebe die Bortheile der französischen Freundschaft preiszugeben gedenkt. Auf deutscher Seite hat man sich daraus bereits eingerichtet, auf französischer wird inan, wenn auch mit tiefem Weh im Herzen, nicht umhin können, es ebenfalls zu thun. Die Begegnungen von Darmstadt und Wiesbaden werden diesen Proceß in Frankreich vielleicht beschleunigen; das ist die einzig er kennbare politische Bedeutung, die man ihnen unter den vorhandenen Umständen beilegen kann." Angesichts des bevorstehenden Wiederzusammentrittes des Reichstages hält die ultramontane „Köln. VolkSztg." es für ihre Pflicht, deutlich die Grenze zu bezeichnen, bis zu der bem (rentrnm eine Unterstützung der Regierungs politik möglich sei. Diese Grenze liegt, wie das Blatt in mehreren Spalten auseinandersetzt, in der Polcnsrage. Das Ccntrum würde hier einer „Politik der Offensive" mit allen Mitteln und vom ersten bis zum letzten Mann wider stehen. Wenn es bei der Beratkung des Bürgerlichen Gesetz buches die Staatsinteressen so weit berücksichtigte, baß es bis an die äußerste Grenze des kirchlich Zulässigen ging, so solle man daraus nicht schließen, daß es auch für „eine Politik des offensten und frivolsten Unrechts, für eine Politik dec Bedrückung und Verfolgung unserer Mitbürger" zu haben wäre. Das könne niemals geschehen. Das Blatt versteigt sich sodann zu folgender Auslassung: „Kamps gegen die katholische Kirche ist aber der ganzen Polenhetze tiefster Sinn und Grund, das war auch die Ursache, welche Len Fürsten Bismarck dafür „begeisterte". Cc hat ja immer mit Scheingründen opcrirt. Sonst ist man gar nicht so empfindlich gegen fremde Sprachen." Wir glauben, daß die gegenwärtige preußische Regierung, die erfreulicher Weise die Polen wieder etwas schärfer an fassen zu wollen scheint, genugsam betont und auch durch die Thal bewiesen habe, daß sie die polnische Sache und die katholische Sache scharf scheidet. Der boshafte Angriff auf den Fürsten Bismarck aber ist eine vollständige Umkehrung der Thatsachen. Bekanntlich hat Fürst Bismarck in ter Zeil, als er gcnöthigt war, gegen' das Ueberwuchern des Polen thums einzuschreileu, sich redlich bemüht, in ein besseres Verhältnis; zu der katholischen Kirche zn kommen. Die Aussöhnnngsversuche begannen mit der neuen Aera der Wirthschaftspolitik und dauerten bis zum Rücktritte des Fürsten fort, die energische Polenpolitit des Fürsten aber begann in der Mitte der achtziger Fabre. Hieraus schon cr- giebt sich, daß der Fürstin derselben Zeit, in der er zu der katholischen Kirche freundliche Beziehungen anknüpfte, unmög lich daran gedacht haben kann, sie auf anderem Gebiete zu verletzen. Man muß im Gegentheit sagen: die polnische Ge fahr muß sehr drohend gewesen sein, wenn der Fürst, obwohl er wnßle, daß bas Centrum, bas sich ja leider immer auf die Seile der Polen stellt, ihm cic aktive Politik gegen die Polen verübeln würde, dennoch zlr jener Zeit zu Maßregeln gegen die Polen sich entschloß. Die deutschen Anwälte des Polenthums machen cs ihren Gegnern wirklich gar zu leicht, wenn sie Argumente vorbringen, die den Nachweis gestatten, daß der Kampf gegen die Polen nicht wegen des confessio- iicUen Standpunktes der weitaus größten Zahl der Polen begonnen wurde, sondern obwohl sie dem katholischen Glauben angehören und obwohl man die leider eingelroffene Be fürchtung hegen mußte, daß das religiöse Bekenntnis; in feiger Welse als Schild gegen den deutschen Hieb benutzt werden würde. Wir glauben daher anch nicht besorgen zu müssen, daß trotz des Ultimatums der „Köln. Volkszlg." die jetzige Regierung dem Ccntrum zu Liebe diesen Schild respectiren werde. Das von den Socialdemokraten so gehaßte Tocialisten- gesetz ist wieder aufgelebt, und Die, welche es aufleben ließen, waren ausgesprochene zielbewußte „Genossen". Sie wandten es gegen einen Mann an, der einer der Ihrigen war und ist, im Vordergrund des gewerkschaftlichen Kampfes stand, aber jetzt, da feine Person einem Friedensschlüsse zwischen Arbeitgebern und Arbeitern hinderlich war, dem soci al- demokratisch en Socialistengesetze zum Opfer fallen mußte. Die Sache wird sicherlich noch unendlich viel bojeS Blut im socialdemokratischen Lager machen und ^voraussicht lich zu erbitterten Redegefechten in den Volksversammlungen führen. In Lauterbe'rg a. H. befanden sich seit einer Reihe von Monaten die Holzarbeiter im Streik; etwa lOO 000 hatte derselbe schon gekostet, der finanziell nicht schlecht be stellte Holzarbeiter-Verband hatte die Mittel her-gegeben: jetzt aber befand er sich am Ende seinesLateins. Der Streik war seiner Zeit ausgebrochen, weil die Fabrikanten verlangt hatten, daß die Arbeiter — 600 — ans dem socialdemo- kratischen Fachverein austreten sollten. Die Seele während der ganzen Streikbewegung war der „Genosse" Erfurth, der Bevollmächtigte des Verbandes in Lauterberg. Um nun den Streik, der für die Arbeiter in wenigen Tagen verloren gewesen wäre, weil die finanziellen Mittel auf die Neige gingen, zu beendigen, hatten sich die Vertreter des Verbandsvorstandes der Holzarbeiter, die Genossen Leipart aus Stuttgart, Weltmann aus Hannover und Röske aus Hamburg, nach Lauterberg begeben und brachten auch einen Friedensabschluß zu Stande, der folgende höchst charakteristische Bedingung enthält: Die unterzeichneten Vertreter des Holz- arbeiterverbandeS erklären, „daß der Bevollmächtigte Erfurth bis zum Ablauf dieser Frist (l4 Tage) den Streikbereich verlassen hat, womit der Stein des Anstoßes aus dem Wege geräumt ist". Also die „Genossen" Vorstandsmitglieder des Holzarbeiterverbandes decrctircn einfach, daß der Bevollmächtigte „Genosse" Erfurth, der nebenbei verheirathet ist und Familie hat, in 1l Tagen aus Lauterberg fort muß. Wir Kälten die Sache kaum für glaublich gehalten, aber die Schriftstücke liegen vor; so rigoros war kaum das Socialistengesetz. Das Parteiorgan drückt sich natürlich um die Angelegenheit, die ihm höchst unbcguem ist, herum, aber die kleinere socialistische Presse schlägt schon Lärm: „Dieser Friedens schloß ist ein Schandfleck in der Geschichte der Arbeiter bewegung und wird nicht wieder verwischt werden können", schreibt die Magdeburger „Volksstimme". Das ist nur der Anfang; die von Socialdemokraten beantragte Ausweisung eines Genossen wird in wenigen Tagen zu sehr schroffen Auseinandersetzungen in der Partei führen. Wenn wir bereits hervorgeboben haben, daß in der bevor stehenden Tagung der französische» Deputirtenkammer heftige Kämpfe zwischen den Soci al ist en und der Regie rung zu erwarten sind, so findet diese Auffassung nunmehr ihre Bestätigung, da die Socialisten dem Ministerium er bitterten Krieg ankündigen und speciell die Ausweisung Bueb's unb Bebel'S zum Gegenstände einer Interpellation machen wollen. Die Kämpfe zwischen dem SocialismuS und dem Bürgertbum in Frankreich, die ja ohnehin von jeher infolge des scharfen Gegensatzes, der zwischen den französischen Gesellschaftsclassen besteht, einen sehr heftigen Charakter trugen, werden nunmehr eine ganz besondere Heftigkeit annekmen, da die Socialisten über die energische Rede von Oloron, in der Minister Barthou sich sehr ent schieden gegen die socialistischen Ideen ausgesprochen hat, höchst erbittert sind und sie es noch nicht verschmerzt haben, daß der Sturz des Ministeriums Bourgeois sie sehr günstiger Aussichten beraubt hat. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß sie in dem hier angekündigten Kampfe diesmal Erfolg haben werden, vorausgesetzt, daß sie auch weiter ihre Kampf mittel so ungeschickt wählen. Denn einmal hat der ehren volle Ausgang der Untersuchung über die moralische Correct- heit des Verhaltens Barthou's die Stellung dieses von den Socialisten in erster Linie angegriffenen Ministers und damit die des ganzen Ministeriums wesentlich befestigt. Sodann aber ist es sehr ungeschickt, gerade die Ausweisung der beiden deutschen Socialisten alsAngrisfsobject zuwählen. Es haben die bekannten Vorgänge in Lille, also einer Stadt mit einem großen Prvceutsatze socialistischer Bevölkerung, gezeigt, baß auch bn den socialistisch gesinnten Franzosen die nationale Gesinnung stärker ist als die socialistischen Tendenzen. Auch bei dein Zarenbesuche hat die Opposition der socialistischen Presse gegen die Verherrlichung des Autokraten nicht zu verhindern vermocht, daß die gleichfalls großentheils socialistische Pariser Bevölkerung dem Zaren zujnbelte. Wenn jetzt, noch unter dem Eindrücke dieses Besuches die Socialisten die Ausweisung zweier deutscher Parteigenossen angreifen wollen, so werden sie eS erleben, daß der weitaus größte Tbeil deS Parlamentes wie der Nation von nationalen Empfindungen ausgeht und daher diese Ausweisung entschieden billigt. Für die beiden deutschen Socialistenführer aber wird die zu erwartende Verhandlung, von der sie vielleicht eine Genugthuung er warten, eine erneute Blamage sein. Wenn der letzthin erschienene und von uns gebührend gewürdigte Artikel vcr „Times" als ein nicht eben geschickter Annäherungsversuch an Deutschland zu betrachten war, so muß ein neuerlicher, im Auszug mitgetheilter Artikel desselben Blattes als ein Ausfluß des Zornes darüber angesehen werden, daß in Deutschland die ungeschickte Art des englischen Liebeswerbens belächelt worden ist. Man könnte nun über diesen neuen Artikel der „Times", soweit er Angriffe gegen Deutschland enthält und besonders soweit er Deutschland „Ländergier" vorwirft mit der Bemerkung, daß die Well nicht ausschließlich sür das unersättliche Albion geschaffen ist, verächtlich hinweggehen; etwas anderes ist es indessen mit den Vorwürfen wegen Deutschlands angeblichen Verhaltens gegenüber den anderen Dreibundmächten, weil bei dem besonderen Einflüsse Englands auf Italien und in Rücksicbl auf gewisse derzeit in Italien hervortretenbe Strömungen die perfiden Aeußerungen der „Times" vergiftend wirken können. Die „Times" werfen Deutschland selbstsüchtiges Vcr kalten gegenüber den anderen Dreibundmächten vor; es verlange von diesen Berücksichtigung der deutschen Interessen in allen Puncten, genire sich aber selbst nicht, mit dritten Mächten (Outsiders, gemeint sind Rußland und Frankreich, mit denen Deutschland in Ostasien und im Orient ziisammengeht), zu kokettiren. Diese Behauptung ist eine vollständige Ver drehung der Thatsachen. Es liegt nicht im deutschen Wesen, sich der Dienste, die man Freunden erweist, zu beriihmen, der Unterstellung deS englischen „Weltblattes" gegenüber sei aber kurz auf Folgendes verwiesen: 1) Deutschland hat politisch die Bestrebungen der befreundeten Mächte, soweit es irgend an ging, stets unterstützt, vor allen Dingen niemals diesen Bc strebungen entgegengearbeitet; 2) Deutschland bat in militai rischer Hinsicht annähernd so viel Lasten auf sich genommen, als die beiden befreundeten Mächte zusammengenommen; es hat dadurch diese Mächte, die sonst zu höheren militai- riscden Aufwendungen gezwungen gewesen wären, finan ziell entlastet; 3) Deutschland hat, wie bei den Reichstagsverhandlungen über den deutsch - österreichischen und den deutsch-italienischen Handelsvertrag hervorgeboben wurde, den beiden befreundeten Reichen besonders günstige Bedingungen gewährt, um diese wirthschaftlich zu sör dcrn. Dem gegenüber hat Deutschland von den verbündeten Mächten bisher überhaupt noch nichts gefordert; eS wird FerriHetsn. Die Schuld des Fürsten Uomanskoi. 20j Roman von Conr. Fischer-Sallstein. Nachdruck verboten. „Und nun bitte ich Sie nur um Rath darüber, was es zu bedeuten hat, daß Stcpan Wassilitsch Romanskoi sich heute in Begleitung d^r Petuschkiwna nach dem Palais des kaiserlichen Erzbischofs Bußlajeff begeben hat ? Sollte dieser Besuch iu Betreff Ihrer Verlobung mit Lidia nöthig ge worden sein? Zn diesem Falle muß es mich schmerzen, daß der Fürst sich von der Petuschkiwna verleiten läßt, solche Besuche zu machen, ohne meine Rechte zu berücksichtigen." Und wieder erhob sich Ilija Andrej aus seinem Sessel und stand nun da, als ob ihm der Boden unter den Füßen brenne. Nein, in Sachen seiner Verlobung war vieser Besuch nicht nöthig, wohl aber in Sachen einer projectirten Verheiratbung des Onkels. Wie ein Gespenst stand ihm die Möglichkeit vor Augen, daß der Fürst sich in Besitz seines ängstlich gehüteten Geheimnisses gesetzt und nun auf dem Puncte stand, ihn zu enterben. „Heiliger Gott", stöhnte er in sich hinein, „soll ich denn nur die Ketten des Tyrannen getragen haben, um mich zum Schlüsse, so dickt am Ziel, ins Elend stoßen zu lassen!" Er griff nach Stock und Hut und wußte noch nicht, ob er zuerst dem Onkel oder dem Sobne der Petuschkiwna einen Besuch machen sollte. „Ich werde sofort meinem Onkel einen Besuch machen", warf er hin und wandte sich wie ein zerstreuter, fassungs loser Mensch der Thür zu, „ich halte Ihre Mittbeilungen für wichtig genug, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie sagen selbst, daß ick Reckte habe, gut, ich will es versuchen, mick auf diese Rechte zu stützen." Nichts konnte der Gräfin angenehmer sein, als zu er fahren, waS dieser Besuch bei seiner Heiligkeit zu bedeuten habe. Nachdem ihr der Graf zugesagt, Alles, was er über diese Sache iu Erfahrung bringen könnte, ihr mitzutheilen, ent ließ sie ihn mit großer Herzlichkeit und gab ihm ihren Segen mit auf den Weg. Draußen im Vorgarten stand er einen Augenblick still, um sich den Namen und die Adresse de« Studenten IaSmorin zu notiren, und eilte alsdann fort, direct nach dem Hotel Bristol. In der Stimmung eines Menschen, der Alles auf eine einzige Karte gesetzt, betrat er die Gemächer deS Fürsten. Als er noch im Vorzimmer stand, begegnete ihm Nahim, und einen Augenblick hindurch rang er mit dem Verlangen, den allen treuen Diener auszuforschen, aber da trat auch schon der Fürst auf ihn zu. Ein feierlicher Ernst lag in seinem Wesen. Er machte den Eindruck eines Mannes, von dessen Gemüth eine schwere Last genommen wurde, und das sich nun freudig erboben und sorglos in eine schönere Zukunft blickt. Auch Sofia Andre jewna kam hinzu. Ilija Andrej entdeckte etwas Weiches und Frommes in ihren Zügen, eine echt weibliche Hingebung lag in ihrem Wesen ausgesprochen, und ihre schönen Augen schienen dem Neffen etwas verheimlichen zu wollen. Zärtlich nahm der Fürst sie an der Hand und schien die Absicht zu haben, sie dem Neffen zuzusühren, und jetzt zuckte Matscherskoff zusammen, denn an der Hand Sonja Petusch- kiwna's blitzte ein einfacher Goldreif — ein Verlobungsring! Der junge Mann rang nach Athem, für ihn waren die Würfel gefallen. „Ich wollte soeben Nahim nach Krestowsky hinüber schicken", begann Stepan Wassilitsch, und ein Lächeln des Glückes umspielte seine Lippen, das er gern vor dem Neffen verbergen möchte und daS ihm zugleich einige Verlegenheit zu bereiten schien, „es ist daher recht gut, daß Du Dich ein gefunden hast." Der Fürst schwieg und blickte nun wie hilfesuchend in das verklärte Angesicht Sosia'S. Cs schien ihm recht sauer zu werden, zu sagen, was er zu sagen batte. Ilija Andrej war aber auch von nun an überzeugt, daß der Onkel keine Ahnung von seinem Geheimniß habe, und das beruhigte ihn. „Wir haben heute", setzte Stepan Wassilitsch wieder an, „den Herrn Erzbischof Bußlajeff zu Tisch, und eS wäre mir lieber gewesen, wenn Du von seinen Lippen eS vernommen, daß unsere liebe Sonja Petuschkiwna meine Braut geworden ist. In möglichst kurzer Zeit wird unsere Vermählung in aller Stille stattfinden. Du stehst aber meinem Herzen zu nahe, mein theurer Ilija Andrej, als daß ich mir es hätte versagen können, Dir selber diese Mittheilung zu machen." Obwohl Ilija Andrej gar keine andere Erklärung er wartet hatte, nachdem er den Ring an der Hand der Petusch- kiwna hatte blitzen sehen, stand er dennoch vor dem Paare, als habe der Blitz vor ihm eingeschlagen, und nun suchte er zu er gründen, wie da« möglich war. Er sah nicht den Bräutigam, sondern die Braut an, uud in seinen Augen irrten unruhig Weiße kleine Licktfünkchen umher, die vor Frost zitterten. Ilija Andrej wollte etwas tbun und sagen, er suhlte, daß er die äußeren Formen der Höflichkeit auch jetzt zu wahren habe, dackte aber so lebhaft an den Sohn der Braut, von dem er sich eine seltsame Vorstellung machte, daß er sich zu gar nichts aufraffen konnte. - Der Fürst wurde bereits unmuthig, etwas Feindseliges bereitete sich in ihm gegen den Neffen vor. Da ergriff aber auch schon MatsckerSkoff die Hand der Braut, beugte sich ergeben zu ihr nieder und küßte diese. „Ich erlaube mir, meine herzlichsten Glückwünsche darzu dringen", brachte er mühsam hervor, „nur begreife ich nicht, warum dies nicht schon vor vielen Jahren geschah?" „Das werden Viele nicht begreifen", entgegnete der Fürst und war wieder recht aufgeräumt, „auch mein alter Freund, der Erzbischof, konnte darüber nicht hinaus kommen, aber eS ist nun einmal so, und ich denke, wir thun gut daran, die Dinge so zu nehmen, wie sie nun einmal liegen." Er schüttelte seinem Neffen herzlich beide Hände und fuhr fort: „Natürlich werden nun einige Veränderungen auf Slekok stattzusinden haben. Die zukünftige Frau Fürstin muß eine ihr gebührende Stellung einnehmeu. Einige Cor- recturen an meinem Testament sind unerläßlich, — doch darüber werden wir sprechen, sobald wir wieder glücklich auf Slekok sind. Offen gestanden, möchte ich am liebsten sofort in meine alte Behausung zurückkehren, denn das Leben in der Residenz behagt mir nicht mehr." Sie traten nun ins Wohnzimmer. Stepan Wassilitsch sprach mit seinem Neffen wie mit einem alten guten Freunde über sein zukünftiges Glück. Ueberhaupt war sein Benehmen gegen den jungen Herrn ein anderes, er schien die Rolle des Erziehers, die ihm zuletzt so sauer geworden war, endgiltig ausgcgeben zu haben und in seinem Neffen nur noch den nahestehenden Freund zu erblicken. Auch Ilija Andrej dachte an seine Zukunft, sprach aber nicht von ihr. Wenn er nicht den Muth hat, sein Glück selber zu corrigiren, dann werden sich bald zwei Weiber er beben, deren Regiment ihm unerträglicher ist, al« die oft un begreifliche Tyrannei de« Onkel«. Sie werden mich martern, quälen, enterben und zu Tode Hetzen. Die neue Frau Fürstin wird den Reigen eröffnen und sich bitter an mir rächen, daß ich e« nie verstanden, mir ihre Gunst zu gewinnen, Stepan ... . Er riß sich au« diesem unerquicklichen Ideen gange los und lächelte sich selber aus. Bei Gott, er befand sich auf dem Puncte, ein müßiger Träumer zu werden. Merkwürdig war an der ganzen Unterhaltung des Fürsten, daß er der bevorstehenden Verlobung deS Neffen mit Lidia Tschierwanewna nicht mit einem Worte gedachte. Hat cs denn Sofia Andrejewna verstanden, alle jene LieblingSpläne, an denen der Fürst in seinen einsamen und trostlosen Stunden so manches Jahr hindurch zehrte, so gründlich bei ihm aus zuwischen, als ob sie niemals dagewesen wären? Oder soll Livia nun mit dem Sohne der Fürstin verlobt werden? Nichts war natürlicher! Nachdem man ihn aus dem Testament herausgeworfen haben wird, muß man ihm auch die Braut nehmen! Sofia Andrejewna verließ nun für einen Augenblick vielleicht in irgend einer Angelegenheit das Zimmer und diese Gelegenheit ergriff Stcpan Wassilitsch, um seinem Neffen einen Auftrag zu ertbeilen, den er nicht gern in Gegenwart der Braut ertbeilen mochte. „Du würdest mir einen großen Dienst erweisen, mein tbeurer Ilija Andrej, wenn Du meiner Freundin Tarja Alexandrowna so schonend wie möglich die Mittheilung macken wolltest, daß, nun — Du verstehst mich? — sage ihr, Laß die Verlobung jedenfalls stattfinden werde, nicht aber, daß sie bereits stattgefunden hat. Es soll dies nur geschehen, da mit sie nicht so unvorbereitet meiner Anzeige, die ich schrift lich zu macken gedenke, gegenüber steht. Die Sache erfordert etwas diplomatisches Geschick und ich bin überzeugt, daß Tu diese Aufgabe ganz zu meiner Zufriedenbeit lösen wirst." „Ich werde mich sofort zur Gräfin begeben", entgegnete Ilija Andrej und erhob sich, „soll ich einen Besuch in Aus sicht stellen?" „Wo denkst Du hin? — Nein, davon kann keine Rede sein! Auch würde sich meine theure Sonja niemals dazu verstehen. Ich werde ihr schreiben. DaS Papier ist geduldig. Der briefliche Verkehr ist uns auch viel geläufiger." „Wie soll ich mich der Gräfin gegenüber verhalten?" forschte Ilija Andrej trocken weiter. „Natürlich wirst Du den Schritt Deines Onkels zu recht fertigen suchen. Geh mein Sohn, nachdem wir uns auf der Villa endlich einmal wieder gesehen, wird sie meine Verlobung, die als Resultat dieses Wiedersehens aufgefaßt werden kann, kaum noch eine Ohnmacht kosten." Ilija Andrej Matscherskoff verabschiedete sich von seinem Onkel und ging, um seiner Sendung gerecht zu werden. Der Fürst begleitete iha nach der Thür uud drückte ihm dort
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite